Wer schreibt, begibt sich auf Reise ins eigene Innere

Fachausschuss Forensik in der DGSP e.V.
„Wer schreibt, begibt sich auf Reise ins eigene Innere“
Hax-Schoppenhorst im Gespräch über neuesDepressions-Buch
Der Pädagoge Thomas Hax-Schoppenhorst, der seit vielen Jahren in der LVR-Klinik in
Düren tätig ist, hat in diesen Tagen ein neues Buch veröffentlicht. In dem Band „Das
Depressions-Buch für Pflege-und Gesundheitsberufe“ ermöglicht Hax den Leserinnen und
Lesern einen multiperspektivischen Blick auf die Traurigkeit. Ein melancholisches Buch, das
Ermunterung für Betroffene, Angehörige und unterstützende Menschen ist. Christoph Müller
hat die Gelegenheit genutzt, mit Thomas Hax-Schoppenhorst ins Gespräch zu kommen.
Foto: (c) privat
Herr Hax-Schoppenhorst, das Depressions-Buch ist ein weiterer Meilenstein einer
neugierig machenden Buchreihe zu grundsätzlichen Fragen in Pflege-und
Gesundheitsberufen. Was ist Ihre Motivation gewesen, die Verantwortung für die kleine
Buchreihe zu übernehmen und die Depression ins Gespräch zu bringen ?
Einigen wir uns zunächst auf Meter, bei Meilen hängt die Latte doch arg hoch. Von einer
Reihe war in den Anfängen eigentlich nie die Rede. Es ergab sich einfach so. Grundsätzlich
arbeite ich sehr gerne als Herausgeber. Es beginnt mit einem leeren Blatt Papier und vielen,
noch völlig unstrukturierten Ideen. Wenn ich mich daraufhin nach intensiver Recherche auf
den Weg mache und Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein Projekt suche, beginnt die höchst
spannende Phase. Ich klatsche dann jedes Mal vor Freude laut in die Hände, wenn es mir
gelungen ist, Kolleginnen und Kollegen, die eine Menge zu sagen haben, ins Boot zu holen.
Über den langen Zeitraum des Entstehens, wir reden von gut zwei Jahren und mehr,
entwickelt sich per Mail oder über den telefonischen Kontakt schon eine Beziehung – wenn
man sich auch nicht sieht. Dabei tauscht man sich mit den unterschiedlichsten Menschentypen
aus – offensiven, zögerlichen, humorigen und bierernsten. Nach und nach vervollständigt sich
das Puzzle. Erreichen dann am Ende die Belegexemplare alle Aktiven und bei mir geht die ein
oder andere Dankesmail ein, ist für mich die Welt rund. Sind dann noch die Besprechungen
gut oder zumindest gnädig, gibt es keine Veranlassung, sich ein anderes Tätigkeitsfeld zu
suchen.
Die, ich bleibe nun mal bei dem Begriff ‚Reihe‘, Anfänge nahm es mit der sehr charmanten
Anfrage von Jürgen Georg vom Lektorat bei Hogrefe, damals Huber, ob ich nach dem
gelungenen Buch zur Forensischen Psychiatrie, das nun bald in die 3. Auflage gehen wird, mit
ihm gemeinsam darüber nachdenken wolle, wie ein weiterer Beitrag zur Aufrechterhaltung
meiner vitalen Hirnfunktionen gegebenenfalls aussehen könnte. Da wird man doch neugierig,
oder?
