SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Kein Sand am Meer Warum vielen Stränden der Rohstoff ausgeht Von Dirk Asendorpf Wiederholung: Dienstag, 23. August 2016, 8.30 Uhr Erstsendung: Montag, 13. April 2015 Redaktion: Detlef Clas Regie: Dirk Asendorpf Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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Es ist in einer gründerzeitlichen Villa untergebracht, vom Balkon geht der Blick über die Uferpromenade aufs Mittelmeer. O-Ton Judith Albors Casanova: Se conservan fotos antiguos ... Übersetzerin: Es gibt noch Fotos aus dem 19. Jahrhundert, die die Düne sehr schön zeigen. Als dann die Uferstraße gebaut wurde, war das genau auf dieser Düne. All diese Häuser und Gärten, die um die Jahrhundertwende herum entstanden, hat man praktisch auf den Strand gebaut. Und der Sand für die Bauarbeiten kam aus den Bächen und kleinen Flüssen direkt dahinter. Früher brachte ihr Wasser große Mengen Sedimente heran. Doch mit der Asphaltierung der Straßen im vergangenen Jahrhundert wurde dieser Nachschub abgeschnitten. Ansage: Kein Sand am Meer – Warum vielen Stränden der Rohstoff ausgeht Eine Sendung von Dirk Asendorpf Sprecher: Sand ist – nach Wasser – der wichtigste Rohstoff der Menschheit. Und er wird, kaum zu glauben, knapp. Der jährliche Verbrauch liegt bei 15 Milliarden Tonnen – für Straßenbau und Betonherstellung, in der Glas- und Chemieindustrie, für Elektronikbauteile und Solarzellen, beim Fracking von Öl- und Gasquellen. Schwimmbagger saugen den Sand vom Meeresboden, Lasterflotten schaffen ihn aus Flussbetten heran und Hunderttausende Staudämme verhindern, dass Flüsse den Sandnachschub aus Erosion und Gesteinsverwitterung ins Meer spülen können. 2 Dünen werden abgetragen oder bebaut und falsch geplante Küstenschutzmaßnahmen blockieren den natürlichen Sandkreislauf am Meer. Die Folge: Viele Strände schrumpfen. Doch Gegenmaßnahmen sind möglich: neue Staudammkonzepte, Rückbau an den Küsten, Sandaufschüttungen. Und Forscher testen, ob Beton auch aus Wüstensand hergestellt werden kann. Vogelschutzgebiet Riet Vell im Ebro-Delta Sprecher: Els Muntells, ein Dorf in einem Vogelschutzgebiet mitten im Ebro-Delta, rund 100 Kilometer südlich von Sitges. Hier zeigt sich die Hauptursache für den Verlust vieler Strände entlang der katalonischen Küste. Der Ebro ist der einzige große Fluss, der die iberische Halbinsel ins Mittelmeer entwässert. Die Sedimente, die er vor allem aus den Pyrenäen mitführt, haben sich über Jahrtausende an seiner Mündung abgelagert und ein gut 300 Quadratkilometer großes Delta gebildet. Es ist ein Vogelparadies und Spaniens größtes Reisanbaugebiet. Und es ist in akuter Gefahr. Ignasi Ripoll ist der Direktor des Schutzgebiets. O-Ton Ignasi Ripoll: El delta está hecho de sedimentos ... Übersetzer : Das Delta besteht ja aus Sedimenten, die sich mit der Zeit immer kompakter zusammenballen. Deshalb sinkt der Boden jedes Jahr um zwei bis vier Millimeter ab. Früher wurde das durch den Sediment-Nachschub kompensiert, den der Fluss mit den jährlichen Überschwemmungen heran brachte. Doch die gibt es heute nicht mehr. Denn das Wasser wird in den Staudämmen zurückgehalten, und die Sedimente bleiben hinter den Staumauern liegen. Weil weniger Wasser fließt und dieses Wasser auch noch weniger Sedimente mitführt, sinkt das Delta ab. Zusätzlich verliert es auch noch Sedimente ans Meer. Und dieser Verlust wird nicht mehr durch Nachschub aus der Flussmündung ausgeglichen. Sprecher: Über 500 Staudämme sind in den vergangenen Jahrzehnten im 1.000 Kilometer langen Ebro und seinen Zuflüssen entstanden. Sie dienen der Stromerzeugung und der Bewässerung großer landwirtschaftlicher Flächen. O-Ton