LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 31. August 2016 LESEROBMANN Sorry, bin begrenzt REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] E rlauben Sie mir bitte, liebe Leser, dass ich dieses Thema zunächst (aus meiner Sicht) positiv einleite: Wenn Sie von mir erwarten, dass ich Ihnen die Bedeutung der Sonatenhauptsatzform in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts erläutere oder Ihnen zu einer Melodie einen vierstimmigen Chorsatz schreibe, werde ich sagen: Kein Problem, geht los, hier liegen meine beruflichen Wurzeln. Nun aber das Bekenntnis, denn anders kann, anders möchte ich es auch nicht formulieren: Manchmal stoße ich während meiner Arbeit an meine Grenzen; an die meiner Person und ihrer Fähigkeiten, nicht weniger oft an die der Aufgabe als Leserobmann. Jüngstes Beispiel: Die E-Mail, die mir ein Leser als Reaktion auf die Themenseite „Was, wenn es finster wird?“ und den Leitartikel dazu geschickt hat, könnte von der Anzahl der Zeichen (rund 12.200) und Wörter (rund 2200) her die komplette Seite Leserforum füllen. Als ich sie geöffnet hatte, dachte ich: Soll ich den Text lesen, verstehen und über Antworten auf Fragen nachdenken – was der Verfasser von mir erwartet? Diesmal habe ich die Entscheidung nicht auf später verschoben, ich habe gelesen: 40 Minuten habe ich für die fünf Seiten gebraucht, für das Lesen und Verstehen, weil: Leicht verdauliche Lektüre war es nicht. Dann habe ich überschlagen: Zwei bis drei Stunden würde ich für eine Antwort brauchen, und dabei wäre höchstens die Hälfte der angesprochenen Aspekte berücksichtigt, weil mir zu den anderen das Wissen fehlt. Deshalb heute hier mein Geständnis: Ich bin „begrenzt“. Laut meiner Statistik erhalte ich wöchentlich bis zu sechs solcher komplexen Analysen mit detailreichen Schlussfolgerungen; einige Leser schicken mir nur solche – respektvoll gemeint – langen Aufsätze, aber um einen Leserbrief geht es ihnen gar nicht. Sie wollen Stellung beziehen, und ich bin ihr Adressat. Damit beginnt mein Dilemma: Wenn ich den Autoren schreibe oder sage, dass mir für schriftliche Diskussionen die Zeit fehlt oder dass ich bei vielen Themen nicht kompetent genug bin und ihnen deswegen gern einen anderen Redakteur als Ansprechpartner vermitteln kann, reagieren viele verärgert. „Dann sitzt wohl der falsche Mann am richtigen Platz“, meinte kürzlich ein Leser. „Ich erwarte, dass Sie sich die Zeit nehmen und sich in die Materie einlesen“, sagte eine Anruferin. Schimpfend aufgelegt hat ein Mann, weil ich nicht ihm über das Freihandelsabkommen mit Kanada reden wollte und gesagt habe: „Tut mir leid, keine tiefergehende Ahnung.“ Nun bin ich an der Stelle angelangt, wo ich Ihnen eine Frage stellen möchte: Finden Sie nicht auch, dass es viel zu viele Menschen gibt, die nur so tun (vor allem vor Mikrofonen und Kameras), als würden sie viel von dem verstehen, worüber sie reden, und denen es vordergründig nur darum geht, nicht den Eindruck zu erwecken, sie wären bei dem einen oder anderen Thema überfordert? Wenn Sie wissen wollen, liebe Leser, warum ich nie Politiker werden wollte, dann rufen Sie mich an. HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Putin darf nicht allein Richtung vorgeben lösen. Es gab 2014 weder Nato-Truppen im Baltikum noch in der Ukraine. Die Besetzung der Krim wurde als Verstoß gegen das Völkerrecht und die Satzung des Europarates behandelt und Russland mit großer Mehrheit das Stimmrecht vorläufig entzogen. Weitere Sanktionen können folgen. Wolfgang Pötke, Mittweida In dem Interview „Russland ist anders, aber wir gehören zusammen“ hat der SPD-Politiker Matthias Platzeck einen Neustart auf Augenhöhe in den Beziehungen zu Moskau gefordert. Dies ist eine Auswahl mit Auszügen aus Leserbriefen dazu. Die Geschichte berücksichtigen In vielen Dingen hat Platzeck recht. Er übersieht aber Grundsätzliches. Die Maßnahmen gegen Russland sind nicht getroffen worden, weil dort andere Anschauungen bestehen, sondern weil es die Krim annektiert und die ukrainische Kriegsflotte miteinkassiert hat. Man darf nicht übersehen, dass Putin gesagt hat: „Wo ein Russe lebt, ist Russland.