Es stand das Thema Angst auf dem Plan. Im Zuge der orientierenden Gespräche lernte ich
Anja Kusserow kennen, die seit vielen Jahren in Freiburg u. a. mit Angstpatienten
hervorragend arbeitet. Wir trafen uns 2012 in Herborn, redeten einen ganzen Tag über die
Angst, und zum Schluss war klar: Wir machen das! Das war eine herrliche Zeit. Alles lief
rund. Das Buch kam und kommt gut an …
Es lag also nahe, sich neuen Themen zu öffnen. Und es hat funktioniert! Das Buch zur
Depression liegt vor. Alle Gefragten blieben am Ball. Nun warten wir ab, wie es angenommen
wird. Für 2018 haben wir nun die Einsamkeit in den Blick genommen. Bereits heute habe ich
zwölf verbindliche Zusagen. Blicke ich auf die erste grobe Inhaltsübersicht, bekomme ich den
Eindruck, dass 2018 ein guter Wurf auf Leserinnen und Leser wartet.
Wie sich die Dinge weiterentwickeln, weiß ich nicht. Als ich kürzlich Susanne Schoppmann
nach Basel scherzend mailte, ich wolle demnächst nur noch an Telefonbüchern arbeiten,
entgegnete sie spontan, dafür sei noch keine Zeit, weil es noch so viele spannenden Themen
gibt. Wir werden sehen. Stoff gibt es genug – auch für andere. In unserer Republik
schlummern so viele Talente.
Fest steht für mich, dass ich die Schreibbühne nicht verlassen werde, ohne mich intensiv dem
Begriff der Treue gewidmet zu haben. Meine sehr persönliche These ist, dass die Welt
letztendlich wegen allumfassender Treulosigkeit zugrunde geht. Fragen Sie mich aber bitte
nicht nach harten statistischen Daten.Im zweiten Leben werde ich jedenfalls Hund – die sind
wenigstens konsequent und bedingungslos treu.
Welche eigenen Erkenntnisse haben Sie aus der Arbeit an dem Buch gewonnen? Sehen
Sie die Depression nach der Herausgabe des Buchs aus einem anderen Blickwinkel?
Definitiv nicht! Ich arbeite nun seit 30 Jahren in der Psychiatrie. Begegnungen mit Menschen,
die von Depressionen betroffen waren, haben in mir stets den höchsten Respekt wachgerufen.
Das Buch macht unzweifelhaft deutlich, dass wir es mit einer sehr ernsten Erkrankung zu tun
haben, dass es aber auch Auswege gibt. Zum Glück arbeiten an zahllosen Kliniken engagierte
Menschen mit denen, die in den Anfängen kaum Licht am Ende des Tunnels sehen.
Depressionen sind, vergessen wir das nicht, heilbar, wenn sie richtig behandelt werden.
Frühes Erkennen steigert die Aussicht auf ein Leben ohne diese ständige, quälende
Dunkelheit. Handlungsbedarf besteht allemal, denn unbehandelte Depressionen enden nicht
selten mit einem Suizid.
Bei der Herausgeberschaft war es Stefan Jünger und mir besonders wichtig, Depressionen
nicht nur im unmittelbaren psychiatrischen Kontext darzustellen. Patientinnen und Patienten
in den somatischen Häusern gilt es auch in den Blick zu nehmen. Schwer erkrankte Personen
reagieren oft auf die über sie hereinbrechende Nachricht aus nachvollziehbaren Gründen
depressiv. Auch hier ist es wichtig, in gebührender Weise zu reagieren. Pflegenden kommt
dabei eine zentrale Rolle zu, denn als den Patienten nächstes Gegenüber können sie mit den
richtigen Worten und Gesten zumindest den Augenblick heilen.
Zum Glück bietet das Buch viele Impulse für einen konstruktiven Umgang mit der
Depression. Es wäre gefährlich, würden die professionell Tätigen durch ihren Einsatz selbst in
einen depressiven Sog geraten.
Was hätten Sie bei aller Gründlichkeit und Tiefgründigkeit des Depressions-Buchs
gerne intensiver bearbeitet?
