Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Die Grenzen des Erlaubten (Folge 3)
Politische Korrektheit
Was darf man sagen?
Von Uwe Springfeld
Sendung: Samstag, 13. August 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Gábor Paál
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2015
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RADIO AKADEMIE INTRO: DIE GRENZEN DES ERLAUBTEN
Ansage:
Politische Korrektheit – Was darf man sagen?
Von Uwe Springfeld
Cut 1: Jana Tereick
Political correctness bedeutet eben, eben ph – einen Moment, sorry, sorry (räuspern)
mit political correctnes meint man – Pardon. Sorry. Ich hab einen kleinen Hänger.
Eine Sekunde, eine Sekunde, gleich bin ich wieder gut drauf.
Sprecher:
Eine Konferenz an der Universität Vechta im Sommer 2014. Thema ist die politisch
korrekte Sprache. Also wie man sich ordentlich ausdrückt. Sachlich angemessen,
moralisch unangreifbar, vorurteilsfrei. Die Linguistin Jana Tereick hat die Konferenz
organisiert. Dabei zeigt sich ein Problem. Mit welchen Worten spricht man über eine
politisch korrekte Sprache?
Cut 2: Jana Tereick
Also Sie nehmen das Verb als Grundlage und dann bilden Sie das Partizip – also
Partizip Perfekt in dem Moment, also eine Person, also, das wäre dann so, ich
illegalisiere, die Person ist illegalisiert. Ähmmm – Und durch diese Partizipialform …
drücken Sie eben aus, dass das ein Prozess ist.
Sprecher:
Die Konferenz findet am Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften statt. In einem
Gebäude, zu dem man vom Bahnhof kommend die Liebfrauenschule passiert. Ist der
Ausdruck Liebfrauen überhaupt noch zeitgemäß? Auch diese Frage kommt einigen
der Teilnehmer plötzlich in den Sinn. Oder ist das Wort „Liebfrauen“ klischeebeladen,
indem es zu stark das Häusliche, Fürsorgliche, Behutsame, Rührende,
Selbstaufopfernde, ja, das Selbstverleugnend-Mütterliche von Frauen ins Zentrum
rückt? Statt deren Eigenständigkeit und Stärke hervorzuheben? Wie dem auch sei,
der Versuch politische Korrektheit politisch korrekt zu beschreiben, fällt auch Jana
Tereick zunächst nicht leicht. Aber dann, als sie sich etwas gesammelt hat, sprudelt
es aus ihr heraus.
Cut 3: Jana Tereick
Political Correctness bedeutet zunächst einmal Gruppen, die gesellschaftlich
ausgegrenzt sind, Minderheiten sprachlich so zu bezeichnen, wie sie es selber
möchten und sie über Sprache nicht zusätzlich zu diskriminieren.
Sprecher:
Zum Beispiel?
Cut 4: Jana Tereick
Also beispielsweise Personen, die aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften
gesellschaftliche Behinderungen erfahren so zu benennen, wie sie es selber
wünschen – nämlich als Menschen mit Behinderungen oder behinderte Menschen.
Sprecherin:
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Wie sich die Begriffe ändern. Wenn im 19. Jahrhundert Hilfsorganisationen von
Krüppeln sprachen, war das nicht abwertend gemeint. Sie wollten vielmehr Mitleid
erregen und Geld für die neu gegründeten Krüppelheime sammeln. Geistig
Behinderte nannte man im 19. Jahrhundert „Schwachsinnige“ und die Unterbringung
für sie „Irrenhaus“. Das 20. Jahrhundert differenzierte. Krüppel einerseits, abwertend.
Krüppel andererseits, aus vaterländischen Gründen, mitleiderregend. Also
Kriegsversehrte. Seit spätestens 1941, unter der Terrorherrschaft der
Nationalsozialisten und mitten im Zweiten Weltkrieg, gibt es in Deutschland die
Bezeichnung „körperlich und geistig Behinderte“. Nämlich in den Änderungen des
Reichsschulpflichtgesetzes vom 16. Mai des Jahres. Was zeigt, dass Menschen
auch dann ermordet werden können, wenn man sie vorher politisch korrekt
bezeichnet.