“ Dabei muss man die Geschichte Russlands berücksichtigen. Im Russischen Reich wurde bereits eine umfangreiche Russifizierung durchgeführt. Besonders hatten dies die Polen zu spüren bekommen. Die Sprache wurde nicht mehr unterrichtet und war bei Behörden verboten. Dies setzte sich unter Stalin fort. Die nationalen Eliten der nichtrussischen Völker wurden vernichtet und dafür dort Russen angesiedelt. Dies führte dazu, dass teilweise nur noch 60 bis 70 Prozent in den Gebieten der angestammten Nation angehörten. Im Falle von Kasachstan lag der Anteil unter 50 Prozent. Dies hat, nachdem diese Nationen selbstständige Staaten geworden waren, zu schweren Diskriminierungen der Russen geführt, und diese Länder haben eine Wahnsinnsangst gegenüber dem mächtigen Russland. Dies hat sich nach der Annexion der Krim verschärft. Hinzu kam der Krieg in der Ostukraine, der wohl nach Abstimmung mit Putin von zugewanderten Russen vom Zaun gebrochen worden war. Putin hat alle, die sich seinen Plänen entgegenstellen, als Faschisten bezeichnet. Nebenbei erklärt Putin die Ukrainer zu Russen, die keine staatliche Souveränität zu beanspruchen hätten. Selbstverständlich müssen trotz aller Sanktionen die Gespräche mit Russland weitergehen, aber nicht nur zu den Konditionen Putins. Hansjörg Nier, Schlettau Matthias Platzeck hat in dem Interview mit der „Freien Presse“ zu einem respektvollen Umgang mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin (hier mit Außenminister Sergej Lawrow) gemahnt. FOTO: KIRILL KUDRYAVTSEV/DPA Kritik auch in Richtung Kreml Liest man die Äußerungen Platzecks über Russland und unser Verhältnis zu dem Land, dann fragt man sich, welcher Quelle seine Wahrnehmung entspringt. Für ihn gibt es nur eine Seite, die für die Schwierigkeiten in den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland verantwortlich ist, und dies ist „der Westen“. Der Vorsitzende des DeutschRussischen Forums stellt nirgends die Frage, ob nicht vielleicht auch Moskaus Verhalten Kritik und Ablehnung hervorrufen musste. Vergeblich sucht der Leser nach der Erwähnung der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der von Putin inszenierten und bis heute vom Kreml unterstützten Einmischung in der Ostukraine. Kein Wort auch zu der schleichenden Rehabilitierung Stalins und der Umdeutung der Geschichte der sowjetischen Aggressionen. Ist Platzeck entgangen, dass Putin den Hitler-Stalin-Pakt mehrfach als „gar nicht so schlecht“ bezeichnete – einen Pakt, der in den Zweiten Weltkrieg führte und mit dem Stalin seinen Angriff auf Polen und die Annexion der baltischen Staaten rechtfertigen konnte? Kann Platzeck wirklich nicht bemerkt haben, wie die mit dem Kreml aufs engste verbündete Russisch-Orthodoxe Kirche gegen Europa hetzt? Erzpriester Tschaplin bezeichnete als „größten Feind der orthodoxen Kirche“ den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag. Und sieht er wirklich nicht, dass die Rechtspopulisten Westeuropas in Moskau wohlgelitten sind, sodass der Kreml den Front National von Marine Le Pen sogar mit einem Kredit von 40 Millionen Euro unterstützt haben soll? Ein besseres Verständnis zwischen Russland und Deutschland? Ja, aber kein Verschweigen der gefährlichen, europafeindlichen Politik des Kreml. Joachim Glaubitz, Chemnitz Frage zu diesem Thema gab es auch