Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Kein Sand am Meer
Warum vielen Stränden der Rohstoff ausgeht
Von Dirk Asendorpf
Wiederholung: Dienstag, 23. August 2016, 8.30 Uhr
Erstsendung: Montag, 13. April 2015
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Dirk Asendorpf
Produktion: SWR 2015
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MANUSKRIPT
Strandatmo Sitges
Sprecher:
Am Strand von Sitges, einem beliebten Ausflugsort im Süden von Barcelona –
beziehungsweise an dem, was vom Strand noch übrig ist. Die Badegäste haben ihre
bunten Handtücher ausgebreitet, dicht an dicht dösen sie auf dem schmalen
gelblichen Sandstreifen direkt unter der Uferpromenade. Es ist der letzte Überrest
eines einst kilometerlangen breiten Dünenstrands.
O-Ton Judith Albors Casanova:
Ahora estamos situados encíma ...
Übersetzerin:
Wo wir jetzt hier stehen, war früher die Düne. Die ging von der Kirche in Sitges bis
zur Punta de las Anquinas. Erst kam die Düne, dann ein Pinienwald und dahinter
lagen die landwirtschaftlichen Flächen, vor allem für Wein. Strand gab es natürlich
auch.
Sprecher:
Judith Albors Casanova ist in Sitges geboren, jetzt leitet die Architektin ein
Informationszentrum zur Ökologie des Meeres. Es ist in einer gründerzeitlichen Villa
untergebracht, vom Balkon geht der Blick über die Uferpromenade aufs Mittelmeer.
O-Ton Judith Albors Casanova:
Se conservan fotos antiguos ...
Übersetzerin:
Es gibt noch Fotos aus dem 19. Jahrhundert, die die Düne sehr schön zeigen. Als
dann die Uferstraße gebaut wurde, war das genau auf dieser Düne. All diese Häuser
und Gärten, die um die Jahrhundertwende herum entstanden, hat man praktisch auf
den Strand gebaut. Und der Sand für die Bauarbeiten kam aus den Bächen und
kleinen Flüssen direkt dahinter. Früher brachte ihr Wasser große Mengen Sedimente
heran. Doch mit der Asphaltierung der Straßen im vergangenen Jahrhundert wurde
dieser Nachschub abgeschnitten.
Ansage:
Kein Sand am Meer –
Warum vielen Stränden der Rohstoff ausgeht
Eine Sendung von Dirk Asendorpf
Sprecher:
Sand ist – nach Wasser – der wichtigste Rohstoff der Menschheit. Und er wird, kaum
zu glauben, knapp. Der jährliche Verbrauch liegt bei 15 Milliarden Tonnen – für
Straßenbau und Betonherstellung, in der Glas- und Chemieindustrie, für
Elektronikbauteile und Solarzellen, beim Fracking von Öl- und Gasquellen.
Schwimmbagger saugen den Sand vom Meeresboden, Lasterflotten schaffen ihn aus
Flussbetten heran und Hunderttausende Staudämme verhindern, dass Flüsse den
Sandnachschub aus Erosion und Gesteinsverwitterung ins Meer spülen können.
2
Dünen werden abgetragen oder bebaut und falsch geplante
Küstenschutzmaßnahmen blockieren den natürlichen Sandkreislauf am Meer. Die
Folge: Viele Strände schrumpfen. Doch Gegenmaßnahmen sind möglich: neue
Staudammkonzepte, Rückbau an den Küsten, Sandaufschüttungen. Und Forscher
testen, ob Beton auch aus Wüstensand hergestellt werden kann.
Vogelschutzgebiet Riet Vell im Ebro-Delta
Sprecher:
Els Muntells, ein Dorf in einem Vogelschutzgebiet mitten im Ebro-Delta, rund 100
Kilometer südlich von Sitges. Hier zeigt sich die Hauptursache für den Verlust vieler
Strände entlang der katalonischen Küste. Der Ebro ist der einzige große Fluss, der
die iberische Halbinsel ins Mittelmeer entwässert. Die Sedimente, die er vor allem
aus den Pyrenäen mitführt, haben sich über Jahrtausende an seiner Mündung
abgelagert und ein gut 300 Quadratkilometer großes Delta gebildet. Es ist ein
Vogelparadies und Spaniens größtes Reisanbaugebiet. Und es ist in akuter Gefahr.