Mitte der Siebzigerjahre tauchte der Begriff „Krüppel“ wieder auf. Als provokante
Selbstbeschreibung. Mit dem Begriff protestierte die Krüppel-Bewegung gegen eine
übertriebene Fürsorge. Im 21. Jahrhundert spricht man erst vom Behinderten, dann
von „Menschen mit Behinderungen“.
Dagegen regt sich Widerspruch. Nicht der Mensch ist behindert, wird entgegnet.
Sondern die Welt behindere ihn. Und ebenso ist auch ein Mensch ohne gültige
Aufenthaltspapiere kein illegaler Flüchtling. Kein Mensch ist illegal – lediglich sein
Aufenthalt in einem Land kann illegal gemacht werden.
Cut 5: Jana Tereick
Eine neuere Ausdrucksweise wäre zu sagen: Ein Mensch, der behindert wird. Das ist
so ähnlich wie ein Mensch, ein Illegalisierter. Also da gibt’s ‘ne ganze Reihe von
Ausdrücken, die darauf hinweisen, dass das gesellschaftliche Prozesse sind, die
sozusagen definieren, was eine Behinderung ist.
Sprecherin:
Während die politisch korrekte Sprache den Opferstatus gesellschaftlich
diskriminierter Menschen hervorhebt, bezeichnen sich die Menschen innerhalb
mancher Gruppen selbstbewusst mit politisch unkorrekten Begriffen. In den USA
nennen sich Schwarze untereinander Nigger. Frauen organisieren sich zu
Schlampenmärschen. Homosexuelle, wie zum Beispiel Berlins Ex-Bürgermeister
Klaus Wowereit:
Cut 6: Wowereit
Ich bin schwul und das ist auch gut so.
Sprecherin:
In anderen Zusammenhängen haben sich politisch unkorrekte Bezeichnungen wie
schwul und behindert von ihrer ursprünglichen Bedeutung verabschiedet und sind in
die Jugendsprache hinübergewandert. Schwul beispielsweise bezeichnet 2015 eine
undifferenziert negative Bewertung.
Sprecher:
Ist warmduschen schwul? Schattenparken? Ist tanzen schwul, eine violette,
perlenbesetzte Federmappe? Ist schwul sein schwul? Ein Professor für
germanistische Sprachwissenschaften könnte so etwas wissen. Thomas Niehr von
der RWTH Aachen.
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Cut 7. Thomas Niehr
Das Federmäppchen hat eine schwule Farbe oder ähnliches – da ist sicherlich nicht
homosexuell gemeint – das wird sicher als – wie soll ich sagen – als negativ
konnotierter Ausdruck für alles Mögliche bezeichnet und hat mit der sexuellen
Orientierung offensichtlich gar nichts zu tun. Und schwul sein kann wahrscheinlich
schwul sein, aber ich würde vermuten, dass es sprachlich nicht so geäußert wird.
Sprecherin:
Zurückgekehrt in den normalen Sprachgebrauch sollen politisch korrekte Ausdrücke
unterprivilegierte Gruppen öffentlich sichtbar machen. Frauen in der
Männergesellschaft zum Beispiel. Dafür braucht es grammatikalische Formen. Vor
einem Redner sitzen nicht mehr wie in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts nur
Zuhörer im Auditorium, sondern: Zuhörerinnen und Zuhörer. [Für andere Gruppen
reicht die Grammatik nicht hin. Man sucht eigene Begriffe. Aber warum müssen es
neue Begriffe sein? Warum spricht man von Homosexuellen, Menschen mit
Behinderung, Zuwanderern? Weshalb, Jana Tereick, nimmt man nicht einfach die
normalen, gewöhnlichen? Ausländer zum Beispiel. Ein Wort, bei dem man sich nichts
denkt?
