Ausbildungspflicht bis 18: AK fordert

Ihre Gesprächspartner:
Dr. Johann Kalliauer
Präsident der AK Oberösterreich
Dr. Josef Moser, MBA
Direktor der AK Oberösterreich
Ausbildungspflicht bis 18:
AK fordert Nachbesserungen
Pressekonferenz
Freitag, 19. August 2016, 10 Uhr
Arbeiterkammer Linz
Die Ausbildungspflicht – eine sinnvolle Strategie
Die Ausbildungspflicht trat mit 1. August 2016 in Kraft. Zielsetzungen sind, die Anzahl der frühen Schulabgänger/-innen zu reduzieren und Jugendarbeitslosigkeit zu
vermeiden. Die Arbeiterkammer Oberösterreich begrüßt das neue Gesetz, da die Politik damit auf zentrale gesellschaftliche Herausforderungen reagiert. In der derzeitigen
Form weist das Gesetz jedoch noch Schwächen auf, die den Zielsetzungen im Wege
stehen.
Die Ausbildungspflicht muss als Recht auf Ausbildung umgesetzt werden. Dafür
sind Nachbesserungen notwendig. Insbesondere braucht es mehr Reformbemühungen im Bildungssystem und mehr finanzielle Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik.
Zentrales Problem Jugendarbeitslosigkeit
Im Juli 2016 waren in Oberösterreich 10.507 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren entweder arbeitslos (5.910), in AMS-Schulung (3.658) oder auf der Suche nach
einer Lehrstelle (939). Auch wenn es im Vergleich zum Vorjahr eine leichte Besserung gibt, stellt die aktuelle Anzahl an jungen Menschen ohne Beschäftigung fast
eine Verdoppelung seit dem Jahr 2000 dar. Im Vergleich zum Vorkrisenniveau im
Jahr 2008 ist die Anzahl um rund 40 Prozent gestiegen.
Auffallend ist eine Verschiebung des Problemausmaßes von den 15- bis 19Jährigen zu den 20- bis 24-Jährigen. Rund zwei Drittel der arbeitslosen Jugendlichen gehören dieser Altersgruppe an. Dies ist unter anderem darauf zurück zu
führen, dass die bisherigen Aktivitäten im Rahmen der Ausbildungsgarantie bei
den Minderjährigen gegriffen haben.
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Jugendliche und junge Erwachsene (15 bis 24 Jahre) ohne Beschäftigung in Oberösterreich, Juli 2016
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
20 bis 24-Jährige in Schulungen
15 bis 19-Jährige in Schulungen
Vorgemerkte Arbeitslose 20 bis 24-Jährige
Vorgemerkte Arbeitslose 15 bis 19-Jährige
Lehrstellensuchende (sofort verfügbar)
Quellen: BaliWeb, AK-Berechnungen
Ursachen der Jugendarbeitslosigkeit
Fünf wesentliche Einflussfaktoren verursachen laut internationalem Forschungsstand Jugendarbeitslosigkeit (Bell& Blanchflower 2011; Boeri 2011, Gangl 2002;
Dietrich/Möller 2015; O’Higgins 2012; Russell/O'Connell 2001, Schweighofer
2012). Teilweise stehen sie in Wechselwirkung zueinander.
1.
Jugendliche haben beim Einstieg in den Arbeitsmarkt keine Arbeitserfahrungen und damit einen Nachteil gegenüber älteren Arbeitnehmern/-innen mit
firmenspezifischem Wissen.
2.
Unsichere Beschäftigungsverhältnisse führen zu einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko. Junge Menschen sind von befristeter Arbeitskräfteüberlassung
überdurchschnittlich betroffen. Diese Beschäftigungsverhältnisse sind oft3
mals keine Sprungbretter, sondern stellen sich in der Regel als Sackgassen
heraus.
3.