Ignasi Ripoll ist der Direktor des Schutzgebiets.
O-Ton Ignasi Ripoll:
El delta está hecho de sedimentos ...
Übersetzer :
Das Delta besteht ja aus Sedimenten, die sich mit der Zeit immer kompakter
zusammenballen. Deshalb sinkt der Boden jedes Jahr um zwei bis vier Millimeter ab.
Früher wurde das durch den Sediment-Nachschub kompensiert, den der Fluss mit
den jährlichen Überschwemmungen heran brachte. Doch die gibt es heute nicht
mehr. Denn das Wasser wird in den Staudämmen zurückgehalten, und die
Sedimente bleiben hinter den Staumauern liegen. Weil weniger Wasser fließt und
dieses Wasser auch noch weniger Sedimente mitführt, sinkt das Delta ab. Zusätzlich
verliert es auch noch Sedimente ans Meer. Und dieser Verlust wird nicht mehr durch
Nachschub aus der Flussmündung ausgeglichen.
Sprecher:
Über 500 Staudämme sind in den vergangenen Jahrzehnten im 1.000 Kilometer
langen Ebro und seinen Zuflüssen entstanden. Sie dienen der Stromerzeugung und
der Bewässerung großer landwirtschaftlicher Flächen.
O-Ton Ignasi Ripoll:
El Ebro lleva en este momento ...
Übersetzer:
Das führt dazu, dass der Ebro heute weniger als die Hälfte des Wassers führt, das er
vor 100 Jahren führte. Damals waren es 20 bis 21 Milliarden Kubikmeter im Jahr,
heute sind es noch maximal neun Milliarden. Außerdem plant die Regierung, diese
Menge noch weiter auf vier bis fünf Milliarden Kubikmeter zu senken. Das wäre eine
große Gefahr für das Ebro-Delta, eines der wichtigsten europäischen Feuchtgebiete.
Und es wäre eine weitere Bedrohung der Strände – und zwar nicht nur hier im Delta,
sondern entlang der gesamten katalonischen Küste. Die Sedimente des Ebro sind
dort Grundlage ganzer Industrien: Fischerei, Landwirtschaft und Tourismus.
3
Strand am Golfhotel in Sitges
Sprecher:
Vor allem der Tourismus ist dabei, den Ast abzusägen, auf dem er sitzt. Zum Beispiel
in Sitges. „Hotel Playa Golf“ heißt die vor zehn Jahren errichtete Vier-SterneHerberge am äußersten Ende des Strandboulevards. Von der Sonnenterasse geht
der Blick über den letzten steinigen Rest des Strandes und einen trockengelegten
Bach hinüber auf den grünen Golfplatz mit seinen großen blauen Wassertanks.
Heute verhindert ein Zaun den Zutritt. Als Kind hatte Judith Albors Casanova hier
ihren Abenteuerspielplatz direkt in der Natur.
O-Ton Judith Albors Casanova:
Aquí también había esta parte de zona humeda ...
Übersetzerin:
Wir hatten die Dünen und Teiche und über das Flüsschen führte eine Hängebrücke
hinüber zum Golfplatz. Dort unten im Feuchtgebiet hatten sie die ersten Löcher
angelegt. Wenn es nach dem Gesetz ginge, dürften sie dort eigentlich gar nicht sein.
Aber der Golfclub ist eben ein Machtzentrum, da vergnügen sich Leute mit Einfluss.
Und so wird der Golfplatz immer größer. Wir haben hier eine Kultur, die ihr Verhältnis
zur Umwelt verloren hat.
Sprecher:
Und die nun mit technischen Mitteln zu retten versucht, was vom Strand noch übrig
ist. An sechs Stellen ragen aus großen Steinen aufgeschichtete Buhnen ins Wasser.
Sie sollen verhindern, dass weiterer Sand ins Meer gespült wird. Doch das
funktioniert nicht.
O-Ton Judith Albors Casanova:
El primer espigón se construyó ...
