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In eigener Sache
Liebe Leser,
mit der ersten Ausgabe des Jahres
2016 starten die Berliner Kirchenzei­
tung „Die Kirche“, die Evangelische
Zeitung sowie die Mecklenburgische
und Pommersche Kirchenzeitung ei­
nen gemeinsamen Glaubenskurs zur
Reformation. Wir möchten Sie sowie
die Gemeinden und kirchlichen Ein­
richtungen einladen, sich mit die­
sem Kurs auf das Reformationsjubi­
läum 2017 einzustimmen.
Ein Jahr lang wird jede Woche auf
dieser Seite 3 jeweils ein wichtiges
Thema der Reformation für die Ge­
staltung von Glaubenskursen aufbe­
reitet werden. Den Kurs entwickelt
haben die Kolleginnen in der Berliner
Redaktion gemeinsam mit Professor
Wolf Krötke, Berlin. Wir sind gespannt
auf Ihre Reaktion.
Die Chefredaktionen der EZ und MPKiZ
Julika Meinert, Tilman Baier,
Michael Eberstein
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 3. Januar 2016 | Nr. 1 NK
Der Glaubenskurs Reformation
ab dem 3. Januar 2016 56 Wochen in jeder Ausgabe
.
Allein durch Glaube. Allein durch Gnade.
Was wir im Jahr 2017 feiern
Die Kirchenzeitungen in Norddeutschland starten einen einjährigen Glaubenskurs „Reformation“ – machen Sie mit!
„Evangelisch, das sind die ohne Papst,
aber mit Frauen“, diese sympathisch
verkürzte, aber doch zutreffende Auskunft geben die Passanten auf der
­Straße. Denen sollen wir laut Luther
„aufs Maul schauen“, um in ihrer Sprache ausdrücken zu können, was
Gott uns im Evangelium sagt.
Und damit die frohe Botschaft von der Menschenliebe Gottes
überall laut wird. „Was
aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich
rühmen, dass es schon
zum Priester, Bischof
und Papst geweiht sei“, so
Luther. Sich dieser Verantwortung zu stellen
und selber zu denken war
seither angesagt. Eine
ständige Erneuerung,
eine andauernde Re-Formation wurde trotz aller
Irrwege Programm. Der
Glaubenskurs Reformation,
der mit dieser Ausgabe startet
und bis Januar 2017 läuft, und
dessen Schirmherrin die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann ist, will seine
Leser ins ­Gespräch ­ziehen, die
protestantischen ­Wurzeln
aufdecken, E
­ rkenntnisse vertiefen – schlicht schlau machen.
Von Sibylle Sterzik
und Wolf Krötke­­
Was feiern wir eigentlich
2017? Was bedeutet das Ereignis Reformation, in dessen Folge reformatorische
Kirchen entstanden, damals und für uns heute? In 56 Folgen
wird unser Kurs
dem aus verschiedenen Perspektiven
nachgehen. Theologen und Historiker aus der akademischen Welt werden ihre Forschungen präsentieren,
Pastoren ihre Erfahrungen mit dem
reformatorischen Glauben einbringen. Journalisten und Publizisten
werden darauf den Finger legen, wie
reformatorische Positionen heute im
öffentlichen Diskurs zu behaupten
sind.
Die Schirmherrin des Glaubenskurses ist die Reformationsbotschafterin der EKD, Margot Käßmann. Sie
schreibt in ihrem Geleitwort: „Luthers
reformatorische Entdeckung war gewiss kein plötzlicher Durchbruch, sondern entstand über Jahre in einem
Prozess des theologischen Erkennens
Martin
Luther:
Skulptur
mit Bibel und
Bannbrief.
Foto: epd
und der Auseinandersetzung mit
kirchlicher Realität und biblischen
Texten.“ Ein Programm – nicht nur für
das 16. Jahrhundert.
Sich selbst ein
Urteil bilden
Die Evangelische Kirche in Deutschland und auch die Landeskirchen bereiten sich schon seit Jahren auf das
Gedenkjahr „500 Jahre Reformation“
vor. Seit 2007 sollen „Reformationsdekaden“ Kirche und Gesellschaft mit
Hauptthemen der Reformation vertraut machen. „Reformationsbeauftragte“ sind fleißig am Werke. Die his-
torische
und
theologische
Wissenschaft wartet mit großen ForDas Luther-Zitat
schungsprogrammen auf und wirft
Martin Luther über seine reforein Buch nach dem anderen auf den
matorische Entdeckung
Markt. Ausstellungen werden organiZum ersten bitt’ ich, man wollt
siert, die Gedenkstätten werden aufgemeines Namens geschweigen
möbelt. Der Souvenirverkauf kommt
und sich nicht lutherisch, son­
auf Touren und vieles mehr. An
dern Christen heißen. Was ist
Informationen, was die ReformatiLuther? Ist doch die Lehre nicht
on war, mangelt es also wahrlich
mein. So bin ich auch für nie­
nicht – und auch nicht an Deutunmand gekreuzigt. [...]
gen dessen, was sie uns heute
Wie käme denn ich armer stin­
bedeuten könnte.
kender Madensack dazu, dass
Dieser Glaubenskurs möchte
man die Kinder Christi sollt’ mit
inmitten von alledem Gemeinmeinem heillosen Namen nen­
den ermutigen, sich selber gezielt
nen? Nicht also, liebe Freunde,
über die Reformation ein Urteil zu
lasst uns tilgen die parteiischen
bilden und dazu Menschen einzulaNamen und Christen heißen,
den, die verstehen wollen, warum diedes Lehre wir haben” (Eine treue
ses Ereignis vor 500 Jahren heute für
Vermahnung Martin Luthers zu
uns wichtig bleibt.
allen Christen, sich zu hüten vor
Wir würden uns auch sehr freuen,
Aufruhr und Empörung, 1522).
wenn ökumenische Kurse zusammenkämen. Denn bei allem, was bis
heute an der Reformation positiv bedeutsam bleibt, hatte sie auch erheb- welche die Welt von damals mit Ausliche Schattenseiten. Zu ihnen gehört wirkungen bis heute radikal verändernicht zuletzt die Spaltung der Kirche te – und das nicht nur im Geiste des
Jesu Christi in Europa, die dann auch reformatorischen Bekenntnisses zum
die „neue Welt“ in Amerika geprägt Gott, der jeden Menschen liebt.
Hinzu kommt, dass die Trennung
hat. Die Verständigung mit den
Christen unserer römisch-katholi- der evangelischen Bewegung von der
schen Schwesterkirche zu suchen, römisch-katholischen Kirche ihrerseits
sollte deshalb eigentlich eine Selbst- Spaltungen dieser Bewegung nach sich
verständlichkeit sein.
zog. Die Erneuerung der einen Kirche
SelbstverständJesu Christi hat
lich ist heute auch,
nicht stattgefunSie werden ohne Verdienst
den. Stattdessen
das Ereignis der Regerecht aus seiner Gnade
formation nicht
zerfiel die refordurch die Erlösung, die
matorische Bebloß auf die Person
und das Werk Marwegung in eine
durch Jesus Christus
tin Luthers zu reduMehrzahl von
geschehen ist.
zieren. Das Datum
KonfessionskirRömerbrief 3, 24
chen, die jeweils
des Reformationsjubiläums am 31. (Grundlage reformatorischer Lehre) auf ihre Weise die
Erneuerung der
Oktober – dem Tag
des Anheftens der
Kirche aus dem
95 Thesen über den „Ablass“ durch Geiste des Evangeliums anstrebten.
Luther an die Tür der Schlosskirche
von Wittenberg – verführt dazu. Die
Konzentration der geplanten Festlichkeiten auf Wittenberg tut ein Übriges. Das hat auch sein Recht. Die
Bedeutung Martin Luthers für die
Erneuerung der Kirche im Geiste des Die Impulse, die damals von der
Schweizer Reformation in Zürich
Evange­liums ist ganz unbestreitbar.
Wir müssen heute aber auch und Genf ausgingen, sind heute
nüchtern sehen, dass sich Luthers weltweit in den reformierten KirWirken einer ganzen Reihe von chen etwa in den USA wirksam. Die
­Re­form­b estrebungen innerhalb der Leuenberger Konkordie von 1976
damaligen römisch-katholischen Kir- hat nach viel zu langer Zeit – Gott
che zuordnen lässt, an die wir heute sei Dank – die Basis dafür bereitet,
anknüpfen können. Wir müssen dass die meisten dieser Kirchen sich
auch ernst nehmen, wie stark politi- zur „Kirchengemeinschaft in versche und wirtschaftliche Interessen söhnter Verschiedenheit“ bekennen
damals dafür gesorgt haben, dass die können. Für diesen Glaubenskurs
Reformation zu einer Kraft erstarkte, bedeutet das:
Reformation
war nicht nur Luther
Er muss sich um eine Vermittlung
all der Impulse bemühen, die von
der Reformation der Kirche im 16.
Jahrhundert, welche nicht bloß in
Wittenberg stattfand, ausgingen. Wir
haben darum einerseits Wissenschaftler gebeten, ein Thema in seiner Zeit zu beleuchten, aber auch zu
sagen, worin die Bedeutung dieser
Erkenntnisse für uns heute liegt. Andererseits werden Theologen, aber
auch Nichttheologen zu Worte kommen, welche reformatorisches
Christsein im Spiegel ihrer Erfahrungen darstellen.
Der Glaubenskurs wird
acht Kapitel haben:
1) Martin Luther:
Sein Weg zum Reformator
2) Die Entfaltung
der reformatorischen Lehre
3) Auseinandersetzungen
4) Menschen um Luther
5) Die Ausbreitung
der Reformation
6) Die hellen Seiten
der Reformation
7) Die dunklen Seiten
der Reformation
8) Offener Ausgang
MACHEN SIE MIT!
Gemeinden laden wir ein, sich am
Glaubenskurs Reformation zu beteili­
gen. Starten Sie eigene Gesprächs­
kreise oder Glaubenskurse. Mit den
wöchentlichen Artikeln steht dafür
eine Fundgrube an Material zur Ver­
fügung. Damit Sie das Material gleich
verwenden können, enthält jeder Ar­
tikel ein Lutherzitat, Fragen und Ma­
terial zum Einstieg sowie weiter­
führende Literatur.
Sie können auch mitdiskutieren. Wir
haben dafür die E-Mail-Adresse
­[email protected] eingerich­
tet und veröffentlichen Ihre Beiträge
auf den Internetseiten www.evangeli­
sche-zeitung.de und www.kirchenzei­
tung-mv.de. Geplant ist darüber hin­
aus, den ganzen Kurs 2017 in einem
Magazin gesammelt zu dokumentie­
ren.
Es ist möglich, die jeweilige Kirchen­
zeitungsausgabe für Hamburg, Han­
nover, Mecklenburg-Vorpommern,
Oldenburg oder Schleswig-Holstein
für die Dauer des Kurses zu bestellen.
Für Sammelbestellungen ab fünf Ex­
emplaren gewähren wir 25 Prozent
Rabatt.
Vertrieb MPKiZ: Tel. 0385 / 30 20 80
Vertieb EZ: Tel. 0431 / 55 77 92 71
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 10. Januar 2016 | Nr. 2 NK
Zurück zu den Quellen
Was die Reformatoren ändern wollten – und was daraus geworden ist
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen:
Was feiern wir 2017? Luthers Reformprogramm; Kirche und Obrigkeit; Das
ist mein Leib; Bischöfe und Fürsten;
Die Spaltung der einen Kirche in Europa; Der Augsburger Religionsfriede;
Viermal solus.
Bibeltexte:
Epheserbrief 4, 4.5
Literatur:
– Wissenschaftlicher Beirat: Perspektiven für das Reformationsjubiläum
2017 (www.luther2017.de).
– Dorothea Wendebourg, Vergangene
Reformationsjubiläen. Ein Rückblick
im Vorfeld von 2017. In: Heinz Schilling
(Hg.), Der Reformator Martin Luther
2017. Berlin-Boston 2014, S. 261–281.
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden
Teil 1 Martin Luther:
Sein Weg zum
Reformator
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1) Typisch westlich – was verbinden
Sie damit?
2) Wie empfinden Sie es, dass die
christliche Kirche in mehreren Konfessionen existiert?
3) Pluralität – was schätzen Sie daran?
Zugänge zum Thema:
– Besuch bei einer anderen Konfession: bei einer katholischen, evangelisch-lutherischen, reformierten und
freikirchlichen Nachbargemeinde
oder Einladung von deren Vertretern
„Typisch westlich“ heißt es oft, mal
abfällig kritisch, mal anerkennend positiv. Aber was ist damit gemeint und
was hat das mit Reformation, Religion
und unserer Kultur zu tun? Sehr viel.
Denn im 16. Jahrhundert nahm e
­ twas
seinen Lauf, w
­ odurch die eine westliche K
­ irche zu vielen Konfessionen
wurde. Und die ­Gesellschaft den Weg
in die Moderne – in Richtung Pluralität
antrat.
Von Dorothea Wendebourg
500 Jahre Reformation – ein großes
Jubiläum, das viele feiern wollen. Offensichtlich steht das Ereignis „Reformation“ für unterschiedliche Erbschaften, die von verschiedenen
Gruppen der Gesellschaft für jubiläumswürdig erachtet werden.
Da wird hierzulande und weltweit
zum einen der kulturell-politischen
Wirkungen der Reformation gedacht,
die sich in weiten Teilen Mittel-WestEuropas niederschlugen. Einzelthemen wie das Bildungswesen, das Sozialwesen, die Musik kommen zur Sprache. Vor allem aber geht es um die
Gestalt der Gesellschaft. Denn sie geriet durch die Reformation auf den
Weg, den wir heute als typisch westlich
bezeichnen. Es ist der Weg tiefgreifender religiös-kultureller Differenzierung, ja, Pluralität und eines unparteiisch-friedlichen Umgangs damit.
Martin Luther hatte festgestellt:
„Ketzerverbrennung ist wider den Heiligen Geist“ – einer der Gründe für
seine Exkommunikation. Und er forderte, die Verbreitung häretischer (ketzerischer) Lehren nicht mit Macht zu
unterbinden. Damit hatte er das mittelalterliche corpus Christianum infrage
gestellt – die eine von staatlicher und
kirchlicher Obrigkeit zusammengehaltene rechtgläubig-christliche Gesellschaft. Freilich hielten der ältere
Luther ebenso wie Zwingli und Calvin
sich gegenüber Gruppen, die in ihren
Wie frisches Wasser sollte sich die unverfälschte Botschaft des Evangeliums wieder ergießen.
Augen noch schlimmer waren als Häretiker, nicht an jene Forderung. Etwa
gegenüber Täufern, christlichen Trinitätsbestreitern und Juden. Und die
Einrichtung des landesherrlichen oder
stadtherrlichen Kirchenregiments, das
heißt die Übertragung eines „Notbischofsamtes“ zur Regelung kirchlicher
Belange auf die politische Obrigkeit.
Wie unvermeidlich das unter den gegebenen Umständen auch war, es
stand in deutlicher Spannung zu jener
Forderung. So muss­ten die ursprünglichen Einsichten des Wittenberger Reformators den evangelischen Kirchen
erst wieder durch Pietisten und Aufklärer vorgehalten werden, die auf der
Freiheit der Verkündigung von politischer Einflussnahme bestanden.
Teilweises Scheitern des
ursprünglichen Projekts
Pluralitätsfördernd aber war nicht zuletzt ein Prozess, den die Reformation
auslöste, doch nicht beabsichtigte. Er
markierte ihr partielles Scheitern: das
Auseinandertreten der westlichen
Christenheit in mehrere Konfessionen
(römisch-katholisch und evangelisch).
Da es nicht gelang, sie als Ganze für die
Das Reformations-Zitat
Das Augsburger Bekenntnis von 1530, Artikel 7, „Von der Kirche“:
Dieses Bekenntnis wurde 1530 dem Kaiser Karl V. in Augsburg von Luthers
Freund und Mitstreiter Philip Melanchthon (1497–1560) überreicht.
„Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und
bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium
gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche,
dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die
Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht
zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, dass überall die gleichen,
von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden, wie Paulus
sagt: ‚Ein Leib und ein Geist, wie ihr berufen seid zu einer Hoffnung eurer
Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Epheser 4,4.5).“
Evangelisches Gesangbuch, Seite 808
Reformation zu gewinnen, ja, Teile der
Kirche sich mit Macht und beträchtlichem Erfolg gegen die Reformation
wandten, standen einander fortan
mehrere kirchliche Institutionen gegenüber.
Das galt umso mehr, als sich unter
den Anhängern der Reformation
selbst noch unterschiedliche Konfessionen bildeten (lutherische und reformierte, diese ihrerseits in mehreren
Spielarten). Wo sich das konfessionelle
Nebeneinander nicht durch militärische Gewalt beseitigen ließ, sondern
daraus ein Zustand auf Dauer wurde,
besonders im Heiligen Römischen
Reich deutscher Nation, aber auch in
den Niederlanden und in England,
musste man lernen, damit umzugehen. Ohne die Überzeugung aufzugeben, dass das eigene Bekenntnis und
die eigene Form der Kirche die angemessene sei, entwickelten Protestanten und Katholiken, aber auch die
Vertreter unterschiedlicher Konfessionen in den anderen genannten Ländern rechtliche und politische Strukturen, die ihnen ein ungefährdetes,
friedliches Nebeneinander erlaubten.
Im Rückgriff auf Einsichten der Reformation und auf philosophische Traditionen konnte sich da­raus in Pietismus und Aufklärung ein Geist konfessioneller Toleranz entwickeln – ein
Geist, der sich auch auf andere, nichtchristliche Gruppen erstrecken sollte.
Freilich war es ein mühsamer Weg,
daraus gesellschaftliche Realität zu
machen. Gleichwohl wurde akzeptierte weltanschauliche Pluralität zum
Charakteristikum ganz Mittel-WestEuropas und der sich an ihm orientierenden Welt.
Für den durch die Reformation gegangenen Teil der Christenheit gibt es
noch einen wichtigeren Grund, das
Jubiläum zu feiern: den Rückruf zum
Evangelium, den die Reformation gebracht hat, und die Reform der Kirche,
die daraus für einen Teil Mittel-WestEuropas folgte. Gewiss hat es Reformbemühungen und Reformen in der
Foto: piabay
Kirche schon vorher gegeben. Das Mittelalter ist durchzogen davon. Und der
Humanismus mit seiner Losung „Zurück zu den Quellen!“ zeigt viele Ähnlichkeiten mit der Reformation.
