Fachbereich Evangelische Theologie Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg 22. August 2016 Nachruf zu Univ.-Prof. em. Dr. Wolfgang Grünberg Am 13. August 2016 verstarb in Hamburg nach langer Krankheit Prof. Dr. Wolfgang Grünberg, geboren am 10. 8. 1940 in Swinemünde / Świnoujście. Der Fachbereich Evangelische Theologie der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Hamburg trauert um ihn als einen Forscher, Entdecker, Inspirator, begeisternden Lehrer, Prediger und Seelsorger. Nach seinem Theologiestudium war Wolfgang Grünberg in den aufregenden 1960er Jahren in Berlin tätig. Er war Assistent von Martin Fischer an der Kirchlichen Hochschule und promovierte dort. 1 Theologisch bewegte er sich im Spannungsfeld zwischen dem kämpferischen Engagement der Hochschullehrer, die das Erbe der Bekennenden Kirche weiterführten, einerseits, und fasziniert von dem ökumenischen Reformansatz Ernst Langes andererseits. Dessen Ideen waren dann leitend beim Neuaufbau der Gemeinde in der Neubausiedlung Berlin HeerstraßeNord, seiner Vikariats- und späteren Pfarrstelle. Wolfgang Grünberg war ein leidenschaftlicher Gemeindepfarrer, der mit anderen zusammen seine Praxis theoretisch reflektierte und in den Kontext der Diskussion um die Kirche der Zukunft in der Großstadt stellte. Die Veröffentlichung des Konzepts und der Erfahrungen in Heerstraße-Nord hat über Berlin hinaus Aufsehen erregt und sein Interesse an wissenschaftlicher Vertiefung geweckt. Von 1978 bis 2005 hatte er an der Universität Hamburg eine Professur für Praktische Theologie inne. Einen Ruf nach Jena lehnte er 1996 ab. In den ersten Hamburger Jahren konzentrierte er sich auf historische und aktuelle Fragen zur Relevanz reformatorischer Bildungsbemühungen. Bald aber fand er sein eigentliches Forschungsfeld im Verhältnis von Kirche und Stadt. Das Interesse des Sohnes eines Architekten konzentrierte sich fortan maßgeblich auf die Theologie des gebauten Umfelds im weitesten Sinne. Von 1987 an war er Leiter der neu gegründeten „Arbeitsstelle Kirche und Stadt“ am Hamburger Fachbereich, die er auch im Ruhestand bis 2015 geleitet hat. Den wissenschaftlichen Ertrag dieser Arbeit dokumentieren die 21 Bände der Publikationsreihe „Kirche in der Stadt“. Bahnbrechend war 1994 das von ihm herausgegebene „Lexikon der Hamburger Religionsgemeinschaften“, in dem es erstmalig gelang, die viele überraschende Fülle und Vitalität christlicher und außerchristlicher Einrichtungen in Hamburg empirisch zu erfassen und dadurch die Wahrnehmung der religiösen Landschaft in der Großstadt auf eine neue Basis zu stellen. Innerkirchlich wurden diese Forschungen ergänzt durch detaillierte Untersuchungen, die die Einbindung der kirchlichen Arbeit in einzelne Stadtteile aufzeigen (u.a. in Harburg, Altona und Hamm). Seine eigenen Arbeiten zum Thema sind gesammelt in dem bedeutenden Werk „Die Sprache der Stadt. Skizzen zur Großstadtkirche“ (Leipzig 2004). Wolfgang Grünberg kann als der inspirierende Förderer der breit gestreuten Initiativen im Bereich Kirche und Stadt 1 Wolfgang Grünberg, Homiletik und Rhetorik. Zur Frage einer sachgemäßen Verhältnisbestimmung, Gütersloh 1973. angesehen werden, die sich seitdem entwickelt haben. Er gehörte zum Leiterkreis der evangelischen City-Kirchen-Konferenz und hat eine Fülle von Tagungen und Konferenzen an Hochschulen und Evangelischen Akademien, auf den Kirchentagen angeregt und mit seinen Beiträgen bereichert. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler haben seine Impulse in ihren Dissertationen und Habilitationen vertieft. Beachtenswert ist auch seine Beteiligung am christlich-jüdischen Dialog. Er hat sich um das Erbe des letzten Hamburger Oberrabbiners Dr. Joseph Carlebach verdient gemacht und war jahrelang führendes Mitglied bei den regelmäßigen Carlebach-Konferenzen in Zusammenarbeit der Universität Hamburg und der Bar-Ilan-Universität in Israel. Ein Höhepunkt seiner akademischen Tätigkeit war zweifellos das große interdisziplinäre von der VW-Stiftung geförderte Forschungsprojekt mit dem Arbeitstitel „Symbolkirchen im Ostseeraum“, in dem die Bedeutung der großen Backsteinkirchen und -kathedralen im Raum von Kiel bis Kaliningrad/Königsberg untersucht worden ist. 2 Diese beeindruckenden Kirchenbauten haben durch ihre Architektur und Innenausstattung bis heute eine besondere Ausstrahlung auf die Menschen, die sie in großer Zahl besuchen. Und dies auch und gerade dadurch, dass sie sich im Schnittpunkt ökonomischer, konfessioneller und nationaler Auseinandersetzungen befinden. Immer ging und geht es auch um ihre Bedeutung nicht nur für die jeweilige städtische Kultur, sondern auch als Symbole für die nationale und religiöse Identität der Gesellschaften im Ganzen. Dabei war diese symbolische Identität immer wieder umkämpft, war verbunden mit Zerstörung und Wiederaufbau, Umnutzung und Neueinrichtungen. Die konfessionellen und nationale Zugehörigkeiten wechselten, vom katholischen zum evangelischen, vom evangelischen zum katholischen Glauben, die Kirchen wechselten vom deutschen zum polnischen Nationaldenkmal. Diese konflikthaften Prozesse hatten Verletzungen, Traumatisierungen, ja auch Hass und Ressentiments zur Folge, die oft noch lange nachwirkten. Die Frontstellungen veränderten sich, aber die symbolische Kraft der gebauten Räume blieb erhalten. Das zeigt u.a. die Beliebtheit dieser Kirchen auch für gegenwärtige Besucher, Touristen und Reisegruppen. Wolfgang Grünberg hinterlässt ein beeindruckendes wissenschaftliches Werk, das mit seinem interdisziplinären und internationalen Zugang wegweisend für die weitere Forschung bleibt. Wir vermissen ihn als wachen, klugen, ideenreichen und freundlichen Kollegen und Freund. Prof. em. Dr. Peter Cornehl Institut für Praktische Theologie 2 Prof. Dr. Barbara Müller Sprecherin des Fachbereichs Evangelische Theologie Wolfgang Grünberg (Hg.), Wie roter Bernstein. Backsteinkirchen von Kiel bis Kaliningrad, ihre Kraft in Zeiten religiöser und politischer Umbrüche, München 2008.
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