Übersetzerin:
Die erste Buhne wurde 1961 gebaut. Dann sind im Verlauf der folgenden 30 Jahre
immer mehr Buhnen entstanden. Aber der Strand hat trotzdem weiter Sand verloren.
Und es gab immer wieder Sturmfluten, in denen ein Teil der Buhnen und der
Ufermauer zerstört wurde. Früher gab es da hinten auf dem Strand einen aus Holz
gebauten Pavillon. Mehrere Sturmfluten haben ihn angenagt bis er am Ende
eingestürzt ist.
Sprecher:
Jede Sturmflut frisst sich ein Stückchen weiter in den Strand. Was mit dem Sand
passiert wenn er erst einmal ins Meer gespülte wurde, das wird in Barcelona an der
polytechnischen Universität Kataloniens gründlich untersucht.
Wellenkanal
Sprecher:
Der Hydrologe César Mösso kann dafür eine mit Sensoren vollgestopfte
schwimmbadgroße Wellenkammer nutzen.
4
O-Ton César Mösso:
Éste es un canal que tiene cien metros ...
Übersetzer:
Diese Wellenkammer ist 100 Meter lang, drei Meter breit und fünf Meter tief. Sie kann
Wellen von eineinhalb Metern Höhe erzeugen, das ist sehr viel für solch eine
Kammer. Um Simulationen mit Strandabschnitten durchführen zu können, haben wir
dort draußen vom Parkplatz her eine zusätzliche Tür gebaut. Dort können wir den
Sand hineinbringen. Dann verteilen wir ihn mit einem kleinen Bagger auf dem Boden
des Kanals. Und dann lässt man Wellen darüber laufen um zu gucken, wie das Profil
sich verhält. Hier unten hat die Kammer Fenster, da kann man direkt sehen was
passiert.
Wellenkanal
Sprecher:
In einem Kellerraum neben der Wellenkammer stapeln sich Dutzende Bojen, deren
einst gelbe Farbe unter dichtem Algenbewuchs kaum noch zu erkennen ist. Sie
haben all die Daten zu Strömungsverhältnissen und Wellenhöhe geliefert, die jetzt
Grundlage der Simulation im Wellenkanal sind.
O-Ton César Mösso:
Estuvimos llevando una ...
Übersetzer (mittelalter Mann):
Wir hatten zusammen mit der Regionalregierung eine Kette von Wellenmessbojen
entlang der katalonischen Küste aufgebaut. Über 20 Jahre lang hat das gut
funktioniert. Aber jetzt, mit der Wirtschaftskrise, ist uns das Geld für den Unterhalt der
Bojen ausgegangen und wir mussten sie aus dem Wasser holen. Es war das Ende
der längsten Messreihe, die wir hier jemals hatten.
Sprecher:
Und es ist ein großer Verlust für die Abwehr der Gefahren, die mit dem Klimawandel
auf die spanische Küste zukommen.
O-Ton César Mösso:
El cambio climático no es ...
Übersetzer:
Beim Klimawandel geht es ja nicht um den Anstieg der Durchschnittstemperatur um
ein oder zwei Grad. Beim Klimawandel geht es um die damit verbundenen Folgen:
den Anstieg der Wassertemperatur und den damit verbundenen Anstieg des
Meeresspiegels. Es geht um eine Zunahme schwerer Stürme sowohl in ihrer Zahl als
auch ihrer Stärke. Leider sind unsere Strände nicht in einem Zustand, dass sie dem
widerstehen könnten.
Sprecher:
Zusammensetzung des Sandes, Strömungsverhältnisse, Höhe und Profil der Küste –
kein Strand gleicht dem anderen. Deshalb sind allgemeine Aussagen schwierig.
5
O-Ton César Mösso:
La costa catalana es muy variado ...
Übersetzer:
Die katalonische Küste ist sehr vielfältig. Nicht alle Strände verlieren Sand, einige
legen sogar noch etwas zu. Aber an einem Großteil der Strände geht tatsächlich
Sand verloren. Und wenn der Sand, der in einem Sturm vom Strand fortgespült wird,
aus dem sogenannten aktiven System herausfällt, dann ist es sehr unwahrscheinlich,
dass er jemals wieder zurückkommt. Das liegt auch an einer Besonderheit der
Wellen im Mittelmeer: Sie sind relativ kurz und flach und können deshalb kaum Sand
vom tiefen Meeresboden hochspülen.