Cut 8: Jana Tereick
Wenn man das zum ersten Mal hört, unsere Sprache ist rassistisch geprägt, und man
selber eigentlich der Ansicht war, dass man nicht rassistisch ist, dann ist man
erschreckt und möchte das nicht haben. Und dann wehrt man sich dagegen. Aber
dann denkt man so ein paar Stunden darüber nach und dann kommt man zu dem
Ergebnis: Ja das stimmt. Unsere Gesellschaft und unsere Sprache sind rassistisch
strukturiert.]
Sprecherin:
Es gibt auch den umgekehrten Fall. Dass politisch korrekte Äußerungen nicht
benennen, sondern verschweigen. Insbesondere wenn es um die Beschreibung
kriminellen Verhaltens beispielsweise in der Presse geht. Die Nationalität von
Einbrechern, Taschendieben und Automatenknackern, die Hautfarbe von
Drogendealern. Solche Nennungen befördern nichts als Rassismus, sagt Lann
Hornscheidt. Lann Hornscheidt nennt sich weder Professor noch Professorin,
sondern Profess-x für Gender Studies und Sprachanalyse am Zentrum für
Transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt Universität zu Berlin.
Cut 9: Lann Hornscheidt
Bei Rassismus ist ja vollkommen klar für die meisten Menschen, race, rassifizierte
Kategorien gibt es nur, weil es Rassismus gibt. Es gibt keine rassifizierten
Einteilungen von Menschen außer dass es Rassismus gibt. Bei Geschlecht ist das
vielen Leuten nicht so klar. Geschlecht gibt es nur, weil es Sexismus gibt. Wenn es
Sexismus nicht gäbe, dann müsste ich auch keine Einteilung von Menschen in
Geschlecht haben.
Sprecherin:
Sprache beschreibt die Welt. Political correctness beschreibt die Welt auf eine
tatsachenorientierte Weise. Sachlich, nur die Fakten, ohne Vorurteile. In einer
politisch korrekten Sprachwelt dealen Rauschgifthändler. Politisch unkorrekt ist es
dagegen, die Hautfarbe oder Nationalität dazuzunennen. Allerdings: Auch wenn die
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Hautfarbe als unwichtig betrachtet wird, macht es die deutsche Sprache fast
unumgänglich, das Geschlecht kenntlich zu machen. Ein Rauschgifthändler ist keine
Rauschgifthändlerin. Während Frauen in anderen Berufen als Professorinnen,
Bundestagsabgeordnete, Ingenieurinnen und Unternehmensberaterinnen durchaus
sichtbar werden wollen, ist es politisch gerade noch korrekt, von einer Taschendiebin
zu sprechen, sofern eine konkret Frau dieser Tätigkeit nachgeht. Im Plural wird es
schwierig. Selten spricht ein Innenminister – gendergerecht – von der Gefahr, die von
Einbrecherinnen und Einbrechern oder von Salafistinnen und Salafisten ausgeht.
Obwohl man vom politisch Korrekten spricht, ist die Idee dahinter unpolitisch. Wenn
man vorurteilsbeladene Begriffe und Beschreibungen nicht mehr benutzt, hoffen die
Fürsprecher des politisch Korrekten, dass auf diese Weise auch die damit
verbundene Engstirnigkeit verschwindet. Dass sich also die Gefühlswelt eines
Menschen seiner Sprachwelt anpasst. Nette Idee – funktioniert aber nicht, sagt Lann
Hornscheidt. Und das habe seinen Grund.
Cut 10: Lann Hornscheidt
Dass diese Strukturen Sexismus, Rassismus und Diskriminierung oder Behinderung
so wirkmächtig sind, dass es ganz schnell passiert, dass die Diskriminierung auch
auf neue Begriffe übertragen wird. Das funktioniert kontinuierlich. Natürlich. Es gibt
nicht den guten Begriff. Das ist ein Schritt, der im Moment etwas irritiert, der wird
dann wieder vereinnahmt, der wird verändert und dann muss es wieder neue Formen
geben. Natürlich werden dann Sachen wieder vereinnahmt.