Die Knappheit an Arbeitsplätzen für gering Qualifizierte führt zu einem
dreifach erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko von frühen Schulabgängern/-innen
und einem siebenfach erhöhten Risiko, schwer Fuß auf dem Arbeitsmarkt
zu fassen. Der Nationale Bildungsbericht 2015 verweist darauf, dass 24 Monate nach dem Bildungsabbruch fast 35 Prozent der Jugendlichen inaktiv
und 15,6 Prozent beim AMS vorgemerkt sind. Früher Schulabgang birgt
somit die Gefahr einer dauerhaften Ausgrenzung in sich.
4.
Jugendliche sind von Konjunktureinbrüchen wie durch die Finanz- und
Wirtschaftskrise besonders betroffen. Die Faustregel lautet: Steigt die Arbeitslosenquote bei Personen im Haupterwerbsalter um einen Prozentpunkt, steigt sie bei Jugendlichen um zwei Prozentpunkte.
5.
Aktive Arbeitsmarktpolitik kann die Jugendbeschäftigung erhöhen und die
Jugendarbeitslosigkeit senken. Durch die Förderung benachteiligter Gruppen kann sie auch die Chancengleichheit erhöhen. Länder bzw. Bundesländer, die weniger in aktive Arbeitsmarktpolitik investieren, müssen mit einer
höheren Jugendarbeitslosigkeit rechnen.
Ausbildungspflicht gegen Jugendarbeitslosigkeit
Die Ausbildungspflicht versucht, Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem
präventiv gegen frühen Schulabbruch vorgegangen wird. Angesichts der äußerst
schwierigen Arbeitsmarktsituation von frühen Schulabgängern/-innen ist diese
institutionelle Antwort eine sinnvolle Strategie. Der Arbeitsmarkt wird dadurch
entlastet, weil sich nun möglichst alle Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren
im Bildungs- bzw. Ausbildungssystem befinden.
Auch die Ausweitung von arbeitsmarktpolitischen Angeboten für Jugendliche, wie
die überbetriebliche Ausbildung oder Beratungsangebote, wird sich dämpfend auf
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die Jugendarbeitslosigkeit auswirken. Beide Punkte belegen die Notwendigkeit
von verstärkten Angeboten der aktiven Arbeitsmarktpolitik für diese Zielgruppe.
Koordinierungsstellen haben zentrale Rolle
In der praktischen Umsetzung haben die Koordinierungsstellen auf Länderebene eine
tragende Rolle. Erziehungsberechtigte müssen die zuständige Koordinierungsstelle
verständigen, wenn nicht binnen vier Monaten nach einem Abgang oder Abbruch
einer (Aus-)Bildung eine weitere (Aus-)Bildung aufgenommen wird. Auch Schulen,
Arbeitsmarktservice, Sozialministeriumservice, Lehrlingsstellen u.a. sollen künftig
Abbrecher/-innen melden. Die Koordinierungsstelle wird daraufhin Kontakt mit
der/dem Jugendlichen bzw. deren/dessen Erziehungsberechtigten aufnehmen, um die
weiterführende (Aus-)Bildung in die Wege zu leiten. Gelingt eine Kontaktaufnahme
wiederholt nicht, kommt es zu einer Meldung an das Sozialministeriumservice, das
eine Anzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde erstatten kann. Die Höhe der Geldstrafe beträgt zwischen 100 und 500 Euro, im Wiederholungsfall zwischen 200 und
1.000 Euro.
Ziel der Koordinierung muss es sein, dass es flächendeckende und vor allem ausreichend niederschwellige Angebote für die Jugendlichen gibt. Ähnlich wie beim Jugendcoaching des Sozialministeriumservices, das bereits bisher Jugendliche nach der
Schulpflicht dabei unterstützt hat, einen passenden Bildungs- oder Berufsweg einzuschlagen, sollten aus Sicht der AK die Sozialpartner in den Landeskoordinierungsstellen eingebunden sein und ihre Expertise zum Thema Ausbildungspflicht einbringen.