Sprecher:
Weltweit ist es stets der gleiche Prozess: Die Sedimente entstehen durch
Verwitterung und Erosion in den Bergen, werden von Flüssen zum Meer gespült,
machen womöglich einen Zwischenstopp am Strand und lagern sich am Ende auf
dem Boden der Ozeane ab, an manchen Stellen viele Hundert Meter hoch.
Inzwischen wird diese Reise der Sedimente allerdings immer öfter unterbrochen.
Statt im Meer landet der Sand dann in Beton, Glas, Elektronik- und Chemieindustrie.
Vögel, Frösche in Ukunda
Sprecher:
Zum Beispiel hier, 50 Kilometer südlich der kenianischen Hafenstadt Mombasa. Kurz
hinter dem Marktstädtchen Ukunda führt eine nagelneue Straße hinauf in die
Shimba-Berge. Gesäumt von kleinen strohgedeckten Höfen zieht sich das Teerband
durch eine fruchtbare, mit Palmen, Bananenstauden und Akazien gespickte
Landschaft und endet vor einem Tor. Dahinter dehnen sich 56 umzäunte
Quadratkilometer Minengelände, im Zentrum drei große Sanddünen, jede bis zu 40
Meter hoch. In den nächsten zehn Jahren werden sie komplett abgetragen und durch
die auf einer Anhöhe errichtete Fabrikanlage gespült.
Bagger
Sprecher:
Dort werden die wertvollen Metalle abgetrennt, die mit einem Anteil von fünf Prozent
im Dünensand stecken. Die Anlage gehört dem australischen Bergbauunternehmen
Base Titanium, Simon Wall ist dessen Sprecher.
O-Ton Simon Wall:
We’ve done a lot of drilling previously ...
Übersetzer:
Vor Beginn der Bauarbeiten haben wir natürlich viele Testbohrungen gemacht. Es
gibt hier drei Minerale: Ilmenit und Rutil sind Titanoxide und sie werden vor allem als
Pigmente genutzt, für Farben und Lacke, zum Färben von Kunststoff oder Papier.
Das dritte Mineral ist Zirkon, ein Aufheller für die Keramik-Industrie. Zirkon macht die
Farben bunter Keramik schön leuchtend.
6
Sprecher:
Alles was weiß ist oder bunt leuchtet, enthält Titaniumoxid. Die weltweite
Jahresproduktion liegt bei fünf Millionen Tonnen, ganze Strände und
Dünenlandschaften werden dafür abgetragen – in Kenia, vor allem aber in Australien,
Südafrika, Kanada und China. Und doch steht der Bergbau nur für einen sehr kleinen
Teil des weltweiten Sandverbrauchs. Den mit Abstand größten Bedarf hat die
Bauindustrie – vor allem in den asiatischen Boomstaaten.
Strand von Madh Island
Sprecher:
Am Strand von Madh Island, dem äußersten nördlichen Ende der indischen 20Millionen-Einwohner-Metropole Mumbai. Sonntags treffen sich hier die Jugendlichen
zum entspannten Cricket- oder Fußballmatch. Doch an Werktagen verwandelt sich
der Strand in einen geschäftigen Arbeitsplatz. Fischer flicken ihre Netze und trocknen
den Fang an Holzgerüsten. Ihre Frauen sieben auf großen zementierten Plattformen
Krabbenmehl für die umliegenden Hühnerfarmen. Und dort, wo der Strand an der
Mündung des Manori Creek in einen Mangrovenwald übergeht, liegen kleine
Barkassen vor dem Ufer. Junge Männer wuchten Eimer an Bord, sie sind mit Sand
gefüllt.
O-Ton Sumaira Abdulali:
The diver holds on to this rope ...
