Agnes v. Below Zusammenfassung Vermittlung von Empathie durch Schauspieltechniken Theaterpädagogisches Projekt mit Schülern der Physiotherapie – Die Berufswelt im sozialen Bereich ist vielseitig und erwartet neben kompetentem Fachwissen ein hohes Maß an sozialen Fähigkeiten. In therapeutischen Berufen steht die soziale Kompetenz auf gleichem Niveau wie das Fachwissen. Eine vertrauensvolle Therapeuten-Patienten-Beziehung ist die Basis für eine erfolgreiche Therapie. In der Ausbildung zu einem therapeutischen oder pflegenden Beruf hat Fachwissen einen hohen Stellenwert. Dieses Fachwissen allein verhilft dem Auszubildenden aber nicht zu mehr beruflicher Handlungskompetenz. Dies wurde auch in Studien bestätigt, sodass es seit 2013 einen daran angepassten neuen Lehrplan für angehende Physiotherapeuten gibt. Um zu beruflicher Handlungsfähigkeit zu kommen, bedarf es der Schulung sozialer und persönlicher Kompetenzen, um in der Lage zu sein, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und sich in sie hineinzuversetzen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die sozialen Fähigkeiten durch theaterpädagogische Methoden verbessert und gefördert werden können. Techniken aus dem Theater können Schülern helfen, durch Rollenspiele die Situation einer anderen Person wahrzunehmen und Empathie für sie zu entwickeln. Für Auszubildende kann es aufgrund des zumeist großen Altersunterschieds herausfordernd sein, die Bedürfnisse und Nöte der Patienten nachvollziehen zu können. Beispielsweise ist das Einfühlen in das Erleben von Patienten mit chronischen Schmerzen gerade dann schwierig, wenn die angehenden Therapeuten selbst noch keine Erfahrung mit derartigen Schmerzen gemacht haben. Wer langfristig in der Lage sein will, mit kranken Menschen zu arbeiten, muss sich mit seinen Gefühle und seiner eigenen Schwachheit auseinander setzen, um dem Patienten Empathie entgegen bringen zu können. Die Arbeit mit Patienten bedeutet für Physiotherapeuten einen hohen körperlichen Einsatz, sowie viel körperliche und zwischenmenschliche Nähe. Gerade Auszubildende brauchen Anleitung, um den Umgang mit der neuen Rolle als Therapeut zu lernen und ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Patienten aufzubauen. Laut Lehrplan für Krankenpflege und therapeutischer Berufe, wie der Physiotherapie, haben die Schulen den Auftrag, den Unterricht so zu gestalten, dass die Schüler in ihrer fachlichen, sozialen und persönlichen Kompetenz gefördert werden, um zu beruflicher Handlungskompetenz zu kommen. Hier setzt das theaterpädagogische Projekt an: durch Schauspielunterricht und Techniken aus der Theaterpädagogik wird dem Schüler eine Möglichkeit gegeben, im Rollenspiel z. B. die Rolle eines Patienten zu übernehmen und seine Situation im Kontext zu erleben. Anschließend wird in der Klasse über die gespielte Szene reflektiert. Die darstellenden Agnes v. Below Schüler haben die Möglichkeit, sich zu ihrer Rolle und den entstandenen Gefühlen zu äußern. Die Klasse beobachtet und gibt wertfrei Rückmeldung. Die Ziele des theaterpädagogischen Projektes sind: Förderung der sozialen und persönlichen Kompetenz durch Selbst- und Fremdwahrnehmung, sowie das Training der verbalen und nonverbalen Kommunikation und empathischen Fähigkeit, ebenso wie das Üben der Reflexions- und Kooperationsfähigkeit und die Förderung des Selbstbewusstseins. Durch das Spielen von Theaterszenen, angelehnt an den Klinikalltag, erleben sich Schüler als aktiv handelnd. Als Spieler in einer Szene übernehmen sie eine Rolle, identifizieren sich damit, sammeln Erfahrungen und erleben die Rolle der Gefühle am eigenen Körper und lernen somit durch das eigene Erleben. Auch die Klasse partizipiert in diesen Momenten durch die Beobachtung der Darstellung und fördert den Lernprozess durch die Mitteilung der gemachten Beobachtungen. Mit den neuen Erfahrungen ist es für junge Menschen leichter, sich in Menschen hineinzuversetzen und ihnen Empathie entgegen zu bringen, da sie im Rollenspiel einen Perspektivwechsel erlebt haben. Inhalte und Aufbau des theaterpädagogischen Projektes, das für einen Vormittag von sechs Unterrichtseinheiten konzipiert ist, gestalten sich folgendermaßen: Zu Beginn sind 70 Bilder von Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Körperhaltungen im Raum verteilt und laden zum visuellen Selbststudium und Gespräch miteinander ein. Jeder Schüler hat