Ignasi Ripoll: El Ebro lleva en este momento ... Übersetzer: Das führt dazu, dass der Ebro heute weniger als die Hälfte des Wassers führt, das er vor 100 Jahren führte. Damals waren es 20 bis 21 Milliarden Kubikmeter im Jahr, heute sind es noch maximal neun Milliarden. Außerdem plant die Regierung, diese Menge noch weiter auf vier bis fünf Milliarden Kubikmeter zu senken. Das wäre eine große Gefahr für das Ebro-Delta, eines der wichtigsten europäischen Feuchtgebiete. Und es wäre eine weitere Bedrohung der Strände – und zwar nicht nur hier im Delta, sondern entlang der gesamten katalonischen Küste. Die Sedimente des Ebro sind dort Grundlage ganzer Industrien: Fischerei, Landwirtschaft und Tourismus. 3 Strand am Golfhotel in Sitges Sprecher: Vor allem der Tourismus ist dabei, den Ast abzusägen, auf dem er sitzt. Zum Beispiel in Sitges. „Hotel Playa Golf“ heißt die vor zehn Jahren errichtete Vier-SterneHerberge am äußersten Ende des Strandboulevards. Von der Sonnenterasse geht der Blick über den letzten steinigen Rest des Strandes und einen trockengelegten Bach hinüber auf den grünen Golfplatz mit seinen großen blauen Wassertanks. Heute verhindert ein Zaun den Zutritt. Als Kind hatte Judith Albors Casanova hier ihren Abenteuerspielplatz direkt in der Natur. O-Ton Judith Albors Casanova: Aquí también había esta parte de zona humeda ... Übersetzerin: Wir hatten die Dünen und Teiche und über das Flüsschen führte eine Hängebrücke hinüber zum Golfplatz. Dort unten im Feuchtgebiet hatten sie die ersten Löcher angelegt. Wenn es nach dem Gesetz ginge, dürften sie dort eigentlich gar nicht sein. Aber der Golfclub ist eben ein Machtzentrum, da vergnügen sich Leute mit Einfluss. Und so wird der Golfplatz immer größer. Wir haben hier eine Kultur, die ihr Verhältnis zur Umwelt verloren hat. Sprecher: Und die nun mit technischen Mitteln zu retten versucht, was vom Strand noch übrig ist. An sechs Stellen ragen aus großen Steinen aufgeschichtete Buhnen ins Wasser. Sie sollen verhindern, dass weiterer Sand ins Meer gespült wird. Doch das funktioniert nicht. O-Ton Judith Albors Casanova: El primer espigón se construyó ... Übersetzerin: Die erste Buhne wurde 1961 gebaut. Dann sind im Verlauf der folgenden 30 Jahre immer mehr Buhnen entstanden. Aber der Strand hat trotzdem weiter Sand verloren. Und es gab immer wieder Sturmfluten, in denen ein Teil der Buhnen und der Ufermauer zerstört wurde. Früher gab es da hinten auf dem Strand einen aus Holz gebauten Pavillon. Mehrere Sturmfluten haben ihn angenagt bis er am Ende eingestürzt ist. Sprecher: Jede Sturmflut frisst sich ein Stückchen weiter in den Strand. Was mit dem Sand passiert wenn er erst einmal ins Meer gespülte wurde, das wird in Barcelona an der polytechnischen Universität Kataloniens gründlich untersucht. Wellenkanal Sprecher: Der Hydrologe César Mösso kann dafür eine mit Sensoren vollgestopfte schwimmbadgroße Wellenkammer nutzen. 4 O-Ton César Mösso: Éste es un canal que tiene cien metros ... Übersetzer: Diese Wellenkammer ist 100 Meter lang, drei Meter breit und fünf Meter tief. Sie kann Wellen von eineinhalb Metern Höhe erzeugen, das ist sehr viel für solch eine Kammer. Um Simulationen mit Strandabschnitten durchführen zu können, haben wir dort draußen vom Parkplatz her eine zusätzliche Tür gebaut. Dort können wir den Sand hineinbringen. Dann verteilen wir ihn mit einem kleinen Bagger auf dem Boden des Kanals. Und dann lässt man Wellen darüber laufen um zu gucken, wie das Profil sich verhält. Hier unten hat die Kammer Fenster, da kann man direkt sehen was passiert. Wellenkanal Sprecher: In einem Kellerraum neben der Wellenkammer stapeln sich Dutzende Bojen, deren einst gelbe Farbe