Übersetzerin:
Der Taucher zieht sich an dieser Leine ins Wasser hinunter. Und die anderen Leute
ziehen den Eimer dann wieder hoch, den er in einer Tiefe von rund 15 Metern mit
Sand gefüllt hat. Die Taucher haben keinerlei Ausrüstung. Es gibt viele Todesfälle,
denn Ebbe und Flut erzeugen starke Strömungen in diesen Bächen. Oft sind die
Taucher betrunken, um den Druck auszuhalten. Mit einer Hand halten sie sich an der
Leine fest, mit der anderen füllen sie ihren Eimer.
Sprecher:
Sumaira Abdulali engagiert sich seit über zehn Jahren gegen den Sandabbau in den
Flussmündungen und Bächen rund um Mumbai. Ihre Foto-Dokumentation zeigt das
Ausmaß und die damit einhergehende Umweltzerstörung.
O-Ton Sumaira Abdulali:
There is several ways in which sand mining happens ...
Übersetzerin:
Es gibt verschiedene Methoden für den Sandabbau. Manche holen ihn mit Karren
vom Strand oder füllen ihn unter Wasser in Eimer. Am schädlichsten sind die
mechanischen Pumpen. Sie legen einen Schlauch auf den Boden eines Baches und
pumpen das Sand-Wasser-Gemisch auf Barken, 24 Stunden, 365 Tage lang. Das
findet im großen Maßstab statt. Sobald der Sand an einer Stelle abgesaugt ist, strömt
Meerwasser nach. Das ruiniert die landwirtschaftlich genutzten Felder und gefährdet
natürlich auch das Trinkwasser. Wenn Sie keine Felder, keinen Fischgrund und kein
Trinkwasser mehr haben, dann verlieren die Menschen ihre Lebensgrundlage. Und
auch die Mangroven verschwinden.
7
Sprecher:
Dabei ist der Sandabbau in den Gewässern rund um Mumbai seit 2013 illegal.
Abdulalis Stiftung hatte das in mehreren Gerichtsprozessen durchgesetzt. Kurzfristig
nahm der Sanddiebstahl daraufhin tatsächlich ab, inzwischen hat er sich fast wieder
auf altem Niveau eingependelt. Das Geschäft liegt in den Händen gut vernetzter
skrupelloser Seilschaften.
O-Ton Sumaira Abdulali:
It’s just a terrible business ...
Übersetzerin:
Es ist ein schreckliches Business, alles nur Schwarzgeld. Und niemand kann es
verhindern, denn es ist wird von Politikern kontrolliert. Politiker sehen den
Sanddiebstahl als einfache Methode, ihre schwarzen Kassen zu füllen. Dieses Geld
fließt dann ins politische System und kontrolliert die Verwaltung. Jeder, der sich von
außen darüber beklagt, so wie ich das tue, der wird bedroht, zusammengeschlagen
oder sogar ermordet. Einige Leute sind deshalb ermordet worden. Ich nenne das
Sand-Mafia. Denn es hat alle Merkmale einer Mafia: Die Sanddiebe kontrollieren die
Verwaltung und das politische System und schrecken nicht vor Gewalt zurück.
Baustelle
Sprecher:
Über mangelnde Nachfrage muss sich die Sand-Mafia keine Sorgen machen.
Gebaut wird immer und überall, und das nicht nur in Mumbai. Weltweit entstehen
zwei Drittel aller Neubauten aus Stahlbeton, und der wiederum besteht zu zwei
Dritteln aus Sand. In einem Wohnhaus stecken über 100 Tonnen Sand, in einer
Schule über 1.000 Tonnen, über 10.000 in jedem Kilometer Autobahn und über zehn
Millionen Tonnen in einem Atomkraftwerk. Der Bedarf steigt – und damit auch der
Preis. Denn die leicht erschließbaren Quellen in der Nähe der Metropolen sind schon
geplündert, jetzt muss der Sand aus immer größerer Entfernung herangeschafft
werden.