Reformation war mehr
als nur eine Reform
Dennoch weist die Reformation, die
wir im Deutschen nicht umsonst auch
sprachlich von „Reform“ unterscheiden, neue, eigene Züge auf. Von ihnen
sollen hier nur die wichtigsten genannt werden: Die Botschaft, dass die
in Jesus Christus gegebene Gnade Gottes „allein im Glauben“ empfangen
wird (sola fide); dass das Evangelium
von dieser Gnade „allein in der Heiligen Schrift“ gefunden wird und sich
aus ihr selbst ergibt (sola scriptura);
dass alle dem Evangelium von Christus Glaubenden gleichermaßen unmittelbar vor Gott stehen und so auch
gleichermaßen zur Weitergabe des
Evangeliums befähigt wie verpflichtet
sind („allgemeines Priestertum“). Mit
diesen reformatorischen Grundwahrheiten, die man teilte, auch wenn es an
anderen Punkten, wie der Abendmahlslehre, trennende Differenzen
gab, war nicht nur die Infragestellung
bestimmter Lehrinhalte und Strukturen der Kirche jener Zeit gegeben. Damit war die Institution Kirche selbst in
ihrer heilsvermittelnden Rolle grundlegend relativiert. Sie wurde zur „Gemeinschaft der Glaubenden“ (congregatio fidelium), die aus dem in
mündlicher Verkündigung und zeichenhaftem Sakrament empfangenen
Wort Gottes lebt und dieses weitergibt.
Das heißt nicht, die Reformatoren
seien der Meinung gewesen, dass die
Kirche keine institutionellen Strukturen wie das an die Ordination gebundene Amt, Bekenntnis oder Liturgie
aufweise. Doch für sie und den ihnen
folgenden Teil der Christenheit waren dies alles Elemente, die von den
Glaubenden selbst nach Maßgabe der
Heiligen Schrift im Dienst ihrer Gemeinschaft und im Blick auf ihre Aufgaben entwickelt oder weiterent­
wickelt oder auch korrigiert werden
müssen. Dabei war im Einzelnen unter den Reformatoren und reformatorischen Traditionen das Maß möglicher Flexibilität etwa in Fragen des
Amtes oder des Bekenntnisses unterschiedlich.
So bildeten sich neue kirchliche
Strukturen heraus, die in vielen Punkten voneinander abwichen, sowohl
zwischen lutherischen und reformierten Kirchen als auch innerhalb dieser
Gruppen. Doch galten diese Differenzen nicht als Hindernis, einander als
Kirche Jesu Christi anzuerkennen und
Gemeinschaft zu halten.
Die Gründe für die jahrhundertelange Trennung unter den reformatorischen Kirchen lagen in Unterschieden, die zentrale Lehrpunkte betrafen,
besonders eben das Abendmahl. Sie
mussten behoben werden, wenn man
die Trennung überwinden wollte. Darüber hinausgehende Angleichungen
der Kirchenstruktur oder gar Vereinigungen waren nicht erforderlich.
Diese Grundüberzeugung fand
ihre klassische Formulierung im siebten Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses: „Denn das genügt zur
wahren Einigkeit der christlichen Kirche, dass einträchtig im reinen Verständnis des Evangeliums gepredigt
wird und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden.“ In
dieser Konzentration auf die evangeliumsgemäße Predigt, deren Kern die
Botschaft vom Empfang der Gnade
Christi „allein im Glauben“ ist, und
auf die schriftgemäße Verwaltung der
Sakramente liegt das Programm, das
die Gesamtheit der reformatorischen
Christenheit eint.
Nicht zufällig bildete jener Bekenntnissatz vor gut vier Jahrzehnten
die Grundlage für die Erklärung der
Kirchengemeinschaft zwischen lutherischen und reformierten Kirchen
(Leuenberger Konkordie). So macht
jenes Programm das Jubiläum von
2017 zu einem Fest für alle Kirchen,
die sich auf die Reformation berufen.
Zugleich signalisiert es eine ökumenische Offenheit, die es erlaubt, mit Zuversicht auch auf die übrige Christenheit zu blicken.­
Haben Sie Fragen oder möchten Ihre
Meinung zu diesem Thema mitteilen?
­Schreiben Sie uns eine E-Mail an [email protected]. Ihre Beiträge veröffentlichen wir auf den Internetseiten www.evangelische-zeitung.
de und www.kirchenzeitung-mv.de.
Dorothea Wendebourg
ist Professorin für
Kirchen­geschichte
an der HumboldtUniversität zu Berlin.
Foto: promo
Sonntag, 17. Januar 2016 | Nr. 3 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Luther und seine Familie
Wie jeder Mensch wird auch der junge Martin durch seine Kindheit tief geprägt
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Der Mann in der Mönchskutte, Das
Evangelium im Turm wiederentdeckt,
Luther widersteht, Arbeit und Beruf,
Die Wut der Theologen
Bibeltexte:
2. Mose 20,12
5. Mose 5,16
Literatur:
– Heiko A. Oberman, Luther – Mensch
zwischen Gott und Teufel. Serverin
und Siedler, Berlin 1982.
– Erik H. Erikson, Der junge Mann Luther. Eine psychoanalytische und historische Studie. Suhrkamp, Berlin
1994.
– Heinz Schilling, Martin Luther, Rebell in einer Zeit des Umbruchs
C.H.Beck, München 2014.
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden
Teil 1 Martin Luther:
Sein Weg zum
Reformator
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. In welcher Beziehung stehen Ihr
Gottesbild und Ihre Erfahrung mit den
eigenen Eltern?
2. Luther hat seine Kinder nie geschlagen, obwohl er körperliche Züchtigung
nicht abgelehnt hat. War das eine Lehre aus seiner eigenen Kindheit?
3. Sein Temperament und seine Streitlust hat Luther auf seine Erziehung
zurückgeführt. Kennen Sie selbst Prägungen aus ihrer eigenen Kindheit?
Zugänge zum Thema:
– Karikaturen oder Fotos von E
­ ltern
mit ihren Kindern auswählen – Was
zeigen sie über den Erziehungsstil?
– Über eigene Erlebnisse mit Eltern
und mögliche Folgen für das Gottesbild sprechen.
Die strenge Erziehung habe ihn ins
Kloster getrieben – diese Bemerkung
Luthers hat dazu geführt, seine
Entdeck­ung des gnädigen Gottes als
Bewältigen eines Kindheitstraumas
zu bewältigen. Ein Kurzschluss, wie
der Blick auf die wahren Verhältnisse
in Luthers Familie zeigt. Der Bauernenkel und Unternehmersohn hatte
eine vergleichsweise behütete Kindheit und Jugend.
Von Ralph Ludwig
Ein Vater mit unberechenbaren Wutausbrüchen, vor dem sich das Kind in
ein Versteck flüchtet, eine Mutter, die
den kleinen Jungen wegen einer genaschten Nuss bis aufs Blut schlägt –
das kann keine Elternliebe sein. Erinnerte Luther sich nicht selbst in
späteren Jahren vor seinen Gästen an
die Armut, die zu Hause herrschte?
Die Strenge, die Schläge und die
Armut haben das Bild von Luthers
Familie lange geprägt. „Mein Vater ist
in seiner Jugend ein armer Häuer gewesen. Die Mutter hat all ihr Holz auf
dem Rücken heimgetragen. So haben
sie uns erzogen. Sie haben harte Müh-
Porträts von Hans und Margarethe Luder. Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren, 1527.
sal ausgestanden, wie sie die Welt heute nicht mehr ertragen wollte.“ (Tischreden, Januar 1533)
Die Erinnerung des erwachsenen
Mannes ist lückenhaft und darum
einseitig. Die historische Forschung
hat die Lücken gefüllt. Es ist richtig,
dass Hans Luder (so schrieb Luther
sich zunächst auch, bis er sich in „Luther“ umbenannte, nach dem griechischen Wort „eleutherius“ – der
Befreite), als der älteste Sohn Martin
am 10. November 1483 zur Welt
kam, nicht reich war. Der Sohn aus
einem wohlhabenden freien Bauerngeschlecht hatte sich, da er den Hof
nicht erben konnte, als freier Unternehmer im Kupferbergbau selbstständig gemacht, war nach Mansfeld
gezogen, da dort die Chancen, Kupfer abzubauen und zu vermarkten,
besser schienen.
Seine Frau Margarethe, geborene
Lindemann, stammte aus einem geachteten Bürgerhaus in Eisenach, das
durchaus Vermögen besaß und das
wohl – neben einem kleinen Erbe
aus der Bauernfamilie des V
­ aters
Hans Luder – einige Gulden und vor
allem Kreditwürdigkeit zur Selbstständigkeit des Schwiegersohns beigetragen hatte.
Gewiss, es ging nicht üppig zu in
der Familie Luder. Wie viele Geschwister am Tisch saßen, ist nicht
mehr genau festzustellen. Vermut-
Das Luther-Zitat
Martin Luther über seine Eltern
Mein Vater ist in seiner Jugend ein armer Häuer gewesen. Die Mutter hat all
ihr Holz auf dem Rücken heimgetragen. So haben sie uns erzogen. Sie haben harte Mühsal ausgestanden, wie sie die Welt heute nicht mehr ertragen
wollte. (Tischreden, Januar 1533)
Meine Eltern haben mich in strengster Ordnung gehalten, bis zur Verschüchterung. Meine Mutter stäupte mich um einer einzigen Nuss willen,
bis Blut floss. Und durch diese harte Zucht trieben sie mich schließlich ins
Kloster; obwohl sie es herzlich gut meinten, wurde ich dadurch nur verschüchtert. (Tischreden, März/Mai 1537)
Heute hat mir Hans Reinicke geschrieben, dass mein liebster Vater … aus
diesem Leben geschieden ist. Dieser Tod hat mich in tiefe Trauer gestürzt,
da ich zurückdachte nicht allein an seine Natur, sondern auch an die herzliche Liebe; denn mein Schöpfer hat mir durch ihn gegeben, was ich bin und
habe. Und obwohl es mich tröstet, dass er schreibt, er sei stark im Glauben
an Christus sanft entschlafen, so hat mich doch das Leid und die Erinnerung an den so freundlichen Umgang mit ihm innerlich erschüttert, dass ich
den Tod kaum jemals so sehr verachtet habe. (Luther an Philip Melanchthon. Weimarer Ausgabe, Briefwechsel Band 5, Seite 350)
Ehren ist ein viel höheres Ding als Lieben, da es nicht allein die Liebe in
sich begreift, sondern auch eine Zucht, Demut und Scheu. (Ehren) fordert,
dass man sie freundlich und mit Ehrerbietung anspreche … dass man sich
… von Herzen und mit dem Leib so stelle und erzeige, dass man viel von
ihnen halte und sie nach Gott für die Obersten ansehe.
(Großer Katechismus, Zum 4. Gebot)
lich hatte Martin, der Älteste, insgesamt acht Geschwister, von denen
vier das Erwachsenenalter erreichten
– der Bruder Jakob und drei Schwestern. Wenn die Familie auch nicht
arm war – die Mutter musste sparsam wirtschaften, was an Gewinn
anfiel, musste zum großen Teil in das
Unternehmen investiert werden.
Später erinnert sich Martin daran,
dass seine Kindheit und Jugend nicht
üppig waren.
Gelegentlich musste
er sogar betteln
Immerhin schien es selbstverständlich, dass der siebenjährige Martin in
Mansfeld zur Schule geschickt wurde,
Lesen und Schreiben und etwas Rechnen sowie Latein lernte. Die Schulbildung war damals nicht selbstverständlich, in der Familie der Mutter
allerdings schon Tradition. Und Hans
Luder war inzwischen in die Reihe
der Honoratioren der Stadt Mansfeld
aufgestiegen. Er war einer der „Vierherren“ – eine Art Bezirksbürgermeister in Mansfeld geworden.
Der kleine Martin gesteht später,
er habe nicht sonderlich viel ­gelernt
– aber das war wohl eher der mangelnden Pädagogik seiner Lehrer und
deren damals durchaus üblichen Prügeldisziplin zuzuschreiben. Dennoch
war er sich s­einer besonderen Bildung bewusst, auch, dass sie ihm von
­ ltern ermöglicht wurde. Aber
seinen E
was erinnert ein Kind schon von diesem Geschenk, da es doch die Schule
selbst kaum so empfinden kann?
Eine höhere Schulbildung war in
Mansfeld nicht möglich. So schickten die Eltern den Vierzehnjährigen
zusammen mit einem Freund zunächst ins rund 70 Kilometer entfernte Magdeburg, ein Jahr später
nach Eisenach, wo er bei Verwandten seiner Mutter wohnen konnte.
Diese haben ihn wohl gut unterstützt, dennoch waren die Schul- und
Studentenjahre nicht reich ausgestattet. Später erinnert er sich, er habe
„um sein Brot singen“ und gelegentlich auch betteln müssen.
Den Eltern lebenslang
dankbar fürs Schulgeld
Man hat aus dieser Bemerkung früher auf eine armselige Schülerzeit
geschlossen – eine Fehleinschätzung.
Das Umhergehen von Schülern in
Gruppen, das Singen und dafür kleine Essensgaben, „Parteken“, zu sam-
Foto: pixabay
meln, war damals üblich. Die Eltern
kamen jedenfalls für das Schulgeld
auf, für Kost und Logis war gesorgt
– und Luther war seinen Eltern dafür lebenslang dankbar. Er wusste,
wie sehr er deren Haushalt belastete.
Vielleicht scheint etwas von ­dieser
Dankbarkeit auf, als Luther später
(1527) im „Großen Katechismus“ das
vierte Gebot auslegt. „Die Eltern ehren“ heißt mehr und anderes, als sie
lieben: „Ehren ist ein viel höheres
Ding als Lieben, da es nicht allein die
Liebe in sich begreift, sondern auch
eine Zucht, D
­ emut und Scheu, wie
leisten. Sein Sohn soll Jura studieren
– in der Familie der Mutter gab es
eine Reihe von Rechtsgelehrten, so
scheint dem ­Vater diese Berufswahl
vernünftig und vor allem aussichtsreich. Für den Lebensunterhalt in Erfurt kommt er auf – Martin kann ein
angesehenes Studentenheim beziehen, das einen geordneten Studiengang verheißt.
Der junge Mann absolviert das
dreijährige Grundstudium, wird zum
Magister artium und beginnt im
Sommer 1505, knapp 22 Jahre alt, das
geplante Jurastudium. An einen
Zwang oder ein Drängen des Vaters
erinnert sich der erwachsene Luther
nicht – wohl aber an dessen bittere
Enttäuschung, als er nur w
­ enige Monate später wegen eines Gewittererlebnisses das Studium hinschmeißt
und ins Kloster geht.
In einem Brief versucht Luther,
seinen Vater zu beschwichtigen, ihm
seine Gründe zu erklären und so Verständnis für seine Entscheidung zu
erreichen. Wie sein Vater darauf reagiert hat, wissen wir nicht. Offenbar
aber hat er sich ­damit abgefunden.
Mehr noch: Zwei Jahre später, als
Martin Priester wird und im Jahr
1507 seine Primiz feiert, die erste
Messe eines neugeweihten Priesters,
zieht Vater Hans mit 20 Reitern in
Erfurt ein und beschenkt das Kloster
seines Sohnes mit einer großzügigen
Spende. Wohl kaum die Geste eines
verärgerten oder auch nur schmollenden Vaters.
Enttäuschter Vater
respektiert Martins Weg
Hat Luther seine Eltern geliebt? Vielleicht ist diese Frage falsch gestellt. Er
hat sehr wohl gewusst, was er ihnen
zu verdanken hat. Als er im Mai 1530
erfährt, dass sein Vater gestorben ist,
schreibt er an seinen Freund Philipp
Melanchthon: „Dieser Tod hat mich
in tiefe Trauer ­gestürzt, da ich zurückdachte nicht allein an seine Natur,
sondern auch an die herzliche Liebe;
denn mein Schöpfer hat mir durch
ihn gegeben, was ich bin und habe.“­
Schuljunge Luther: Skulptur in
Mansfeld. Foto: epd/Jens Schlüter
gegen eine Majestät, allda verborgen.“ Man muss von ihrem Wesen
absehen, sie sind und bleiben ein Geschenk, „ob sie gleich gering, arm,
gebrechlich und wunderlich seien,
sie (sind) dennoch Vater und Mutter,
von Gott gegeben“.
Als Martin sich mit 18 Jahren als
Student an der Universität Erfurt immatrikuliert, gilt sein Vater immerhin
schon als wohlhabend – er kann sich
die hohen Immatrikulationskosten
Schreiben Sie uns eine E-Mail an [email protected] oder diskutieren Sie zum Thema mit dem Reformationsbeauftragten der EKBO, Pfarrer Bernd Krebs, und Professor Wolf
Krötke in unserem Reformations-Blog
https://glaubenskurs­r eformation.­
wordpress.com.
Ralph Ludwig, Theologe und bis 2006
Redakteur beim
Norddeutschen
Rundfunk (Religion und
Gesellschaft), arbeitet
als Schriftsteller.
Foto: privat
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 24. Januar 2016 | Nr. 4 NK
Der Mann in der Mönchskutte
Von einem, der auszog, sich das Wohlwollen eines strengen Gottes zu erarbeiten – und einen gnädigen Gott entdeckte
1521, während des Zwangsexils auf
der Wartburg, systematisch durchdacht und in seinem „Urteil über die
Mönchsgelübde“ (De votis monastici
siudicium) schriftlich ausgearbeitet.
Er selbst war, wie er jetzt erkannte,
mit dem Eintritt ins Kloster nicht
dem Ruf Gottes gefolgt; Gott wohlgefällig wäre es gewesen, entsprechend
dem vierten Gebot seinem Vater zu
gehorchen. Dennoch wollte Luther
rückblickend die Klosterjahre nicht
missen und erkannte auch darin Gottes Plan für sein Leben. Auch noch
nach der Rückkehr von der Wartburg
setzte er in Wittenberg zunächst sein
gewohntes Mönchsleben fort. Grundsätzlich hielt Luther ein im evangelischen Sinne verstandenes Mönchtum
für möglich, auch wenn er bei seinen
Zeitgenossen für diese Ansicht wenig
Verständnis fand.
