GENOMCHIRURGIE Weder Schwarz noch Weiß inige Wissenschaftler bezeichnen sie bereits jetzt als die Entdeckung des 21. Jahrhunderts, die die Medizin revolutionieren wird: Die CRISPR/Cas-Technik (Crispr: Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats). Sie erlaubt mit einer Art molekularen Schere „chirurgische“ Eingriffe in das Genom von bislang nicht gekannter Präzision und damit eine gezielte Veränderung einer Gensequenz lebender Zellen. Experten zufolge ist sie effizient, kostengünstig und verhältnismäßig einfach zu handhaben. Sie ist sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren sowie dem Menschen einsetzbar – dort wiederum bei somatischen wie auch bei Keimbahnzellen. Der entscheidende Vorteil der sogenannten Genomchirurgie gegenüber früheren gentechnologischen Verfahren: Die CRISPR/Cas-Technik hinterlässt offensichtlich im veränderten Erbgut keine Spuren. Dies klingt beinahe zu schön, um wahr zu sein. Doch es gibt zwei Seiten: Es besteht einerseits die Hoffnung, krankheitsverursachende Genmutationen effektiv zu korrigieren und neue spezifische therapeutische Ansätze zu finden. Andererseits könnten Szenarien vom komplett künstlich geschaffenen und/oder veränderten Leben Realität werden. Dem enormen Innovationspotenzial für die Grundlagenforschung, für die Pflanzenzüchtung, die Biotechnologie und die Behandlung von genetisch bedingten Krankheiten stehen weitrei- E Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 33–34 | 22. August 2016 chende soziale, rechtliche und ethische Fragen gegenüber. Deshalb beschäftigte sich der Deutsche Ethikrat bereits in diesem Sommer auf seiner Jahrestagung in Berlin mit dem Thema „CRISPR/ Cas“. Eine abschließende Empfehlung, wie mit dieser Technologie umzugehen sei, konnte er natürlich nicht geben. Einig war sich das interdisziplinäre Gremium jedoch: Deutschland steht am Beginn einer entscheidenden gesellschaftlichen Debatte. Und bei dieser wird es weder ein Schwarz noch ein Weiß geben können! Der Infektionsbiologe Prof. Dr. rer. nat. Jörg Vogel von der Universität Würzburg geht noch weiter. Sicher ist für ihn: „Wir werden künftig in einer CRISPR/CasWelt leben! Deshalb müssen wir sie jetzt verantwortlich gestalten.“ Hype und Hoffnung Besonders umstritten sind Keimbahninterventionen, die das menschliche Erbgut gezielt verändern. „Wir müssen genau prüfen, worauf wir uns als Gesellschaft einlassen oder uns eben nicht einlassen wollen mit CRISPR/Cas9 und Co“, betonte Prof. Dr. theol. Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg, der neue Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. „Undifferenziertes Bedenkenträgertum“ sei ebenso wenig die Aufgabe ethischer Reflexion wie die nachträgliche moralische Weihe schon längst etablierter Verfahren. Ein Anlass für die intensiven Debatten über die Genomchirurgie am menschlichen Erbgut sind unter an- derem Experimente von chinesischen Forschern der Sun-Yat-senUniversität in Guangdong, die das Erbgut von 86 nicht entwicklungsfähigen Embryonen verändert hatten, um das schadhafte Gen zu reparieren, das zur Thalassämie führt. Nur viermal glückte das Experiment; bei 28 Embryonen fanden die Wissenschaftler nach der Genomchirurgie unbeabsichtigte Veränderungen des Erbguts. Mit Blick auf die Unreife der Methode sowie die offenen sozialen, ethischen und rechtlichen Fragen fordern viele Wissenschaftler ein Moratorium. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – acatech, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Forschungsgemeinschaft betonten im vergangenen Herbst in einer Stellungnahme zu „Chancen und Grenzen des genome editing“, dass die Genomchirurgie zwar ein hohes wissenschaftliches Potenzial habe und in vielen Bereichen ethisch und rechtlich unbedenklich sei. Im Hinblick auf sämtliche Formen der künstlichen Keimbahnintervention beim Menschen plädieren sie jedoch für ein internationales zeitlich begrenztes Moratorium. Dieses soll die kritische Diskussion von offenen Fragen fördern. Auch der Pädiater Prof. Dr. med. Karl Welte von der Universität Tübingen äußerte in Berlin erhebliche Bedenken gegen Eingriffe in die Keimbahn. Solange nicht klar sei, A 1475 Foto: Fotolia Mopic Die Medizin steht möglicherweise vor einem Quantensprung. Die Genomchirurgie mittels der CRISPR/Cas-Technik besitzt ein immenses Potenzial. Sie stellt die Wissenschaft aber auch vor große ethische Herausforderungen. POLITIK Was ist CRISPR/Cas? Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats (CRISPR) sind sich wiederholende bakterielle Genomsequenzen. In der Natur wehren sich damit Bakterien gegen Viren. Sie integrieren Fragmente viraler DNA in ihr Genom und übersetzen sie in RNA. Die RNA-Fragmente binden dann an Cas(CRISPR associated)-Proteine. Kommt es später zu Kontakt mit komplementärer viraler DNA oder RNA, wird diese durch das Cas-Protein zerstört. Entdeckt wurde das System 2011 von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Dounda, die Abwehrmechanismen von Bakterien untersuchten. In der Forschung von besonderer Bedeutung ist das CasProtein 9 (Cas9). Kombiniert mit einem synthetischen RNA-Molekül (Leit-RNA) kann es präzise Sequenzen im Genom erkennen und schneiden. An der Schnittstelle können andere DNA-Sequenzen ins Genom integriert werden (Genomchirurgie/Genom-Editierung). Foto: SPL Agentur Focus Genomchirurgie mit CRISPR/Cas Wo wird die Technik eingesetzt? Da die Gen-Schere CRISPR/Cas9 mit hoher Präzision beide DNA-Stränge schneidet und offensichtlich keine molekularen Spuren hinterlässt – ähnlich einer spontanen, natürlichen Mutation – ist die neue Technologie universell einsetzbar und damit sehr zukunftsversprechend. Zu den Organismen, an denen das System erprobt wurde, gehören neben Pflanzen auch Fliegen und Mäuse. In vielen Bereichen, wie in der Pflanzenzüchtung und Biotechnologie, wird die CRISPR/Cas-Technologie bereits angewendet und als ethisch und rechtlich unbedenklich angesehen. Auch das Potenzial für therapeutische Anwendungen beim Menschen wird als hoch eingeschätzt: In den USA erlaubte im Juni eine Ethikkommission bereits erste In-vitro-Versuche auf dem Gebiet der Krebsimmuntherapie beim Menschen. Foto: Fotolia izzzy71 http://d.aerzteblatt.de/NM13 http://d.aerzteblatt.de/ED49 Welche Fragen sind offen? Unklar ist bei der CRISPR/Cas9-Technologie noch, inwiefern auch außerhalb der Zielregion Effekte ausgelöst werden – beispielsweise, ob die Cas9-Nuklease auch unspezifisch andere Regionen des Genoms schneidet (off-target-Effekte). Ferner wäre es möglich, dass die Nuklease nicht in allen Zellen die DNA-Sequenz schneidet und so einige Zelle unmodifiziert bleiben (Mosaik-Zellpopulation). Zudem wirft die Technologie viele ethische Fragen auf – gerade bezüglich des Einsatzes an menschlichen Keimbahnzellen. Diskutiert werden aber auch mögliche Veränderungen des Ökosystems. Denn denkbar wäre beispielsweise eine Bearbeitung des Genoms der Anopheles-Mücke, so dass sie den Malariaerreger (Plasmodien) nicht mehr übertragen kann. Solche Gene-Drive-Eingriffe könnten nicht nur die Malaria eindämmen, sondern auch möglicherweise das Ökosystem verändern. Foto: picture alliance welche Auswirkungen diese mit sich brächten, sollten vorhandene Alternativen, wie die Präimplantationsdiagnostik und die Stammzelltransplantation, genutzt werden. Sie seien im Vergleich zur Keimbahntherapie ethisch unproblematisch, da hier keine Genveränderungen mit Auswirkungen auf spätere Generationen vorgenommen würden. (siehe „Der Wunsch nach einem gesunden Kind“ in diesem Heft). Für den evangelischen Theologen Prof. Dr. theol. Wolfgang Huber von der Humboldt-Universität Berlin befindet sich hier die entscheidende Grenze: Risikoarme Eingriffe zur Heilung oder Vermeidung von Krankheiten seien moralisch zu rechtfertigen – soweit sie auf das Individuum begrenzt bleiben. Keimbahninterventionen sollten jedoch verboten sein, solange Folgen für künftige Generationen nicht ausgeschlossen seien. Ein zeitlich begrenztes Moratorium greift für ihn aber noch zu kurz. Zur Unverfügbarkeit der menschlichen Identität gehöre es, den Menschen nicht gemäß einem von anderen entworfenen Bauplan zu konstruieren und zu produzieren, betonte er. Die künstliche Veränderung der menschlichen Keimbahn verbietet auch das geltende Embryonenschutzgesetz. Es enthalte aber erhebliche Unklarheiten und Lücken, merkte Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz von der Universität Mannheim an. Die Begründung des Gesetzgebers, Keimbahninterventionen wegen der damit verbundenen Gefahren für die danach geborenen Menschen unter Strafe zu stellen, könnte entfallen, wenn derartige Interventionen hinreichend sicher durchgeführt werden könnten, erläuterte er. „Der Gesetzgeber konnte die Entwicklung ja nicht vorhersehen“, so Taupitz. Momentan ließe sich das Gesetz jedoch nur im Wortlaut interpretieren, da Strafgesetze nicht darüber hinaus zulasten eines möglichen Täters ausgelegt werden dürften – selbst wenn es dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspreche. „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte, dann muss der Gesetzgeber entscheiden.“ ▄ http://d.aerzteblatt.de/TN58 Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann A 1476 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 33–34 | 22. August 2016
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