Ausbildungspflicht zur Vermeidung von Hilfsarbeit
Unqualifizierte Beschäftigung von Jugendlichen soll durch die Ausbildungspflicht
eingeschränkt werden, weil Jugendliche durch die Hilfsarbeit an einer Ausbildung
gehindert werden und sich dadurch häufig auf einem unsicheren Beschäftigungsverlauf mit wiederkehrender Arbeitslosigkeit bewegen.
Mit der Ausbildungspflicht haben Jugendliche das Recht, eine Beschäftigung, die
die Ausbildungspflicht verletzt (z.B. eine Hilfstätigkeit ohne Perspektivenplan),
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vorzeitig ohne Einhaltung gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Kündigungsfristen und -termine zu beenden. Die Zahlen des Instituts für höhere Studien (IHS)
verdeutlichen, dass dies sinnvoll und relevant ist, da in Oberösterreich rund 6,4
Prozent der 15- bis 19-Jährigen einer Hilfsarbeit nachgehen und sich in keiner
Ausbildung befinden.
Anteil der Hilfsarbeiter/-innen und nicht in Ausbildung befindlichen Jugendlichen
zwischen 15 und 19 Jahren (in Prozent)
Quelle: Statistik Austria, IHS 2015
Hoher Bedarf an Ausbildungsplätzen
Die Ausbildungspflicht betrifft alle Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, die die Schulpflicht erfüllt haben und sich dauerhaft in Österreich
aufhalten. Schüler/-innen, die die Pflichtschule im Schuljahr 2016/17 abschließen,
unterliegen bereits der Ausbildungspflicht. Das IHS hat den Bedarf an Ausbildungsplätzen zur Umsetzung der Ausbildungspflicht bis 18 berechnet. Hierbei
wurde die Anzahl an frühen Schulabgängern/-innen geschätzt, die sich derzeit in
keiner Maßnahme des AMS, des Sozialministeriumservices, des Bundesministeriums für Bildung oder der Bundesländer befinden. Demnach besteht ein Maßnahmenbedarf für rund 16.000 Jugendliche in Österreich. Im ersten Jahrgang werden
es rund 5000 Jugendliche sein.
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Die AK fordert Nachbesserungen
Aus Sicht der AK Oberösterreich ist die Ausbildungspflicht als arbeitsmarktpolitische Intervention ein Schritt in die richtige Richtung, es sollte jedoch bei folgenden Punkten zu Nachbesserungen kommen:
Vorbeugende Maßnahmen im Bildungssystem müssen ausgeweitet werden
Zentrales Problem ist, dass es im Rahmen der Ausbildungspflicht zu keinerlei
vorbeugenden Maßnahmen im Bildungssystem kommt. Das Motto muss lauten:
Frühzeitig fördern statt frühzeitig aussortieren. Eine kindgerechte Förderung vor
Schuleintritt und eine gemeinsame qualitätsvolle Schule für alle wären ein wesentlicher Beitrag, um frühem Schulabgang vorzubeugen. Das Bildungssystem muss
mehr Mitverantwortung im Rahmen der Ausbildungspflicht übernehmen, z.B.
durch zielgruppengerechte Angebote/Rückkehrschleifen für frühe Bildungsaussteiger/-innen, die auf die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen.
Minderjährige Asylwerber/-innen müssen erfasst werden
Minderjährige Asylwerber/-innen sind gemäß dem aktuellen Gesetzestext von der
Ausbildungspflicht ausgeschlossen, was aus integrations- und bildungspolitischer
Sicht äußerst problematisch ist. Auch sie müssen daher von der Ausbildungspflicht
erfasst werden, da eine gute Ausbildung maßgeblich zur gesellschaftlichen und
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ökonomischen Integration beiträgt.
Zielbestimmung und Qualitätskriterien fehlen
Der Perspektiven- oder Betreuungsplan nimmt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Ausbildungspflicht ein. Trotzdem enthält das Gesetz keine nähere Definition, keine Zielbestimmung und keinerlei Qualitätskriterien. Ebenso fehlen
Qualitätskriterien für die arbeitsmarktpolitischen Angebote zur Erfüllung der
Ausbildungspflicht. Notwendig sind daher Qualitätskriterien für die Perspektivenund Betreuungspläne, um einen durchgängigen Betreuungsprozess zu gewährleisten.