Erst 1524 legte er die Kutte ab, und
mit seiner Hochzeit mit Katharina
von Bora, einer ehemaligen Nonne,
verabschiedete er sich endgültig vom
Mönchsdasein, auch wenn er mit seiner Familie in seinem alten Kloster
wohnen blieb. In ganz Deutschland
verließen damals Mönche und Nonnen in großer Zahl die Orden, und
überall in den evangelischen Territorien wurden die Klöster aufgelöst und
ihr Besitz verstaatlicht.
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden
Teil 1 Martin Luther:
Sein Weg zum
Reformator
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Was fasziniert, was befremdet Sie
am Mönchtum?
2. Worin erkennen Sie mönchisches
Erbe im Protestantismus?
3. Wie könnte ein evangelisches
Mönchtum heute aussehen?
Zugänge zum Thema:
– Besuch des Erfurter Augustiner­
klosters oder eines anderen Klosters
Wenn ich das Gewitter heil überstehe, gehe ich ins Klos­ter, soll Luther
gesagt haben. Er überlebte und tat
es, warf das Jura-Studium hin. Folgte
er einem Ruf Gottes oder war das ein
folgenschwerer Irrtum?
Von Wolf-Friedrich Schäufele
Es gehört zu den Eigenarten der aus
der Reformation hervorgegangenen
Kirchen, dass sie allesamt die alte
christliche Lebensform des Mönchtums abgeschafft haben. Darüber vergisst man nur zu leicht, dass Luther
selbst während des mittleren Drittels
seines Lebens Mönch gewesen ist und
als Mönch den Zugang zum reformatorischen Evangelium gefunden hat.
Der Eintritt ins Erfurter Kloster
der Augustinereremiten im Jahr 1505
war die erste große Zäsur in Luthers
Leben. Er erfüllte damit ein Gelübde,
das er zwei Wochen zuvor während
eines Gewitters in Lebensgefahr abgelegt hatte. Zugleich ­entzog er sich so
den Plänen seines Vaters, der für ihn
eine Karriere als Jurist und eine reiche Heirat vorgesehen hatte. Tatsächlich hatte Luther wohl schon länger
mit dem Gedanken eines Klosterlebens gespielt.
Suche nach dem Weg
zum Seelenheil
Es war die große Frage seines Lebens,
die ihn ins Kloster führte: die Frage
nach dem gnädigen Gott, die Frage,
wie der Sünder vor dem Gericht des
gerechten Gottes bestehen konnte.
Das Leben als Mönch, ein Leben beständiger Buße in Armut, Keuschheit
und Gehorsam, galt als der sicherste
Weg zum Seelenheil.
Luther nahm das Klosterleben
sehr ernst. Sorgfältig erfüllte er seine
Pflichten, er studierte die Bibel und
oblag mit großem Eifer asketischen
Übungen wie Fasten und Nachtwachen. Doch sein sensibles, skrupulöses Gewissen ließ sich nicht beruhi-
Bergpredigt gilt nicht
nur für geistliche Elite
Luther als Mönch.
gen. Deutlich erkannte er, dass noch
so große Gewissenhaftigkeit und
noch so ernstes Bemühen nicht ausreichten, ihn vor Gott gerecht zu machen. Auch der Gedanke an den gekreuzigten Christus, den ihm sein
Beichtvater und Ordensoberer Johann von Staupitz vorhielt, vermochte Luther vorerst nicht zu beruhigen.
Die Anfechtungserfahrungen seiner „Klosterkämpfe“ verhinderten
übrigens nicht, dass Luther in seinem
Orden „Karriere machte“ – im Gegenteil. Staupitz übertrug ihm 1512 die
von seinem Orden zu besetzende
Theologieprofessur an der Universität
Wittenberg und machte ihn dort zum
Klosterprediger. Außerdem wurde
Luther Subprior als stellvertretender
Leiter des Wittenberger Klosters und
Distrikts­vikar für zehn Klöster in
Sachsen und Thüringen.
Auch wenn Luther zeitlebens unter
Anfechtungen zu leiden hatte, fand er
in der Einsicht, dass der Sünder nicht
aus eigenen Verdiensten, sondern allein aus Gnade um Christi willen
durch den Glauben vor Gott gerecht
wird, endlich die Lösung für die Kämpfe, die er im Kloster durchgefochten
hatte. Mehr noch – diese Einsicht führte ihn zu einer theologischen Fundamentalkritik am Mönchtum.
Sofern das Klosterleben dazu dienen sollte, Verdienste vor Gott zu er-
Foto: Wikipedia
werben und so aus eigener Kraft die
Seligkeit zu erlangen, stand es im genauen Gegensatz zum Evangelium
von der Rechtfertigung aus Gnade
und war Ausdruck von Werkgerechtigkeit, ja von Götzendienst, der das
Heil nicht von Gott, sondern anderswoher erwartete.
Mönch auch noch nach
seiner Wartburg-Zeit
Und indem es das Gewissen mit ewigen Gelübden an von Menschen gemachte Vorschriften band, widersprach es der evangelischen „Freiheit
eines Christenmenschen“. Luther hat
diese Konsequenzen aus seiner reformatorischen Einsicht im November
Auch wenn Luther das Mönchtum als
vermeintlich sicheren Weg zur ewigen
Seligkeit aufgrund eigener Leistungen
verwarf, so hielt er doch zeitlebens an
der Kompromisslosigkeit und dem religiösen Ernst des mönchischen Lebensideals fest – ja, er dehnte dieses sogar
über das Mönchtum hinaus auf alle
Christen aus. Im Mittelalter hatte man
geglaubt, für die gewöhnlichen Gemeindeglieder reiche es aus, nach den
Zehn Geboten zu leben, während die
höhere christliche Vollkommenheit im
Sinne der Bergpredigt nur von den Ordensleuten verlangt werde. Luther verwarf diese Zwei-Stufen-Ethik. Gottes
Forderung galt universal, für alle Menschen, nicht nur für eine religiöse Elite.
Seinen Willen vollkommen zu erfüllen,
war unterschiedslos allen Menschen
aufgegeben – und weil unter der Macht
der Sünde kein Mensch dazu fähig war,
musste Gottes Gesetz alle Menschen
dazu treiben, allein auf Gottes Gnade
und nicht auf eigene Leistungen zu vertrauen. Der gleiche Grundgedanke lag
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Das Evangelium im Turm wiederentdeckt; Arbeit und Beruf
Bibeltexte:
Lukas 18,9–14
Literatur:
– Athina Lexutt/Volker Mantey/ Volkmar Ortmann (Hg.), Reformation und
Mönchtum. Aspekte eines Verhältnisses über Luther hinaus, Tübingen2008
auch der ersten der berühmten 95
Thesen zum Ablass zu Grunde: „Da
unser Herr und Meister Jesus Christus
sagt: ‚Tut Buße‘, wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein sollte.“
Auch weltliche Berufe
sind Gottesdienst
Auch hier übertrug Luther ein ursprünglich auf das Mönchtum beschränktes Frömmigkeitsideal – Bu­
ße als Lebenshaltung im
umfas­s­en­­­den Sinne – auf das christliche Lebe­n überhaupt. Die Mönche
und Nonnen hatten für Luther nun
keinen Vorrang mehr vor den einfachen Gläubigen. Die tägliche Erwerbsarbeit der Bauern und Handwerker war für ihn nicht weniger
göttlicher „Beruf“ (Berufung, vocatio), als es nach Ansicht des Mittelalters der Ordensstand gewesen war; ja,
man konnte darin Gott und dem
Nächsten sogar mehr und besser dienen. Wenn der Protestantismus den
weltlichen „Beruf“ als Gottesdienst
versteht und das ganze Leben der
Gläubigen in letzter Konsequenz unter den ernsten Anspruch und den
befreienden Zuspruch Gottes stellt,
ist das ein Erbe des Mannes in der
Mönchskutte.
Schreiben Sie uns Ihre Meinung an
[email protected] oder diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Bernd Krebs und Professor Wolf Krötke in unserem Reformations-Blog https://glaubenskursreformation.wordpress.com.
Wolf-Friedrich
Schäufele ist Prodekan
und Professor für
Kirchengeschichte an
der Universität Marburg.
Foto: privat
Das Luther-Zitat
Martin Luther über die Klostergelübde
Die Klosterleute sind ebenso oder gar noch ärger als die Priester der Heiden. (…) Denn sie geloben ihre Gelübde in der Absicht, sich dadurch selbst
gerecht und selig zu machen. Das sollten sie allein von der Barmherzigkeit
Gottes erwarten, schreiben es aber ihren eigenen Werken zu. So beten sie
durch ihre Gelübde das Werk ihrer Hände an und verehren es als einen
Gott. (…) Wenn sich deshalb jemand bewusst ist, dass er seine Gelübde in
dieser gotteslästerlichen, schändlichen Absicht abgelegt hat, dann soll er
nicht wegen der Gewalt des Papstes oder der Beschimpfung des Pöbels
zögern, sondern seine Seligkeit vor alles stellen und das Gelobte samt dem
Gelübde fahrenlassen. (…) Wenn aber jemand will und kann, mag er Gelübde und Orden halten, die Gottlosigkeit des Gelübdes aber abtun.
(aus Luthers Thesen über die Klostergelübde von 1521)
Die Lutherzelle im Augustinerklosters zu Erfurt. Das heute evangelische Kloster, in dem Martin Luther 1505 bis 1512 als
Student gelebt hat, beherbergt eine der bedeutendsten kirchlichen Bibliotheken Deutschlands.
Foto: epd
Sonntag, 31. Januar 2016 | Nr. 5 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Das Evangelium im Turm entdeckt
Warum für Martin Luther der Glaube an Christus die Menschen in eine neue Freiheit führt
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden
Teil 1 Martin Luther:
Sein Weg zum
Reformator
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Sind Martin Luthers Fragen Ihre
Fragen?
2. Was ist Ihr Problem mit dem Glauben an Gott?
3. Woran denken Sie, wenn von der
„Gerechtigkeit Gottes“ die Rede ist?
Zugänge zum Thema:
- Besuch der Lutherstube in Wittenberg
- Lied „Nun freut euch lieben Christengmein“ (EG 341)
Von Wolf Krötke
Wir werden in eine andere Zeit versetzt, wenn wir uns heute an die Reformation erinnern. Dass Gott die
Welt geschaffen hat und regiert, bezweifelte damals niemand. Dass jeder
Mensch sein Leben vor Gott auch
über den Tod hinaus zu verantworten
hat, war selbstverständlich. Wenn die
Kirche jener Zeit versprach, Menschen diese Verantwortung zu erleichtern, stieß das auf offene Ohren.
Eine besondere Rolle spielte dabei die Lehre vom „Fegefeuer“. Sie
behauptete, dass die Verstorbenen,
bevor sie in das ewige Leben kommen, zu ihrer Reinigung erst Strafen
für ihre Sünden erleiden müssen.
Die Kirche bot an, Menschen dieses
Geschick durch von ihr verordnete
Bußleistungen zu ersparen. Dabei
sank die Buße auf das Niveau eines
Geldgeschäftes zwischen der Kirche
und den verängstigten Gläubigen herab. „Sobald das Geld im Kasten
klingt, die Seele in den Himmel
springt“ – so oder ähnlich soll der
Eintreiber des „Ablasses“, Johann
Tetzel, gepredigt haben.
Nicht nur Luther, sondern eine
Reihe von Reformbewegungen haben
sich gegen einen solchen Missbrauch
der Buße gewandt. Aber erstaunlicherweise hat eine eher unscheinbare
Aktion die „Reformation“ der Kirche
ausgelöst. Der Wittenberger Theologieprofessor Martin Luther heftete
am 31. Oktober 1517 insgesamt 95
lateinische Thesen über den Ablass
für eine akademische Diskussion an
die Tür der Schlosskirche. Das war das
„schwarze Brett“ der Universität. Mit
Im Kostüm des Reformators Martin Luther zieht Bernhard Naumann am Reformationssonntag zur Schlosskirche (im Hintergrund) in Wittenberg. Der
Überlieferung nach schlug dort Martin Luther (1483–1546) am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an. Dies gilt als Beginn der weltweiten
Reformation der Kirche.
Foto: dpa/Hendrik Schmidt
„Hammerschlägen“, welche die Welt
erschütterten – wie es auf Bildern
und im Kino dargestellt wird – hatte
das wenig zu tun. Die Thesen waren
zudem noch nicht einmal wirklich
„reformatorisch“. Denn Luther teilte
in ihnen die katholische Meinung,
dass Buße eine Leistung sei, die Menschen erbringen müssen, um vor
Gott bestehen zu können. Kritisiert
wurde ihre Veräußerlichung durch
Geldzahlungen. Unser ganzes Leben
soll eine Buße sein, lautete darum
die erste der 95 Thesen.
Seine eigentliche „reformatorische
Entdeckung“ hat Luther in verschiedenen Rückblicken als Frucht seiner
Bibelauslegung dargestellt. Über dem
Studium von Römer 1, 17 sei ihm die
entscheidende Erleuchtung gekommen. Dass ihm dies auf der „Kloake“
widerfuhr, wie er bei Tische erzählte,
ist von seinen Gegnern weidlich aus-
Das Luther-Zitat
Martin Luther über seine reformatorische Entdeckung in Römer 1, 17:
Tischrede von 1532:
„Gottes Gerechtigkeit ist das, wodurch wir gerecht gemacht und gerettet
werden. Jene Worte sind mir überaus lieb geworden. Diese Kunst hat mir
der Heilige Geist auf dieser Kloake auf dem Turm eingegeben.“
Vorrede zum 1. Band der Gesamtausgabe der lateinischen Werke, 1545:
„Ich hasste nämlich dieses Wort ‚Gottes Gerechtigkeit‘, das ich […] philosophisch zu verstehen gelehrt worden war: Von der sogenannten formalen
oder aktiven Gerechtigkeit, mit der Gott selbst gerecht ist und die Sünder
und Ungerechten straft. Ich aber konnte den gerechten, die Sünde strafenden Gott nicht lieben, hasste ihn vielmehr. Denn obwohl ich als untadeliger Mönch lebte, fühlte ich mich vor Gott als Sünder und unruhig in
meinem Gewissen und getraute mich nicht zu hoffen, dass ich durch meine
Genugtuung versöhnt sei [...]. Bis Gott sich meiner, der ich Tag und Nacht
nachdachte, erbarmte und ich den Zusammenhang der Wörter (in Römer
1, 17) beachtete: Nämlich ‚Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbar, wie
geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben‘. Da begann ich
Gottes Gerechtigkeit zu verstehen: Als ein Geschenk Gottes, durch das der
Beschenkte als Gerechter lebt: nämlich aus Glaube und ich merkte, dass
das so zu verstehen sei: Durch das Evangelium wird Gottes Gerechtigkeit
offenbar als passive, mit der uns der barmherzige Gott gerecht macht durch
Glauben. Nun fühlte ich mich ganz und gar neu geboren.“
geschlachtet worden. Kern der Sache
ist, dass sich sein Arbeitszimmer im
Turm des „Schwarzen Klosters“ in
Wittenberg befand, in dem unten
auch dieser Ort war. Indem Luther
das erwähnte, wollte er wohl sagen,
dass jenes „Turmerlebnis“ einem ganz
Unwürdigen widerfuhr.
Das früheste Zeugnis von seiner
Entdeckung ist ein Brief vom 31.
März 1518 an den Generalvikar Johann Staupitz. „Ich lehre die Menschen“, schreibt er da, „auf nichts anderes zu vertrauen als auf Jesus Christus allein, nicht aber auf Gebete und
auf ihre verdienstlichen Werke, weil
wir nicht durch eigenes Bemühen,
sondern durch die Barmherzigkeit
Gottes gerettet werden.“
Gottes Gerechtigkeit ist
Freispruch aus Gnade
Der Kernpunkt dieser Erkenntnis war
das Verständnis der „Gerechtigkeit
Gottes“, von der Paulus im Römerbrief redet. Die Kirche zu Luthers Zeit
lehrte: Gott ist gerecht, indem er jedem Menschen das zukommen lässt,
was er verdient. Den, der gottgefällig
lebt, belohnt er; den, der das nicht tut,
bestraft er. Paulus aber sagt: Gottes
Gerechtigkeit wird im Evangelium (!)
– der guten Botschaft von Gottes Eintreten für sündige Menschen – offenbar. Das bedeutet: Er spricht sie ohne
Bedingungen aus „Gnade“ gerecht.
Glauben sie dieser Zusage, dann sind
sie von Gott angenommen.
Diese Erkenntnis war der eigentliche Anfang der Reformation. Sie stellte die Institutionen infrage, mit denen die Kirche damals das Heil verwaltete. Sie barg ein neues Menschenverständnis in sich, das große Kreise
über eine akademische Diskussion
hinaus zog. Es steckte in der Einsicht,
dass jeder Mensch trotz seines gottwidrigen Lebens ein von Gott aner-
kannter Mensch ist. Gott löst mit
dem Evangelium die Fesseln, die
Menschen sich anlegen, um sich mit
ihren Taten als Menschen zu beweisen. Er vergibt ihnen, was sie damit
anrichten. Er macht sie frei vom
„Kurven“ in sich selbst. Er macht sie
frei zu einem Leben, in dem sie Freude daran haben, für ihre Mitmenschen einzutreten.
Nicht zufällig trägt Luthers berühmteste Schrift aus dem Jahre 1520
den Titel „Von der Freiheit eines
Christenmenschen“. Die Evangelische
Kirche in Deutschland hat darum das
Reformationsjubiläum unter das
Motto „Kirche der Freiheit“ gestellt.
Aber die Glocke dieser Freiheit klingt
heute ziemlich anders als vor 500 Jahren. Sie holt nicht Mönche aus der
Klosterzelle. Sie trifft nicht auf Menschen, die Angst vor Gott haben. Sie
läutet vielmehr für Menschen, die der
Frage ausgesetzt sind, ob überhaupt
ein Gott sei, der ihrem Leben Grund
und Sinn gibt.
„Sinn“ bedeutet: in einen Zusammenhang zu gehören, in dem ein
Mensch sich geborgen und bejaht
weiß. Sinnlosigkeit ist das Herausfallen aus allen Zusammenhängen. Es
ist das Lebensgefühl, nirgendwo hinzugehören. Was bleibt, ist in derartiger Öde menschlichen Lebens ohne
Perspektive ein Abstrampeln mit
den privaten und öffentlichen Problemen unseres irdischen Lebens, solange es eben geht.
