Erfahrungsbericht Erasmus in Finnland an der Uni Turku „Wo liegt denn Turku?“ Diese Frage werden sich wohl einige Leute gestellt haben – und auch immer noch stellen. Natürlich habe ich da keine Ausnahme dargestellt, trotzdem habe ich mich dazu entschieden mich für diese Stadt zu bewerben. Denn eines stand für mich fest: Ich wollte in den hohen Norden. Zu meiner großen Freude hat sich mein Wunsch auch erfüllt und ich wurde angenommen. Und so beginnt die Geschichte meines Auslandsaufenthaltes 2015/2016 über zwei Semester in Finnland, an der Universität von Turku. Offen gesagt war Finnland nicht meine erste Priorität. Zumindest anfangs nicht. Über Finnland wusste ich nur, dass es neben Schweden liegt, im Winter kalt und dunkel ist und man die Sprache kaum lernen kann. Man könnte also sagen, bezüglich meiner Kenntnisse über mein Gastland gab es noch ordentlich Luft nach oben. Aber dazu später mehr. Zuerst werde ich ein paar Worte zum Organisatorischen verlieren. Turku kann man wohl mit jedem Transportmittel erreichen, es gibt einen kleinen Flughafen, einen Hafen für Fähren und natürlich einen Bahnhof. Wie man hinkommt, ist wohl Geschmackssache. Ich habe ein paar Leute getroffen, die aus ganz Europa mit dem Auto angereist sind, um auch während ihrer Zeit in Finnland nicht auf die gewohnte Mobilität zu verzichten. Auch ein Mädel mit Flugangst war dabei, die von Frankfurt aus mit dem Zug gekommen ist. Ich denke, das kann man machen, wenn man Zeit hat. Und echte Flugangst. Ich persönlich bin von Zürich aus nach Helsinki geflogen und habe von dort aus den Zug genommen, weil ich mit einigem Gepäck unterwegs war. Eine wirklich günstige Alternative dazu ist der finnische „Glücksbus“, der Onnibus, der auf onnibus.fi buchbar ist. Ein Fernbus wie er auch hier fährt, die Devise ist dieselbe: Je früher man bucht, desto günstiger ist er. Wie mir schien, sind die Finnen in allen Bereichen bestens organisiert. Der Kontakt zum Auslandsbüro in Turku war zuverlässig, schnell und sie schienen auch sehr geduldig damit umzugehen, wenn ich mal mit meinem Learning Agreement überfordert war. Denn was ich am Anfang verwechselt habe, sind die Uni Turku, also die Turun yliopisto und die schwedisch-sprachige Universität, die Åbo Akademi. Das sind zwei unabhängige Universitäten, aber sie haben zumindest in der Rechtswissenschaft eine Partnerschaft, die sich Turku Law School nennt. Diese ermöglicht, Kurse von beiden Universitäten zu belegen. Die Einschreibung verlief nach meiner Erfahrung problemlos. Sobald man sich erfolgreich eingeschrieben hat, bekommt man Einführungsunterlagen zugesendet, um sich einen Überblick verschaffen zu können. Außerdem wurde ich recht bald von meiner Tutorin kontaktiert. Sie ist wirklich toll und sehr engagiert. Sie hat mir geholfen, als ich einen Zug nach Turku buchen musste, hat für mich meinen Zimmerschlüssel abgeholt, als ich erst spätnachts in Turku ankam. Außerdem hat sie sich in den ersten Tagen mit mir und ihren anderen „Schützlingen“ getroffen und ist mit uns zu den ersten Veranstaltungen gegangen. So hatte ich direkt die ersten Kontakte auch zu den anderen Erasmusstudenten. Bezüglich des Wohnens kann man sich an TYS wenden, eine Organisation vergleichbar mit dem Studierendenwerk. Über TYS kann man ein Zimmer in einem der vielen Studentenwohnheime bekommen. Das zentralste ist das student village. Ein wenig außerhalb (aber nicht tragisch, Turku ist nicht sooo groß) liegen Pilvilinna und Varissou. Eine beliebte Alternative ist die Unterkunft Retrodorm, wenn es auch auf den ersten Blick ein wenig gewöhnungsbedürftig ist. Es handelt sich um ein ehemaliges Altersheim, das umfunktioniert wurde. Die Zimmer sind eher klein, man hat zwar eine eigene Toilette, ansonsten aber eine Gemeinschaftsdusche pro Flur. Trotz dieser, wie ich finde nicht besonders einladenden Umständen, waren alle die ich aus dem Retrodorm kennen gelernt habe (und es waren einige) begeistert. Sie alle sagten, es sei so eine schöne, familiäre Atmosphäre gewesen, man habe so viele Menschen um sich und man verbrachte oft Zeit miteinander. Außerdem habe ich auch ein Mädel kennen gelernt, das sich privat ein Zimmer in einer sehr zentral gelegenen WG organisiert