Schiffsmotor und Nebelhorn
Sprecher:
Selbst über Ozeane wird Sand bereits verschifft. Weltmarktführer ist Australien,
größter Abnehmer ist ausgerechnet das Wüstenemirat Dubai. Sand gibt es dort zwar
genug, für Stahlbeton höchster Qualität, wie er in Dubais gigantische Skyline fließt,
ist die Körnung des Wüstensandes allerdings zu gering und zu einheitlich. Seit das
Emirat seine der Küste vorgelagerten Sandbänke verbraucht hat, wird der Baustoff
deshalb importiert. Vor Australiens Küste wühlen sich die Schaufelbagger dafür bis
zu 100 Meter tief durch North Stradbroke Island. Auf der zweitgrößten Sandinsel der
Welt sinkt dabei der Grundwasserspiegel so weit ab, dass ein benachbartes,
völkerrechtlich geschütztes Feuchtgebiet durch nachströmendes Meerwasser zu
versalzen droht.
Betonrecyclinganlage
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Sprecher:
Dabei gibt es Alternativen zum enormen Sandverbrauch der Bauindustrie. Der erste
Schritt ist das Recycling von Bauschutt. Deutschland ist dabei führend, 90 Prozent
des Abbruchmaterials werden hierzulande wiederverwendet, 66 Millionen Tonnen im
Jahr. Brechmaschinen zerkleinern den Schutt, Magnete entfernen Stahl und Eisen,
Siebe trennen den Rest in verschiedene Korngrößen. Am Ende dient das Material als
Füllstoff im Tiefbau und kann sogar zu neuem Beton verarbeitet werden. 13 Prozent
der in Deutschland verbrauchten Baustoffe stammen inzwischen aus dem Recycling.
Betonrecyclinganlage
Sprecher:
Und Beton lässt sich auch aus Sanden herstellen, die bisher als ungeeignet galten.
Gunther Plötner von der Thüringer Firma Polycare hat in einem Forschungsprojekt
mit der Bauhaus-Universität Weimar ein Konzept dafür entwickelt.
O-Ton Gunther Plötner:
Die Steine sind aus Polymerbeton. D.h. wir haben hier einen Anteil von rund 87
Prozent Sand und 13 Prozent ein normales Polyester-Harz. Wobei das Besondere ist
eben, dass wir eine Rezeptur entwickelt haben, dass wir Wüstensand als Füllstoff
nehmen können.
Sprecher:
Auch mit einem höheren Zementanteil kann Wüstensand zu stabilem Beton werden.
Beides allerdings ist teurer als die Nutzung von Material aus Sandkuhlen, Dünen und
Sandbänken, selbst wenn es aus Australien importiert wird.
Vogelschutzgebiet Riet Vell im Ebro-Delta
Sprecher:
Mit etwas Geld könnten auch Sedimente erschlossen werden, die sich bisher
ungenutzt hinter Staudämmen ansammeln. Das hätte einen doppelten Nutzen: Die
Kapazität des Staudamms würde wieder größer und die Strände bekämen
Sandnachschub. Carles Ibañez hat am IRTA-Forschungsinstitut der katalonischen
Regierung ein Konzept dafür erarbeitet.
O-Ton Carles Ibañez:
Nosotros en el caso del Ebro ...
Übersetzer:
Hier am Ebro wollen wir einen Teil des Sedimenttransports zurückgewinnen. Es gibt
sogenannte Bypass-Systeme für die Staudämme, die sind schon in über 20 Ländern
der Welt im Einsatz. Und wenn es schon bei der Planung berücksichtigt wird, sind die
Kosten nicht sehr hoch. Man kann aber auch existierende Staudämme mit einem
Bypass nachrüsten. Da gibt es eine Methode, die heißt Flashing, also Spülung.
Dabei wird der Staudamm durch die Auslässe am Boden entleert und dann lässt man
einen Schwall Wasser hindurchspülen. Klar, das ist natürlich teuer. Aber wenn man
es mit den Kosten vergleicht, die durch den Sandverlust für die Ökosysteme und den
Tourismus an der Küste entstehen, dann ist es wahrscheinlich billiger.
9
Sprecher:
Davon ist auch der Hydrologe César Mösso überzeugt.
O-Ton César Mösso:
El problema de la arena en una playa...
