In eigener Sache Liebe Leser, mit der ersten Ausgabe des Jahres 2016 starten die Berliner Kirchenzei tung „Die Kirche“, die Evangelische Zeitung sowie die Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung ei nen gemeinsamen Glaubenskurs zur Reformation. Wir möchten Sie sowie die Gemeinden und kirchlichen Ein richtungen einladen, sich mit die sem Kurs auf das Reformationsjubi läum 2017 einzustimmen. Ein Jahr lang wird jede Woche auf dieser Seite 3 jeweils ein wichtiges Thema der Reformation für die Ge staltung von Glaubenskursen aufbe reitet werden. Den Kurs entwickelt haben die Kolleginnen in der Berliner Redaktion gemeinsam mit Professor Wolf Krötke, Berlin. Wir sind gespannt auf Ihre Reaktion. Die Chefredaktionen der EZ und MPKiZ Julika Meinert, Tilman Baier, Michael Eberstein 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 3. Januar 2016 | Nr. 1 NK Der Glaubenskurs Reformation ab dem 3. Januar 2016 56 Wochen in jeder Ausgabe . Allein durch Glaube. Allein durch Gnade. Was wir im Jahr 2017 feiern Die Kirchenzeitungen in Norddeutschland starten einen einjährigen Glaubenskurs „Reformation“ – machen Sie mit! „Evangelisch, das sind die ohne Papst, aber mit Frauen“, diese sympathisch verkürzte, aber doch zutreffende Auskunft geben die Passanten auf der Straße. Denen sollen wir laut Luther „aufs Maul schauen“, um in ihrer Sprache ausdrücken zu können, was Gott uns im Evangelium sagt. Und damit die frohe Botschaft von der Menschenliebe Gottes überall laut wird. „Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei“, so Luther. Sich dieser Verantwortung zu stellen und selber zu denken war seither angesagt. Eine ständige Erneuerung, eine andauernde Re-Formation wurde trotz aller Irrwege Programm. Der Glaubenskurs Reformation, der mit dieser Ausgabe startet und bis Januar 2017 läuft, und dessen Schirmherrin die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann ist, will seine Leser ins Gespräch ziehen, die protestantischen Wurzeln aufdecken, E rkenntnisse vertiefen – schlicht schlau machen. Von Sibylle Sterzik und Wolf Krötke Was feiern wir eigentlich 2017? Was bedeutet das Ereignis Reformation, in dessen Folge reformatorische Kirchen entstanden, damals und für uns heute? In 56 Folgen wird unser Kurs dem aus verschiedenen Perspektiven nachgehen. Theologen und Historiker aus der akademischen Welt werden ihre Forschungen präsentieren, Pastoren ihre Erfahrungen mit dem reformatorischen Glauben einbringen. Journalisten und Publizisten werden darauf den Finger legen, wie reformatorische Positionen heute im öffentlichen Diskurs zu behaupten sind. Die Schirmherrin des Glaubenskurses ist die Reformationsbotschafterin der EKD, Margot Käßmann. Sie schreibt in ihrem Geleitwort: „Luthers reformatorische Entdeckung war gewiss kein plötzlicher Durchbruch, sondern entstand über Jahre in einem Prozess des theologischen Erkennens Martin Luther: Skulptur mit Bibel und Bannbrief. Foto: epd und der Auseinandersetzung mit kirchlicher Realität und biblischen Texten.“ Ein Programm – nicht nur für das 16. Jahrhundert. Sich selbst ein Urteil bilden Die Evangelische Kirche in Deutschland und auch die Landeskirchen bereiten sich schon seit Jahren auf das Gedenkjahr „500 Jahre Reformation“ vor. Seit 2007 sollen „Reformationsdekaden“ Kirche und Gesellschaft mit Hauptthemen der Reformation vertraut machen. „Reformationsbeauftragte“ sind fleißig am Werke. Die his- torische und theologische Wissenschaft wartet mit großen ForDas Luther-Zitat schungsprogrammen auf und wirft Martin Luther über seine reforein Buch nach dem anderen auf den matorische Entdeckung Markt. Ausstellungen werden organiZum ersten bitt’ ich, man wollt siert, die Gedenkstätten werden aufgemeines Namens geschweigen möbelt. Der Souvenirverkauf kommt und sich nicht lutherisch, son auf Touren und vieles mehr. An dern Christen heißen. Was ist Informationen, was die ReformatiLuther? Ist doch die Lehre nicht on war, mangelt es also wahrlich mein. So bin ich auch für nie nicht – und auch nicht an Deutunmand gekreuzigt. [...] gen dessen, was sie uns heute Wie käme denn ich armer stin bedeuten könnte. kender Madensack dazu, dass Dieser Glaubenskurs möchte man die Kinder Christi sollt’ mit inmitten von alledem Gemeinmeinem heillosen Namen nen den ermutigen, sich selber gezielt nen? Nicht also, liebe Freunde, über die Reformation ein Urteil zu lasst uns tilgen die parteiischen bilden und dazu Menschen einzulaNamen und Christen heißen, den, die verstehen wollen, warum diedes Lehre wir haben” (Eine treue ses Ereignis vor 500 Jahren heute für Vermahnung Martin Luthers zu uns wichtig bleibt. allen Christen, sich zu hüten vor Wir würden uns auch sehr freuen, Aufruhr und Empörung, 1522). wenn ökumenische Kurse zusammenkämen. Denn bei allem, was bis heute an der Reformation positiv bedeutsam bleibt, hatte sie auch erheb- welche die Welt von damals mit Ausliche Schattenseiten. Zu ihnen gehört wirkungen bis heute radikal verändernicht zuletzt die Spaltung der Kirche te – und das nicht nur im Geiste des Jesu Christi in Europa, die dann auch reformatorischen Bekenntnisses zum die „neue Welt“ in Amerika geprägt Gott, der jeden Menschen liebt. Hinzu kommt, dass die Trennung hat. Die Verständigung mit den Christen unserer römisch-katholi- der evangelischen Bewegung von der schen Schwesterkirche zu suchen, römisch-katholischen Kirche ihrerseits sollte deshalb eigentlich eine Selbst- Spaltungen dieser Bewegung nach sich verständlichkeit sein. zog. Die Erneuerung der einen Kirche SelbstverständJesu Christi hat lich ist heute auch, nicht stattgefunSie werden ohne Verdienst den. Stattdessen das Ereignis der Regerecht aus seiner Gnade formation nicht zerfiel die refordurch die Erlösung, die matorische Bebloß auf die Person und das Werk Marwegung in eine durch Jesus Christus tin Luthers zu reduMehrzahl von geschehen ist. zieren. Das Datum KonfessionskirRömerbrief 3, 24 chen, die jeweils des Reformationsjubiläums am 31. (Grundlage reformatorischer Lehre) auf ihre Weise die Erneuerung der Oktober – dem Tag des Anheftens der Kirche aus dem 95 Thesen über den „Ablass“ durch Geiste des Evangeliums anstrebten. Luther an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg – verführt dazu. Die Konzentration der geplanten Festlichkeiten auf Wittenberg tut ein Übriges. Das hat auch sein Recht. Die Bedeutung Martin Luthers für die Erneuerung der Kirche im Geiste des Die Impulse, die damals von der Schweizer Reformation in Zürich Evangeliums ist ganz unbestreitbar. Wir müssen heute aber auch und Genf ausgingen, sind heute nüchtern sehen, dass sich Luthers weltweit in den reformierten KirWirken einer ganzen Reihe von chen etwa in den USA wirksam. Die Reformb estrebungen innerhalb der Leuenberger Konkordie von 1976 damaligen römisch-katholischen Kir- hat nach viel zu langer Zeit – Gott che zuordnen lässt, an die wir heute sei Dank – die Basis dafür bereitet, anknüpfen können. Wir müssen dass die meisten dieser Kirchen sich auch ernst nehmen, wie stark politi- zur „Kirchengemeinschaft in versche und wirtschaftliche Interessen söhnter Verschiedenheit“ bekennen damals dafür gesorgt haben, dass die können. Für diesen Glaubenskurs Reformation zu einer Kraft erstarkte, bedeutet das: Reformation war nicht nur Luther Er muss sich um eine Vermittlung all der Impulse bemühen, die von der Reformation der Kirche im 16. Jahrhundert, welche nicht bloß in Wittenberg stattfand, ausgingen. Wir haben darum einerseits Wissenschaftler gebeten, ein Thema in seiner Zeit zu beleuchten, aber auch zu sagen, worin die Bedeutung dieser Erkenntnisse für uns heute liegt. Andererseits werden Theologen, aber auch Nichttheologen zu Worte kommen, welche reformatorisches Christsein im Spiegel ihrer Erfahrungen darstellen. Der Glaubenskurs wird acht Kapitel haben: 1) Martin Luther: Sein Weg zum Reformator 2) Die Entfaltung der reformatorischen Lehre 3) Auseinandersetzungen 4) Menschen um Luther 5) Die Ausbreitung der Reformation 6) Die hellen Seiten der Reformation 7) Die dunklen Seiten der Reformation 8) Offener Ausgang MACHEN SIE MIT! Gemeinden laden wir ein, sich am Glaubenskurs Reformation zu beteili gen. Starten Sie eigene Gesprächs kreise oder Glaubenskurse. Mit den wöchentlichen Artikeln steht dafür eine Fundgrube an Material zur Ver fügung. Damit Sie das Material gleich verwenden können, enthält jeder Ar tikel ein Lutherzitat, Fragen und Ma terial zum Einstieg sowie weiter führende Literatur. Sie können auch mitdiskutieren. Wir haben dafür die E-Mail-Adresse [email protected] eingerich tet und veröffentlichen Ihre Beiträge auf den Internetseiten www.evangeli sche-zeitung.de und www.kirchenzei tung-mv.de. Geplant ist darüber hin aus, den ganzen Kurs 2017 in einem Magazin gesammelt zu dokumentie ren. Es ist möglich, die jeweilige Kirchen zeitungsausgabe für Hamburg, Han nover, Mecklenburg-Vorpommern, Oldenburg oder Schleswig-Holstein für die Dauer des Kurses zu bestellen. Für Sammelbestellungen ab fünf Ex emplaren gewähren wir 25 Prozent Rabatt. Vertrieb MPKiZ: Tel. 0385 / 30 20 80 Vertieb EZ: Tel. 0431 / 55 77 92 71 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 10. Januar 2016 | Nr. 2 NK Zurück zu den Quellen Was die Reformatoren ändern wollten – und was daraus geworden ist ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen: Was feiern wir 2017? Luthers Reformprogramm; Kirche und Obrigkeit; Das ist mein Leib; Bischöfe und Fürsten; Die Spaltung der einen Kirche in Europa; Der Augsburger Religionsfriede; Viermal solus. Bibeltexte: Epheserbrief 4, 4.5 Literatur: – Wissenschaftlicher Beirat: Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017 (www.luther2017.de). – Dorothea Wendebourg, Vergangene Reformationsjubiläen. Ein Rückblick im Vorfeld von 2017. In: Heinz Schilling (Hg.), Der Reformator Martin Luther 2017. Berlin-Boston 2014, S. 261–281. Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden Teil 1 Martin Luther: Sein Weg zum Reformator FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1) Typisch westlich – was verbinden Sie damit? 2) Wie empfinden Sie es, dass die christliche Kirche in mehreren Konfessionen existiert? 3) Pluralität – was schätzen Sie daran? Zugänge zum Thema: – Besuch bei einer anderen Konfession: bei einer katholischen, evangelisch-lutherischen, reformierten und freikirchlichen Nachbargemeinde oder Einladung von deren Vertretern „Typisch westlich“ heißt es oft, mal abfällig kritisch, mal anerkennend positiv. Aber was ist damit gemeint und was hat das mit Reformation, Religion und unserer Kultur zu tun? Sehr viel. Denn im 16. Jahrhundert nahm e twas seinen Lauf, w odurch die eine westliche K irche zu vielen Konfessionen wurde. Und die Gesellschaft den Weg in die Moderne – in Richtung Pluralität antrat. Von Dorothea Wendebourg 500 Jahre Reformation – ein großes Jubiläum, das viele feiern wollen. Offensichtlich steht das Ereignis „Reformation“ für unterschiedliche Erbschaften, die von verschiedenen Gruppen der Gesellschaft für jubiläumswürdig erachtet werden. Da wird hierzulande und weltweit zum einen der kulturell-politischen Wirkungen der Reformation gedacht, die sich in weiten Teilen Mittel-WestEuropas niederschlugen. Einzelthemen wie das Bildungswesen, das Sozialwesen, die Musik kommen zur Sprache. Vor allem aber geht es um die Gestalt der Gesellschaft. Denn sie geriet durch die Reformation auf den Weg, den wir heute als typisch westlich bezeichnen. Es ist der Weg tiefgreifender religiös-kultureller Differenzierung, ja, Pluralität und eines unparteiisch-friedlichen Umgangs damit. Martin Luther hatte festgestellt: „Ketzerverbrennung ist wider den Heiligen Geist“ – einer der Gründe für seine Exkommunikation. Und er forderte, die Verbreitung häretischer (ketzerischer) Lehren nicht mit Macht zu unterbinden. Damit hatte er das mittelalterliche corpus Christianum infrage gestellt – die eine von staatlicher und kirchlicher Obrigkeit zusammengehaltene rechtgläubig-christliche Gesellschaft. Freilich hielten der ältere Luther ebenso wie Zwingli und Calvin sich gegenüber Gruppen, die in ihren Wie frisches Wasser sollte sich die unverfälschte Botschaft des Evangeliums wieder ergießen. Augen noch schlimmer waren als Häretiker, nicht an jene Forderung. Etwa gegenüber Täufern, christlichen Trinitätsbestreitern und Juden. Und die Einrichtung des landesherrlichen oder stadtherrlichen Kirchenregiments, das heißt die Übertragung eines „Notbischofsamtes“ zur Regelung kirchlicher Belange auf die politische Obrigkeit. Wie unvermeidlich das unter den gegebenen Umständen auch war, es stand in deutlicher Spannung zu jener Forderung. So mussten die ursprünglichen Einsichten des Wittenberger Reformators den evangelischen Kirchen erst wieder durch Pietisten und Aufklärer vorgehalten werden, die auf der Freiheit der Verkündigung von politischer Einflussnahme bestanden. Teilweises Scheitern des ursprünglichen Projekts Pluralitätsfördernd aber war nicht zuletzt ein Prozess, den die Reformation auslöste, doch nicht beabsichtigte. Er markierte ihr partielles Scheitern: das Auseinandertreten der westlichen Christenheit in mehrere Konfessionen (römisch-katholisch und evangelisch). Da es nicht gelang, sie als Ganze für die Das Reformations-Zitat Das Augsburger Bekenntnis von 1530, Artikel 7, „Von der Kirche“: Dieses Bekenntnis wurde 1530 dem Kaiser Karl V. in Augsburg von Luthers Freund und Mitstreiter Philip Melanchthon (1497–1560) überreicht. „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, dass überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden, wie Paulus sagt: ‚Ein Leib und ein Geist, wie ihr berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Epheser 4,4.5).“ Evangelisches Gesangbuch, Seite 808 Reformation zu gewinnen, ja, Teile der Kirche sich mit Macht und beträchtlichem Erfolg gegen die Reformation wandten, standen einander fortan mehrere kirchliche Institutionen gegenüber. Das galt umso mehr, als sich unter den Anhängern der Reformation selbst noch unterschiedliche Konfessionen bildeten (lutherische und reformierte, diese ihrerseits in mehreren Spielarten). Wo sich das konfessionelle Nebeneinander nicht durch militärische Gewalt beseitigen ließ, sondern daraus ein Zustand auf Dauer wurde, besonders im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, aber auch in den Niederlanden und in England, musste man lernen, damit umzugehen. Ohne die Überzeugung aufzugeben, dass das eigene Bekenntnis und die eigene Form der Kirche die angemessene sei, entwickelten Protestanten und Katholiken, aber auch die Vertreter unterschiedlicher Konfessionen in den anderen genannten Ländern rechtliche und politische Strukturen, die ihnen ein ungefährdetes, friedliches Nebeneinander erlaubten. Im Rückgriff auf Einsichten der Reformation und auf philosophische Traditionen konnte sich daraus in Pietismus und Aufklärung ein Geist konfessioneller Toleranz entwickeln – ein Geist, der sich auch auf andere, nichtchristliche Gruppen erstrecken sollte. Freilich war es ein mühsamer Weg, daraus gesellschaftliche Realität zu machen. Gleichwohl wurde akzeptierte weltanschauliche Pluralität zum Charakteristikum ganz Mittel-WestEuropas und der sich an ihm orientierenden Welt. Für den durch die Reformation gegangenen Teil der Christenheit gibt es noch einen wichtigeren Grund, das Jubiläum zu feiern: den Rückruf zum Evangelium, den die Reformation gebracht hat, und die Reform der Kirche, die daraus für einen Teil Mittel-WestEuropas folgte. Gewiss hat es Reformbemühungen und Reformen in der Foto: piabay Kirche schon vorher gegeben. Das Mittelalter ist durchzogen davon. Und der Humanismus mit seiner Losung „Zurück zu den Quellen!“ zeigt viele Ähnlichkeiten mit der Reformation. Reformation war mehr als nur eine Reform Dennoch weist die Reformation, die wir im Deutschen nicht umsonst auch sprachlich von „Reform“ unterscheiden, neue, eigene Züge auf. Von ihnen sollen hier nur die wichtigsten genannt werden: Die Botschaft, dass die in Jesus Christus gegebene Gnade Gottes „allein im Glauben“ empfangen wird (sola fide); dass das Evangelium von dieser Gnade „allein in der Heiligen Schrift“ gefunden wird und sich aus ihr selbst ergibt (sola scriptura); dass alle dem Evangelium von Christus Glaubenden gleichermaßen unmittelbar vor Gott stehen und so auch gleichermaßen zur Weitergabe des Evangeliums befähigt wie verpflichtet sind („allgemeines Priestertum“). Mit diesen reformatorischen Grundwahrheiten, die man teilte, auch wenn es an anderen Punkten, wie der Abendmahlslehre, trennende Differenzen gab, war nicht nur die Infragestellung bestimmter Lehrinhalte und Strukturen der Kirche jener Zeit gegeben. Damit war die Institution Kirche selbst in ihrer heilsvermittelnden Rolle grundlegend relativiert. Sie wurde zur „Gemeinschaft der Glaubenden“ (congregatio fidelium), die aus dem in mündlicher Verkündigung und zeichenhaftem Sakrament empfangenen Wort Gottes lebt und dieses weitergibt. Das heißt nicht, die Reformatoren seien der Meinung gewesen, dass die Kirche keine institutionellen Strukturen wie das an die Ordination gebundene Amt, Bekenntnis oder Liturgie aufweise. Doch für sie und den ihnen folgenden Teil der Christenheit waren dies alles Elemente, die von den Glaubenden selbst nach Maßgabe der Heiligen Schrift im Dienst ihrer Gemeinschaft und im Blick auf ihre Aufgaben entwickelt oder weiterent wickelt oder auch korrigiert werden müssen. Dabei war im Einzelnen unter den Reformatoren und reformatorischen Traditionen das Maß möglicher Flexibilität etwa in Fragen des Amtes oder des Bekenntnisses unterschiedlich. So bildeten sich neue kirchliche Strukturen heraus, die in vielen Punkten voneinander abwichen, sowohl zwischen lutherischen und reformierten Kirchen als auch innerhalb dieser Gruppen. Doch galten diese Differenzen nicht als Hindernis, einander als Kirche Jesu Christi anzuerkennen und Gemeinschaft zu halten. Die Gründe für die jahrhundertelange Trennung unter den reformatorischen Kirchen lagen in Unterschieden, die zentrale Lehrpunkte betrafen, besonders eben das Abendmahl. Sie mussten behoben werden, wenn man die Trennung überwinden wollte. Darüber hinausgehende Angleichungen der Kirchenstruktur oder gar Vereinigungen waren nicht erforderlich. Diese Grundüberzeugung fand ihre klassische Formulierung im siebten Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses: „Denn das genügt zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche, dass einträchtig im reinen Verständnis des Evangeliums gepredigt wird und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden.“ In dieser Konzentration auf die evangeliumsgemäße Predigt, deren Kern die Botschaft vom Empfang der Gnade Christi „allein im Glauben“ ist, und auf die schriftgemäße Verwaltung der Sakramente liegt das Programm, das die Gesamtheit der reformatorischen Christenheit eint. Nicht zufällig bildete jener Bekenntnissatz vor gut vier Jahrzehnten die Grundlage für die Erklärung der Kirchengemeinschaft zwischen lutherischen und reformierten Kirchen (Leuenberger Konkordie). So macht jenes Programm das Jubiläum von 2017 zu einem Fest für alle Kirchen, die sich auf die Reformation berufen. Zugleich signalisiert es eine ökumenische Offenheit, die es erlaubt, mit Zuversicht auch auf die übrige Christenheit zu blicken. Haben Sie Fragen oder möchten Ihre Meinung zu diesem Thema mitteilen? Schreiben Sie uns eine E-Mail an [email protected]. Ihre Beiträge veröffentlichen wir auf den Internetseiten www.evangelische-zeitung. de und www.kirchenzeitung-mv.de. Dorothea Wendebourg ist Professorin für Kirchengeschichte an der HumboldtUniversität zu Berlin. Foto: promo Sonntag, 17. Januar 2016 | Nr. 3 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Luther und seine Familie Wie jeder Mensch wird auch der junge Martin durch seine Kindheit tief geprägt ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Der Mann in der Mönchskutte, Das Evangelium im Turm wiederentdeckt, Luther widersteht, Arbeit und Beruf, Die Wut der Theologen Bibeltexte: 2. Mose 20,12 5. Mose 5,16 Literatur: – Heiko A. Oberman, Luther – Mensch zwischen Gott und Teufel. Serverin und Siedler, Berlin 1982. – Erik H. Erikson, Der junge Mann Luther. Eine psychoanalytische und historische Studie. Suhrkamp, Berlin 1994. – Heinz Schilling, Martin Luther, Rebell in einer Zeit des Umbruchs C.H.Beck, München 2014. Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden Teil 1 Martin Luther: Sein Weg zum Reformator FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. In welcher Beziehung stehen Ihr Gottesbild und Ihre Erfahrung mit den eigenen Eltern? 2. Luther hat seine Kinder nie geschlagen, obwohl er körperliche Züchtigung nicht abgelehnt hat. War das eine Lehre aus seiner eigenen Kindheit? 3. Sein Temperament und seine Streitlust hat Luther auf seine Erziehung zurückgeführt. Kennen Sie selbst Prägungen aus ihrer eigenen Kindheit? Zugänge zum Thema: – Karikaturen oder Fotos von E ltern mit ihren Kindern auswählen – Was zeigen sie über den Erziehungsstil? – Über eigene Erlebnisse mit Eltern und mögliche Folgen für das Gottesbild sprechen. Die strenge Erziehung habe ihn ins Kloster getrieben – diese Bemerkung Luthers hat dazu geführt, seine Entdeckung des gnädigen Gottes als Bewältigen eines Kindheitstraumas zu bewältigen. Ein Kurzschluss, wie der Blick auf die wahren Verhältnisse in Luthers Familie zeigt. Der Bauernenkel und Unternehmersohn hatte eine vergleichsweise behütete Kindheit und Jugend. Von Ralph Ludwig Ein Vater mit unberechenbaren Wutausbrüchen, vor dem sich das Kind in ein Versteck flüchtet, eine Mutter, die den kleinen Jungen wegen einer genaschten Nuss bis aufs Blut schlägt – das kann keine Elternliebe sein. Erinnerte Luther sich nicht selbst in späteren Jahren vor seinen Gästen an die Armut, die zu Hause herrschte? Die Strenge, die Schläge und die Armut haben das Bild von Luthers Familie lange geprägt. „Mein Vater ist in seiner Jugend ein armer Häuer gewesen. Die Mutter hat all ihr Holz auf dem Rücken heimgetragen. So haben sie uns erzogen. Sie haben harte Müh- Porträts von Hans und Margarethe Luder. Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren, 1527. sal ausgestanden, wie sie die Welt heute nicht mehr ertragen wollte.“ (Tischreden, Januar 1533) Die Erinnerung des erwachsenen Mannes ist lückenhaft und darum einseitig. Die historische Forschung hat die Lücken gefüllt. Es ist richtig, dass Hans Luder (so schrieb Luther sich zunächst auch, bis er sich in „Luther“ umbenannte, nach dem griechischen Wort „eleutherius“ – der Befreite), als der älteste Sohn Martin am 10. November 1483 zur Welt kam, nicht reich war. Der Sohn aus einem wohlhabenden freien Bauerngeschlecht hatte sich, da er den Hof nicht erben konnte, als freier Unternehmer im Kupferbergbau selbstständig gemacht, war nach Mansfeld gezogen, da dort die Chancen, Kupfer abzubauen und zu vermarkten, besser schienen. Seine Frau Margarethe, geborene Lindemann, stammte aus einem geachteten Bürgerhaus in Eisenach, das durchaus Vermögen besaß und das wohl – neben einem kleinen Erbe aus der Bauernfamilie des V aters Hans Luder – einige Gulden und vor allem Kreditwürdigkeit zur Selbstständigkeit des Schwiegersohns beigetragen hatte. Gewiss, es ging nicht üppig zu in der Familie Luder. Wie viele Geschwister am Tisch saßen, ist nicht mehr genau festzustellen. Vermut- Das Luther-Zitat Martin Luther über seine Eltern Mein Vater ist in seiner Jugend ein armer Häuer gewesen. Die Mutter hat all ihr Holz auf dem Rücken heimgetragen. So haben sie uns erzogen. Sie haben harte Mühsal ausgestanden, wie sie die Welt heute nicht mehr ertragen wollte. (Tischreden, Januar 1533) Meine Eltern haben mich in strengster Ordnung gehalten, bis zur Verschüchterung. Meine Mutter stäupte mich um einer einzigen Nuss willen, bis Blut floss. Und durch diese harte Zucht trieben sie mich schließlich ins Kloster; obwohl sie es herzlich gut meinten, wurde ich dadurch nur verschüchtert. (Tischreden, März/Mai 1537) Heute hat mir Hans Reinicke geschrieben, dass mein liebster Vater … aus diesem Leben geschieden ist. Dieser Tod hat mich in tiefe Trauer gestürzt, da ich zurückdachte nicht allein an seine Natur, sondern auch an die herzliche Liebe; denn mein Schöpfer hat mir durch ihn gegeben, was ich bin und habe. Und obwohl es mich tröstet, dass er schreibt, er sei stark im Glauben an Christus sanft entschlafen, so hat mich doch das Leid und die Erinnerung an den so freundlichen Umgang mit ihm innerlich erschüttert, dass ich den Tod kaum jemals so sehr verachtet habe. (Luther an Philip Melanchthon. Weimarer Ausgabe, Briefwechsel Band 5, Seite 350) Ehren ist ein viel höheres Ding als Lieben, da es nicht allein die Liebe in sich begreift, sondern auch eine Zucht, Demut und Scheu. (Ehren) fordert, dass man sie freundlich und mit Ehrerbietung anspreche … dass man sich … von Herzen und mit dem Leib so stelle und erzeige, dass man viel von ihnen halte und sie nach Gott für die Obersten ansehe. (Großer Katechismus, Zum 4. Gebot) lich hatte Martin, der Älteste, insgesamt acht Geschwister, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten – der Bruder Jakob und drei Schwestern. Wenn die Familie auch nicht arm war – die Mutter musste sparsam wirtschaften, was an Gewinn anfiel, musste zum großen Teil in das Unternehmen investiert werden. Später erinnert sich Martin daran, dass seine Kindheit und Jugend nicht üppig waren. Gelegentlich musste er sogar betteln Immerhin schien es selbstverständlich, dass der siebenjährige Martin in Mansfeld zur Schule geschickt wurde, Lesen und Schreiben und etwas Rechnen sowie Latein lernte. Die Schulbildung war damals nicht selbstverständlich, in der Familie der Mutter allerdings schon Tradition. Und Hans Luder war inzwischen in die Reihe der Honoratioren der Stadt Mansfeld aufgestiegen. Er war einer der „Vierherren“ – eine Art Bezirksbürgermeister in Mansfeld geworden. Der kleine Martin gesteht später, er habe nicht sonderlich viel gelernt – aber das war wohl eher der mangelnden Pädagogik seiner Lehrer und deren damals durchaus üblichen Prügeldisziplin zuzuschreiben. Dennoch war er sich seiner besonderen Bildung bewusst, auch, dass sie ihm von ltern ermöglicht wurde. Aber seinen E was erinnert ein Kind schon von diesem Geschenk, da es doch die Schule selbst kaum so empfinden kann? Eine höhere Schulbildung war in Mansfeld nicht möglich. So schickten die Eltern den Vierzehnjährigen zusammen mit einem Freund zunächst ins rund 70 Kilometer entfernte Magdeburg, ein Jahr später nach Eisenach, wo er bei Verwandten seiner Mutter wohnen konnte. Diese haben ihn wohl gut unterstützt, dennoch waren die Schul- und Studentenjahre nicht reich ausgestattet. Später erinnert er sich, er habe „um sein Brot singen“ und gelegentlich auch betteln müssen. Den Eltern lebenslang dankbar fürs Schulgeld Man hat aus dieser Bemerkung früher auf eine armselige Schülerzeit geschlossen – eine Fehleinschätzung. Das Umhergehen von Schülern in Gruppen, das Singen und dafür kleine Essensgaben, „Parteken“, zu sam- Foto: pixabay meln, war damals üblich. Die Eltern kamen jedenfalls für das Schulgeld auf, für Kost und Logis war gesorgt – und Luther war seinen Eltern dafür lebenslang dankbar. Er wusste, wie sehr er deren Haushalt belastete. Vielleicht scheint etwas von dieser Dankbarkeit auf, als Luther später (1527) im „Großen Katechismus“ das vierte Gebot auslegt. „Die Eltern ehren“ heißt mehr und anderes, als sie lieben: „Ehren ist ein viel höheres Ding als Lieben, da es nicht allein die Liebe in sich begreift, sondern auch eine Zucht, D emut und Scheu, wie leisten. Sein Sohn soll Jura studieren – in der Familie der Mutter gab es eine Reihe von Rechtsgelehrten, so scheint dem Vater diese Berufswahl vernünftig und vor allem aussichtsreich. Für den Lebensunterhalt in Erfurt kommt er auf – Martin kann ein angesehenes Studentenheim beziehen, das einen geordneten Studiengang verheißt. Der junge Mann absolviert das dreijährige Grundstudium, wird zum Magister artium und beginnt im Sommer 1505, knapp 22 Jahre alt, das geplante Jurastudium. An einen Zwang oder ein Drängen des Vaters erinnert sich der erwachsene Luther nicht – wohl aber an dessen bittere Enttäuschung, als er nur w enige Monate später wegen eines Gewittererlebnisses das Studium hinschmeißt und ins Kloster geht. In einem Brief versucht Luther, seinen Vater zu beschwichtigen, ihm seine Gründe zu erklären und so Verständnis für seine Entscheidung zu erreichen. Wie sein Vater darauf reagiert hat, wissen wir nicht. Offenbar aber hat er sich damit abgefunden. Mehr noch: Zwei Jahre später, als Martin Priester wird und im Jahr 1507 seine Primiz feiert, die erste Messe eines neugeweihten Priesters, zieht Vater Hans mit 20 Reitern in Erfurt ein und beschenkt das Kloster seines Sohnes mit einer großzügigen Spende. Wohl kaum die Geste eines verärgerten oder auch nur schmollenden Vaters. Enttäuschter Vater respektiert Martins Weg Hat Luther seine Eltern geliebt? Vielleicht ist diese Frage falsch gestellt. Er hat sehr wohl gewusst, was er ihnen zu verdanken hat. Als er im Mai 1530 erfährt, dass sein Vater gestorben ist, schreibt er an seinen Freund Philipp Melanchthon: „Dieser Tod hat mich in tiefe Trauer gestürzt, da ich zurückdachte nicht allein an seine Natur, sondern auch an die herzliche Liebe; denn mein Schöpfer hat mir durch ihn gegeben, was ich bin und habe.“ Schuljunge Luther: Skulptur in Mansfeld. Foto: epd/Jens Schlüter gegen eine Majestät, allda verborgen.“ Man muss von ihrem Wesen absehen, sie sind und bleiben ein Geschenk, „ob sie gleich gering, arm, gebrechlich und wunderlich seien, sie (sind) dennoch Vater und Mutter, von Gott gegeben“. Als Martin sich mit 18 Jahren als Student an der Universität Erfurt immatrikuliert, gilt sein Vater immerhin schon als wohlhabend – er kann sich die hohen Immatrikulationskosten Schreiben Sie uns eine E-Mail an [email protected] oder diskutieren Sie zum Thema mit dem Reformationsbeauftragten der EKBO, Pfarrer Bernd Krebs, und Professor Wolf Krötke in unserem Reformations-Blog https://glaubenskursr eformation. wordpress.com. Ralph Ludwig, Theologe und bis 2006 Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk (Religion und Gesellschaft), arbeitet als Schriftsteller. Foto: privat 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 24. Januar 2016 | Nr. 4 NK Der Mann in der Mönchskutte Von einem, der auszog, sich das Wohlwollen eines strengen Gottes zu erarbeiten – und einen gnädigen Gott entdeckte 1521, während des Zwangsexils auf der Wartburg, systematisch durchdacht und in seinem „Urteil über die Mönchsgelübde“ (De votis monastici siudicium) schriftlich ausgearbeitet. Er selbst war, wie er jetzt erkannte, mit dem Eintritt ins Kloster nicht dem Ruf Gottes gefolgt; Gott wohlgefällig wäre es gewesen, entsprechend dem vierten Gebot seinem Vater zu gehorchen. Dennoch wollte Luther rückblickend die Klosterjahre nicht missen und erkannte auch darin Gottes Plan für sein Leben. Auch noch nach der Rückkehr von der Wartburg setzte er in Wittenberg zunächst sein gewohntes Mönchsleben fort. Grundsätzlich hielt Luther ein im evangelischen Sinne verstandenes Mönchtum für möglich, auch wenn er bei seinen Zeitgenossen für diese Ansicht wenig Verständnis fand. Erst 1524 legte er die Kutte ab, und mit seiner Hochzeit mit Katharina von Bora, einer ehemaligen Nonne, verabschiedete er sich endgültig vom Mönchsdasein, auch wenn er mit seiner Familie in seinem alten Kloster wohnen blieb. In ganz Deutschland verließen damals Mönche und Nonnen in großer Zahl die Orden, und überall in den evangelischen Territorien wurden die Klöster aufgelöst und ihr Besitz verstaatlicht. Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden Teil 1 Martin Luther: Sein Weg zum Reformator FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Was fasziniert, was befremdet Sie am Mönchtum? 2. Worin erkennen Sie mönchisches Erbe im Protestantismus? 3. Wie könnte ein evangelisches Mönchtum heute aussehen? Zugänge zum Thema: – Besuch des Erfurter Augustiner klosters oder eines anderen Klosters Wenn ich das Gewitter heil überstehe, gehe ich ins Kloster, soll Luther gesagt haben. Er überlebte und tat es, warf das Jura-Studium hin. Folgte er einem Ruf Gottes oder war das ein folgenschwerer Irrtum? Von Wolf-Friedrich Schäufele Es gehört zu den Eigenarten der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen, dass sie allesamt die alte christliche Lebensform des Mönchtums abgeschafft haben. Darüber vergisst man nur zu leicht, dass Luther selbst während des mittleren Drittels seines Lebens Mönch gewesen ist und als Mönch den Zugang zum reformatorischen Evangelium gefunden hat. Der Eintritt ins Erfurter Kloster der Augustinereremiten im Jahr 1505 war die erste große Zäsur in Luthers Leben. Er erfüllte damit ein Gelübde, das er zwei Wochen zuvor während eines Gewitters in Lebensgefahr abgelegt hatte. Zugleich entzog er sich so den Plänen seines Vaters, der für ihn eine Karriere als Jurist und eine reiche Heirat vorgesehen hatte. Tatsächlich hatte Luther wohl schon länger mit dem Gedanken eines Klosterlebens gespielt. Suche nach dem Weg zum Seelenheil Es war die große Frage seines Lebens, die ihn ins Kloster führte: die Frage nach dem gnädigen Gott, die Frage, wie der Sünder vor dem Gericht des gerechten Gottes bestehen konnte. Das Leben als Mönch, ein Leben beständiger Buße in Armut, Keuschheit und Gehorsam, galt als der sicherste Weg zum Seelenheil. Luther nahm das Klosterleben sehr ernst. Sorgfältig erfüllte er seine Pflichten, er studierte die Bibel und oblag mit großem Eifer asketischen Übungen wie Fasten und Nachtwachen. Doch sein sensibles, skrupulöses Gewissen ließ sich nicht beruhi- Bergpredigt gilt nicht nur für geistliche Elite Luther als Mönch. gen. Deutlich erkannte er, dass noch so große Gewissenhaftigkeit und noch so ernstes Bemühen nicht ausreichten, ihn vor Gott gerecht zu machen. Auch der Gedanke an den gekreuzigten Christus, den ihm sein Beichtvater und Ordensoberer Johann von Staupitz vorhielt, vermochte Luther vorerst nicht zu beruhigen. Die Anfechtungserfahrungen seiner „Klosterkämpfe“ verhinderten übrigens nicht, dass Luther in seinem Orden „Karriere machte“ – im Gegenteil. Staupitz übertrug ihm 1512 die von seinem Orden zu besetzende Theologieprofessur an der Universität Wittenberg und machte ihn dort zum Klosterprediger. Außerdem wurde Luther Subprior als stellvertretender Leiter des Wittenberger Klosters und Distriktsvikar für zehn Klöster in Sachsen und Thüringen. Auch wenn Luther zeitlebens unter Anfechtungen zu leiden hatte, fand er in der Einsicht, dass der Sünder nicht aus eigenen Verdiensten, sondern allein aus Gnade um Christi willen durch den Glauben vor Gott gerecht wird, endlich die Lösung für die Kämpfe, die er im Kloster durchgefochten hatte. Mehr noch – diese Einsicht führte ihn zu einer theologischen Fundamentalkritik am Mönchtum. Sofern das Klosterleben dazu dienen sollte, Verdienste vor Gott zu er- Foto: Wikipedia werben und so aus eigener Kraft die Seligkeit zu erlangen, stand es im genauen Gegensatz zum Evangelium von der Rechtfertigung aus Gnade und war Ausdruck von Werkgerechtigkeit, ja von Götzendienst, der das Heil nicht von Gott, sondern anderswoher erwartete. Mönch auch noch nach seiner Wartburg-Zeit Und indem es das Gewissen mit ewigen Gelübden an von Menschen gemachte Vorschriften band, widersprach es der evangelischen „Freiheit eines Christenmenschen“. Luther hat diese Konsequenzen aus seiner reformatorischen Einsicht im November Auch wenn Luther das Mönchtum als vermeintlich sicheren Weg zur ewigen Seligkeit aufgrund eigener Leistungen verwarf, so hielt er doch zeitlebens an der Kompromisslosigkeit und dem religiösen Ernst des mönchischen Lebensideals fest – ja, er dehnte dieses sogar über das Mönchtum hinaus auf alle Christen aus. Im Mittelalter hatte man geglaubt, für die gewöhnlichen Gemeindeglieder reiche es aus, nach den Zehn Geboten zu leben, während die höhere christliche Vollkommenheit im Sinne der Bergpredigt nur von den Ordensleuten verlangt werde. Luther verwarf diese Zwei-Stufen-Ethik. Gottes Forderung galt universal, für alle Menschen, nicht nur für eine religiöse Elite. Seinen Willen vollkommen zu erfüllen, war unterschiedslos allen Menschen aufgegeben – und weil unter der Macht der Sünde kein Mensch dazu fähig war, musste Gottes Gesetz alle Menschen dazu treiben, allein auf Gottes Gnade und nicht auf eigene Leistungen zu vertrauen. Der gleiche Grundgedanke lag ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Das Evangelium im Turm wiederentdeckt; Arbeit und Beruf Bibeltexte: Lukas 18,9–14 Literatur: – Athina Lexutt/Volker Mantey/ Volkmar Ortmann (Hg.), Reformation und Mönchtum. Aspekte eines Verhältnisses über Luther hinaus, Tübingen2008 auch der ersten der berühmten 95 Thesen zum Ablass zu Grunde: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: ‚Tut Buße‘, wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein sollte.“ Auch weltliche Berufe sind Gottesdienst Auch hier übertrug Luther ein ursprünglich auf das Mönchtum beschränktes Frömmigkeitsideal – Bu ße als Lebenshaltung im umfassenden Sinne – auf das christliche Leben überhaupt. Die Mönche und Nonnen hatten für Luther nun keinen Vorrang mehr vor den einfachen Gläubigen. Die tägliche Erwerbsarbeit der Bauern und Handwerker war für ihn nicht weniger göttlicher „Beruf“ (Berufung, vocatio), als es nach Ansicht des Mittelalters der Ordensstand gewesen war; ja, man konnte darin Gott und dem Nächsten sogar mehr und besser dienen. Wenn der Protestantismus den weltlichen „Beruf“ als Gottesdienst versteht und das ganze Leben der Gläubigen in letzter Konsequenz unter den ernsten Anspruch und den befreienden Zuspruch Gottes stellt, ist das ein Erbe des Mannes in der Mönchskutte. Schreiben Sie uns Ihre Meinung an [email protected] oder diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in unserem Reformations-Blog https://glaubenskursreformation.wordpress.com. Wolf-Friedrich Schäufele ist Prodekan und Professor für Kirchengeschichte an der Universität Marburg. Foto: privat Das Luther-Zitat Martin Luther über die Klostergelübde Die Klosterleute sind ebenso oder gar noch ärger als die Priester der Heiden. (…) Denn sie geloben ihre Gelübde in der Absicht, sich dadurch selbst gerecht und selig zu machen. Das sollten sie allein von der Barmherzigkeit Gottes erwarten, schreiben es aber ihren eigenen Werken zu. So beten sie durch ihre Gelübde das Werk ihrer Hände an und verehren es als einen Gott. (…) Wenn sich deshalb jemand bewusst ist, dass er seine Gelübde in dieser gotteslästerlichen, schändlichen Absicht abgelegt hat, dann soll er nicht wegen der Gewalt des Papstes oder der Beschimpfung des Pöbels zögern, sondern seine Seligkeit vor alles stellen und das Gelobte samt dem Gelübde fahrenlassen. (…) Wenn aber jemand will und kann, mag er Gelübde und Orden halten, die Gottlosigkeit des Gelübdes aber abtun. (aus Luthers Thesen über die Klostergelübde von 1521) Die Lutherzelle im Augustinerklosters zu Erfurt. Das heute evangelische Kloster, in dem Martin Luther 1505 bis 1512 als Student gelebt hat, beherbergt eine der bedeutendsten kirchlichen Bibliotheken Deutschlands. Foto: epd Sonntag, 31. Januar 2016 | Nr. 5 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Das Evangelium im Turm entdeckt Warum für Martin Luther der Glaube an Christus die Menschen in eine neue Freiheit führt Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden Teil 1 Martin Luther: Sein Weg zum Reformator FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Sind Martin Luthers Fragen Ihre Fragen? 