unserem Redebeitrag

Redebeitrag von Hydra beim Zug der Liebe 2016
Liebe Liebende, liebe Demo-Teilnehmer_innen, liebe Kolleg_innen,
Sexarbeiter_innen geben Liebe, weltweit. Viele von uns arbeiten in der Sexarbeit, um für
unsere geliebten Angehörigen, unsere Kinder, Partner_innen, Geschwister sorgen zu
können. Viele von uns arbeiten, weil sie nur hier genügend Zeit haben, um diese Liebe
praktizieren zu können. Und weil viele von uns nur durchs Anschaffen in unserer
kapitalistischen Gesellschaft genügend Geld verdienen, um sich liebevoll um unsere
Angehörigen sorgen zu können. Manche von uns geben ihren Kundinnen und Kunden
Zuneigung und das Gefühl angenommen zu sein. Es ist schade, dass im Patriarchat vor
allem Männer diese Möglichkeit haben, sich liebevolle Zuwendung nach Bedarf leisten zu
können. Wären wir nicht mehr im Patriarchat, hätten Frauen ebenso die Möglichkeit, sich
die berühmten Liebesdienste zu gönnen.
Wie würde Liebe aussehen, die man uns Sexarbeiter_innen angedeihen lässt? Oder
genauer gefragt: Wie sieht die politische Liebe aus, die wir Sexarbeiter_innen uns
wünschen?
An erster Stelle stünde, dass wir ernst genommen werden. Menschen, die man lieb hat,
begegnet man mit Respekt und nimmt sie ernst.
Daher lautet eine unserer Hauptforderungen „Redet mit uns, statt über uns!“
Menschen, die man liebt, kriminalisiert man nicht für Handlungen, die niemandem etwas
zu Leide tun. Aber was macht die Politik? In St. Georg, in Hamburg, existiert ein
sogenanntes Kontaktverbot. Sexarbeiterinnen, die auf der Straße im Gespräch mit einem
Kunden erwischt werden, müssen hohe Strafgelder zahlen. Können sie diese nicht zahlen,
kommen sie ins Gefängnis. In Hamburg sitzen zur Zeit mehrere Kolleginnen genau
deswegen in Haft. Ähnliches geschieht in den sogenannten Sperrgebieten, wo Prostitution
verboten ist. In Deutschland gibt es in jeder Stadt mit über 50.000 Einwohner_innen
Sperrgebiete. Außer in Berlin und Rostock. Mit Henkel ist die Frage nur, wie lange Berlin
kein Sperrgebiet haben wird. Und bestraft werden meistens die Ärmsten. Deshalb steht an
zweiter Stelle der politischen Liebesarbeit die Entkriminalisierung von Sexarbeit.
Menschen, die man liebt, gesteht man zu, für sich selbst zu sorgen und eigene
Entscheidungen treffen zu können. Rettungsaktionen von ProstitutionsgegnerInnen sind
keine Akte der Liebe, sondern Akte der Bevormundung und Entmündigung. Ebenso wenig
wird das ProstituiertenSchutzGesetz, das der Bundestag vor 3 Wochen beschlossen hat,
uns Schutz bieten. Dieses Gesetz zwingt uns dazu, mindestens einmal pro Jahr an einer
Gesundheitsberatung teilzunehmen und wir müssen uns mindestens alle zwei Jahre neu
beim Staat als Huren registrieren lassen. Die Regierung verkauft das Gesetz als
schützend vor allem für Migrant_innen, dabei sind bei den Kosten noch nicht einmal
Dolmetscherinnen für jene Kolleg_innen einberechnet worden, die nicht ausreichend
Deutsch sprechen. Kontrolle und Zwang sind Ausdruck falsch verstandener Liebe. Und
schützen
können
Kontrolle
und
Zwang
auch
nicht.
In
Form
des
Prostituiertenschutzgesetzes gefährden sie gesetzeswidrig unsere intimsten Daten und
verstoßen gegen die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union.
Dieses Gesetz wird dazu führen, das kleine Bordelle, die von ein paar wenigen
Sexarbeiter_innen selbst geführt werden, schließen müssen. Nur weil der Gesetzgeber bei
Bordellen ab 2 Personen Auflagen einfordert, die nur große, meist von Männern geführte
Bordelle, erfüllen können. Dabei schließen sich Sexarbeiter_innen zusammen, um sich
gegenseitig Schutz zu bieten. Damit fördert das Gesetz die Unterdrückung von
Sexarbeiter_innen.