nicht. Denn es zweifelt niemand an, dass wir ein starkes und stabiles Russland als Partner brauchen und bereit sind, auf seine historisch entstandenen Eigenheiten Rücksicht zu nehmen. Aber dieser Staat hat Landnahme gegen den ausdrücklichen Willen eines völkerrechtlich anerkannten Nachbarstaates betrieben. Ohne Annexion der Krim und der Ostukraine bestünde doch kein nennenswertes Problem zwischen Westen und Moskau. Kein Wort von Platzeck darüber. Soll wohl heißen: Schwamm drüber. Damit blieben Nachahmern in aller Welt weiterhin Tür und Tor geöffnet. Wilfried Liebscher, Chemnitz Nicht Russland ist aggressiv Man muss sich nur mit der Geschichte Russlands und seiner Nachbarländer befassen; es reicht, wenn man 1900 beginnt. Dann wird man erkennen, dass die Nachbarn in Russlands schweren Zeiten, vor allem während des Bürgerkrieges, nach meiner Ansicht in Russland gehaust haben. Immer im Reigen anderer Mächte. Jelzin übte Hochverrat und erhielt Pardon von einem bisher unbekannten Mann, der sich als grandioser Schachspieler erwies. Er beging einen Fehler: Er wünschte sich eine freie Wirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok, ein vereintes Europa inklusive Russlands. Diese Vision äußerte er in seiner Rede vor dem Bundestag, die ihm Ovationen einbrachte. Doch das passte den Amerikanern nicht. Ein starkes Europa mit Deutschland, mit Russland – das muss mit allen Mitteln verhindert werden. So wird in der Ukraine geputscht, werden Nachbarn Russlands mittels fragwürdiger Organisationen unterminiert. Diese Methoden sind bekannt. Amerika führt ununterbrochen Kriege und scheut sich nicht, auch gegen Russland alle Register zu ziehen. Die USA sind aggressiv, nicht Russland. Lutz Burke, Chemnitz Sanktionen können folgen Warum kritisieren wir eigentlich Russland und nicht die Golfstaaten? Die Antwort aber ist einfach: Weil es in Europa liegt und Mitglied im Europarat ist wie auch die Ukraine. Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern sind durch Verhandlungen zu Zur Annexion förmlich gedrängt So sehr der Coup mit der Krim für Russland eine staatspolitische Notwendigkeit war und es durch die Politik von EU und Nato dazu förmlich gedrängt wurde, so sehr ist die russische Unterstützung des Assad-Regimes bei den Verbrechen gegen dessen eigene Bevölkerung zu verurteilen. Nicht nur die USA, auch Russland ist nicht gegen die Verlockung gefeit, sich der Macht zu bedienen, sein fiktives eigenes Recht in Anspruch zu nehmen und das Völkerrecht zu ignorieren. Und wenn Assad das zerbombte Aleppo mit Stalingrad vergleicht, ist das an Zynismus nicht zu überbieten. Auch das sollte Russland in Erinnerung an die eigene Geschichte zu denken geben. Roland Pöschmann, Glauchau Echte Bedrohung oder nur Panikmache? Sportverbände sollten jetzt Bilanz auswerten Laut den Plänen für ein neues Zivilschutzkonzept sollen die Bürger nun Vorräte und Wasser für zwei Wochen lagern. Zu Berichten und Kommentaren dazu haben uns diese Leserbriefe erreicht. in verschiedenen deutschen Städten entstandene Bedrohungslage, dann ist dem nur schlecht zu glauben. Die Bürger empfinden das anders. Und wenn überregionale Medien an vorrangiger Stelle über die neue Zivilschutzrichtlinie berichten, beeindruckt das umso mehr. Das persönliche Gefühl von Sicherheit wird dadurch nicht unbedingt gestärkt, es wird im Gegenteil noch stärker beeinträchtigt. Klaus Pagenkopf, Werdau Bürger empfinden es anders Es läuft offenbar darauf hinaus, dass sich die Bevölkerung selbst schützen soll durch eigene Bevorratung an Lebensmitteln und Getränken, „bis staatliche Maßnahmen greifen“. Der Grund: Die Sicherheitslage hat sich seit 1995 derart zum Negativen hin verändert, dass sich die Regierung gezwungen sieht, diese