2. Was ist Ihr Problem mit dem Glauben an Gott? 3. Woran denken Sie, wenn von der „Gerechtigkeit Gottes“ die Rede ist? Zugänge zum Thema: - Besuch der Lutherstube in Wittenberg - Lied „Nun freut euch lieben Christengmein“ (EG 341) Von Wolf Krötke Wir werden in eine andere Zeit versetzt, wenn wir uns heute an die Reformation erinnern. Dass Gott die Welt geschaffen hat und regiert, bezweifelte damals niemand. Dass jeder Mensch sein Leben vor Gott auch über den Tod hinaus zu verantworten hat, war selbstverständlich. Wenn die Kirche jener Zeit versprach, Menschen diese Verantwortung zu erleichtern, stieß das auf offene Ohren. Eine besondere Rolle spielte dabei die Lehre vom „Fegefeuer“. Sie behauptete, dass die Verstorbenen, bevor sie in das ewige Leben kommen, zu ihrer Reinigung erst Strafen für ihre Sünden erleiden müssen. Die Kirche bot an, Menschen dieses Geschick durch von ihr verordnete Bußleistungen zu ersparen. Dabei sank die Buße auf das Niveau eines Geldgeschäftes zwischen der Kirche und den verängstigten Gläubigen herab. „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ – so oder ähnlich soll der Eintreiber des „Ablasses“, Johann Tetzel, gepredigt haben. Nicht nur Luther, sondern eine Reihe von Reformbewegungen haben sich gegen einen solchen Missbrauch der Buße gewandt. Aber erstaunlicherweise hat eine eher unscheinbare Aktion die „Reformation“ der Kirche ausgelöst. Der Wittenberger Theologieprofessor Martin Luther heftete am 31. Oktober 1517 insgesamt 95 lateinische Thesen über den Ablass für eine akademische Diskussion an die Tür der Schlosskirche. Das war das „schwarze Brett“ der Universität. Mit Im Kostüm des Reformators Martin Luther zieht Bernhard Naumann am Reformationssonntag zur Schlosskirche (im Hintergrund) in Wittenberg. Der Überlieferung nach schlug dort Martin Luther (1483–1546) am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an. Dies gilt als Beginn der weltweiten Reformation der Kirche. Foto: dpa/Hendrik Schmidt „Hammerschlägen“, welche die Welt erschütterten – wie es auf Bildern und im Kino dargestellt wird – hatte das wenig zu tun. Die Thesen waren zudem noch nicht einmal wirklich „reformatorisch“. Denn Luther teilte in ihnen die katholische Meinung, dass Buße eine Leistung sei, die Menschen erbringen müssen, um vor Gott bestehen zu können. Kritisiert wurde ihre Veräußerlichung durch Geldzahlungen. Unser ganzes Leben soll eine Buße sein, lautete darum die erste der 95 Thesen. Seine eigentliche „reformatorische Entdeckung“ hat Luther in verschiedenen Rückblicken als Frucht seiner Bibelauslegung dargestellt. Über dem Studium von Römer 1, 17 sei ihm die entscheidende Erleuchtung gekommen. Dass ihm dies auf der „Kloake“ widerfuhr, wie er bei Tische erzählte, ist von seinen Gegnern weidlich aus- Das Luther-Zitat Martin Luther über seine reformatorische Entdeckung in Römer 1, 17: Tischrede von 1532: „Gottes Gerechtigkeit ist das, wodurch wir gerecht gemacht und gerettet werden. Jene Worte sind mir überaus lieb geworden. Diese Kunst hat mir der Heilige Geist auf dieser Kloake auf dem Turm eingegeben.“ Vorrede zum 1. Band der Gesamtausgabe der lateinischen Werke, 1545: „Ich hasste nämlich dieses Wort ‚Gottes Gerechtigkeit‘, das ich […] philosophisch zu verstehen gelehrt worden war: Von der sogenannten formalen oder aktiven Gerechtigkeit, mit der Gott selbst gerecht ist und die Sünder und Ungerechten straft. Ich aber konnte den gerechten, die Sünde strafenden Gott nicht lieben, hasste ihn vielmehr. Denn obwohl ich als untadeliger Mönch lebte, fühlte ich mich vor Gott als Sünder und unruhig in meinem Gewissen und getraute mich nicht zu hoffen, dass ich durch meine Genugtuung versöhnt sei [...]. Bis Gott sich meiner, der ich Tag und Nacht nachdachte, erbarmte und ich den Zusammenhang der Wörter (in Römer 1, 17) beachtete: Nämlich ‚Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbar, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben‘. Da begann ich Gottes Gerechtigkeit zu verstehen: Als ein Geschenk Gottes, durch das der Beschenkte als Gerechter lebt: nämlich aus Glaube und ich merkte, dass das so zu verstehen sei: Durch das Evangelium wird Gottes Gerechtigkeit offenbar als passive, mit der uns der barmherzige Gott gerecht macht durch Glauben. Nun fühlte ich mich ganz und gar neu geboren.“ geschlachtet worden. Kern der Sache ist, dass sich sein Arbeitszimmer im Turm des „Schwarzen Klosters“ in Wittenberg befand, in dem unten auch dieser Ort war. Indem Luther das erwähnte, wollte er wohl sagen, dass jenes „Turmerlebnis“ einem ganz Unwürdigen widerfuhr. Das früheste Zeugnis von seiner Entdeckung ist ein Brief vom 31. März 1518 an den Generalvikar Johann Staupitz. „Ich lehre die Menschen“, schreibt er da, „auf nichts anderes zu vertrauen als auf Jesus Christus allein, nicht aber auf Gebete und auf ihre verdienstlichen Werke, weil wir nicht durch eigenes Bemühen, sondern durch die Barmherzigkeit Gottes gerettet werden.“ Gottes Gerechtigkeit ist Freispruch aus Gnade Der Kernpunkt dieser Erkenntnis war das Verständnis der „Gerechtigkeit Gottes“, von der Paulus im Römerbrief redet. Die Kirche zu Luthers Zeit lehrte: Gott ist gerecht, indem er jedem Menschen das zukommen lässt, was er verdient. Den, der gottgefällig lebt, belohnt er; den, der das nicht tut, bestraft er. Paulus aber sagt: Gottes Gerechtigkeit wird im Evangelium (!) – der guten Botschaft von Gottes Eintreten für sündige Menschen – offenbar. Das bedeutet: Er spricht sie ohne Bedingungen aus „Gnade“ gerecht. Glauben sie dieser Zusage, dann sind sie von Gott angenommen. Diese Erkenntnis war der eigentliche Anfang der Reformation. Sie stellte die Institutionen infrage, mit denen die Kirche damals das Heil verwaltete. Sie barg ein neues Menschenverständnis in sich, das große Kreise über eine akademische Diskussion hinaus zog. Es steckte in der Einsicht, dass jeder Mensch trotz seines gottwidrigen Lebens ein von Gott aner- kannter Mensch ist. Gott löst mit dem Evangelium die Fesseln, die Menschen sich anlegen, um sich mit ihren Taten als Menschen zu beweisen. Er vergibt ihnen, was sie damit anrichten. Er macht sie frei vom „Kurven“ in sich selbst. Er macht sie frei zu einem Leben, in dem sie Freude daran haben, für ihre Mitmenschen einzutreten. Nicht zufällig trägt Luthers berühmteste Schrift aus dem Jahre 1520 den Titel „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat darum das Reformationsjubiläum unter das Motto „Kirche der Freiheit“ gestellt. Aber die Glocke dieser Freiheit klingt heute ziemlich anders als vor 500 Jahren. Sie holt nicht Mönche aus der Klosterzelle. Sie trifft nicht auf Menschen, die Angst vor Gott haben. Sie läutet vielmehr für Menschen, die der Frage ausgesetzt sind, ob überhaupt ein Gott sei, der ihrem Leben Grund und Sinn gibt. „Sinn“ bedeutet: in einen Zusammenhang zu gehören, in dem ein Mensch sich geborgen und bejaht weiß. Sinnlosigkeit ist das Herausfallen aus allen Zusammenhängen. Es ist das Lebensgefühl, nirgendwo hinzugehören. Was bleibt, ist in derartiger Öde menschlichen Lebens ohne Perspektive ein Abstrampeln mit den privaten und öffentlichen Problemen unseres irdischen Lebens, solange es eben geht. In dieser Situation bekommt Luthers „reformatorische Entdeckung“ eine neu zugespitzte Pointe. Sie besteht darin, dass Christen ihr Leben inmitten von noch so viel Atheismus, Gottesvergessenheit, religiösem Firlefanz und leider auch Fanatismus ganz von der Menschenfreundlichkeit Gottes bestimmen lassen. Sie wissen dabei wohl, wie sehr sie hinter dieser Bestimmung hinterherhinken. Anders als auf Gottes Vergebung angewiesen zu ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen: Luther widersteht; Luthers Reformprogramm, Christsein: Frei sein und verpflichtet, Seelsorge. Bibeltexte: Römer 1, 16f.; Römer 3, 28; 2. Korinther 5, 17 Literatur: - Luthers Tischreden, zusammengestellt von Jürgen Henkys, Leipzig 2003, S. 21-44: Lebensweg und Selbstbild - Rat der EKD: Rechtfertigung und Freiheit, Gütersloh 2014 sein, kann man nicht das Leben eines von Gott geliebten Menschen führen. Aber indem Gott „all Morgen frisch und neu“ mit uns einen neuen Anfang macht, ermutigt uns sein guter Geist doch, sich unserer Auszeichnung als in Zeit und Ewigkeit bejahter Menschen zu freuen. Mit „Nun freut euch, lieben Christengmein“ beginnt eines der „reformatorischsten“ Lieder Martin Luthers (EG 341). Ohne Freude an Gott verkrampft und verdampft die christliche Freiheit in allerlei kirchlichen Ideologien und Programmen. Freude an Gott aber hat Teil an seiner Liebe zu allen Menschen, die er als seine Geschöpfe bejaht – gleich in welcher Religion und Weltanschauung sie auch leben. Für die Würde aller Menschen einzutreten, die von Gott gewürdigt sind, Partnerin und Partner seiner Menschenliebe zu sein, ist deshalb die große Leidenschaft der Christenheit. Wolf Krötke ist Professor für Systematische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Foto: privat Sonntag, 7. Februar 2016 | Nr. 6 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx „Widerrufen kann ich nicht“ Bekennermut eines Theologie-Professors vor dem Kaiserthron Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden Teil 1 Martin Luther: Sein Weg zum Reformator, Folge 6 FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. W ie verstehen Sie Gewissen? 2. Welche Bedeutung haben Glaubens- und Gewissensfreiheit? 3. Was hat Glaube mit Zivilcourage zu tun? 4. Wobei sind Sie schon einmal in einen Gewissenskonflikt geraten? Zugänge zum Thema: – Lektüre der Rede Luthers in Worms, im Internet: Projekt Gutenberg.de, http://gutenberg.spiegel.de/buch/ martin-luther-sonstige-texte-270/5 Luthers Auftreten auf dem Reichstag in Worms 1521 ist die Geburtsstunde der Gewissensfreiheit. Zum ersten Mal in der Geschichte berief sich ein Mensch vor Kaiser und Reich auf sein Gewissen – und zwar auf sein in Gottes Wort gefangenes Gewissen. Von Johannes Schilling Mit der Veröffentlichung der 95 Thesen gegen die Ablasspraxis hatte Luther die kirchliche Obrigkeit herausgefordert – der zuständige Erzbischof Albrecht von Mainz leitete die Thesen nach Rom weiter, und die römische Kirche eröffnete ein Rechtsverfahren gegen den Wittenberger Professor. Nachdem sich in Gesprächen mit Vertretern der römischen Kirche, insbesondere mit Kardinal Cajetan in Augsburg im Oktober 1518 keine Verständigung ergeben und Luther auch auf der Disputation in Leipzig im Sommer 1519 zu erkennen gegeben hatte, dass er seine Stellungnahme nicht widerrufen werde, wurde ihm zunächst der Bann, die Exkommunikation, der Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft, angedroht. In der Bulle „Exsurge, Domine“ (Erhebe dich, Herr) vom 15. Juni 1520 verurteilten Papst und Kurie 41 Aussagen Luthers als „häretisch oder anstößig oder falsch oder fromme Ohren verletzend oder einfache Gemüter verführend und der katholischen Wahrheit widerstrebend“. Doch auch diese Androhung erbrachte nicht das von der Kirche gewünschte Ergebnis. Daher war die Exkommunikation die zwingende Folge. Sie wurde am 3. Januar 1521 mit der Bannbulle „Decet Romanum pontificem“ ausgesprochen. Nach dem mittelalterlichen Ketzerrecht war es nun Sache der weltlichen Obrigkeit, den Ketzer dem „weltlichen Arm“, also einer von der weltlichen Gewalt zu vollstreckenden Strafe zuzuführen. Vorladung vor die Größen des Reiches So wurde Luther vor den Reichstag geladen, der am 27. Januar 1521 in Worms eröffnet wurde. Die „Luthersache“ war auf diesem Reichstag eigentlich eine Nebensache – es ging vor allem um Verwaltungs- und um Verteidigungsfragen angesichts der Bedrohung durch die Türken. Im kollektiven Gedächtnis aber ist von diesem Reichstag nichts übrig geblieben als eben die „Causa Lutheri“, die Luthersache. Luther in Worms. Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert. „Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder einen klaren Grund widerlegt werde, bin ich durch die von mir angeführten Worte der Schrift überwunden. Und da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun.“ Luther auf dem Reichstag zu Worms Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, hatte die Vorladung Luthers nach Worms durchgesetzt. Mit dem Auftreten auf dem Reichstag veränderte sich der Blick auf den Wittenberger Professor. Hatte sich die öffentliche Aufmerksamkeit zunächst auf die neue Lehre gerichtet, so trat nunmehr Luthers Person verstärkt in den Blickpunkt. Auf der Reise von Wittenberg nach Worms wurde Luther in Erfurt als neuer Herkules begrüßt, der angetreten sei, den Schafstall Christi zu reinigen. Auch in Frankfurt und Worms wurde er wie ein Heilsbringer in Empfang genommen. Am 16. April traf Luther nach zweiwöchiger Reise in Worms ein, am folgenden Tag wurde er zum ersten Mal verhört. Nach der erbetenen und gewährten Bedenkzeit nahm er am 18. April Stellung zu seinen Schriften. Er bekannte sich zu dem, was er geschrieben hatte, hielt seine Schriften zu Glauben und Sitten für evangeliumsgemäß, die gegen den Papst für berechtigt und gab zu, dass er über einzelne Personen vielleicht gelegentlich zu hart geurteilt habe. In der Sache aber blieb er fest – einen Widerruf lehnte er unter Bezug auf die Heilige Schrift und die Vernunft ab. Mediale Aufregung in der Öffentlichkeit Das öffentliche Interesse an seiner Person und seiner Sache schlug sich in einer großen Zahl von Flugschrif- Das Luther-Zitat Martin Luther über seine Schriften und seinen möglichen Widerruf „Weil ich aber ein Mensch bin und nicht Gott, kann ich meine Schriften nur so verteidigen, wie mein Herr Jesus Christus seine Lehre verteidigt hat. (…) Darum bitte ich um der Barmherzigkeit Gottes willen Eure Majestät, Eure durchlauchtigsten Herrschaften oder wer auch immer es vermag (…) wolle Zeugnis geben, die Irrtümer widerlegen, sie mit Propheten- und Evangelienworten überwinden; denn ich werde, wenn ich belehrt worden bin, bereit sein, jeden Irrtum zu widerrufen und meine Bücher als erster ins Feuer zu werfen.“ (aus Luthers Rede vor Kaiser und Reich am 18. April 1521) Foto: Wikipedia ten nieder – es waren nicht weniger als 28 Schriften in einer Auflage von mehr als 100, die in verschiedener Weise von Luther auf dem Reichstag berichteten und die nahezu alle Lesekundigen im Reich und in den Nachbarländern erreichen konnten. Dabei waren sich die Zeitgenossen der Gefahr bewusst, in der Luther schwebte, – die Erinnerung an Jan Hus’ Schicksal, der ein Jahrhundert zuvor, 1415 auf dem Konzil in Konstanz, als Ketzer verbrannt worden war, war noch lebendig. Albrecht Dürer etwa schrieb in diesen Wochen: „O Gott, ist Luther tot, wer wird uns hinfort das Evangelium so klar vortragen?“ Es ging um mehr als die Personalie Luther Eines ist deutlich: Es ging den aufmerksamen und engagierten Zeitgenossen nicht nur um Luthers Person, sondern auch um die Frage, wie es mit „dem Evangelium“ und mit der Geschichte weitergehen werde. Luthers Geschichte wurde sogar als eine neue Passionsgeschichte dargestellt. So wie Christus vor Kaiphas gestanden habe, so habe Luther vor dem Kaiser Karl V. gestanden – als ein zweiter Christus gleichsam, dessen Schicksal sich in Luthers Geschick erneuere. Luther selbst hat diesen Vergleich scharf zurückgewiesen: „Ich bitte, man möchte meinen Namen verschweigen und sich nicht lutherisch, sondern Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein, und ich bin auch für niemanden gekreuzigt“, schrieb er 1522 in der Schrift „Eine treue Ermahnung an alle Christen, sich vor Aufruhr und Empörung zu hüten“. Am 8. Mai 1521 erging das Wormser Edikt, der Erlass Kaiser Karls V., den der Reichstag am 26. Mai veröffentlichte. In ihm wurde die Reichsacht über Luther verhängt und die Lektüre und Verbreitung seiner Schriften verboten. Luther war nun- ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Das Evangelium im Turm entdeckt Luthers Reformprogramm Christsein: Frei sein und verpflichtet Dem Volk auf’s Maul schauen Bibeltext: Römer 13 Literatur: – Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. Herausgegeben von Fritz Reuter. 2. Auflage Köln 1981. – Martin Brecht, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation. Stuttgart 1981 u.ö. vogelfrei, niemand durfte ihn beherbergen, ja, er sollte als überführter Ketzer ausgeliefert und seiner Verurteilung zugeführt werden. Dazu aber kam es nicht. Luther wurde auf die Wartburg verbracht, wo er als „Junker Jörg“ in der Einsamkeit der Burg in den nächsten Monaten eine Hochphase seiner literarischen Produktion erlebte – er verfasste Schriften und Briefe, eine Postille und übersetzte das Neue Testament in die deutsche Sprache. Zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Sprache übertrug e i n Mensch das ganze Neue Testament ins Deutsche, und diese Erst- und Einmaligkeit hat die Jahrhunderte überdauert bis auf den heutigen Tag. Diskutieren Sie das Thema mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in unserem ReformationsBlog https://glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine Mail an: [email protected]. Johannes Schilling ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Kiel und Präsident der Luther-Gesellschaft. Foto: Uni Kiel Sonntag, 14. Februar 2016 | Nr. 7 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Luthers Reformprogramm Ein Theologieprofessor legt den Grundstein für die moderne Gesellschaft mit ihrer Trennung von Staat und Religion ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Kirche in Gefangenschaft oder Mauerfall in der Kirche; Bildung für alle; Die Kirche kann irren, Kirche und Obrigkeit Bibeltexte: 1. Petrusbrief 2,9–10; 1. Korintherbrief 12; Galaterbrief 5,1; Römerbrief 13, 1-8 Literatur: – Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012, S. 190ff. Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 7 Teil 2: Entfaltung der reformatorischen Lehre FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Ist die evangelische Kirche, obwohl sie sich auf das Priestertum aller Gläubigen beruft, nicht weitgehend eine Pastorenkirche? 2. Papsttum und Zölibat sind in der evangelischen Kirche abgeschafft, in der Kirche herrscht Demokratie. Warum ist die evangelische Kirche trotzdem für viele Menschen unattraktiv? 3. Luther forderte eine umfassende Reform des Bildungswesens. Im Zentrum stand bei ihm das Studium der Bibel. Was macht heute ein zeitgemäßes evangelisches Bildungswesen aus? formatorisches Schriftverständnis – die Schrift legt sich selbst aus und kann von allen gelesen und verstanden werden – und gegen die dritte den geschichtlichen Hinweis, dass die altkirchlichen Konzilien nicht vom Bischof von Rom, sondern vom Kaiser einberufen wurden; allen voran das Konzil zu Nicäa (325 nach Christus), auf welchem die Trinitätslehre dogmatisiert wurde. Was Luther praktisch vorschlug In „Reformation“ steckt „Reform“. Viele stieß Luther an. Damals bedeuteten sie einen grundlegenden Wandel. Für die moderne Gesellschaft und evangelische Christen sind sie heute selbstverständlich. Etwa öffentliche Schulen auch für Mädchen, Trennung von Kirche und Staat, das sogenannte Priestertum aller Gläubigen. Sein Programm entwarf Luther 1520 in der Schrift „An den christlichen Adel“. Von Ulrich Körtner Wenn man fragt, was die evangelische von der römisch-katholischen Kirche unterscheidet, kommen schnell folgende Antworten: In der evangelischen Kirche dürfen Pfarrer heiraten. Seit einigen Jahrzehnten werden auch Frauen ordiniert. Außerdem ist die Kirche demokratisch verfasst. In den meisten Synoden sitzen paritätisch Ordinierte und Nichtordinierte und leiten gemeinsam die Kirche. Die Gemeinden wählen ihren Kirchenvorstand oder ihr Presbyterium und oft auch ihren Pfarrer. Pfarrerinnen und Pastoren haben keine besondere Weihe, sondern alle Christen sind vor Gott gleich. Man spricht vom Priestertum aller Gläubigen. Die Abschaffung des Zölibats und das Priestertum aller Gläubigen sind wichtige Eckpunkte aus Luthers Reformprogramm, das er 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des Standes Besserung“ entworfen hat. Im selben Jahr veröffentlichte Luther noch zwei weitere grundlegende Reformschriften: „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ – darin stellte er erstmals die Siebenzahl der Sakramente öffentlich infrage – sowie „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, Grundtext reformatorischer Religion der Freiheit. Mit ihren umfassenden Forderungen nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern und einem freien Konzil wirkte Luthers Schrift „An den christlichen Adel“ am stärksten in die Öffentlichkeit hinein. Vom Kirche ist für Luther Gemeinschaft aller Getauften, die sich um Gottes Wort und Sakrament versammeln. Foto: tai111/Fotolia.com hen bekommen und sei darum ge- wahrlich kein anderer Unterschied genüber der Kirche eigenständig. besteht als des Amts oder Werks halMan hat dies später die Lehre von den ber und nicht des Stands halber“. zwei Regimenten genannt. Während Wo der Papst, die Kurie und der KleGott in der Kirche allein durch das rus versagen, da müssen die Vertreter Wort regiert, regiert er im weltlichen der weltlichen Obrigkeit einspringen. „Darum, wenn es Bereich durch das die Not fordert Schwert, das zu und der Papst der führen die Obrigkeit eingesetzt ist. Christenheit anstößig ist, soll sich Wie aber lässt darum kümmern, sich begründen, wer es zuerst dass Kaiser und kann als ein treuAdel das Recht es Glied des ganhaben sollen, in Seitdem im hohen Mittelalter der der Kirche für zen Körpers, dass Papst aus dem Streit mit dem Kaiser Besserung zu sorein rechtes, freies um die höchste Autorität als Sieger gen und die herrKonzil abgehalten werde. Dies hervorgegangen war, herrschte im schenden Missvermag niemand Abendland die Auffassung, die weltli- stände abzustelMartin Luther so gut wie das che Obrigkeit sei der kirchlichen Au- len? Diese Frage weltliche Schwert, torität untergeordnet. Allenfalls beantwortet Lukönnten sich Kaiser und Papst im ther mit dem Gedanken des Priester- insbesondere weil sie nun auch MitBedarfsfall wechselseitig vertreten. tums aller Gläubigen, das in der Taufe christen sind, Mitpriester, mitgeistDieser Auffassung tritt Luther mit gründet. Aus ihm folgt, wie Luther lich, mitmächtig in allen Dingen.“ dem revolutionären Gedanken entge- schreibt, „dass zwischen Laien, PriesNikolaus von Amsdorf, Domherr gen, die weltliche Obrigkeit habe von tern, Fürsten, Bischöfen und […] zu Wittenberg und Freund Luthers, Gott ihren besonderen Auftrag verlie- Geistlichen und Weltlichen im Grund gewidmete Schrift will in ihrem ersten Teil die drei Mauern zum Einsturz bringen, hinter denen sich die Das Luther-Zitat: Priestertum aller Gläubigen römische Kirche verschanzt hat. Letztlich handelt es sich nur um „stroherMartin Luther über den geistlichen Stand und das Papsttum ne und papierne“ Mauern. Deren ers„Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes, und es ist zwischen te besteht in der zurückgewiesenen ihnen kein Unterschied als allein des Amts halber, wie Paulus 1. Kor 12, 12ff. Behauptung, die weltliche Obrigkeit sagt […]. Das alles kommt daher, dass wir eine Taufe, ein Evangelium und sei der kirchlichen Autorität unterein Glaubensbekenntnis haben; denn die Taufe, das Evangelium und das worfen und dürfe sich folglich nicht Glaubensbekenntnis, die machen allein geistlich und Christenvolk. […] Denn gegen den Papst auflehnen. Die zweiwas aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum te bildet das Postulat, nur der Papst Priester, Bischof und Papst geweiht ist, obwohl es nicht jedem ziemt, soldürfe die Heilige Schrift verbindlich ches Amt auszuüben. […] Wenn sich der Papst der Vollmacht bedienen sollauslegen, die dritte die Behauptung, te, um dem Abhalten eines freien Konzils zu wehren, damit die Besserung allein der Papst könne ein Konzil einder Kirche verhindert werde, dann sollen wir ihn und seine Vollmacht nicht berufen. ansehen.“ Gegen die erste Mauer bringt Lu(An den christlichen Adel deutscher Nation, 1520) ther das Priestertum aller Getauften in Stellung, gegen die zweite sein rePapst und seiner Kurie erwartete Luther keine Besserung mehr, galt ihm der Papst doch als Antichrist und die römische Kirche als unbelehrbar. Nun sollten Kaiser und Adel der Reformation zum Durchbruch verhelfen und den drückenden Missständen in kirchlichen und weltlichen Angelegenheiten Abhilfe schaffen. Eine revolutionäre Idee zugunsten der Fürsten „Was aus der Taufe gekrochen ist, kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht ist“ Im zweiten Teil seiner Schrift formuliert Luther in 26 Punkten eine Fülle von praktischen Reformvorschlägen. Abgaben an Rom sollen abgeschafft werden. Die Behörden der Papstkirche (Kurie) sollen reformiert und verkleinert werden. Der Zölibat (Ehelosigkeit der Priester) ist aufzuheben. Wallfahrten können entfallen. Bettel orden sind im Geiste des Evangeliums zu reformieren oder aufzulösen. Das neu entstandene Kreditwesen ist zu beenden. Dem verschwenderischen und lasterhaften Lebensstil in den Reihen der Kirche wird der Kampf angesagt. Hervorzuheben sind Luthers Forderungen nach einer grundlegenden Reform des Bildungswesens in Schulen und Universitäten. Unter anderem hat er sich für öffentliche Mädchenschulen eingesetzt. Im Zentrum seines Bildungsprogramms steht das Studium der Bibel, für das die Kenntnis des Hebräischen und des Griechischen benötigt wird. Hingegen hat Luther der aristotelischen Philosophie den Kampf angesagt. Wegweisend für den modernen Staat Für die Entwicklung des modernen Rechts ist schließlich Luthers Forderung nach Abschaffung des kirchlichen Rechts und der Unterstellung der Kirche unter weltliches Recht bedeutsam gewesen. Die moderne Trennung von Kirche und Staat war damit noch keineswegs vollzogen, doch kann die Entklerikalisierung von Staat und Gesellschaft in ihrer Bedeutung für das Entstehen des modernen säkularen Staates und seines Rechtes kaum überschätzt werden. Diskutieren Sie mit zum Thema mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in unserem Reformations-Blog https://glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine E-Mail an: [email protected] Foto: Wilke Zugänge zum Thema: – Cartoon-Video: Reformation für Einsteiger – im Internet zu finden unter www.hamburger-reformation.de – Lied: „Zieh ein zu deinen Toren“ (Evangelisches Gesangbuch 133, 1+4) – Radiosendung: Rosemarie Bölt, Pfarrbeamte oder Glaubensgeschwister?, SWR2, vom 9. Dezember 2015 (zum Herunterladen) Ulrich Körtner ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Sonntag, 21. Februar 2016 | Nr. 8 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Befreiung aus Gefangenschaft Luthers Reduzierung der sieben Sakramente auf Taufe und Abendmahl führte zu einem Mauerfall in der Kirche Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 8 Teil 2: Entfaltung der reformatorischen Lehre FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Wie fühlt sich das Heilige des Abendmahls oder der Taufe für mich an? 2. In welchen Mauern ist die Kirche heute möglicherweise gefangen? 3. Wie können wir sie zum Einsturz bringen? Zugänge zum Thema: Kirchenlied: Ich möchte gerne Brücken bauen, wo alle tiefe Gräben sehn. Ich möchte über Zäune schauen und über hohe Mauern gehn. Herr, gib mir Mut zum Brücken bauen, gib mir den Mut zum ersten Schritt, lass mich auf deine Brücken trauen, und wenn ich gehe, gehst du mit. Text: Kurt Rommel 1963, Musik: Paul Bischof 1965, Gustav Bosse Verlag Kassel, zu finden im ESG-Gesangbuch „Durch Hohes und Tiefes“. Martin Luther ließ von sieben Sakramenten (deutsch: Geheimnis, Heiliges – gemeint sind die Heilsgaben Gottes) letztlich nur noch zwei gelten: Taufe und Abendmahl. Dafür hatte er triftige Gründe. Welche Mauern er damit in der Kirche zum Einstürzen brachte, ist wohl heute den wenigsten evangelischen Christen bei der Feier des Abendmahls bewusst. Von Thilo Haak Freiheitlich-reformatorisch feiern wir das Abendmahl mit Brot und Kelch. Ehrenamtliche Helfer, Pfarrerinnen und Pfarrer sind bei der Austeilung gleichermaßen beteiligt. Unser Abendmahl hat alle Chancen, eine fröhliche und sinnliche Feier der Gemeinde zu sein – auch wenn wir sie nur selten nutzen. Manchmal leuchtet das auf, etwa bei den Tischabendmahlen, die am Gründonnerstag gefeiert werden. In der Kirche des späten Mittelalters war das anders. Damals wurde das hämische Wort vom „Hokuspokus“ geprägt. So bezeichnete der Volksmund das, was der Priester machte, wenn er mit den Worten „Hoc est corpus“ („Das ist mein Leib“) das Messopfer zelebrierte. Was da geschah, war dem Kirchenvolk so fern, als wäre es davon durch eine Mauer getrennt. Diese Mauer fiel, als Martin Luther sein neues Verständnis der Sa- Die Heiligen Sakramente: Der Holzschnitt von Wolf Traute (um 1510) zeigt symbolisch die gregorianische Messe und die Heilsgaben Christi, die durch die Kirche ausgeteilt werden. Repro: Archiv kramente formulierte. Begonnen hatte er damit schon 1519 im „Sermon vom hochwürdigen Sakrament“. Darin formulierte er den Anspruch auf die Gabe des Abendmahls in beiderlei Gestalt, also in Brot und Wein. Seit langer Zeit nämlich war den Gemeindegliedern der Kelch entzogen. 1415 hatte ihn das Konzil von Konstanz aus praktischen Gründen verboten. Bei der Austeilung des Abendmahls sollte kein Wein versehentlich verschüttet werden. Doch Luthers Lehre von der Gabe des Abendmahls in beiderlei Gestalt erfuhr erheblichen Widerspruch vonseiten der herrschenden Kirche. 1520 endlich formuliert Luther eine Sakramentslehre ausführlich. Er schreibt „De captivitate Babylonica ecclesiae“, seine Schrift über die „babylonische Gefangenschaft der Kirche“. Der Titel lehnt sich an die Bezeichnung jener Epoche an, in der das antike Israel durch die mächtigen Babylonier aus dem Heiligen Land weggeführt worden war. Zerstört war der Tempel mit dem Allerheiligsten und Israel von seinen Wurzeln getrennt. „De captivitate“ gehört mit der Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ und der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ zu Luthers drei reformatorischen Hauptschriften. Martin Brecht schreibt in seinem Buch „Martin Luther, Sein Weg zur Reformation“: „Diese Schrift, ob- Das Luther-Zitat: Martin Luther über die Gefangenschaft der Kirche: Denn wo der Glaube untergeht und das Wort vom Glauben verstummt, da entstehen alsbald an dessen Stelle menschliche Werke und Satzungen von Werken. Durch diese sind wir wie durch eine babylonische Gefangenschaft aus unserm Vaterland vertrieben worden, nachdem man uns all unseren wertvollen Besitz genommen hat. So ist es mit der Messe gegangen: durch die Lehre gottloser Menschen ist sie in ein „gutes Werk“, das sie selbst ein „opus operatum“ nennen, verwandelt worden, durch welches sie sich bei Gott alles zu vermögen anheischig machen. Von hier aus ist es weitergegangen bis zu diesem äußersten Wahnsinn: weil sie erlogen haben, die Messe wirke kraft ihres äußeren Vollzuges als „opus operatum“, haben sie noch hinzugesetzt, sie wäre den anderen auf jeden Fall nützlich, selbst wenn sie dem schädlich sei, der sie ohne Glauben darbringe. Und auf diesen Sand haben sie ihre Zuwendungen, ihre Teilhaber- und Bruderschaften, Jahresgedächtnisse und dergleichen unendliche gewinn- und verdienstbringende Dinge gegründet. (Martin Luther, Von der babylonischen Gefangenschaft 1520) „Wo der Glaube untergeht, da entstehen alsbald an seiner Stelle menschliche Werke. Durch diese sind wir vertrieben worden ...“ Martin Luther gleich von ihm selbst nur als Vorspiel beschrieben, überbot in der Sache alles, was er bis dahin gegen die römische Kirche geschrieben hatte.“ Das „Vorspiel“, so Martin Brecht, nahm sich als Thema die Sakramente vor, das Zentrum der damaligen Kirche. Im Ton auf Angriff gestimmt, leugnete Luther die Siebenzahl der Sakramente und erkannte nur noch drei an: Abendmahl, Taufe und Buße. Gerade diese waren nach Luther durch Rom „gefangen“. Drei „Fesseln“ wurden dem Abendmahl angelegt: 1. Die Fessel der Austeilung des Abendmahls in nur einer Gestalt; 2. Die Fessel der Lehre, im Abendmahl würde nur die Substanz von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi „verwandelt“, nicht aber die „Form“ von Brot und Wein (Transsubstantiation); 3. Die Fessel des Verständnisses des Abendmahls als „Messe“, das heißt die unblutige Wiederholung des Opfers Christi durch den Priester. Luther war sich bewusst, dass er damit eine sehr schwierige Sache anging. Es ging ihm aber nicht darum, die Sakramentsfrömmigkeit zu zerstören, sondern sie im Geist der Bibel zu reformieren. An dieser Stelle ist es gut, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, was es eigentlich heißt, wenn wir vom Sakrament reden. Der Begriff ist ein Lehnwort vom lateinischen „sacramentum“, dessen Wurzel „sacer“ heilig oder unverletzlich bedeutet. Wer vom Sakrament redet, redet also vom Heiligen. In ihren heiligen Handlungen hat die Gemeinde ihre Mitte. In diesen Handlungen ergreift der Glaube das Heil. Oder mit anderen Worten: In der Feier der Sakramente hat der Glaube der Christen alles. Dabei sind die Sakramente nach lutherischer Auffassung Zeichen und Zeugnis des göttlichen Willens, durch die der Glaube sowohl geweckt wie gestärkt wird. Die Taufe zur Vergebung der Sünden und als Zeichen der Aufnahme in die Gemeinschaft der Gemeinde gibt es seit den Zeiten der ersten Christen. Das gilt auch für das Abendmahl als Zeichen, in dem sich der gekreuzigte Christus seiner Gemeinde vergegenwärtigt und in dem sie sich der Gemeinschaft mit Jesus Christus erinnert. Zu diesen beiden kamen im 13. Jahrhundert fünf weitere dazu: die Firmung, die Buße, die Krankensalbung, die Priesterweihe und die Ehe. Mit dieser Sieben-Sakramentslehre setzt sich Luther kritisch auseinander. Bei ihm liest es sich im Anfang seiner Schrift so: „Grundsätzlich und als erstes muss ich verneinen, dass es sieben Sakramente gibt, und kann zur Zeit drei dafür setzen: die Taufe, die Buße, das Brot. Und diese alle sind uns durch die römische Kurie in elende Gefangenschaft geraten, und die Kirche ist all ihrer Freiheit beraubt. Allerdings: wenn ich mich nach der Schrift richten will, kenne ich nur ein einziges Sakrament und drei sakramentale Zeichen.“ Am Ende seiner Schrift wird Luther nur noch von zwei Sakramenten schreiben. Die Buße ermangelt eines sichtbaren Zeichens, wie sie die Taufe im Wasser und das Abendmahl in Brot und Kelch haben. Letztlich ist die Buße der Taufe zuzuordnen, indem sie ein Weg der Rückkehr zur Taufe ist. An anderer Stelle im Kleinen Katechismus formuliert Luther, dass der alte Adam in uns täglich durch Reue und Buße ersäuft werden muss. Er selbst hatte sich auf der Wartburg diese stete Erinnerung an die eigene Taufe auf seinen Schreibtisch geschrieben, damit er sich immer gewiss war, zu Gott zu gehören: Ich bin getauft! Das „nur einzige“ Sakrament ist nach Luther Christus selbst. Dennoch bleibt der Sakramentsbegriff für die Handlungen der Kirche auch bei ihm erhalten. Aber der Christusbezug ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Zurück zu den Quellen, Die Kirche kann irren, Luthers Reformprogramm, Gottesdienst neu, Das ist mein Leib, Kinder taufen?, Lutherrezeption in der katholischen Kirche Bibeltexte: Markus 16, 16; Matthäus 28, 18–20 (Taufe), 1. Korinther 11, 23–26; Lukas 22, 19–20 (Abendmahl) Literatur: – Martin Brecht, Martin Luther, Band 1: Sein Weg zur Reformation (1483–1521), Calwer Verlag, Stuttgart 1981 geht nicht verloren, sondern er wird bestärkt. Nur die kirchlichen Vollzüge können Sakramente sein, die allein im Stiftungswillen Christi gegründet sind, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt wird. Mit anderen Worten: Nur was Jesus selbst als heilige Handlung den Seinen aufgetragen hat, kann Sakrament sein, mithin Taufe und Abendmahl. Hier klingt deutlich die Mitte der Lehre Luthers durch. Der Glaube ist geschenkte Gnade Gottes. Er wird nicht durch sakramentale Handlungen der Priester der Kirche gewirkt, sondern ist allein Gottes Gabe. Wenn wir heute eine Taufe feiern oder gemeinsam zum Abendmahl gehen, ist uns dies selbstverständlich – Gott sei Dank. Zu Zeiten Luthers brachten seine Überzeugungen die Mauern, in denen die damalige Kirche den Glauben gefangen hielt, in den entstehenden evangelischen Kirchen zu Fall. Sie verhalfen der Gemeinde zu neuer Freiheit des Glaubens. Diskutieren Sie mit zum Thema mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in unserem Reformations-Blog https://glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine E-Mail an: [email protected] Thilo Haak ist Pfarrer in der EpiphanienKirchengemeinde in Berlin-Charlottenburg. Foto: privat Sonntag, 28. Februar 2016 | Nr. 9 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Freiheit! Für! Gott! Luthers Weg aus dem Zwang ständiger Selbstrechtfertigung Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 9 Teil 2: Entfaltung der reformatorischen Lehre FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Wo erlebe ich mich gefangen in mir? 2. Was verschafft mir Anerkennung? 3. Wo erlebe ich mich frei? Auch von der Sucht nach Anerkennung? Zugänge zum Thema: – Das Original lesen, unbedingt! Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Studienausgabe, Verlag: Reclam, Ditzingen 2011, oder online http://gutenberg.spiegel.de/buch/ martin-luther-sonstige-texte-270/6 Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Martin Luther Fanal der Freiheit auf heute nicht einmal 30 Taschenbuchseiten. Es genügt eine Bahnfahrt ins Wochenende, um aufzunehmen und zu vergegenwärtigen, was christliche Freiheit ausmacht, damals und heute. Denn wie Luther diese Freiheit vorstellt und entwickelt, das mutet herrlich modern an. Es nimmt seinen Ausgang bei der Zerrissenheit der Welt, unseres Lebens, menschlicher Existenz. Und mündet in ein zutiefst dialektisches, zutiefst doppeltes Verstehen und Erleben der Freiheit. Aber eins nach dem anderen. Jeder Christ, jede Christin ist, wie Luther sagt, „von zweierlei Natur“, geistlicher und leiblicher oder auch: neuer und alter oder auch: inwendiger und äußerlicher. Diese „oder auch“ sind wichtig, weil es zu kurz gegriffen wäre, hier von einer bloßen Leib-Geist-Teilung auszugehen, die Das Luther-Zitat: Martin Luther über den Christenmenschen: Zum ersten. Damit wir gründlich erkennen können, was ein Christenmensch ist und wie es um die Freiheit bestellt ist, die ihm Christus erworben und gegeben hat, von der St. Paulus viel schreibt, will ich diese zwei Thesen aufstellen: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. (…) Zum zweiten. Um diese beiden widerständigen Reden von der Freiheit und der Dienstbarkeit zu verstehen, sollen wir eingedenk sein, dass jeder Christenmensch von zweierlei Natur ist, geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt. Und um dieses Unterschiedes willen werden von ihm in der Schrift Sätze gesagt, die stracks widereinander sind, wie ich jetzt gesagt habe von der Freiheit und Dienstbarkeit. (…) Zum dreißigsten. Aus dem allen ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in seinem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott führt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe. (…) Seht, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die … alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde. Das gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten. Amen. (Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520) dann womöglich auf der Linie überwundener kirchlicher Leibfeindlichkeit verstanden würde. Luther versteht die Spannung des menschlichen Lebens und Glaubens umfassend: Der neue, in Christus zum Glauben geführte Mensch ist ein „ganzer“, mit Leib und Seele, der alte, in der Sünde, in der Trennung von Gott verharrende und gefangene Mensch ist ebenso ein „ganzer“, mit Leib und Seele. Christus befreit den ganzen Menschen, indem er mit ihm tauscht, ihm seine Sünde nimmt, ja sich mit dem Menschen vereinigt. Verwandte Themen des Kurses: Das Evangelium im Turm wiederentdeckt, Luthers Reformprogramm, Kirche in der Gefangenschaft, das Gesetz gehört aufs Rathaus Bibeltexte: 1. Korinther 9, 19; 2. Korinther 4, 16; Römer 13, 8; Galater 5, 1–14 Literatur: – Eberhard Jüngel, „Mensch, wo bist Du? Glauben und Freiheit als Ortsbestimmungen des Christenmenschen” in: Eberhard Jüngel, „Außer sich“: Theologische Texte, Radius, Stuttgart 2011 – Rechtfertigung und Freiheit: 500 Jahre Reformation 2017. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2014 ich tun kann, folgen ja automatisch – spontan, unberechenbar, selbstverständlich – aus der Freiheit, die ich gewonnen und erfahren habe. „Freiheit aus“ Christus für Gott und die Menschen, für die Liebe zur Liebe – das formuliert Martin Luther im Angesicht der Bannbulle 1520. Ein Fanal, ein Leuchten, ein Ruf in diese Welt, der nicht verhallt: Freiheit! Für! Gott! Christian Stäblein ist Propst der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz. Foto: Zöllner/EKBO ANZEIGE Pascoflair® ANZEIGE Meine Brücke zur inneren Ruhe. Ein Ruf in die Welt, der nicht verhallt Luther sagt: Christus und Mensch werden Braut und Bräutigam, sie werden ganz und gar eins. Das ist der fröhliche Wechsel, durch den Christus in uns und wir in Christus leben. Es geschieht im Glauben also ein Identitätswechsel und ein Herrschaftswechsel – einer, in den keine kirchliche Macht oder geistliche Autorität sich hineinmischen und diesen reglementieren kann oder darf. Im Glauben an Christus werden wir frei und neu, ganz und gar. Und bleiben doch auch der alte Mensch, in Luthers Diktion: Wir bleiben alter Adam, alte Eva. So entsteht eine Spannung, die dem Leben Dynamik und Energie gibt, die stete Erneuerung des alten Adam auf den neuen hin, die stete Verwandlung der alten Eva auf die neue hin. Das „Freiheitskonzept“ Luthers ist in dieser dialektischen Wahrnehmung menschlicher Grundspannung sehr modern – es ist es erst recht mit Blick auf jenen Umgang mit dem, was wir gut reformatorisch „die guten Werke“ nennen. Auf sie kommt es bekanntlich nicht (mehr) an, wenn es um die Annahme von und vor Gott geht. Wer anderes behauptet, verdun- Neues Design – bewährte Wirkung Pascoflair ® trit ein t na Von Christian Stäblein Im Jahre 1520 soll Martin Luther der Bannstrahl der römisch-katholischen Institution schrecken und auf die Vorgaben der Institution zurück zwingen. Papst Leo X. verhängt die Bannandrohungsbulle, die Luther verbrennen wird. Im Jahre 1520, als Martin Luther kirchlich-äußerlich größte Unfreiheit erfährt, formuliert er die großen Freiheitsschriften der Reformation. Neben „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „An den christlichen Adel deutscher Nation. Von des christlichen Standes Besserung“ ist dies vor allem die kurze Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Zusammen gelten sie als die Entfaltung der reformatorischen Lehre im Wendejahr 1520, das sichtbare Zeichen, dass der Aufbruch der neuen Bewegung unumkehrbar wird. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt der Text, den Martin Luther seinem Sendbrief an Leo X. beilegt. Es ist ein Dokument lebendiger Freiheit, ganz der Zeit verhaftet und zugleich ganz zeitlos. Es ist ein Er kämpfte für Freiheit, war innerlich frei: Luthers Namensvetter, der Pastor Martin Luther King. Foto: Pixabay ZUR WEITERARBEIT ch 30 MINUTEN1,2 Wir k Martin Luther pfiff auf das Schreiben von Papst Leo X., der ihm mit dem Ausschluss aus der K irche drohte, dem Bann. Was tat Luther? Er verfasste 1520 einen Ruf, der auch heute, 500 Jahre später nicht verhallt ist, Worte über die Freiheit eines Christen und – heute fügen wir hinzu – einer Christin. kelt die Freiheit Gottes und stößt den Menschen in einen unendlichen Prozess der Selbstrechtfertigungs- und Selbstbestätigungsversuche, den er nur verlieren kann. Gerade an diesem Punkt ist Martin Luther aktueller denn je. Denn wir Menschen bestätigen und begründen uns gerne in dem, was wir tun, was wir schaffen, was uns gelingt. Wir sind Macher unseres Lebens und unser selbst. Wir wollen und suchen Anerkennung dafür. Diesen Mechanismus durchbricht christliche Freiheit – weder vor Gott noch vor uns selbst können oder müssen wir uns durch unser Tun beweisen. Gott erkennt uns an. Und nimmt uns an. So sind wir frei, wirklich frei. Das höre ich gern – und bin doch stets in der Gefahr, töricht zu meinen, es wäre mit der „Freiheit von“ – von kirchlicher, geistlicher, menschlicher Bevormundung oder von eigenmächtiger Selbstrechtfertigung – schon getan. Freiheit kann nur gelebt werden, wenn sie „Freiheit zu“ oder „Freiheit für“ wird. Freiheit für Gott. Für seine Liebe. Für die Liebe zum Nächsten. Jeder Christenmensch ist „dienstbarer Knecht“ schreibt Luther. Heute formulieren wir eher so: Freiheit zeigt sich in Bindung, in Bindungsfähigkeit. An Aufgaben. Für Nächste. Für die, die uns brauchen. Unsere Liebe. Das Risiko christlichen Redens von dieser doppelten Freiheit ist, dass sich „die Katze hier in den Schwanz zu beißen droht“ – argumentativ: Nun kommt es also doch auf die guten Taten an, die Werke der christlichen Nächstenliebe. Nein und Ja ist darauf zu erwidern. Nein, denn die Werke sind nicht der Zugang zu Gott, nicht der Zugang zu mir selbst, nicht der zur Freiheit. Ja, denn die guten Dinge, die entspannt bei Stress und Mehrfachbelastung erhält Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit verscha innere Ruhe und fördert so den gesunden Schlaf wirkt schnell und ist ausgezeichnet verträglich1,2 1 2 Movafegh, A., R. Alizadeh, et al. (2008). Anesth Analg 106(6): 1728-32. Dimpfel, W., K. Koch, et al. (2012). Neuroscience & Medicine, 3: 130-140. Pascoflair® Pflanzliches Arzneimittel. Überzogene Tabletten. Wirkstoff: Passionsblumenkraut-Trockenextrakt. Anwendungsgebiete: Bei nervösen Unruhezuständen. Enthält Sucrose und Glucose. 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Testfall: Eltern sind „aus Gewissensgründen“ gegen Antibiotika und verabreichen deshalb ihrem Kind die vom Arzt verschriebenen Antibiotika nicht, ohne den Arzt davon zu informieren. Das Kind stirbt. Was ist hier falsch gelaufen? Zugänge zum Thema: – Luthers Schrift lesen: „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (1523), im Internet unter: http://gutenberg.spiegel. de/buch/von-weltlicher-obrigkeitwie-weit-man-ihr-gehorsam-schuldig-sei-267/3 Wie weit ist ein Christ weltlicher Macht Gehorsam schuldig? Die Frage beantwortet Martin Luther in einer Anfang 1523 erschienenen Schrift. Sie ist eine theologische Auseinandersetzung über das Verhältnis eines Christen zur weltlichen Obrigkeit. Von Richard Schröder Kurz nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York vom 11. September 2001 nahm ich in Leipzig an einer Diskussionsrun de teil. Darin saß auch ein jordani scher Geschäftsmann, der sich in Leipzig niedergelassen hatte. Er schockierte uns mit den Worten: Die Araber hassen den Westen, und sie hassen ihn zu Recht. Aber dann sagte er: Er bedaure, dass nicht auch im Koran ein Satz steht wie das Wort Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kai sers ist und Gott, was Gottes ist“ (Markus 12, 17). Die islamische Welt sei zerrissen, weil es an einer befrie denden Unterscheidung zwischen Religion und Politik fehle. Und Fun damentalisten fordern die Einheit von Religion und Staat. In der Geschichte Europas hat es reichlich Intoleranz und Religions kriege gegeben, und die großen Kir chen waren nicht die Vorkämpfer für die Religionsfreiheit. Aber fest verankert ist in der christlichen Tra dition die Dualität (nicht der Dualis Jahrtausende alte Streitfrage: Wo verläuft die Grenze zwischen weltlicher Herrschaft und christlicher Gemeinschaft? mus!) von weltlicher Herrschaft und christlicher Gemeinschaft oder im Mittelalter von Kaiser und Papst, schließlich von Staat und Kirche. Und dafür konnte man sich auf je nes Wort Jesu beziehen. Es gab Versuche, diese Dualität zur Einheit aufzulösen, im Mittel alter zugunsten einer Theokratie des Papsttums oder im 20. Jahrhundert zugunsten eines totalen Weltan schauungsstaates. Sie sind geschei tert. Gestritten wird nur noch über den Grenzverlauf. In dieser Geschichte spielt L uthers Zwei-Reiche-Lehre eine wichtige Rolle. Wir folgen hier der frühen Schrift „Von weltlicher Ob rigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (1523). Alle Menschen müsse man in zwei Teile einteilen, erklärt er. Die einen bilden das Reich Gottes, die anderen das Reich der Welt. Die ersteren sind diejenigen, die recht glauben und lie ben. Sie leben unter Jesus Christus, ihrem Herrn, und brauchen weder weltliches Recht noch das Schwert, denn sie tun niemandem Unrecht, vergelten kein Unrecht und sind je dermann in Nächstenliebe zugetan. Den anderen Teil bilden diejenigen, die keine wahren Christen sind, auch wenn sie getauft sind. Diese müssen durch Gesetze und Strafandrohung gehindert werden, Böses zu tun. Dass hier die ganze Menschheit in zwei Teile geteilt werden soll, in Gläu Das Luther-Zitat: Martin Luther über die zwei Regimenter: „Das weltliche Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als über Leib und Gut und was äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele kann und will Gott niemand regieren lassen als ihn selbst allein. Darum, wo weltliche Gewalt sich vermisst, der Seele Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment und verdirbt nur die Seelen.“ Der „Seelen Gedanken und Gesinnungen können niemandem als Gott offenbar sein. Darum ist es umsonst und unmöglich, jemandem zu gebieten oder mit Gewalt zu zwingen, so oder so zu glauben.“ „Zum Glauben kann und soll man niemanden zwingen.“ „Gedanken sind zollfrei.“ Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig ist (1523) „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Apostelgeschichte 5, 29 Martin Luther bige und Ungläubige, scheint auf den bekannten Dualismus von Gut und Böse hinauszulaufen. Es geht Luther aber nicht um ein Reich des Guten gegen ein Reich des Bösen noch um Erwählte hier, Verworfene dort. An anderen Stellen sagt nämlich Luther: In diesem Leben sind wir Christen Gerechtfertigte und Sünder zugleich. Also auch wir Christen gehören bei den Sphären an. In beiden Reichen regiert Gott, aber mit zwei verschiedenen „Regi menten“: Im Reich zur Rechten re giert er durch Wort und Sakrament, „non vi sed verbo“, („Nicht mit Ge walt, sondern mit dem Wort“) ge waltfrei, indem sein Wort die Herzen rührt und durch den Heiligen Geist Glaube, Liebe, Hoffnung entzündet. Im Reich zur Linken regiert er durch die Obrigkeit, wenn (sofern) sie nach Recht und Gesetz verfährt und dieses auch vollzieht. Auch die jenigen, die in staatlichen Funktio nen für Recht, Frieden und Wohl fahrt sorgen, sind Gottes Diener – und zwar auch dann, wenn sie gar keine Christen sind. Denn das Rech te ist der natürlichen Vernunft zu gänglich. Man muss nicht Christ sein, um ein guter Politiker zu sein. Wichtiger noch ist für Luther, die Grenzen obrigkeitlicher Macht auf zuzeigen. In Sachsen hat man da mals seine Übersetzung des Neuen Testaments beschlagnahmt. Dagegen sagt er: Es steht der Obrigkeit nicht zu, sich in die je individuelle Gottes beziehung einzumischen oder: Über die Seelen regiert Gott allein (siehe Zitate im Kasten). Deshalb wendet er sich auch dagegen, dass die weltliche Obrigkeit mit Gewalt gegen Ketzer vorgeht. „Gottes Wort soll hier strei ten. Wenn das nichts ausrichtet, so wird’s wohl unausgerichtet bleiben von weltlicher Gewalt, ob sie gleich die Welt mit Blut füllt.“ Wo die Obrigkeit ihre Grenzen überschreitet, endet auch der Obrig keitsgehorsam. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 4). Da gilt sogar die Pflicht zur Gehorsamsverweige rung, und zwar auch, wenn der Fürst Unrecht tut. Aber der „Obrigkeit soll man nicht widerstehen mit Ge walt, sondern nur mit Erkenntnis der Wahrheit. Kehrt sie sich daran, ist es gut. Wo nicht, so bist du ent schuldigt und leidest Unrecht um Gottes willen.“ Es ging in lutherischen Landen an ders weiter, als diese Schrift erhoffen ließ. Da sich Bischöfe für die Refor mation nicht gewinnen ließen, wur den – zunächst provisorisch gedacht – die Landesherren mit bischöflichen Aufgaben betraut. Diese Verbindung von Thron und Altar währte bis 1918. Die Folge war zunächst das Gegenteil von Religionsfreiheit: die Konfessio nalisierung. Aber Schriften sind wie Kinder. Sie führen ein Eigenleben, wenn sie einmal in der Welt sind. Als Calvin 1553 in Genf Michael Servetus als Ketzer verbrennen ließ, weil er die Trinitätslehre angegriffen hatte, ver öffentlichte sein ehemaliger Günst ling Sebastian Castellio eine Schrift gegen diese Ketzerverfolgung, die Grundlage wurde für den Toleranz gedanken der Aufklärung. Gegen Calvin zitiert er neben Kirchen vätern – Luthers Obrigkeitsschrift. Martin Luther war kein Demo krat. Aber der Reformator hat (ah nungslos) den Grund gelegt für das älteste der europäischen Grund- und Menschenrechte, die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Diese Saat ging allerdings nicht in Deutschland auf, sondern in den Niederlanden. Bei der Dordrechter Ständeversammlung 1572 wurde die Religions- und Versammlungsfreit verkündet, um dem Morden aus Re ligionsgründen vorzubeugen. Foto: epd ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Luther widersteht, Luthers Reformprogramm, Christsein: Frei und verpflichtet, Zu den Waffen, Das Gesetz gehört aufs Rathaus, Die Kirche kann irren, Bischöfe und Fürsten Bibeltexte: Psalm 7, 8.9–10; 115, 16; Matthäus 22, 21; Markus 12, 1; Apostelgeschichte 1, 24; 4 und 5, 29; Römerbrief 10, 17 und 13; 2. Korintherbrief 10,4 Literatur: 1. Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken. Mohr-Siebeck, Tübingen 2006 2. Stefan Zweig, Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt 3. Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas (fingierte Szene eines Gesprächs zwischen Luther und Kohlhaas). Immanuel Kant hat die Demokra tie noch unter die despotischen Ver fassungen gezählt, weil er darunter die reine Mehrheitsdemokratie ver stand, und das wäre Tyrannei über die Minderheit. Erst die Einschränkung des Mehrheitsprinzips durch Grund rechte und Gewaltenteilung hat das Wort Demokratie geadelt. Das sollten sich diejenigen zu Herzen nehmen, die behaupten, wir hätten noch gar keine richtige Demokratie, denn nur die direkte sei die echte. Dagegen hilft auch: Luther lesen. Diskutieren Sie zum Thema mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in unserem ReformationsBlog https://glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine Mail an: [email protected]. Richard Schröder ist Theologieprofessor in Berlin. Foto: epd 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 13. März 2016 | Nr. 11 NK Luther und der verborgene Gott Schicksalsschläge und Leiden als Bewährungsfeld christlichen Glaubens Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 11 Teil 2: Entfaltung der reformatorischen Lehre FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Würden Sie Gott für das Böse in der Welt verantwortlich machen? 2. Gehört Leiden nach Gottes Willen zum Menschsein? 3. Sollte unsere Kirche den Menschen unserer Zeit einen unverstehbaren Gott vor Augen führen? Zugänge zum Thema: – Dietrich Bonhoeffer, Einige Glaubenssätze über das Walten Gottes in der Geschichte, in: „Widerstand und Ergebung“, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Taschenbuch, Gütersloh 2011 Manchmal scheint es, als verberge sich Gott. Wenn im Leben gar nichts mehr geht, Schicksalsschläge Wunden reißen. Gott ist dann einfach nicht zu verstehen. So fern scheint sein gütiges Wesen. Von Wolf Krötke Wo ist Gott? Diese Frage wird immer wieder laut, wenn Menschen durch andere Menschen oder durch Naturgewalten in sinnloses Leiden gestürzt werden. Es ist die Frage von Menschen, die sich in äußerster Verzweiflung daran klammern, dass Gott ihnen „in allen Nöten“ helfen kann, indem er sie „vor allem Übel behütet und bewahret“. Das darf der Glaube an Gott nach Martin Luthers Katechismen Gott zutrauen. Sehr viele Menschen verlieren jedoch den Glauben an Gott, weil sie nicht „bewahrt“ wurden. Georg Büchner hat solche Leiderfahrungen in seinem Drama „Dantons Tod“ den „Fels des Atheismus“ genannt. Für Luther waren sie jedoch das Bewährungsfeld des christlichen Glaubens. Er hat uns damit ein großes Problem beschert. Denn statt nur vom gnädigen Gott zu reden, hat er auch den „verborgenen Gott“ groß gemacht, der mit „Gnade“ nichts zu tun hat. Ihm kann man auch nicht vertrauen. Denn er bewirkt unterschiedslos alles in der Welt: Gutes wie Böses. Er treibt mit seiner göttlichen Macht-Dynamik wie ein riesiger Energiespender alles Luthers Blickrichtung: Durch Gottes dunklen, unerklärlichen Ratschluss hindurch auf das Kreuz der Liebe sehen. an, was er in der Welt antrifft. Luthers Beispiel ist: Wenn er auf ein „dreibeiniges“ Pferd trifft, treibt er es an, schlecht zu laufen. Wenn er auf Menschen trifft, die böse sind, treibt er sie im Tun des Bösen an. Er verschafft sogar dem „Satan“ Power. Uns stockt der Atem, wenn wir das in Luthers kompliziertester Schrift „Vom unfreien Willen“ (1525) und anderswo bei ihm lesen. Darum ist es geraten, sein Reden vom „verborgenen Gott“ etwas zu sortieren. Erstens: Die Orientierung am „verborgenen Gott“ hat Luthers Gottesverständnis von Anfang an geleitet. Aber da hatte er den Gott vor Augen, der seine mächtige Herrlichkeit unter dem Gegenteil von Herrlichkeit verborgen hat. Er begegnet am Kreuz Jesu Christi. Das Wahrnehmen Gottes, der sich für uns am Kreuz erniedrigt, begründete darum den Widerspruch gegen eine Kirche, die sich am „Gott der Herrlichkeit“ orientierte. Alles vorherbestimmt? Zweitens: Auf den „Gott der Herrlichkeit“ hat Luther sich jedoch auch selber berufen, als Erasmus von Rotterdam behauptete, dass Menschen fähig seien, sich mit ihrem freien Willen Gott entweder Das Luther-Zitat Martin Luther über den verborgenen Gott Der Glaube hat es mit Dingen zu tun, die man nicht sieht. Damit also Raum sei für den Glauben, muss alles, was geglaubt wird, verborgen werden; es wird aber nicht tiefer verborgen, als unter gegensätzlichem Anblick, Empfinden, Erfahren. So, wenn Gott lebendig macht, tut er das dadurch, dass er tötet; wenn er rechtfertigt, tut er das dadurch, dass er schuldig macht; wenn er zum Himmel empor hebt, tut er es dadurch, dass er zur Hölle führt. […] Anders ist über Gott oder den Willen Gottes zu disputieren, der uns gepredigt, offenbart, dargeboten und verehrt wird, und anders über den nicht gepredigten, nicht offenbarten, nicht dargebotenen, nicht verehrten Gott. Sofern Gott sich also verborgen hat und von uns nicht erkannt werden will, geht er uns nichts an. Hier nämlich gilt jenes (Sprichwort): „Was über uns ist, geht uns nicht an“ (Vom unfreien Willen, 1525). Gott kann nicht Gott sein, er muss zuvor ein Teufel werden, und wir können nicht gen Himmel kommen, wir müssen vorher in die Hölle fahren, können nicht Gottes Kinder werden, wir werden denn zuvor des Teufels Kinder. […] Ich muss dem Teufel ein Stündlein die Gottheit gönnen und unserem Gott der Teufelheit zuschreiben lassen. Es ist aber damit noch nicht aller Tage Abend. Es heißt doch zuletzt: Seine Güte und Treue waltet über uns (Psalm 117, 2) (Predigt von 1530). „Sofern Gott sich also verborgen hat und von uns nicht erkannt werden will, geht er uns nichts an.“ Martin Luther zuzuwenden oder sich von ihm abzuwenden. Luther sah hier sein Anliegen bedroht, dass Menschen nur aus Gottes Gnade vor Gott bestehen können. Er hat darum mit verbalen Keulen auf Erasmus eingeschlagen. Eine dieser Keulen war die Behauptung, dass Menschen gar keine Freiheit haben. Da sie Sünder sind, treibt sie der Allmächtige immer tiefer in die Sünde hinein. Drittens: Die Erfahrung der Allwirksamkeit Gottes ist schrecklich. Kein Mensch kann den „geheimen Ratschluss“ verstehen, der dem zugrunde liegt. Darum müssen wir uns zu dem Gott „flüchten“, der uns im Kreuz Jesu Christi seine Liebe zuwendet. Dann geht uns der Gott, der selbst im „Satan“ wirkt, nichts mehr an. Unser Gott ist dann der vom Neuen Testament „gepredigte Gott“. Viertens: Wer aber meint, den „verborgenen Gott“ damit los zu sein, irrt. Denn zum „gepredigten Gott“ kann nur „flüchten“, wer die Erfahrung des „verborgenen Gottes“ gemacht hat. Er muss sie immer wieder durchstehen, damit er zum Gott der Liebe flüchten kann. Die Meinungen über Luthers Verständnis des „verborgenen Gottes“ gehen weit auseinander. Hier wird offensichtlich „Gott gegen Gott“ ausgespielt. Er ist ebenso Gott in den Exzessen des Bösen wie als „gepredigter Gott“. Es gibt keine Brücke von hier nach dort, sondern nur den Sprung des Glaubens über diesen Abgrund hinweg, zu dem das „Wort vom Kreuz“ einlädt. Haarsträubende Folgerungen In der Nazi-Zeit wurden aus dieser Anschauung Luthers haarsträubende Konsequenzen gezogen. Gott wurde im „Geschick“ des deutschen Volkes, in „Rasse, Blut und Boden“, wahrgenommen. Die Gewaltherrschaft der Nazis, die man mit dem „verborgenen Gott“ zusammenreimte, galt als die beste Ausgangsbasis für das „Flüchten“ zum christlichen Glauben. Scharfe Kritiker dessen haben darum eine Linie von „Luther zu Hitler“ gezogen. Das ist abseitig. Luther hat den „verborgenen Gott“ niemals zur Begründung von Gewalttaten in Anspruch genommen. Dennoch spukt dieser Gott nach wie vor durch Kirche und Theologie. Gegenüber einem religiösem Trend von heute, Gott zu einem „Kuschelgott“ zu machen, wird auf sein undurchschaubares Geheimnis verwiesen. Es soll uns hindern, den Gott Jesu Christi zu e inem stimmigen Gottesbild nach unserem Gefallen zu verarbeiten. Es soll uns veranlassen, die widersprüchlichen Erfahrungen ernst zu nehmen, die wir mit Gott machen. Doch dazu braucht es nicht eines Gottes, der uns zum „Teufel“ wird. Denn Gott, der sich uns im Leiden Jesu Christi zuwendet, lässt sich die Erfahrungen, die wir in der Welt machen, selbst angehen. Sie haben vom Kreuz Jesu Christi her eine Stimme, die in die Zusage eingebettet ist, dass Gott auch, wenn uns sinnloses Leiden heimsucht, mit uns einen Weg geht. Das klingt hart – und das ist auch hart. Denn wir möchten nicht leiden. Wir möchten auch nicht, dass andere Menschen leiden. Wir möchten nur das Gute aus Gottes Hand nehmen. Gut und Böse annehmen Dietrich Bonhoeffer aber, der heute als ein „Heiliger“ der Evangelischen Kirche verehrt wird, hat im Gefängnis gebetet: „Du hast mir viel Gutes erwiesen, lass mich auch das Schwere aus deiner Hand hinnehmen.“ Christliche Gemeinden stimmen heute in dieses Gebet mit der dritten Strophe des Liedes „Von guten Mächten“ ein: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern / des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand / so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern / aus deiner guten und geliebten Hand.“ Nehmen wir ernst, was wir da singen? Bonhoeffer war ein intimer Kenner von Luthers Theologie. Er kannte Foto: pixabay.com ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Freiheit für Gott, Alles vorher b estimmt oder freier Wille, Seelsorge, Der Teufel vergiftet das Getreide, Lutherdeutung Bibeltexte: 2. Mose 14, 4; Ezechiel 18, 31f., 33,11; Römer 2, 1–16 und 9, 14–29 Literatur: – Luthers Anschauung vom „verborgenen Gott“ berührt die Frage der „Theodizee“, die lautet: Verträgt es sich mit dem Glauben an einen gerechten und guten Gott, eine Welt voller Übel schaffen? – Dazu: Klaus von Stosch, Theodizee, UTB, Schöningh 2013 gut Luthers Anschauung vom „verborgenen Gott“ als ein unpersönliches „Es“, das im „Schicksal“ wirkt. Aber im Glauben an Jesus Christus wandelte sich ihm dieses „Es“ – diese diffuse Gottesenergie – zum „Du“, das mit uns Wege geht. Es sind Wege, auf denen Gott uns aufruft, Widerstand gegen das Böse zu leisten. Und wie! Es sind aber auch Wege der „Ergebung“ in das Leid, wenn wir gar nichts mehr tun können und „ohnmächtig […] das Rechte […] in stärkere Hand“ legen müssen. Zum Kreuz Jesu flüchten Von daher können wir Luthers Ratschlag, uns zu dem Gott zu flüchten, der sich im Kreuz Jesu Christi offenbarte, so hören: Vergrabe dich nicht im Herumrätseln, im Stöhnen, im Spekulieren und auch nicht in Anklagen eines Gottes, der gar nicht unser Gott ist. Halte dich an Gott, der jedes Menschen guter Gott sein will. Er hat selber Leiden und Tod nicht gescheut, um seiner Liebe zu seinen Geschöpfen auf seiner Erde eine Bresche zu schlagen. Er beflügelt Menschen auch „im finsteren Tal“ (Psalm 23, 4) mit der Gewissheit, dass diese Liebe den längeren Atem hat als die Mächte des Verderbens. Wolf Krötke ist Professor für Systematische Theologie in Berlin. Foto: privat Sonntag, 20. März 2016 | Nr. 12 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Der Streit um die Bilder Die großen Unterschiede im Umgang mit biblischen Darstellungen in Kirchen ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Gottesdienst neu; Den Schafstall Christi ausfegen; Zwingli und Bullinger, Calvin, Kunst Bibeltexte: 2. Mose 20, 1-21, 2. Mose 31, 1-35 Jesaja 44, 13-17, Apostelgeschichte 17, 16-34 Literatur: Andreas Mertin, Der reformierte Blick auf die Bilder, Hannover 2015, überarbeitete pdf-Fassung, aufrufbar: www. reformiert-info.de/ 14030-0-0-53.html Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 12 Teil 3: Auseinandersetzungen FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Wo begegnen Ihnen religiöse Bilder? 2. Welche Bedeutung haben b iblische Bilder für Sie? 3. Ist der Streit über religiöse Bilder und ihre Rolle heute noch notwendig? Zugänge zum Thema: – Schauen Sie sich gemeinsam die Bilder in einer Kirche der Umgebung an: Was lösen die Bilder in Ihnen aus? Weiße Wände. Ein Abendmahlstisch in der Mitte. Kein Kreuz. Keine Bilder. Keine Kerzen. Wären da nicht die getäfelte Decke und die mächtige Empore aus dunklem Holz, der Innenraum der reformierten Bergkirche in Osnabrück wäre wenig einladend. „Raum und Raumgestaltung dienen ausschließlich dem Zweck, das Wort Gottes vernehmbar zu machen.“ So lautete das Motto, nach dem viele evangelische Kirchen, nicht nur die reformierten, nach 1945 umgestaltet wurden. Als die Bergkirche 2010 renoviert werden musste, fand man unter der weißen Wandfarbe die Porträts der vier Evangelisten. Sollte man die Bilder freilegen und bewahren – ausgerechnet in einer reformierten Kirche? Von Bernd Krebs Streit über die Rolle der Bilder hat es in der Kirchengeschichte immer wieder geben. „Du sollst dir kein (Gottes-) Bildnis machen“ (2. Mose 20, 4). So steht es mehrfach in der Heiligen Schrift des Alten Testaments. Doch gilt das Verbot auch für die Kirche? Die orthodoxe Sicht der Ostkirchen ist: Seit der Menschwerdung ist Gott ansehbar und darstellbar geworden. Deshalb sind Bilder für den Glauben notwendig. Daran haben sich im Hochmittelalter auch katholische Theologen angeschlossen. Dagegen behaupteten die Kritiker der Bilderverehrung: Der zentrale Ort, an dem an die Menschwerdung Gottes erinnert und vergegenwärtigt wird, ist das Abendmahl. Deshalb seien Bilder für den Glauben überflüssig. Die römisch-katholische Position ist bis heute: Bilder haben eine katechetische Bedeutung; sie sind für den Glauben nützlich, da sie die Glaubenden an die „Geheimnisse der Erlösung erinnern und ihnen Vorbilder christlichen Lebens vor Augen“ stellen (Katholischer Erwachsenenkatechismus). Schon Karl der Große aber vertrat Ende des 8. Jahrhunderts die Ansicht, Das letzte Abendmahl, um 1527. Gemälde von Hans Holbein d. J. (um 1497–1543) und Werkstatt („Venus-Maler“), Öl auf Holz. Im Bildersturm, Februar 1529, sind seitliche Bildteile verloren gegangen. Basel, Kunstmuseum. Foto: epd Bilder seien für den Glauben neutral. Ihr „Wert“ läge in ihrem künstlerischen Ausdruck. Luther und die anderen Reformatoren waren darin einig: Eine grundlegende Veränderung von Liturgie, Gottesdienst und Frömmigkeitspraxis war überfällig. Es galt, dem Missbrauch der Bilder als Heilsmittel, das heißt als Mittel, um sich der Gnade Gottes zu versichern, zu wehren. Darüber, wie das umzusetzen sei und wie weit die Reformen reichen sollten, gingen die Meinungen weit auseinander. Anfang März 1522 erreichte Luther auf der Wartburg die Nachricht, dass eine Menschenmenge die Stadtkirche in Wittenberg gestürmt, Bilder und anderes Inventar zerstört hätte. Andreas Bodenstein (genannt Karlstadt), Wortführer der radikalen Reformer, begründete den sogenannten Bildersturm so: „Christus sagt: Meine Schäflein hören meine Stimme. Er sagt nicht: Sie sehen meine oder der Heiligen Bilder.“ Wer dennoch Gott in Bildern anbete, bete nicht Gott an, sondern einen „Ölgötzen in seinem Herzen“. Luther kehrte nach Wittenberg zurück. In einem PredigtMarathon (acht Predigten in sieben Tagen) gelang es ihm, die Gemüter zu beruhigen. Luthers Kritik galt zunächst dem Vorgehen von Karlstadt. Bevor man Veränderungen angehe, müssten die Gemeindeglieder in den grundlegenden Glaubensfragen unterwiesen werden. Dabei gelte allein die Überzeugungskraft des Wortes. „Predigen will ich’s, sagen will ich’s, schreiben will ich’s. Aber zwingen, mit Gewalt dringen will ich niemand, denn der Glaube will willig, ungenötigt angenommen werden.“ In der Sache selbst wandte sich Luther (wie Karlstadt) gegen die Vorstellung, dass die Bilder „Heilsmittel“ seien: Wer den Bildern eine heilende Kraft zuspreche, wer sie deshalb vereh- Das Luther-Zitat Martin Luther über die Bilder: „Das Bilderstürmen habe ich so angefangen, dass ich die Bilder zuerst durchs Wort Gottes aus den Herzen riss und unwert und verachtet machte: wie es denn auch so schon geschehen ist, ehe denn Doktor Karlstadt vom Bilderstürmen träumte. Denn wo sie aus dem Herzen sind, tun sie vor den Augen keinen Schaden. Aber Doktor Karlstadt, dem nichts an den Herzen gelegen ist, hat das umgekehrt und sie aus den Augen geschafft und im Herzen stehen lassen. Denn wo die Herzen unterrichtet sind, dass man Gott allein durch den Glauben gefalle und ihm durch Bilder kein Gefallen geschieht, sondern dass sie ein verlorener Dienst und Aufwand sind, fallen die Menschen selbst freiwillig davon ab, verachten sie und lassen keine machen.“ Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525) „Das Bilderstürmen habe ich so angefangen, dass ich die Bilder zuerst durchs Wort Gottes aus dem Herzen riss ...“ Martin Luther re, anbete und zum Götzen mache, missbrauche die Bilder. Das gelte auch für die weit verbreitete Praxis, durch Stiftung von Bildern vor Gott Genugtuung leisten und Verdienste erwerben zu wollen. Dem Missbrauch müsse durch Predigt und seelsorgerliche Zuwendung begegnet werden. Dort, wo die Bilder weiterhin verehrt würden, könne eine Entfernung aus den Kirchen geboten sein. Doch Luther gestand den Bildern auch eine katechetische Bedeutung zu. „Andechtig Bilder und Gemelde“ vermögen das Wort des Evangeliums zu unterstützen und zu festigen; sie erinnern an „Gottes werk und wort allen enden“, wecken die Andacht und trösten. Letztlich aber sei es, „frei gelassen“, ob man gemalte Bilder (ge-)braucht oder nicht. In vielen evangelischen Kirchen ist deshalb die mittelalterliche Ausstattung erhalten geblieben. So sehr die Schweizer Reformatoren mit Luther in der Ablehnung der Bilder als „Heilsmittel“ übereinstimmten, so wenig vermochten sie Luther in der positiven Bewertung der Bilder zu folgen. Die Abkehr von den Bildern begründete der Züricher Reformator Huldrych Zwingli mit der bleibenden Gültigkeit des 2. Gebotes: „Du sollst dir kein (Gottes-) Bildnis machen.“ Das Argument der Befürworter, dass man mit den Bildern doch nur die menschliche Seite Jesu darstellen wolle, ließ er nicht gelten, denn die menschliche Seite sei untrennbar mit seiner göttlichen Seite verbunden. Gegenüber der katechetischen Funktion der Bilder war Zwingli skeptisch: Einmal aufgestellte Bilder zögen Verehrung auf sich. Das lehre die Erfahrung. Im Juni 1524 erließ der Züricher Stadtrat die Anweisung, dass „man die Götzen und Bilder mit Züchten“ (das heißt geordnet) „hinweg tun solle, damit dem Wort Gottes statt gegeben werde“. Die Bildwerke wurden entfernt und, soweit sie nicht von den Stiftern oder ihren Nachfahren zurückgenommen wurden, zentral deponiert. Wie Zwingli lehnte auch der Genfer Reformator Johannes Calvin jede Darstellung Gottes oder Jesu Christi ab. Katechetische Gründe ließ er nicht gelten. In der Zulassung der Bilder zeige sich ein grundsätzliches Versagen der Kirche. „Wenn die Vorsteher der Kirche den Bildern das Lehramt übertragen haben, so geschah das aus keinem anderen Grunde, als – weil sie selber stumm waren.“ Kultbilder entstünden immer dann, wenn Menschen verunsichert seien und nach einem sichtbaren Halt suchten. Mit der bildlichen Darstellung versuchten sie, sich Gottes zu versichern und ihn verfügbar zu machen. Das aber mindere Gottes Souveränität. Gott allein die Ehre zu geben, durch sein Wort und in seinem Wort – das müsse in der Gestaltung der Kirchräume zum Ausdruck kommen. In den reformierten Gemeinden calvinischer Prägung kam es deshalb zu einer Neugestaltung der Kirchräume, einem Hörsaal vergleichbar, mit der Kanzel im Zentrum. Mit dem Ende der überkommenen Bildverehrung brach für viele Künstler ein wesentliches Geschäftsfeld zusammen. Neue Auftraggeber mussten gewonnen werden. Biblische Motive kehrten in verschlüsselter Darstellung wieder. Religiöse Kunst wurde privatisiert.Sie fand Aufnahme in den Häusern des aufstrebenden städtischen Bürgertums. Die Malerei erfuhr eine Ausweitung der Themen und Stoffe. Die Porträts der vier Evangelisten schmücken heute die Stirnseite der reformierten Kirche in Osnabrück. Der Kirchenrat hatte sich einstimmig dafür entschieden: „Auch eine reformierte Kirche kann ästhetisch schön sein.“ Das ist auch einer neuen Sicht der darstellenden Kunst in unserer Zeit zu verdanken. Bilder, die biblische Motive aufnehmen, laden demnach nicht dazu ein, das Geheimnis Gottes verfügbar zu machen. Sie gestalten Räume mit oder ohne direkte biblische Bezugnahmen, in denen dieses Geheimnis durchschimmert und Menschen zum Fragen nach Gott veranlasst. Bernd Krebs ist reformierter Theologe in Berlin und Beauftragter für das Reformationsjubiläum. Foto: EKBO/Zöllner ANZEIGE Arthrose-Schmerzen in den Gelenken Neue Kollagen-Therapie Gelenkschmerzen kommen mit zunehmendem Alter immer häufiger vor und führen zu einem erheblichen Verlust der Lebensqualität. Jede Bewegung schmerzt. Unabhängig davon, welche Gelenke betroffen sind: zu wenig Bewegung und ein akuter Kollagen-Mangel sind in der Regel der Grund für die Schmerzen. Versorgung des Knorpels Bei Arthrose besteht durch erhöhten Verschleiß ein akuter Mangel an Kollagen. „Der Gelenkknorpel besteht zu mehr als 70 % aus dem Eiweiß Kollagen. Wird dem Körper zu wenig Kollagen zugeführt, können die Gelenke aneinander reiben und die Schmerzen werden unerträglich. Im Extremfall muss operiert werden“, so der Sportmediziner Dr. med. W. Grebe aus Frankenberg. Anderer Therapie-Ansatz Doch soweit muss es nicht kommen: Neue Studien belegen, dass durch die Einnahme spezieller Kollagen-Peptide über 3 Monate zu- sammen mit antientzündlich wirkendem Hagebutten-Extrakt (z. B. CH-Alpha PLUS, Trinkampullen, rezeptfrei in Apotheken), neben einer schnellen Schmerzreduktion sogar eine Regeneration des Knorpels möglich ist. Zusätzlich empfehlen Experten eine Kombination geeigneter Bewegung, z. B. gelenkschonender Gymnastikübungen, um geschwächte Muskelgruppen zu kräftigen. Kostenlose Informationen erhalten Sie in der Apotheke und beim Portal Naturheilkunde, Postfach 410460, 50864 Köln, per E-Mail unter [email protected] oder im Internet unter dh3 www.portal-nhk.de 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 27. März 2016 | Nr. 13 NK Auch die Kirche kann irren Luthers Zweifel am automatischen Besitz der Wahrheit von geistlichen Führern und kirchlichen Gremien ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Widerrufen kann ich nicht, Luthers Reformprogramm, Gemeinde und Amt Bibeltexte: Hiob 6, 24; 19, 4; Jesaja 29, 24; J eremia 8, 4–5; Markus 12 ,24.29; Johannes 18, 38; Johannes 4 ,6; Hebräer 5 , 1–44 Literatur: – Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie, München, C. H. Beck 22013. – Hans-Martin Barth, Die Theologie Martin Luthers. Eine kritische Würdigung, Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus 2009. – Schatten der Reformation. Der lange Weg zur Toleranz. Magazin zum Themenjahr 2013: Reformation und Toleranz, hg. vom Kirchenamt der EKD, Hannover 2012, nur noch digital erhältlich unter www.ekd.de/downloads/Toleranzmagazin_neu_doppelseitig.pdf. cher noch lauter ist. Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helfe mir. Amen.“ Besser eine irrende Kirche als eine untätige Jedes Ziel ist relativ – und auch die Geistlichen können sich irren. Denn die Wahrheit kennt allein Gott. Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 13 Teil 3: Auseinandersetzungen FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Wo informieren Sie sich, wenn Sie wissen wollen, was „die Kirche“ zu einem Thema sagt und glaubt? 2. In welchen Fragen irren die Kirchen Ihrer Meinung nach heute? 3. In welcher theologischen Frage halten Sie einen breiten Konsens für unerlässlich? 4. Wer hat Ihrer Ansicht nach V ollmacht, für „die Kirche“ zu sprechen? Zugänge zum Thema: – Luther lesen: „Daß eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursache aus der Schrift“ (1523), in: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, herausgegeben von Karin Bornkamm und Georg Ebeling, Band 5, Frankfurt am Main, Suhrkamp 1995, Seiten 7–18 Ist die Kirche unfehlbar? Nein, die Liste der Irrtümer im Laufe der Kirchengeschichte ist lang. Aber die Überzeugung, dass Kirche irren kann, wurzelt in Luthers Kritik, die sich am Selbstverständnis seiner Kirche entzündet hat. Von Heinrich Bedford-Strohm Die Kirche kann irren. Wenige Einsichten der Reformation des 16. Jahrhunderts haben sich vermutlich so nachhaltig durchgesetzt wie diese. Intoleranz und Opportunismus, ein mangelndes Bewusstsein für die schuldhafte Verstrickung in Ketzerund Hexenprozesse und die Eigenanteile an den blutigen Auseinandersetzungen unter den Konfessionen und im Geflecht von Mission und Kolonialisierung, eine unscharfe Distanz zu totalitären Regimen und Antijudaismen, die zur Begründung der Verfolgung von Juden benutzt werden konnten … – die Liste der Irrtümer ist lang und wäre weiter fortzusetzen. Sie stellt die Spuren des Segens, die sich mit dem Handeln der Kirche verbinden, nur zu oft in den Schatten, in der Wahrnehmung der eigenen Mitglieder wie bei vielen Außenstehenden. Dabei ist die Überzeugung, dass die Kirche irren kann, hart errungen. Sie hat ihre Wurzeln unter anderem in der Kritik, die Martin Luther am Selbstverständnis der Kirche seiner Zeit entwickelt hat. Sein reformatori- Das Luther-Zitat Martin Luther über den Irrtum der „Nachfolger Jesu“: „Wenn die Nachfolger nicht auf dem Fundament der Apostel [gemeint: die Heilige Schrift] stehen und es nicht beachten, dann sind sie Ketzer oder Antichristen [...]. Eine Bischofsversammlung beziehungsweise ein Konzil können also irren, so wie andere Menschen, sei es in einem öffentlichen Amt, sei es privat.“ „Wenn sie aber nicht irren, so geschieht das durch günstige Umstände [...], nicht aber durch die Vollmacht ihrer Versammlung.“ Aus: Disputation über die Macht eines Konzils (1536) Grafik: Fotolia/JiSign „ ... weder dem Papst, noch den Konzilien allein vermag ich zu glauben, da es feststeht, dass sie sich wiederholt geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so halte ich mich überwunden durch die Schrift ...