In dieser Situation bekommt Luthers „reformatorische Entdeckung“
eine neu zugespitzte Pointe. Sie besteht darin, dass Christen ihr Leben
inmitten von noch so viel Atheismus, Gottesvergessenheit, religiösem Firlefanz und leider auch Fanatismus ganz von der Menschenfreundlichkeit Gottes bestimmen
lassen. Sie wissen dabei wohl, wie
sehr sie hinter dieser Bestimmung
hinterherhinken. Anders als auf
Gottes Vergebung angewiesen zu
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen:
Luther widersteht; Luthers Reformprogramm, Christsein: Frei sein und
verpflichtet, Seelsorge.
Bibeltexte:
Römer 1, 16f.; Römer 3, 28; 2. Korinther
5, 17
Literatur:
- Luthers Tischreden, zusammengestellt von Jürgen Henkys, Leipzig
2003, S. 21-44: Lebensweg und
Selbstbild
- Rat der EKD: Rechtfertigung und
Freiheit, Gütersloh 2014
sein, kann man nicht das Leben eines von Gott geliebten Menschen
führen. Aber indem Gott „all Morgen frisch und neu“ mit uns einen
neuen Anfang macht, ermutigt uns
sein guter Geist doch, sich unserer
Auszeichnung als in Zeit und Ewigkeit bejahter Menschen zu freuen.
Mit „Nun freut euch, lieben
Christengmein“ beginnt eines der
„reformatorischsten“ Lieder Martin
Luthers (EG 341). Ohne Freude an
Gott verkrampft und verdampft die
christliche Freiheit in allerlei kirchlichen Ideologien und Programmen.
Freude an Gott aber hat Teil an seiner Liebe zu allen Menschen, die er
als seine Geschöpfe bejaht – gleich in
welcher Religion und Weltanschauung sie auch leben. Für die Würde
aller Menschen einzutreten, die von
Gott gewürdigt sind, Partnerin und
Partner seiner Menschenliebe zu
sein, ist deshalb die große Leidenschaft der Christenheit.
Wolf Krötke ist Professor für Systematische
Theologie an der Humboldt-Universität zu
Berlin.
Foto: privat
Sonntag, 7. Februar 2016 | Nr. 6 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
„Widerrufen kann ich nicht“
Bekennermut eines Theologie-Professors vor dem Kaiserthron
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden
Teil 1 Martin Luther:
Sein Weg zum
Reformator, Folge 6
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. W
ie verstehen Sie Gewissen?
2. Welche Bedeutung haben Glaubens- und Gewissensfreiheit?
3. Was hat Glaube mit Zivilcourage
zu tun?
4. Wobei sind Sie schon einmal in einen Gewissenskonflikt geraten?
Zugänge zum Thema:
– Lektüre der Rede Luthers in Worms,
im Internet: Projekt Gutenberg.de,
http://gutenberg.spiegel.de/buch/
martin-luther-sonstige-texte-270/5
Luthers Auftreten auf dem Reichstag
in Worms 1521 ist die Geburtsstunde
der Gewissensfreiheit. Zum ersten
Mal in der Geschichte berief sich ein
Mensch vor Kaiser und Reich auf
sein Gewissen – und zwar auf sein in
Gottes Wort gefangenes Gewissen.
Von Johannes Schilling
Mit der Veröffentlichung der 95 Thesen gegen die Ablasspraxis hatte Luther die kirchliche Obrigkeit herausgefordert – der zuständige Erzbischof
Albrecht von Mainz leitete die Thesen nach Rom weiter, und die römische Kirche eröffnete ein Rechtsverfahren gegen den Wittenberger
Professor. Nachdem sich in Gesprächen mit Vertretern der römischen
Kirche, insbesondere mit Kardinal
Cajetan in Augsburg im Oktober
1518 keine Verständigung ergeben
und Luther auch auf der Disputation
in Leipzig im Sommer 1519 zu erkennen gegeben hatte, dass er seine
Stellungnahme nicht widerrufen
werde, wurde ihm zunächst der
Bann, die Exkommunikation, der
Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft, angedroht.
In der Bulle „Exsurge, Domine“
(Erhebe dich, Herr) vom 15. Juni 1520
verurteilten Papst und Kurie 41 Aussagen Luthers als „häretisch oder anstößig oder falsch oder fromme Ohren verletzend oder einfache Gemüter verführend und der katholischen
Wahrheit widerstrebend“.
Doch auch diese Androhung erbrachte nicht das von der Kirche gewünschte Ergebnis. Daher war die Exkommunikation die zwingende Folge.
Sie wurde am 3. Januar 1521 mit der
Bannbulle „Decet Romanum pontificem“ ausgesprochen. Nach dem mittelalterlichen Ketzerrecht war es nun
Sache der weltlichen Obrigkeit, den
Ketzer dem „weltlichen Arm“, also einer von der weltlichen Gewalt zu vollstreckenden Strafe zuzuführen.
Vorladung vor die
Größen des Reiches
So wurde Luther vor den Reichstag
geladen, der am 27. Januar 1521 in
Worms eröffnet wurde. Die „Luthersache“ war auf diesem Reichstag eigentlich eine Nebensache – es ging
vor allem um Verwaltungs- und um
Verteidigungsfragen angesichts der
Bedrohung durch die Türken. Im kollektiven Gedächtnis aber ist von diesem Reichstag nichts übrig geblieben
als eben die „Causa Lutheri“, die Luthersache.
Luther in Worms. Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert.
„Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift
oder einen klaren Grund widerlegt werde,
bin ich durch die von mir angeführten
Worte der Schrift überwunden. Und da mein
Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist,
kann und will ich nichts widerrufen,
weil es gefährlich und unmöglich ist,
etwas gegen das Gewissen zu tun.“
Luther auf dem Reichstag zu Worms
Luthers Landesherr, Kurfürst
Friedrich der Weise von Sachsen, hatte die Vorladung Luthers nach Worms
durchgesetzt. Mit dem Auftreten auf
dem Reichstag veränderte sich der
Blick auf den Wittenberger Professor.
Hatte sich die öffentliche Aufmerksamkeit zunächst auf die neue Lehre
gerichtet, so trat nunmehr Luthers
Person verstärkt in den Blickpunkt.
Auf der Reise von Wittenberg nach
Worms wurde Luther in Erfurt als
neuer Herkules begrüßt, der angetreten sei, den Schafstall Christi zu reinigen. Auch in Frankfurt und Worms
wurde er wie ein Heilsbringer in
Empfang genommen.
Am 16. April traf Luther nach
zweiwöchiger Reise in Worms ein, am
folgenden Tag wurde er zum ersten
Mal verhört. Nach der erbetenen und
gewährten Bedenkzeit nahm er am
18. April Stellung zu seinen Schriften.
Er bekannte sich zu dem, was er geschrieben hatte, hielt seine Schriften
zu Glauben und Sitten für evangeliumsgemäß, die gegen den Papst für
berechtigt und gab zu, dass er über
einzelne Personen vielleicht gelegentlich zu hart geurteilt habe. In der Sache aber blieb er fest – einen Widerruf lehnte er unter Bezug auf die Heilige Schrift und die Vernunft ab.
Mediale Aufregung in
der Öffentlichkeit
Das öffentliche Interesse an seiner
Person und seiner Sache schlug sich
in einer großen Zahl von Flugschrif-
Das Luther-Zitat
Martin Luther über seine Schriften und seinen möglichen Widerruf
„Weil ich aber ein Mensch bin und nicht Gott, kann ich meine Schriften nur
so verteidigen, wie mein Herr Jesus Christus seine Lehre verteidigt hat. (…)
Darum bitte ich um der Barmherzigkeit Gottes willen Eure Majestät, Eure
durchlauchtigsten Herrschaften oder wer auch immer es vermag (…) wolle
Zeugnis geben, die Irrtümer widerlegen, sie mit Propheten- und Evangelienworten überwinden; denn ich werde, wenn ich belehrt worden bin, bereit
sein, jeden Irrtum zu widerrufen und meine Bücher als erster ins Feuer zu
werfen.“ (aus Luthers Rede vor Kaiser und Reich am 18. April 1521)
Foto: Wikipedia
ten nieder – es waren nicht weniger
als 28 Schriften in einer Auflage von
mehr als 100, die in verschiedener
Weise von Luther auf dem Reichstag
berichteten und die nahezu alle Lesekundigen im Reich und in den
Nachbarländern erreichen konnten.
Dabei waren sich die Zeitgenossen der Gefahr bewusst, in der Luther schwebte, – die Erinnerung an
Jan Hus’ Schicksal, der ein Jahrhundert zuvor, 1415 auf dem Konzil in
Konstanz, als Ketzer verbrannt worden war, war noch lebendig. Albrecht Dürer etwa schrieb in diesen
Wochen: „O Gott, ist Luther tot, wer
wird uns hinfort das Evangelium so
klar vortragen?“
Es ging um mehr als
die Personalie Luther
Eines ist deutlich: Es ging den aufmerksamen und engagierten Zeitgenossen nicht nur um Luthers Person,
sondern auch um die Frage, wie es
mit „dem Evangelium“ und mit der
Geschichte weitergehen werde. Luthers Geschichte wurde sogar als
eine neue Passionsgeschichte dargestellt. So wie Christus vor Kaiphas
gestanden habe, so habe Luther vor
dem Kaiser Karl V. gestanden – als
ein zweiter Christus gleichsam, dessen Schicksal sich in Luthers Geschick erneuere.
Luther selbst hat diesen Vergleich
scharf zurückgewiesen: „Ich bitte,
man möchte meinen Namen verschweigen und sich nicht lutherisch,
sondern Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein,
und ich bin auch für niemanden gekreuzigt“, schrieb er 1522 in der
Schrift „Eine treue Ermahnung an
alle Christen, sich vor Aufruhr und
Empörung zu hüten“.
Am 8. Mai 1521 erging das Wormser Edikt, der Erlass Kaiser Karls V.,
den der Reichstag am 26. Mai veröffentlichte. In ihm wurde die Reichsacht über Luther verhängt und die
Lektüre und Verbreitung seiner
Schriften verboten. Luther war nun-
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Das Evangelium im Turm entdeckt
Luthers Reformprogramm
Christsein: Frei sein und verpflichtet
Dem Volk auf’s Maul schauen
Bibeltext: Römer 13
Literatur:
– Der Reichstag zu Worms von 1521.
Reichspolitik und Luthersache.
Herausgegeben von Fritz Reuter. 2.
Auflage Köln 1981.
– Martin Brecht, Martin Luther. Sein
Weg zur Reformation. Stuttgart
1981 u.ö.
vogelfrei, niemand durfte ihn beherbergen, ja, er sollte als überführter
Ketzer ausgeliefert und seiner Verurteilung zugeführt werden.
Dazu aber kam es nicht. Luther
wurde auf die Wartburg verbracht,
wo er als „Junker Jörg“ in der Einsamkeit der Burg in den nächsten
Monaten eine Hochphase seiner literarischen Produktion erlebte – er
verfasste Schriften und Briefe, eine
Postille und übersetzte das Neue Testament in die deutsche Sprache. Zum
ersten Mal in der Geschichte der
deutschen Sprache übertrug e i n
Mensch das ganze Neue Testament
ins Deutsche, und diese Erst- und
Einmaligkeit hat die Jahrhunderte
überdauert bis auf den heutigen Tag.­
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Reformationsbeauftragten Pfarrer
Bernd Krebs und Professor Wolf
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Johannes Schilling
ist Professor
für Kirchengeschichte
an der Universität Kiel
und Präsident
der Luther-Gesellschaft.
Foto: Uni Kiel
Sonntag, 14. Februar 2016 | Nr. 7 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Luthers Reformprogramm
Ein Theologieprofessor legt den Grundstein für die moderne Gesellschaft mit ihrer Trennung von Staat und Religion
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Kirche in Gefangenschaft oder Mauerfall in der Kirche; Bildung für alle;
Die Kirche kann irren, Kirche und Obrigkeit
Bibeltexte:
1. Petrusbrief 2,9–10; 1. Korintherbrief
12; Galaterbrief 5,1; Römerbrief 13, 1-8
Literatur:
– Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs,
München 2012, S. 190ff.
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 7
Teil 2: Entfaltung der
reformatorischen
Lehre
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Ist die evangelische Kirche, obwohl
sie sich auf das Priestertum aller
Gläubigen beruft, nicht weitgehend
eine Pastorenkirche?
2. Papsttum und Zölibat sind in der
evangelischen Kirche abgeschafft, in
der Kirche herrscht Demokratie. Warum ist die evangelische Kirche trotzdem für viele Menschen unattraktiv?
3. Luther forderte eine umfassende
Reform des Bildungswesens. Im Zentrum stand bei ihm das Studium der
Bibel. Was macht heute ein zeitgemäßes evangelisches Bildungswesen
aus?
formatorisches Schriftverständnis –
die Schrift legt sich selbst aus und
kann von allen gelesen und verstanden werden – und gegen die dritte
den geschichtlichen Hinweis, dass die
altkirchlichen Konzilien nicht vom
Bischof von Rom, sondern vom Kaiser einberufen wurden; allen voran
das Konzil zu Nicäa (325 nach Christus), auf welchem die Trinitätslehre
dogmatisiert wurde.
Was Luther
praktisch vorschlug
In „Reformation“ steckt „Reform“.
Viele stieß Luther an. Damals bedeuteten sie einen grundlegenden Wandel. Für die moderne Gesellschaft
und evangelische Christen sind sie
heute selbstverständlich. Etwa
­öffentliche Schulen auch für Mädchen, Trennung von Kirche und Staat,
das sogenannte Priestertum aller
Gläubigen. Sein Programm entwarf
Luther 1520 in der Schrift „An den
christlichen Adel“.
Von Ulrich Körtner
Wenn man fragt, was die evangelische
von der römisch-katholischen Kirche
unterscheidet, kommen schnell folgende Antworten: In der evangelischen Kirche dürfen Pfarrer heiraten.
Seit einigen Jahrzehnten werden
auch Frauen ordiniert. Außerdem ist
die Kirche demokratisch verfasst. In
den meisten Synoden sitzen paritätisch Ordinierte und Nichtordinierte
und leiten gemeinsam die Kirche. Die
Gemeinden wählen ihren Kirchenvorstand oder ihr Presbyterium und
oft auch ihren Pfarrer. Pfarrerinnen
und Pastoren haben keine besondere
Weihe, sondern alle Christen sind vor
Gott gleich. Man spricht vom Priestertum aller Gläubigen.
Die Abschaffung des Zölibats und
das Priestertum aller Gläubigen sind
wichtige Eckpunkte aus Luthers Reformprogramm, das er 1520 in seiner
Schrift „An den christlichen Adel
deutscher Nation von des Standes
Besserung“ entworfen hat. Im selben
Jahr veröffentlichte Luther noch zwei
weitere grund­legende Reformschriften: „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ – darin stellte er
erstmals die Siebenzahl der Sakramente öffentlich infrage – sowie „Von
der Freiheit eines Christenmenschen“, Grundtext reformatorischer
Religion der Freiheit.
Mit ihren umfassenden Forderungen nach einer Reform der Kirche an
Haupt und Gliedern und einem freien Konzil wirkte Luthers Schrift „An
den christlichen Adel“ am stärksten
in die Öffentlichkeit hinein. Vom
Kirche ist für Luther Gemeinschaft aller Getauften, die sich um Gottes Wort und Sakrament versammeln. Foto: tai111/Fotolia.com
hen bekommen und sei darum ge- wahrlich kein anderer Unterschied
genüber der Kirche e­igenständig. besteht als des Amts oder Werks halMan hat dies später die Lehre von den ber und nicht des Stands halber“.
zwei Regimenten genannt. Während
Wo der Papst, die Kurie und der KleGott in der Kirche allein durch das rus versagen, da müssen die Vertreter
Wort regiert, regiert er im weltlichen der weltlichen Obrigkeit einspringen.
„Darum, wenn es
Bereich durch das
die Not fordert
Schwert, das zu
und der Papst der
führen die Obrigkeit eingesetzt ist.
Christen­heit anstößig ist, soll sich
Wie aber lässt
darum kümmern,
sich begründen,
wer es zuerst
dass Kaiser und
kann als ein treuAdel das Recht
es Glied des ganhaben sollen, in
Seitdem im hohen Mittelalter der der Kirche für
zen Körpers, dass
Papst aus dem Streit mit dem Kaiser Besserung zu sorein rechtes, freies
um die höchste Autorität als Sieger gen und die herrKonzil abgehalten werde. Dies
hervorgegangen war, herrschte im schenden Missvermag niemand
Abendland die Auffassung, die weltli- stände abzustelMartin Luther
so gut wie das
che Obrigkeit sei der kirchlichen Au- len? Diese Frage
weltliche Schwert,
torität untergeordnet. Allenfalls beantwortet Lukönnten sich Kaiser und Papst im ther mit dem Gedanken des Priester- insbesondere weil sie nun auch MitBedarfsfall wechselseitig vertreten. tums aller Gläubigen, das in der Taufe christen sind, Mitpriester, mitgeistDieser Auffassung tritt Luther mit gründet. Aus ihm folgt, wie Luther lich, mitmächtig in allen Dingen.“
dem revolutionären Gedanken entge- schreibt, „dass zwischen Laien, PriesNikolaus von Amsdorf, Domherr
gen, die weltliche Obrigkeit habe von tern, Fürsten, Bischöfen und […] zu Wittenberg und Freund Luthers,
Gott ihren besonderen Auftrag verlie- Geistlichen und Weltlichen im Grund gewidmete Schrift will in ihrem ersten Teil die drei Mauern zum Einsturz bringen, hinter denen sich die
Das Luther-Zitat: Priestertum aller Gläubigen römische Kirche verschanzt hat. Letztlich handelt es sich nur um „stroherMartin Luther über den geistlichen Stand und das Papsttum
ne und papierne“ Mauern. Deren ers„Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes, und es ist zwischen
te besteht in der zurückgewiesenen
ihnen kein Unterschied als allein des Amts halber, wie Paulus 1. Kor 12, 12ff.