vorbeugenden Maßnahmen gegen „Terror, Cyberangriffe und militärische Attacken“ zu ergreifen, nicht etwa vorrangig gegen allgemeine Katastrophenfälle wie Überschwemmung, Unfälle in Atommeilern, Windhosen oder Ähnliches. Wenn behauptet wird, das sei keine Reaktion auf die durch terroristische Anschläge Realistisch und angemessen Die ausgezeichnete Darstellung der Folgen von Hacker-Angriffen und Stromausfällen ist realistisch und angemessen. Ein eigener Vorrat ist wichtig, aber wegen der teils nicht unbegrenzten Haltbarkeit schwer zu verwalten. Ich erinnere mich an einen Sonnabend, an dem in keinem Neukirchener Markt etwas verkauft werden konnte, weil die Kassen ohne Strom wegen Hochwassers außer Betrieb waren. Ich schlage vor, für die Marktketten eine Logistik zu schaffen, die es ihnen erlaubt, trotz längerem Stromausfall Lebensmittel, die keine Kühlung benötigen, anliefern zu lassen und auch ohne Kassenautomat gegen Bargeld an die Steilvorlage für Nachahmer Matthias Platzeck leidet wohl unter einem Wahrnehmungsverlust, eine Ohne Strom müssen auch Lebensmittelläden schließen. FOTO: B. SCHULZE/DPA Kunden zu verkaufen. Bargeld ist und bleibt daher sehr wichtig und darf nie abgeschafft werden. Jeder sollte auch davon einen kleinen Vorrat bereithalten. Es hilft über einige Tage ohne Kartenzahlung hinweg. Peter Blaudeck, Neukirchen Unredlich und schürte Ängste Alle Welt regt sich auf, weil die Regierung ihr Zivilschutzkonzept überarbeitet. War zu DDR-Zeiten die Organisation der sogenannten Zivilverteidigung auf den Klassenfeind ausgerichtet, so geht es heute um Schutzmaßnahmen im Katastrophenfall oder im Fall von Angriffen aus dem Bereich der Cyberkriminalität. Gleich bringt das die Grünen und die Linken mit Kritik auf den Plan, ohne etwas dazu zu sagen, dass der Staat gegenüber den Bürgern im Katastrophenfall eine Fürsorgepflicht hat. Wenn in diesem Zusammenhang von Hamsterkäufen die Rede ist, dann ist das unredlich und schürt Ängste. Es ging doch nur darum, für eine bestimmte Zeit Vorräte im Haus zu haben. Es geht weder um Wahlkampf noch um Verunsicherung der Bevölkerung, sondern um ein gewisses Maß an Sicherheit. Lothar Schumann, Chemnitz Wem nützt die Verunsicherung? Ich hatte schon befürchtet, wir kommen ohne Aufreger durchs Sommerloch. Jetzt haben wir einen, nur Panikmache: Vorratshaltung bei Lebensmitteln – steht uns ein Atomkrieg ins Haus? Ich musste laut lachen und sah mich in die Zeiten des Kalten Krieges versetzt. Was soll das: Konsumrausch? Noch mehr Müllberg? Wer tritt so eine Lawine los und was soll sie bewirken? Wer hat Interesse an einer Verunsicherung? Ilona Scheibner, Oelsnitz/E. Zu den Berichten über die Olympischen Spiele meint ein Leser: Die Olympiade in Rio, die geprägt war von Dopingdiskussionen und sozialen Missständen in der Stadt und in dem Land, ist nun Geschichte. Wir alle, die Sportinteressierten, haben die Wettkämpfe gespannt verfolgt und haben mit unseren Athleten im Kampf um Gold, Silber und Bronze täglich mitgefiebert. In allen Medien war präsent, wie unsere Sportler um Meter und Sekunde bis zum ausgereizten Limit kämpften. Den Sportlern gehört unsere Anerkennung, auch wenn diese so manches Mal die Medaillen verpassten. Nun sollte eine Bilanz der Sportverbände aufzeigen, wie der Breitenund Leistungssport weiterhin organisiert wird. Auch die Politik auf Landes- und Bundesebene ist gefragt, die Strukturen zu überarbeiten und die Mittel bereitzustellen. Auch im Sportbereich zeigt es sich, dass nur Leidenschaft und ehrenamtliche Arbeit nicht ausreichen, um Spitzenpositionen zu halten. Rückschritte in der Sportorganisation rächen sich irgendwann mal, soweit sind wir nämlich schon. Dietmar Hellinger, Plauen
© Copyright 2024 ExpyDoc