“ Martin Luther scher Eifer richtete sich gegen eine machtgesteuerte Kirche, die den Menschen das eigentliche Evangelium vorenthält und sie stattdessen mit erfundenen Bestimmungen knechtet. Ihren deutlichsten Ausdruck fand diese Deformation für Luther in der Praxis des Ablasshandels: Um den Neubau der Peterskirche in Rom zu ermöglichen, förderten die Päpste eine höchst ertragreiche Form des Erlasses für zeitliche Sündenstrafen. Die Händler erzielten mit ihren Ablassbriefen große Gewinne. Die theologischen Konditionen dabei waren mitunter abstrus: Wer seinen Ablass kaufte, brauchte die Sünden nicht einmal mehr zu bereuen. Weichen gestellt für die Reformationsbewegung Das ließ Luther zur Feder greifen. Er veröffentlichte seine 95 Thesen. „Daher irren die Ablassprediger, die da sagen, dass durch des Papstes Ablass der Mensch von aller Strafe los und selig werde“, schreibt er (These 21). Und: „Keiner ist der Wahrhaftigkeit seiner Reue sicher“ (These 30). Damit trat Luther in eine Auseinandersetzung mit der Kirche ein und war gefordert, sein Verständnis von Kirche deutlich zu formulieren. Ein Höhepunkt der Auseinandersetzungen war die Leipziger Disputation, ein öffentliches Streitgespräch im Juni / Juli 1519 mit Johannes Eck. Eck brachte Luther nicht nur dazu, die Irrtumsfähigkeit der Päpste zu behaupten, sondern auch zu der Aussage, dass auch Konzilien irren können und geirrt hätten. Damit wurden einerseits die Weichen gestellt, die zur kirchenamtlichen Verurteilung Luthers und zum Bann führten. Zugleich sah Luther sich umso deutlicher herausgefordert, seine theologischen Positionen und die damit verbundenen Ideen für eine Kirchenreform öffentlich zu vertreten. In den folgenden beiden Jahren verfasste er zentrale Schriften, in denen er sich unter anderem mit dem Unterschied von Klerus und Laien, mit den Sakramenten, dem Opfercharakter der Messe, dem Mönchsgelübde als einer besonderen Form des Christentums und mit dem Kirchenrecht befasste. Die Einsicht in die Irrtumsfähigkeit der Kirche führte ihn zum theologischen „Systembruch“. Wenn Päpste und Konzilien in Glaubensfragen irren können, braucht es neue Kriterien für die Theologie und das kirchliche Leben. An die Stelle des kirchlichen Lehramtes treten für Luther das Schriftprinzip und das Gewissen des Einzelnen. Das hat er vor dem Reichstag in Worms am 18. April 1521 auf den Punkt gebracht, als er genötigt war, seinen theologischen Ansatz e r n eu t u n d n u n vo r d e r Ö ffentlichkeit des Heiligen Römischen Reiches zu rechtfertigen: „Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder vernünftige Gründe überwunden werde – denn weder dem Papst, noch den Konzilien allein vermag ich zu glauben, da es feststeht, dass sie sich wiederholt geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so halte ich mich überwunden durch die Schrift, auf die ich mich gestützt habe, so ist mein Gewissen im Gotteswort gefangen, und darum kann und will ich nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen zu handeln weder si- Die heutige römisch-katholische Kirche entspricht nicht mehr der Kirche, gegen die Luther im 16. Jahrhundert seinen Protest erhob. Alle kirchlichen Konfliktpartner der Reformationszeit haben aus ihren Irrtümern gelernt. Aber die Vielfalt der Konfessionen, Landeskirchen, Freikirchen und Denominationen, wie wir sie heute erleben, ist weit von dem entfernt, was Martin Luther sich unter einer erneuerten Kirche hätte vorstellen können. Und dennoch hat sich die Fragerichtung, was den Irrtum angeht, heute möglicherweise verschoben. Vielleicht ist die Frage heute eher, wie sehr die Kirche überhaupt zu irren bereit ist. Im Jahr 2013 wurde Papst Franziskus zitiert mit dem Satz: „Ich bevorzuge eine Kirche, die sich irrt, weil sie etwas tut, statt einer die krank wird, weil sie eingeschlossen bleibt.“ Aus den eigenen sicheren Mauern herausgehen, in den Konflikten und Nöten der Menschen heute präsent sein, sich einmischen, Position beziehen, Partei ergreifen für die Schwachen, für die Verletzlichen, für die Ausgestoßenen, etwas wagen – das könnte der reformatorische Impuls von heute sein. Eine Kirche, die belanglos wird, weil sie nichts wagt, braucht niemand. Eine authentische öffentliche Kirche, die mitten im Leben riskantes Zeugnis für das Evangelium ablegt und darin ausstrahlt, wovon sie spricht, die braucht unser Land, braucht diese Welt, dringend. Haben Sie Fragen zum Thema? Möchten Sie uns Ihre Meinung mitteilen? Schreiben Sie eine E-Mail an [email protected]. Oder diskutieren Sie darüber mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in u nserem Reformations-Blog https://glaubenskursreformation. wordpress.com Heinrich Bedford-Strohm ist Ratsvorsitzender der EKD und Bischof der Evangelischen Landeskirche Bayerns. Foto: epd Sonntag, 3. April 2016 | Nr. 14 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Gott, Herz, Hören Gottesdienst verstehen mit Martin Luther Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 14 Teil 3 Auseinandersetzungen FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Was ist dran an der in evangelischen Gemeinden verbreiteten Meinung: „Die Katholiken müssen ja zur Messe, wir Evangelischen dagegen müssen nicht zum Gottesdienst gehen“? 2. Welche theologischen Gründe gibt es (nach Luther) für den Gottesdienstbesuch, welche dagegen? 3. Wo kann man Gott erfahren und wo kann man Gott reden hören? Im Wald? Im Gebet? Im Gottesdienst – in der Predigt, im Mahl, in Liedern und Musik, in der Stille? Oder hört man Gott besser in der leeren Kirche, jenseits der Liturgie oder zwischen den Liturgien? 4. Gesetzt den Fall, es stünden unbe-grenzt Zeit und Geld für die Gestaltung von Gottesdiensten zur Verfügung: Was würden wir tun? Welche wären dann die ersten, welche die mittel- und langfristigen Maßnahmen? Zugänge zum Thema: – Gottesdienste besuchen, einen katholischen und einen evangelischen, Erlebtes austauschen Gottesdienst ist Ritual, die sonntägliche Wiederholung des V ertrauten und Beruhigenden, so kann man es in Büchern über den Gottesdienst immer wieder lesen. Das mag auf ruhige Zeiten auch so zutreffen. Nähert man sich aber Luther, dann stimmt das nur in geringem Maße. Für Luther waren Gebet und Gottesdienst zuerst Kampf. Hier ging es um alles – um das richtige oder falsche Verständnis Gottes. Ohne die mittel alterliche Messliturgie hätte es keine Reformation gegeben. Von Michael Meyer-Blanck In Eric Tills Lutherfilm aus dem Jahr 2003 wird gezeigt, wie dramatisch sich der junge Luther im Kloster den Glauben erkämpfen musste – gegen den eigenen Unglauben. Wenn ihn wieder alle teuflischen Mächte packen würden, so sagte ihm sein väterlicher Freund und Ordensvorgesetzter Staupitz, dann solle er ein Kreuz in die Hand nehmen und sich daran festhalten. Im Film sieht man den jungen Luther in einer schweren Angstkrise, wie er das Kreuz packt, sich auf den Boden wirft, in der Form des Kreuzes die Arme von sich streckt und „Christus, hilf mir!“ ruft. Wenn es ganz schlimm kommt, dann heißt es einfach nur sich festhalten, vielleicht an dem einen Satz: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Markus 9, 24). Gebet ist Leben ohne Netz und doppelten Boden. Nur so ist es auch aufscheinender Glanz, der den Dingen trotz allem eigen ist. Davon lebt der Gottesdienst, der nach Luther keine gemächliche Wiederholung des schon Bekannten ist, sondern Begegnung mit Jesus selbst. Wie könnte die Begegnung mit jemandem, den man liebt, Routine und Wiederholung sein? Eine sehr gebildete und auch kluge alte Dame aus meiner Gemeinde in Norddeutschland sagte einmal zu mir: „Ach, wissen Sie, zum Gottesdienst muss ich nicht gehen, ich weiß ja inzwischen, was da kommt, es geht Der Gottesdienst braucht nach Luther keine geweihten Altäre oder heilige Räume – wie hier im Hafen von Dierhagen auf dem Fischland. eben immer um das Lob Gottes, und das ist ja auch schön, aber ich brauche das nicht.“ Gottesdienst ist zuerst Gottes Dienst an uns In dieser Äußerung ist der Gottesdienst vor allem als unser Dienst an Gott, als unser Gotteslob verstanden. Luther aber drehte das Ganze um: Der eigentliche Akteur im Gottesdienst ist nicht der Mensch, der Gott lobt und preist. Es geht in der Liturgie nicht um unseren Dienst an Gott, sondern um Gottes Dienst an uns. Der eigentliche Akteur ist Gott, der dem Menschen etwas Gutes tut, der ihn tröstet und aufrichtet. Gott macht die Menschen gewiss, dass sie zwar vielleicht nicht in Ordnung, aber gerade so (und nicht „trotzdem“!) gut, schön und geliebt sind. So erweist Gott den Menschen seinen Dienst. Darum soll sich der Gottesdienstbesucher gar keine Gedanken machen, ob er Gott recht dient oder nicht. Alle Konzepte von Gottesdienst als einer Gott erwiesenen Ehre, alle Formen von Kult zu Gottes Lob sind damit zwar nicht hinfällig, aber zweitrangig. Das Eigentliche ist das Handeln Gottes: „Er selbst kommt uns entgegen, die Zukunft ist sein Land“ (EG 395, 3). Herz statt Altar – der gottesdienstliche Ort Für Luther ist der wichtigste Ort des Gottesdienstes das Herz des glaubenden Menschen. Es kommt nicht darauf an, dass ein Priester das Heilsgeschehen in kultisch angemessener Form zelebriert – so schön das ist, und evangelische Liturgen legen oft viel zu wenig Wert darauf. Aber der eigentliche liturgische Ort ist der Altar nicht. Denn es kommt vor allem darauf an, das, was dort geschieht, als etwas „für mich“ zu begreifen. Das Schöne und Wahre und Gute in der Das Luther-Zitat Martin Luther über den Gottesdienst Weil nun aber der Sonntag ganz allgemein als unser Feiertag angenommen ist, so bleibe es so, nur dass wir Herren darüber seien und nicht er über uns. Hier sollen wir zusammenkommen, um Gottes Wort zu hören und ihn miteinander anzurufen, in aller Not zu ihm zu beten und ihm für empfangene Wohltaten zu danken. Kann es nicht unter einem Dach oder in einer Kirche geschehen, so geschehe es auf einem freien Platz unter dem Himmel, oder wo Raum dazu ist, aber doch so, dass es eine ordentliche, allgemeine, öffentliche Versammlung sei, weil man nicht für jeden einen besonderen Ort bestellen kann und auch nicht in heimliche Winkel gehen soll, auf dass man sich dort verstecke. Da ist der Vorteil dabei, wenn die Christen so zusammenkommen, dass das Gebet noch einmal so stark gehet wie sonst. Man kann und soll zwar überall an allen Orten und zu allen Stunden beten. Aber das Gebet ist nirgendwann so kräftig und stark, als wenn die ganze Gemeinde einträchtig miteinander betet. Aus der Torgauer Kirchweihpredigt vom 5.10.1544 Vor allen Dingen will ich gar freundlich gebeten haben, auch um Gottes Willen, dass alle diejenigen, die diese unsere Ordnung im Gottesdienst sehen oder befolgen wollen, ja kein notwendig Gesetz draus machen, noch jemands Gewissen darein verstricken oder damit fangen, sondern sie, der christlichen Freiheit entsprechend, nach ihrem Gefallen gebrauchen, wie, wo, wann und wie lange es die Sache mit sich bringt und fordert. Anfang der S chrift „Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes“ 1526 Liturgie anschauen allein bringt es eben nicht. Darum ermahnt Luther in seinen gottesdienstlichen Schriften immer wieder dazu, dass wir das Tun Gottes für uns „im Herzen fest erfassen“. Darum ist die entscheidende menschliche Person in der Liturgie nicht der Priester, sondern der einzelne Gläubige. Die jahrhundertelange Herrschaft der Geistlichen über die Menschen ist aufgehoben, indem jeder Einzelne gefragt und selbst verantwortlich ist. Jeder ist sein eigener Priester mit dem eigenen Altar im Inneren. Das allgemeine Priestertum bezieht sich also auf den Kern des Glaubens, auf die eigene Gewissheit, ein guter, ein anerkannter, ein Mensch Gottes zu sein. Diese Gewissheit kann einem keiner abnehmen – und bisweilen muss sie erkämpft werden, so wie das bei Luther selbst der Fall war. Die Herausforderung, aktiv passiv zu sein Der erste Satz aus Luthers „Deutscher Messe“ von 1526 warnt vor dem Überschätzen der liturgischen Form. Für den Gottesdienstbesucher kommt es nicht darauf an, etwas Bestimmtes und Richtiges zu tun. Vielmehr ist das Gegenteil gefragt: Es geht darum, liturgisch in bestimmter und richtiger Weise nichts zu tun. Der Mensch soll all seine Aktivität darauf verwenden, passiv zu sein. Diese paradoxe Regel wurde am Anfang der Neuzeit formuliert, und sie stellt für uns spätmoderne Menschen eine erhebliche Herausforderung dar. Aus dem aktiven Arbeiter, dem homo faber, wird der passive Mensch, das Kind vor Gott, das sich beschenken lässt. Darum ist die erste liturgische Aufgabe – nicht zuletzt für diejenigen, die predigen und die Liturgie leiten – das Hören und Empfangen. Ein Missverständnis wäre es allerdings, den Gottesdienst als Predigt mit Umrahmung aufzufassen. Das Hören beschränkt sich nicht auf das Anhören von pfarramtlichen Reden. Gute Predigten sind gewiss das wichtigste Markenzeichen der evangeli- Foto: Marion Wulf-Nixdorf ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Das Evangelium im Turm wiederentdeckt; Luthers Reformprogramm, Kirche in Gefangenschaft; Predigt, Kirchenlied; Bibeltexte: Apostelgeschichte 2, 42–47; Römer 12, 1 Literatur: – Karl-Heinrich Bieritz, Liturgik, Berlin/New York 2004, 466–467 – Michael Meyer-Blanck, Liturgie und Liturgik. Der evangelische Gottesdienst aus Quellentexten erklärt, Göttingen 2009, 32–74 – Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Der Gottesdienst. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Gottesdienstes, Gütersloh 2009 schen Kirche, und von Luthers Predigten lernt man bis heute viel. Aber nicht die Predigt ist das Eigentliche, sondern das Hören auf Gott, jene umfassende Form von aktivischer Passivität, die nicht unvernünftig ist, wohl aber höher denn alle Vernunft. Darum ist auch die Musik für Luthers Gottesdienst- und Glaubensverständnis so wichtig. Wenn man mit schönen Tönen in Resonanz gerät, dann ist man in der Weise aktiv und passiv zugleich, wie das dem Menschen auch vor Gott guttut. Haben Sie Fragen zu diesem Thema oder möchten Sie uns Ihre Meinung mitteilen? Schreiben Sie eine Mail an [email protected] Oder diskutieren Sie darüber mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in u nserem Reformations-Blog https://glaubenskursreformation. wordpress.com Michael Meyer-Blanck ist Professor für Religionspädagogik in Bonn. Foto: privat Sonntag, 10. April 2016 | Nr. 15 NK Wider die mörderischen Rotten Luther und der Bauernkrieg Höchst anstößig war für Luther die biblische Begründung der moderaten „Zwölf Artikel“ der ober schwäbischen Bauern von Anfang März 1525, hier eine Darstellung am Krämer-Haus in Memmingen, wo sie verfasst wurden. Foto: Martin Egg Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 15 Teil 3: Auseinandersetzungen FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Ist Luthers Unterscheidung zwischen christlicher und weltlicher Freiheit von Menschen in der Gesellschaft heute noch so zu vertreten? 2. Müssen Christen Revolutionen ablehnen? 3. Wie hätten Sie an Luthers Stelle auf den Bauernaufstand reagiert? Zugänge zum Thema: – Besuch des Bauernkriegspanora mas in Bad Frankenhausen oder Be trachtung einer Fotografie dieses Pa noramas Erst ermahnte Luther die Fürsten und Herren, sie hätten den Aufruhr der Bauern verursacht. Dann rief er zur Vernichtung der Bauern auf. Ein finsteres Kapitel der Reformation. Von Siegfried Bräuer Zum Lutherjubiläum 1883 wurde im schwäbischen Leipheim ein Gedenkstein errichtet, auf dem auch der Name des ersten evangelischen Pfarrers der Stadt, Johann Jakob Wehe, stand. Als bekannt wurde, dass sich der 1525 Hingerichtete am Bauernkrieg beteiligt hatte, sah seine Kirche darin ein Problem. Hatte doch Luther den bewaffneten Aufstand der Bauern verurteilt. Die Frage „Reformation und Bauernkrieg“ ist nie ganz zur Ruhe gekommen. Luthers Stellungnahmen zum Bauernkrieg gehören zur belastenden Hypothek der evangelischen Kirche, auch wenn vieles, was darüber zu lesen ist, nicht den Tatsachen entspricht. 3 XGLAUBEN UND WISSENx Schon früh war Luther gegen Aufruhr, weil dabei jeder Mensch das Recht in die eigene Hand nehme und die von Gott gesetzte Aufgabe der Obrigkeit zur Friedenswahrung verletzt werde. Chaos und Zerstörung der Lebensgrundlagen seien die Folgen. Luther wendet sich deshalb bereits 1520 gegen Studentenproteste und 1520/21 mit seiner „treuen Vermahnung an alle Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“ gegen das Drängen auf zügige Veränderungen in Wittenberg. Drei Jahre vor dem Bauernkrieg proklamiert er hier: „Ich halte und will’s allezeit halten mit der Seite, die Aufruhr erleidet [...], und will wider die Seite sein, die Aufruhr macht.“ In gewaltsamen Veränderungen sah er den endzeitlichen Versuch des Satans, die Verkündigung des neu entdeckten Evangeliums zu vernichten. Darum argwöhnte er auch Gewalt, als matorischer Kreise an seiner Härte aber wies Luther schroff zurück. Vor allem diese Schrift trug ihm in der frühen DDR den Vorwurf eines „Fürstenknechtes“ ein. Später, im Vorfeld des Luther-Jubiläums von 1983, befreiten die marxistischen Ideologen den Reformator vom Makel seiner Bauernkriegsschriften. Der Staatsratsvorsitzende Honecker bezeichnete ihn gar als einen der größten Söhne des deutschen Volkes. Die Evangelische Kirche aber war lange nur zögernd bereit, sich mit Luthers Polemik gegen die aufständischen Bauern kritisch auseinanderzusetzen. Es ist jedoch zu bedenken, dass sich die Zeiten sehr geändert haben. Für evangelische Christen heute aber bleibt Luthers Stellungnahme zum Bauernkrieg sehr problematisch. ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Frei und verpflichtet, Kirche und Obrig keit, Das Gesetz gehört aufs Rathaus Bibeltexte: Markus 12, 17; Römer 13, 1–7; 1. Petrus 2, 17 Literatur: – Martin Luther: Ausgewählte Schrif ten. Herausgegeben von Karin Born kamm und Gerhard Ebeling. Bd. 4., Frankfurt 1982 (Insel Verlag) – Heinz Schilling: Martin Luther. Re bell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012 – Günter Vogler (Herausgeber): Bau ernkrieg zwischen Harz und Thürin ger Wald, Stuttgart 2008 – Horst Buszello, Peter Blickle, Rudolf Endres (Herausgeber): Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn, 1984 Siegfried Bräuer ist Professor für Kirchengeschichte in Berlin. Foto: Petra Krötke ANZEIGE ausbreiteten. Der lokal unterschiedliche Wille zur Veränderung fand in den zwölf Artikeln der oberschwäbischen Bauern von Anfang März 1525 einen weithin anerkannten Ausdruck. Der Memminger Kürschner Sebastian Lotzer hat sie niedergeschrieben und der Prediger Christoph Schappeler biblische Belege hinzugefügt. Sie forderten neben der Pfarrerwahl durch die Gemeinde alte Nutzungsfreiheiten, aber auch neue Befreiungen und Gleichstellungen. Die Autorität der rechtmäßigen Obrigkeit wurde anerkannt und die Bereitschaft zu Änderungen auf biblischer Grundlage erklärt. Luther kannte die zwölf Artikel schon bald. Die Aufständischen hatten ihn als Schlichter für ihre Forderungen benannt. Als er am 16. April 1525 zu einer dreiwöchigen Reise nach Eisleben aufbrach, plante er bereits eine Stellungnahme. In Eisleben „Ehe ich mich umsehe, rauben und toben sie wie die rasenden Hunde. (...) Darum, liebe Herren, helft hier. (...) Steche, schlage, würge, wer da kann.“ Martin Luther Thomas Müntzer als Pfarrer im thüringischen Allstedt eine Gemeinde der Auserwählten aufzubauen begann. Als sich die sächsischen Landesherren, Kurfürst Friedrich und Herzog Johann, Müntzer verweigerten und er aus Allstedt floh, um mit seinen Predigten in der Reichsstadt Mühlhausen Fuß zu fassen, stand für Luther fest, was von dem „Satan von Allstedt“ zu erwarten war. Er sah seine Sorge bestätigt, als sich Müntzer nach Süddeutschland begab und in den Unruhen der Bauern das Werkzeug Gottes für den großen endzeitlichen Umbruch begrüßte. Der Bauernkrieg hat eine lange Vorgeschichte in den großen Veränderungen des Spätmittelalters, der reformatorische Aufbruch sorgte jedoch für einen weiteren Schub. Nach Protestaktionen und Revolten kam es 1524/1525 zu Erhebungen in kleineren Herrschaften Südwestdeutschlands, die sich schnell als Aufstand Das Luther-Zitat Martin Luther über den Bauernkrieg „Im voranstehenden Büchlein durfte ich die Bauern nicht verurteilen, weil sie sich zur Untersuchung des Rechts und zu Annahme besserer Belehrung erboten. [...] Aber ehe ich mich umsehe, schreiten sie weiter und greifen mit der Faust zu, vergessen ihr Angebot, rauben und toben wie die rasenden Hunde. [...] Darum liebe Herren, erlöset hier, rettet hier, helft hier! Erbarmet euch der armen Leute! Steche, schlage, würge hier, wer da kann. Bleibst du darüber tot – wohl dir! Einen seligeren Tod kannst du niemals erreichen, denn du stirbst im Gehorsam gegen das göttliche Wort und den göttlichen Befehl. Röm. 13.“ Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern, 1525 schrieb er sie als „Ermahnung zum Frieden auf die 12 Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ nieder. Er ging davon aus, dass es noch nicht zu Gewaltakten gekommen sei, und hielt zuerst den Fürsten und Herren vor, sie hätten durch ihre Feindschaft gegenüber dem Evangelium und ihre Tyrannei den Aufruhr als Strafe Gottes verursacht. Er verlangt Buße und Bereitschaft zu maßvollen Veränderungen. Die Forderungen der Bauern hält er teilweise für verhandelbar, nicht aber ihre biblische Begründung. Mit ihr verfälschten sie die christliche Freiheit, die sich auf das Gottesverhältnis beziehe, zu einer weltlichen Angelegenheit. Dann erfuhr Luther, dass Müntzer nach Mühlhausen zurückgekehrt sei und in einem Sendschreiben im Namen Gottes zum Endkampf gegen die Gottlosen aufgerufen hatte. In diesem Schreiben heißt es: „Dran, dran, solange das Feuer heiß ist. Lasst euer Schwert nicht kalt werden [...]. Es ist nicht möglich, solange sie leben, dass ihr von menschlicher Furcht frei werdet.“ Als der Kurfürst am 5. Mai starb, brach Luther seine Reise ab und schrieb einen Nachtrag zur Neuauflage seiner „Ermahnung“: „Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern“. Mit ähnlich militanten Worten wie Müntzer rief er im Namen Gottes zur Vernichtung der gewalttätigen Bauern auf. Die gegnerische Emserdruckerei in Dresden brachte diese Aufforderung sofort separat heraus, um Luther, der vorher als Aufrührer angeprangert worden war, nun als Wendehals bloßzustellen. Kritik refor- Anzeige_DE_Calmvalera-Advertorial-Konpress-Garten_Tab_92mmx280mm-hoch_12-2015.indd 1 28.12.15 10:20 Sonntag, 17. April 2016 | Nr. 16 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Erfordert Taufe eine eigene Entscheidung? Luther rechnete mit einem eigenen Glauben der Kinder und setzte auf das Sakrament im Säuglingsalter Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 16 Teil 3: Auseinandersetzungen FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Wenn Sie als Säugling getauft wurden: Was wissen Sie von Ihrer Taufe? 2. Wenn Sie sich an Ihre eigene Taufe erinnern können: Wie haben Sie das erlebt? 3. Wenn Sie nicht getauft sind: Woran – würden Sie sagen – sind Christen erkennbar? Zugänge zum Thema: – Lesen und sprechen Sie über das Vierte Hauptstück von Luthers Kleinem Katechismus (EG 806,4) Früher wurden Kinder kurz nach der Geburt getauft. Die Kindersterblichkeit war hoch, und das Neugeborene sollte unbedingt mit dem Namen Christi verbunden sein. Doch ist es richtig, unmündige Kinder zu taufen? Gilt die Taufe ohne eigene Entscheidung dafür? Von Peter Martins Eisleben 1483, 11. November, St. Petri-Pauli-Kirche. Wie damals alle Kinder, so wurde auch der älteste Sohn Hans und Margarethe Luders gleich nach seiner Geburt getauft. Traditionell erhielt er den Namen des Tagesheiligen, Martin. Dieser Brauch machte den eigenen Namen auch zu einem Erinnerungszeichen an das Getauftsein. Es gibt viele Belege darüber, wie wichtig Luther diese Gewissheit war. Ein „Kind Christi“ ist mit dem heilvollen Namen Jesu Christi verbunden – und das geschieht in der Taufe. Eisleben 2012. Seit dem 29. April ist die restaurierte St.-Petri-PauliKirche ein „Zentrum Taufe“. Ihre architektonische Mitte bildet ein großer runder „Taufbrunnen“. Anders als durch das gewohnte Übergießen des Kopfes mit Wasser kann ein Täufling hier ganz ein- oder untergetaucht werden. Luther hat diese Art der Taufe befürwortet: „Denn ohne Zweifel kommt in der deutschen Sprache das Wörtlein Taufe von dem Wort Tiefe, dass man tief ins Wasser senkt, was man tauft.“ Taufe als Zugang zur Kirche Sein Taufverständnis hat Luther einprägsam 1529 im Kleinen und ausführlicher im Großen Katechismus entwickelt. Die Taufe erhält ihre lebensprägende Dynamik aus Gottes Wort, „das mit und bei dem Wasser ist, und dem Glauben, der solchem Worte Gottes im Wasser traut“. Was die Taufe bedeutet, ist bei Paulus (Römer 6) zu lernen: Sie „verbindet“ einen Menschen mit dem gekreuzigten Jesus Christus, macht ihm am eigenen Leib die „Reinigung von Sünden“ erfahrbar und lässt einen so befreiten Christenmenschen aus der Kraft der Auferstehung leben. Die Taufe ist der Zugang zur Kirche Christi, und sie ist begründet in der Weisung Jesu: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heili- Taufbrunnen in Eisleben: Religions-Schüler des Martin-Luther-Gymnasiums (7. Klasse) kamen zu Projekttagen in das Zentrum Taufe. gen Geistes und lehret sie halten alles, Was „Rechtfertigung aus Glauwas ich euch befohlen habe (Matthä- ben“ bedeutet, ist darum an der Kindertaufe zu sehen: Vertrauen auf die us 28, 19f.). Auf dieses Wort beriefen sich aber von außen zugesprochene Gerechtigetwa seit 1522 auch die ersten Grup- keit, die Fähigkeit im Glauben zu pen, die eine Kindertaufe ablehnten. wachsen, weil es andere gibt, die eiSie waren davon nem von Anfang überzeugt, dass die an mehr vertrau„Denn ohne Zweifel en, als man Taufe eine bewusste selbst dazu aus Glaubensentscheikommt in der deutschen eigener Kraft in dung des Täuflings Sprache das Wörtlein der Lage ist. voraussetzt. Der arTaufe von dem Wort Tiefe, gumentative AufIn Luthers wand, den Luther Sicht war eine dass man tief ins Wasser im Großen KatechisEr wachs enensenkt, was man tauft.“ taufe bei den mus zur VerteidiTäufern die ungung der Kindertauzulässige Wiefe betrieb, zeigt die Martin Luther derholung eines Schwierigkeiten ihrer biblischen Bebereits Getauften, während die gründung. Der „Taufbefehl“ Christi schließe Täufer wiederum eine Säuglingstaufe selbstverständlich alle Kinder mit ein, nicht als gültige Taufe akzeptierten. so Luther. Weiter: Die Apostelge- Darum bezeichnete Luther die Täufer schichte berichte von der Taufe ganzer abwertend als „Wiedertäufer“ und stig„Häuser“ und dazu gehörten gewiss matisierte sie als „Schwärmer“ und die Kinder. Vor allem aber rechnete „Rottengeister“, die wegen öffentliLuther mit einem eigenen Glauben chen Aufruhrs des Landes zu verweider Kinder. Christi Gegenwart in der sen oder sogar mit dem Tod zu bestraTaufe selbst erwecke diesen und stütze fen seien. Dabei war die Täuferbewegung in ihn dann durch den „fremden“ Glauben der Eltern, Paten und der Gemein- ihrer großen Vielfalt selbst ein Teil de in Gebet und Unterweisung. der Reformation. Die „Schleitheimer Das Luther-Zitat Martin Luther über die Taufe: Da siehest Du abermals, wie teuer und wert die Taufe zu halten sei, weil wir solchen unaussprechlichen Schatz darinnen erlangen. Welches auch wohl anzeigt, daß es nicht ein schlichtes bloßes Wasser sein kann. Denn bloßes Wasser könnte solches nicht tun. Aber das Wort tuts und daß Gottes Namen darinnen ist. Wo aber Gottes Name ist, da muß auch Leben und Seligkeit sein, daß es wohl ein göttlich, selig, fruchtbar und gnadenreich Wasser heißet (Großer Katechismus). Das Wassertaufen […] bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe (Kleiner Katechismus). Artikel“ (1527) zeigen exemplarisch, was für die schweizerisch-oberdeutsche Täuferbewegung zum Gemeindeleben im Sinne des Evangeliums gehörte: verbindliche Regelungen für das Zusammenleben, Verzicht auf die Ausübung öffentlicher Ämter, Verweigerung des Eides und Aufruf zur Gütergemeinschaft. Täufer wurden grausam verfolgt Es gehört sicher zu den dunklen Seiten der Reformationsgeschichte, dass auf demselben Speyrer Reichstag im April 1529, auf dem die Evangelischen gegen ihre eigene Diskriminierung protestierten, sie zugleich mit den katholischen Vertretern die Bekämpfung der Täufer beschlossen und sich an deren grausamer Verfolgung beteiligten. Die in Luthers Sinn fortschreitende Reformation verwarf mit der Verdammung der Täufer aber zugleich die Alternative, deren Glaubenszeugnis als kritische und tolerante Selbstprüfung der eigenen Positionen zu sehen. Die Kindertaufe blieb auf lange Sicht im Hauptstrom des deutschen Protestantismus unhinterfragt. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts und ausgelöst durch die Tauflehre Karl Barths setzte ein Prozess ein, der langsam dazu führte, dass auch Tauf liturgien für Erwachsene in Gottesdienstordnungen aufgenommen wurden. Das „Zentrum Taufe“ in Eisleben mag dabei ein weiterer Schritt sein. Eröffnet wurde es fünf Jahre nach dem 29. April 2007, als in Magdeburg elf christliche Kirchen feierlich die gegenseitige Anerkennung der Taufe beschlossen. Sie machten damit für die Praxis verbindlich, was die Kirchen der Ökumene seit über 1500 Jahren mit den Worten des alten Glaubensbekenntnisses von Nicäa-Konstantinopel bezeugen: „Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.“ Foto: Ulrike Kasper ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Luthers Reformprogramm, Christsein: frei und verpflichtet, Katechismen Bibeltexte: Markus 1, 9–12; Matthäus 28, 16–20; Römer 6, 1–7 Literatur: – Rat der EKD, Die Taufe: Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis der Taufe in der evangelischen Kirche. Gütersloh 2008. – Christian Lange, Clemens Leonhard, Ralph Olbrich (Hrsg.), Die Taufe. Einführung in Geschichte und Praxis. Darmstadt 2008 Eisleben 1546. 62 Jahre nach seiner Taufe stirbt Luther am 18. Februar im Verlauf einer Reise in seiner Geburtsstadt. Seine letzten schriftlichen Worte waren bekanntlich: „Wir sind Bettler. Das ist wahr!“ Sie werden an diesem Ort zu einem „Taufspruch“ besonderer Art, denn so hätten sie auch über dem Anfang seines Lebens stehen können: Nichts hat der Mensch vor Gott als das Vertrauen, dass ihm durch die Gnade Christi alles zuteil wird – in der Taufe, „dem reichen Sakrament für leere Hände“ (Heiko Augustinus Oberman). Wie denken Sie über die Kindertaufe? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs, und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog https://glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben Sie eine E-Mail an [email protected]. Peter Martins ist Pfarrer und leitet das Pastoralkolleg der EKBO in Brandenburg an der Havel. Foto: privat 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 24. April 2016 | Nr. 17 NK „Das ist mein Leib“ Lange Zeit gab es Streitigkeiten um das Abendmahl, die die evangelischen Christen spalteten Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 17 Teil 3: Auseinandersetzungen FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Was ist für Sie das Brot des Abendmahls, wenn Sie hören, dass es mit den Worten „Das ist mein Leib“ eingesetzt wird? 2. Was erleben Sie bei Abendmahl? 3. Sollte das Abendmahl jeden Sonntag gefeiert werden? Zugänge zum Thema: – Betrachten der Bilder „Abend mahl“ von Ben Willikens (1976–79) und „Das letzte Abendmahl“ von Tintoretto (1592–94) Vor allem der Streit um das Abendmahl führte zur Spaltung innerhalb der e vangelischen Christenheit: Wie kann Jesus Christus mit Leib und Blut bei der Feier des Abendmahls in Brot und Wein gegenwärtig sein? Über Jahrhunderte gab es für die Anhänger der Reformatoren Martin Luther, Johannes Calvin und Ulrich Zwingli keine Gemeinschaft im Abendmahl. Das änderte sich erst 1973. Von Anne Käfer „Wenn Sie die Oblaten austeilen und die Becher mit dem Wein, dann sagen Sie bloß nicht, dass seien Christi Leib und Blut, dann wollen die das nicht.“ Die, das sind die Gemeindemitglieder, zu deren Schonung die Vikarin von ihrem Mentor aufgefordert wird, bei der Feier des Abendmahls nur ja nicht das lutherische Abendmahlsverständnis explizit zu machen. Die heutigen Gemeindemitglieder, denen die nötige theologische Klarheit fehle, könnten von der Vorstellung, Christi Fleisch zu verzehren und sein Blut zu trinken, angewidert sein. Symbol für Gekreuzigten Martin Luther selbst suchte über Jahre hinweg Klarheit darüber zu erlangen, was denn die Worte bedeuten, mit denen der biblische Jesus seinen Jüngern das Brot des „Abendmahls“ austeilt. Wie ist die Aussage: „Das ist mein Leib“ zu verstehen? Während Luther sich noch auf der Wartburg versteckt hält, bricht der Priester und Theologieprofessor Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, öffentlich mit der katholischen Tradition der Messe. An Weihnachten 1521 feiert er in Wittenberg das Abendmahl in deutscher Sprache und unter beiderlei Gestalt. Er lässt im Widerspruch zur katholischen Lehre die Gemeindemitglieder nicht nur am Brot, sondern auch am Wein des Abendmahls teilhaben. In seinen theologischen Schriften führt er zudem aus, dass die Abendmahlsfeier vornehmlich dem Gedächtnis des Kreuzestodes Christi diene. Heilswirksam sei allein der durch den Heiligen Geist gewirkte Glaube an den Gekreuzigten. Unter anderem über diese Ansicht gerät Luther mit Karlstadt in heftigen Streit. Vor allem aber mit Ulrich (Huldrych) Zwingli, der die reformierte Tradition entscheidend prägte, führt Luther eine erbitterte Auseinandersetzung. Nach Zwingli müssen die Verweise auf Leib und Blut Christi als Redewen- Das letzte Abendmahl, 1515/20, Basler Werkstatt – unter Mitarbeit Hans Holbeins des Jüngeren (um 1497-1543). dungen, als Metaphern gedeutet werden. Das „ist“ in der Aussage: „Das ist mein Leib“, müsse als „bedeutet“ verstanden werden. Das Brot des Abendmahls sei Symbol für den Leib des Gekreuzigten. Wort verbürgt Gegenwart Luther wendet ein, der Wortlaut der biblischen Überlieferung sei nur dann recht verstanden, wenn das „ist“ ernst genommen und erkannt werde, dass zugleich mit dem Brot des Abendmahls auch der Leib Christi wirklich gegenwärtig, realpräsent sei. Die Gegenwart des Leibes werde keineswegs durch eine Wandlung im Sinne der katholischen Lehre gewirkt. Vielmehr verbürge das biblisch überlieferte Gotteswort – das sind die Einsetzungsworte, die Christus selbst gesprochen haben soll – die Wahrheit der Realpräsenz während der Feier des Abendmahls. Und demgemäß werde Christi Leib mit dem Abendmahlsbrot gegessen. An diesem Verständnis ist Luther aus christologischen Gründen gelegen, die das Heil des Menschen bedingen. In Christus sind nach Luther wie nach Zwingli und in Übereinstimmung mit der kirchlichen Tradition die göttliche und die menschliche Natur vereinigt. Nach Zwingli sind die beiden Naturen jedoch nur wechselweise von den Lebensvollzügen Christi betroffen. Die Aussage, dass Gott am Kreuz gelitten habe, versteht Zwingli als bloße Re- densart. Zwar sei Christus, der am Kreuz gelitten habe, auch wahrer Gott. Doch habe in Christus allein die menschliche Natur gelitten. Ebenso schließt Zwingli in seiner Schrift „Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi“ (1526) aus, dass Christus, der mit seiner menschlichen Natur gen Himmel gefahren sei, mit dieser räumlich gebundenen Natur im Sakrament des Abendmahls gegenwärtig sein könne: „So nun Christus zur Rechten Gottes sitzt und da auch bleiben wird, bis er am Jüngsten Tage wiederkommt, wie kann er dann hier auf Erden im Sakrament leiblich gegessen werden!“ Nach Luther hingegen sind die beiden Naturen Christi derart miteinander vereinigt, dass stets zugleich beide Naturen an den Lebensvollzügen Christi beteiligt sind. Am Kreuz leide Christus als Mensch und als Gott. Dies sei von unübertreffbarer Heilsrelevanz. Denn nur deshalb, weil Gott selbst in Christus am Kreuz gelitten habe und gestorben sei, gewähre der Kreuzestod Christi Erlösung aus Sünde und Leid. Gleich wie Gott in Christus gestorben sei, ist nach Luther die menschliche Natur des Erlösers in den Elementen des Abendmahls präsent. Denn die mit der göttlichen Natur vereinigte menschliche Natur sei keinesfalls von der göttlichen getrennt und zur Rechten Gottes abgesetzt worden. Vielmehr habe sie Anteil an der göttlichen Eigenschaft der Allgegenwart und könne folglich auch in Brot und Wein gegenwärtig sein, wenn diese als Abendmahlselemente konsumiert werden. Das Luther-Zitat Martin Luther über das Abendmahl: „Es ist zutreffend gesprochen, wenn man aufs Brot zeigt und sagt: ‚Das ist Christi Leib’. Denn wer das Brot sieht, der sieht den Leib Christi [...]. Folglich ist auch recht gesprochen: Wer dieses Brot anfasst, der fasst den Leib Christi an. Und wer dieses Brot isst, der isst den Leib Christi, wer dieses Brot mit Zähnen oder Zunge zerdrückt, der zerdrückt mit Zähnen oder Zunge den Leib Christi. Und doch bleibt es stets wahr, dass niemand den Leib Christi sieht, anfasst, isst oder zerkaut, wie man anderes Fleisch sieht und zerkaut. Denn was mit dem Brot geschieht, wird zutreffend dem Leib Christi zugeeignet um der sakramentalen Einheit [von Brot und Leib] willen“ (Martin Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, 1528). In seiner Schrift „Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis“ (1528) hält Luther fest: „Nein Geselle, wo Du mir Gott hinsetzt, da musst Du mir die Menschheit mit hinsetzen. Sie lassen sich nicht sondern und voneinander trennen. Es ist eine Person geworden, die die Menschheit nicht so von sich scheidet wie Meister Hans seinen Rock auszieht und von sich legt, wenn er schlafen geht.“ So wie in der Person Christi Gott und Mensch stets untrennbar vereinigt seien, sind nach Luther im Sakrament Brot und Leib, Wein und Blut untrennbar miteinander verbunden. Und deshalb habe der Glaubende mit dem Verzehr des Brotes und des Weines, durch den ihm Christus einverleibt werde, Anteil an der in Christus präsenten Liebesgemeinschaft von Gott und Mensch. Nach Luther ist ganz klar, dass nur im Glauben diese Heilswirkung des Sakramentes erlebt wird. Für Luther ist jedoch ebenfalls entscheidend, dass Gottes Zuwendung zum Menschen von diesem nicht beeinflusst wird. Gottes liebende Gegenwart sei wie in Christus so auch in den Elementen des Abendmahls unabhängig von dem Glauben gegeben, in dem sie ein Mensch empfängt. Gegenwart durch den Geist Die Streitigkeiten um das Abendmahl sollten im Marburger Religionsgespräch (1529) beigelegt werden. Jedoch wurde kein theologischer Konsens gefunden. Vor allem der Streit um das Abendmahl führte zur Spaltung der evangelischen Christenheit. In den folgenden Jahrhunderten wurde immer wieder neu Klarheit gesucht über das rechte Verständnis des Abendmahls. So führte Johannes Calvin, dessen Theologie die reformierte Tradition maßgeblich beeinflusste, aus, dass – im Unterschied zu Zwingli – das Brot nicht als bloßes Symbol, sondern als der Ort anzusehen sei, an dem durch das Wirken des Geistes die Gegenwart des Leibes Christi erlebt werde. Über viele Jahrhunderte hin feierten die reformierten und die lutherischen Gemeinden kein gemeinsames Abbildung: epd ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Gottesdienst neu, Zwingli und Bullinger, Calvin, Martin Bucer Bibeltexte: 1. Korinther 11, 17–34; Matthäus 26, 17–30 Literatur: - Abendmahl, hg. v. Hermut Löhr (UTB 3499), Tübingen 2012. - Dorothea Wendebourg, Art. Taufe und Abendmahl, in: Luther Handbuch, hg. v. Albrecht Beutel, Tübingen 2005, 414–423. - Das Abendmahl. Eine Orientierungshilfe, vorgelegt vom Rat der EKD, Gütersloh 2003. Abendmahl. Das änderte sich erst 1973 mit der Leuenberger Konkordie, welche die theologische Grundlage für eine gemeinsame Abendmahlspraxis schuf. Die entscheidende Aussage dieser Konkordie ist: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein“ (EG 811, 18). Heute haben auf dieser Grundlage 103 evangelische Kirchen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft erklärt. Die theologischen Differenzen wurden damit jedoch nicht nivelliert. Und das ist auch gut so, denn sie gewähren Einblick in wertvolle Einsichten darüber, wie Gottes Heilszuwendung in Jesus Christus gedacht werden kann. Wie denken Sie über das Abendmahl? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftrag ten Pfarrer Bernd Krebs, und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog https://glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben Sie eine E-Mail an [email protected]. Anne Käfer ist Privatdozentin für Systematische Theologie an der Universität Bielefeld. Foto: privat Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 18 Teil 3 Auseinandersetzungen 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 1. Mai 2016 | Nr. 18 NK ZUR WEITERARBEIT Alles vorherbestimmt oder ist der Wille frei? Verwandte Themen des Kurses: Das Evangelium im Turm wiederentdeckt; Christsein – frei und verpflichtet; Luther und der verborgene Gott Bibeltexte: 2. Mose 7, 1-5; Römerbrief 9, 11–23; Epheserbrief 2, 8–10 Literatur: – Wolfgang Achtner, Willensfreiheit in Theologie und Neurowissenschaften. Ein historisch-systematischer Wegweiser, Darmstadt 2010 – Friedrich Hermanni / Peter Koslowski (Hg.), Der freie und der unfreie Wille. Philosophische und theologische Perspektiven, München 2004 Luthers Streit mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Wie erleben Sie den Glauben an Gott: als Zwang, als eigene Entscheidung, als Nicht-anders-Können? 