Behauptung, die weltliche Obrigkeit
sagt […]. Das alles kommt daher, dass wir eine Taufe, ein Evangelium und
sei der kirchlichen Autorität unterein Glaubensbekenntnis haben; denn die Taufe, das Evangelium und das
worfen und dürfe sich folglich nicht
Glaubensbekenntnis, die machen allein geistlich und Christenvolk. […] Denn
gegen den Papst auflehnen. Die zweiwas aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum
te bildet das Postulat, nur der Papst
Priester, Bischof und Papst geweiht ist, obwohl es nicht jedem ziemt, soldürfe die Heilige Schrift verbindlich
ches Amt auszuüben. […] Wenn sich der Papst der Vollmacht bedienen sollauslegen, die dritte die Behauptung,
te, um dem Abhalten eines freien Konzils zu wehren, damit die Besserung
allein der Papst könne ein Konzil einder Kirche verhindert werde, dann sollen wir ihn und seine Vollmacht nicht
berufen.
ansehen.“
Gegen die erste Mauer bringt Lu(An den christlichen Adel deutscher Nation, 1520)
ther das Priestertum aller Getauften
in Stellung, gegen die zweite sein rePapst und seiner Kurie erwartete Luther keine Besserung mehr, galt ihm
der Papst doch als Antichrist und die
römische Kirche als unbelehrbar.
Nun sollten Kaiser und Adel der Reformation zum Durchbruch verhelfen und den drückenden Missständen
in kirchlichen und weltlichen Angelegenheiten Abhilfe schaffen.
Eine revolutionäre Idee
zugunsten der Fürsten
„Was aus der Taufe
gekrochen ist, kann
sich rühmen, dass es
schon zum Priester,
Bischof und Papst
geweiht ist“
Im zweiten Teil seiner Schrift formuliert Luther in 26 Punkten eine Fülle
von praktischen Reformvorschlägen.
Abgaben an Rom sollen abgeschafft
werden. Die Behörden der Papstkirche (Kurie) sollen reformiert und verkleinert werden. Der Zölibat (Ehelosigkeit der Priester) ist aufzuheben.
Wallfahrten können entfallen. Bettel­
orden sind im Geiste des Evangeliums
zu reformieren oder aufzulösen. Das
neu entstandene Kreditwesen ist zu
beenden. Dem verschwenderischen
und lasterhaften Lebensstil in den
Reihen der Kirche wird der Kampf
angesagt.
Hervorzuheben sind Luthers Forderungen nach einer grundlegenden
Reform des Bildungswesens in Schulen und Universitäten. Unter anderem hat er sich für öffent­liche Mädchenschulen eingesetzt. Im Zentrum
seines Bildungsprogramms steht das
Studium der Bibel, für das die Kenntnis des Hebräischen und des Griechischen benötigt wird. Hingegen hat
Luther der aristotelischen Philosophie den Kampf angesagt.
Wegweisend für
den modernen Staat
Für die Entwicklung des modernen
Rechts ist schließlich Luthers Forderung nach Abschaffung des kirchlichen Rechts und der Unterstellung
der Kirche unter weltliches Recht bedeutsam gewesen. Die moderne Trennung von Kirche und Staat war damit
noch keineswegs vollzogen, doch
kann die Entklerikalisierung von
Staat und Gesellschaft in ihrer Bedeutung für das Entstehen des modernen
säkularen Staates und seines Rechtes
kaum überschätzt werden.­
Diskutieren Sie mit zum Thema mit
dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf
Krötke in unserem Reformations-Blog
https://glaubenskursreformation.
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der Redaktion eine E-Mail an:
[email protected]
Foto: Wilke
Zugänge zum Thema:
– Cartoon-Video: Reformation für Einsteiger – im Internet zu finden unter
www.hamburger-reformation.de
– Lied: „Zieh ein zu deinen Toren“
(Evangelisches Gesangbuch 133, 1+4)
– Radiosendung: Rosemarie Bölt,
Pfarrbeamte oder Glaubensgeschwister?, SWR2, vom 9. Dezember 2015
(zum Herunterladen)
Ulrich Körtner
ist Professor für Systematische Theologie an
der Evangelisch-Theologischen Fakultät der
Universität Wien.
Sonntag, 21. Februar 2016 | Nr. 8 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Befreiung aus Gefangenschaft
Luthers Reduzierung der sieben Sakramente auf Taufe und Abendmahl führte zu einem Mauerfall in der Kirche
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 8
Teil 2: Entfaltung
der reformatorischen
Lehre
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Wie fühlt sich das Heilige des
Abendmahls oder der Taufe für mich
an?
2. In welchen Mauern ist die Kirche
heute möglicherweise gefangen?
3. Wie können wir sie zum Einsturz
bringen?
Zugänge zum Thema:
Kirchenlied:
Ich möchte gerne Brücken bauen,
wo alle tiefe Gräben sehn.
Ich möchte über Zäune schauen
und über hohe Mauern gehn.
Herr, gib mir Mut zum Brücken bauen,
gib mir den Mut zum ersten Schritt,
lass mich auf deine Brücken trauen,
und wenn ich gehe, gehst du mit.
Text: Kurt Rommel 1963, Musik: Paul
Bischof 1965, Gustav Bosse Verlag Kassel, zu finden im ESG-Gesangbuch
„Durch Hohes und Tiefes“.
Martin Luther ließ von sieben Sakramenten (deutsch: Geheimnis, Heiliges – gemeint sind die Heilsgaben
Gottes) letztlich nur noch zwei gelten: Taufe und Abendmahl. Dafür hatte er triftige Gründe. Welche Mauern
er damit in der Kirche zum Einstürzen
brachte, ist wohl heute den wenigsten evangelischen Christen bei der
Feier des Abendmahls bewusst.
Von Thilo Haak
Freiheitlich-reformatorisch feiern wir
das Abendmahl mit Brot und Kelch.
Ehrenamtliche Helfer, Pfarrerinnen
und Pfarrer sind bei der Austeilung
gleichermaßen beteiligt. Unser
Abendmahl hat alle Chancen, eine
fröhliche und sinnliche Feier der Gemeinde zu sein – auch wenn wir sie
nur selten nutzen. Manchmal leuchtet das auf, etwa bei den Tischabendmahlen, die am Gründonnerstag gefeiert werden.
In der Kirche des späten Mittelalters war das anders. Damals wurde
das hämische Wort vom „Hokuspokus“ geprägt. So bezeichnete der
Volksmund das, was der Priester
machte, wenn er mit den Worten
„Hoc est corpus“ („Das ist mein Leib“)
das Messopfer zelebrierte. Was da geschah, war dem Kirchenvolk so fern,
als wäre es davon durch eine Mauer
getrennt. Diese Mauer fiel, als Martin
Luther sein neues Verständnis der Sa-
Die Heiligen Sakramente: Der Holzschnitt von Wolf Traute (um 1510) zeigt symbolisch die gregorianische Messe und die Heilsgaben Christi, die durch die Kirche
ausgeteilt werden.
Repro: Archiv
kramente formulierte. Begonnen hatte er damit schon 1519 im „Sermon
vom hochwürdigen Sakrament“. Darin formulierte er den Anspruch auf
die Gabe des Abendmahls in beiderlei Gestalt, also in Brot und Wein. Seit
langer Zeit nämlich war den Gemeindegliedern der Kelch entzogen. 1415
hatte ihn das Konzil von Konstanz aus
praktischen Gründen verboten. Bei
der Austeilung des Abendmahls sollte kein Wein ver­sehentlich verschüttet werden.
Doch Luthers Lehre von der Gabe
des Abendmahls in beiderlei Gestalt
erfuhr erheblichen Widerspruch vonseiten der herrschenden Kirche. 1520
endlich formuliert Luther eine Sakramentslehre ausführlich. Er schreibt
„De captivitate Babylonica ecclesiae“,
seine Schrift über die „babylonische
Gefangenschaft der Kirche“. Der Titel
lehnt sich an die Bezeichnung jener
Epoche an, in der das antike Israel
durch die mächtigen Babylonier aus
dem Heiligen Land weggeführt worden war. Zerstört war der Tempel mit
dem Allerheiligsten und Israel von
seinen Wurzeln getrennt.
„De captivitate“ gehört mit der
Schrift „An den christlichen Adel
deutscher Nation von des christlichen
Standes Besserung“ und der Schrift
„Von der Freiheit eines Christenmenschen“ zu Luthers drei reformatorischen Hauptschriften.
Martin Brecht schreibt in seinem
Buch „Martin Luther, Sein Weg zur
Reformation“: „Diese Schrift, ob-
Das Luther-Zitat:
Martin Luther über die Gefangenschaft der Kirche:
Denn wo der Glaube untergeht und das Wort vom Glauben verstummt, da
entstehen alsbald an dessen Stelle menschliche Werke und Satzungen von
Werken. Durch diese sind wir wie durch eine babylonische Gefangenschaft
aus unserm Vaterland vertrieben worden, nachdem man uns all unseren
wertvollen Besitz genommen hat. So ist es mit der Messe gegangen: durch
die Lehre gottloser Menschen ist sie in ein „gutes Werk“, das sie selbst ein
„opus operatum“ nennen, verwandelt worden, durch welches sie sich bei
Gott alles zu vermögen anheischig machen. Von hier aus ist es weitergegangen bis zu diesem äußersten Wahnsinn: weil sie erlogen haben, die Messe
wirke kraft ihres äußeren Vollzuges als „opus operatum“, haben sie noch
hinzugesetzt, sie wäre den anderen auf jeden Fall nützlich, selbst wenn sie
dem schädlich sei, der sie ohne Glauben darbringe. Und auf diesen Sand
haben sie ihre Zuwendungen, ihre Teilhaber- und Bruderschaften, Jahresgedächtnisse und dergleichen unendliche gewinn- und verdienstbringende
Dinge gegründet.
(Martin Luther, Von der babylonischen Gefangenschaft 1520)
„Wo der Glaube untergeht, da entstehen
als­bald an seiner Stelle menschliche Werke.
Durch diese sind wir vertrieben worden ...“
Martin Luther
gleich von ihm selbst nur als Vorspiel
beschrieben, überbot in der Sache
alles, was er bis dahin gegen die römische Kirche geschrieben hatte.“
Das „Vorspiel“, so Martin Brecht,
nahm sich als Thema die Sakramente vor, das Zentrum der damaligen
Kirche. Im Ton auf Angriff gestimmt, leugnete Luther die Siebenzahl der Sakramente und erkannte
nur noch drei an: Abendmahl, Taufe und Buße. Gerade diese waren
nach Luther durch Rom „gefangen“.
Drei „Fesseln“ wurden dem Abendmahl angelegt:
1. Die Fessel der Austeilung des
Abendmahls in nur einer Gestalt;
2. Die Fessel der Lehre, im Abendmahl würde nur die Substanz von
Brot und Wein in Leib und Blut Jesu
Christi „verwandelt“, nicht aber die
„Form“ von Brot und Wein (Transsubstantiation);
3. Die Fessel des Verständnisses
des Abendmahls als „Messe“, das
heißt die unblutige Wiederholung des
Opfers Christi durch den Priester.
Luther war sich bewusst, dass er
damit eine sehr schwierige Sache anging. Es ging ihm aber nicht darum,
die Sakramentsfrömmigkeit zu zerstören, sondern sie im Geist der Bibel
zu reformieren.
An dieser Stelle ist es gut, sich noch
einmal zu vergegenwärtigen, was es
eigentlich heißt, wenn wir vom Sakrament reden. Der Begriff ist ein Lehnwort vom lateinischen „sacramentum“, dessen Wurzel „sacer“ heilig
oder unverletzlich bedeutet. Wer vom
Sakrament redet, redet also vom Heiligen. In ihren heiligen Handlungen hat
die Gemeinde ihre Mitte. In diesen
Handlungen ergreift der Glaube das
Heil. Oder mit anderen Worten: In der
Feier der Sakramente hat der Glaube
der Christen alles. Dabei sind die Sakramente nach lutherischer Auffassung
Zeichen und Zeugnis des göttlichen
Willens, durch die der Glaube sowohl
geweckt wie gestärkt wird.
Die Taufe zur Vergebung der Sünden und als Zeichen der Aufnahme in
die Gemeinschaft der Gemeinde gibt
es seit den Zeiten der ersten Christen.
Das gilt auch für das Abendmahl als
Zeichen, in dem sich der gekreuzigte
Christus seiner Gemeinde vergegenwärtigt und in dem sie sich der Gemeinschaft mit Jesus Christus erinnert. Zu diesen beiden kamen im 13.
Jahrhundert fünf weitere dazu: die
Firmung, die Buße, die Krankensalbung, die Priesterweihe und die Ehe.
Mit dieser Sieben-Sakramentslehre
setzt sich Luther kritisch auseinander.
Bei ihm liest es sich im Anfang seiner
Schrift so: „Grundsätzlich und als erstes muss ich verneinen, dass es sieben
Sakramente gibt, und kann zur Zeit
drei dafür setzen: die Taufe, die Buße,
das Brot. Und diese alle sind uns
durch die römische Kurie in elende
Gefangenschaft geraten, und die Kirche ist all ihrer Freiheit beraubt. Allerdings: wenn ich mich nach der
Schrift richten will, kenne ich nur ein
einziges Sakrament und drei sakramentale Zeichen.“
Am Ende seiner Schrift wird Luther nur noch von zwei Sakramenten
schreiben. Die Buße ermangelt eines
sichtbaren Zeichens, wie sie die Taufe
im Wasser und das Abendmahl in
Brot und Kelch haben. Letztlich ist
die Buße der Taufe zuzuordnen, indem sie ein Weg der Rückkehr zur
Taufe ist. An anderer Stelle im Kleinen Katechismus formuliert Luther,
dass der alte Adam in uns täglich
durch Reue und Buße ersäuft werden
muss. Er selbst hatte sich auf der
Wartburg diese stete Erinnerung an
die eigene Taufe auf seinen Schreibtisch geschrieben, damit er sich immer gewiss war, zu Gott zu gehören:
Ich bin getauft!
Das „nur einzige“ Sakrament ist
nach Luther Christus selbst. Dennoch
bleibt der Sakramentsbegriff für die
Handlungen der Kirche auch bei ihm
erhalten. Aber der Christusbezug
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Zurück zu den Quellen, Die Kirche
kann irren, Luthers Reformprogramm,
Gottesdienst neu, Das ist mein Leib,
Kinder taufen?, Lutherrezeption in
der katholischen Kirche
Bibeltexte:
Markus 16, 16; Matthäus 28, 18–20
(Taufe), 1. Korinther 11, 23–26; Lukas
22, 19–20 (Abendmahl)
Literatur:
– Martin Brecht, Martin Luther, Band 1:
Sein Weg zur Reformation (1483–1521),
Calwer Verlag, Stuttgart 1981
geht nicht verloren, sondern er wird
bestärkt. Nur die kirchlichen Vollzüge können Sakramente sein, die allein
im Stiftungswillen Christi gegründet
sind, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt wird. Mit anderen Worten: Nur
was Jesus selbst als heilige Handlung
den Seinen aufgetragen hat, kann Sakrament sein, mithin Taufe und
Abendmahl.
Hier klingt deutlich die Mitte der
Lehre Luthers durch. Der Glaube ist
geschenkte Gnade Gottes. Er wird
nicht durch sakramentale Handlungen der Priester der Kirche gewirkt,
sondern ist allein Gottes Gabe. Wenn
wir heute eine Taufe feiern oder gemeinsam zum Abendmahl gehen, ist
uns dies selbstverständlich – Gott sei
Dank. Zu Zeiten Luthers brachten seine Überzeugungen die Mauern, in
denen die damalige Kirche den Glauben gefangen hielt, in den entstehenden evangelischen Kirchen zu Fall.
Sie verhalfen der Gemeinde zu neuer
Freiheit des Glaubens.
Diskutieren Sie mit zum Thema mit
dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf
Krötke in unserem Reformations-Blog
https://glaubenskursreformation.
wordpress.com oder schreiben Sie
der Redaktion eine E-Mail an:
­[email protected]
Thilo Haak ist Pfarrer
in der EpiphanienKirchengemeinde in
Berlin-Charlottenburg.
Foto: privat
Sonntag, 28. Februar 2016 | Nr. 9 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Freiheit! Für! Gott!
Luthers Weg aus dem Zwang ständiger Selbstrechtfertigung
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 9
Teil 2: Entfaltung
der reformatorischen
Lehre
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Wo erlebe ich mich gefangen in
mir?
2. Was verschafft mir Anerkennung?
3. Wo erlebe ich mich frei? Auch von
der Sucht nach Anerkennung?
Zugänge zum Thema:
– Das Original lesen, unbedingt!
Martin Luther, Von der Freiheit eines
Christenmenschen, Studienausgabe,
Verlag: Reclam, Ditzingen 2011, oder online http://gutenberg.spiegel.de/buch/
martin-luther-sonstige-texte-270/6
Ein Christenmensch ist ein freier Herr
über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht
aller Dinge und jedermann untertan.
Martin Luther
Fanal der Freiheit auf heute nicht einmal 30 Taschenbuchseiten. Es genügt
eine Bahnfahrt ins Wochenende, um
aufzunehmen und zu vergegenwärtigen, was christliche Freiheit ausmacht, damals und heute. Denn wie
Luther diese Freiheit vorstellt und
entwickelt, das mutet herrlich modern an. Es nimmt seinen Ausgang
bei der Zerrissenheit der Welt, unseres Lebens, menschlicher Existenz.
Und mündet in ein zutiefst
­dialektisches, zutiefst doppeltes Verstehen und Erleben der Freiheit. Aber
eins nach dem anderen.
Jeder Christ, jede Christin ist, wie
Luther sagt, „von zweierlei Natur“,
geistlicher und leiblicher oder auch:
neuer und alter oder auch: inwendiger und äußerlicher. Diese „oder
auch“ sind wichtig, weil es zu kurz
gegriffen wäre, hier von einer bloßen
Leib-Geist-Teilung auszugehen, die
Das Luther-Zitat:
Martin Luther über den Christenmenschen:
Zum ersten. Damit wir gründlich erkennen können, was ein Christenmensch ist und wie es um die Freiheit bestellt ist, die ihm Christus erworben und ­gegeben hat, von der St. Paulus viel schreibt, will ich diese zwei
Thesen aufstellen: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge
und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht
aller Dinge und jedermann untertan. (…) Zum zweiten. Um diese beiden
widerständigen Reden von der Freiheit und der Dienstbarkeit zu verstehen,
sollen wir eingedenk sein, dass jeder Christenmensch von zweierlei Natur
ist, geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer,
innerlicher Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt. Und um dieses Unterschiedes
willen werden von ihm in der Schrift Sätze gesagt, die stracks widereinander sind, wie ich jetzt gesagt habe von der Freiheit und Dienstbarkeit. (…)
Zum dreißigsten. Aus dem allen ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in seinem
Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.
Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott führt er wieder unter
sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe.
(…) Seht, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die … alle andere
Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde. Das gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten. Amen.
(Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520)
dann womöglich auf der Linie überwundener kirchlicher Leibfeindlichkeit verstanden würde. Luther versteht die Spannung des menschlichen
Lebens und Glaubens umfassend:
Der neue, in Christus zum Glauben geführte Mensch ist ein „ganzer“,
mit Leib und Seele, der alte, in der
Sünde, in der Trennung von Gott verharrende und gefangene Mensch ist
ebenso ein „ganzer“, mit Leib und
Seele. Christus befreit den ganzen
Menschen, indem er mit ihm tauscht,
ihm seine Sünde nimmt, ja sich mit
dem Menschen vereinigt.
Verwandte Themen des Kurses:
Das Evangelium im Turm wiederentdeckt, Luthers Reformprogramm, Kirche in der Gefangenschaft, das Gesetz gehört aufs Rathaus
Bibeltexte:
1. Korinther 9, 19; 2. Korinther 4, 16;
Römer 13, 8; Galater 5, 1–14
Literatur:
– Eberhard Jüngel, „Mensch, wo bist
Du? Glauben und Freiheit als Ortsbestimmungen des Christenmenschen”
in: Eberhard Jüngel, „Außer sich“:
Theologische Texte, Radius, Stuttgart
2011
– Rechtfertigung und Freiheit: 500
Jahre Reformation 2017. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland, 2014
ich tun kann, folgen ja automatisch –
spontan, unberechenbar, selbstverständlich – aus der Freiheit, die ich
gewonnen und erfahren habe.
„Freiheit aus“ Christus für Gott
und die Menschen, für die Liebe zur
Liebe – das formuliert Martin Luther im Angesicht der Bannbulle
1520. Ein Fanal, ein Leuchten, ein
Ruf in diese Welt, der nicht verhallt:
Freiheit! Für! Gott!
Christian Stäblein
ist Propst der
Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz.
Foto: Zöllner/EKBO
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inneren Ruhe.
Ein Ruf in die Welt,
der nicht verhallt
Luther sagt: Christus und Mensch
werden Braut und Bräutigam, sie werden ganz und gar eins. Das ist der
fröhliche Wechsel, durch den Christus in uns und wir in Christus leben.
Es geschieht im Glauben also ein
Identitätswechsel und ein Herrschaftswechsel – einer, in den keine
kirchliche Macht oder geistliche Autorität sich hineinmischen und diesen
reglementieren kann oder darf.
Im Glauben an Christus werden
wir frei und neu, ganz und gar. Und
bleiben doch auch der alte Mensch, in
Luthers Diktion: Wir bleiben alter
Adam, alte Eva. So entsteht eine
Spannung, die dem Leben Dynamik
und Energie gibt, die stete Erneuerung des alten Adam auf den neuen
hin, die stete Verwandlung der alten
Eva auf die neue hin.
Das „Freiheitskonzept“ Luthers ist
in dieser dialektischen Wahrnehmung menschlicher Grundspannung
sehr modern – es ist es erst recht mit
Blick auf jenen Umgang mit dem, was
wir gut reformatorisch „die guten
Werke“ nennen. Auf sie kommt es bekanntlich nicht (mehr) an, wenn es
um die Annahme von und vor Gott
geht. Wer anderes behauptet, verdun-
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Von Christian Stäblein
Im Jahre 1520 soll Martin Luther der
Bannstrahl der römisch-katholischen
Institution schrecken und auf die Vorgaben der Institution zurück zwingen. Papst Leo X. verhängt die Bannandrohungsbulle, die Luther
verbrennen wird. Im Jahre 1520, als
Martin Luther kirchlich-äußerlich
größte Unfreiheit erfährt, formuliert
er die großen Freiheitsschriften der
Reformation. Neben „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“
und „An den christlichen Adel deutscher Nation. Von des christlichen
Standes Besserung“ ist dies vor allem
die kurze Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Zusammen
gelten sie als die Entfaltung der reformatorischen Lehre im Wendejahr
1520, das sichtbare Zeichen, dass der
Aufbruch der neuen Bewegung unumkehrbar wird.
„Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt der Text, den Martin
Luther seinem Sendbrief an Leo X.
beilegt. Es ist ein Dokument lebendiger Freiheit, ganz der Zeit verhaftet
und zugleich ganz zeitlos. Es ist ein
Er kämpfte für Freiheit, war innerlich frei: Luthers Namensvetter, der Pastor
Martin Luther King. Foto: Pixabay
ZUR WEITERARBEIT
ch
30
MINUTEN1,2
Wir
k
Martin Luther pfiff auf das Schreiben
von Papst Leo X., der ihm mit dem Ausschluss aus der K
­ irche drohte, dem
Bann. Was tat Luther? Er ­verfasste
1520 einen Ruf, der auch heute, 500
Jahre später nicht verhallt ist, Worte
über die Freiheit eines Christen und –
heute fügen wir hinzu – einer Christin.
kelt die Freiheit Gottes und stößt den
Menschen in einen unendlichen Prozess der Selbstrechtfertigungs- und
Selbstbestätigungsversuche, den er
nur verlieren kann.
Gerade an diesem Punkt ist Martin
Luther aktueller denn je. Denn wir
Menschen bestätigen und begründen
uns gerne in dem, was wir tun, was wir
schaffen, was uns gelingt. Wir sind Macher unseres Lebens und unser selbst.
Wir wollen und suchen Anerkennung
dafür. Diesen Mechanismus durchbricht christliche Freiheit – weder vor
Gott noch vor uns selbst können oder
müssen wir uns durch unser Tun beweisen. Gott erkennt uns an. Und
nimmt uns an. So sind wir frei, wirklich frei.
Das höre ich gern – und bin doch
stets in der Gefahr, töricht zu meinen,
es wäre mit der „Freiheit von“ – von
kirchlicher, geistlicher, menschlicher
Bevormundung oder von eigenmächtiger Selbstrechtfertigung – schon getan. Freiheit kann nur gelebt werden,
wenn sie „Freiheit zu“ oder „Freiheit
für“ wird. Freiheit für Gott. Für seine
Liebe. Für die Liebe zum Nächs­ten.
Jeder Christenmensch ist „dienstbarer Knecht“ schreibt Luther. Heute formulieren wir eher so: Freiheit zeigt
sich in Bindung, in Bindungsfähigkeit.
An Aufgaben. Für Nächste. Für die, die
uns brauchen. Unsere Liebe.
Das Risiko christlichen Redens von
dieser doppelten Freiheit ist, dass sich
„die Katze hier in den Schwanz zu beißen droht“ – argumentativ: Nun
kommt es also doch auf die guten Taten an, die Werke der christlichen
Nächstenliebe. Nein und Ja ist darauf
zu erwidern. Nein, denn die Werke
sind nicht der Zugang zu Gott, nicht
der Zugang zu mir selbst, nicht der zur
Freiheit. Ja, denn die guten Dinge, die
 entspannt bei Stress und Mehrfachbelastung
 erhält Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit
 verscha innere Ruhe und fördert so den
gesunden Schlaf
 wirkt schnell und ist ausgezeichnet verträglich1,2
1
2
Movafegh, A., R. Alizadeh, et al. (2008). Anesth Analg 106(6): 1728-32.
Dimpfel, W., K. Koch, et al. (2012). Neuroscience & Medicine, 3: 130-140.
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3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 6. März 2016 | Nr. 10 NK
Kirche und Obrigkeit
Die Geburt des ältesten der europäischen Grund- und Menschenrechte – der Glaubens- und Gewissensfreiheit
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 10
Teil 2: Entfaltung
der reformatorischen
Lehre
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Ein Polizeipräsident sagt einem
Pfarrer: Vor dem Gesetz sind alle
gleich, die Kirche hat kein eigenes
Asylrecht. Der Pfarrer entgegnet: die
Kirche untersteht einem höheren
Recht. Daraufhin tritt der Polizeipräsident aus der Kirche aus. Was sagen
Sie dazu?
2. Gibt es Grenzen für die Berufung
auf die Gewissensfreiheit?
Testfall: Eltern sind „aus Gewissensgründen“ gegen Antibiotika und verabreichen deshalb ihrem Kind die
vom Arzt verschriebenen Antibiotika
nicht, ohne den Arzt davon zu informieren. Das Kind stirbt. Was ist hier
falsch gelaufen?
Zugänge zum Thema:
– Luthers Schrift lesen: „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (1523), im Internet unter: http://gutenberg.spiegel.
de/buch/­von-weltlicher-obrigkeitwie-weit-man-ihr-gehorsam-schuldig-sei-267/3
Wie weit ist ein Christ weltlicher
Macht Gehorsam schuldig? Die Frage beantwortet Martin Luther in einer Anfang 1523 erschienenen
Schrift. Sie ist eine theologische
Auseinandersetzung über das Verhältnis eines Christen zur weltlichen Obrigkeit.
Von Richard Schröder
Kurz nach dem Terroranschlag auf
das World Trade Center in New York
vom 11. September 2001 nahm ich
in Leipzig an einer Diskussionsrun­
de teil. Darin saß auch ein jordani­
scher Geschäftsmann, der sich in
Leipzig niedergelassen hatte. Er
schockierte uns mit den Worten:
Die Araber hassen den Westen, und
sie hassen ihn zu Recht. Aber dann
sagte er: Er bedaure, dass nicht auch
im Koran ein Satz steht wie das Wort
Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kai­
sers ist und Gott, was Gottes ist“
(Markus 12, 17). Die islamische Welt
sei zerrissen, weil es an einer befrie­
denden Unterscheidung zwischen
Religion und Politik fehle. Und Fun­
damentalisten fordern die Einheit
von Religion und Staat.
In der Geschichte Europas hat es
reichlich Intoleranz und Religions­
kriege gegeben, und die großen Kir­
chen waren nicht die Vorkämpfer
für die Religionsfreiheit. Aber fest
verankert ist in der christlichen Tra­
dition die Dualität (nicht der Dualis­
Jahrtausende alte Streitfrage: Wo verläuft die Grenze zwischen weltlicher Herrschaft und christlicher Gemeinschaft?
mus!) von weltlicher Herrschaft und
christlicher Gemeinschaft oder im
Mittelalter von Kaiser und Papst,
schließlich von Staat und Kirche.
Und dafür konnte man sich auf je­
nes Wort Jesu beziehen.
Es gab Versuche, diese Dualität
zur Einheit aufzulösen, im Mittel­
alter zugunsten einer Theokratie des
Papsttums oder im 20. Jahrhundert
zugunsten eines totalen Weltan­
schauungsstaates. Sie sind geschei­
tert. Gestritten wird nur noch über
den Grenzverlauf.
In dieser Geschichte spielt
L uthers Zwei-Reiche-Lehre eine
­
wichtige Rolle. Wir folgen hier der
frühen Schrift „Von weltlicher Ob­
rigkeit, wie weit man ihr Gehorsam
schuldig sei“ (1523).
Alle Menschen müsse man in zwei
Teile einteilen, erklärt er. Die einen
bilden das Reich Gottes, die anderen
das Reich der Welt. Die ers­teren sind
diejenigen, die recht glauben und lie­
ben. Sie leben unter Jesus Christus,
ihrem Herrn, und brauchen weder
weltliches Recht noch das Schwert,
denn sie tun niemandem Unrecht,
vergelten kein Unrecht und sind je­
dermann in Nächstenliebe zugetan.
Den anderen Teil bilden diejenigen,
die keine wahren Christen sind, auch
wenn sie getauft sind. Diese müssen
durch Gesetze und Strafandrohung
gehindert werden, Böses zu tun.
Dass hier die ganze Menschheit in
zwei Teile geteilt werden soll, in Gläu­
Das Luther-Zitat:
Martin Luther über die zwei Regimenter:
„Das weltliche Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als
über Leib und Gut und was äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele
kann und will Gott niemand regieren lassen als ihn selbst allein. Darum,
wo weltliche Gewalt sich vermisst, der Seele Gesetze zu geben, da greift sie
Gott in sein Regiment und verdirbt nur die Seelen.“ Der „Seelen Gedanken
und Gesinnungen können niemandem als Gott offenbar sein. Darum ist es
umsonst und unmöglich, jemandem zu gebieten oder mit Gewalt zu zwingen, so oder so zu glauben.“ „Zum Glauben kann und soll man niemanden
zwingen.“ „Gedanken sind zollfrei.“
Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig ist (1523)
„Man muss Gott
mehr gehorchen als
den ­Menschen.“
Apostelgeschichte 5, 29
Martin Luther
bige und Ungläubige, scheint auf den
bekannten Dualismus von Gut und
Böse hinauszulaufen. Es geht Luther
aber nicht um ein Reich des Guten
gegen ein Reich des Bösen noch um
Erwählte hier, Verworfene dort. An
anderen Stellen sagt nämlich Luther:
In diesem Leben sind wir Christen
Gerechtfertigte und Sünder zugleich.
Also auch wir Christen gehören bei­
den Sphären an.
In beiden Reichen regiert Gott,
aber mit zwei verschiedenen „Regi­
menten“: Im Reich zur Rechten re­
giert er durch Wort und Sakrament,
„non vi sed verbo“, („Nicht mit Ge­
walt, sondern mit dem Wort“) ge­
waltfrei, indem sein Wort die Herzen
rührt und durch den Heiligen Geist
Glaube, Liebe, Hoffnung entzündet.
Im Reich zur Linken regiert er
durch die Obrigkeit, wenn (sofern)
sie nach Recht und Gesetz verfährt
und dieses auch vollzieht. Auch die­
jenigen, die in staatlichen Funktio­
nen für Recht, Frieden und Wohl­
fahrt sorgen, sind Gottes Diener –
und zwar auch dann, wenn sie gar
keine Christen sind. Denn das Rech­
te ist der natürlichen Vernunft zu­
gänglich. Man muss nicht Christ
sein, um ein guter Politiker zu sein.
Wichtiger noch ist für Luther, die
Grenzen obrigkeitlicher Macht auf­
zuzeigen. In Sachsen hat man da­
mals seine Übersetzung des Neuen
Testaments beschlagnahmt. Dagegen
sagt er: Es steht der Obrigkeit nicht
zu, sich in die je individuelle Gottes­
beziehung einzumischen oder: Über
die Seelen regiert Gott allein (siehe
Zitate im Kasten). Deshalb wendet er
sich auch dagegen, dass die weltliche
Obrigkeit mit Gewalt gegen Ketzer
vorgeht. „Gottes Wort soll hier strei­
ten. Wenn das nichts ausrichtet, so
wird’s wohl unausgerichtet bleiben
von weltlicher Gewalt, ob sie gleich
die Welt mit Blut füllt.“
Wo die Obrigkeit ihre Grenzen
überschreitet, endet auch der Obrig­
keitsgehorsam. „Man muss Gott
mehr gehorchen als den Menschen“
(Apostelgeschichte 4). Da gilt sogar
die Pflicht zur Gehorsamsverweige­
rung, und zwar auch, wenn der Fürst
Unrecht tut. Aber der „Obrigkeit
soll man nicht widerstehen mit Ge­
walt, sondern nur mit Erkenntnis
der Wahrheit. Kehrt sie sich daran,
ist es gut. Wo nicht, so bist du ent­
schuldigt und leidest Unrecht um
Gottes willen.“
Es ging in lutherischen Landen an­
ders weiter, als diese Schrift erhoffen
ließ. Da sich Bischöfe für die Refor­
mation nicht gewinnen ließen, wur­
den – zunächst provisorisch gedacht
– die Landesherren mit bischöflichen
Aufgaben betraut. Diese Verbindung
von Thron und Altar währte bis 1918.
Die Folge war zunächst das Gegenteil
von Religionsfreiheit: die Konfessio­
nalisierung.
Aber Schriften sind wie Kinder.
Sie führen ein Eigenleben, wenn sie
einmal in der Welt sind. Als Calvin
1553 in Genf Michael Servetus als
Ketzer verbrennen ließ, weil er die
Trinitätslehre angegriffen hatte, ver­
öffentlichte sein ehemaliger Günst­
ling Sebastian Castellio eine Schrift
gegen diese Ketzerverfolgung, die
Grundlage wurde für den Toleranz­
gedanken der Aufklärung. Gegen
Calvin zitiert er neben Kirchen­
vätern – Luthers Obrigkeitsschrift.
Martin Luther war kein Demo­
krat. Aber der Reformator hat (ah­
nungslos) den Grund gelegt für das
älteste der europäischen Grund- und
Menschenrechte, die Glaubens- und
Gewissensfreiheit.
Diese Saat ging allerdings nicht in
Deutschland auf, sondern in den
Niederlanden. Bei der Dordrechter
Ständeversammlung 1572 wurde die
Religions- und Versammlungsfreit
verkündet, um dem Morden aus Re­
ligionsgründen vorzubeugen.
Foto: epd
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Luther widersteht, Luthers Reformprogramm, Christsein: Frei und verpflichtet, Zu den Waffen, Das Gesetz
gehört aufs Rathaus, Die Kirche kann
irren, Bischöfe und Fürsten
Bibeltexte:
Psalm 7, 8.9–10; 115, 16; Matthäus 22, 21;
Markus 12, 1; Apostelgeschichte 1, 24;
4 und 5, 29; Römerbrief 10, 17 und 13;
2. Korintherbrief 10,4
Literatur:
1. Gerhard Ebeling, Luther. ­Einführung
in sein Denken.
Mohr-Siebeck, Tübingen 2006
2. Stefan Zweig, Castellio gegen Calvin
oder Ein Gewissen gegen die Gewalt
3. Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas (fingierte Szene eines Gesprächs
zwischen Luther und Kohlhaas).
Immanuel Kant hat die Demokra­
tie noch unter die despotischen Ver­
fassungen gezählt, weil er da­runter
die reine Mehrheitsdemokratie ver­
stand, und das wäre Tyrannei über die
Minderheit. Erst die Einschränkung
des Mehrheitsprinzips durch Grund­
rechte und Gewaltenteilung hat das
Wort Demokratie geadelt. Das sollten
sich diejenigen zu Herzen nehmen,
die behaupten, wir hätten noch gar
keine richtige Demokratie, denn nur
die direkte sei die echte. Dagegen hilft
auch: Luther lesen.