Ausbildungsbeihilfe für Familien mit wenig Einkommen ist nötig
Kritisch zu bewerten ist, dass Unternehmen nach wie vor Unter-19-Jährige als
Hilfsarbeiter beschäftigen dürfen. Das neue Gesetz nimmt die Arbeitgeber/-innen
damit völlig aus der Pflicht – Strafen bei Verletzung der Ausbildungspflicht müssen ausschließlich die Jugendlichen bzw. deren Erziehungsberechtigte zahlen. Für
viele Jugendliche, die als Hilfsarbeiter/-innen arbeiten und damit an einer sinnvollen (Aus-)Bildung gehindert werden, ist es oft schwierig, das Arbeitsverhältnis zu
lösen, um sich einer zielführenden Weiterbildung zu widmen. Schließlich ist dies
mit einem Einkommensverlust verbunden. Für einen Teil der Jugendlichen werden die Ausbildung und der Einkommensverlust nicht leistbar sein, da sie mit der
Hilfsarbeit zum Familieneinkommen beitragen müssen.
Darum sollte bei Verletzung der Ausbildungspflicht durch Hilfsarbeit die einseitige Beendigungsmöglichkeit durch die automatische Unwirksamkeit des Dienstverhältnisses ersetzt werden. Darüber hinaus braucht es eine Ausbildungsbeihilfe
für Familien mit geringem Einkommen, ähnlich der Studienbeihilfe, damit sich
alle Jugendlichen eine Ausbildung leisten können.
Zweckwidmung der Einnahmen durch Verwaltungsstrafen
Die Einnahmen der Verwaltungsstrafen sollen ausschließlich in die Jugendausbildungsmaßnahmen fließen.
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Regionale Koordinierung
Die Koordinationsstellen sollen entsprechend dem jeweiligen Problemdruck der
Bundesländer ausgestattet sein sowie mit den bestehenden Angeboten koordiniert
werden. Die Sozialpartner sollten in den Landeskoordinierungsstellen eingebunden sein und ihre Expertise einbringen.
Budget für die Ausbildungspflicht muss angehoben werden
Der Erfolg der Ausbildungspflicht wird wesentlich von den finanziellen Ressourcen abhängen. Im Budget für aktive Arbeitsmarktpolitik sind hierfür 6,8 Mio. Euro im ersten Jahr und max. 57 Mio. Euro in der Endausbauphase im Jahr 2020
vorgesehen. Der auf Basis der Erfahrungen aus Oberösterreich angenommene
durchschnittliche Mischkostensatz von ca. 10.000 Euro pro Jugendlichem pro Jahr
würde ein deutlich höheres Budget voraussetzen. Nimmt man vorsichtig an, dass
nur rund die Hälfte der vom IHS identifizierten 16.000 Jugendlichen ein längerfristiges, intensives Angebot (entsprechend dem Mischkostensatz) braucht, dann
würden hierfür rund 80 Mio. Euro in der Endausbauphase notwendig sein. Angesichts der breiten inhaltlichen Relevanz sollte eine gleichwertige Kostenbeteiligung durch die Ministerien für Wirtschaft, Familien sowie für Bildung erfolgen.
Investitionsprogramme zur Ankurbelung der Konjunktur nötig
Das zentrale Problem der Knappheit an Arbeitsplätzen wird durch die Ausbildungspflicht nicht gelöst. Es braucht vielmehr umfassende Investitionsprogramme
zur Ankurbelung der Konjunktur und zur Schaffung von Beschäftigung. Der
Schwerpunkt sollte auf Investitionen zum Ausbau der Bildungs- und Kinderbetreuungsinfrastruktur gelegt werden. Dies würde u.a. junge Erwachsene mit Betreuungspflichten eine Erwerbstätigkeit oder Ausbildung erleichtern.
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