2. Kennen Sie Lebenssituationen, die man mit Luthers Bild des Zugtiers beschreiben könnte (siehe Zitat unten)? Zugang zum Thema: Anspiel mit Marionetten Hat der Mensch einen freien Willen? Kann er sich für oder gegen Gott entscheiden? Die Frage nach dem unfreien Willen ist für Martin Luther der Dreh- und Angelpunkt. Nur zwei seiner Schriften hielt er für gute Bücher; den Katechismus und „Vom unfreien Willen“. Warum? Von Christiane Tietz Die Reformation hat die Freiheit des Menschen ins Zentrum gestellt – die „Freiheit eines Christenmenschen“ von der Vermittlung durch kirchliche Amtsträger, von der Werkgerechtigkeit und zu guten Werken. Gleichzeitig haben die Reformatoren, allen voran Martin Luther, eine fundamentale Unfreiheit des Menschen ausgemacht. Luther war überzeugt: Der Mensch hat gegenüber Gott keinen freien Willen, er ist nicht in der Lage, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Diese Vorstellung trifft heute auf viel Unverständnis, weil sie dem modernen Freiheitsdenken widerspricht. In manchen evangelischen Traditionen wird sie ausdrücklich abgelehnt, weil es gerade die Entscheidung eines Menschen für Gott sei, die ihn zum Christen mache. Luther hingegen meinte, an der Unfreiheit des Willens hänge seine Rechtfertigungslehre. Die zentrale Einsicht bei ihr ist ja, dass der Mensch durch kein gutes Werk, weder ein moralisches noch ein religiöses, seine Annahme durch Gott bewirken kann. Gott nimmt den Menschen allein aus Gnade an. Das Einzige, was der Mensch tun kann, ist, diese gnädige Annahme geschehen zu lassen, das heißt zu glauben. Martin Luther hat mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam (†1536) heftig über die Frage gestrit- Das Luther-Zitat Wird der Mensch wie eine Marionette von anderen Mächten gelenkt? Foto: Fotolia.com ten, ob der Mensch sich für diesen Geschenk Gottes. Nur an Gott hängt Glauben entscheiden kann oder nicht. das ewige Heil des Menschen. Auch Erasmus behauptet in seinem Text das Geschenk des Glaubens an Gottes „Vom freien Willen“ von 1524, die Gnade ist rein in Gottes Gnade begründet. Gnade sei zwar weLuther und die sentlich, um zum Wenn es irgendwie anderen ReformaGlauben zu finden. geschehen könnte, möchte toren fassen dies Aber auf der Seite ich nicht, dass mir ein im Anschluss an des Menschen gebe Augustin unter es ein minimales freier Wille gegeben dem Begriff der Moment der Entwerde, mit dem ich nach scheidungsfreiheit. „Prädestination“: dem Heil streben könnte. Nur dann sei der Es ist prädestiniert, Mensch für seinen das heißt von Gott Martin Luther Unglauben oder vorherbestimmt, Glauben (und damit wer glauben kann auch für sein ewiges Unheil oder Heil) und wer nicht. Die Frage, warum Gott verantwortlich. Und nur so könne der nicht alle Menschen zum Glauben Mensch zum Glauben und zum guten vorherbestimmt hat, ist für Luther die Leben angespornt werden. eigentliche Theodizee-Frage, das heißt Luther vertritt in seiner Reaktion die Frage, wie dies gerecht sein kann. auf Erasmus’ „Vom unfreien Willen“ Luther versucht sie mit seiner Vorvon 1525 die entgegensetzte Position: stellung vom verborgenen Gott zu beDiese Freiheit, sei sie noch so klein, hat antworten. Und er hofft, dereinst, der Mensch nicht. Denn sonst läge es wenn er Gott von Angesicht zu Angeam Menschen, ob er sich in der richti- sicht schaut, zu verstehen, warum das gen Weise auf Gott bezieht oder nicht gerecht war. Für den Moment emp– und der Glaube würde zu einem fiehlt er, mit jedem Menschen so ummenschlichen Werk. Stattdessen, so zugehen, als wäre er zum Glauben an schärft Luther ein, ist der Glaube ein Gott bestimmt. Denn keiner weiß, ob der andere prädestiniert ist oder nicht. In seinem sonstigen Handeln ist der Mensch aber frei. Luther war über- Der Mensch als Zugtier So ist der menschliche Wille in die Mitte gestellt wie ein Zugtier. Wenn Gott darauf sitzt, will und geht es, wohin Gott will … Wenn Satan darauf sitzt, will und geht es, wohin Satan will. Und es liegt nicht an seinem Willensvermögen, zu einem von beiden Reitern zu laufen oder ihn zu suchen. Vielmehr streiten die Reiter selbst darum, es in Besitz zu nehmen und in Besitz zu behalten. Der Heilige Geist handelt aus Belieben Wenn Gott in uns wirkt, will und handelt der Wille, der durch den Heiligen Geist verändert und uns sanft eingehaucht (wörtlich: liebkosend angesäuselt) worden ist. Er handelt aber wiederum aus reinem Belieben, aus Neigung und aus seinem freien Antrieb, nicht gezwungen. So kann er durch nichts, was ihm entgegen ist, in etwas anderes verwandelt werden. Nicht einmal durch die Pforten der Hölle wird er besiegt oder gezwungen, sondern er fährt fort, das Gute zu wollen, willig zu tun und lieb zu haben, so wie er zuvor das Böse wollte, willig tat und es lieb hatte. Freier Wille bedeutet Ungewissheit … ich würde nicht wollen, dass mir ein freies Willensvermögen gegeben wird oder irgendetwas in meiner Hand belassen würde, wodurch ich nach dem Heil streben könnte …, weil ich … dann … gezwungen würde, mich andauernd ins Ungewisse hinein anzustrengen und Lufthiebe zu machen. Denn mein Gewissen wäre, und wenn ich auch ewig lebte und wirkte, niemals gewiss und sicher, wie viel es tun muss, damit Gott Genüge getan wäre. Martin Luther, De servo arbitrio – Vom unfreien Willensvermögen, 1525 zeugt, dass der Mensch gegenüber den Dingen, „die unter ihm sind“, also in Bezug auf alles, was zur Welt gehört, einen freien Willen hat. Macht Luthers Vorstellung vom unfreien Willen gegenüber Gott den Menschen nicht zu einer Marionette Gottes? Fast hat man den Eindruck. Luther vergleicht den menschlichen Willen mit einem Zugtier (1. Zitat), das entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird. Die Richtung seines Willens kann der Mensch nicht selbst ändern, sie wird von außen bestimmt, eben vom Teufel oder von Gott. Vom Teufel – das heißt vom Bösen und von der Sünde – aber nur, wenn Gott dies zulässt. Willenlos gegenüber Gott? Wichtig für das richtige Verständnis vom unfreien Willen ist, dass damit nicht gesagt werden soll, der Mensch sei willenlos gegenüber Gott. Er hat ja einen Willen. Als Sünder will er nicht mit Gott leben. Zwar kann er die Richtung seines Willens nicht von selbst ändern, dennoch ist er für sein böses Wollen verantwortlich – ist doch er selbst es, der will. Ohne Gott kann der Mensch nicht anders, als Sünder sein. Er ist darauf angewiesen, dass Gott ihm mit seiner Gnade begegnet. Schön ist das Bild, das Luther für diesen Wechsel verwendet (2. Zitat): Der Wille wird durch den Heiligen Geist liebkosend angesäuselt. Er wird eben nicht dazu gezwungen, sich auf Gott auszurichten und zu glauben. Er wird durch Gottes Liebe dafür gewonnen, und zwar so nachhaltig, dass ihn nichts von diesem Glauben mehr abbringen wird. Das ist die Kehrseite der Prädestination (3. Zitat): Weil alles an Gott liegt, braucht der Mensch keine Angst zu haben, dass sein Glaube nicht stark genug sei. Dies ist die Freiheit, die der unfreie Wille bedeutet. Luthers Vorstellung vom unfreien Willen, das gilt es nüchtern einzugestehen, steht in Spannung zum modernen Freiheitsdenken und zur Selbstbestimmung, wie sie seit der Aufklärung betont werden. Luther hat jedoch gut gesehen, dass nicht alles im Leben unserer Selbstbestimmung unterliegt. Mit dem Glauben ist es wie mit der Liebe: Auch hier kann man gar nicht anders, als den anderen lieben. Man ist wie gefangen vom anderen – und fühlt sich doch frei. So auch der Glaube: Dass man an Gott glaubt, entsteht nicht dadurch, dass man wie bei einem Autokauf alle Vor- und Nachteile vernünftig abwägt und sich dann entscheidet. Nein, an Gott zu glauben, stellt sich so ein, dass Gott sich dem Menschen bekannt macht und der Mensch von ihm, von seiner Liebe, Gnade und Treue, überwunden und begeistert wird – und darum nicht anders kann, als Ja dazu zu sagen. Christiane Tietz ist Professorin für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Foto: privat ANZEIGE Da bleibt einem nichts im Halse stecken: Tablettenschlucken problemlos in einem Rutsch Etwa jeder Dritte klagt über Schwierigkeiten bei der Einnahme von Tabletten oder Kapseln. Ältere Menschen und Kinder kämpfen verstärkt damit. Bei Kindern liegt das oft an fehlender Übung, oder sie verweigern die Einnahme, weil das Medikament schlecht schmeckt. Ältere Menschen leiden häufig unter Mundtrockenheit, die das Schlucken erschwert. Sie kann sowohl altersbedingt als auch als Nebenwirkung bestimmter Medikamente auftreten. Viele werden erfinderisch, wenn es darum geht, Tabletten in den Magen zu befördern und greifen zu Apfelmus, Joghurt oder Banane. Dabei geht es ganz einfach: Die Medcoat Schluckhilfe aus der Apotheke ist ein Überzug, mit dem Sie Tabletten und Kapseln jeder Größe mit einer gleitfähigen Hülle versehen können. Die Hülle ist glatt und speichelanregend, sodass das Schlucken von Tabletten und Kapseln – auch geteilter Tabletten mit Bruchkanten – zum Kinderspiel wird. Der Überzug schmeckt angenehm nach Zitrone und überdeckt so einen bitteren Eigengeschmack. Eine große Hilfe ist Medcoat Schluckhilfe für all jene, die durch Erkrankungen wie z. B. MS, Parkin- son, Schlaganfall oder Demenz an Schluckstörungen leiden. Medcoat Schluckhilfe vereinfacht die notwendige Medikamenten-Einnahme und führt zur echten Erleichterung des ohnehin schwierigen Alltags. Mehr Informationen: www.medcoat-schluckhilfe.de Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 18 Teil 3 Auseinandersetzungen 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 8. Mai 2016 | Nr. 19 NK Keine Frohbotschaft ohne Drohbotschaft ZUR WEITERARBEIT Warum Luther Gesetz und Evangelium trennt und doch aufeinander bezieht FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. „Gott sieht alles“ – Wie geht es Ihnen mit dieser Gottesvorstellung und welche Gefühle löst sie bei Ihnen aus? 2. Was fehlt unserem Glauben ohne das Gesetz? 3. „Du siehst mich!“ Wo und wie spüren Sie Anspruch und Zuspruch in Ihrem Leben? Zugang zum Thema: Vergleichen Sie die Antinomer-These: „Das Gesetz gehört aufs Rathaus, nicht auf den Predigtstuhl“ mit der 2. These von Barmen (Evangelisches Gesangbuch 810). Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen! So schreibt Paulus an die Galater. Aber was heißt das fürs Christsein im alltäglichen Leben oder in der Gesellschaft. Ist nun alles, was wir tun, ins Belieben gestellt oder braucht die Freiheit der Kinder Gottes auch eine Begrenzung? Von Bischof Markus Dröge „Gott sieht alles!“ Wenn in meiner Zeit als Pfarrer in Koblenz auf den Elternabenden der Konfirmandin nen und Konfirmanden die Rede auf diese Gottesvorstellung kam, dann waren oft große Vorbehalte zu spü ren. „Bitte erzählen Sie meinem Kind nicht, dass Gott immer alles sieht, so wie unsere Eltern das getan haben. ,Gott sieht alles, was du machst, auch wenn du alleine in dei nem Zimmer bist. Er bestraft dich, wenn du etwas Schlimmes tust oder denkst.‘“ Diese Vorstellung vom strafenden Gott war in der Generation unserer Großeltern noch sehr präsent. Der Gott, in dessen Blick man sich seiner vermeintlichen Sünden bewusst wird. Mit dieser Vorstellung präsent waren auch die Gottesvergiftungen, die daraus entstanden sind. Das Ge fühl, niemals zu genügen und nicht gut genug zu sein. Schmerzliche Gegenbilder zur Freiheit des Evangeliums, das uns doch herausrufen will aus der steti gen Mühle der Selbstzweifel und der Selbsterniedrigung. In Gottes Augen bist du geliebt. Du brauchst und du kannst dich nicht selbst recht fertigen. Das ist doch die befreiende Botschaft des Evangeliums, und das war die Erkenntnis, die Martin Luther aufs Neue bezeugt hat. Gegen einen Gott, der allzu kuschelig ist Heute ist der strafende Gott aus den Kinderzimmern vertrieben. Zum Glück muss man sagen. Aber an sei ne Stelle ist manchmal die Vorstel lung eines lieben Gottes getreten, der allzu „kuschelig“ ist. Der Ku schelgott, der alles gut findet, der uns in allem recht gibt, der alles versteht und immer lieb ist. Mit diesem Gott sieht man bald gar nichts mehr, fin det in ihm keine Orientierung, denn alles verschwimmt in einem Nebel aus Harmonie. Auch dieses Gottes bild greift zu kurz, und wir merken heute, dass Menschen wieder mehr und dringlicher danach suchen, wor an wir uns im Glauben tatsächlich halten können. In einer Welt, in der es keine Grenzen mehr zu geben Verwandte Themen des Kurses: Das Evangelium im Turm wiederentdeckt, Frei und verpflichtet, Kirche und Obrigkeit, Viermal solus Bibeltexte: 2. Mose 7, 1-5; Römer 3, 19.31; 7, 7–25; Galater 3, 10–29 Literatur: – Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 2006, Kapitel 7: Gesetz und Evangelium. – Gemeinschaft Europäischer Kirchen in Europa, Gesetz und Evangelium im Blick auf die Entscheidungsfindung in ethischen Fragen (www.leuenberg. net/sites/default/files/basic-page/ doc-6145-1.pdf). Markus Dröge ist Bischof der Berlinbrandenburgischen Kirche und Mitglied im Rat der EKD. Foto: EKBO ANZEIGE Das Gesetz darf nicht zum Evangelium gemacht werden und das Evangelium nicht zum Gesetz. scheint und erlaubt ist, was machbar dern Seite wieder herunterzufallen. ist, da fragen Menschen danach, wo Übertragen auf die Antinomer heißt uns Grenzen gesetzt sind und an wel das: Kaum hatten die Reformatoren chen Geboten und Leitlinien wir uns die befreiende Macht der freien Gna de Gottes verkündet, da kommen sie, festhalten können im Leben. Mit der Unterscheidung von Ge um zu behaupten, dass das Gesetz setz und Evangelium haben Martin nun insgesamt nicht mehr nötig sei Luther und die Refor für die Gläubi gen. Und fallen matoren diese beiden Darum muss doch das unversehens Seiten des Glaubens Gesetz gepredigt werden, von Anfang an in das wie ein Betrun wo man Christum kener vom Zentrum ihrer Theo logie gerückt. Und Pferd. predigen will. Gegen die von Anfang an gab es Martin Luther auch Konflikte. Theo antinomisti logen, die das Gesetz schen Strömun so stark hervorgehoben haben, dass gen hält Luther deshalb an dem Zu das Evangelium dahinter zu ver sammenhang von Gesetz und Evan schwinden drohte. Und andere, die gelium fest. Sie sind einander zwar so begeistert die freie Gnade des entgegengesetzt. Das Gesetz klagt Evangeliums betont haben, dass ih uns der Sünde an. Das Evangelium nen das Gesetz aus dem Blick geriet. spricht uns von der Sünde frei. Aber Martin Luther hat für diese Theolo gerade in diesem Gegensatz gehören gen den Ausdruck „Antinomer“ ge sie auch zusammen. Das ist schwierig prägt. Vom griechischen „anti-no zu denken und noch schwieriger zu mos“ – also diejenigen, die „gegen verstehen, und deshalb spricht Lu das Gesetz“ sind. Johannes Agricola, ther davon, dass es die höchste und zunächst ein enger Vertrauter Lu schwerste Kunst des Theologen sei, thers in Wittenberg, später Oberhof zwischen Gesetz und Evangelium prediger am Berliner Dom, war ein recht zu unterscheiden. besonders bekannter Vertreter, der beschuldigt wurde, diese Ansicht zu vertreten. Im Grunde ist es ja so, dass die An tinomer etwas Entscheidendes am reformatorischen Glauben erkennen und hervorheben, nämlich die be Denn es besteht eine doppelte Ge freiende Kraft des Evangeliums. Aber fahr. Das Gesetz darf nicht zum Evan sie schießen übers Ziel hinaus, wenn gelium gemacht werden. Das würde sie daraus folgern, das Gesetz sei nun dann geschehen, wenn es als Weg gar nicht mehr nötig. Martin Luther zum Heil gepredigt würde. Das Evan hält deshalb fest, dass das Gesetz der gelium darf aber auch nicht zum Ge Standard des Lebens bleibt und zu setz werden, indem es zur Vorschrift sammen mit dem Evangelium eine gemacht wird, wie zu glauben ist. unverwechselbare Rolle in unserer Dann würde man wiederum aus der lebenslangen Buße spielt. Er veran freien Zuwendung Gottes ein Werk schaulicht das in dem Bild eines be von Menschen machen. Deshalb ist es trunkenen Mannes, der auf ein Pferd von entscheidender Bedeutung, Ge steigen will. Er schwingt sich auf sein setz und Evangelium spannungsvoll Ross, um gleich darauf auf der an aufeinander zu beziehen. Wir sind Evangelium erhellt erst, was das Gesetz bedeutet Das Luther-Zitat Der Mensch als Zugtier „Ich halt wohl, dass euch nun längst zukommen sind die Disputationen wider die neuen Geister, so das Gesetz Gottes oder zehn Gebote aus der Kirche zu stoßen und auf’s Rathaus zu weisen sich unterstanden haben; […] Ich habe freilich gelehrt, lehre auch noch, dass man die Sünder solle zur Buße reizen […] Und wenn wir gleich des Gesetzes für uns nicht bedürften, und es aus dem Herzen reißen könnten, das doch unmöglich ist, so müssten wir’s doch um Christus willen predigen, damit man wüsste, was er für uns gethan und gelitten hätte. Denn wer könnte wissen, was Christus und warum Christus für uns gelitten hätte, wenn Niemand wissen solt, was Sünde oder Gesetz wäre? Darum muss doch das Gesetz gepredigt werden, wo man Christum predigen will“ (Martin Luther, Brief „wider die Antinomer“ vom Jahre 1539). Foto: pixabay.com Sünder und Gerechte zugleich, Ge setz und Evangelium bestimmen un sere ganze menschliche Wirklichkeit. Den Zusammenhang von Gesetz und Evangelium betont auch die Theologische Erklärung von Barmen (1934), allerdings in der Weise, dass das Evangelium erst eigentlich er hellt, was das Gesetz für unser Leben als Christinnen und Christen bedeu tet. Die Trennung einer Gesetzesof fenbarung Gottes vom Evangelium, für die sich die „Deutschen Christen“ auf Luther beriefen, wurde damit ein mütig abgelehnt. Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, das in Evangeli um und Gesetz begegnet. Neben dem Wort Christi sind nicht noch „andere Ereignisse, Mächte, Gestalten oder Wahrheiten“ wie das Gesetz des „deutschen Volkes“ als Gottes Offen barung anzuerkennen. Damit wurde ein starkes Gegengewicht gegen völki sches Denken und die Vereinnah mung und Instrumentalisierung von Luthers Gesetzesverständnis durch die Nationalsozialisten geschaffen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, warum wir den Zusammenhang von Gesetz und Evangelium, in dem das Gesetz vom Evangelium her verstan den wird, das uns frei macht „zu frei em, dankbaren Dienst“ an Gottes Geschöpfen, nicht aufgeben dürfen. „Du siehst mich.“ So lautet das Kir chentagsmotto für den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin und Potsdam 2017. Wie kommt Gott heute in der Unterscheidung von Ge setz und Evangelium in den Blick? Gottes Blick ruft mich in die Verant wortung. Er macht mir schmerzhaft bewusst, was in meinem Leben und in der Welt nicht gelingt. Zugleich blickt Gott mich mit liebenden Au gen an. Für ihn bin ich schon ganz und gar erkannt als sein geliebtes Kind, ohne dass ich etwas dazutun müsste oder könnte. „Du siehst mich.“ Es ist gut, wenn wir beide Seiten an schauen können. Und spannungsvoll aufeinander beziehen. Das schafft Wahrhaftigkeit im Glauben und im Leben. Der Anspruch des Gesetzes und die Zusage des Evangeliums brin gen unser Leben in Spannung. Aber von dieser Spannung her können wir uns hoffnungsvoll und glaubensge wiss den Herausforderungen unserer Zeit stellen. Wie denken Sie über Freiheit und Gesetz? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftrag ten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog https://glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine E-Mail: reformation@epv-nord.de. NERVÖSE UNRUHE UND SCHLAFSTÖRUNGEN? Befreien Sie sich! CALMVALERA HEVERT Calmvalera Hevert • Beruhigt • Entspannt • Fördert den Schlaf Mehr Infos unter www.hevert.de Calmvalera Hevert Tabletten Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Nervös bedingte Unruhezustände und Schlafstörungen. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. 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Film und Arbeitsmaterialien, Karlsruhe 2009, bestellbar über www.melanchthon.com – Lied „Heut singt die liebe Christenheit“ (Evangelisches Gesangbuch 143) In den nächsten Folgen stellen wir die wichtigsten Weggefährten Luthers vor. Los geht es mit Philipp Melanchthon. Er wurde von Luther liebevoll „graeculus“, „Griechlein“, genannt wegen seiner hervorragenden Kenntnisse im Griechischen, die ihm die Gräzisierung seines Geburtsnamens „Schwartzerdt“ einbrachte. Reformationsbotschafterin Margot Käßmann sagt über die beiden: „Was muss das für ein Gespann in Wittenberg gewesen sein: der kleine, schmale, leise und sehr feinsinnige Melanchthon neben dem kräftigen, humorvollen, oft polternden Luther.“ Eine Gipsbüste Melanchthons im Melanchthonhaus Wittenberg. Foto: Uwe Birnstein schmalen Melanchthon neben dem konnte er diesen von der Wichtigkeit wuchtigen Luther vor. Nicht nur fi- der Bildung überzeugen. Ohne Bilgürlich, sondern auch geistig. Das Ver- dung würde Deutschland in Barbarei hältnis der beiden Wittenberger Ko- zurückfallen, war Melanchthon überryphäen war jedoch absolut gleichbe- zeugt. Nur die Kirchen zu reformieren, rechtigt. Privat waren Melanchthon genügte ihm nicht. Also machte er sich und Luther durch eine tiefe, geradezu auf, die Schulen und Universitäten zu überschwängliche und respektvolle erneuern. Mit Energie und LeidenMännerfreundschaft verbunden. Be- schaft brachte er die Ideale des Humaruflich waren sie ein gleichberechtig- nismus in die Reformationsbewegung tes „Dreamteam“. Stärken und Schwä- ein. „Ad fontes“ – „Zurück zu den Quellen!“, lautete chen der beiden erdas Motto des Hugänzten sich aufs Gute Gründe für das manismus. MeTrefflichste. MelanSterben: „Du wirst von Von Uwe Birnstein chthon lenkte die oft lanchthon machTrübsal befreit und von „Im Herbst 1518 kam ein kleiner, un- unbedachte Impulsite es für den Glauscheinbarer neuer Professor in Wit- vität Luthers in dipben fruchtbar. der Wut der Theologen.“ tenberg an: Philipp Melanchthon. lomatische Bahnen. „Indem wir die Philipp Melanchthon Blicke auf die Der 21-jährige Humanist, geboren in Mit großem GleichBretten nahe Pforzheim, entpuppte mut analysierte er Quellen lenken, sich schnell als Universalgelehrter Luthers oft sprunghafte Ideen und beginnen wir auch Christus zu versteund Liebling der Studenten. Die Re- goss sie in ein überzeugendes System hen, sein Gebot wird uns zur Leuchte, formation trieb er maßgeblich voran. der evangelischen Theologie. In den und uns durchströmt der beglückende Dennoch wirkt er bis heute neben „Loci Communes“ („Hauptbegriffe Nektar göttlicher Weisheit.“ Martin Luther eher wie eine Randfi- der Theologie“, 1521) durchdachte gur. Für das Verstehen des evangeli- Melanchthon die evangelische Theoschen Glaubens und der Reformati- logie und machte sie damit dialogfäonsgeschichte ist es lohnend, hig. Luther lobte seinen Freund: „Ich Melanchthon von Vorurteilen und glaube, dass seit tausend Jahren die Klischees zu befreien. Drei davon heilige Schrift nicht mit solcher Reinschwirren in den Köpfen auch evan- heit und Klarheit behandelt worden Neben der Kirche war ihm die „Gegelischer Christen: ist und dass seine Gabe dem apostoli- meinschaft der Lernenden“ wichtig. „Ich bin ganz und gar der Meinung, Melanchthon war nur Mitarbeiter schen Zeitalter nahekommt.“ Luthers. Wie einen schmächtigen Während Melanchthon in theologi- dass wer in geistlichen oder weltliHandlanger stellen sich viele den schen Dingen von Luther lernte, chen Dingen etwas unternehmen will, sehr wenig ausrichten wird, wenn er nicht zuvor seinen Geist in den humanen Wissenschaften reichlich geübt hat.“ Die alten KirchenväZitate von Luther und Melanchthon ter hatten behauptet, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gebe. Zitat von Philipp Melanchton: Melanchthon behauptete fortführend: „Außerhalb der Universität ist „Die Philosophen und die Pharisäer lehrten, der Mensch wird durch seine kein Leben.“ Seine Liebe zum Lernen eigenen Tugenden und Anstrengungen gerechtfertigt. Wir zeigten auf, dass zeigt sich auch in der Vorstellung, man allein durch den Glauben gerechtfertigt wurde, das heißt, unsere Wernach dem Tod trete man in eine ke und Anstrengungen nichts als Sünde sind.“ „himmlische Akademie“ ein. Mit solchen eigenständigen Schwerpunkten Zitat von Martin Luther über Philipp Melanchthon: prägte Melanchthon den Protestantismus nicht weniger als Luther. „Ich bin dazu geboren, dass ich mit den Rotten und Teufeln muss kriegen Melanchthon war für Luther ein und zu Felde liegen, darum viele meiner Bücher stürmisch und kriegerisch Leisetreter. Er meinte das durchaus sind. Ich muss die Klötze und Stämme ausrotten, Dornen und Hecken weganerkennend. Andere Reformatoren hauen, die Pfützen ausfüllen, und bin der grobe Waldrechter, der die Bahn hingegen legten Melanchthons diplobrechen und zurichten muss. Aber Magister Philipps fähret säuberlich und matische Stärke als Schwäche aus. Mit stille daher, bauet und pflanzet, säet und begeußt mit Lust, nachdem Gott allen Mitteln lotete Melanchthon die ihm hat gegeben seine Gaben reichlich.“ Einigung der evangelischen mit der Martin Luther im Vorwort zu Melanchthons Kommentar des Kolosserbriefes, katholischen Kirche aus. Er agierte als 1529 Chefdiplomat der Protestanten. Melanchthon wusste: Zu viel Deutlich- Liebe zum Lernen über den Tod hinaus keit kann schaden. Er wollte die Kirche zusammenhalten. Zugeständnisse sind notwendig; es ist dabei wichtig, die wesentlichen Fragen von den unwesentlichen zu trennen. Mit einer Mischung aus Beharrlichkeit und Nachgiebigkeit sorgte er dafür, dass das evangelische Anliegen unüberhörbar blieb. Am Sichtbarsten ist dieses Bemühen in der „Confessio Augustana“, dem „Augsburger Bekenntnis“, das maßgeblich von ihm verfasst wurde. Als auf dem Reichstag 1530 trotz all seiner Mühe keine Einigung zustande kam, war Melanchthon deprimiert. Kritik wurde laut. „Hier schreit einer und dort schreit einer“, schrieb er seinem Bruder, „ich muss aber meine Eigenart beibehalten dürfen, nämlich alles fliehen, was noch mehr verbittern würde!“ Deswegen hatte er das Bekenntnis sachlich geschrieben und bewusst auf Polemik verzichtet. Melanchthon wollte beweisen: Die Lutherischen stehen ganz auf dem Boden des altkirchlichen Bekenntnisses. Luther nahm seinen Freund gegen Kritiker in Schutz und tröstete ihn: „Nehmt euch ja der Leute Urteil wenig zu Herzen, die da sagen, ihr hättet den Papisten zu viel nachgegeben!“ Ein Leisetreter war Melanchthon also mitnichten – sondern ein geduldiger Diplomat, der in wesentlichen Glaubensfragen standhaft blieb. Bis heute gilt er – auch aus katholischer Sicht – als der Ökumeniker der Reformation. Wie seine Mitstreiter war er kein Gutmensch Obwohl sich Melanchthon mit seiner bescheidenen Art nicht dazu eignet, als Heros der Reformation auf einen Sockel gehievt zu werden: Ein Gutmensch war er so wenig wie seine Mitstreiter. Gewalt lehnte er keinesfalls ab. Die Obrigkeit ermunterte er, in Gottes Auftrag unbelehrbare aufrührerische Bauern zu erschlagen. Auch für Ketzer hielt er die Todesstrafe für angemessen. „Die Obrigkeit muss, wie andere öffentliche Vergehen, auch die öffentlichen Gotteslästerungen strafen“, schrieb er dem Genfer Reformator Johannes Calvin, nachdem der die Hinrichtung des „Ketzers“ Michael Servet gefördert hatte. Im Alter wurde Melanchthon der theologischen Streitigkeiten müde. Trotz all seiner Einigungsbemühungen waren Konfessionskriege ausgebrochen. Nach Luthers Tod im Jahr 1546 hatte Melanchthon versucht, Flügelkämpfe innerhalb der evangelischen Kirche zu schlichten – selten mit Erfolg. „Ich hoffe, bald in die himmlische Kirche einzugehen, weit weg von den wilden Stürmen, die die Kirche hier unten so grauenhaft erschüttern“, gestand er 1557 einem Freund. Im selben Jahr starb seine Frau. „Im Alter hört die Sehnsucht nach der verlorenen Gattin nicht auf wie bei den Jungen, die sich in immer neue Liebesabenteuer stürzen. Der Schmerz bricht wieder auf, wenn ich daran denke, dass ich, meine Familie und die Enkel ihrer beraubt sind.“ Drei Jahre später folgte Melanchthon seiner Frau. Seine Angehörigen fanden einen Zettel, auf den er gute Gründe für das Sterben notiert hatte: „Du wirst von der Sünde loskommen. Du wirst von Trübsal befreit und von der Wut der Theologen. Du wirst zum Licht gelangen. Du wirst Gott sehen. Du wirst den Sohn Gottes schauen. Du wirst die wunderbaren Geheimnisse erfahren, die du in diesem Leben nicht begreifen konntest, nämlich warum wir so, wie wir sind, geschaffen wurden und wie die beiden Naturen in Christus miteinander verbunden sind.“ ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Das Augsburger Bekenntnis; Bildung für alle; Die Wut der Theologen Literatur: Uwe Birnstein: Der Humanist. Was Philipp Melanchthon Europa lehrte, Wichern, Berlin 2010 Melanchthon deutsch, Bände I bis IV, Leipzig 2011/12 Uwe Birnstein ist Theologe, Schriftsteller und Journalist. Foto: Hoffotografen ANZEIGE Stark gegen Nagelpilz Der einzige wasserlösliche Anti-Pilz-Lack einfach und bequem anzuwenden kein Feilen, kein Nagellackentferner dringt rasch in den Nagel ein beschleunigt das Nagelwachstum praktisch unsichtbar www.nagelpilz-weg.de rei in rezeptf Apotheke r e Ihr Ciclopoli® gegen Nagelpilz Wirkstoff : 8% Ciclopirox. Wirkstoffhaltiger Nagellack zur Anwendung ab 18 Jahren. Anwendungsgebiete: Pilzerkrankungen der Nägel, die durch Fadenpilze (Dermatophyten) und/oder andere Pilze, die mit Ciclopirox behandelt werden können, verursacht wurden. Warnhinweis: Enthält Cetylstearylalkohol, örtlich begrenzte Hautreizungen (z. B. Kontaktdermatitis) möglich. Apothekenpflichtig. Stand: Februar 2014 . Taurus Pharma GmbH, Benzstr. 11, D-61352 Bad Homburg Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Sonntag, 22. Mai 2016 | Nr. 21 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Frauen und die Reformation ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Das Augsburger Bekenntnis; Bildung für alle; Die Wut der Theologen Martin Luther und das weibliche Geschlecht im Frühbürgertum 1538) war eine adlige Witwe mit drei Kindern, als sie Ulrich Zwingli 1522 heiratete. Idelette Calvin (1509– 1549) stammte aus dem Kreis der französischen Flüchtlinge in Genf. Zu dieser Gruppe der Pfarrfrauen gehören auch: Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas. Vieles ist nicht bekannt über diese Frauen, keine Details, keine großen Biographien. Meist lassen sich lediglich über das Leben ihrer Ehemänner und deren Äußerungen Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen. Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 21 Teil 4 Menschen um Martin Luther FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Welche Frauen der Reformation sind Ihnen bekannt? Was wissen Sie über sie? 2. Welche Rolle spielen Frauen in der evangelischen Kirche heute? 3. Ist die Frauenordination für Sie ein Kennzeichen der Protestanten? Nur dürftige Spuren der ersten Pfarrfrauen Zugang zum Thema: Was sagte Martin Luther über Frauen? Anlegen einer Zitatensammlung und besprechen Das, was Luther über Frauen äußerte, klingt sehr ambivalent. Dem Mann seien sie untertan, ihr Verstand schwächer als der ihrer Männer. Erstaunlich, dass dennoch so viele Frauen seine Theologie unterstützten und, den revolutionären Geist in s einen Einsichten erkennend, die Reformation förderten. Von Margot Käßmann Die Beteiligung der Frauen ist kein Seitenthema der Reformation, sondern sie steht exemplarisch für ihre Inhalte. Das hat vier Gründe: Erstens die Tauftheologie Martin Luthers. Wenn jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, Priester, Bischof und Papst ist, dann kann das auch jede getaufte Frau sein. Hier liegt der Schlüssel zum Respekt vor Frauen und in der Konsequenz die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Auch wenn die Reformatoren sich diesen Schritt gewiss nicht denken konnten, ist er in ihrer Theologie angelegt. Zweitens wird mit dem Schritt zur Ehe das „Leben in der Welt“ aufgewertet. Die Eheschließung vormals zölibatär lebender Priester und Nonnen übersetzt die Grundüberzeugung, dass Leben in Kloster und Zölibat kein vor Gott in irgendeiner Weise „besseres“ Leben ist. Christsein bewährt sich mitten im Alltag der Welt, im Beruf, in der Familie, beim Regieren wie beim Erziehen der Kinder. Für Frauen aber war die Befreiung, die sich durch die Aufwertung von Ehe, Sexualität und Kindererziehung ergab, umso größer, als die Überzeugung überwunden wurde, „daß Frauen eines besonderen Zuganges zur Gnade bedürfen, den mit Gewißheit nur die reine Jungfäulichkeit eröffnen konnte“ (so Schaffenorth, Freunde in Christus. Die Beziehung von Mann und Frau bei Luther im Rahmen seines Kirchenverständnisses). Elisabeth von Calenberg, auch Reformationsfürstin oder Mutter der Reformation genannt. Foto: Wikipedia Drittens beschränkt sich der Und schließlich: Haben die Reforreformatorische Bildungsimpetus matoren nicht insgesamt an einer nicht auf Jungen und Männer, son- Unterordnung der Frau unter den dern schließt Mädchen und Frauen Mann festgehalten. O ja, kontextuell ein. Die Volksschule soll Schule für waren Rollenfestlegungen vorgegealle sein – eine ungeheure Aufwer- ben. Daran haben die Reformatoren tung von Frauen und Frauenleben. nicht wirklich gerüttelt. Viertens hat all dies zur aktuellen Kommen wir damit zu den FrauKonsequenz, dass die Beteiligung en der Reformationszeit selbst. Viele von Frauen geradezu zum Kennzei- Namen sind bekannt, auch wenn es chen der reformatoinsgesamt nur rischen Kirche gewenige authenti„Stellt euch vor, es gäbe sche Zeugnisse worden ist. das weibliche Geschlecht gibt und recht beDagegen höre ich nicht. Das Haus und was sogleich drei Eingrenzt Literatur wände: zum Thema. zum Haushalt gehört, Zum einen jene Exemplarisch würde zusammenstürzen, I n vo k av i t p r e d i g t möchte ich siedie Staaten und die ben nennen in von 1526, in der drei Kategorien: Martin Luther 2. Gemeinden gingen Zum einen Mose 22, 17 auslegt zugrunde.“ sind da die Pfarrund zu dem Schluss Martin Luther frauen. Für sie kommt: „Die Zauwar die Heirat berinnen sollst du mit einem Pfarnicht am Leben lassen.“ Hier lässt sich Luther hinreißen rer, in der Regel also mit einem ehevom Hexenwahn und der Hexenver- maligen Mönch, kein leichter Schritt. folgung seiner Zeit. Gewiss, der Zeit- Sie wurden von den Altgläubigen geist kann nicht im Nachhinein verachtet. Es hieß, Kinder, die von einem ehemaligen Mönch und einer kleinreden, was er sagte. Zum anderen werden einige fra- ehemaligen Nonne gezeugt werden, gen: Ist das nicht Schönfärberei? kommen mit Fehlbildungen zur Stammt nicht mancher abfällige Satz Welt. Mutige Frauen waren es also, über Frauen von Luther? Gewiss, die inhaltlich hinter ihren Männern aber gerade in den Tischreden findet stehen mussten, um den Anfeindunsich Vielfältiges, wie denn die Reden gen ihrer Umwelt gegenüber Haltung zu bewahren. bei Tische so sind. Das gilt zuallererst für Katharina von Bora (1599–1552). Sie war als ehemalige Nonne gebildet, wertgeschätzt als Gesprächspartnerin, wurDas Luther-Zitat de Mutter und Geschäftsfrau, die das Luther über Frauen: Leben im Schwarzen Kloster in Gang „Wenn das weibliche Geschlecht anfängt, die christliche Lehre hielt. aufzunehmen, dann ist es viel eifriger in Glaubensdingen als Männer. Das Ebenfalls in Wittenberg spielt Kaerweist sich bei der Auferstehung (Johannes 20,1ff.), Magdalena war viel tharina Melanchthon (1497–1557) beherzter als Petrus. (Martin Luther, Tischreden, 15??) eine große Rolle. Sie kam nicht aus Luthers Wertschätzung von Frauen hat sich bereits früh entwickelt. dem Kloster, sondern war Tochter 1520/21 schreibt er in seiner Auslegung des Magnifikat (Lukas 1,46ff.) voller Hochachtung über Maria: des Wittenberger Bürgermeisters. Lu„Oh das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem ther selbst hatte 1520 die Trauung jungen, kleinen Mägdlein. Getraut sich, mit einem Wort alle Mächtigen mit Philipp Melanchthon vollzogen. schwach, alle Großtuenden kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Berühmten Auch die beiden großen oberzuschanden zu machen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat, deutschen Reformatoren waren verWeisheit und Ruhm zuzueignen heiratet. Anna Zwingli (um 1484– Eine andere Kategorie sind die wenigen Frauen, die wie Elisabeth von Rochlitz eigene schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Herausragend unter ihnen ist Argula von Grumbach (1492–1568). Neben den Briefen von Elisabeth von Rochlitz sind von ihr die meisten Schriften von Frauen der Reformationszeit erhalten und bearbeitet. Auch Katharina Zell (um 1497– 1562) hat Schriftliches hinterlassen. Aus einem Straßburger Patrizierhaus stammend wurde sie von Martin Bucer 1523 mit dem Priester Matthäus Zell vermählt. Nach Kritik an der Eheschließung schrieb sie einen Verteidigungsbrief an den Bischof ebenso wie ein Flugblatt an die Bürger von Straßburg. Auch ein kleines Liederbuch gab sie heraus. Elisabeth Cruciger (um 1504– 1535) dichtete Kirchenlieder, eines ist bis heute im Evangelischen Gesangbuch erhalten: Herr Christ, der einig Gotts Sohn (EG 67). Bibeltexte: Lukas 1, 26–55; 1. Korinther 11, 2–16; 14, 33–36; Epheser 5, 21–33 Literatur: – Uwe Birnstein, Argula von Grumbach, Neufeld 2014 – Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit, Göttingen 2010 – Lisbeth Haase, Mutig und Glaubensstark. Frauen und die Reformation, Leipzig 2011 – Frauen fo(e)rdern Reformation: Elisabeth von Rochlitz, Katharina von Sachsen, Elisabeth von Brandenburg, Ursula Weida, Argula von Grumbach, Felicitas von Selmnitz / Evangelisches Predigerseminar, Wittenberg: Drei-Kastanien-Verlag 2004 ANZEIGE NERVÖSE UNRUHE UND SCHLAFSTÖRUNGEN? Befreien Sie sich! CALMVALERA HEVERT Frauen als Unterstützerinnen Nicht zuletzt sind die Fürstinnen zu nennen, die die Reformation entscheidend, auch politisch unterstützten. Elisabeth von Calenberg-Göttingen (1510–1558) führte 1542 die Reformation in ihrem Fürstentum in Südniedersachsen ein. Dabei hielt sie eine schützende Hand über die Frauenklöster und Damenstifte und ließ ihr Vermögen sichern. Unter weiteren Namen ist sie bekannt als: Elisabeth Markgräfin von Brandenburg, Elisabeth Gräfin von Henneberg, Elisabeth von Münden. Dies alles kann nur anreißen, wie viele Frauen die Reformation geprägt haben. Nur wenige sind namentlich bekannt, und von ganz wenigen sind schriftliche Zeugnisse überliefert. Unübersehbar aber ist ihre Bedeutung für die Reformation als Personen und als inhaltliches, theologische Signal: Das Priestertum aller Getauften zeigt sich gerade auch in der Beteiligung von Frauen – das ist zum Kennzeichen reformatorischer Kirchen geworden. Wie denken Sie über Frauen in der Kirche? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog https://glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine EMail: [email protected] Margot Käßmann ist Botschafterin für das Reformationsjubiläum der EKD. Calmvalera Hevert • Beruhigt • Entspannt • Fördert den Schlaf Mehr Infos unter www.hevert.de Calmvalera Hevert Tabletten Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Nervös bedingte Unruhezustände und Schlafstörungen. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Hevert-Arzneimittel · In der Weiherwiese 1 D-55569 Nussbaum · [email protected] Foto: epd Anzeige_DE_Calmvalera_Tro-Tab_45mmx280mm-hoch_01-2016.indd 08.01.16 11:22 1 Sonntag, 29. Mai 2016 | Nr. 22 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Berühmteste Pfarrfrau Katharina von Bora, die Frau an Luthers Seite, war seine Vertraute und verantwortete die Wirtschaft überraschte er Feinde wie Freunde. Sie reagierten mit Häme oder zumindest mit Unverständnis. Da Luther vermutete, er werde nicht mehr lange leben, wollte er vor seinem Tod seinem Vater die Bitte auf Nachkommen erfüllen und mit seiner Tat bekräftigen, was er lehrte. Über Katharina sagte er: „Ich bin ja nicht verliebt itze, aber ich liebe meine und in H Frau“ (Weimarer Ausgabe, Briefe Band 3, Seite 541). Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 22 Teil 4 Menschen um Martin Luther FÜR DAS GESPRÄCH Einer der größten Haushalte Wittenbergs Fragen zum Einstieg: 1. Welche Idealbilder der Partnerschaft und (Pfarr-)Ehe haben Sie heute? 2. Können Frauen ihr Leben nach ihren Vorstellungen und entsprechend ihrer Fähigkeiten gestalten? 