Westdeutsche Allgemeine WAZ vom 25.08.2016 Seite: Ressort: 40 Sonderseiten Broadsheet Rubrik: Ausgabe: WAZ Marl Reichweite: Westdeutsche Allgemeine WAZ - Zeitung für Recklinghausen, Datteln, Haltern, Herten, Marl, OerErkenschwick und Waltrop http://www.funkemedien.de Weblink: Gattung: Auflage: Tageszeitung 309.448 (gedruckt) 291.737 (verkauft) 295.520 (verbreitet) 0,89 (in Mio.) Ein Wandel nach Lehrbuch Das von Kohle geprägte NRW hat sich zum bedeutsamen Wissensstandort mit vielen Hochschulen entwickelt. Bochum gab dazu 1965 den Startschuss Von Autor: Christopher Onkelbach Essen. Nach dem Krieg und der Gründung Nordrhein-Westfalens ging es zuerst darum, die zerstörten Industrieanlagen wieder aufzubauen und die Produktion anzukurbeln. Kohle und Stahl bestimmten noch für Jahrzehnte den Takt des Ruhrgebiets. Kein Ereignis markiert da deutlicher den Bruch mit der Industriegeschichte als die Gründung der ersten Universität im Revier – der fällige Strukturwandel begann. Zwar gab es im Land bereits die altehrwürdigen Hochschulen in Münster, Köln, Bonn und Aachen, doch zwischen Münster und dem Rheinland war bis Mitte der 60er-Jahre: nichts – wenn man von einer pädagogischen Hochschule mit nur 2000 Studenten absieht. Nicht einmal die neue Landeshauptstadt Düsseldorf verfügte über eine eigene Universität. So viele Studenten wie nie zuvor Und heute? Leben und lernen 745 000 Studenten in NRW, ein neuer Rekordwert. Rund 100 000 junge Menschen beginnen an einer Hochschule des Landes jedes Jahr ein Studium. Und das Ruhrgebiet entwickelte sich zur dichtesten Hochschullandschaft Europas. Das war der Region wahrlich nicht an der Wiege gesungen worden. Mit der Ruhr-Universität Bochum ging es 1965 los, es war die erste größere Hochschulansiedlung auf dem Gebiet Nordrhein-Westfalens seit 1870 – und der Startschuss für einen tiefgreifenden Wandel. Die Hochschulen sollten das Bildungsniveau vor allem der Arbeiter- schaft erhöhen und der Wirtschaft Fachkräfte beschaffen. Schließlich war kurz zuvor in Bochum die Ansiedlung des Opelwerks gelungen, wo ab 1962 der Kadett vom Band lief. Auch wegen der Anforderungen moderner Industrie sollte aus der Stahlschmiede Ruhrgebiet die Ideenschmiede des Landes werden. Eigentlich wollte Dortmund die erste Uni-Stadt im Revier sein. Diesen Wunsch hatte der Magistrat der Stadt am 3. April 1900 geäußert. Der Regent lehnte ab: keine Hochschulen für die Kinder der Kumpel. Dortmund wiederholte das Ansinnen über Jahrzehnte. Was folgte, als das Land Bochum den Vorzug gab, ging in die Geschichte der Wie alle Kohle- und Stahlstandorte litt NRW-Hochschulpolitik als „Städteauch Bochum unter der Zeitenwende. kampf“ ein, den der Historiker Hans Einst mit Stolz die „größte Zechenstadt Stallmann detailreich beschrieben hat. Europas“ genannt, schlossen dort zwischen 1959 und 1962 fünf große Städtestreit um Hochschulen Schachtanlagen. Die Stadt verlor 40 Die Entscheidung hatte wohl weniger Prozent ihrer Arbeitsplätze im Bergbau. mit Bildungspolitik zu tun, eher mit Die Ruhr-Uni, aus vor Ort gegossenen undurchsichtiger Parteitaktik im NRWFertigbetonteilen auf die Hügel am Landtag. In Dortmund vermutete man Ruhrtal gesetzt, stand für den Aufbruch gar eine Verschwörung: Die CDU habe in eine neue Ära. Mit ihr zogen Bildung das rote Dortmund eiskalt ausgebootet. und Wissenschaft ins Land der Malo- Vor der Landtagswahl 1962 gab die cher ein. CDU-Regierung nach und genehmigte der Stadt ebenfalls den Bau einer Uni – In den späten 60er- und 70er-Jahren nur zwölf Kilometer von der Ruhr-Uni setzte die Landesregierung Hochschu- entfernt. Mit der Eröffnung 1968 aber len ins Land wie Tulpenzwiebeln. war der Städtestreit noch lange nicht Bochum, Dortmund und Bielefeld beigelegt. waren der Anfang. Unter Johannes Rau ging es 1972 weiter mit den Gesamt- Geld hatte der Staat zu Zeiten der Hochhochschulen Essen, Duisburg, Wupper- schulgründungen genügend, die Politik tal, Siegen und Paderborn. 1975 wurde hoffte mit Zuversicht, dass die Region die in Deutschland einzigartige Fernuni- sich als blühende Wissenslandschaft versität Hagen gegründet – derzeit mit entfalten würde. Die Hege und Pflege rund 66 000 Studierenden die zahlenmä- dieses Erbes ist bis heute eine Herausßig größte Uni weit und breit. Heute forderung. „Die Akteure und Institutioverfügt NRW über 14 Universitäten, 16 nen im Ruhrgebiet müssen im HochFach-, sieben Kunst- und Musikhoch- schulsektor noch mehr kooperieren, die schulen, fünf Verwaltungshochschulen Hochschulen noch mehr als Chance sowie 28 staatlich anerkannte private begreifen“, schreibt der Bochumer Soziund kirchliche Hochschulen – darunter alwissenschaftler Jörg Bogumil. HochDeutschlands erste private Universität schulen und Wissenschaft gehören zu Witten/Herdecke. den „wenigen nennenswerten Chancen für die Weiterentwicklung der Region“. Der Aufbau des neuen Wissenslandes So einfach – und so schwierig ist die ging nicht immer reibungslos voran. Aufgabe. Bild 1: Früher prägten die Kumpel das Bild Wörter: Urheberinformation: © 2016 PMG Presse-Monitor GmbH vom Ruhrgebiet, heute sind es vielerorts die Studenten. Foto: Kartenberg 640 FUNKE MEDIENGRUPPE GmbH & Co. KGaA
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