hat, welches wohl sogar sehr günstig war. Es scheint also vieles möglich zu sein, ich würde jedoch eher nicht empfehlen ohne ein Zimmer nach Turku zu reisen, wenn ihr eine Wahl habt. Ich persönlich habe in Päivanpäiste (wörtlich: Sonnenschein) gelebt. Diese Gebäude haben bis letzten Winter auch TYS gehört, wurden jedoch an Private verkauft. Daher gehe ich davon aus, dass man von TYS nicht mehr dorthin vermittelt wird. Ich habe für ein möbliertes Zimmer etwa 300€ warm bezahlt. Dazu muss man aber sagen, dass auch Päivanpäiste etwas dezentral lag (etwa vier Kilometer bis ins Zentrum). Im student village kosten die Zimmer etwas mehr, im Retrodorm (soweit ich weiß) weniger. Insgesamt sind die Lebenshaltungskosten tatsächlich höher als in Deutschland, was sich aber im Rahmen gehalten hat. Zum Beispiel öffentliche Fernverkehrsmittel fand ich nicht besonders teuer, Züge und der bereits erwähnte Onnibus sind günstig. Der öffentliche Nahverkehr ist nicht preiswert, aber wenn man sich nicht jedes Mal ein Einzelticket kauft, ist es in Ordnung. Zuverlässig sind die Busse in Turku allemal, eine Verspätung über mehr als zwei Minuten war eine Seltenheit und schon fast spektakulär. Vorausgesetzt man ist wetterfest, lohnt es sich oft auch in ein getreues Fahrrad zu investieren. Obwohl es im Spätsommer und Herbst wirklich sehr schön in Finnland ist, kann es gegen Winter schon mal ungemütlicher werden. Und damit meine ich nicht die klirrende Kälte, die man erwarten würde, sondern eher trübregnerisches Wetter, das sich manchmal Tage lang nicht legt. Zurück zu den Lebenshaltungskosten. Obwohl in Finnland Lebensmittel teurer sind als in Deutschland (denn mal ehrlich: in welchem Land nicht?), kann man einfach den zentral gelegenen Lidl zu seinem Stamm-Supermarkt erklären, in dem die Preise in etwa den unsrigen entsprechen. Alkohol und ich glaube auch Tabak sind in Finnland sehr hoch besteuert, daher ist beides sehr teuer. Man kann sich jedoch mit Bier (dem berühmten Lapin Kulta, dem „lappländischen Gold“) preiswert versorgen, verzichten, oder (sehr beliebt) einen Ausflug in die baltischen Staaten machen und sich ein paar Souvenirs mitbringen. Das nur so nebenbei erwähnt. Zum universitären Leben. Insgesamt sind die universitären Abläufe sehr gut organisiert, aber legt euch nicht zu sehr auf die Kurse fest, die ihr in euer Learning Agreement schreibt. Denn man muss sich für die Kurse online im August anmelden. Hier liegt jedoch der Hund begraben, weil die Fristen kurz vor der offiziellen Einführungswoche enden. Aber erst während der Einführungswoche wird einem erklärt, wo man hin muss um sich Zugangsdaten für die Portale zu verschaffen. Aber alles halb so wild, nur auf die 12 Punkte Kurse darf man sich ohne vorherige Anmeldung nicht zu sehr freuen. Ansonsten war es bei uns so, dass man einfach in die erste Stunde des Kurses ging, den man belegen wollte. Dann glich der Dozent die Angemeldeten mit den anwesenden Menschen ab. Je nach Kurs und Dozent wurden dann nur noch ein paar Studenten aus Masterstudiengängen genommen, andere nahmen auch deutlich mehr Studenten in ihren Kurs als angekündigt. Man muss das einfach ausprobieren. Alles in allem gibt es ein recht großes Angebot englischsprachiger Kurse, was hilfreich ist, wenn man nicht zufällig sehr gut finnisch sprechen kann. Diese Kurse finden blockartig statt, ich persönlich musste mich also mit einem Taschenkalender organisieren. Am Ende der Kurse gibt es meistens eine Klausur zu bestehen, ein Essay zu schreiben oder ein Lerntagebuch. Für die Klausuren gibt es immer drei Termine, die man auch alle wahrnehmen kann und darf. Mich persönlich haben die Kurse ein wenig an die Schule erinnert, denn die Hörsäle sind eher klein, die Anzahl der Teilnehmer gering und man wird auch mal aufgerufen, oder muss Präsentationen und Gruppenarbeiten absolvieren. Anscheinend ist es sehr kompliziert in Finnland ein Konto zu eröffnen, daher wurde uns davon abgeraten. Ich bin auf Onlinebanking umgestiegen, außerdem ist es üblich so gut wie alles mit der Karte zu bezahlen, sei es der kleinste Zwei-Euro-Betrag, bei dem bei uns alle in der Schlange die Augen verdrehen würden. Daher habe ich im letzten Jahr weitestgehend auf Bargeld