Sprecherin:
Vorurteile widerstehen allen Fakten und Tatsachen. Sprachwissenschaftler sprechen
auch von der Euphemismus-Tretmühle. Soll heißen: Wird ein vorurteilsbeladener
oder abwertend klingender Begriff wie beispielsweise
Sprecher:
Ausländer, Neger, Krüppel
Sprecherin:
… durch einen politisch korrekten ersetzt …
Sprecher:
Mensch mit Migrationshintergrund, Schwarzer, Behinderter
Sprecherin:
… ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch der neue Begriff eine entsprechenden
Beigeschmack erhält und die alten Intoleranzen mittransportiert. Der Ausdruck
„Mensch mit Migrationshintergrund“ beispielsweise klingt politisch korrekt, bezeichnet
im allgemeinen Sprachverständnis aber jemanden, dem man familiäre Wurzeln
südlich des Mittelmeeres bis ins Afrika südlich der Sahara hinein und östlich bis etwa
Afghanistan ansieht. Zuwanderer aus den USA, Großbritannien, Frankreich und
Skandinavien unterscheiden sich äußerlich kaum von ethnisch Deutschen. Dem
alltäglichen Sprachverständnis nach haben sie auch keinen Migrationshintergrund.
Denn solche Menschen migrieren nicht, sie ziehen um. Die Idee einer politisch
korrekten Sprache ist in den USA entstanden, sagt Jörg Kilian.
Cut 11: Jörg Kilian
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Political Correctness ist schon seit den 60er-Jahren ein politisch ideologischer
Begriff. [Aus den Civil Rights Movements ist dieser Begriff eben entstanden] in den
USA, das Wort gab es schon früher, aber der Begriff ist in den 60er-Jahren
entstanden, und das ist ideologisch derart aufgeladen, dass das kein linguistischer
Terminus ist. Es ist kein wissenschaftliches Instrument, kein Terminus, mit dem ich
etwas greifen kann.
Sprecher:
Der Begriff Political Correctness selbst geht auf einen Satz der US-amerikanischen
Schriftstellerin Toni Cade Bambara zurück. Ein Mann kann nicht gleichzeitig politisch
korrekt und ein männlicher Chauvinist sein, schrieb sie in ihrem Essay „Issues of
roles“, zu Deutsch etwa „Zum Problem der Geschlechterrollen“, den sie 1970 in der
Anthologie „A black woman – eine schwarze Frau“ publizierte. Die politisch korrekte
Sprachregelung entwickelt sich erst zehn Jahre später, Mitte der Achtzigerjahre.
Politisch sind die USA unter Präsident Ronald Reagan auf strammem Rechtskurs.
Die Linksliberalen haben sich in die Universitäten zurückgezogen und verteidigen
von dort aus die Welt gegen den Geist des Neoliberalismus. In dieser
Bunkermentalität gegen eine entfesselte Ökonomie, die unter Reagans Nachfolger
George Bush in zwei Irak- und einen Afghanistankrieg führt, entwickelt sich an den
Lehrstätten des Landes die Sprache zum Signal eines aufgeklärten,
emanzipatorischen Geistes.
Anders in Deutschland, in das Anfang der Neunzigerjahre das politisch Korrekte
herüberschwappt. Hier ist es keine Campus-Sprache, sondern eine der Öffentlichkeit,
sagt Thomas Niehr.
Cut 12: Thomas Niehr
Wir alle sprechen ja in verschiedenen Situationen ganz verschieden. – Am
Stammtisch ganz anders als von der Kanzel oder in der Schule – und öffentlicher
Sprachgebrauch ist eben die öffentliche Sphäre, in der vielfach Politisches
verhandelt wird – und da bedient man sich ja gerne eines politisch korrekten
Sprachgebrauchs – um deutlich zu machen, dass man nicht bestimmte Vorurteile
diesen Bevölkerungsgruppen gegenüber bestätigen will.