3. Wie wichtig ist Ihnen die religiöse Bildung unserer Kinder und Enkel? Dass Luthers Reformation bis in die praktischen Lebensvollzüge hinein eine neue Entwicklung einleitete, wird an Katharina von Bora besonders deutlich. Berühmt geworden ist sie als Luthers Ehefrau, als erste Pfarrfrau, als „entlaufene Nonne“. Auch wenn nicht alle Zuschreibungen historisch gesehen auf sie zutreffen – eine Pfarrfrau war sie als Professorengattin nicht. Auch wenn von ihrem außergewöhnlichen Leben vieles unbekannt bleibt, wurde sie doch zur Symbolgestalt der Pfarrfrau wie keine a ndere. Von Sabine Kramer Aus welchem Ort in Sachsen Katarina von Bora stammte, ist umstritten. Sie wurde 1499 in Lippendorf südlich von Leipzig oder in Hirschfeld bei Nossen geboren. Die Mutter scheint früh verstorben, der Vater wieder geheiratet zu haben, denn schon als Fünfjährige kam sie in das Kloster Brehna als „Kostkind“. Für ein adliges Mädchen der damaligen Zeit war das nicht ungewöhnlich. Hier konnte sie Bildung in Lesen, Schreiben, Singen, Latein, Handarbeit und Hauswirtschaft erlangen. Das Kloster bot ihr eine lebenslang gesicherte Versorgung, dazu Aufstiegsmöglichkeiten, etwa als Kantorin oder Äbtissin. Katharina kam als Zehnjährige ins Kloster Nimbschen bei Grimma, sechs Jahre später wurde sie Nonne und legte die Ordensgelübde ab. Wir wissen nicht, ob sie diesen Schritt freiwillig oder ohne eigene Entscheidungsmöglichkeit ging. Was die spätere Lutherin und ihre Mitschwestern bewegte, das Kloster zugunsten einer unabsehbaren Zukunft zu verlassen, lässt sich nur vermuten. Martin Luthers Kritik am Foto: Hendrick Schmidt/dpa Zugang zum Thema: – Besuch der Katharina-Luther-Stube in ihrem Sterbehaus in Torgau – Lied der Elisabeth Cruciger: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ Evangelisches Gesangbuch 67. „Luthers Hochzeit“: Beim großen Stadtfest in Wittenberg vom 10. bis 12. Juni spielen diesmal Antje Glöckner und Fred Göde Katharina und Martin. Wie wohl, wenn Eheleute miteinander zu Tisch und zu Bett gehen! Ob sie gleich zuweilen murren, das muss nicht schaden. Adam und Eva werden sich gar weidlich neunhundert Jahre gescholten haben, und Eva zu Adam gesagt haben: „Du hast den Apfel gefressen!“ Wiederum wird Adam geantwortet haben: „Warum hast du ihn mir gegeben?“ Martin Luther mönchischen Ideal, das er 1521 in seinem Gutachten über die Mönchsgelübde dargelegt hatte, war möglicherweise im Kloster bekannt geworden: Ein Ablegen der Gelübde könne vor Gott nur freiwillig, nicht aber gegen den Willen eines Menschen erfolgen. In der Woche nach Ostern 1523 kam Katharina von Bora gemeinsam mit acht Ordensschwestern in Wittenberg an. Ob sie in leeren Heringsfässern geflüchtet waren, wie es die Legende erzählt, bleibt dahingestellt. Dass ihre Flucht mit Gefahren verbunden war, ist jedoch sicher. Dem Fluchthelfer, Leonhard Koppe aus Torgau, und den Geflüchteten selbst hätten auf dem Herrschaftsgebiet des Luthergegners Herzog Georg von Sachsen Tod, Gefängnis oder Das Luther-Zitat Luthers Testament von 1542 zeigt die hohe Wertschätzung des Reformators für seine Frau. Entgegen allen Rechtsnormen der Zeit, die für Witwen grundsätzlich einen Vormund vorsahen, jedoch die Immobilien den Kindern oder männlichen Verwandten des Mannes zusprachen, bestimmte Luther seine Gattin zur Universalerbin und zum Vormund ihrer Kinder: „Das tu ich darum, erstlich, weil sie mich als ein fromm, treulich Gemahl allzeit lieb, wert und schön gehalten und mir durch reichen Gottessegen fünf lebendige Kinder (die noch vorhanden, Gott gebe, lange) geboren und erzogen hat; … und allermeist darum, dass ich will, sie müsse nicht den Kindern, sondern die Kinder sollen ihr in die Hände sehen (finanziell von ihr abhängig sein), sie in Ehren halten und ihr unterworfen sein, wie Gott geboten hat … Denn ich halte dafür, dass die Mutter werde ihren eigenen Kindern der beste Vormund sein und solch Gütlein … nicht zu der Kinder Schaden oder Nachteil, sondern zu Nutz und Besserung brauchen, als die ihr Fleisch und Blut sind und sie unter ihrem Herzen getragen hat.“ Luthers Testament, 1542, Weimarer Lutherausgabe, Briefe Band 9, Nr. 3699 empfindliche Körperstrafen gedroht. Doch ihre Flucht glückte, und Luther sah sich vor der schwierigen Aufgabe, sie zu versorgen. Eheanbahnung mit Hindernissen Um die Nonnenflucht zur Nachahmung zu empfehlen, veröffentlichte er die Schrift: „Ursache und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen dürfen“. Die Frau, argumentierte Luther, „ist nicht geschaffen, Jungfrau zu sein, sondern Kinder zu tragen … wie das auch die weiblichen Gliedmaßen, von Gott dazu eingesetzt, beweisen“ (Weimarer Ausgabe, Band 11, Seiten 394-400). Nur wenige Frauen seien dazu geschaffen, ohne Ehemann und Kinder zu leben. Übertrieben haben dürfte Luther mit seiner Schätzung, wie viele Nonnen freiwillig im Kloster lebten: „sicher unter tausend kaum eine“. Katharinas Mitschwestern gingen eine Ehe ein oder kehrten zu ihren Familien zurück. Bei Katharina von Bora hingegen scheiterten zwei Eheanbahnungen. Als sie den als geizig bekannten, 60-jährigen Wittenberger Professor Kaspar Glatz ablehnte, soll Katharina gesagt haben, sie heirate lieber Luthers Mitarbeiter Nikolaus von Amsdorf oder Luther selbst. Am Abend des 13. Juni 1525, einem Dienstag, ging Luther mit Katharina von Bora die Ehe ein. Damit Anfangs war die Familie mittellos. Bald gelang es Katharina, ihr Wohnhaus, das „Schwarze Kloster“ und ehemalige Klostergebäude der Augustinermönche, zu einem der größten Haushalte in Wittenberg zu entwickeln. Das Lutherhaus war weit mehr als der Wohnort der Familie: ein Begegnungsort lokaler wie europäischer Geistesgrößen und Herrscherhäuser, Zufluchtsstätte für Glaubensflüchtlinge, Krankenhospital, Herberge für Gäste und Pflegekinder, ein überaus begehrtes Studentenwohnheim, Mensa und Ort der Tischreden Luthers. Die Wirtschaftsführung oblag Katharina eigenständig. Sie beaufsichtigte die Mägde und Knechte, leitete die Küche, den Einkauf und die Eigenproduktion der Lebensmittel, ließ ein Badehaus errichten, Öfen aufstellen, einen Keller bauen, erweiterte den Grundbesitz und damit die landwirtschaftlichen Flächen. Obwohl Bargeld im Lutherhaus immer knapp war, wurden unter Katharinas Leitung täglich 30 bis 50 Personen verköstigt – für die damalige Zeit eine enorme Leistung. Sie gebar sechs Kinder, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten. Ihr Anteil an den Diskussionen bei Tisch ist größer, als es die Nachschreiber, die kein Interesse an Katharinas Beiträgen hatten, notierten. Für Luther war sie Leib- und Seelsorgerin, seine Vertraute, die ihn nicht selten nachts im Ehebett, wenn Luther von Glaubenszweifeln oder wie er es nannte, vom Teufel, heimgesucht wurde, mit Bibelworten tröstete. 1546 starb Luther plötzlich. Im selben Jahr brach der Schmalkaldische Krieg aus und zwang die Witwe zur Flucht. Bei ihrer Rückkehr waren ihre Felder verwüstet, am Ende ihres Lebens war sie hoch verschuldet. 1552 floh Katharina nach Torgau, dort verstarb sie an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Auf ihrer Grabplatte in der Torgauer Stadtkirche ist sie in Lebensgröße dargestellt mit einem Buch in den Händen, betend, Bibel lesend. Luther kritisierte die bis dahin höher angesehene klösterliche Lebensform zugunsten der Gestaltung des Glaubens in der Welt – in einer Partnerschaft, als Eltern, in einem Beruf. Katharina von Bora brachte den Mut auf, diese Umbrüche an Luthers Seite in ihrem eigenen Leben zu gestalten. Ist Katharina von Bora ein Vorbild für Sie? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten, Pfarrer Bernd Krebs, und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine E-Mail: [email protected]. Sabine Kramer ist Historikerin und Geschäftsführende Pfarrerin der Marktkirchengemeinde Halle / Saale. Foto: privat ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Frauen und die Reformation; Die Ehe: „Ein weltlich Ding“; Leben nach Luther – das evangelische Pfarrhaus Bibeltexte: 1. Buch Mose 2, 18; Matthäus 19, 4–6; Galater 3, 26–28 Literatur: – Martin Treu, Katharina von Bora. Biographien zur Reformation. Wittenberg, 2006 – Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit: Gelehrt, mutig und glaubensfest. Göttingen 2014 – Sylvia Weigelt, Der Männer Lust und Freude sein, Wartburg-Verlag Weimar. ANZEIGE Stark gegen Nagelpilz Der einzige wasserlösliche Anti-Pilz-Lack einfach und bequem anzuwenden kein Feilen, kein Nagellackentferner dringt rasch in den Nagel ein beschleunigt das Nagelwachstum praktisch unsichtbar www.nagelpilz-weg.de rei in rezeptf Apotheke r e Ihr Ciclopoli® gegen Nagelpilz Wirkstoff : 8% Ciclopirox. Wirkstoffhaltiger Nagellack zur Anwendung ab 18 Jahren. 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Wie gestalten und pflegen wir als Kirchenmitglieder Partnerschaft und öffentliche Mitverantwortung angesichts der den Kirchen gebotenen Verpflichtung zum Dienst am Nächsten? Zugang zum Thema: – Gespräch mit einem Pfarrer der Region, der in der Wendezeit ein Bürgermeisteramt innehatte – Katalog zur Ausstellung anlässlich des 450. Todestages von Johannes Bugenhagen, Dr. Pomeranus, 1485– 1558, Schwerin 2008 Dass ein Gemeindepastor in bestimmten Situationen zusätzlich auch politische Verantwortung übernimmt, war während der friedlichen Revolution in der DDR 1989 - 90 nicht selten, aber umstritten. Wie verhielt es sich mit der Übernahme staats- und kommunalpolitischer Verantwortung während der Reformation? Von Norbert Buske Der Reformator Johannes Bugenhagen – er gilt als Organisator der lutherisch geprägten Landeskirchen – bietet ein Beispiel. Er war an der Erarbeitung vieler, von den jeweiligen Landtagen und Stadtvertretungen zu beschließenden Kirchenordnungen maßgeblich beteiligt. Bei diesen Kirchenordnungen handelte es sich um Gesetze im Range von Landesverfassungen, mit denen nicht nur kirchliche Belange neu geordnet wurden, sondern zugleich Bereiche des Bildungs- und Sozialwesens. Vieles dieser damals geschaffenen Rechtsordnung blieb Jahrhunderte lang gültig. Darüber hinaus schufen diese Kirchenordnungen Rechtssicherheit für die sich in den einzelnen Territorien konstituierenden Landeskirchen, eine Rechtssicherheit, die es den Landeskirchen im Verlauf der weiteren Entwicklung ermöglichte, Aufgaben eigenständig wahrzunehmen. Das diplomatische Geschick, das der Reformator Johannes Budenhagen bei den Verhandlungen zeigte, war beispielgebend auch für die Verhandlungen um die Staatskirchenverträge in den ostdeutschen Bundesländern. Der 1485 geborene, aus Pommern stammende Reformator Johannes Bugenhagen gehört mit Martin Luther und Philipp Melanchthon zum Dreigestirn der Wittenberger Reformation. Bereits als 19-Jähriger wurde Bugenhagen zum Rektor der Ratsschule in Treptow an der Rega berufen. Diese Am 1856 in Greifswald errichteten RubenowDenkmal ist Bugenhagen als Vertreter der Theologischen Fakultät dargestellt. Das Denkmal ist Heinrich Rubenow, dem ersten Rektor der 1456 gegründeten Universität gewidmet. Obgleich Bugenhagen seine Ansichten stets unmissverständlich vertrat, vermied er allzu scharfe Polemik. Er galt als bedächtig, konnte geduldig zuhören und sachgerecht abwägen. So verwundert es nicht, dass der für sein Verhandlungsgeschick geschätzte Reformator auch um weitere diplomatische Dienste gebeten wurde. Beispielhaft verwiesen sei auf die Krönung des dänischen Königs Christian III. und die Vermittlung der Heirat des pommerschen Herzogs Philipp I. mit Maria, der Tochter des Kurfürsten Johann des Beständigen. Nach einem arbeitsreichen und erfüllten Leben starb der Reformator Johannes Bugenhagen 1558 und wurde in der Wittenberger Stadtpfarrkirche bestattet. Norbert Buske, promovierter Pastor i. R. (Greifswald), war 1991 bis 94 Vorsitzender des Rechtsausschusses im Landtag MV. Foto: privat Foto: epd ANZEIGE Johannes Bugenhagen Der Kirchenorganisator im Dreigestirn der Wittenberger Reformatoren „gelehrte Schule“ stand unter der Aufsicht des Abtes des nahe der Stadt gelegenen Prämonstratenserklosters Belbuck. Unter der Leitung Bugenhagens gewann sie erheblich an Ansehen. Von Treptow aus knüpfte Bugenhagen Verbindungen zu Kreisen der Humanisten. Spätestens seit 1512 beschäftigte er sich mit bibelwissenschaftlichen Studien. Juristische Kenntnisse erwarb Bugenhagen wahrscheinlich über die gesellschaftlichen Verbindungen seines Vaters als Ratsherr. Freundschaft mit Luther in Wittenberg Als der Abt des Klosters Belbuck im Jahr 1517 eine neue Ordensschule errichtete, wurde Bugenhagen zum Lektor für das Bibelstudium berufen. Der sich hier unter seiner Führung bildende Schülerkreis diskutierte auch die Schriften der Wittenberger Reformbewegung. Der reformatorische Durchbruch für Bugenhagen ergab sich im Herbst 1520 aus der Lektüre der Schrift Luthers „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“. Viele Schüler und Freunde, die Bugenhagen in Belbuck und Treptow gewonnen hatte, wurden zu Wegbereitern der Reformation, so in Stralsund, Hamburg, Lübeck und Riga. Im Frühjahr 1521 ging Bugenhagen nach Wittenberg und gewann Luthers Freundschaft. Auf Drängen Melanchthons begann er, bibelwissenschaftliche Vorlesungen zu halten. Sein bereits 1524 gedruckter Psalmenkommentar machte ihn rasch über Wittenberg hinaus bekannt. Im gleichen Jahr erschien auch erstmals seine Passionsharmonie, eine Zusammenstellung der in den vier Evangelien berichteten Leidensgeschichte Das Bugenhagen-Zitat „Hier will ich, dass ein Jeglicher fleißig merke, dass wir nicht verwerfen gute Werke, die aus freiem Herzen geschehen, nach Gottes Wort, um Gottes willen, unserem Nächsten zu Dienste, sondern wir verwerfen alle Werke, wie gut sie auch seien mögen genannt werden, die nicht mit freiem Herzen geschehen (wie gesagt), sondern an welchen das Herz also hänget und gebunden ist, dass es meinet, damit Vergebung der Sünden und den Himmel zu verdienen.“ Johannes Bugenhagen, „Von dem christlichen Glauben und rechten guten Werken wider den falschen Glauben und erdichtete gute Werke, dazu wie man’s soll anrichten mit guten Predigern, dass solch Glaube und Werke gepredigt werden, an die ehrenreiche Stadt Hamburg“, 1526. Christi. Diese Passionsharmonie wurde zu einem fleißig gelesenen, immer wieder nachgedruckten Andachtsbuch. Sie war bis ins 20. Jahrhundert hinein Bestandteil der Anhänge in vielen Gesangbüchern. Im Blick auf ihre frömmigkeitsgeschichtliche Bedeutung ist sie dem Kleinen Katechismus von Martin Luther vergleichbar. Auch in den folgenden Jahrzehnten fühlte sich Bugenhagen, neben seinen rasch anwachsenden weiteren Aufgaben, der theologisch wissenschaftlichen Arbeit verpflichtet. Die Wittenberger Universität promovierte ihn 1533 zum Doktor der Theologie und berief ihn zum Professor. Bugenhagen heiratete 1522, noch vor Luther, der 1523 die Berufung von Bugenhagen zum ersten evangelischen Pfarrer an der Stadtpfarrkirche Wittenberg durchsetzte. Mit Bugenhagen begann die Geschichte des evangelischen Pfarrhauses. Als Luther heiratete, traute Bugenhagen das Paar. Beide Familien blieben eng freundschaftlich miteinander verbunden. Rechtliche Gestaltung der Landeskirchen Zu Bugenhagens pfarramtlichen Aufgaben gesellten sich bald weitere Verpflichtungen. Der Kurfürst ernannte den Stadtpfarrer 1532 zum Superintendenten für den rechtselbischen Kurkreis, später zum Generalsuperintendenten für Sachsen. Bugenhagen hatte die neuen evangelischen Geistlichen zu ordinieren. Sie kamen auch aus Gebieten, die der sächsischen Generalsuperintendentur nicht zugeordnet waren, einige von weit her, aus Dänemark, Flandern, Ungarn, Siebenbürgen, Polen und dem Baltikum. Sie rechneten es sich zur Ehre an, von Bugenhagen ordiniert zu werden. ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Kirche und Obrigkeit; Wider die mörderischen Rotten, Das Gesetz gehört aufs Rathaus; Bischöfe und Fürsten; Literatur: – Norbert Buske u.a., Johannes Bugenhagen. Sein Leben. Seine Zeit. Schwerin 2010 – Norbert Buske, 20 Jahre „Güstrower Vertrag“ (Staatskirchenvertrag) Eine Dokumentation. Schwerin 2014 Zu den nachhaltigsten Verdiensten Bugenhagens gehört seine unablässige Mitarbeit bei der rechtlichen Ausgestaltung und Absicherung der sich bildenden neuen Landeskirheraus chen. Durch zahlreiche Anfragen und Bitten um Mitarbeit wurde er in die Rolle des wichtigsten protestantischen Kirchenorganisators gedrängt. Er wusste um die Bedeutung einer verlässlichen Rechtsordnung zur Sicherung der reformatorischen Erkenntnisse. Die Kirchenordnungen in übeck, dem Braunschweig, Hamburg, L Herzogtum Pommern und dem Königreich Dänemark sind maßgeblich durch ihn geprägt worden. Dabei bewies er ein sich immer deutlicher abzeichnendes politisches Geschick. Er hatte ein Gespür dafür, was den jeweiligen Verhandlungspartnern möglich und zumutbar war. Wichtige Bereiche des öffentlichen gesellschaftlichen Lebens wurden vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die guten Werke im Rahmen der von Johannes Bugenhagen maßgeblich geprägten evangelischen Kirchenordnungen neu geordnet. Das wird im Blick auf das Armenund Sozialwesen beispielhaft deutlich: Die mittelalterliche Kirche hatte den Gläubigen die Fürsorge für Kranke und Hilfsbedürftige nachdrücklich eingeschärft. Das Almosengeben gehörte zu den guten Werken. Sie waren zur Erlangung des Seelenheils notwendig. So zahlte sich eine für die Hilfsbedürftigen dargebrachte Gabe doppelt aus, sowohl für den Empfänger als auch für den Geber. Die Reformation setzte neue Akzente. Nicht das gute Werk, sondern die Würde des Hilfsbedürftigen, die ihm als Geschöpf Gottes verliehen war, wurde in den Vordergrund gerückt. Um diese neue Werteordnung zur Geltung zu bringen, bedurfte es einer grundlegenden Neuordnung der kirchlichen Einkünfte. Den von den jeweiligen Landtagen sowie dem jeweiligen städtischen Regiment hierfür geschaffenen Rechtsgrundlagen, den evangelischen Kirchenordnungen, folgten Visitationen der Landesherrschaft. Diese führten zu einschneidenden Eingriffen in die kirchliche Finanz- und Vermögensverwaltung. Johannes Bugenhagen wurde nicht nur wiederholt zur Erarbeitung dieser Rechtsgrundlagen herangezogen, sondern war auch – wie zum Beispiel in Pommern – an vielen sich unmittelbar anschließenden, von den Herzögen angeordneten Visitationen als herzoglicher Visitator beteiligt. NERVÖSE UNRUHE UND SCHLAFSTÖRUNGEN? Befreien Sie sich! CALMVALERA HEVERT Calmvalera Hevert • Beruhigt • Entspannt • Fördert den Schlaf Mehr Infos unter www.hevert.de Calmvalera Hevert Tabletten Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Nervös bedingte Unruhezustände und Schlafstörungen. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. 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Literatur: – Georg Berbig, Spalatins und Luthers Briefwechsel bis zum Jahr 1525, Halle (Saale),1906 – Martin Burkert/Karl-Heinz Röhlin, Georg Spalatin – Luthers Freund und Schutz, Leipzig, 2015 – Irmgard Höss, Georg Spalatin, Weimar, 1956 Zugänge zum Thema: – Besuch von Schloß Hartenfels in Torgau/Sachsen – als kursächsische Residenz war Torgau das politische Zentrum der Reformation. – Auf Spalatins Spuren, von Spalt nach Altenburg – Originalbrief von Spalatin an Luther, siehe Literaturliste Georg Spalatin gehört zu den herausragenden Männern der R eformations- geschichte. Ohne sein vermittelndes Wirken hätte Martin Luther kaum den Schutz seines Landesherrn erfahren. Von Karl-Heiz Röhlin Mit großem diplomatischem Geschick zog Georg Spalatin bei Reichstagen und Religionsgesprächen hinter den Kulissen die Fäden. Dabei war er, benannt nach seinem Geburtsort Spalt in Mittelfranken, eher ein Mann der leisen Töne. Seine Vermittlungsversuche führten mitunter zu Differenzen mit dem ungestümen Reformator. Die Freundschaft Luthers mit Spalatin zeigt, wie eng in der „heißen Phase“ der Reformation theologisch fundierte Kirchenkritik, machtpolitische Interessen und die hohe Kunst der Diplomatie verknüpft sind. Die Bedeutung Spalatins hängt eng mit seiner besonderen Stellung am Hof des Kurfürsten zusammen. Bis zum Tod Friedrichs des Weisen im Mai 1525 bekleidet er verschiedene einflussreiche Ämter. Seine Karriere beginnt er als Erzieher der Kurprinzen. Dann wird er Bibliothekar und Universitätsreferent in Wittenberg. Als Sekretär und persönlicher Vertrauter des Kurfürsten wächst Spalatin auch in die Rolle des Spezialisten für Kirchenfragen hinein. Sein juristisches Studium befähigt ihn dazu in besonderer Weise. In politischen und kirchenpolitischen Fragen läuft der ganze Schriftverkehr am Hof über seinen Schreibtisch. Spalatin entwirft für den Kurfürsten Antwortschreiben an Papst und Kaiser, begleitet den Kurfürsten zu den Reichstagen und ist als Gesprächspartner bei Kurienvertretern und Gesandten des Kaisers gefragt. 1525 wird er in das Amt des Hofpredigers in Torgau berufen. Bis zu seinem Lebensende arbeitet Spalatin an der sächsischen Chronik. Wann Spalatin Luther zum ersten Mal begegnet ist, wissen wir nicht genau. Ende des Jahres 1513 bittet Spalatin Martin Luther in einem Brief um ein Gutachten im Streit zwischen dem Humanisten Johann Reuchlin und den Kölnern Dominikanern. In 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 12. Juni 2016 | Nr. 24 NK Bei Georg Spalatin (1484–1545), Geheimsekretär Friedrichs des Weisen und Beauftragten für die Wittenberger Universität, liefen die Fäden zusammen. Das Gemälde (1509) stammt von Lucas Cranach der Ältere. Foto: wikipedia diesem Streit geht es um die Bedeu- chen soll er in Rom zum Ketzerprotung des Alten Testamentes und der zess erscheinen. Diese Nachricht jüdischen Literatur, speziell des Tal- schreckt Luther und seine Freunde muds, für die Auslegung der Bibel. In auf. In einem Brandbrief wendet er seinem Antwortbrief vom Februar sich sofort an Spalatin, der zu dieser 1514 unterstützt Martin Luther die Zeit mit dem Kurfürsten zum ReichsThesen Reuchlins. Die Bücher des tag in Augsburg weilt. Spalatin verHumanisten zu verbieten, hält er für fasst umgehend ein diplomatisches falsch: „Wenn man Bücher ver- Schreiben an die Kurie und erreicht brennt, werden mit Hilfe des Kurfürsten, dass die neue folgen.“ „Wenn ich nicht gewesen Vorladung Luthers Ende August wäre, nimmer wäre es nach Rom aufge1517 lädt Martin mit Luthero und seiner hoben wird. Luther Spalatin Lehr so weit kommen.“ Die Anhörung zum Abendessen erfolgt schließlich ins Wittenberger Georg Spalatin in Augsburg durch Augustiner Kloster den päpstlichen ein. Zu diesem Essen kommen auch der Beichtvater des Legaten Cajetan. Das Verhör Luthers Kurfürsten Jacob Vogt und Spalatins findet vom 12. bis 14. Oktober 1518 Nürnberger Freund Christoph im Palais der Fugger statt. Am Ende Scheurl. Sehr wahrscheinlich disku- wirft Cajetan Luther regelrecht hintiert die Gesprächsrunde auch über aus und fährt ihn an: „Geh und lass den Ablasshandel. Jedenfalls schreibt dich nicht mehr bei mir sehen, es sei Luther nur wenige Tage nach dem denn zum Widerruf!“ Noch in der Thesenanschlag vom 31. Oktober Nacht nach dem Verhör verlässt Lu1517 an Spalatin, er wünsche nicht, ther heimlich die Stadt und entgeht dass unsere Thesen früher in die Hän- so der Gefahr, verhaftet zu werden. de des Kurfürsten kommen als in die In Abstimmung mit dem KurfürsHände seiner Gegner. Offenkundig ten entwirft Spalatin erneut ein soll der Eindruck vermieden werden, Schreib en, um die inzwischen gefordass der Kurfürst vorab von dem ge- derte Auslieferung Luthers nach planten Thesenanschlag wusste. Spa- Rom abzuwenden. Der neue Vorlatin jedenfalls kennt den Inhalt der schlag besteht nun darin, ein GutThesen. Er ist es, der dem Kurfürsten achten Deutscher Universitäten über die Thesen vorlegt und interpretiert. Luthers Thesen einzuholen. Spalatin bringt unter anderem auch den Bischof von Würzburg, er ist ein Freund des Kurfürsten, als Vermittler ins Gespräch. All diese Aktivitäten Spalatins führen dazu, dass in den Jahren von Seine erste große Rolle als Diplomat 1517 bis 1520 die endgültige Entspielt Spalatin im Jahr 1518. Luther scheidung über die Sache Luthers erhält in diesem Jahr eine Vorladung immer wieder hinausgeschoben nach Rom. Innerhalb von sechs Wo- wird. Außerdem verhindern der Tod von Kaiser Maximilian, Anfang 1519, und die Vorbereitungen zur Wahl des neuen Kaisers weitreichende kirchenpolitische Entscheidungen. Luther-Zitat Im Jahr 1521, in den Wochen vor dem Reichstag zu Worms, arbeitet Spa„Mögest du meine aufrichtige Freundschaft und Zuneigung erkennen! Doch latin als Regisseur im Hintergrund. Es was bedarf es der Worte? Das weißt du selbst am besten, auch ohne meine Versicherung. Grüße deine Gattin aufs Beste! Wenn du sie aber auf deinem ist vorrangig sein Verdienst, dass LuLager in deine Arme einschließest in süßester Umarmung und deine ther die Bühne des Reichstags und daKatharina mit Küssen bedeckest, so magst du wohl daran denken: Siehe mit das wichtigste öffentliche Podium diesen Menschen, eine Schöpfung Gottes, hat mir Christus geschenkt. Ihm betreten darf. Der vorsichtige Kurfürst sei Lob und Preis! Und auch ich werde den Tag festlich begehen und dann hegt zunächst große Bedenken gegenin der Nacht bei gleichem Liebeswerk deiner gedenken.“ über einem öffentlichen Auftritt Luthers. Er fürchtet nicht zu Unrecht Martin Luther in einem Brief anlässlich der Hochzeit von Georg Spalatin mit Katharina Heidenreich, 1525 eine weitere Verschärfung der religionspolitischen Konflikte. Verhör in Rom verhindert Rom fordert im Vorfeld des Reichstags von Kaiser Karl V. die Exekution der inzwischen verhängten Bannbulle gegen Luther. Der Reichstag hat nach Meinung der Kurie nicht das Recht, einen bereits verurteilten Häretiker noch einmal anzuhören. Den Kaiser selbst interessiert der theologische Streit nicht sonderlich. Er sucht nach Lösungen, die Einheit des Reiches zu stärken. Nach den vielen Sympathiekundgebungen für Luther in Worms hält er es für das kleinere Übel, den Wittenberger Mönch doch öffentlich anzuhören. Am 17. und 18. April 1521 kommt es dann zu dem berühmten Auftritt Luthers vor Kaiser und Reich. Der Leiter des Verhörs, Johann von der Ecke, fordert Luther auf, seine Schriften zu widerrufen. Am ersten Verhandlungstag argumentiert Luther in lateinischer Sprache. Am folgenden Tag hält er seine Verteidigungsrede in Deutsch. Auch wenn Luther die Worte „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, wohl nicht gesprochen hat, so charakterisieren sie doch treffend seine Haltung. Alle diplomatischen Bemühungen Spalatins können das Wormser Edikt nicht verhindern. Über Luther wird die Reichsacht verhängt. Alle Schriften Luthers stehen auf dem Index. Wegen der Gefahr eines Aufruhrs zögert der Kaiser die Ausfertigung des Ediktes hinaus. Er gibt Luther sogar seinen Reichsherold als Begleitschutz mit auf den Heimweg. Von Friedberg in Hessen aus setzt Luther seinen Weg alleine fort, da der lutherisch gesonnene hessische Landgraf seinen Schutz zugesagt hat. Planer des filmreifen Scheinüberfalls Vieles spricht dafür, dass Spalatin bei dem Scheinüberfall auf Luther und dem Versteck auf der Wartburg der Vater des Plans gewesen ist. Der kurfürstliche Rat Hans von Planitz und Kanzler Gregor Brück unterstützen den filmreifen „Überfall“. Während Luthers Wartburgzeit ist Spalatin der wichtigste Verbindungsmann nach außen. Er versorgt ihn mit Nachrichten vom Hof, der Universität und den Entwicklungen im Reich. Beim Reichstag in Augsburg im Jahr 1530 ist Spalatin wieder als Berater gefordert. Kurfürst Johann von Sachsen beruft ihn neben Melanchthon und Justus Jonas in die sächsische Delegation. Zum ersten Mal nach dem Tod Friedrich des Weisen wird Spalatin, inzwischen Superintendent in Altenburg, wieder eine wichtige Rolle bei einem Reichstag spielen. Luther selbst kann nicht nach Augsburg reisen, da er seit dem Wormser Edikt unter Reichsacht steht. Von der Veste Coburg aus steht er jedoch in ständigem Kontakt mit den Freunden. In Augsburg formuliert die sächsische Delegation die auf Konsens angelegte Confessio Au- gustana, das so genannte Augsburger Bekenntnis. Bis in die Gegenwart hinein spielt es eine besondere Rolle bei ökumenischen Gesprächen. Wie weit die einzelnen Artikel von Spalatin beeinflusst sind, lässt sich nicht mehr genau feststellen. In dem Bestreben, konsensfähige Formulierungen zu finden, sind sich Melanchthon und Spalatin jedenfalls einig. Der kirchenpolitische Einfluss Spalatins auf die Reichstage wird zuweilen unterschätzt. Immerhin: In der Schlosskirche in Wittenberg steht die Statue Georg Spalatins in einer Reihe mit den großen Theologen der Reformation. Ein Zeichen dafür, dass theologische Kirchenkritik, machtpolitische Interessen und diplomatisches Ringen in der Reformationszeit nicht zu trennen sind. Karl-Heinz Röhlin ist Rektor am Pastoralkolleg Neuendettelsau. Foto: privat ANZEIGE Stark gegen Nagelpilz Der einzige wasserlösliche Anti-Pilz-Lack einfach und bequem anzuwenden kein Feilen, kein Nagellackentferner dringt rasch in den Nagel ein beschleunigt das Nagelwachstum praktisch unsichtbar www.nagelpilz-weg.de rei in rezeptf Apotheke r e Ihr Ciclopoli® gegen Nagelpilz Wirkstoff : 8% Ciclopirox. Wirkstoffhaltiger Nagellack zur Anwendung ab 18 Jahren. 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Trauen Sie sich zu, ein solches Bekenntnis zu formulieren? Zugänge zum Thema: – Lektüre: Confessio Augustana. Das Augsburger Bekenntnis von 1530 in heutigem Deutsch, Berlin 2014 – Besuch auf der Coburg, Ausstellung über Luthers Anteilnahme am Augsburger Bekenntnis. ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Luther widersteht; Luthers Reformprogramm; Kirche und Obrigkeit; Das ist mein Leib; Der kleine Grieche; Bischöfe und Fürsten; Gemeinde und Amt; Der Augsburger Religionsfriede Literatur: – Gunther Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche, 2 Bände, Berlin 1996 In Augsburg suchten 1530 „Protestanten“ den Schulterschluss mit der Kirche. In diesem Sinne trugen sie dort ein Bekenntnis vor. Auch Kaiser Karl V. strebte nach Einigung. Doch es kam anders. Von Wolf Krötke „Ich rede von deinen Zeugnissen vor Königen und schäme mich nicht“ (Psalm 119, 46). Dieses Wort steht dem Bekenntnis voran, das der kursächsische Kanzler Christian Beyer am 25. Juni 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg vor Kaiser Karl V. verlesen hat. Der Kaiser aber – so heißt es – sei dabei eingeschlafen. Das Bekenntnis selbst jedoch ist ein lebendiges Zeugnis des Glaubens der Wittenberger Reformation geblieben. Das war 1530 nicht abzusehen. In diesem Jahr wollte der Kaiser die Spaltung der Kirche durch die rasante Ausbreitung reformatorischer Predigt und Gemeindepraxis endlich beenden. Denn sie spaltete auch das Kaiserreich. Doch seit dem Reichstag von Worms (1521), bei dem über Luther die „Reichsacht“ verhängt wurde und die Verbreitung seiner Schriften und Lehren verboten war („Wormser Edikt“), hatte Karl sich nicht mehr direkt um die deutschen Verhältnisse kümmern können. Seine Kräfte waren durch Aufstände in seinem Reich sowie durch die Der kursächsische Kanzler Christian Beyer verliest auf dem Reichstag zu Augsburg vor Karl V. die „Confessio Augustana“. Holzschnitt (16. Jahrhundert). Kriege mit Frankreich und vor allem mit den Türken, die 1529 vor Wien standen, gebunden. Sein Bruder, der Erzherzog Ferdinand, versuchte zwar, auf dem 2. Reichstag zu Speyer (1529) das „Wormser Edikt“ überall durchzusetzen. Dagegen erhoben die evangelischen Fürsten und Städte mit einer „Protestation“ ihre Stimme. Seitdem nennt man evangelische Christen „Protestanten“ und die bunte Vielfalt evangelischer Glaubensströmungen „Protestantismus“. Danach blieb jedoch alles beim Alten. Karl wollte das auf dem Reichstag in Augsburg, der Versammlung aller deutschen weltlichen Herrscher und kirchlichen Autoritäten, ändern. Das Einladungsschreiben dazu klang friedlich. In ihm hieß es, der Kaiser wolle jede Meinung „in Liebe und Gütlichkeit hören, verstehen und erwägen“. Übereinstimmung und Missbrauch Ausgerüstet mit Vorarbeiten für die Darstellung der reformatorischen Lehre brachen die Wittenberger nach Augsburg auf. Luther aber musste an der Grenze von Kursachsen Halt machen. Er war ja vom Kaiser geächtet und konnte sich außerhalb Kursachsens nicht blicken lassen. Er wurde auf der Veste Coburg einquartiert. Von dort aus beriet er Melanchthon, welcher das Augsburgische Bekenntnis formulierte. Es hieß zunächst „Apologie“ (= Verteidigung). Dieses Bekenntnis wirbt um die Ein- Das Zitat: Augsburger Bekenntnis Artikel 4: Es wird gelehrt, „dass wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unser Verdienst […] erlangen können, sondern […] dass wir vor Gott gerecht werden aus Gnade um Christi willen durch den Glauben“. Artikel 7: „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, dass überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden“. Evangelisches Gesangbuch, 808 „Die Apologie (Verteidigung) gefellet mir fast (= sehr) wohl und weiß nichts dran zu bessern und ändern.“ Martin Luther heit der Kirche. Der erste Teil legt in 21 Artikeln dar, dass die reformatorische Lehre auf der Bibel beruht und mit der „Alten Kirche“ übereinstimmt. Der zweite Teil benennt sieben „Missbräuche“, die in den von der Reformation erfassten Gebieten Deutschlands überwunden wurden: 1. Die Austeilung des Abendmahls in einer Gestalt, 2. den Zwangszölibat für Priester, 3. das Messopfer, das man zur Vergebung der Sünden bezahlen kann, 4. die Beichtpraxis, die aufgrund von Leistungen Vergebung verspricht, 5. „Kulthandlungen“ und 6. „Mönchsgelübde“, die diese Vergebung gewährleisten sollen, sowie 7. die Beanspruchung weltlicher Gewalt durch die Bischöfe. Das alles wurde moderat vorgetragen. Wildes Reden vom Papst als „Antichrist“ kommt nicht vor. Umso eindrücklicher brachte Melanchthon das reformatorische Verständnis des Evangeliums und der Kirche zur Geltung. Luther musste zugestehen: Die „Apologie […] gefellet mir fast (= sehr) wohl und weiß nichts dran zu bessern und zu ändern“. Freilich hat er auch hinzugefügt, dass er „so sanft und leise nicht treten kann“. Für uns ist es ein Segen, dass Melanchthon „sanft und leise“ für die reformatorische Botschaft geworben hat. Daran können wir im ökumenischen Gespräch mit unserer römischkatholischen Schwesterkirche anknüpfen. Damals freilich scheiterte das evangelische Werben um die Einheit der Kirche. Das hängt auch damit zusammen, dass in ihr ein „Spaltpilz“ steckte. Melanchthon hat ihn im Artikel 10 über das Abendmahl geschickt kaschiert: Zwischen den Lutherischen und den „Reformierten“ der Schweiz und Süddeutschlands schwelte nämlich der Abendmahlsstreit. Dazu heißt es in diesem Artikel nur kurz: Die „Gegenlehre“, dass „der wahre Leib und das wahre Blut Christi wirklich unter der Gestalt des Brotes und des Weines gegenwärtig ist, […] wird verworfen“. Das zielte auf Zwingli, für den Brot und Wein Leib und Blut Jesu Christi nur symbolisierte. Genau diese „Gegenlehre“ aber wurde dem Kaiser am 8. Juli 1530 in einer „Rechenschaft des Glaubens an Kaiser Karl“ von den „Reformierten“ übergeben. Eine derartige Uneinigkeit des reformatorischen Aufbruchs war nicht geeignet, ihn als einende Kraft der Kirche zu empfehlen. Außerdem spukte noch eine Begleiterscheinung dieses Aufbruchs in die Bemühung um die Einheit der Kirche hinein. Das waren die Täufer. Sie lehnten die Kindertaufe ab. Dagegen spricht sich Artikel 9 aus. Politisch bedrohlich für das Kaiserreich aber war, dass bei den Täufern Vorstellungen von der Errichtung eines Reiches Gottes auf Erden herumgeisterten. Melanchthon hat demgegenüber das Amt der „Obrigkeit“ als Gottes „guter Ordnung“ stark hervorgehoben (Artikel 16 und 28). Kaiser Karl V. gewann trotzdem nicht den Eindruck, dass das eine Kaiserreich im „Protestantismus“ eine starke Stütze habe. Er beauftragte die römisch-katholische Fraktion des Reichstags mit einer Widerlegung (confutatio) des evangelischen Bekenntnisses, das diese auch geliefert hat. Melanchthon hat Punkt für Punkt darauf geantwortet. Doch die Annahme seiner „Apologie“ wurde vom Kaiser verweigert. Ein Krieg, der beiden Seiten Schande bereitete Ermattet durch die endlosen Verhandlungen reisten die Vertreter der evangelischen Fraktion nach und nach ab. Die verbleibende katholische Fraktion aber bekräftigte das „Wormser Edikt“ – eine verhängnisvolle Entscheidung. Die „protestantischen“ Fürstentümer und Städte schlossen sich daraufhin zum „Schmalkaldischen Bund“ zusammen. Im Schmalkaldischen Krieg von 1546 bis1547, in dem die „Protestanten“ unterlagen, kam es zu einem Kampf, in dem beide Seiten dem Evangelium des Friedens nichts als Foto: wikipedia Schande bereiteten. Melanchthons Interesse an der Einheit der Kirche aber blieb ungebrochen. Er arbeitete weiter am Augsburger Bekenntnis. Mit einer veränderten Version der Augustana, der Augustana variata, warb er um Kompromisse zwischen den zerstrittenen Parteien. Das war nicht erfolgreich. So wurde ihre ursprüngliche Fassung zur BekenntnisGrundlage unserer Kirche. Dennoch bleibt das Bemühen um die Erneuerung des evangelischen Bekenntnisses richtungsweisend. Bekenntnisse im evangelischen Sinne sind nämlich nicht dazu da, einmal erkannte Wahrheiten zu zementieren. Sie wollen in den Geist der Bibel hinein führen. Sie rufen aber zugleich auf, die Verhältnisse ernst zu nehmen, auf die dieser Geist trifft. Den Geist der Bibel von Gottes Menschenfreundlichkeit prägt das Bekenntnis von 1530 uns auch heute ein. Die Zeit, in der das damals geschah, aber ist vergangen. Wir müssen diesen Geist heute in unserer pluralistischen Gesellschaft bezeugen. Vor „Königen“ haben wir dabei sicherlich nicht zu reden. Aber der Psalm 119, 46, der dem Augsburgischen Bekenntnis voran steht, kann doch eine gute Devise für die christliche Existenz heute sein. Sie lautet nicht: Ich vertrete den „Protestantismus“. Dieses Wort sollte als Selbstbezeichnung der evangelischen Christenheit überhaupt aus ihrem Sprachgebrauch verschwinden! Sie lautet positiv: Ich rede von deinen Zeugnissen, du Gott der Liebe zu uns, und schäme mich nicht! Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs, und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog glaubenskursreformation.wordpress.com oder schrei ben Sie der Redaktion eine E-Mail: [email protected] Wolf Krötke ist Professor für Systematische Theologie in Berlin und Mitherausgeber dieses Reformationskurses. Foto: privat Sonntag, 26. Juni 2016 | Nr. 26 NK 3 XGLAUBEN UND WISSENx Als die Fürsten zu Bischöfen wurden Luther wollte die reformierte Einheitskirche – und es kam das landesherrliche Kirchenregiment ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Kirche und Obrigkeit; Luther und der Bauernkrieg; Johannes Bugenhagen; Georg Spalatin; den Schafstall Christi ausfegen; Gemeinde und Amt Literatur: – Reformation. Macht. Politik. Das Magazin zum Themenjahr 2014 „Reformation und Politik“, herausgegeben von der EKD, Hannover 2013. Abrufbar unter http://www.ekd.de/ reformation-und-politik/ ANZEIGE Grafik: EKD/Statistik nutzte er für Belange der Gesundheits- und Armenfürsorge. Auf kommunaler Ebene wurden „GeGlaubenskurs meine Kästen“ zur Verwaltung der Reformation kirchlichen Einnahmen eingerichder Evangelischen tet und für soziale Zwecke genutzt. Wochenzeitungen Von herausragender Bedeutung erim Norden, Folge 26 wies sich die „Visitation“ der GeTeil 5 meinden. Kurfürst Johann ordnete Die Ausbreitung sie auf Anraten Luthers in Kursachder Reformation sen an. Melanchthons „Unterricht der Visitatoren“ (1528) wurde zum FÜR DAS GESPRÄCH Vorläufer amtlicher Kirchenordnungen. Mit dem Augsburger ReliFragen zum Einstieg: gionsfrieden (1555) war diese Ent1. Wissen Sie als Glied unserer Kirche, wicklung für die lutherischen Terriwarum es Landeskirchen, Superintorien reichsrechtlich abgesichert. tendenten und Konsistorien gibt und Der Westfälische Friede (1648) bewie erleben Sie diese Institutionen zog auch die Reformierten mit ein. heute? Fortan bestimmten Landesherren 2. Kirchenasyl, Beschneidung, die Konfession ihrer Untertanen. Schächtung, Arbeitsrecht der Kirchen Was von Luther als Notlösung gesind aktuelle Konfliktfelder zwischen dacht war, verfestigte sich institutioStaat und Religionsgemeinschaften. nell. Aus den ursprünglich nach BeHaben Religionsgemeinschaften Sondarf gebildeten Visitationskommissiderrechte? onen entwickelte sich das Amt des 3. Was halten Sie davon, wenn Pasto„Superintendenten“. Konsistorien ren sich in der Predigt zu politischen wurden als Aufsichtsbehörden eingeFragen äußern und Stellung bezierichtet, die aus Juristen und Theolohen? gen bestanden. In der weiteren Entwicklung führte dies zu e iner flächenZugänge zum Thema: deckenden, durchgegliederten Kir– Lektüre von Melanchthons „Unterchenaufsicht und Verwaltung mit richt der Visitatoren“ dem Landesherrn an der Spitze. Seit – Lesen Sie die Erklärung der EKD dem Augsburger Religionsfrieden bezum Thema „Christentum und politigründeten neue Rechtstheorien diesche Kultur“ (EKD-Texte Nr. 63). Abruf- Die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland erinnern an die l iche Kirchenregises „landesherr territorialen Verhältnisse in Deutschland bis 1918 und an die landesfürstliche bar unter http.