Ein Buch hat allein durch die vorgegebene maximale Seitenzahl seine Grenzen. Es muss
schließlich zu einem vertretbaren Preis angeboten werden. Wir haben schon auf eigene
Beiträge verzichtet und drei Texte zu einem ganzen zusammengeführt, um nicht zu
überreißen. Man muss also mit Kompromissen leben. Blicke ich auf das Gesamtpaket, denke
ich, dass wir wesentliche Facetten aufgegriffen haben. Vielleicht ist die gesellschaftliche
Diskussion etwas zu kurz gekommen. Wir konnten zwar den mahnenden und wachrüttelnden
Beitrag von Dr. Charlotte Jurk dankenswerterweise aufnehmen, aber unter Umständen hätte
noch eine weitere kritische Stimme gut gepasst. Die Diskussion über den ‚modernen
Menschen‘ gibt ja zu vielen Interpretationen Anlass. Eine Stimme der Seelsorge fehlt mir
rückblickend definitiv. Bei dem Angst-Buch konnten wir den sehr guten Beitrag von Ulrike
Grab anbieten. Da hätten wir noch Anfragen starten können.
Ein weiterer Text zur Psychohygiene bei Pflegenden hätte alles vielleicht noch runder
gemacht, denn sie leisten nun mal harte Arbeit. Aber man kann – wie gesagt – nicht alles
zwischen zwei Buchdeckel packen.
Bei einem Blick in das Buch wird offensichtlich, dass auch Sie nicht am Burn-Out
vorbeigekommen sind? Sehen Sie das Ausgebranntsein als Modediagnose? Wagen Sie es
mit Martin Dornes zu fragen, ob denn der Kapitalismus depressiv macht?
Den Begriff ‚Modediagnose‘ mag ich nicht besonders. Unabhängig von dem Etikett steht
doch fest, dass die Betroffenen massiv leiden. Der Begriff Burn-Out ist sicherlich populärer,
weil mit ihm mehr die harte Arbeit, das unermüdliche Schaffen in den Fokus gerückt wird.
Jemand ist krank, weil er sich aufgeopfert und damit nicht geschont hat. Das klingt bei aller
Beeinträchtigung weitaus kämpferischer als die Vokabel ‚depressiv‘. Wir leben immer noch
in einer Zeit, in der seelische Verletzbarkeit mit Schwäche gleichgesetzt wird. Es schickt sich
einfach nicht, Blößen zu zeigen. Die Angst davor, aus dem System zu fallen, ist unverändert
groß.
Ob der Kapitalismus depressiv macht? Da steckt viel Zündstoff in insgesamt acht Silben.
Zunächst: Auch Verlage müssen sich den Gesetzen des Marktes beugen. Bücher fallen nicht
in Geschenkpapier verpackt und mit einem Schleifchen verziert vom Himmel. Sie meinen
aber sicherlich die Entartungen des Kapitalismus, die wir weltweit seit vielen Jahren
beobachten müssen. Mir wird schon eng ums Herz, wenn ich die Worte unseres Papstes lese,
der davon spricht, dass wir uns in einem Krieg befinden – u. a. um Ressourcen und Geld. Er
bringt damit eine nüchterne und ernüchternde Analyse, die derzeit von denen, die um ihre
Geschäfte bangen, etwas hilflos weggelächelt wird.
In der Tat: Es gibt schon lange Zeit gute Konzepte eines nachhaltigen Wirtschaftens, auch
eines ethisch verantwortbaren Welthandels. Es tut sich aber wenig. Das hysterische Geschrei
nach Wachstum um jeden Preis verhallt nicht. In diesem Kontext beobachten wir immer mehr
Sinnentleerung, aussichtslose Kämpfe, Hilflosigkeit, … Wenn Sie so wollen, kann man das
zumindest als sehr deprimierend, sicherlich auch als zerstörerisch bezeichnen.
In dem Märchen vom Fischer und seiner Frau hat der Butt irgendwann die Nase voll – am
Ende steht die alte Hütte wieder da. Die Frage ist, wer in diesem bizarren Spiel der Butt ist
und wann bzw. ob ihm der Kragen platzt.