Sprecherin:
Political Correctness ist eine Vorgabe fürs öffentliches Reden. Beispielsweise wenn
Politiker und Wirtschaftsmanager Interviews und Statements geben, Lehrer vor ihren
Schulklassen referieren, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes im
Publikumsverkehr sprechen. Wenn irgendjemand zu Menschen redet, zu denen er
kein persönliches, privates Verhältnis hat. Das politisch Korrekte erstreckt sich heute
weit über gesprochene Worte hinaus. Es umfasst auch das Geschriebene und
Gezeigte, das öffentliche Verhalten. Was dabei als politisch korrekt empfunden wird,
ist oft eine reine Bauchentscheidung. Können Äußerungen, die nicht rassistisch
gemeint sind, trotzdem rassistisch sein?
Sprecher:
Am 15. November 2014 schrieb der Berliner Tagesspiegel, dass laut Polizeibericht
am Görlitzer Park mutmaßliche Drogendealer aus Guinea – also Afrikaner – eine
Anliegerkneipe verwüstet hätten.
Sprecherin:
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Sind Journalisten – oder Journalistinnen – die so etwas schreiben, Rassisten? Die
Entscheidung bleibt jedem selbst überlassen, sagt Jana Tereick. Aber:
Cut 13: Jana Tereick
Womit diese Menschen leben müsse ist, dass sie kritisiert werden. Und das ist
möglicherweise neu, dass also Leute sagen, ich finde diesen Ausdruck rassistisch,
mir wäre es recht, wenn man ihn nicht verwendet – oder vielleicht auch nur: Ich
persönlich verwende den nicht. Dass also Kritik geäußert wird.
Sprecher:
Nach Leserprotesten holte sich 2009 der Kinderbuchverlag Friedrich Oettinger von
Astrid Lindgrens Erben die Erlaubnis, in „Pippi Langstrumpf auf Taka-Tuka-Land“ die
Begriffe „Negerprinzessin“ durch „Südseeprinzessin“ und „Negersprache“ durch
„Taka-Tuka-Sprache“ zu ersetzen. Am 14. Dezember 2013 führte die Saalwette der
Fernsehshow „Wetten dass“ zu wütenden Protesten.
Cut 14: Atmo „Wetten dass“
Markus Lanz wettet, dass Augsburg es nicht schafft, 25 Paare als Jim Knopf und
Lukas der Lokomotivführer verkleidet hier auf die Bühne zu bringen. Jim sollte
natürlich schwarz geschminkt sein. Schuhcreme, Kohle, was auch immer. (Applaus,
Lachen)
Sprecher:
Was den Machern der Show offenbar nicht bewusst war: Dieses scheinbar so
harmlose Spiel ist politisch absolut unkorrekt: Denn in weniger aufgeklärten Zeiten
haben sich Weiße das Gesicht angemalt, um z.B. auf einer Bühne einen meist
minderbemittelten Schwarzen zu spielen. Deshalb ist dieses „Blackfacing“ historisch
belastet. Entsprechend empörten sich etliche Zuschauer: Rassismus sei das.
Sprecherin:
Die Macher der Show „Wetten dass“ entschuldigten sich nicht für ihre Jim-KnopfIdee. Andererseits durchforsteten auch andere Kinderbuchverlage als Friedrich
Oettinger ihre Klassiker nach verdächtigen Begriffen.
Eine Grauzone der Moral tut sich auf und die Frage bleibt: Wann fängt Rassismus
an?
Alexandra: „Zigeunerjunge“
Sprecher:
Bei Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf oder Jim Knopf? Oder bei Agatha Christies
Roman „Zehn kleine Negerlein“? Vergleichbare Probleme mit Fremdenfeindlichkeit,
Stichwort Sinti und Roma. Fängt Fremdenfeindlichkeit mir Wolfgang von Goethes
Drama „Goetz von Berlichingen“ an, fünfter Akt, sechster Aufzug: „Nacht, im wilden
Wald. Zigeunerlager.“ Mit Johann Strauss‘ Operette „Der Zigeunerbaron“ oder mit
einem Schlager von Alexandra, 1967.