unter dichtem Algenbewuchs kaum noch zu erkennen ist. Sie haben all die Daten zu Strömungsverhältnissen und Wellenhöhe geliefert, die jetzt Grundlage der Simulation im Wellenkanal sind. O-Ton César Mösso: Estuvimos llevando una ... Übersetzer (mittelalter Mann): Wir hatten zusammen mit der Regionalregierung eine Kette von Wellenmessbojen entlang der katalonischen Küste aufgebaut. Über 20 Jahre lang hat das gut funktioniert. Aber jetzt, mit der Wirtschaftskrise, ist uns das Geld für den Unterhalt der Bojen ausgegangen und wir mussten sie aus dem Wasser holen. Es war das Ende der längsten Messreihe, die wir hier jemals hatten. Sprecher: Und es ist ein großer Verlust für die Abwehr der Gefahren, die mit dem Klimawandel auf die spanische Küste zukommen. O-Ton César Mösso: El cambio climático no es ... Übersetzer: Beim Klimawandel geht es ja nicht um den Anstieg der Durchschnittstemperatur um ein oder zwei Grad. Beim Klimawandel geht es um die damit verbundenen Folgen: den Anstieg der Wassertemperatur und den damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels. Es geht um eine Zunahme schwerer Stürme sowohl in ihrer Zahl als auch ihrer Stärke. Leider sind unsere Strände nicht in einem Zustand, dass sie dem widerstehen könnten. Sprecher: Zusammensetzung des Sandes, Strömungsverhältnisse, Höhe und Profil der Küste – kein Strand gleicht dem anderen. Deshalb sind allgemeine Aussagen schwierig. 5 O-Ton César Mösso: La costa catalana es muy variado ... Übersetzer: Die katalonische Küste ist sehr vielfältig. Nicht alle Strände verlieren Sand, einige legen sogar noch etwas zu. Aber an einem Großteil der Strände geht tatsächlich Sand verloren. Und wenn der Sand, der in einem Sturm vom Strand fortgespült wird, aus dem sogenannten aktiven System herausfällt, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass er jemals wieder zurückkommt. Das liegt auch an einer Besonderheit der Wellen im Mittelmeer: Sie sind relativ kurz und flach und können deshalb kaum Sand vom tiefen Meeresboden hochspülen. Sprecher: Weltweit ist es stets der gleiche Prozess: Die Sedimente entstehen durch Verwitterung und Erosion in den Bergen, werden von Flüssen zum Meer gespült, machen womöglich einen Zwischenstopp am Strand und lagern sich am Ende auf dem Boden der Ozeane ab, an manchen Stellen viele Hundert Meter hoch. Inzwischen wird diese Reise der Sedimente allerdings immer öfter unterbrochen. Statt im Meer landet der Sand dann in Beton, Glas, Elektronik- und Chemieindustrie. Vögel, Frösche in Ukunda Sprecher: Zum Beispiel hier, 50 Kilometer südlich der kenianischen Hafenstadt Mombasa. Kurz hinter dem Marktstädtchen Ukunda führt eine nagelneue Straße hinauf in die Shimba-Berge. Gesäumt von kleinen strohgedeckten Höfen zieht sich das Teerband durch eine fruchtbare, mit Palmen, Bananenstauden und Akazien gespickte Landschaft und endet vor einem Tor. Dahinter dehnen sich 56 umzäunte Quadratkilometer Minengelände, im Zentrum drei große Sanddünen, jede bis zu 40 Meter hoch. In den nächsten zehn Jahren werden sie komplett abgetragen und durch die auf einer Anhöhe errichtete Fabrikanlage gespült. Bagger Sprecher: Dort werden die wertvollen Metalle abgetrennt, die mit einem Anteil von fünf Prozent im Dünensand stecken. Die Anlage gehört dem australischen Bergbauunternehmen Base Titanium, Simon Wall ist dessen Sprecher. O-Ton Simon Wall: We’ve done a lot of drilling previously ... Übersetzer: Vor Beginn der Bauarbeiten haben wir natürlich viele Testbohrungen gemacht. Es gibt hier drei Minerale: Ilmenit und Rutil sind Titanoxide und sie werden vor allem als Pigmente genutzt, für Farben und Lacke, zum Färben von Kunststoff oder Papier. Das dritte Mineral ist Zirkon, ein Aufheller für die Keramik-Industrie. Zirkon macht die Farben bunter Keramik schön leuchtend. 