Eine persönliche Frage zum Schluss: wie groß sind die eigenen depressiven Anteile?
Inwieweit ist das Schreiben und das Redigieren für Sie Bewältigung eigener
Lebensthemen?
Ich ahnte, dass diese Frage kommen würde …Wie will man bei einem Buch über die Seite 3
hinauskommen, ohne in dieser Weise betroffen, angerührt, motiviert zu sein? Warum lesen
wir Liebesromane? Ganz simpel: Wir wünschen uns, dass der Himmel ein Leben lang voller
Geigen hängt.
Ich schrieb u. a. über das Wesen der Freundschaft, weil ich sie in vielfältiger Form erleben
darf und sie für mich Lebenselixier ist, … setzte mich mit Geschwisterbeziehungen
auseinander, weil ich wissen wollte, wieso ich in der Reihe von drei Geschwistern der wurde,
der ich bin. Ich habe mich 2000 mit „Kindersoldaten“ kräftig ereifern können, weil aus
meiner Sicht nicht von zivilen Gesellschaften die Rede sein darf, solange weltweit Kinder in
den Krieg geschickt werden. 2012 suchte ich mit „Kommunikation in der Chirurgie“ den
Schulterschluss mit meinem geschätzten Bruder, der als Arzt arbeitet, weil ich die Welten der
‚Knochenbieger‘ und der ‚Seelenklempner‘ zusammenführen wollte.
Als fünftes Kind einer Mutter, die im Krieg zwei Kinder verlor und während sie mit mir
schwanger war schwer erkrankte, ist mir mit Betreten der Welt neben vielen heiteren Seiten
der skeptische, ängstliche Blick in die Welt nicht fremd.
Zum Glück bin ich bislang von Depressionen verschont geblieben. Potenziere ich in meiner
Phantasie die Phasen größerer Niedergeschlagenheit, die jeder Mensch erlebt, bekomme ich
aber einen zaghaften Eindruck von dem, was Depression ausmacht. Ich wünsche mir, das nie
erleben zu müssen. Die Beschäftigung mit dem Buch hat mich auch angeregt, diesbezüglich
wachsam zu bleiben. Als ich den Vertrag für das Einsamkeits-Buch erhielt, träumte ich in der
Nacht darauf, ich hätte nach zwei Jahren 304 leere Seiten abgegeben. Das ist sonst nicht mein
Stil …
Warum dieser Traum? Nach einigem Grübeln fand ich die Lösung: In wenigen Wochen
werde ich 61. Davon laufe ich gefühlte 70 Jahre vor einer drohenden Einsamkeit davon.
Durch die Beschäftigung mit der Thematik packe ich den Stier nun bei den Hörnern und lerne
eine ganze Menge.
Fazit: Wer schreibt oder als Herausgeber tätig ist, der bleibt nicht nur, der begibt sich auch auf
die Reise in das eigene Innere. Das ist legitim, richtig, zielführend und schließlich auch
notwendig, denn sonst fehlt das Herzblut.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Thomas Hax-Schoppenhorst, geboren 1955, Studium an der Ruhruniversität Bochum,
Staatsexamen 1987, seitdem pädagogischer Mitarbeiter der LVR-Klinik Düren, dort 16 Jahre
in der forensischen Psychiatrie tätig; danach Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit und
Integrationsbeauftragter; seit 1986 in der Erwachsenenbildung tätig, Lehrer an Schulen für
Gesundheits- und Krankenpflege; Autor und Herausgeber verschiedener Sachbücher;
Mitarbeit bei verschiedenen Zeitschriften
Thomas Hax-Schoppenhorst / Stefan Jünger (Hrsg.): Ddas Depressions-Buch für Pflegeund Gesundheitsberufe, Hogrefe-Verlag, ISBN 978-3-456-8568-7, 356 Seiten, 29.95
Euro.