Ein Zigeunerjunge, Zigeunerjunge, er spielte am Feuer Gitarre // und ich sah sein
Gesicht, aber er sah mich nicht // Zigeunerjunge, Zigeunerjunge, er spielte am Feuer
Gitarre // dann war das Feuer aus und ich lief schnell nach Haus.
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Sprecherin:
Niemand kann sagen, welche Bezeichnungen und Anreden derzeit zulässig oder
unzulässig sind. Im Gewirr aus Gefordertem, Verlangtem, Erlaubtem, Verbotenem
und Verschwiegenem behält man nur schwer den Überblick. Und niemand kann sich
sicher sein, wie man verstanden wird. Vielleicht verstört, verletzt, drangsaliert die
gewählte Bezeichnung trotz aller guten Absichten ja doch. Man steckt halt nicht drin
in seinem Gegenüber. Da stiehlt man sich gern aus der Verantwortung und möchte
die Betroffenen selbst entscheiden lassen, wie man sie nennen soll. Jörg Kilian:
Cut 15: Jörg Kilian
Wenn diejenigen Menschen, die sich durch eine Bezeichnung verletzt oder
diskriminiert fühlen, gegen diese Bezeichnung etwas vorbringen, dann verdient das
allen Respekt und die kritische Prüfung muss ergeben, ob und wie weit andere
Bezeichnungen funktional angemessener sind für diese Menschengruppe, um sie
nicht zu verletzen und zu diskriminieren. Also der Ausgangspunkt und der
Bewertungspunkt ist zu wählen von den Menschen, die benannt werden.
Sprecherin:
Nicht alle Diskriminierten können über ihre politisch korrekte Bezeichnung selbst
bestimmen. Für Flüchtlinge mit unzureichenden Deutschkenntnissen oder geistig
behinderte Menschen beispielweise sprechen Angehörige, Helfer, Verbände. Und
nicht alle Diskriminierten wollen sich politisch korrekt anreden lassen. In Deutschland
nennt sich kein Mensch selbst „mit Migrationshintergrund“.
[Sprecher:
Berlin, 7. Februar 2015. Auf dem ersten Bundeskongress des Vereins Neue
Deutsche Medienmacher fordern Deutsche, deren Eltern oder Großeltern nach
Deutschland eingewandert sind, nicht mehr als Menschen mit Migrationshintergrund
bezeichnet zu werden, sondern als das, was sie sind. Deutsche. Parallel zur
sprachlichen Integration fordern sie jedoch eine eigene Quote für Jobs in staatlichen
Unternehmen, Parlamenten, und verschiedenen Gremien, notfalls per Quote. Wie es
die Frauen vorgemacht haben.]
Sprecherin:
Heute ist die Moral des politisch Korrekten die schlagende Waffe zur Durchsetzung
wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ziele. Kein Wunder, dass immer
mehr Gruppen und Grüppchen damit ihre Probleme politisch korrekt gelöst haben
möchten. Beispiel: Transsexualität.
Sprecher:
Berlin, 2014. Ein Mensch, geboren als Mann mit weiblichem Körper, lebt als Mann
mit Kinderwunsch. Wird schwanger, bringt ein Kind zur Welt und will sich als Vater in
das Familienstammbuch eintragen lassen. Die Verwaltung ist anderer Ansicht. Das
Gericht entscheidet. Gebiert ein Mensch ein Kind, ist dieser Mensch per Definition
Mutter. Nicht Vater oder Väterin, wie manche gern sagen wollten. Der Mensch,
ergänzt Jana Tereick, wurde – politisch korrekt formuliert – frauisiert.