den Auftrag eines davon zu wählen und anschließend der Klasse mitzuteilen und zu begründen, warum er sich für dieses Bild entschieden hat. Diese Bilder dienen dem Einstieg in das Thema Körpersprache. Im nächsten Schritt sind die Schüler aufgefordert, je nach Bild, dieses allein oder in kleinen Gruppen von 2-4 Schülern darzustellen und in dieser Position als Statue zu verharren. So entstehen mehrere Standbilder, die wie in einem Museum im Raum verteilt positioniert sind und vom Rest der Klasse begutachtet und kommentiert werden. Im anschließenden Gespräch haben die Schüler die Möglichkeit, ihre Körperempfindung der dargestellten Position der Statue zu verbalisieren. Eine weitere zentrale Übung ist die individuelle Darstellung von Krankheit durch den eigenen Körper: Die Klasse steht im Kreis und jeder zeigt spontan durch Körpersprache Krankheit. Die Schüler werden je nach Darstellung in Familiengruppen eingeteilt: die Liegenden, die Hockenden, die Verkrümmten und die, die ein Körperteil betonen. Dann sammeln sie sich in ihrer Gruppe und bekommen den Auftrag, zu der spezifischen Haltung eine Bewegung hinzuzufügen, die das Leid betont. Am Anschluss fügt jeder ein Geräusch hinzu, das aus der Bewegung entsteht. Die Klasse begutachtet die Gruppen, kommentiert sie und jeder kann seine Gefühle, die in der Darstellung entstanden sind, mitteilen. Zum Thema Hoch - und Tiefstatus aus dem Improvisationstheater gibt es eine kurze theoretische Einführung mit anschließender praktischer Umsetzung in kurzen Theaterszenen, die mit wechselnden Schülern besetzt sind. Jeder Schüler bringt sich ein und lernt entweder als Schauspieler auf der Bühne oder als Beobachter im Publikum. Es wird gelacht: Sowohl in den Szenen als auch in den nachfolgenden, gemeinsamen Gesprächsrunden, die eine lockere Atmosphäre haben und die Klassengemeinschaft fördern. Agnes v. Below Am Ende des Vormittages wird von jedem Schüler das Projekt mithilfe eines Fragebogens evaluiert, der qualitativ und quantitativ ermittelt. Die quantitativen Bewertungskriterien der Evaluation sind dem Werk De oratore des römischen Redners Cicero entnommen. In seiner Schrift, die die Kunst der Rhetorik beschreibt und zur Ausbildung von Rednern dient, werden drei Kriterien festgelegt, um die Qualität seiner Rede zu beurteilen. Ob eine Rede ihr Ziel beim Publikum erreicht, wird anhand der drei Schlagworte movere, delectare und docere (bewegen, erfreuen und belehren) entschieden. Die Kriterien werden in diesem Projekt auf die Kunst des Schauspiels übertragen und treffen eine Aussage über die emotionale Bewegung, die Freude beim Lernen und den Wissenszuwachs durch das theaterpädagogische Projekt. Die Ergebnisse wurden statistisch ausgewertet und grafisch dargestellt. Das Projekt wurde in zwei Klassen im ersten Ausbildungsjahr mit einer Stichprobe von 48 Schülern durchgeführt. Aufgrund der Rückmeldungen der ersten Klasse wurde die Gefühlsskala für das Kriterium movere differenzierter gestaltet, sodass die Klassen nur noch in den übrigen Kriterien delectare und docere vergleichbar sind und die Stichprobe auf 24 sank. Die große Begeisterung der Schüler zeigt sich in den Ergebnissen des Bereichs delectare. In den Ergebnissen docere zeigte sich, dass das Projekt insbesondere von den Schülern als lehrreich wahrgenommen wird. Die Resultate der Auswertung bestätigten den subjektiven Eindruck, der schon während der Durchführung des Projekts entstand. Für die Evaluierung des Kriteriums movere konnten die Schüler in einer Gefühlsskala bestehend aus den zehn Basisgefühlen von Krause et al (1985, DAS) ankreuzen, welches Gefühl sie in den Rollenspielen, Übungen und Beobachtungen bei sich festgestellt haben. Diese Auswertung ist die zentrale Aussage des Projekts und bestätigte die aufgestellte Hypothese. Durch das Wahrnehmen von evtl. neuen Gefühlen wird das Gefühlsspektrum erweitert und die empathischen Fähigkeiten wurden trainiert. Die Identifikation mit einer neuen Rolle im Rollenspiel gibt dem Schüler die Möglichkeit, am eigenen Körper Erfahrungen zu sammeln, hilft ihm, die Sicht des Gegenübers zu verstehen und erleichtert so das Einfühlen in dessen Situation. Das Projekt bietet sich in adaptierter Form für alle Auszubildende in helfenden Berufen an. Denkbar wäre auch eine interdisziplinäre Fortbildung mit bereits examinierten Fachkräften.
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