Editorial Chemie Ingenieur Technik 2005, 77, No. 11 Prozessintensivierung: Worthülse oder Zukunftskonzept? von Dr. Otto Machhammer, BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen Liebe Leser, was ist eigentlich Prozessintensivierung (PI)? Alle reden davon, viele wollen sie haben, aber jeder hat seine eigene Definition. Eine allgemein akzeptierte existiert (noch) nicht. Das Interesse an PI ist jedenfalls sehr groû. So groû, dass erst kürzlich die drei Gesellschaften DECHEMA, VDI-GVC und GVT eine neue Fachsektion gegründet haben. Auch die groûe Anzahl der Beiträge in diesem Heft unterstreicht das Interesse. Die Breite der Inhalte zeigt jedoch auch, wie vielschichtig dieses Thema ist. Was unterscheidet nun die PI von Prozessoptimierung oder Prozessintegration? Ist die simultane Überlagerung eines Prozesses durch einen zweiten, mit dem Ziel, eine Umsatzerhöhung durch Gleichgewichtsverschiebung zu erzielen, schon PI oder nur Prozessintegration? Oder bedarf es zusätzlich des intensivierenden Effektes kurzer Transportwege, um von PI sprechen zu können. Ist die Prozessintegration eine notwendige, aber vielleicht nicht immer ausreichende Voraussetzung, um eine PI zu erreichen? Ist der Grad der Verbesserung ausschlaggebend dafür, ob es sich um eine integrierende oder eine intensivierende Maûnahme handelt? Ist also die marginale Verbesserung der Ausbeute schon PI oder muss die Verbesserung im zweistelligen Prozentbereich liegen? Ist die PI auf chemische, physikalische, verfahrenstechnische Prozesse beschränkt, oder sind kommunikative, organisatorische oder gar administrative Themen mit einzubeziehen? Ist also die Erhöhung von Raum-Zeit-Ausbeuten das alleinige Ziel oder steht das betriebswirtschaftliche Ergebnis, ausgedrückt in Herstellkosten, Return of Investment und ¾hnlichem, im Vordergrund? Ist es das Ziel der PI, uns gegenüber anderen Volkswirtschaften konkurrenzfähig zu halten, oder ist es gar Ziel, die Rohstoffressourcen möglichst effektiv zu nutzen und damit nachhaltig für die Welt zu schonen? Je nachdem, wie weit das Ziel gesteckt wird, werden die prozessintensivierenden Maûnahmen unterschiedlich sein. Soll nur der Reaktor möglichst klein werden, kann die Lösung ein Mikroreaktor sein. Bestimmen betriebswirtschaftliche Kennzahlen das Ziel, müssen das Gesamtverfahren bzw. die Gesamtsituation betrachtet werden, einschlieûlich der benötigten Rohstoffe, Energieflüsse, Personalbedarf und logistischen Gesichtspunkte. Im zweiten Fall ist das Problem anders definiert ± und Interdisziplinarität ist eine Voraussetzung für die Zielerreichung. Um PI zu definieren, gibt es also mindestens drei Ebenen, auf denen sie sich abgrenzen muss. Folgende Fragen sind zu klären: . Welche zusätzlichen Handlungsoptionen eröffnet die PI, die nicht schon aus den Nachbardisziplinen bekannt sind? . Wie groû muss der Grad der Verbesserung für PI sein? . Worin unterscheidet sich das Ziel der PI von den Zielen der benachbarten Disziplinen? Auf der Gründungssitzung der Fachsektion ¹Prozessintensivierungª wurden diese Fragen sehr engagiert andiskutiert: Groûer Konsens herrschte z. B. darüber, dass PI eine gesamtheitliche Betrachtung benötigt, die Interdisziplinarität einbezieht. Der Konsens darüber, ob PI durch Evolution zu erreichen ist oder die Revolution benötigt, war schon deutlich geringer. Gefallen hat mir persönlich sehr gut die Vorstellung, dass bei der PI der Weg das Ziel ist. Ich verstehe darunter, dass nicht das Denken in Apparaten im Vordergrund steht, sondern das Denken in Funktionen. Wichtig dabei ist, dass die limitierenden Einflüsse identifiziert werden. Die Lösung zur 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Bei der Prozessintensivierung steht nicht das Denken in Apparaten im Vordergrund, sondern das Denken in Funktionen! Beseitigung derselben richtet sich dann nach dem Gesamtoptimum. Wichtig mag beispielsweise die Erkenntnis sein, dass eine bestimmte Reaktion gefahrlos im Ex-Bereich betrieben werden kann, wenn das Reaktionsvolumen in hinreichend viele kleine Teilvolumina unterteilt wird. Der tatsächlich eingesetzte Apparatetyp hängt dann von der Gesamtbetrachtung ab. Die bewusste Auseinandersetzung mit prozessintensivierenden Effekten, gepaart mit einer gesamtheitlichen Betrachtung und einer interdisziplinären Zusammenarbeit eröffnet die Chance, einen Zustand nicht nur möglichst exakt beschreiben zu können und intelligente technische Lösungen zu entwickeln, sondern auch neue gewinnbringende und ressourcenschonende Problemlösungen zu entwickeln. www.cit-journal.de 1635
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