Cut 16: Jana Tereick
Zum Beispiel gibt es frauisiert, (lachen) also Personen, die frauisiert werden (lachen),
die also gesellschaftlich als Frau konstruiert werden. Das ist etwas, das im
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Zusammenhang von Trans-Identität, also von Transgender, Transsexualität
verwendet wird. Also dass jemand sagt: Ich werde frauisiert, ich begreife mich aber
nicht als Frau. So etwas zum Beispiel.
Sprecher:
Entsprechend reden Tierschützer, die unter anderem das Menschenrecht für Affen
verlangen, nicht von Mensch und Tier, sondern politisch korrekt von menschlichen
und nichtmenschlichen Tieren.
Cut 17: Jana Tereick
Oder eben eine Forderung, nicht Menschen und Tiere zu sagen, sondern Tiere –
pardon – Nichtmenschliche Tiere und menschliche Tiere oder so etwas.
Cut 18: Atmo Pegida-Demo
Halt die Fresse, Lügenpresse
Sprecherin:
Politische Korrektheit ist heute nicht mehr nur eine Frage des sprachlichen Gespürs.
Politische Korrektheit ist ihrerseits in manchen Kreisen zum Kampfbegriff gegen „die“
Presse, „die“ Medien und „die“ Politik insgesamt geworden. Ein Begriff, in dem
mitschwingt, dass man heute nicht alles sagen, die Dinge nicht beim Namen nennen
dürfe. Dass nicht offen über Ausländerkriminalität, Sozialbetrug oder muslimische
Parallelgesellschaften gesprochen werde.
Cut 19: Jana Tereick
Das ist, glaube ich, das Interessante, dass das eben immer von individuellen
Entscheidungen zunächst ausgeht, was aber gesellschaftlich wahrgenommen, dass
das von oben so festgelegt wird. Dieser Eindruck entsteht eben, wenn sich
Institutionen selbst verpflichten, eine bestimmte Sprachregelung zu verwenden.
Sprecherin:
Politisch korrekt, das ist der Mainstream, das Establishment, „die da oben“, die einen
„Tugendterror“ betreiben, wie der Bestseller-Autor Thilo Sarrazin unterstellt. In dieser
Sprache wird das richtige konsequent als falsch umdeklariert: Politisch korrekt wird
zum Schimpfwort, der Gutmensch soll als Schlecht-Mensch enttarnt werden. Kritiker,
oft vom rechtsnationalen politischen Spektrums, sprechen sogar von Zensur, sagt
Thomas Niehr.
Cut 20: Thomas Niehr
Der Begriff hat aber einen Wandel erfahren in der Bedeutung, und fast wird jetzt
schon das Gegenteil darunter verstanden nämlich so etwas wie eine Sprachzensur.
Denkverbote und ähnliches. Also dass uns sozusagen vorgeschrieben werden soll,
wie wir überhaupt noch sprechen dürfen, dass wir die Wahrheit gar nicht mehr beim
Namen nennen dürfen, dann ist der Begriff spätestens zu einem Kampfbegriff
geworden –
Cut 18: Atmo Pegida-Demo
Halt die Fresse, Lügenpresse
Sprecher:
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Im Januar 2015 bringt eine Organisation „Patriotische Europäer gegen die
Islamisierung des Abendlandes“, kurz Pegida, in Dresden 25.000 Menschen zu einer
islamfeindlichen Demonstration auf die Straße. Hauptorganisator ist Lutz Bachmann,
vorbestraft wegen Körperverletzung, Einbruch, Diebstahl, mit einer laufenden Klage
wegen nicht gezahltem Unterhalt für seinen Sohn. In einem Eintrag auf Facebook soll
er mit Bezug zu ausländischen Menschen gegen Viehzeug, Gelumpe und
Dreckszeug gewettert haben.