Übersetzer:
Das Sandproblem an einem Strand kann man mit Geld lösen. Das klingt vielleicht
komisch, aber Geld kann das tatsächlich regeln. Man kann zum Beispiel den Sand
aus Staudämmen holen – den muss man dann erst reinigen, weil er sehr dreckig ist.
Oder man kann Zonen mit Sandbänken im Meer identifizieren, in denen es Sand
ausreichender Qualität gibt, diesen Sand dann aufnehmen, transportieren und am
Strand wieder aufschütten. Wenn das mit Maßnahmen verbunden ist, die den Sand
an seinem Platz halten – das müssen keine Buhnen sein, es geht oft auch mit
Unterwasserdeichen, die eine Art Gürtel bilden – dann kann das den Strand retten.
Aber es ist eine sehr teure Lösung.
Strandatmo am Kliff von Sylt
Sprecher:
Auf Deutschlands größter Nordseeinsel kann man ein Lied davon singen wie
aufwändig es ist, den Strand mit Aufspülungen zu erhalten. Jedes Jahr verliert Sylt in
den Winterstürmen rund eine Million Kubikmeter Sand an die Nordsee, die gleiche
Menge wird im Sommer von der vorgelagerten Sandbank wieder auf den Strand
zurückgepumpt. Sechs Millionen Euro kostet dieser ewige Kreislauf im Jahr – eine
ausgesprochen sinnvolle Ausgabe, meint Julia Petersen. Die Werbefachfrau ist für
das Sylt-Marketing zuständig.
O-Ton Julia Petersen:
Natürlich lohnt sich diese Investition, zumal wir damit ja einen sehr wichtigen
Lebensraum erhalten, nicht nur für Flora und Fauna, sondern auch für die Menschen
natürlich. Und von daher ist es absolut notwendig und existenziell, dass wir dafür
sorgen, dass dieser Strand vor Sylt, die Küste vor Sylt absolut erhalten bleibt. Dieser
vielseitige Naturraum, das ist das, wofür die Insel steht, für diesen weitreichenden
Strand und den Gegenpol, das Wattenmeer. Jährlich kommen gut 800.000 Gäste, wir
leben vom Tourismus auf Sylt.
Strandatmo Sylt
Sprecher:
Wäre nur die Natur am Werk, hätte die Nordsee längst einen guten Teil der Sylter
Westküste geschluckt, die Touristen blieben fort und die Inselhauptstadt Westerland
wäre in Gefahr. Seit über 150 Jahren kämpft die Insel mit technischen Mitteln
dagegen an.
O-Ton Arfst Hinrichsen:
Was man zunächst gemacht hat, war die Düne seeseitig durch sogenannte
Sandfangzäune etwas zu verstärken. Und breite Strände wollte man damals durch
Buhnenbau herstellen. Und so fing man an, um 1870 erste Buhnenfelder zu bauen.
Zunächst aus Holz, später dann aus Stahl und anschließend aus Beton. Aber diese
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verschiedenen Buhnenformen haben letzten Endes den Sand nicht halten können.
Und so ist die Küste immer weiter zurückgegangen.
Sprecher:
Arfst Hinrichsen – schwarze Schirmmütze, grauer Vollbart, blauer Anorak – steht auf
der 20 Meter hohen Düne im Süden Westerlands und blickt zufrieden über den
kilometerlangen breiten Sandstrand. Er ist das Ergebnis jahrzehntelanger
Aufspülungen, für die Hinrichsen im Landesamt für Küstenschutz zuständig ist.
O-Ton Arfst Hinrichsen:
Seit 1972 gibt’s wieder Sand vor der Ufermauer Westerlands. Die alte Randdüne,
das ist die letzte Düne bevor das Meer kommt, die hat jetzt eine ganz breite Vordüne
bekommen. Da wo die Treppen sind, das ist die alte Abbruchkante. Und alles was
rechts davon seeseitig liegt, ist alles durch Sandaufspülung hingekommen. So haben
wir einen Puffer an Sand, sodass nicht bei jeder Sturmflut auf Sylt etwas abbricht.
Wenn etwas abbricht, immer nur von der künstlich geschaffenen Vordüne.