verzichtet. Zudem hat es sich als sehr nützlich erwiesen, dass man eine Prepaid SIM-Karte in der „Wilkommenstüte“ der Uni geschenkt bekommt. Die Karte war von dna, so konnte ich mir schnell mobile Daten verschaffen. Nach all diesen, hoffentlich nützlichen, Informationen über das ganze Drumherum, möchte ich noch ein paar Worte über meine Zeit in Turku verlieren. Turku als Standort eröffnete mir einen völlig anderen Ausgangspunkt für die vielen Reisen, die ich angetreten habe. Natürlich habe ich vor allem Finnland bereist, ich war z.B. in Lappland, Helsinki, Rauma, Yväskylä und Tampere. Besonders beeindruckend ist die unglaublich Weite Finnlands, auf ungefähr der Fläche der Bundesrepublik leben gerade einmal 5 Mio. Menschen und die Natur ist oftmals unberührt und wunderschön. Die Finnen sind meiner Erfahrung nach immer sehr freundlich und hilfsbereit. Gleichzeitig schätzen sie ihren personal space, es ist tatsächlich nicht besonders leicht, Finnen „aus der Reserve zu locken“. Ich hatte den Eindruck, dass es ein wenig länger dauerte Finnen näher kennen zu lernen, aber natürlich kann man das wie immer nicht pauschalisieren. Ich persönlich mochte auch die finnische Art zu leben sehr gerne. Zum Beispiel das Saunieren, eine Erfindung der Finnen in welcher sie wohl auch als Weltmeister gelten können, hatte ich vor meinem Aufenthalt kaum gekannt und mittlerweile liebe ich es. Saunen gibt es dort überall, sowohl Öffentliche, als auch in den Wohnheimen. Es tut unglaublich gut und wärmt einen gründlich auf, was ich vor allem gut brauchen konnte, als der nasskalte Dezember dem bereits trüben November gefolgt war. Ein Highlight für mich war außerdem mein Sprachkurs. Das Language Centre bietet Finnischkurse für Ausländer an und wenn ihr die Chance habt, belegt den Kurs von Jenni Laine. Ich mochte sie und ihre herzliche Art zu unterrichten wirklich sehr gerne. Es ist wirklich nicht leicht Finnisch zu lernen, da es eine so völlig eigene und einzigartige Sprache ist, die nur wenig mit anderen (europäischen) Sprachen gemeinsam hat. Nach zwei Semestern Sprachkurs haben wir (die Kursteilnehmer) gerade mal Level A1 erreicht. Niemand hat behauptet, es würde leicht werden. Durch den Kurs fand ich mich jedoch besser zurecht und hatte das Gefühl, mehr von der finnischen Kultur mitzubekommen. Das kann ich allen nur empfehlen. Übrigens können, zum großen Glück all derjenigen die kein oder nur schlecht finnisch sprechen, fast alle Finnen exzellent englisch. Ich glaube, ich habe es nur zweimal in neun Monaten erlebt, dass jemand kein englisch sprechen konnte. Weitere Reisen gingen dann auch ins nahe Ausland. Turku war der ideale Standort, um die Fähre direkt nach Stockholm zu nehmen. Ein Ausflug nach Norwegen bietet sich genauso an, wie der baltische Raum oder Russland. Zudem fliegt wizzair direkt von Turku nach Danzig, somit die ideale Verbindung nach Polen. Danzig ist wirklich eine wunderschöne Stadt, nur zu empfehlen. Bezüglich Reisen bietet ESN Turku viele Möglichkeiten an. Einen guten Überblick über die „klassischen Trips“, die man in Turku machen kann und gemacht haben sollte, bietet die Internetseite des Reiseveranstalters timetravels.fi. Diese kann man dann auch gleich preiswert buchen. Das Fazit, das ich aus meiner Erfahrung ziehen kann: Obwohl Turku keine riesige Metropole ist und viele Menschen nicht einmal wissen wo es liegt, hat es doch einiges zu bieten und stellt eine großartige Kulisse und Gegend für ein Leben in Finnland dar. Tatsächlich ist es wohl auch die günstigere Alternative zu Helsinki. Auch bin ich im Nachhinein wirklich froh, dass ich in Finnland angenommen wurde und mein Auslandssemester dort verbracht habe. Denn die Landschaft ist skandinavisch-schön, mit Weiten und Extremen, die ich vorher so nie kennenlernen konnte. Die Währung ist der Euro (für alle ein Vorteil, die nicht jedes Mal rätseln wollen, was sie nun ausgeben) und im Vergleich zu den anderen nordischen Ländern, wie Norwegen und Schweden, wesentlich günstiger. In vielen Punkten ist Finnland ein unterschätztes Land und es lohnt sich wirklich dorthin zu gehen, sei es für einen Urlaubstrip oder einen Erasmus-Aufenthalt.
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