//www.ekd.de/ EKDment“ anstelle der rechtlichen BefugHerrlichkeit und staatskirchliche Organisation des Protestantismus seit der Texte/44648.html nisse von Bischöfen (16./17. JahrhunReformationszeit. dert), später dann mit der alle Lebensbereiche umfassenden absolutistiMartin Luther kritisierte die kirchli- che“) ging es um Gottes Herrschaft Luthers Wartburgaufenthalt presch- schen Herrschaft oder aber aufgrund chen Missstände. Bei Veränderungen („Regiment“). Die Kirche sei für das te in Wittenberg sein Kollege Andre- einer freien Vereinbarung im Rahsetzte er auf die schützende und ord- Heil, die Obrigkeit für das Wohl der as Karlstadt mit reformatorischem men eines Gesellschaftsvertrags (18. nende Kraft des Fürstenstaats – so- Menschen verantwortlich. Im Notfall Eifer vor. Und 1525 beriefen sich die Jahrhundert). wohl gegenüber Kaiser und Papst, als aber gelte das Prinzip wechselseitiger aufständischen Bauern in ihrem Zunehmend versuchte die Obrigauch bei die Neuordnung der kirchli- Solidarität: „Wenn es die Not fordert Kampf gegen die Fürsten auf Lu- keit, die Kirche für ihre Ziele in Anchen Verhältnisse unter der Verant- und der Papst der Christenheit anstö- ther. Die Dinge drohten außer Kon- spruch zu nehmen. Umgekehrt gab wortung der Landesherren. Die Ge- ßig ist, soll sich darum kümmern, wer trolle zu geraten. es in den lutherischen Kirchen auf burtsstunde der evangelischen Lan- es zuerst kann als ein treues Glied des Auch wenn Luther die Forderun- der Grundlage der Drei-Stände-Lehdeskirchen. ganzen Körpers [...] Dies vermag nie- gen der Bauern bejahte, so lehnte er re eine Tendenz zur theologischen mand so gut wie das weltliche Zwang und revolutionäre Gewalt ab. Verklärung einer paternalistischen Von Martin Hauger Schwert“ (An den christlichen Adel Ein aktives Widerstandsrecht des drit- monarchischen Verfassung und späBraunschweig, Oldenburg, Schaum- deutscher Nation, 1520). ten Standes gegenüber der Obrigkeit ter des Nationalismus. Vor diesem burg-Lippe, Kurhessen-Waldeck. Nakannte er nicht. Hintergrund tamen und Grenzen evangelischer Den Gemeindeten sich lutheri„Wenn es die Not fordert gliedern bleibe Landeskirchen haben oft wenig gesche Kirchen bis und der Papst der nur der Weg des mein mit denen der deutschen Bunzur Katastrophe Christenheit anstößig Leidens: „Dem des Nationalsozidesländer. Sie erinnern an die terrialismus schwer Frevel soll man torialen Verhältnisse vor 1918 und ist, soll sich darum mit der Bejahung damit an die ältere landesfürstliche Für Luther bestand wenig Zweifel, nicht widerstekümmern (um das Heil Herrlichkeit und staatskirchliche Or- dass ein Notfall vorlag. Im Deutschen hen, sondern ihn demokratischer und das Wohlergehen der ganisation des Protestantismus seit Reich war der Einfluss Roms zu Be- leiden; man soll Prinzipien und der Reformationszeit. Luther hatte ginn des 16. Jahrhunderts auf drü- ihn aber nicht dem Übergang Menschen), wer es zuerst schon früh erkannt, dass die Reform ckende Weise stark, stärker als in billigen, noch zur partizipatorikann als ein treues Glied schen evangelider Kirche gegen den Widerstand Frankreich, England oder Spanien. dazu dienen oder des ganzen Körpers ... Dies schen Laienkirche von Papst und Kaiser nicht ohne Un- Ein Umstand, über den die „Deut- f o l g e n “ (Vo n terstützung der Landesfürsten mög- schen“ lautstark klagten, zum Beispiel weltlicher Obrigvermag niemand so gut wie der Moderne. Luther hatte lich war. Erst mit der Trennung von in den „Gravamina“ (Beschwerden keit, wie weit das weltliche Schwert ...“ diese Entwicklung Kirche und Staat in der Weimarer gegen den Papst und die Kurie) der man ihr GehorMartin Luther Republik endete die „Allianz von Reichstage. Es ging um Eingriffe in sam schuldig sei, nicht voraussehen Thron und Altar“ und damit der kirchliche Stellenbesetzungen, finan- 1523). können. Sie geGleichtakt territorialer Entwicklung. zielle Ausbeutung und eine willkürliWas die kirchlichen Missstände an- hört aber zur Wirkungsgeschichte belangte, setzte der Reformator auf seiner Entscheidung, Fürsten als NotFür Luther war eine solche Tren- che päpstliche Gerichtsbarkeit. nung noch keine Option. Er unterLuthers Reformvorschläge nah- die schützende und ordnende Kraft bischöfe in die Pflicht zu nehmen. schied zwar zwischen Kirche und Ob- men diese Kritik auf; sie reichten des Fürstenstaats – sowohl nach au- Sein Verständnis christlicher Freiheit rigkeit und warnte vor deren Vermi- aber tiefer. Die von ihm propagierte ßen gegen Kaiser und Papst wie auch als Spannungsverhältnis von innerer schung. Obrigkeitliche Übergriffe auf christliche Freiheit war ein Angriff nach innen, was die Neuordnung der Unabhängigkeit und praktischer die Kirche verurteilte er ebenso wie auf die theologischen Grundlagen kirchlichen Verhältnisse anbelangte. Nächstenliebe kann demgegenüber das weltliche Machtstreben der Päps- der Papstkirche. Dies blieb nicht Der Reichsabschied von Speyer helfen, auch die politische Verantworte. Aber in beiden Ordnungen („Rei- ohne politische Wirkung. Während (1527) eröffnete den Landesherren tung des Einzelnen wie auch der Kirdabei neue Handlungsspielräume: Bis che im Sinne kritischer Solidarität zu einem Konzil war ihnen gestattet, zum Staat zu begreifen. Das Verständnis der Kirche als Ge„für sich also zu leben, zu regieren Das Luther-Zitat und zu halten, wie ein jeder solches meinschaft der Glaubenden und Lugegen Gott und käyserl. Majestät hof- thers Hochschätzung des allgemei„Demnach, so uns jetzt das Evangelium ... wiederkommen ... ist ... hätten fet und vertraut zu verantworten“. nen Priestertums befördern ein wir auch dasselbige rechte bischöfliche und Besucheamt ... gerne wieder und Sachsen kam es daIn Hessen evangelisches Ja zu demokratischer angerichtet gesehen, aber weil unser keiner dazu berufen ... haben wir des raufhin zu einer Neugestaltung des Mitbestimmung. Gewissen wollen spielen und zur Liebe Amt (welches allen Christen gemein Kirchenwesens unter der Verantworund geboten) uns gehalten und demütiglich mit Bitten angelangt den tung der Landesherren. Das Modell durchlauchtigsten hochgeborenen Fürsten und Herrn Johann, Herzog zu Sachsen ... unsere gewisse weltliche Obrigkeit, von Gott verordnet; dass Se. der evangelischen Landeskirche trat Martin Hauger ist Jurist Kurfürstl. Gnaden aus christlicher Liebe (denn sie nach weltlicher Obrigkeit an die Stelle einer universalen Erneuund Oberkirchenrat nicht schuldig sind) und um Gottes Willen, dem Evangelio zu gut und den erung der Kirche, wie sie Luther urfür Theologische elenden Christen ... zu Nutz und Heil, gnädiglich wollten etliche tüchtige sprünglich im Sinn hatte. Grundsatzfragen im Personen zu solchem Amt fordern und ordnen.“ Philipp von Hessen gründete die Kirchenamt der EKD in erste evangelische Universität. Das Hannover. (Martin Luther, Vorrede zu Melanchthons Unterricht der Visitatoren, 1528) Foto: privat Vermögen der aufgelösten Klöster Stark gegen Nagelpilz Auf die Kraft des Fürstenstaats gesetzt Der einzige wasserlösliche Anti-Pilz-Lack einfach und bequem anzuwenden kein Feilen, kein Nagellackentferner dringt rasch in den Nagel ein beschleunigt das Nagelwachstum praktisch unsichtbar www.nagelpilz-weg.de rei in rezeptf Apotheke r e Ihr Ciclopoli® gegen Nagelpilz Wirkstoff : 8% Ciclopirox. Wirkstoffhaltiger Nagellack zur Anwendung ab 18 Jahren. Anwendungsgebiete: Pilzerkrankungen der Nägel, die durch Fadenpilze (Dermatophyten) und/oder andere Pilze, die mit Ciclopirox behandelt werden können, verursacht wurden. Warnhinweis: Enthält Cetylstearylalkohol, örtlich begrenzte Hautreizungen (z. B. Kontaktdermatitis) möglich. Apothekenpflichtig. Stand: Februar 2014 . Taurus Pharma GmbH, Benzstr. 11, D-61352 Bad Homburg Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 3. Juli 2016 | Nr. 27 NK Den Schafstall Christi ausfegen Die Reformation im Kurfürstentum Brandenburg (1539–1614) Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 27 Teil 5 Die Ausbreitung der Reformation FÜR DAS GESPRÄCH Zugänge zum Thema: – Besuch der Ausstellung „Christliches Leben […] Regionen und Städten der Mark Brandenburg des 16. Jahrhunderts“ im Dominikanerkloster Prenzlau – Reformation zwischen Elbe und Elster, eine Kulturroute von Torgau nach Wettenberg auf zwei oder vier Rädern entdecken – Per Rad der Reformation auf der Spur, Fünf Radrouten zwischen Wittenberg und Berlin Infos zu beiden Touren: www.prediger-und-buerger.de und www.ag-historische-stadtkerne.de 2017 wird nicht nur ein Lutherjubiläum oder ein Jubiläum der deutschen oder europäischen Reformation gefeiert – es geht auch um die Reformation vor Ort. Denn was 1517 mit Luther in Wittenberg begonnen hatte, fand in der Folgezeit überall in Deutschland Sympathisanten und Unterstützer. Vielerorts begann eine allmähliche V eränderung des kirchlichen Lebens. Auch in der Mark Brandenburg stießen Luthers Ideen auf Interesse. Von Andreas Stegmann Vor allem in der Altmark im Westen der Mark Brandenburg und in der Niederlausitz im Süden fanden sich in den 1520er-Jahren Reformationsanhänger, die da und dort auch schon für erste Veränderungen sorgten: für evangelische Predigt, für Abendmahlsfeiern mit Brot und Wein und für eine allmähliche Abkehr von der Papstkirche. Doch weil sich Kurfürst Joachim I. der Reformation verweigerte und zusammen mit der Geistlichkeit die Neuerungen bekämpfte, blieb es in der Mark bei vereinzelten unzusammenhängenden Ansätzen. Untergründig wirkten Luthers Ideen aber weiter: In der Mark wurde die Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche gelesen, die reformatorischen Flugschriften diskutiert oder die evangelischen Lieder gesungen. Auch in die kurfürstliche Familie fand die Reformation Eingang. Die Foto: KG St. Nikolai Spandau, Sabine Müller Fragen zum Einstieg: 1. Können wir heute das Christusbekenntnis noch so in die Mitte stellen wie bei der Brandenburgischen Reformation? 2. Was wissen Sie über Ihre Gemeinde/Region aus der Reformationszeit? 3. Wie gehen wir mit dem historischen Erbe der brandenburgischen Reformation um? Carl Röhling: Spandauer Adelsmesse, 1913. Das großformatige Bild, das im südlichen Seitenschiff der Nikolaikirche in Berlin-Spandau hängt, zeigt den brandenburgischen Kurfürsten Joachim II., wie er am 1. November 1539 aus der Hand des Brandenburger Bischofs Matthias von Jagow das Abendmahl in beiderlei Gestalt – mit Brot und Wein – empfängt. Frau von Kurfürst Joachim I., die dänische Prinzessin Elisabeth, bekannte sich offen zu Luther und musste 1528 vor dem Zorn ihres Ehemanns nach Kursachsen fliehen, wo sie zeitweise bei Luther in Wittenberg unterkam. Auch die meisten ihrer Kinder, darunter auch die beiden zu Erben der Herrschaft bestimmten Söhne Joachim und J ohann, begannen mit der Reformation zu sympathisieren. Kurprinz Joachim suchte sogar den Kontakt zu Luther und wurde allmählich für die Wittenberger Reformation gewonnen. Als er 1535 an die Macht kam, begann er, den Übergang der Kurmark zum evangelischen Glauben ins Werk zu setzen. Als Fürst die Reformation einzuführen, war nicht einfach, musste man doch zahlreiche politische Rücksichten nehmen. Und gerade der brandenburgische Kurfürst mit seinen engen verwandtschaftlichen und politischen Verbindungen zu den Jagiellonen und den Habsburgern und seinen der Papstkirche treuen Familienangehörigen und Nachbarn musste vorsichtig taktieren. 1539 war es in der Kurmark so weit Mehr als vier Jahre dauerte es darum, bis Joachim II. sich offen zur Reformation bekannte und eine Erneuerung der kurmärkischen Kirche Brandenburgische Kirchenordnung „Aber erstlich und vor allen Dingen wollen wir, dass Christus Jesus unser Erlöser, Seligmacher und Heiland gepredigt werden soll. Also dass wir durch den Glauben an ihn selig werden ohne unser Verdienst aus lauter Gnaden. Dass wir auch allein in und durch seinen Namen Vergebung der Sünden und Versühnung mit Gott dem himmlischen Vater erlangen mögen und zu der Seligkeit kommen. Dass wir auch solches bei keiner Kreatur oder durch keinen andern Weg suchen sollen. […] Daneben soll auch fleißig gelehrt und gepredigt werden: Weil Christus Jesus nicht allein für uns gestorben ist, sondern auch hier auf Erden einen feinen göttlichen, ehrlichen unsträflichen Wandel geführt hat, […] sollen auch wir unserm Herrn und treuen Meister mit einem guten ehrlichem Wandel, Wesen und Leben nachfolgen.“ Brandenburgische Kirchenordnung von 1540, Text modernisiert im Sinne der Wittenberger Reforma- intendenten eingesetzt und ein Kontion auf den Weg brachte. Die Zeit sistorium geschaffen; Gottesdienst, bis dahin war erfüllt mit familien- Sakramente und Frömmigkeit wurund reichspolitischer Diplomatie. den im Sinne Luthers neu verstanden Der junge Kurfürst zeigte sich als und anders praktiziert als bisher; die kluger Taktiker, der auf Zeit zu spie- städtischen Schulen und die Franklen wusste und am Ende das meiste furter Universität wurden im Sinne von dem erreichte, was er sich vorge- von Humanismus und Reformation nommen hatte: eine Erneuerung der neu organisiert. märkischen Kirche und einen AusDie Verbindungen zu den anderen bau seiner Macht. reformatorischen Territorien im Am 1. November 1539 war es so Reich, vor allem zu Kursachsen, waweit: Mit einer demonstrativ evange- ren eng: Viele märkische Pfarrer stulischen Abendmahlsfeier begann die dierten in Wittenberg, die WittenberReformation im Kurfürstentum Bran- ger Reformatoren waren wichtige denburg. Vorangegangen war im Sep- Berater des Kurfürsten und der Kurtember 1539 die erste offizielle evan- fürst engagierte sich für die reichspogelische Predigt in der Berliner Dom- litische Sicherung der Reformation. kirche. Im Sommer 1540 folgte dann noch eine neue Kirchenordnung für das Kurfürstentum. Nun begann der zielstrebige Aufbau einer evangelischen Landeskirche. Dabei konnte sich der Kurfürst sogar auf den Brandenburger Bischof Eine ähnliche Entwicklung wie im Matthias von Jagow stützen, der sich Kurfürsten ergab sich auch in der seit in den Dienst der Reformation ge- 1535 verselbständigten Neumark, wo stellt und das durch seine Heirat be- Markgraf Johann herrschte. Etwas kräftigt hatte. früher als sein Bruder führte dieser Doch der Landesherr brauchte dort die Reformation ein und setzte den Bischof eigentlich nur als Recht- sie genauso eng an Luther orientiert fertigung nach um. Ein schönes außen: Seine MitZeugnis für die „Ferner lasst euch in wirkung sollte enge Verbindung euer Gebet befohlen sein suggerieren, dass der märkischen die Christliche Kirche zu es sich bei der Reformation ist kirchlichen Erdas aus der Zeit Wittembergk, die billig neuerung in um 1550 stameine Mutter aller Kirchen mende handBrandenburg nur genannt wird.“ schriftlich überum eine Reform lieferte „gebett innerhalb der Gebet eines Cottbuser Pfarrers, des Pfarrers tzu Papstkirche mit dem er seine Predigten Cottbuß domith handle. Um nicht beschloss er seine predigeinen politischen Preis für die Einführung der Refor- tenn beschleust“: „Ferner lasst euch mation zahlen zu müssen, hatte der in euer Gebet befohlen sein die Kurfürst auch dafür gesorgt, dass ein Christliche Kirche zu Wittembergk, offenes Bekenntnis zur Wittenberger die billig eine Mutter aller Kirchen Reformation unterblieb. genannt wird. Darin das Evangelium Das änderte aber nichts daran, Jesu Christi rein und lauter gelehrt dass während der 1540er Jahre die wird, darin das Hochwürdige Sakramärkische Kirche nach dem Witten- ment nach der Ordnung und Einsetberger Vorbild umgestaltet wurde: Es zung Gottes den Gläubigen mitgegab eine Visitation, die die kirchli- teilt wird“. chen Verhältnisse vor Ort neu ordneWährend der zweiten Hälfte des te; es wurden anstelle der Bischöfe 16. Jahrhunderts wurzelte die lutheriund ihrer Kirchenverwaltung Super- sche Reformation in der Mark ein. In der Neumark ging es etwas schneller ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Luthers Reformprogramm, Gottesdienst neu, Das Augsburger Bekenntnis, Zwingli und Bullinger, Calvin Literatur: – Iselin Gundermann: Kirchenregiment und Verkündigung im Jahrhundert der Reformation (in: Tausend Jahre Kirche in BerlinBrandenburg, hg. v. Gerd Heinrich, Berlin 1999, 147–241) www.reformation-mark-brandenburg.de Anhänger der Papstkirche fanden sich bald kaum mehr. Wie tief das Luthertum hier einwurzelte, zeigt auch das Ende der märkischen Reformationsgeschichte. Im Jahr 1613 konvertierte nämlich Kurfürst Johann Sigismund zum reformierten Glauben. Doch sein Versuch, das märkische Luthertum für den C alvinismus zu gewinnen und die „zweite“ Reformation durchzusetzen, scheiterte: Die märkischen Reformierten blieben während des 17. Jahrhunderts eine kleine Gruppe, und die Koexistenz mit den Lutheranern gelang mehr schlecht als recht. Einig waren sich beide evangelischen Glaubensrichtungen der frühen Neuzeit in ihrer Konzentration auf den Glauben an Jesus Christus als Gottessohn und Erlöser, wie er in der Bibel verkündigt und vom Menschen geglaubt wird und, wie er im Alltagsleben der Menschen durch Frömmigkeitspraxis und Nächstenliebe Gestalt gewinnt. Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine E-Mail: reformation@epv-nord.de Andreas Stegmann ist Privatdozent im Fachbereich Kirchengeschichte an der HumboldtUniversität zu Berlin. Foto: privat Sonntag, 10. Juli 2016 | Nr. 28 NK Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 24 Teil 4 Menschen um Martin Luther Mehr Machtkampf als Kirchenkritik Auslöser der Reformation in Skandinavien waren meist weltliche Gründe ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Kirche und Obrigkeit, Johannes Bugenhagen, Bischöfe und Fürsten, Bildung für alle, Die Spaltung der einen Kirche Jesu Christi in Europa Von Ingun Montgomery Die skandinavischen Länder Dänemark, Norwegen, Island, Schweden und Finnland lagen alle an der Peripherie des reformatorischen Geschehens. Die Missstände in den Kirchen dieser Länder waren weniger auffällig als in Deutschland, weshalb auch keine gleich heftige Kritik an der Kirche laut wurde. Die Reformation war hier nicht zuerst religiös und kirchlich, sondern vielmehr politisch und ökonomisch bedingt. Wie in anderen frühmodernen Staaten wollten die Regierungen auch in Schweden und Dänemark die Kirchengüter in Besitz nehmen, um die Finanzprobleme des Staates zu bewältigen. Denn sehr viel Grund und Boden befanden sich im Besitz der Kirche. Die Bischöfe übten politische Macht aus und gehörten dem „Reichsrat“ an. Das war eine Behörde von eingeborenem Adel, weltlich und geistlich, die als Ratgeber des Königs auftraten. Humanisten wie Erasmus von Rotterdam hatten schon Kritik an der katholischen Kirche wegen ihres Reichtums und der Missbräuche ihres kirchlichen Auftrags geübt, allerdings, ohne diese Kirche grundsätzlich in Frage zu stellen. Je größer aber die Bildung der Bürger außerhalb des kirchlichen Bezirkes wurde, desto wirksamer war diese Kritik in der Öffentlichkeit. Der Norden Europas war zu jener Zeit aufgrund der Kalmarer Union von 1397 eine Großmacht unter einem gemeinsamen Regenten in einer Personalunion vereinigt. Für Dänemark und Norwegen dauerte die Union bis 1814. In Schweden endete sie nach mehreren nationalen und politischen Aufständen 1520. Die Religionsfrage spielte dabei eine markante Rolle. Humanistische und reformatorische Strömungen erreichten in dieser Zeit sowohl Schwe- FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Wie finden Sie es, dass der Staat (die weltliche Obrigkeit) in Missstände der Kirche eingreift, nicht nur damals, sondern auch heute? 2. Ist es für Christen möglich, „Haushalter Gottes“ in der Welt (1. Petrus 4, 10) zu sein? 3. Das Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ (EG Nr. 663 und Singt/Jubilate 137) ist in Schweden sehr beliebt. Verstehen Sie warum? Zugänge zum Thema: – Einladung eines Kenners der skandinavischen Kirchen heute. Etliche Gemeinden haben Kontakte nach Skandinavien. Zudem gibt es einen Nordisch-Deutschen Kirchenkonvent. Literatur: – Matthias Asche, Anton Schindling (Hg.), Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Nordische Königreiche und Konfession 1500 bis 1600, Münster, 2003 Wittenberg war der wichtigste Impulsgeber für die Reformation in den skandinavischen Ländern. Dort war die Reformation stark vom Einfluss der Obrigkeiten geprägt und hatte vor allem politischen und ökononischen Charakter. 3 XGLAUBEN UND WISSENx Ingun Montgomery ist emeritierte TheologieProfessorin an der Universität in Oslo. Sie lebt in Schweden. Foto: privat ANZEIGE Die Reformation in Dänemark: Abendmahl mit Brot und Wein sowie Verkündigung auf biblischer Grundlage. Detail des Altargemäldes der Pfarrkirche Torslunde von 1561, jetzt im Nationalmuseum Kopenhagen. Foto: Nationalmuseet Danmark den, aber auch Dänemark. Doch diese beiden Länder beeinflussten sich in dieser Frage bemerkenswerterweise nicht. Nach Schweden kamen die reformatorischen Gedanken mit der Hanse zuerst nach Stockholm. In Dänemark war dagegen der deutsche Einfluss besonders stark, weil Schleswig-Holstein ein Teil des dänischen Königreiches war. Die Kirche in Dänemark war damals wohlhabend und rief mit ihrer Finanzpolitik die Missbilligung der Bauern und Bürger hervor. 1513 wurde Christian II. König. Er war vom Fürstenideal der Renaissance geprägt und wollte die nordische Union fester ausbauen. Der König wollte die Nationalkirche leiten Für Dänemark strebte der König in dieser Union eine katholische Nationalkirche unter seiner Leitung an. Gegen den Adel und die Kirche, die sich dagegen sträubten, ging er rücksichtslos vor. Während der Reforma einen tionszeit bewirkte er, dass es k rechtmäßig geweihten Erzbischof in Dänemark gab. 1523 wurde er jedoch wegen seiner bürgerfreundlichen Politik von den Bischöfen und dem Adel vertrieben. Sein Onkel Herzog Frederik von Schleswig-Holstein wurde zum König gewählt und musste dabei versprechen „Ketzer und Lutherschüler“ zu bestrafen, was er später unterließ. 1526/27 vollzog er den offenen Bruch mit Rom. Schon 1530 legte er mit der „Confessio Hafniensis“ die erste evangelische Bekenntnisurkunde vor. Sein Sohn, Herzog Christian, der in Nordschleswig die Herrschaft übernahm, war von Luthers Auftreten in Worms stark be- Luther-Zitat „Dies habe ich mit großem Vergnügen gehört, indem ich sehe, dass eurer Majestät Eifer für die Gottseligkeit und die Wissenschaften von Gott verliehen ist, nämlich anderen zu einem herrlichen Exempel. Denn was ist eine größere Zierde für Könige, ja, auch nothwendiger für sie, als daß sie entweder von Natur begabter seien als die Übrigen, oder daß sie durch die Pflege der Wissenschaften unterwiesen werden, damit sie nicht immer mit fremden Augen sehen und dem Urtheil anderer glauben müssen. Christus, der das Werk in eurer königlichen Majestät angefangen hat, wollte es vollenden durch großes Wachstum, so daß auch im ganzen Reiche, besonders in den Domkirchen, Schulen eingerichtet und ausgestattet werden, um junge Leute zum Dienst in Pfarren heranzubilden.“ Aus Luthers Brief an Gustav I., König von Schweden am 18. April 1539, in (Weimarer Ausgabe, Nr. 2529. eindruckt und förderte die evangelische Predigt in seinem Gebiet. Als er nach seinem Vater König von Dänemark wurde, ließ er seine Krönung von Johannes Bugenhagen evangelisch vollziehen. Mit dem Erlass im selben Jahr war das Land evangelisch geworden und 1537 wurde eine evangelische Kirchenordnung ausgearbeitet und verabschiedet. Schwedens Kampf um die Unabhängigkeit In Schweden jedoch war die Ausbreitung der Reformation verbunden mit dem Freiheitskampf gegen die dänische Herrschaft im Norden Europas. Christian II. war es 1520 gelungen, Schweden zu erobern. Bei seiner Krönung ließ er auf Anregung des Erzbischofs Trolle etwa 100 Mitglieder der schwedischen Opposition, darunter zwei Bischöfe, hinrichten. Dieses Massaker schwächte die Kirche, weil Trolle, der oberste Leiter der nationalen Kirche, dafür verantwortlich gemacht wurde. Die Unabhängigkeitspartei erhob sich dagegen unter Führung von Gustav Vasa erneut zum Kampf gegen die Dänen. 1523 konnte er zum König gewählt werden. Die neue Lehre aber wurde von ihm durch einen Rechtsakt 1527 in der Formulierung „das Wort Gottes möge überall im Reich rein gepredigt werden“ anerkannt. Unterstützt wurde er dabei von Luther. Mit einem Empfehlungsschreiben von ihm kam Georg Normann 1539 nach Schweden. Schon bald wurde er neben seiner Tätigkeit als Erzieher des Prinzen auch als königlicher Rat und Superintendent für sowohl politische als kirchenpolitische Fragen tätig. Der Papst verstand wenig von den Vorkommnissen in Schweden und hielt weiter zu Trolle, der inzwischen nach Dänemark geflüchtet war. König Gustav Vasa ernannte unterdessen auf eigene Faust Bischöfe. Als er dann in Rom beantragte, die „Annaten“, eine vom Papst für jeden vom ihm geweihten Bischof erhobene Steuer, oft ein halbes Jahreseinkommen, im Land behalten zu dürfen, wurde ihm das verweigert. Als der Papst danach auch die neuen Bischöfe nicht bestätigen wollte, kam es unwiderruflich zum Bruch. Der König antwortete dem Papst, dass er die Bischöfe von Christus selbst bestätigen lassen wolle. Der Bruch mit Rom war zwar nicht eindeutig theologisch motiviert, aber jedoch vollständig. Es dauerte deshalb ziemlich lange, ehe die evangelische Kirche ihren festen Grund gefunden hatte. Mit der Kirchenordnung von 1572 und dem Bekenntnis vom Uppsala 1593 wurde die Reformation zu Ende geführt. Was die anderen skandinavischen Länder betrifft, so gab es in Norwegen keinen einheimischen Reformator. Es waren Wanderprediger, oft entlaufene Mönche, welche die neue evangelische Botschaft verkündeten. Erst 1607 wurde eine norwegische evangelische Kirchenordnung verabschiedet. In Finnland wurde Michael Agricola durch Predigten und Übersetzungen der Bibel in die finnische Sprache zum Reformator. Für alle skandinavischen Länder aber galt zur damaligen Zeit wie auch für die anderen Länder Europas, dass ein Land ohne Religion und Kirche unvorstellbar war und keinen Bestand haben könne. Die Könige mussten darum für die wahrhafte Religion in ihren Ländern sorgen. Sie wurden dabei von den Wittenberger Reformatoren unterstützt. Wie Bugenhagen in Dänemark wirkten seine Schüler Olaus und Laurentius Petri in Schweden und Michael Agricola in Finnland, um die Botschaft der Reformation in den einheimischen Sprachen zu verbreiten. Glaubensfreiheit prägt Skandinavien heute Die Kirchen in Skandinavien sind evangelisch-lutherisch geblieben. Aber die Säkularisierung breitet sich immer mehr aus. Ob dies eine Folge des kritischen Denkens der Reformation ist, lässt sich fragen. In Dänemark ist „die dänische Volkskirche“ in der Verfassung von 1849 verankert. König und Reichstag verwalten sie. 80 Prozent der Bevölkerung sind Mitglieder. Staat und Kirche arbeiten hier erstaunlich gut zusammen. In Schweden wurden die Kirchen im Jahre 2000 und in Norwegen dieses Jahr vom Staat getrennt und als Religionsgesellschaft unter anderen eingestuft. In Schweden gehören 67 Prozent der Bevölkerung der evangelisch-lutherischen Kirche an, in Norwegen etwa 80 Prozent. Gemeinsam ist ihnen, dass Glaubensfreiheit den Geist dieser Kirchen prägt. Und das ist gut so. Stark gegen Nagelpilz Der einzige wasserlösliche Anti-Pilz-Lack einfach und bequem anzuwenden kein Feilen, kein Nagellackentferner dringt rasch in den Nagel ein beschleunigt das Nagelwachstum praktisch unsichtbar www.nagelpilz-weg.de rei in rezeptf Apotheke r e Ihr Ciclopoli® gegen Nagelpilz Wirkstoff : 8% Ciclopirox. Wirkstoffhaltiger Nagellack zur Anwendung ab 18 Jahren. Anwendungsgebiete: Pilzerkrankungen der Nägel, die durch Fadenpilze (Dermatophyten) und/oder andere Pilze, die mit Ciclopirox behandelt werden können, verursacht wurden. Warnhinweis: Enthält Cetylstearylalkohol, örtlich begrenzte Hautreizungen (z. B. Kontaktdermatitis) möglich. Apothekenpflichtig. Stand: Februar 2014 . Taurus Pharma GmbH, Benzstr. 11, D-61352 Bad Homburg Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Sonntag, 17. Juli 2016 | Nr. 29 NK Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 29 Teil 5 Die Ausbreitung der Reformation Allein das Wort Der Reformator der deutschsprachigen Schweiz: Huldrych Zwingli FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Haben Sie schon einmal von Huldyich Zwingli gehört? 2. Welches Bild haben Sie von ihm? 3. Welche Unterschiede zwischen reformierter und lutherischer Theo logie sind Ihnen bekannt? Zugang zum Thema: – Besuchen Sie eine reformierte Kirche (zum Beispiel den Französischen Dom in Berlin) und achten Sie auf die Ausstattung. Gibt es Unterschiede zu anderen Kirchen? Foto: Winterthur Kunstmuseum/Wikipedia Als Huldrych Zwingli 1519 Leutpriester am Großmünster in Zürich wurde, begann die Reformation in der Schweiz. Kurz zuvor war er mit Luthers Schriften in Kontakt gekommen. Von Frank Jehle Wer am Sonntag, 2. Januar 1519, den Hauptgottesdienst im Großmünster in Zürich besuchte, erlebte – ohne es zu wissen – ein Epoche machendes Ereignis. Huldrych Zwingli, der neue Leutpriester, am Neujahrstag 35 Jahre alt geworden, stellte sich als Prediger vor. Predigttext war nicht mehr die herkömmliche Perikope, der überall für den jeweiligen Sonntag vorgeschriebene Bibelabschnitt. Zwingli wollte, dass die Gemeinde die Heilige Schrift nicht nur selektiv, sondern in ihrer Ganzheit kennenlernte. „Wir haben hier einen unfehlbaren und unparteiischen Richter“, sagte er später dazu, „nämlich die göttliche Schrift, die weder lügen noch betrügen kann. Das Wort Gottes soll über die Menschen urteilen und nicht die Menschen über das Wort Gottes.“ Zwingli war ein guter Redner und vielseitig gebildet. Als Student hatte er in Basel, Wien und möglicherweise auch in Paris gelebt und als Feldprediger der Eidgenossen Oberitalien bereist. Mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam stand er in persönlichem Kontakt. Autodidaktisch hatte er sich das Griechische angeeignet (später auch das Hebräische), die Briefe des Apostels Paulus in der Ursprache abgeschrieben und teilweise auswendig gelernt. In seinen Predigten im Großmünster fing er vorn im Neuen Testament mit dem Matthäusevangelium an. Stück und Stück predigte er in der Folge über das erste der vier Evangelien weiter. Diesem entnahm er auch seinen Wahlspruch, den er auf das Titelblatt der meisten seiner Bücher setzte: „Kommt her zu mir alle, die sich abarbeiten und eine Last tragen müssen, ich will euch Ruhe geben“ (Matthäus 11, 28). In der Regel wurde dazu ein Christusbild abgedruckt: entweder ein Auferstandener, der die Arme einladend ausbreitet, oder Jesus, wie er die Menschen auffordert, das Kreuz, das sie belastet, vor ihn hinzulegen; er wird es für sie tragen. Zwinglis Predigten stießen auf ein großes Echo. Der Buchdrucker Christoph Froschauer (1490-1564) schrieb, die Zürcher könnten auf ihren neuen 3 XGLAUBEN UND WISSENx Huldrych Zwingli, Gemälde von Hans Asper (etwa 1531). Leutpriester stolz sein. Wie sehr man schof von Konstanz aufkündigte, gemit diesem zufrieden war, geht daraus mäß dem fehlbare Landgeistliche der hervor, dass er bereits nach zwei Jah- Gerichtsbarkeit des Bischofs unterren zum Chorherrn des altehrwürdi- standen. Der Rat nahm juristisch das gen Stifts befördert wurde. Kirchenwesen selbst in die Hand. ReDie reformatorischen Ereignisse formation bedeutete hier Emanzipatifolgten in den 1520er-Jahren Schlag on vom Bischof. auf Schlag. Stadtgespräch wurde das Schritt um Schritt wurden das „Wurstessen“ in der Fastenzeit 1522 im kirchliche und das öffentliche Leben Haus Christoph Froschauers. Zwingli reformiert. Bereits 1520 war eine verteidigte diese Übertretung der neue Sozialgesetzgebung eingeführt worden. Im Somkirchlichen Gebote mer 1524 wurden mit seiner Schrift „Sehe ein jeder uff sinen die Kirchen von „Von erkiesen vnd Houptmann Christum den Bildern „gefryheit der spysen Jesum! Der wirt uns nit reinigt“. Nach der [von der freien Wahl Auffassung der Speisen]“. verfüeren.“ Zwinglis und seiAls der für Zürich Huldrych Zwingli ner Freunde durfzuständige Bischof te das Göttliche von Konstanz sich bei den Stadtbehörden über Zwingli nicht verdinglicht werden. Ostern beschwerte, luden diese im Januar 1525 wurde zum ersten Mal eine 1523 zur „Ersten Zürcher Disputation“ evangelische Abendmahlsfeier abgeein. 600 Personen versammelten sich halten: Anstelle des Altars stand vorim Rathaus, um über Glaubensfragen ne in der Kirche ein schlichter Holzzu verhandeln. Es war dies ein so noch tisch, mit Leinwand bedeckt. Die nie dagewesenes Ereignis und stellte Abendmahlsgefäße waren aus Holz. die Autorität der kirchlichen Hierar- Die Pfarrer trugen keine Messgewänder mehr und die Gemeindeglieder chie in Frage. Der Rat beschloss nach der Dispu- reichten sich Brot und Wein selbst tation: Zwingli dürfe weiter so predi- vom einem zum nächsten weiter. gen wie bis anhin und „die recht gött- Noch in den späten 1520er-Jahren lich gschrift“ verkünden. Grundsätz- wurde die ganze Bibel von den Zürlich befahl der Rat: „Es sollen auch die cher Gelehrten neu ins Deutsche übrigen unserer Leutpriester, Seelsor- übersetzt. Die erste Vollbibel der Reger und Prädikanten in unserer Stadt formation erschien in Zürich 1531. und in unseren Landschaften und Zwingli war ein fleißiger Publizist. Herrschaften nichts anderes behan- Seine Schrift „Wer Ursache zum Aufdeln und predigen, als was sie mit dem ruhr gibt“ von 1524 wurde als seine heiligen Evangelium oder sonst mit „bedeutendste sozialkritische Schrift“ der rechten göttlichen Schrift belegen bezeichnet. In ätzender Schärfe heißt können.“ es hier, nicht nur die „hohen Bischöfe“ Jedenfalls in der Rückschau ist die- seien die wahren Aufrührer und auch ser Ratserlass der endgültige Durch- nicht nur „der Rest der kläffenden bruch der Zürcher Reformation. Eine Priester, Mönche, Nonnen und – allen ihrer ersten Folgen war, dass der Rat voran – der Äbte“, sondern vielmehr zwei Wochen später einen erst 1506 „die Fürsten, Mächtigen und Reichen geschlossenen Vertrag mit dem Bi- dieser Welt“. „Was ihr miteinander [...] zum Nachteil Gottes und der armen Menschen ins Werk gesetzt habt, das nennt ihr gut. Das, wonach euch gelüsDas Zitat: Huldrych Zwingli tet, das dünkt euch recht. [...] Ihr reißt den Menschen die Kleider vom Leib „Das Wort Gottes ist gewiss, es kann nicht fehlerhaft sein. Es ist klar und wie Disteln und Dornen. Es stehen das lässt nicht in der Finsternis irren; es öffnet sich selber und bescheint die Gericht und das Recht, ja die Person menschliche Seele mit allem Heil und mit aller Gnade. Es lässt die Seele in des Richters selbst in eurer Gewalt. Gott vertrauen, es demütigt sie, damit sie sich selbst aufgebe und verwerfe, Vollzieht er, was euch gefällt, so ist er doch sich dann wieder in Gott fasse. In Gott lebt sie, darum kämpft sie; sie ein guter Richter. [...] Ihr wisst genau, verzweifelt an allem menschlichen Trost. In Gott ruht sie allein.“ Zwingli: Von Klarheit und Gewißheit des Wortes Gottes, 1522 dass niemand der Hand Gottes entfliehen kann, ebenso, dass Gott nicht schläft; er kommt, wenn für ihn die Zeit gekommen ist.“ In seiner Schrift „Der Hirt“, ebenfalls von 1524, entwirft Zwingli, was heute das kirchliche „Wächteramt“ genannt wird: Der Hirt beziehungsweise der Pfarrer dürfe „auch dem König, Fürsten oder Oberen nichts durchgehen lassen“. Er müsse im Gegenteil „jedem seinen Irrtum anzeigen“, sobald er sehe, dass jener vom Weg abkomme. Er müsse tun, „was niemand wagt: Den Finger auf wunde Stellen legen und Schlimmes verhüten, keinen schonen, vor Fürsten, Volk und Geistliche treten, sich weder durch Größe, Einfluss und Zahl noch durch irgendwelche Schreckmittel beeindrucken lassen, sofort zugegen sein, wenn Gott ruft, und nicht nachlassen, bis sie sich ändern.“ Zwingli war erfolgreich. Was in Zürich begann, wurde vielerorts in der Eidgenossenschaft und teilweise auch in Süddeutschland aufgenommen und weitergeführt, zunächst in St. Gallen, dann in Bern, Schaffhausen und Basel. In den Landständen Appenzell, Glarus und in den Drei Bünden sowie im Thurgau, im Rheintal und in der Fürstabtei St. Gallen konnte sich die Reformation ebenfalls größtenteils durchsetzen. Die Innerschweizer Kantone – Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern und Zug – wollten aber nichts von einer Reformation wissen. Zu wichtig war für sie unter anderem, dass die oft arbeitslosen Bauernsöhne Geld in fremden Kriegsdiensten, besonders beim Papst und dem König von Frankreich, verdienen konnten. Die Eidgenossenschaft wurde in einen bitteren Bürgerkrieg verwickelt, in dem Zwingli am 11. Oktober 1531 als Feldprediger der Zürcher Truppen, der den Waffengang befürwortet hatte, in Kappel starb. Von seinem Nachfolger Heinrich Bullinger (1504-1575) konnte sein Lebenswerk aber weitgehend gerettet werden. Zürich wurde zum Zufluchtsort evangelischer Glaubensflüchtlinge, besonders aus Norditalien, die die Seidenindustrie nach Zürich brachten. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, von Zwinglis Auseinandersetzungen mit den Täufern und Martin Luther zu erzählen. Beides ANZEIGE ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Die Reformation in Brandenburg und Skandinavien; Reformation in der Schweiz - das Beispiel Genf; Die Reformation in Straßburg und im deutschen Südwesten; Die „hugenottische“ Reformation in Frankreich; Literatur: – Peter Opitz, Ulrich Zwingli, Prophet, Ketzer, Pionier des Protestantismus, Zürich 2015, – Gottfried W. Locher, Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte. Göttingen/ Zürich: 1979 – Marianne Jehle-Wildberger, Frank Jehle, Kleine St. Galler Reformationsgeschichte, TVZ 2006 war tragisch, da die Einheit der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen so zerfiel. Dabei waren die ersten Täufer in Zürich, die die Kindertaufe ablehnten sowie Christengemeinde und Bürgergemeinde entflechten wollten, zunächst enge Mitarbeiter und Freunde Zwinglis gewesen; er war ihnen aber zu wenig radikal. Auch Luther stand er in den Anfangsjahren nahe. Er hatte zwar unabhängig von Luther die Lehre von der Rechtfertigung „allein aus Glauben“ entdeckt. Bereits 1518 schenkte er aber einem Freund einen Band mit wichtigen Lutherschriften. Der Unterschied in der Abendmahlslehre ist aus der Sicht einer heutigen, ökumenisch informierten Theologie verjährt. Auch Zwingli, jedenfalls der reife Zwingli, bestritt nicht, dass Christus im Abendmahl real gegenwärtig ist. Die heutige Forschung spricht bei ihm von einer „geistigen Realpräsenz“. Um dies eingehender zu erklären, brauchte es aber einen weiteren Artikel. Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben Sie an: reformation@epv-nord.de Frank Jehle ist promovierter Universitätspfarrer im Ruhestand in St. Gallen/Schweiz. Foto: privat Sonntag, 24. Juli 2016 | Nr. 30 NK Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 30 Teil 5 Die Ausbreitung der Reformation Ein Franzose in Genf Johannes Calvin und die Reformation in der frankophonen Schweiz FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Weshalb bedarf die Kirche immer wieder der Erneuerung? 2. Was ist „billige Gnade“? 