Diskutieren Sie zum Thema mit dem
Reformationsbeauftragten Pfarrer
Bernd Krebs und Professor Wolf
Krötke in unserem ReformationsBlog https://glaubenskursreformation. wordpress.com oder schreiben
Sie der Redaktion eine Mail an:
­[email protected].
Richard Schröder
ist Theologieprofessor
in Berlin.
Foto: epd
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 13. März 2016 | Nr. 11 NK
Luther und der verborgene Gott
Schicksalsschläge und Leiden als Bewährungsfeld christlichen Glaubens
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 11
Teil 2: Entfaltung
der reformatorischen
Lehre
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Würden Sie Gott für das Böse in der
Welt verantwortlich machen?
2. Gehört Leiden nach Gottes Willen
zum Menschsein?
3. Sollte unsere Kirche den ­Menschen
unserer Zeit einen ­unverstehbaren
Gott vor Augen führen?
Zugänge zum Thema:
– Dietrich Bonhoeffer, Einige Glaubenssätze über das Walten Gottes in
der Geschichte, in: „Widerstand und
Ergebung“, Briefe und Aufzeichnungen
aus der Haft. Taschenbuch, Gütersloh
2011
Manchmal scheint es, als verberge
sich Gott. Wenn im Leben gar nichts
mehr geht, Schicksalsschläge Wunden reißen. Gott ist dann einfach
nicht zu verstehen. So fern scheint
sein gütiges Wesen.
Von Wolf Krötke
Wo ist Gott? Diese Frage wird immer
wieder laut, wenn Menschen durch
andere Menschen oder durch Naturgewalten in sinnloses Leiden gestürzt
werden. Es ist die Frage von Menschen, die sich in äußerster Verzweiflung daran klammern, dass Gott ihnen „in allen Nöten“ helfen kann,
indem er sie „vor allem Übel behütet
und bewahret“. Das darf der Glaube
an Gott nach Martin Luthers Katechismen Gott zutrauen. Sehr viele
Menschen verlieren jedoch den Glauben an Gott, weil sie nicht „bewahrt“
wurden. Georg Büchner hat solche
Leiderfahrungen in seinem Drama
„Dantons Tod“ den „Fels des Atheismus“ genannt.
Für Luther waren sie jedoch das Bewährungsfeld des christlichen Glaubens. Er hat uns damit ein großes Problem beschert. Denn statt nur vom
gnädigen Gott zu reden, hat er auch
den „verborgenen Gott“ groß gemacht,
der mit „Gnade“ nichts zu tun hat.
Ihm kann man auch nicht vertrauen.
Denn er bewirkt unterschiedslos alles
in der Welt: Gutes wie Böses. Er treibt
mit seiner göttlichen Macht-Dynamik
wie ein riesiger Energiespender alles
Luthers Blickrichtung: Durch Gottes dunklen, unerklärlichen Ratschluss hindurch auf das Kreuz der Liebe sehen. an, was er in der Welt antrifft. Luthers
Beispiel ist: Wenn er auf ein „dreibeiniges“ Pferd trifft, treibt er es an,
schlecht zu laufen. Wenn er auf Menschen trifft, die böse sind, treibt er sie
im Tun des Bösen an. Er verschafft sogar dem „Satan“ Power.
Uns stockt der Atem, wenn wir das
in Luthers kompliziertester Schrift
„Vom unfreien Willen“ (1525) und
anderswo bei ihm lesen. Darum ist es
geraten, sein Reden vom „verborgenen Gott“ etwas zu sortieren.
Erstens: Die Orientierung am „verborgenen Gott“ hat Luthers Gottesverständnis von Anfang an geleitet.
Aber da hatte er den Gott vor Augen,
der seine mächtige Herrlichkeit unter
dem Gegenteil von Herrlichkeit verborgen hat. Er begegnet am Kreuz
Jesu Christi. Das Wahrnehmen Gottes, der sich für uns am Kreuz erniedrigt, begründete darum den Widerspruch gegen eine Kirche, die sich am
„Gott der Herrlichkeit“ orientierte.
Alles vorherbestimmt?
Zweitens: Auf den „Gott der Herrlichkeit“ hat Luther sich jedoch
auch selber berufen, als Erasmus
von Rotterdam behauptete, dass
Menschen fähig seien, sich mit ihrem freien Willen Gott entweder
Das Luther-Zitat
Martin Luther über den verborgenen Gott
Der Glaube hat es mit Dingen zu tun, die man nicht sieht. Damit also Raum
sei für den Glauben, muss alles, was geglaubt wird, verborgen werden; es
wird aber nicht tiefer verborgen, als unter gegensätzlichem Anblick, Empfinden, Erfahren. So, wenn Gott lebendig macht, tut er das dadurch, dass er
­tötet; wenn er rechtfertigt, tut er das dadurch, dass er schuldig macht; wenn
er zum Himmel empor hebt, tut er es dadurch, dass er zur Hölle führt. […]
Anders ist über Gott oder den Willen Gottes zu disputieren, der uns gepredigt, offenbart, dargeboten und verehrt wird, und anders über den nicht
gepredigten, nicht offenbarten, nicht dargebotenen, nicht verehrten Gott.
Sofern Gott sich also verborgen hat und von uns nicht erkannt werden will,
geht er uns nichts an. Hier nämlich gilt jenes (Sprichwort): „Was über uns
ist, geht uns nicht an“ (Vom unfreien Willen, 1525).
Gott kann nicht Gott sein, er muss zuvor ein Teufel werden, und wir können
nicht gen Himmel kommen, wir müssen vorher in die Hölle fahren, können
nicht Gottes Kinder werden, wir werden denn zuvor des Teufels Kinder. […]
Ich muss dem Teufel ein Stündlein die Gottheit gönnen und unserem Gott
der Teufelheit zuschreiben lassen. Es ist aber damit noch nicht aller Tage
Abend. Es heißt doch zuletzt: Seine Güte und Treue waltet über uns (Psalm
117, 2) (Predigt von 1530).
„Sofern Gott sich also verborgen hat
und von uns nicht erkannt werden will,
geht er uns nichts an.“
Martin Luther
zuzuwenden oder sich von ihm abzuwenden. Luther sah hier sein Anliegen bedroht, dass Menschen nur
aus Gottes Gnade vor Gott bestehen
können. Er hat darum mit verbalen
Keulen auf Erasmus eingeschlagen.
Eine dieser Keulen war die Behauptung, dass Menschen gar keine Freiheit haben. Da sie Sünder sind,
treibt sie der Allmächtige immer
tiefer in die Sünde hinein.
Drittens: Die Erfahrung der Allwirksamkeit Gottes ist schrecklich.
Kein Mensch kann den „geheimen
Ratschluss“ verstehen, der dem zugrunde liegt. Darum müssen wir uns
zu dem Gott „flüchten“, der uns im
Kreuz Jesu Christi seine Liebe zuwendet. Dann geht uns der Gott, der
selbst im „Satan“ wirkt, nichts mehr
an. Unser Gott ist dann der vom Neuen Testament „gepredigte Gott“.
Viertens: Wer aber meint, den
„verborgenen Gott“ damit los zu
sein, irrt. Denn zum „gepredigten
Gott“ kann nur „flüchten“, wer die
Erfahrung des „verborgenen Gottes“
gemacht hat. Er muss sie immer wieder durchstehen, damit er zum Gott
der Liebe flüchten kann.
Die Meinungen über Luthers Verständnis des „verborgenen Gottes“
gehen weit auseinander. Hier wird
offensichtlich „Gott gegen Gott“ ausgespielt. Er ist ebenso Gott in den Exzessen des Bösen wie als „gepredigter
Gott“. Es gibt keine Brücke von hier
nach dort, sondern nur den Sprung
des Glaubens über diesen Abgrund
hinweg, zu dem das „Wort vom
Kreuz“ einlädt.
Haarsträubende Folgerungen
In der Nazi-Zeit wurden aus dieser
Anschauung Luthers haarsträubende
Konsequenzen gezogen. Gott wurde
im „Geschick“ des deutschen Volkes,
in „Rasse, Blut und Boden“, wahrgenommen. Die Gewaltherrschaft der
Nazis, die man mit dem „verborgenen
Gott“ zusammenreimte, galt als die
beste Ausgangsbasis für das „Flüchten“ zum christlichen Glauben.
Scharfe Kritiker dessen haben darum
eine Linie von „Luther zu Hitler“ gezogen. Das ist abseitig. Luther hat den
„verborgenen Gott“ niemals zur
­Begründung von Gewalttaten in Anspruch genommen.
Dennoch spukt dieser Gott nach
wie vor durch Kirche und Theologie.
Gegenüber einem religiösem Trend
von heute, Gott zu einem „Kuschelgott“ zu machen, wird auf sein undurchschaubares Geheimnis verwiesen. Es soll uns hindern, den Gott Jesu
Christi zu e­ inem stimmigen Gottesbild nach unserem Gefallen zu verarbeiten. Es soll uns veranlassen, die
widersprüchlichen Erfahrungen ernst
zu nehmen, die wir mit Gott machen.
Doch dazu braucht es nicht ­eines
Gottes, der uns zum „Teufel“ wird.
Denn Gott, der sich uns im Leiden
Jesu Christi zuwendet, lässt sich die
Erfahrungen, die wir in der Welt machen, selbst angehen. Sie haben vom
Kreuz Jesu Christi her eine Stimme,
die in die Zusage eingebettet ist, dass
Gott auch, wenn uns sinnloses Leiden
heimsucht, mit uns einen Weg geht.
Das klingt hart – und das ist auch
hart. Denn wir möchten nicht leiden.
Wir möchten auch nicht, dass andere
Menschen leiden. Wir möchten nur
das Gute aus Gottes Hand nehmen.
Gut und Böse annehmen
Dietrich Bonhoeffer aber, der heute
als ein „Heiliger“ der Evangelischen
Kirche verehrt wird, hat im Gefängnis
gebetet: „Du hast mir viel Gutes erwiesen, lass mich auch das Schwere
aus deiner Hand hinnehmen.“ Christliche Gemeinden stimmen heute in
dieses Gebet mit der dritten Strophe
des Liedes „Von guten Mächten“ ein:
„Und reichst du uns den schweren
Kelch, den bittern / des Leids gefüllt
bis an den höchsten Rand / so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern /
aus deiner guten und geliebten
Hand.“ Nehmen wir ernst, was wir da
singen?
Bonhoeffer war ein intimer Kenner von Luthers Theologie. Er kannte
Foto: pixabay.com
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Freiheit für Gott, Alles vorher b
­ estimmt
oder freier Wille, ­Seelsorge, Der Teufel
vergiftet das Getreide, Lutherdeutung
Bibeltexte:
2. Mose 14, 4; Ezechiel 18, 31f., 33,11; Römer 2, 1–16 und 9, 14–29
Literatur:
– Luthers Anschauung vom „verborgenen Gott“ berührt die Frage der „Theodizee“, die lautet: Verträgt es sich mit
dem Glauben an einen gerechten und
guten Gott, eine Welt voller Übel
schaffen? – Dazu: Klaus von Stosch,
Theodizee, UTB, Schöningh 2013
gut Luthers Anschauung vom „verborgenen Gott“ als ein unpersönliches „Es“, das im „Schicksal“ wirkt.
Aber im Glauben an Jesus Christus
wandelte sich ihm dieses „Es“ – diese
diffuse Gottesenergie – zum „Du“, das
mit uns Wege geht. Es sind Wege, auf
denen Gott uns aufruft, Widerstand
gegen das Böse zu leisten. Und wie! Es
sind aber auch Wege der „Ergebung“
in das Leid, wenn wir gar nichts mehr
tun können und „ohnmächtig […]
das Rechte […] in stärkere Hand“ legen müssen.
Zum Kreuz Jesu flüchten
Von daher können wir Luthers Ratschlag, uns zu dem Gott zu flüchten,
der sich im Kreuz Jesu Christi offenbarte, so hören:
Vergrabe dich nicht im Herumrätseln, im Stöhnen, im Spekulieren und
auch nicht in Anklagen eines Gottes,
der gar nicht unser Gott ist. Halte
dich an Gott, der jedes Menschen guter Gott sein will. Er hat selber Leiden
und Tod nicht gescheut, um seiner
Liebe zu seinen Geschöpfen auf seiner Erde eine Bresche zu schlagen. Er
beflügelt Menschen auch „im finsteren Tal“ (Psalm 23, 4) mit der Gewissheit, dass diese Liebe den längeren
Atem hat als die Mächte des
Verderbens.­
Wolf Krötke ist
Professor für
Systematische
Theologie in Berlin.
Foto: privat
Sonntag, 20. März 2016 | Nr. 12 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Der Streit um die Bilder
Die großen Unterschiede im Umgang mit biblischen Darstellungen in Kirchen
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Gottesdienst neu; Den Schafstall
Christi ausfegen; Zwingli und Bullinger, Calvin, Kunst
Bibeltexte:
2. Mose 20, 1-21, 2. Mose 31, 1-35
Jesaja 44, 13-17,
Apostelgeschichte 17, 16-34
Literatur:
Andreas Mertin, Der reformierte Blick
auf die Bilder, Hannover 2015, überarbeitete pdf-Fassung, aufrufbar: www.
reformiert-info.de/ 14030-0-0-53.html
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 12
Teil 3:
Auseinandersetzungen
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Wo begegnen Ihnen religiöse Bilder?
2. Welche Bedeutung haben b
­ iblische
Bilder für Sie?
3. Ist der Streit über religiöse Bilder
und ihre Rolle heute noch notwendig?
Zugänge zum Thema:
– Schauen Sie sich gemeinsam die Bilder in einer Kirche der Umgebung an:
Was lösen die Bilder in Ihnen aus?
Weiße Wände. Ein Abendmahlstisch in
der Mitte. Kein Kreuz. Keine Bilder.
Keine Kerzen. Wären da nicht die getäfelte Decke und die mächtige Empore aus dunklem Holz, der Innenraum
der reformierten Bergkirche in Osnabrück wäre wenig einladend. „Raum
und Raumgestaltung dienen ausschließlich dem Zweck, das Wort Gottes vernehmbar zu machen.“ So lautete das Motto, nach dem viele evangelische Kirchen, nicht nur die reformierten, nach 1945 umgestaltet wurden. Als die Bergkirche 2010 renoviert
werden musste, fand man unter der
weißen Wandfarbe die Porträts der
vier Evangelisten. Sollte man die Bilder freilegen und bewahren – ausgerechnet in einer reformierten Kirche?
Von Bernd Krebs
Streit über die Rolle der Bilder hat es
in der Kirchengeschichte immer wieder geben. „Du sollst dir kein (Gottes-)
Bildnis machen“ (2. Mose 20, 4). So
steht es mehrfach in der Heiligen
Schrift des Alten Testaments. Doch gilt
das Verbot auch für die Kirche? Die
orthodoxe Sicht der Ostkirchen ist:
Seit der Menschwerdung ist Gott ansehbar und darstellbar geworden. Deshalb sind Bilder für den Glauben notwendig. Daran haben sich im
Hochmittelalter auch katholische
Theologen angeschlossen. Dagegen
behaupteten die Kritiker der Bilderverehrung: Der zentrale Ort, an dem
an die Mensch­werdung Gottes erinnert und vergegenwärtigt wird, ist das
Abendmahl. Deshalb seien Bilder für
den Glauben überflüssig.
Die römisch-katholische Position
ist bis heute: Bilder haben eine katechetische Bedeutung; sie sind für den
Glauben nützlich, da sie die Glaubenden an die „Geheimnisse der Erlösung
erinnern und ihnen Vorbilder christlichen Lebens vor Augen“ stellen (Katholischer Erwachsenenkatechismus).
Schon Karl der Große aber vertrat
Ende des 8. Jahrhunderts die Ansicht,
Das letzte Abendmahl, um 1527. Gemälde von Hans Holbein d. J. (um 1497–1543) und Werkstatt („Venus-Maler“), Öl auf
Holz. Im Bildersturm, Februar 1529, sind seitliche Bildteile verloren gegangen. Basel, Kunstmuseum.
Foto: epd
Bilder seien für den Glauben neutral.
Ihr „Wert“ läge in ihrem künstlerischen Ausdruck.
Luther und die anderen Reformatoren waren darin einig: Eine grundlegende Veränderung von Liturgie, Gottesdienst und Frömmigkeitspraxis war
überfällig. Es galt, dem Missbrauch der
Bilder als Heilsmittel, das heißt als Mittel, um sich der Gnade Gottes zu versichern, zu wehren. Darüber, wie das
umzusetzen sei und wie weit die Reformen reichen sollten, gingen die
Meinungen weit auseinander.
Anfang März 1522 erreichte ­Luther
auf der Wartburg die Nachricht, dass
eine Menschenmenge die Stadtkirche
in Wittenberg gestürmt, Bilder und anderes Inventar zerstört hätte. Andreas
Bodenstein (genannt Karlstadt), Wortführer der ­radikalen Reformer, begründete den sogenannten Bildersturm so:
„Christus sagt: Meine Schäflein hören
meine Stimme. Er sagt nicht: Sie sehen
meine oder der Heiligen Bilder.“ Wer
dennoch Gott in Bildern anbete, bete
nicht Gott an, sondern einen „Ölgötzen
in seinem Herzen“. Luther kehrte nach
Wittenberg zurück. In einem PredigtMarathon (acht Predigten in sieben
Tagen) gelang es ihm, die Gemüter zu
beruhigen.
Luthers Kritik galt zunächst dem
Vorgehen von Karlstadt. Bevor man
Veränderungen angehe, müss­ten die
Gemeindeglieder in den grundlegenden Glaubensfragen unterwiesen werden. Dabei gelte allein die Überzeugungskraft des Wortes. „Predigen will
ich’s, sagen will ich’s, schreiben will ich’s.