6 Sprecher: Alles was weiß ist oder bunt leuchtet, enthält Titaniumoxid. Die weltweite Jahresproduktion liegt bei fünf Millionen Tonnen, ganze Strände und Dünenlandschaften werden dafür abgetragen – in Kenia, vor allem aber in Australien, Südafrika, Kanada und China. Und doch steht der Bergbau nur für einen sehr kleinen Teil des weltweiten Sandverbrauchs. Den mit Abstand größten Bedarf hat die Bauindustrie – vor allem in den asiatischen Boomstaaten. Strand von Madh Island Sprecher: Am Strand von Madh Island, dem äußersten nördlichen Ende der indischen 20Millionen-Einwohner-Metropole Mumbai. Sonntags treffen sich hier die Jugendlichen zum entspannten Cricket- oder Fußballmatch. Doch an Werktagen verwandelt sich der Strand in einen geschäftigen Arbeitsplatz. Fischer flicken ihre Netze und trocknen den Fang an Holzgerüsten. Ihre Frauen sieben auf großen zementierten Plattformen Krabbenmehl für die umliegenden Hühnerfarmen. Und dort, wo der Strand an der Mündung des Manori Creek in einen Mangrovenwald übergeht, liegen kleine Barkassen vor dem Ufer. Junge Männer wuchten Eimer an Bord, sie sind mit Sand gefüllt. O-Ton Sumaira Abdulali: The diver holds on to this rope ... Übersetzerin: Der Taucher zieht sich an dieser Leine ins Wasser hinunter. Und die anderen Leute ziehen den Eimer dann wieder hoch, den er in einer Tiefe von rund 15 Metern mit Sand gefüllt hat. Die Taucher haben keinerlei Ausrüstung. Es gibt viele Todesfälle, denn Ebbe und Flut erzeugen starke Strömungen in diesen Bächen. Oft sind die Taucher betrunken, um den Druck auszuhalten. Mit einer Hand halten sie sich an der Leine fest, mit der anderen füllen sie ihren Eimer. Sprecher: Sumaira Abdulali engagiert sich seit über zehn Jahren gegen den Sandabbau in den Flussmündungen und Bächen rund um Mumbai. Ihre Foto-Dokumentation zeigt das Ausmaß und die damit einhergehende Umweltzerstörung. O-Ton Sumaira Abdulali: There is several ways in which sand mining happens ... Übersetzerin: Es gibt verschiedene Methoden für den Sandabbau. Manche holen ihn mit Karren vom Strand oder füllen ihn unter Wasser in Eimer. Am schädlichsten sind die mechanischen Pumpen. Sie legen einen Schlauch auf den Boden eines Baches und pumpen das Sand-Wasser-Gemisch auf Barken, 24 Stunden, 365 Tage lang. Das findet im großen Maßstab statt. Sobald der Sand an einer Stelle abgesaugt ist, strömt Meerwasser nach. Das ruiniert die landwirtschaftlich genutzten Felder und gefährdet natürlich auch das Trinkwasser. Wenn Sie keine Felder, keinen Fischgrund und kein Trinkwasser mehr haben, dann verlieren die Menschen ihre Lebensgrundlage. Und auch die Mangroven verschwinden. 7 Sprecher: Dabei ist der Sandabbau in den Gewässern rund um Mumbai seit 2013 illegal. Abdulalis Stiftung hatte das in mehreren Gerichtsprozessen durchgesetzt. Kurzfristig nahm der Sanddiebstahl daraufhin tatsächlich ab, inzwischen hat er sich fast wieder auf altem Niveau eingependelt. Das Geschäft liegt in den Händen gut vernetzter skrupelloser Seilschaften. O-Ton Sumaira Abdulali: It’s just a terrible business ... Übersetzerin: Es ist ein schreckliches Business, alles nur Schwarzgeld. Und niemand kann es verhindern, denn es ist wird von Politikern kontrolliert. Politiker sehen den Sanddiebstahl als einfache Methode, ihre schwarzen Kassen zu füllen. Dieses Geld fließt dann ins politische System und kontrolliert die Verwaltung. Jeder, der sich von außen darüber beklagt, so wie ich das tue, der wird bedroht, zusammengeschlagen oder sogar ermordet. Einige Leute sind deshalb ermordet worden. Ich nenne das Sand-Mafia. Denn es hat alle Merkmale