Cut 18: Atmo Pegida-Demo
Halt die Fresse, Lügenpresse
Sprecherin:
Der öffentliche Verstoß gegen das politisch Korrekte suggeriert Ehrlichkeit, Offenheit,
Authentizität, sagt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität
Tübingen mit Blick auf Akteure wie Thilo Sarrazin oder auch den ehemaligen
Spiegel-Redakteur Michael Matussek, der mit Äußerungen wie „Ich bin wohl
homophob und das ist gut so“ die Rolle des unbequemen erzkonservativen
Querdenkers gibt, dessen Botschaften von den Medien tabuisiert würden.
Cut 21: Bernhard Poerksen
Man will ein anderes Gesellschaftsmodell, Aber man streitet nicht direkt. Sondern an
sagt: es sind die bösen Massenmedien, dass meine unglaublichen Thesen, meine
wertvollen Einlassungen hier nicht durchkommen. Man wählt die Position des
Beleidigten und benutzt gleichsam die aktuelle Medienverdrossenheit, um die eigene
Erfolglosigkeit bei einem bestimmten Teil des Publikums zu erklären.
Sprecherin:
Ähnlich sieht es der Medienjournalist Stefan Niggemeier:
Cut 22: Stefan Niggemeier
Auch die anderen Leute, die das permanent behaupten, dass man irgendwelche
Dinge nicht sagen darf. Also diese Positionen darf man sagen, die stoßen aber
natürlich auf Widerspruch, und zwar zu Recht. Teilweise hat man das Gefühl, als ob
diese Diskussion so geführt werden muss, als ob das alles unwidersprochen
hingenommen werden, als müssten die Matusseks und Sarrazins dieser Welt Dinge
sagen können und wir müssten alle schweigen.
Sprecherin:
Den Anhängern des politisch Unkorrekten scheint egal zu sein, was man ihnen als
vermeintliche Sachlage darstellt. Ausländer- und Frauenfeindlichkeit, Rassismus.
Hauptsache authentisch, Hauptsache politisch unkorrekt. Und was taugt das politisch
Korrekte? Was nutzt der Versuch, in Worten, Verhalten und sogar in der
Gesetzgebung moralische Standards zu setzen und einzuhalten? Ungeachtet der
Tatsache, dass die Sprache des politisch Korrekten früher oder später überkommene
Vorurteile in sich aufnimmt, ist Jana Tereick optimistisch:
Cut 23: Jana Tereick
Aber es gibt durchaus einige Hinweise, dass sich durch Sprache das Denken
verändern lässt. Dass eben über so ein Wort wie jemand wird illegalisiert, jemand
wird frauisiert, ein Denkprozess oder ein Bewusstsein dafür geschaffen werden kann,
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dass es sich hier eben um etwas gesellschaftlich Gemachtes handelt. Und nicht um
etwas handelt, was irgendwie eine absolute Wahrheit oder Wirklichkeit ist.
Sprecherin:
Politische Korrektheit kann sogar die Kreativität beflügeln. Zu diesem
bemerkenswerten Ergebnis kam eine Studie des US-Verhaltensökonomen Jack
Goncalo von der Cornell University New York. Goncalo stellte gemischtgeschlechtliche Arbeitsgruppen zusammen und ließ sie in einem Brainstorming
Geschäftsideen entwickeln. Manche Gruppen wies er dabei vorher an, bei ihrer
Sprache strikt auf politische Korrektheit zu achten, also beispielsweise immer beide
Geschlechter zu nennen und andere einschlägigen Sprachregelungen zu beachten.
Die anderen Gruppen bekamen nur den vagen Hinweis, höflich miteinander
umzugehen. Das Ergebnis: Die auf politische Korrektheit getrimmten Gruppen waren
kreativer und präsentierten die innovativen Ideen. Die Forscher führen das darauf
zurück, dass mit den klaren Sprachregeln auch die Unsicherheiten im gegenseitigen
Umgang – insbesondere gegenüber dem anderen Geschlecht verschwänden. Das
würde bedeuten: Die politische Korrektheit schränkt das Denken nicht etwa ein – sie
befreit es.
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