Sprecher:
Heute wird der Zustand des Sylter Strandes mit großem technischen Aufwand
regelmäßig kontrolliert. Bei Überflügen im Hubschrauber oder Flugzeug wird die
Sandhöhe einmal im Jahr mit einem Laserscanner auf den Zentimeter genau
vermessen.
Gerätehalle am Marum in Bremen
Sprecher:
In Zukunft ist das vielleicht nicht mehr nötig. Christian Winter leitet die Arbeitsgruppe
für Küstendynamik am Zentrum für marine Umweltwissenschaften an der Bremer
Universität.
O-Ton Christian Winter:
Wir haben hier einen elektromagnetischen Strömungsmesser, kombiniert mit
anderen Sensoren, Trübungsmesser, Salinität, Temperatur. In Sylt haben wir den
eingegraben, dass nur noch ein Teil rausguckt und die einzelnen Wellen messen
kann und die Kräfte messen kann, die die einzelnen Wellen auf den Sand auswirken.
Sprecher:
Mit den Messwerten vom Strand füttern Winter und seine Kollegen eine
Computersimulation.
O-Ton Christian Winter:
Wir machen das, um die Interaktion zwischen Strömung und Wellen und dem Sand
zu verstehen, also wie die einzelne Welle den Sand bewegt. Jede einzelne Welle
und alle Wellen zusammen dann im Ergebnis. Wenn man das verstanden hätte,
dann könnte man abschätzen, wie sich eine Änderung der Faktoren auswirken
würde: Meeresspiegelanstieg, Änderung der Anzahl der Stürme. Was würde da
eigentlich passieren, wenn man jetzt gar nichts machen würde – ohne dass man es
riskiert? Denn es kann sich keiner leisten, es einfach mal auszuprobieren.
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Sprecher:
Bis Computersimulationen das komplexe Geschehen an einem Strand tatsächlich
korrekt wiedergeben wird es noch eine Weile dauern. Bis dahin sind alle
Rettungsmaßnahmen für schwindende Strände auf Versuch und Irrtum angewiesen.
Strand in Sitges
Sprecher:
Das gilt auch für Sitges, den gefährdeten Badeort an der Costa Brava. Der erste
Versuch, einen verlorenen Strandabschnitt durch Aufspülungen wiederherzustellen,
war dort 1997 gründlich gescheitert. Judith Albors Casanova, die Leiterin des
Meeresökologie-Informationszentrums, erinnert sich gut daran.
O-Ton Judith Albors Casanova:
Sacaron arena de ...
Übersetzerin:
Den Sand haben sie damals mit Pumpen aus einem Fischgrund geholt, der sich
seitdem nicht wieder erholt hat. Niemals. Und wir haben hier in Sitges eine kleine
Flotte von 14 Fischerbooten, im Nachbarort sind es über 30. In diesem Sommer
haben sie dann Sandablagerungen an den Molen aller vier Häfen von Sitges
abgesaugt und auf dem Strand abgeladen – Sand mit Verschmutzungen und ganz
anderer Zusammensetzung. Natürlich haben sie damit das fragile Ökosystem an der
Küste geschädigt.
Sprecher:
Ignoranz, Fehlplanung und kriminelle Energie: Obwohl der Sand an den Stränden
unter aller Augen verloren geht, hat das Thema die Öffentlichkeit bisher kaum
bewegt. Viel zu oft wird der Sand als unendliche Ressource gesehen, sein Abbau
und Diebstahl werden nicht mit der Umweltzerstörung an den Küsten in
Zusammenhang gebracht. Viel Aufklärungsarbeit ist nötig, um ein Bewusstsein für
die Endlichkeit des Rohstoffs Sand zu schaffen.
O-Ton Judith Albors Casanova:
Aquí se ha perdido una información por una falta de sensibilidad ...
Übersetzerin:
Es mangelt an Sensibilität für diese Fragen. Man redet zwar darüber, aber in
Wirklichkeit gibt es viel Desinformation. Die Lösung liegt in den Details. Wir müssen
uns jeden Strandabschnitt genau ansehen. Das fehlt noch. Wie kann man die Brücke
zwischen Wissenschaft, Regierung und Öffentlichkeit bauen? Sehr schwierig.
Strand in Sitges
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