einer Mafia: Die Sanddiebe kontrollieren die Verwaltung und das politische System und schrecken nicht vor Gewalt zurück. Baustelle Sprecher: Über mangelnde Nachfrage muss sich die Sand-Mafia keine Sorgen machen. Gebaut wird immer und überall, und das nicht nur in Mumbai. Weltweit entstehen zwei Drittel aller Neubauten aus Stahlbeton, und der wiederum besteht zu zwei Dritteln aus Sand. In einem Wohnhaus stecken über 100 Tonnen Sand, in einer Schule über 1.000 Tonnen, über 10.000 in jedem Kilometer Autobahn und über zehn Millionen Tonnen in einem Atomkraftwerk. Der Bedarf steigt – und damit auch der Preis. Denn die leicht erschließbaren Quellen in der Nähe der Metropolen sind schon geplündert, jetzt muss der Sand aus immer größerer Entfernung herangeschafft werden. Schiffsmotor und Nebelhorn Sprecher: Selbst über Ozeane wird Sand bereits verschifft. Weltmarktführer ist Australien, größter Abnehmer ist ausgerechnet das Wüstenemirat Dubai. Sand gibt es dort zwar genug, für Stahlbeton höchster Qualität, wie er in Dubais gigantische Skyline fließt, ist die Körnung des Wüstensandes allerdings zu gering und zu einheitlich. Seit das Emirat seine der Küste vorgelagerten Sandbänke verbraucht hat, wird der Baustoff deshalb importiert. Vor Australiens Küste wühlen sich die Schaufelbagger dafür bis zu 100 Meter tief durch North Stradbroke Island. Auf der zweitgrößten Sandinsel der Welt sinkt dabei der Grundwasserspiegel so weit ab, dass ein benachbartes, völkerrechtlich geschütztes Feuchtgebiet durch nachströmendes Meerwasser zu versalzen droht. Betonrecyclinganlage 8 Sprecher: Dabei gibt es Alternativen zum enormen Sandverbrauch der Bauindustrie. Der erste Schritt ist das Recycling von Bauschutt. Deutschland ist dabei führend, 90 Prozent des Abbruchmaterials werden hierzulande wiederverwendet, 66 Millionen Tonnen im Jahr. Brechmaschinen zerkleinern den Schutt, Magnete entfernen Stahl und Eisen, Siebe trennen den Rest in verschiedene Korngrößen. Am Ende dient das Material als Füllstoff im Tiefbau und kann sogar zu neuem Beton verarbeitet werden. 13 Prozent der in Deutschland verbrauchten Baustoffe stammen inzwischen aus dem Recycling. Betonrecyclinganlage Sprecher: Und Beton lässt sich auch aus Sanden herstellen, die bisher als ungeeignet galten. Gunther Plötner von der Thüringer Firma Polycare hat in einem Forschungsprojekt mit der Bauhaus-Universität Weimar ein Konzept dafür entwickelt. O-Ton Gunther Plötner: Die Steine sind aus Polymerbeton. D.h. wir haben hier einen Anteil von rund 87 Prozent Sand und 13 Prozent ein normales Polyester-Harz. Wobei das Besondere ist eben, dass wir eine Rezeptur entwickelt haben, dass wir Wüstensand als Füllstoff nehmen können. Sprecher: Auch mit einem höheren Zementanteil kann Wüstensand zu stabilem Beton werden. Beides allerdings ist teurer als die Nutzung von Material aus Sandkuhlen, Dünen und Sandbänken, selbst wenn es aus Australien importiert wird. Vogelschutzgebiet Riet Vell im Ebro-Delta Sprecher: Mit etwas Geld könnten auch Sedimente erschlossen werden, die sich bisher ungenutzt hinter Staudämmen ansammeln. Das hätte einen doppelten Nutzen: Die Kapazität des Staudamms würde wieder größer und die Strände bekämen Sandnachschub. Carles Ibañez hat am IRTA-Forschungsinstitut der katalonischen Regierung ein Konzept dafür erarbeitet. O-Ton Carles Ibañez: Nosotros en el caso del Ebro ... Übersetzer: Hier am Ebro wollen wir einen Teil des Sedimenttransports zurückgewinnen. Es gibt sogenannte Bypass-Systeme für die Staudämme, die sind schon in über 20 Ländern der Welt im Einsatz. Und wenn es schon bei der Planung berücksichtigt wird, sind die Kosten nicht sehr hoch. Man kann aber auch existierende Staudämme mit einem Bypass nachrüsten. Da gibt es eine Methode, die heißt Flashing, also Spülung. Dabei wird der Staudamm durch die Auslässe am Boden entleert und dann lässt man einen Schwall Wasser hindurchspülen. Klar, das ist natürlich teuer. Aber wenn man es mit den Kosten vergleicht, die durch den Sandverlust für die Ökosysteme und den Tourismus an der Küste entstehen, dann ist es wahrscheinlich billiger. 