3. Weshalb sollte die Kirche durch Presbyterien/Gemeindekirchenräte und Synoden geleitet werden? Zugang zum Thema: – Surfen unter www.calvin09.org – Unterricht in der christlichen R eligion I, 1 bei „Institutio online“ lesen –B esuch der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin Neben Luther und Zwingli ist Johannes Calvin (1506-1564) der dritte herausragende Reformator des 16. Jahrhunderts. Beflügelt von seinem Denken und seiner biblisch inspirierten Organisation der Kirchenleitung, rotestantishat sich der reformierte P mus herausgebildet – in Ungarn, in den Niederlanden, in Schottland, in einigen deutschen Gebieten und dann weltweit. Calvins Hauptwerk „Unterricht in der christlichen Religion“ wurde das meistgedruckte und -gelesene Werk reformatorischer Theologie. Von Michael Beintker Calvin war ein Franzose. Und ein Franzose, der damals evangelisch wurde, war seines Lebens nicht sicher. In Frankreich war die Reformation in blutigen Anfängen steckengeblieben. So musste Johannes Calvin wegen seines Glaubens ins Exil gehen und dort erleben, wie man den evangelischen Christen in Frankreich, den dann so genannten H ugenotten, mit allen Mitteln den Garaus zu machen suchte. Seine Theologie ist nicht zuletzt die Theologie eines Flüchtlings für Flüchtlinge gewesen, für Menschen, denen ihr himmlisches Heimatrecht (vergleiche Philipper 3, 20) wichtiger geworden war als die Sicherheit i hrer irdischen Existenz. Am liebsten hätte er die Gelehrtenlaufbahn eingeschlagen. Auf Wunsch des Vaters hatte Calvin in Paris, Orléans und Bourges Jura studiert, wandte sich jedoch 1531 in Paris den humanistischen Studien zu und schrieb ein Buch über den römischen Philosophen Seneca. Aber die Theologie gewann die Oberhand. In den Jahren der un steten Wanderschaft zwischen der Flucht aus Paris 1533 und der Ankunft in Genf 1536 entstand die erste Auflage des „Unterrichts“. Calvins Wertschätzung Luthers zeigt sich daran, dass diese erste Auflage nach den Hauptstücken des Kleinen Katechismus gegliedert ist. Die Vorrede widmete Calvin dem französischen König Franz I. Er habe die Summe jener Lehre zusammengefasst, die die verblendeten Verfolger in Frankreich mit Gefängnis, Verbannung, öffentlicher Ächtung und mit 3 XGLAUBEN UND WISSENx Johannes Calvin, Gemälde eines unbekannten Künstlers der „flämischen Schule” im „Musée historique de la Réformation“ in Genf. Foto: gemeinfrei „Ein Hund bellt, sobald er seinen Herrn angegriffen sieht. Ich wäre wohl lasch, wenn ich angesichts eines Angriffs gegen die Wahrheit Gottes verstummen würde.“ Johannes Calvin dem Feuertod bestrafen wollten. Calvin wollte seinem König die Grundzüge des evangelischen Glaubens ans Herz legen und ihn zum Umdenken bewegen. Ohne Erfolg. Zum Reformator wurde er eher unfreiwillig. Er befand sich auf der Durchreise, als ihn Guillaume Farel, der erste evangelische Prediger in Genf, im Jahr 1536 regelrecht festhielt und ihn beschwor, bei der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Genf zu helfen. Hier war 1535 auf Beschluss des Rates die Reformation eingeführt worden. Die Genfer versprachen sich davon nicht nur die Erneuerung ihrer Kirche unter dem Evangelium, sondern auch politische Vorteile wie die Unabhängigkeit ihrer Stadtrepublik von Savoyen, was mit der Hinwendung zur Schweizerischen Eidgenossenschaft verbunden war. Calvin lag alles an der Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern. Reformation hieß für ihn Umkehr – Umkehr der Kirche zu Jesus Christus als ihrem Herrn. Politische Kalküle lehnte er an diesem Punkt ab und verbat sich die Einmischung des Genfer Magistrats in die kirchlichen Angelegenheiten. Damit waren Konflikte programmiert. Schon nach zwei Jahren wies man Farel und Calvin aus, weil sie sich weigerten, die österliche Abendmahlsfeier nach den liturgischen Anweisungen der Genfer Behörden abzuhalten. Calvin ging nach Straßburg und betreute dort unter Anleitung Martin Bucers die ständig wachsende französische Flüchtlingsgemeinde. 1541 rief man ihn reumütig nach Genf zurück: Man wollte einen Reformator von Format und Gestaltungskraft haben und konnte keinen Besseren finden als Calvin. Er fühlte sich in Straßburg wohl und wäre besser dortgeblieben. Aber er sah auch seine Verantwortung und begab sich nun in eine S ituation, die bei allen Fortschritten der Reformation noch lange von Auseinandersetzungen überschattet war. Der Tiefpunkt war die Hinrichtung des Spaniers Michel Servet im Jahr 1553. Servet hatte die Trinität Gottes geleugnet. Darauf stand nach damaligem Recht die Todesstrafe. Der Magistrat machte ihm den Prozess und ließ ihn verbrennen. Es bleibt ein schwerer An- stoß, dass Calvin diese Hinrichtung nicht verhindert, sondern entschieden befürwortet hat. Erst 1556 kehrte Ruhe ein, als die Genfer dem „Franzosen“ das Bürgerrecht verliehen. Bis dahin war Calvin der Ausländer, den man mehr oder weniger notgedrungen achtete, weil seine Predigten und sein theologisches Denken Respekt einflößten. Für die von Jahr zu Jahr rapide zunehmende Zahl der französischen Flüchtlinge war Calvin der unangefochtene Seelsorger und Ratgeber. Calvin war 20 Jahre jünger als Luther und Zwingli. Er gehörte zu einer Generation, der bereits bestimmte Fehlentwicklungen der Reformation vor Augen standen. Er bemerkte, dass die Predigt der freien Gnade Gottes in eine Predigt der billigen Gnade umschlug, wenn man das aus der Rechtfertigung des Sünders erwachsende neue Leben nicht beachtete. Deshalb betonte er die wirksam erneuernde Kraft des Heiligen Geistes. Wer auf Christus vertraut, wird zur Liebe befreit und sich spürbar verändern. Calvin erkannte, dass die Leitung der Kirche durch Bischöfe oder dann durch die politische Obrigkeit – seien es Fürsten oder seien es wie in der Schweiz gewählte Stadtregierungen – vom Neuen Testament her nicht zu rechtfertigen war. Nach seinem Konzept wird die Gemeinde im kollegialen Zusammenspiel der vier Ämter von Pastoren, Presbytern, Diakonen und Lehrern geleitet und ist mit den anderen Gemeinden durch Synoden verknüpft. Damit waren die Grundlagen für die presbyterial-synodale Leitung der evangelischen Kirche gelegt. Den Streit der Evangelischen in der Abendmahlslehre hielt Calvin für ein großes Ärgernis, das überwunden werden musste. Er stand näher bei Luther als bei Zwingli und verstand sich gut mit Melanchthon: Das Abendmahl sah er nicht nur als Gedächtnismahl. Es ist als eine Handlung zu sehen, in der uns der gekreuzigte und auferstandene Christus mit Brot und Wein seine Gemeinschaft schenkt und sich als geistliche Speise darreichen lässt, damit wir ihn empfangen und in ihm an der ganzen Fülle seiner Gnadengaben Anteil erlangen. Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog auf glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine EMail an [email protected]. Verwandte Themen des Kurses: Luthers Reformprogramm, Bildersturm, Das ist mein Leib, Melanchthon, Zwingli und Bullinger, Bartholomäusnacht Bibeltexte: 5. Mose 6, 4f. Römer 12, 1–2; Epheser 4, 11–16; Philipper 3, 20 Literatur: Herman Selderhuis, Johannes Calvin. Mensch zwischen Zuversicht und Zweifel. Eine Biografie, Gütersloh 2009; Matthias Freudenberg/Georg Plasger, Calvin-Lesebuch, Neukirchen-Vluyn 2009 Michael Beintker ist reformierter Theologe und Professor für Systematische Theologie an der Universität Münster. Foto: privat ANZEIGE Stark gegen Nagelpilz Der einzige wasserlösliche Anti-Pilz-Lack einfach und bequem anzuwenden kein Feilen, kein Nagellackentferner dringt rasch in den Nagel ein beschleunigt das Nagelwachstum praktisch unsichtbar www.nagelpilz-weg.de rei in rezeptf Apotheke r e Ihr Das Calvin-Zitat „Was ist der Sinn des menschlichen Lebens? Die Erkenntnis Gottes unseres Schöpfers. Aus welchem Grund sagst du dies? Er hat uns ja dazu geschaffen und in diese Welt gestellt, um in uns verherrlicht zu werden. So ist es nichts als recht und billig, dass unser Leben, dessen Ursprung er ist, wiederum seiner Verherrlichung diene. […] In welcher Weise wird Gott recht geehrt? Wenn wir all unser Vertrauen auf ihn setzen, wenn wir uns bemühen, ihm mit unserem ganzen Leben zu dienen, indem wir seinem Willen gehorchen, wenn wir ihn in allen Nöten anrufen und unser Heil, und was wir sonst uns an Gutem nur wünschen können, bei ihm suchen, und endlich, indem wir mit Herz und Mund ihn als alleinigen Urheber alles Guten anerkennen.“ Calvin, Genfer Katechismus 1545, Fragen 1, 2 und 7 ZUR WEITERARBEIT Titelblatt des Originaldrucks von Calvins Hauptwerk „Unterricht in der christlichen Religion” von 1536. Foto: gemeinfrei Ciclopoli® gegen Nagelpilz Wirkstoff : 8% Ciclopirox. Wirkstoffhaltiger Nagellack zur Anwendung ab 18 Jahren. Anwendungsgebiete: Pilzerkrankungen der Nägel, die durch Fadenpilze (Dermatophyten) und/oder andere Pilze, die mit Ciclopirox behandelt werden können, verursacht wurden. Warnhinweis: Enthält Cetylstearylalkohol, örtlich begrenzte Hautreizungen (z. B. Kontaktdermatitis) möglich. Apothekenpflichtig. Stand: Februar 2014 . Taurus Pharma GmbH, Benzstr. 11, D-61352 Bad Homburg Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Sonntag, 31. Juli 2016 | Nr. 31 NK Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 31 Teil 5 Die Ausbreitung der Reformation 3 XGLAUBEN UND WISSENx ZUR WEITERARBEIT Europa im Blick Verwandte Themen des Kurses: Das ist mein Leib; Zwingli und Bullinger; Johannes Calvin; Die Spaltung der einen Kirche in Europa Martin Bucer wollte eine Reformation ohne Grenzen Bibeltext: 1. Korinther 9, 19–22 (Bucers „Lieblingstext“) FÜR DAS GESPRÄCH Literatur: – Christoph Strohm: Martin Bucer, in: Irene Dingel/Volker Leppin (Hg.), Das Reformatoren-Lexikon, Darmstadt 2014, Seiten 65–73; – Martin Greschat, Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit (1491– 1551), Münster 2009 Fragen zum Einstieg: 1. Wie wichtig ist Ihnen ethisches Handeln als Folge der Rechtfertigung? 2. Wer zwischen Konfliktparteien zu vermitteln versucht, macht sich – wie Bucer – häufig bei beiden Seiten unbeliebt. Ist das typisch für Anfänge eines Versöhnungsprozesses? 3. Wie können wir das Reformationsjubiläum im Sinne Bucers zu einer europäischen Feier machen? Zugang zum Thema: – Stephen Buckwalter: Martin Bucer im Europäischen Parlament (PDF-Datei: [email protected]) – Exkursion zu Bucers Geburtshaus (7 Impasse Plobmann, Sélestat) oder zu seiner ersten Wirkungsstätte (Église St. Jean, Wissembourg) und zur großen Dechanei, die er ab 1542 mit seiner Familie bewohnte und in der er Glaubensflüchtlinge und Studenten aus ganz Europa beherbergte (15 Rue Martin Luther, Straßburg) Als Student erlebte Martin B ucer in Heidelberg e inen Mönch aus Sachsen, der mutig die herrschende Theologie angriff. Diese B egegnung mit Martin Luther veränderte sein Leben. Von Stephen Buckwalter Am 26. April 1518 hielt ein junger Augustinereremitenmönch aus Sachsen, der ein halbes Jahr zuvor mit einem unerhörten Angriff auf das Ablasswesen von sich reden gemacht hatte, eine akademische Disputation an der Universität Heidelberg. Dieser mit Spannung erwartete Gast namens Martin Luther beeindruckte die Heidelberger Studentenschaft mit seiner selbstbewussten Abrechnung mit der herrschenden Theologie, vor allem mit seiner Einsicht, dass menschliche Existenz vor Gott nicht durch die eigene Leistung, sondern durch das gnädige SichSchenken Gottes getragen wird. Unter seinen gebannten Zuhörern befand sich ein acht Jahre jüngerer elsässischer Dominikanermönch namens Martin Bucer. Dieser war von der Botschaft des Gastes aus Wittenberg derart beeindruckt, dass er fortan zu einem der eifrigsten Anhänger Luthers im gesamten südwestdeutschen Raum wurde. kanerkloster seiner Heimatstadt ein. Priester inzwischen exkommuniHier wurde er bald als begabt er- ziert. So kam Bucer zusammen mit kannt und für eine akademische seiner schwangeren Frau als FlüchtLaufbahn innerhalb des Dominika- ling nach Straßburg. nerordens bestimmt. Es folgten StuIn einer bemerkenswerten Entdienaufenthalte in Heidelberg und wicklung wurde er innerhalb weniMainz sowie 1516 die Priesterweihe. ger Jahre vom außenpolitisch unanIm Januar 1517 wurde Bucer er- genehmen Gast und Kleriker ohne neut nach Heidelberg geschickt, um Anstellung zum führenden Kircheneinen Universitätsgrad zu erlangen. mann der Stadt Straßburg und in Während dies er den Jahrzehnten danach sogar zu zweiten Heidelber„Großes Gewäsch, so dass einem Reformager Studienzeit fand die oben beschriebeich das Klappermaul, den tor von überregine Begegnung mit onaler Wirkung Bucer, hier wohl spüre“ Luther statt, die sein und geradezu euMartin Luther Leben für immer ropaweiter Ausverändern sollte. Es strahlung. folgte eine ruhelose Geleitet wurZeit, in der Bucer um den Austritt aus de Bucer hierbei von der Vision eidem Orden und die Lossprechung ner durch die Predigt des Wortes von seinen monastischen Gelübden Gottes angebahnten umfassenden kämpfte, was er im Frühjahr 1521 Erneuerung der gesamten Gesellschaft. Die Kirche verstand Bucer als endlich erreichte. Während des Sommers 1522 war eine sichtbare, an den ethischen Aner Kaplan des Reichsritters Franz von weisungen des Wortes Gottes zu mesSickingen in Landstuhl und bekun- sende Gemeinschaft. dete seinen Übertritt ins evangeliIm Zentrum seiner Theologie sche Lager demonstrativ durch die stand die Rechtfertigung des Sünders Eheschließung mit der ehemaligen allein durch den Glauben, die aber Wer war dieser Martin Bucer? Gebo- Nonne Elisabeth Silbereisen. Da- mit einer vom Heiligen Geist beren wurde er am 11. November 1491 nach nahm er eine Pfarrstelle im el- wirkten Hinwendung des erlösten im elsässischen Schlettstadt (heute: sässischen Weißenburg (heute: Wiss- Menschen zu seiner wahren BestimSélestat) in ausgesprochen ärmlichen embourg) an, musste die Stadt aber mung, zum Dienst am Mitmenschen, Verhältnissen. Noch als Fünfzehnjäh- im Mai 1523 fluchtartig verlassen, untrennbar verbunden war. Denn riger trat der junge Bucer unter dem denn der Speyerer Bischof hatte ihn Gott „als einen Vater erkennen und Druck des Großvaters in das Domini- als verheirateten und ketzerischen anrufen“ implizierte für Bucer, „dass wir alle Menschen als unsere Brüder auch erkennen und ihnen dienen“. Schwerpunkte der Theologie Bucers Das Zitat: kann man gut in zwei Kirchenliedern erkennen, die Bucers lebenslanMartin Luther über eine Schrift Bucers: „Alles und alles zu lang und großes ger Sekretär Konrad Hubert verfasst Gewäsch, so dass ich das Klappermaul, den Bucer, hier wohl spüre“ hat: „O Gott, du höchster GnadenBrief an Gregor Brück, August 1544 Bucer über Luther nach dessen Tod: „Wie viele Leute Luther hassen, weiß thron“ (EG 194) und „Allein zu dir, ich. Und doch steht fest, dass Gott ihn sehr geliebt hat; und dass er uns Herr Jesu Christ“ (EG 232, 1–3). kein heiligeres und wirksameres Werkzeug des Evangeliums geschenkt hat. Bucers größte Lebensleistung Luther hatte Fehler, schwere sogar. Aber Gott hat sie doch getragen und bleibt seine Vermittlung im Abendhingenommen, dass er keinem anderen Sterblichen einen mächtigeren mahlsstreit zwischen den Anhängern Geist und eine göttlichere Kraft verliehen hat, seinen Sohn zu verkündigen Zwinglis, die in den Abendmahlseleund den Antichristen niederzustrecken. menten Brot und Wein nur Symbole Greschat, Bucer, 234. für Jesu Leib und Blut sahen, und den Er erstritt Lossprechung von Ordensgelübden Kirchenfenster in der evangelischen Kirche von Weitbruch bei Hagenau im Elsass: Martin Bucer (Mitte) als Vermittler zwischen Luther und Zwingli. Das Fenster wurde 1924 von Joseph Ehrismann (1880–1937) nach einer Skizze des Straßburger Theologie professors Robert Will (1869–1959) vollendet. Foto: Jean-Pierre Siefer, Paroisse Protestante Weitbruch Anhängern Luthers, die von Christi leiblicher Anwesenheit im Abendmahl überzeugt waren. Bucer vermittelte unbeirrt im Abendmahlstreit Unbeirrbar kämpfte Bucer für die Überwindung dieses Streites, in dem er die Konfliktparteien in Basel, Bern, Zürich, Konstanz, Ulm, Memmingen, Augsburg, Frankfurt, Kassel und Wittenberg persönlich aufsuchte und sie miteinander ins Gespräch zu bringen versuchte. Dieses Vorhaben trug ihm Misstrauen und Feindschaft von allen Seiten ein und war mehrmals vom endgültigen Scheitern bedroht. Auch Luther misstraute ihm und stand seinen Vermittlungsversuchen skeptisch gegenüber, während Bucer sich freundlich über Luther äußerte. Aufgrund seiner Beharrlichkeit gelang ihm der große Durchbruch endlich am 29. Mai 1536, als durch seine Vermittlung Luther und die Vertreter von acht süddeutschen Reichsstädten, die bisher als zwinglianisch galten, eine gemeinsame Abendmahlserklärung, die „Wittenberger Konkordie“, unterzeichneten. Immer wieder wurde Martin Bucer von zahlreichen evangelischen Mitstreitern vorgeworfen, er würde den Gegnern zu oft und zu weit entgegenkommen und ließe der eigenen Position die nötige Eindeutigkeit fehlen. Doch Bucer war es auch, der sich 1548 vehement weigerte, der Unterwerfung der Stadt Straßburg unter das Interim des Kaisers zuzustimmen. Das hatte Karl V. vom Magistrat der Stadt gefordert. Durch diese „Übergangsregelung“ – eine Folge ihrer Niederlage im Schmalkaldischen Krieg – wurden die evangelischen Territorien und Reichsstädte gezwungen, entscheidende reformatorische Neuerungen rückgängig zu machen. Sein reformatorisches Projekt der letzten 26 Jahre verlassend suchte Bucer im April 1549 Asyl in England. Von der Unrast und den abschließenden Enttäuschungen seines Lebens schwer gezeichnet starb Bucer am 28. Februar 1551 in Cambridge und wurde in der dortigen Great St. Mary’s Church beigesetzt. Bucer drängte es immer, bestehende Grenzen zu überwinden. Die eigene Position war für ihn nicht Grundlage für die eigene Abgrenzung, sondern Ausgangspunkt für den Dialog mit Andersdenkenden. Dies galt nicht nur im Hinblick auf theologische, sondern auch im Hinblick auf politische Grenzen. Während die meisten Reformatoren nur die Politik ihres Fürstentums oder Territoriums oder bestenfalls des Heiligen Römischen Reiches im Blick hatten, war Bucer der erste Reformator, der gesamteuropäisch dachte. Er besaß eine Aversion gegen jede Art von falschem Nationalstolz. Am 12. April 1535 schrieb er an eine sehr gute Freundin, Margaretha Blarer, die Schwester des Konstanzer Reformators Ambrosius Blarer: „Es stört mich sehr an dir, liebe Schwester, dass schon allein der Name ‚Franzose‘ eine derartige Antipathie bei dir hervorruft. Sagt mir bitte, was sind das überhaupt: ‚Deutsche‘, ‚Italiener‘, ‚Spanier‘? Jeder an sich gleichermaßen verloren, doch in Christus allesamt Brüder. Ihm hat der Vater nicht das eine oder das andere Volk, sondern alle Völker zum Eigentum gegeben.“ Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine EMail: reformation@epv-nord.de Bucers internationale Ausstrahlung: Plakat auf einem Kirchentag der presbyterianischen Kirche in Südkorea. Foto: Weber Stephen Buckwalter ist wissenschaftlicher Mit arbeiter in der Martin- Bucer-Forschungsstelle an der Universität Heidelberg. Foto: privat Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 32 Teil 5 Die Ausbreitung der Reformation „Résister und protester“ Die Reformation in Frankreich FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Welche Rolle spielt das Bekennen in Ihrem persönlichen Glauben? 2. Was können wir von der positiven Protestkultur der französischen Protestanten lernen? Wofür wollen wir stehen und vehement eintreten? Zugang zum Thema: – Besuch einer reformierten Gemeinde, zum Beispiel in Lübeck, Lüneburg oder Bützow, Anschriften unter www.reformiert.de – Besuch im Hugenotten-Museum, Berlin Gendarmenmarkt www.hugenottenmuseum-berlin.de – Teilnahme am jährlichen RefugeFest am 29. Oktober in der französischen Kirche zu Berlin, www.franzoesische-kirche.de – virtuelles Museum des Protestantismus“, www.museeprotestant.org/de 24. August 1572, Bartholomäustag: In Paris sind viele Protestanten versam melt. A nlass ist die Hochzeit des Pro testanten Heinrich von Navarra (spä ter Heinrich IV.) und der Katholikin Marguerite von Valois. Die Hoffnung ist groß, dass damit die seit 1562 to benden Religionskriege zwischen Ka tholiken und Protestanten ein Ende finden. Doch der Kronrat lässt in der Bartholomäusnacht die protestanti sche Führungsspitze ermorden. Das löst ein Blutbad aus. Mehr als 3000 Menschen werden in Paris ermordet, in ganz Frankreich sterben 30 000 Protestanten. Von Solange Wydmusch Am 13. April 2016 wurde nahe der Brücke Pont-Neuf in Paris, neben dem Reiterdenkmal von Heinrich IV., eine Gedenktafel enthüllt, die an das Massaker der Bartholomäusnacht erinnert. Dem Festakt der Stadt Paris, genau fünf Monate nach den IS-Terroranschlägen vom 13. November 2015, gab der Präsident des protestantischen Dachverbands, François Clavairoly, eine starke interreligiöse Note und stellte ihn zwischen Erinnerung und Zuspruch: „Eine versöhnte und zukunftsfähige Gesellschaft kann nur da entstehen, wo die verletzten Erinnerungen ausgesprochen und gehört werden. (…) Dialog ist der Schlüssel gegen religiöse Gewalt und religiöspolitischen Extremismus und gegen verkrampfte religiöse Identitätssuche.“ Genau dieses Aufeinander-Hören und -Zugehen fehlte im 16. Jahrhundert und führte in eine Sackgasse der Gewalt und Zerstörung. In Frankreich nahmen christliche Humanisten, darunter auch Theologen, früh Ideen von Luther zur Reform der Kirche auf und übersetzten einige seiner Schriften. Unter ihnen waren einflussreiche Persönlichkeiten wie Marguerite d’Angoulème, die Schwester des Königs Franz I., und Guillaume Briçon ischof net, Bischof von Meaux. Der B versuchte Gedanken von Eramus von Rotterdam lokal umzusetzen. Seine Bemühungen um die Erneuerung der Kirche wurden bekämpft. Der Theologe und Humanist Lefèvre d’Étaples übersetzte das Neue Testament ins Französische (1523–1530). Die theologische Fakultät der Sorbonne/Paris machte Lefèvre d’Étaples 1527 einen Prozess wegen „lutherischer Ketzerei“. Jede Übersetzung der Bibel ins Französische und jede Gemeindereform wurde verboten. Die Regierung in Paris ging mit äußerster Härte gegen die „Lutheraner“ 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 7. August 2016 | Nr. 32 NK Temple des Batignolles der reformierten Kirche in Paris.Foto: Eglise protestante Unie de France Die Inschrift auf der Gedenktafel: Am 24. August 1572 und an den folgenden Tagen wurde Paris zum Schauplatz des Massakers der Bartholomäusnacht. Nach dem Attentat auf Admiral Gaspard von Coligny wurden mehrere tausende Protestanten ermordet um ihres Glaubens willen. „Tag, der mit Entsetzen zu allen Tagen gehört, der von Rot durchtränkt ist und durch seine Schande errötet.“ Zitat aus: Agrippa D’Aubigné, Les Tragiques. Foto: federation protestante de France vor. Trotzdem bildeten sich landesweit heimliche reformatorische Gemeinden in dem grundsätzlich katholischen Frankreich. Wurden sie entdeckt, drohten Geldbußen, Gefängnis oder Scheiterhaufen. Immer wieder gab es auch provokative Aktionen. Viel Aufsehen zum Beispiel erregte 1534 die „Plakataffäre“, bei der Plakate gegen die Messe in verschiedenen Städten und sogar an der Schlafzimmertür des Königs aufgehängt wurden. Der Humanist Johannes Calvin schloss sich dem Protestantismus an und prägte ihn. Er musste jedoch wegen den Verfolgungen Paris und Frankreich verlassen, pflegte aber aus dem Genfer Exil durch Briefwechsel enge Verbindungen zu den Gemeinden und half ihnen, sich zu profilieren. 1559 fand die erste – ebenfalls – geheime Nationalsynode der „Reformierten“ mit Teilnehmern aus 50 Gemeinden statt. Ein Glaubensbekenntnis (später als Confession de foi de La Rochelle, Confessio Gallicana bekannt) und eine Kirchenordnung (Discipline) wurden beschlossen, basierend auf den von Calvin gelieferten Grundtexten. Alles wurde intern geregelt, da die Protestanten sich auf keine weltliche Instanz verlassen konnten. Die Presbyter, von der Gemeindeversammlung gewählt, überwachten das kirchliche Leben und die Sitten der Gläubigen, regelten Meinungsverschiedenheiten und kümmerten sich um die Armen. Der Gottesdienst mit der Predigt und dem Gotteslob in „geistiger und wahrhaftiger Anbetung“ bildete den Höhepunkt des Gemeindelebens. Immer wieder wurde die „Discipline“ den Gegebenheiten angepasst. Ihre Grundzüge gelten jedoch bis heute: besonders die presbyterial-synodale Struktur, wonach die örtlichen Presbyterien und die Synoden gemeinsam entscheidungs- und handlungsbefugt sind. Die Kirche ist keine Institution Das Zitat: „Halten wir fest: das Leben der Kirche ist nicht ohne Auferstehung, noch mehr: nicht ohne viele Auferstehungen“ Johannes Calvin, Kommentar zu Micha 4. „Und eben darauf müssen wir warten und uns darauf verlassen, dass, wenn wir ganz ausgelöscht sein werden und alles zum Ärgsten gekommen ist, er sich wohl ein neues Volk aus unserer Asche schaffen kann.“ Johannes Calvin, Brief an die Gemeinden des Languedoc, 1562 der Geistlichen, sondern eine kollegiale Gemeinschaft, deren Angelegenheiten von Laien und Pastoren gemeinsam geregelt werden. Als Protestant hob man sich gesellschaftlich auf verschiedene Weisen ab. Protestant zu sein bedeutete, anders zu sein als die Anderen, aber auch sich bewusst zu einer Glaubensminderheit zu bekennen. Calvin wollte, dass der Glaube im Alltagsleben Eingang findet, und dass jeder befähigt ist, über seinen Glauben Auskunft zu geben: nicht nur der Theologe, sondern auch der „Schweinehirt“. So maß Calvin jedem eine bisher nicht gekannte Selbstbestimmung und Freiheit zu, jedoch auch eine Verantwortungsethik. Der Krieg zwischen den Protestanten und Katholiken war jedoch vorprogrammiert. Dabei waren die Protestanten nicht nur Opfer, da sie Militärtruppen hatten. Die Religionskriege, auch Hugenottenkriege genannt, waren die härtesten und längsten Bürgerkriege, die Frankreich jemals erlebt hat (1562–1577), während deren auch die Bartholomäusnacht stattfand. 1598 erließ Heinrich IV., der nach der Bartholomäusnacht zum katholischen Glauben konvertiert war, das Edikt von Nantes. Es gewährte den Protestanten 86 Jahre Frieden, Gewissensfreiheit und freie Religionsausübung in der Öffentlichkeit, ausgenommen in Paris und Umgebung sowie in Städten mit Bischofssitz oder königlichen Schlössern. Es gab damals 20 Prozent Protestanten. Mit dem Ende der Regierungszeit Heinrichs IV. verlor das Edikt von Nantes immer mehr an Bedeutung. Die Unterdrückung nahm ständig zu. 1685 erließ Ludwig XIV. das Edikt von Fontainebleau, mit dem die Protestanten all ihre Rechte verloren. Etwa 30 000 strömten ins angrenzende Ausland. Darauf folgte auch das Edikt von Potsdam durch den Großen Kurfürs ten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (29. Oktober 1685); er bot den Refugiés Zuflucht. Die Glaubensflüchtlinge prägten das Land Brandenburg mit ihrer französischen Kultur nachhaltig – spürbar bis heute. Trotz Verfolgungen und Glaubenszwang – Übertritt zur katholischen Kirche, Tod, Strafgaleeren, Gefängnis – verblieben 900 000 Hugenotten im Land. Sie trafen sich heimlich außerhalb der befestigten Orte zu Versammlungen, es entstand die „Kirche der Wüste“. Der Name Hugenotten wird nur noch im Ausland, in der Diaspora, weitergeführt. Résister (Widerstehen) – dieser Geist ist bei den französischen Protestanten lebendig geblieben. Er wurde auch im Zweiten Weltkrieg deutlich. Das protestantische Dorf Chambon sur Lignon nahm schon 1938 Flüchtlinge aus den mitteleuropäischen Län amen viele jüdische dern auf. Später k Kinder dazu. Allen Einwohnern gemeinsam wurde die Auszeichnung „Gerechte unter den Nationen“ verliehen; der einzige Fall einer kollektiven Zuerkennung dieses Titels. Die französischen Protestanten (1,5 Prozent der Bevölkerung) bleiben diesem Geist auch heute treu. Das Engagement für die Anderen, der Glaube an Gott mit seiner Kraft der Erneuerung, findet sich immer wieder. Am diesjährigen Nationalfeiertag rund um den 14. Juli hingen an den protestantischen Kirchen Banner mit der Aufschrift „Egalité, Liberté, Fraternité, Exilés l’accueil d’abord“ – „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, Flüchtlinge vorderst empfangen“. Sie fordern, dass mindestens 30 000 Flüchtlinge, wie vereinbart in der EU, und nicht wie bisher nur 500, aufgenommen werden. Ihr Motto für 2017 ist „Protester pour Dieu, Protester pour l’homme“: vehementes Eintreten für Gott und für den Mitmenschen. ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Zwingli; Calvin; Bucer Literatur: – Julien Coudy (Herausgeber): Die Hugenottenkriege in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1965 – Die Bartholomäusnacht, Überblick unter: www.reformiert-info.de/8717-056-4.html – Heinrich Mann: Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre, Taschenbuch rororo 1994 Solange Wydmusch ist Unternehmensberaterin und Religionssoziologin, Mitglied der Französischen Kirche und gebürtige Französin. Foto: Archiv ANZEIGE Stark gegen Nagelpilz Der einzige wasserlösliche Anti-Pilz-Lack einfach und bequem anzuwenden kein Feilen, kein Nagellackentferner dringt rasch in den Nagel ein beschleunigt das Nagelwachstum praktisch unsichtbar www.nagelpilz-weg.de rei in rezeptf Apotheke Ihrer Ciclopoli® gegen Nagelpilz Wirkstoff : 8% Ciclopirox. Wirkstoffhaltiger Nagellack zur Anwendung ab 18 Jahren. Anwendungsgebiete: Pilzerkrankungen der Nägel, die durch Fadenpilze (Dermatophyten) und/oder andere Pilze, die mit Ciclopirox behandelt werden können, verursacht wurden. Warnhinweis: Enthält Cetylstearylalkohol, örtlich begrenzte Hautreizungen (z. B. Kontaktdermatitis) möglich. Apothekenpflichtig. Stand: Februar 2014 . Taurus Pharma GmbH, Benzstr. 11, D-61352 Bad Homburg Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Glaubenskurs Reformation der Evangelischen Wochenzeitungen im Norden, Folge 33 Teil 6 Die hellen Seiten der Reformation 3 XGLAUBEN UND WISSENx Sonntag, 14. August 2016 | Nr. 33 NK Trost des Evangeliums Martin Luther als Seelsorger FÜR DAS GESPRÄCH Fragen zum Einstieg: 1. Können E-Mails und Blogs das sein und werden, was zu Luthers Zeiten die seelsorgenden Briefe waren? 2. Wie verhält sich einerseits die Autorität des Seelsorgenden und andererseits das Festhalten daran, dass jedes Gemeindeglied Seelsorger ist, bei Luther? Was erleben wir von dieser bleibenden Spannung? 3. Seelsorge ist Gemeindeaufgabe: Was brauche ich, um ein seelsorgendes Gemeindeglied zu werde? 4. Was braucht eine reformatorische Kirche heute, um eine tröstende Kirche zu sein? Zugang zum Thema: – Ein Beispiel für Luthers eindrückliche briefliche Seelsorge gegenüber dem lebenserschöpften Friedrich dem Weisen: Vierzehn Tröstungen für Mühselige und Beladene, Weimarer Ausgabe 6, Seiten 99–134 In den Tischreden bezeichnet Martin Luther sich als einen „Arzt kranker, beschädigter und toter Gewissen“. Er schrieb viele Briefe, sprach über Gefühle und Glauben. Auch Luther brauchte einen Seelsorger. Und der hatte Humor. Von Christina Maria Bammel Briefe schreiben, eine wunderbare, wenn auch in die Jahre gekommene Gesprächsweise! Wieviel Stärkung in den Zeilen liegt, wenn sie einfühlsam und mit etwas Zeit geschrieben sind. Wer sie empfängt und zu lesen weiß, liest sicher die Zeilen mehr als einmal, behält ein Wort in Gedanken und freut sich darüber, so bedacht zu sein. Luthers seelsorgerliches Handeln war maßgeblich briefeschreibendes Handeln. Seine Korrespondenz in Sachen Seelsorge ist atemberaubend. Sie hat ihm gar selbst oft vor lauter Schreiblast den Atem genommen. An Fürsten, Bürger, Amtspersonen, Kollegen, Lehrer, Handwerker schrieb er, an Bauern eher nicht. Viele Frauen sind unter den Adressaten. Die Themen der Menschen damals ähneln den heutigen: Beziehungs-, Ehe- und Existenzfragen, Bestärkung, dort, wo schwer gezweifelt wird, Fragen nach Leben und Tod, Verluste durch Tod, Suizid, der verfrühte Tod etwa von Kindern, aber auch Arbeitslasten, erdrückende Verpflichtungen können zum Thema der Seelsorge werden. Streit und der Umgang mit Schwächen, Gewissensdruck, Krankheit, Rückzug und Einsamkeit, die Reihe der seelsorglichen Themen ist länger. Wenn Luther begann mit „Euch bewegt, ob“, „Ihr seid hochbekümmert, weil“ oder „dass Gott Euch Euer liebes Weib genommen“, bringt er das Problem auf den Punkt. Er fühlt mit: „Das ist mir wahrlich leid, das weiß Gott, der mein Seufzen hört.“ Er gesteht auch mal zu, dass er vor lauter Schmerz gar nicht weiß, was er noch sagen könnte. Oft folgt darauf dialogisch mit dem Empfänger eine Auseinandersetzung und ein praktischer Rat, auch mal pädagogisierend: „Darum glaube das“, „haltet fest“, „müsst ihr so sprechen“. Am Ende des Schreibens wird dann der Sack zugebunden: „Wenn Euch gute Leute trösten, so lernt ja glauben, dass Gott solches zu Euch sagt. Folget dem und zweifelt nicht.“ Schwer mütigen gibt er gar mit auf den Weg: „Hiermit fröhlich Gott befohlen.“ Martin Luther empfing und schrieb viele seelsorgerliche Briefe. Das Foto zeigt die Schauspieler Karoline Schuch als Katharina von Bora und Devid Striesow als Martin Luther bei Proben im Mai 2016 während der Dreharbeiten zum Film „Katharina Luther“. Foto: dpa Die Wucht der Autorität des Seel- sich selbst wegziehen soll. Das stellt sorgers ist greifbar. Er zieht sie aus dem den Kranken oder Angefochtenen göttlichen Mandat: „Gott hat’s befoh- und dem Sterben Nahen auf einen feslen, dass ein Mensch den andern trös- ten neuen Boden außerhalb seiner ten soll, und will auch, dass der Betrüb- selbst. Trösten führt zu neuen Widerte solle glauben solchem Trost, als sei- standskräften, da der Betroffene auf ner eignen Stimme, so höret nun, was neuem Grund steht. Trost wird damit auch zum Trotz gegen den Strudel der wir in Gottes Namen zu Euch sagen.“ Seelsorge ist Gottes Tat. Gott selbst In-sich-selbst-Verlorenheit und Aufredet durch Wort und Trost. Luther sich-selbst-Stehen-Müssen. Mit Luther bringt auch sein Fühlen ein, jammert gesprochen: im Predigen Stellung bezuweilen, zeigt, dass auch er mal ver- ziehen zum Trotz gegen den Teufel, letzt oder wütend ist oder der Melan- dessen Lügenmacht und heillose Wircholie so gut wie gar nicht Herr wird. kung genannt werden muss: „Gott hat Regelrecht anweisend geht Luther uns Predigern befohlen, die Seele zu vor, wo, wie er sagt, dem Teufel das unterrichten und zu trösten“ und zwar Haupt geboten werden muss: „Man als entfaltete Kreuzestheologie bezomuss dem Teufel das Kreuz ins Ange- gen auf Christus und die Schrift. Der sicht schlagen.“ Ursprung der Seelsorge ist Christus als Luthers Ansporn, sich aggressiv Arzt und Hirte. dem Teufel zu stellen, mag man finSeit den Klostertagen buchstabiert den, wie man will. Es leuchtet allemal Luther dies in engem Austausch mit ein, dass es um die seinem Generalvikar Johann Ermutigung geht, von Staupitz den schweren und „Ohne Doktor Staupitz durch. „Nirtraurigen Gedangends als in den ken Raum zu entwäre ich in Seelennot und Wunden Christi ziehen. Sicher hatAnfechtung ersoffen und wird die Prädeste die briefliche längst in der Hölle.“ tination verstanNähe Grenzen. Es den und gefunbraucht persönliMartin Luther che Nähe. Der den, denn es Seelsorger oder steht geschrieauch „Seelwarter“, ben: diesen wie Luther ihn nennt, orientiert im (Christus) höret.“ Den Einfluss des Predigen, indem er unterweist, indem Spirituals Staupitz beschreiben Luer sich sorgt um die Seele, wenn sie thers eigene Worte am besten: „Wenn lebensmüde, angefochten, zerrissen mir Dr. Staupitz oder vielmehr Gott ist. Luthers gesamte Theologie wurde durch Doktor Staupitz nicht herausgeihm unter der Hand immer wieder holfen hätte aus Seelennot und Anneu zur Sorge um die Seele der sich fechtung, so wäre ich darin ersoffen und längst in der Hölle.“ ihm Anvertrauenden – als Trost. Der Augustinereremit und WittenTrost im strengen Sinne besteht nicht darin, „eine Aufbesserung unse- berger Universitätsgelehrte wirkte, so rer Schwachheit zu erleben, vielmehr viel wir wissen, sehr anerkannt durch darin, mitten in unserer Schwachheit seine Predigt- und Seelsorgetätigkeit in durch den Glauben von uns selbst den wachsenden Städten des 16. Jahrweggekehrt zu werden zu Christus hunderts. In Erfurt sind sich beide behin“ (Georg Ebeling). Wer tröstet, gegnet. Bekannt ist die Anekdote, dass deckt nicht zu, sondern auf, verharm- der entmutigte und kränkelnde Lulost nicht, sondern wird gegebenen- ther einmal meinte, er werde die Profalls gar verschärfen, was zu sagen ist. motion zum Doktor der Theologie Da braucht er etwas Mut zur Weisung. nicht mehr erleben, woraufhin StauDer ganze Schatz der Seelsorge besteht pitz intervenierte: „Es ist gleich recht. im Grunde aus Trost, der nicht zu ver- Unser Herr Gott hat jetzt viel zu schafwechseln ist mit Rührseligkeit. fen im Himmel; wenn Ihr sterbt, so Trost wird für Luther eine kämpfe- kommt Ihr in seinen Rat, denn er rische Sache, die den Betroffenen von muss auch einige doctores haben!“ Das Zitat: Die im Amt der Kirche, das heißt die Prediger und die Seelsorger, mögen lernen, wie sie sich gegen die Gebrechlichen und die Schwachen halten sollen. Die sollen sie auch so erkennen lernen, wie Christus uns kennet. Das heißt sie sollen nicht sauer und rauh gegen sie losfahren mit Drängen und Poltern oder mit Verdammen …, sondern gelinde und säuberlich mit ihnen handeln und ihre Schwachheit tragen, bis sie stärker werden. Evangelium am 2. Sonntag nach Ostern, aus der Sommerpostille Crucigers 1544, WA 21, 337, 30–36 Brief an die Gemeinden des Languedoc, 1562 Der fromme Mönch lebte predigend und seelsorgend aus der persönlich erfahrenen Geborgenheit in der Liebe Gottes. Er maß gemeinsam mit Luther aus, dass die Suche nach Frieden in Jesus Christus auf den Wegen der Meditation (meditatio) und des Gebetes (oratio) entlang führt, begleitet auch in Anfechtung (tentatio). Die Anfechtung treibt zum Wort hin. Seelsorge ist Aufgabe aller Gemeindeglieder Die Schrift wurde für Luther zum eigentlichen Raum der Seelsorge: Hier spricht Christus die beschädigte, kranke und sterbende Seele an. Aber sie ist nicht als Ratgeber- und Rezeptbuch für den einzelnen Fall zu degradieren. Angefochten zu bleiben, bestimmt auch das Leben des Gerechtfertigten. Luther hat das durchschritten. „Und da tröste ich mich auch so, wie ich Euch hier tröste“, setzt Luther unter seine Briefe, wenn er seine Grenzen nennt, sich selbst anklagt, er sei ja nur ein ungeschickter Tröster. Berührt sind hier jene Widersprüche, in die man sich ANZEIGE selbst als Seelsorger stellt: offenherzig und machtlos, zur Versöhnung aufrufend und dabei doch kaum fähig, Streit dranzugeben, hohe Ansprüche – persönlich schwer zu halten. Auch wenn laut Luther nahezu jeder Aufgabenbereich eines Pfarrers von Seelsorge bestimmt ist, sind im Sinne des Priestertums aller Glaubenden im Gespräch unter Geschwistern alle Christen beteiligt und beauftragt. Bei allem zeitlich Gebundenen der Seelsorge des Martin Luther – wichtig bleibt: Seelsorgende sind zeitlebens selbst auf Seelsorge angewiesen. Seelsorge nimmt den ganzen Mensch in den Blick und umschließt auch Leibsorge und den Trost des irrenden, traurigen, aber im Evangelium getrösteten Gewissens. Das wird mit dem Trost ins Freie gestellt, wird so zu „Christi Brautbett“. Seelsorge überhaupt stellt ins Freie, was sich auch in Sprache und Haltung zeigt. Suggestion und Manipulation verbieten sich. Luthers Seelsorge-Schule lehrt, dass die Hilfe zum Leben in aller Gebrochenheit und Endlichkeit in der Grundspannung von Annahme und Aufbegehren nicht trennt zwischen den großen Heilsfragen und dem irdischen Klein-Klein. Schließlich ein Aspekt, der hier zu wenig beleuchtet wurde: Wir können uns nicht den politischen Situationen entziehen. Auch das gehört zur Glaubwürdigkeit unseres seelsorglichen Auftrages. ZUR WEITERARBEIT Verwandte Themen des Kurses: Spalatin; Diakonie; Der Teufel vergiftet das Getreide; Bibelstellen: 1. Könige 19, 1–18; Galater 6, 2. Korinther 1, 4–5; Literatur: – Gerhard Ebeling, Luthers S eelsorge an seinen Briefen dargestellt, Mohr Siebeck, T übingen 1997 – Christian Möller, Martin Luther, in: Geschichte der Seelsorge in Einzelporträts, Vandenhoeck & Ruprecht, II, Seiten 25–44 Christina Maria Bammel ist promo- vierte Theologin und Oberkonsistorialrätin für den Bereich Kirchliches Leben in der EKBO. Foto: privat
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