Attribute, die Liebe kennzeichnen, wie Respekt, jemanden Ernst nehmen und sowohl
Verantwortung als auch Gesetzestreue zuzutrauen, sehen jedenfalls anders aus.
Dabei wäre es gar nicht so schwierig, Liebe in ein Gesetz für Sexarbeiter_innen zu
gießen:
•
Wie wäre es denn damit, uns in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
aufzunehmen? Dann könnte uns nicht mehr einfach gekündigt werden, wenn der
Arbeitgeber einer der vielen nebenberuflichen Kolleginnen von ihrem Nebenjob
erfährt.
•
Wie wäre es damit, die vielen Paragraphen im Strafgesetzbuch und die anderen
Sonderparagraphen, die nur uns betreffen, endlich abzuschaffen?
•
Wie wäre es damit, prekäre Arbeitsverhältnisse gesetzlich zu unterbinden? Wie
wäre es damit, ein viel zu geringes Hartz IV durch ein Bedingungsloses
Grundeinkommen zu ersetzen?
•
Wie wäre es damit, Einwanderungsgesetze zu schaffen, die eine Anreise ohne die
Hilfe von Schleppern ermöglichen und Migrant_innen keinerlei Beschränkungen
auferlegen, welche Arbeitsverhältnisse sie antreten dürfen?
•
Wie wäre es damit, Rassismus im Wohnungsmarkt entgegen zu treten, damit
migrantische
Kolleg_innen
übernachten müssen?
nicht
mehr
für überteuerte
Preise
im
Bordell
Hätte man uns beim Gesetzgebungsprozess ernst genommen, wir hätten vor allem
durchgesetzt, dass Peer education, also die Bildung von Sexarbeiter_innen durch
Sexarbeiter_innen, gefördert würde. Wir von Hydra haben ein Peer-to-Peer Projekt, wo
Sexarbeiter_innen mit verschiedenen Hintergründen in die Bordelle gehen und wo wir
Kolleg_innen empowern. Staatliches Geld bekommen wir dafür nicht. Und potentielle
Sponsoren finanzieren lieber Organisationen, die nicht Sexarbeiter_innen in der Sexarbeit
helfen wollen, sondern nur, wenn sie mit der Sexarbeit aufhören. Seit wann wird Liebe an
Bedingungen geknüpft?!
Eine Kollegin in Thailand schrieb: „We don't do sex work because we are poor, we do sex
work to end our poverty.“ zu deutsch: „Wir machen nicht Sexarbeit, weil wir arm sind.
Sondern wir machen Sexarbeit, um unsere Armut zu beenden.“ Der Staat sollte uns
dadurch schützen, indem er uns Rechte gibt und unsere Rechte schützt, statt sie zu
beschneiden.
Die Journalistin und feministische Aktivistin Kübra Gümüsay hielt auf der diesjährigen
Republica einen Vortrag zum Thema „Liebe organisieren“. Sie malte einen Gegenentwurf
zu dem rassistischen und sexistischen Hass, der vielen im Netz entgegenschlägt. Auch wir
Sexarbeitenden werden oft von Hass überzogen. Rassistischen und Sexistischen auf der
einen Seite. Auf der anderen Seite durch die Delegitimierung unserer politischen
Standpunkte, weil wir, die öffentlich sprechen, eben nicht dem Opferbild der
Prostitutionsgegnerinnen gerecht werden. Schlimmer noch: Durch die Delegitimierung
werden unsere politischen Forderungen aus dem internationalen Zusammenhang
gerissen. Sexarbeiter_innen auf der ganzen Welt kämpfen für dieselben Rechte und
wehren sich gegen die Kriminalisierung. Ja, auch im Netz, gerade bei Diskussionen zu
Sexarbeit, brauchen wir positive Rückmeldungen. Wir brauchen die Bestätigung, dass
unsere Arbeit wahrgenommen und unsere Forderungen Ernst genommen werden. Auch
wir brauchen organisierte Liebe.
Liebe heißt für uns Sexarbeiter_innen, mit uns solidarisch zu sein und offen auf unsere
Bedürfnisse einzugehen.