9 Sprecher: Davon ist auch der Hydrologe César Mösso überzeugt. O-Ton César Mösso: El problema de la arena en una playa... Übersetzer: Das Sandproblem an einem Strand kann man mit Geld lösen. Das klingt vielleicht komisch, aber Geld kann das tatsächlich regeln. Man kann zum Beispiel den Sand aus Staudämmen holen – den muss man dann erst reinigen, weil er sehr dreckig ist. Oder man kann Zonen mit Sandbänken im Meer identifizieren, in denen es Sand ausreichender Qualität gibt, diesen Sand dann aufnehmen, transportieren und am Strand wieder aufschütten. Wenn das mit Maßnahmen verbunden ist, die den Sand an seinem Platz halten – das müssen keine Buhnen sein, es geht oft auch mit Unterwasserdeichen, die eine Art Gürtel bilden – dann kann das den Strand retten. Aber es ist eine sehr teure Lösung. Strandatmo am Kliff von Sylt Sprecher: Auf Deutschlands größter Nordseeinsel kann man ein Lied davon singen wie aufwändig es ist, den Strand mit Aufspülungen zu erhalten. Jedes Jahr verliert Sylt in den Winterstürmen rund eine Million Kubikmeter Sand an die Nordsee, die gleiche Menge wird im Sommer von der vorgelagerten Sandbank wieder auf den Strand zurückgepumpt. Sechs Millionen Euro kostet dieser ewige Kreislauf im Jahr – eine ausgesprochen sinnvolle Ausgabe, meint Julia Petersen. Die Werbefachfrau ist für das Sylt-Marketing zuständig. O-Ton Julia Petersen: Natürlich lohnt sich diese Investition, zumal wir damit ja einen sehr wichtigen Lebensraum erhalten, nicht nur für Flora und Fauna, sondern auch für die Menschen natürlich. Und von daher ist es absolut notwendig und existenziell, dass wir dafür sorgen, dass dieser Strand vor Sylt, die Küste vor Sylt absolut erhalten bleibt. Dieser vielseitige Naturraum, das ist das, wofür die Insel steht, für diesen weitreichenden Strand und den Gegenpol, das Wattenmeer. Jährlich kommen gut 800.000 Gäste, wir leben vom Tourismus auf Sylt. Strandatmo Sylt Sprecher: Wäre nur die Natur am Werk, hätte die Nordsee längst einen guten Teil der Sylter Westküste geschluckt, die Touristen blieben fort und die Inselhauptstadt Westerland wäre in Gefahr. Seit über 150 Jahren kämpft die Insel mit technischen Mitteln dagegen an. O-Ton Arfst Hinrichsen: Was man zunächst gemacht hat, war die Düne seeseitig durch sogenannte Sandfangzäune etwas zu verstärken. Und breite Strände wollte man damals durch Buhnenbau herstellen. Und so fing man an, um 1870 erste Buhnenfelder zu bauen. Zunächst aus Holz, später dann aus Stahl und anschließend aus Beton. Aber diese 10 verschiedenen Buhnenformen haben letzten Endes den Sand nicht halten können. Und so ist die Küste immer weiter zurückgegangen. Sprecher: Arfst Hinrichsen – schwarze Schirmmütze, grauer Vollbart, blauer Anorak – steht auf der 20 Meter hohen Düne im Süden Westerlands und blickt zufrieden über den kilometerlangen breiten Sandstrand. Er ist das Ergebnis jahrzehntelanger Aufspülungen, für die Hinrichsen im Landesamt für Küstenschutz zuständig ist. O-Ton Arfst Hinrichsen: Seit 1972 gibt’s wieder Sand vor der Ufermauer Westerlands. Die alte Randdüne, das ist die letzte Düne bevor das Meer kommt, die hat jetzt eine ganz breite Vordüne bekommen. Da wo die Treppen sind, das ist die alte Abbruchkante. Und alles was rechts davon seeseitig liegt, ist alles durch Sandaufspülung hingekommen. So haben wir einen Puffer an Sand, sodass nicht bei jeder Sturmflut auf Sylt etwas abbricht. Wenn etwas abbricht, immer nur von der künstlich geschaffenen Vordüne. Sprecher: Heute wird der Zustand des Sylter Strandes mit großem technischen Aufwand regelmäßig kontrolliert. Bei Überflügen im Hubschrauber oder Flugzeug wird die Sandhöhe einmal im Jahr mit einem Laserscanner auf den Zentimeter genau vermessen. Gerätehalle am Marum in Bremen Sprecher: In Zukunft ist das vielleicht nicht mehr nötig. Christian Winter leitet die Arbeitsgruppe für Küstendynamik am Zentrum für marine Umweltwissenschaften an der Bremer Universität. O-Ton Christian Winter: Wir haben hier einen elektromagnetischen Strömungsmesser, kombiniert mit anderen Sensoren, Trübungsmesser, Salinität, Temperatur. In Sylt haben wir den eingegraben, dass nur noch ein Teil rausguckt und die einzelnen Wellen messen kann und die Kräfte messen kann, die die einzelnen Wellen auf den Sand auswirken. Sprecher: Mit den Messwerten vom Strand füttern Winter und seine Kollegen eine Computersimulation. O-Ton Christian Winter: Wir machen das, um die Interaktion zwischen Strömung und Wellen und dem Sand zu verstehen, also wie die einzelne Welle den Sand bewegt. Jede einzelne Welle und alle Wellen zusammen dann im Ergebnis. Wenn man das verstanden hätte, dann könnte man abschätzen, wie sich eine Änderung der Faktoren auswirken würde: Meeresspiegelanstieg, Änderung der Anzahl der Stürme. Was würde da eigentlich passieren, wenn man jetzt gar nichts machen würde – ohne dass man es riskiert? Denn es kann sich keiner leisten, es einfach mal auszuprobieren. 11 Sprecher: Bis Computersimulationen das komplexe Geschehen an einem Strand tatsächlich korrekt wiedergeben wird es noch eine Weile dauern. Bis dahin sind alle Rettungsmaßnahmen für schwindende Strände auf Versuch und Irrtum angewiesen. Strand in Sitges Sprecher: Das gilt auch für Sitges, den gefährdeten Badeort an der Costa Brava. Der erste Versuch, einen verlorenen Strandabschnitt durch Aufspülungen wiederherzustellen, war dort 1997 gründlich gescheitert. Judith Albors Casanova, die Leiterin des Meeresökologie-Informationszentrums, erinnert sich gut daran. O-Ton Judith Albors Casanova: Sacaron arena de ... Übersetzerin: Den Sand haben sie damals mit Pumpen aus einem Fischgrund geholt, der sich seitdem nicht wieder erholt hat. Niemals. Und wir haben hier in Sitges eine kleine Flotte von 14 Fischerbooten, im Nachbarort sind es über 30. In diesem Sommer haben sie dann Sandablagerungen an den Molen aller vier Häfen von Sitges abgesaugt und auf dem Strand abgeladen – Sand mit Verschmutzungen und ganz anderer Zusammensetzung. Natürlich haben sie damit das fragile Ökosystem an der Küste geschädigt. Sprecher: Ignoranz, Fehlplanung und kriminelle Energie: Obwohl der Sand an den Stränden unter aller Augen verloren geht, hat das Thema die Öffentlichkeit bisher kaum bewegt. Viel zu oft wird der Sand als unendliche Ressource gesehen, sein Abbau und Diebstahl werden nicht mit der Umweltzerstörung an den Küsten in Zusammenhang gebracht. Viel Aufklärungsarbeit ist nötig, um ein Bewusstsein für die Endlichkeit des Rohstoffs Sand zu schaffen. O-Ton Judith Albors Casanova: Aquí se ha perdido una información por una falta de sensibilidad ... Übersetzerin: Es mangelt an Sensibilität für diese Fragen. Man redet zwar darüber, aber in Wirklichkeit gibt es viel Desinformation. Die Lösung liegt in den Details. Wir müssen uns jeden Strandabschnitt genau ansehen. Das fehlt noch. Wie kann man die Brücke zwischen Wissenschaft, Regierung und Öffentlichkeit bauen? Sehr schwierig. Strand in Sitges ***** 12
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