Aber zwingen, mit Gewalt dringen will
ich niemand, denn der Glaube will willig, ungenötigt angenommen werden.“
In der Sache selbst wandte sich Luther (wie Karlstadt) gegen die Vorstellung, dass die Bilder „Heilsmittel“ seien: Wer den Bildern eine heilende
Kraft zuspreche, wer sie deshalb vereh-
Das Luther-Zitat
Martin Luther über die Bilder:
„Das Bilderstürmen habe ich so angefangen, dass ich die Bilder zuerst
durchs Wort Gottes aus den Herzen riss und unwert und verachtet machte:
wie es denn auch so schon geschehen ist, ehe denn Doktor Karlstadt vom
Bilderstürmen träumte. Denn wo sie aus dem Herzen sind, tun sie vor den
Augen keinen Schaden. Aber Doktor Karlstadt, dem nichts an den Herzen gelegen ist, hat das umgekehrt und sie aus den Augen geschafft und im Herzen
stehen lassen. Denn wo die Herzen unterrichtet sind, dass man Gott allein
durch den Glauben gefalle und ihm durch Bilder kein Gefallen geschieht,
sondern dass sie ein verlorener Dienst und Aufwand sind, fallen die Menschen selbst freiwillig davon ab, verachten sie und lassen keine machen.“
Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525)
„Das Bilderstürmen
habe ich so angefangen,
dass ich die Bilder zuerst
durchs Wort Gottes aus
dem Herzen riss ...“
Martin Luther
re, anbete und zum Götzen mache,
missbrauche die Bilder. Das gelte auch
für die weit verbreitete Praxis, durch
Stiftung von Bildern vor Gott Genugtuung leisten und Verdienste erwerben zu wollen. Dem Missbrauch müsse durch Predigt und seelsorgerliche
Zuwendung begegnet werden. Dort,
wo die Bilder weiterhin verehrt würden, könne eine Entfernung aus den
Kirchen geboten sein.
Doch Luther gestand den Bildern
auch eine katechetische Bedeutung zu.
„Andechtig Bilder und Gemelde“ vermögen das Wort des Evangeliums zu
unterstützen und zu festigen; sie erinnern an „Gottes werk und wort allen
enden“, wecken die Andacht und trösten. Letztlich aber sei es, „frei gelassen“,
ob man gemalte Bilder (ge-)braucht
oder nicht. In vielen evangelischen Kirchen ist deshalb die mittelalterliche
Ausstattung erhalten geblieben.
So sehr die Schweizer Reformatoren
mit Luther in der Ablehnung der Bilder als „Heilsmittel“ übereinstimmten,
so wenig vermochten sie Luther in der
positiven Bewertung der Bilder zu folgen. Die Abkehr von den Bildern begründete der Züricher Reformator
Huldrych Zwingli mit der bleibenden
Gültigkeit des 2. Gebotes: „Du sollst
dir kein (Gottes-) Bildnis machen.“ Das
Argument der Befürworter, dass man
mit den Bildern doch nur die menschliche Seite Jesu darstellen wolle, ließ er
nicht gelten, denn die menschliche
Seite sei untrennbar mit seiner göttlichen Seite verbunden. Gegenüber der
katechetischen Funktion der Bilder
war Zwingli skeptisch: Einmal aufgestellte Bilder zögen Verehrung auf
sich. Das lehre die Erfahrung.
Im Juni 1524 erließ der Züricher
Stadt­rat die Anweisung, dass „man die
Götzen und Bilder mit Züchten“ (das
heißt geordnet) „hinweg tun solle, damit dem Wort Gottes statt gegeben
werde“. Die Bildwerke wurden entfernt und, soweit sie nicht von den
Stiftern oder ihren Nachfahren zurückgenommen wurden, zentral deponiert.
Wie Zwingli lehnte auch der Genfer Reformator Johannes Calvin jede
Darstellung Gottes oder Jesu Christi
ab. Katechetische Gründe ließ er nicht
gelten. In der Zulassung der Bilder zeige sich ein grundsätzliches Versagen
der Kirche. „Wenn die Vorsteher der
Kirche den Bildern das Lehramt übertragen haben, so geschah das aus keinem anderen Grunde, als – weil sie
selber stumm waren.“ Kultbilder entstünden immer dann, wenn Menschen
verunsichert seien und nach einem
sichtbaren Halt suchten. Mit der bildlichen Darstellung versuchten sie, sich
Gottes zu versichern und ihn verfügbar zu machen. Das aber mindere Gottes Souveränität. Gott allein die Ehre
zu geben, durch sein Wort und in seinem Wort – das müsse in der Gestaltung der Kirchräume zum Ausdruck
kommen. In den reformierten Gemeinden calvinischer Prägung kam es
deshalb zu einer Neugestaltung der
Kirchräume, einem Hörsaal vergleichbar, mit der Kanzel im Zentrum.
Mit dem Ende der überkommenen
Bildverehrung brach für viele Künstler
ein wesentliches Geschäftsfeld zusammen. Neue Auftraggeber mussten gewonnen werden. Biblische Motive
kehrten in verschlüsselter Darstellung
wieder. Religiöse Kunst wurde privatisiert.Sie fand Aufnahme in den Häusern des aufstrebenden städtischen
Bürgertums. Die Malerei erfuhr eine
Ausweitung der Themen und Stoffe.
Die Porträts der vier Evangelisten
schmücken heute die Stirnseite der
reformierten Kirche in Osnabrück.
Der Kirchenrat hatte sich einstimmig
dafür entschieden: „Auch eine reformierte Kirche kann ästhetisch schön
sein.“ Das ist auch einer neuen Sicht
der darstellenden Kunst in unserer
Zeit zu verdanken. Bilder, die bib­lische
Motive aufnehmen, laden demnach
nicht dazu ein, das Geheimnis Gottes
verfügbar zu machen. Sie gestalten
Räume mit oder ohne direkte biblische Bezugnahmen, in denen dieses
Geheimnis durchschimmert und
Menschen zum Fragen nach Gott veranlasst.
Bernd Krebs ist
reformierter Theologe
in Berlin und
­Beauftragter für das
Reformations­jubiläum.
Foto: EKBO/Zöllner
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Arthrose-Schmerzen in den Gelenken
Neue Kollagen-Therapie
Gelenkschmerzen kommen mit zunehmendem Alter immer häufiger
vor und führen zu einem erheblichen Verlust der Lebensqualität.
Jede Bewegung schmerzt. Unabhängig davon, welche Gelenke betroffen sind: zu wenig Bewegung
und ein akuter Kollagen-Mangel
sind in der Regel der Grund für die
Schmerzen.
Versorgung des Knorpels
Bei Arthrose besteht durch erhöhten Verschleiß ein akuter Mangel an
Kollagen. „Der Gelenkknorpel besteht zu mehr als 70 % aus dem Eiweiß Kollagen. Wird dem Körper zu
wenig Kollagen zugeführt, können
die Gelenke aneinander reiben und
die Schmerzen werden unerträglich. Im Extremfall muss operiert
werden“, so der Sportmediziner Dr.
med. W. Grebe aus Frankenberg.
Anderer Therapie-Ansatz
Doch soweit muss es nicht kommen: Neue Studien belegen, dass
durch die Einnahme spezieller Kollagen-Peptide über 3 Monate zu-
sammen mit antientzündlich wirkendem Hagebutten-Extrakt (z. B.
CH-Alpha PLUS, Trinkampullen,
rezeptfrei in Apotheken), neben
einer schnellen Schmerzreduktion
sogar eine Regeneration des
Knorpels möglich ist. Zusätzlich
empfehlen Experten eine Kombination geeigneter Bewegung,
z. B. gelenkschonender Gymnastikübungen, um geschwächte
Muskelgruppen zu kräftigen.
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3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 27. März 2016 | Nr. 13 NK
Auch die Kirche kann irren
Luthers Zweifel am automatischen Besitz der Wahrheit von geistlichen Führern und kirchlichen Gremien
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Widerrufen kann ich nicht, Luthers Reformprogramm, Gemeinde und Amt
Bibeltexte:
Hiob 6, 24; 19, 4; Jesaja 29, 24; J­ eremia
8, 4–5; Markus 12 ,24.29; Johannes 18,
38; Johannes 4 ,6; Hebräer 5 , 1–44
Literatur:
– Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell
in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie, München, C. H. Beck 22013.
– Hans-Martin Barth, Die Theologie
Martin Luthers. Eine kritische Würdigung, Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus 2009.
– Schatten der Reformation. Der lange
Weg zur Toleranz. Magazin zum Themenjahr 2013: Reformation und Toleranz, hg. vom Kirchenamt der EKD,
Hannover 2012, nur noch digital erhältlich unter www.ekd.de/downloads/Toleranzmagazin_neu_doppelseitig.pdf.
cher noch lauter ist. Ich kann nicht
anders, hier stehe ich, Gott helfe
mir. Amen.“
Besser eine irrende
Kirche als eine untätige
Jedes Ziel ist relativ – und auch die Geistlichen können sich irren. Denn die Wahrheit kennt allein Gott. Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 13
Teil 3: Auseinandersetzungen
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Wo informieren Sie sich, wenn Sie
wissen wollen, was „die Kirche“ zu einem Thema sagt und glaubt?
2. In welchen Fragen irren die Kirchen
Ihrer Meinung nach heute?
3. In welcher theologischen Frage halten Sie einen breiten Konsens für unerlässlich?
4. Wer hat Ihrer Ansicht nach V
­ oll­­macht, für „die Kirche“ zu sprechen?
Zugänge zum Thema:
– Luther lesen: „Daß eine christliche
Versammlung oder Gemeinde Recht
und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und
abzusetzen, Grund und Ursache aus
der Schrift“ (1523), in: Martin Luther,
Ausgewählte Schriften, herausgegeben von Karin Bornkamm und Georg
Ebeling, Band 5, Frankfurt am Main,
Suhrkamp 1995, Seiten 7–18
Ist die Kirche unfehlbar? Nein, die
Liste der Irrtümer im Laufe der Kirchengeschichte ist lang. Aber die
Überzeugung, dass Kirche irren kann,
wurzelt in Luthers Kritik, die sich am
Selbstverständnis seiner Kirche entzündet hat.
Von Heinrich Bedford-Strohm
Die Kirche kann irren. Wenige Einsichten der Reformation des 16. Jahrhunderts haben sich vermutlich so
nachhaltig durchgesetzt wie diese.
Intoleranz und Opportunismus, ein
mangelndes Bewusstsein für die
schuldhafte Verstrickung in Ketzerund Hexenprozesse und die Eigenanteile an den blutigen Auseinandersetzungen unter den Konfessionen
und im Geflecht von Mission und
Kolonialisierung, eine unscharfe Distanz zu totalitären Regimen und
Antijudaismen, die zur Begründung
der Verfolgung von Juden benutzt
werden konnten … – die Liste der
Irrtümer ist lang und wäre weiter
fortzusetzen. Sie stellt die Spuren des
Segens, die sich mit dem Handeln
der Kirche verbinden, nur zu oft in
den Schatten, in der Wahrnehmung
der eigenen Mitglieder wie bei vielen
Außenstehenden.
Dabei ist die Überzeugung, dass
die Kirche irren kann, hart errungen.
Sie hat ihre Wurzeln unter ­anderem
in der Kritik, die Martin Luther am
Selbstverständnis der Kirche seiner
Zeit entwickelt hat. Sein reformatori-
Das Luther-Zitat
Martin Luther über den Irrtum der „Nachfolger Jesu“:
„Wenn die Nachfolger nicht auf dem Fundament der Apostel [gemeint: die
Heilige Schrift] stehen und es nicht beachten, dann sind sie Ketzer oder
Antichristen [...]. Eine Bischofsversammlung beziehungsweise ein Konzil
können also irren, so wie andere Menschen, sei es in einem öffentlichen
Amt, sei es privat.“
„Wenn sie aber nicht irren, so geschieht das durch günstige Umstände [...],
nicht aber durch die Vollmacht ihrer Versammlung.“
Aus: Disputation über die Macht eines Konzils (1536)
Grafik: Fotolia/JiSign
„ ... weder dem Papst, noch den Konzilien allein vermag
ich zu glauben, da es feststeht, dass sie sich wiederholt
geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so halte ich
mich überwunden durch die Schrift ...“
Martin Luther
scher Eifer richtete sich gegen eine
machtgesteuerte Kirche, die den Menschen das eigentliche Evangelium
vorenthält und sie stattdessen mit erfundenen Bestimmungen knechtet.
Ihren deutlichsten Ausdruck fand
diese Deformation für Luther in der
Praxis des Ablasshandels: Um den
Neubau der Peterskirche in Rom zu
ermöglichen, förderten die Päpste
eine höchst ertragreiche Form des Erlasses für zeitliche Sündenstrafen. Die
Händler erzielten mit ihren Ablassbriefen große Gewinne. Die theologischen Konditionen dabei waren mitunter abstrus: Wer seinen Ablass
kaufte, brauchte die Sünden nicht
einmal mehr zu bereuen.
Weichen gestellt für die
Reformationsbewegung
Das ließ Luther zur Feder greifen. Er
veröffentlichte seine 95 Thesen. „Daher irren die Ablassprediger, die da
sagen, dass durch des Papstes Ablass
der Mensch von ­aller Strafe los und
selig werde“, schreibt er (These 21).
Und: „Keiner ist der Wahrhaftigkeit
seiner Reue sicher“ (These 30). Damit
trat Luther in eine Auseinandersetzung mit der Kirche ein und war gefordert, sein Verständnis von Kirche
deutlich zu formulieren.
Ein Höhepunkt der Auseinandersetzungen war die Leipziger Disputation, ein öffentliches Streitgespräch
im Juni / Juli 1519 mit ­Johannes Eck.
Eck brachte Luther nicht nur dazu,
die Irrtumsfähigkeit der Päpste zu behaupten, sondern auch zu der Aussage, dass auch Konzilien irren können
und geirrt hätten. Damit wurden einerseits die Weichen gestellt, die zur
kirchenamtlichen Verurteilung Luthers und zum Bann führten. Zugleich sah Luther sich umso deutlicher herausgefordert, seine theologischen Positionen und die damit verbundenen Ideen für eine Kirchenreform öffentlich zu vertreten.
In den folgenden beiden Jahren
verfasste er zentrale Schriften, in denen er sich unter anderem mit dem
Unterschied von Klerus und Laien,
mit den Sakramenten, dem Opfercharakter der Messe, dem Mönchsgelübde als einer besonderen Form des
Christentums und mit dem Kirchenrecht befasste. Die ­Einsicht in die Irrtumsfähigkeit der Kirche führte ihn
zum theologischen „Systembruch“.
Wenn Päpste und Konzilien in
Glaubensfragen irren können,
braucht es neue Kriterien für die
Theologie und das kirchliche Leben.
An die Stelle des kirchlichen Lehramtes treten für Luther das Schriftprinzip und das Gewissen des Einzelnen. Das hat er vor dem Reichstag in Worms am 18. April 1521 auf
den Punkt gebracht, als er genötigt
war, seinen theologischen Ansatz
e r n eu t u n d n u n vo r d e r
­Ö ffentlichkeit des Heiligen Römischen Reiches zu rechtfertigen:
„Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder vernünftige Gründe überwunden werde – denn weder dem Papst, noch
den Konzilien allein vermag ich zu
glauben, da es feststeht, dass sie sich
wiederholt geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so halte ich
mich überwunden durch die Schrift,
auf die ich mich gestützt habe, so ist
mein Gewissen im Gotteswort gefangen, und darum kann und will
ich nichts widerrufen, weil gegen
das Gewissen zu handeln weder si-
Die heutige römisch-katholische Kirche entspricht nicht mehr der Kirche,
gegen die Luther im 16. Jahrhundert
seinen Protest erhob. Alle kirchlichen
Konfliktpartner der Reformationszeit
haben aus ihren Irrtümern gelernt.
Aber die Vielfalt der Konfessionen,
Landeskirchen, Freikirchen und Denominationen, wie wir sie heute erleben, ist weit von dem entfernt, was
Martin Luther sich unter einer erneuerten Kirche hätte vorstellen können.
Und dennoch hat sich die Fragerichtung, was den Irrtum angeht,
heute möglicherweise verschoben.
Vielleicht ist die Frage heute eher,
wie sehr die Kirche überhaupt zu
­irren bereit ist. Im Jahr 2013 wurde
Papst Franziskus zitiert mit dem
Satz: „Ich bevorzuge eine Kirche, die
sich irrt, weil sie etwas tut, statt einer
die krank wird, weil sie eingeschlossen bleibt.“
Aus den eigenen sicheren Mauern
herausgehen, in den Konflikten und
Nöten der Menschen heute präsent
sein, sich einmischen, Position beziehen, Partei ergreifen für die Schwachen, für die Verletzlichen, für die
Ausgestoßenen, etwas wagen – das
könnte der reformatorische Impuls
von heute sein.
Eine Kirche, die belanglos wird,
weil sie nichts wagt, braucht niemand.
Eine authentische öffentliche Kirche,
die mitten im Leben riskantes Zeugnis für das Evangelium ablegt und
darin ausstrahlt, wovon sie spricht, die
braucht unser Land, braucht diese
Welt, dringend.­
Haben Sie Fragen zum Thema?
Möchten Sie uns Ihre Meinung mitteilen? ­Schreiben Sie eine E-Mail an
[email protected].
Oder diskutieren Sie darüber mit
dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf
Krötke in u
­ nserem Reformations-Blog
https://glaubenskursreformation.
wordpress.com
Heinrich
Bedford-Strohm
ist Ratsvorsitzender
der EKD und Bischof
der Evangelischen
Landeskirche Bayerns.
Foto: epd
Sonntag, 3. April 2016 | Nr. 14 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Gott, Herz, Hören
Gottesdienst verstehen mit Martin Luther
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 14
Teil 3
Auseinandersetzungen
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Was ist dran an der in evangelischen
Gemeinden verbreiteten ­
Meinung:
„Die Katholiken müssen ja zur Messe,
wir Evangelischen dagegen müssen
nicht zum Gottesdienst gehen“?
2. Welche theologischen Gründe gibt
es (nach Luther) für den Gottesdienstbesuch, welche dagegen?
3. Wo kann man Gott erfahren und wo
kann man Gott reden hören? Im Wald?
Im Gebet? Im Gottesdienst – in der
Predigt, im Mahl, in Liedern und Musik, in der Stille? Oder hört man Gott
besser in der leeren Kirche, jenseits
der Liturgie oder zwischen den Liturgien?
4. Gesetzt den Fall, es stünden
­un­be-­­grenzt Zeit und Geld für die
Gestaltung von Gottesdiensten zur
Verfügung: Was würden wir tun?
Welche wären dann die ersten, welche die mittel- und langfristigen
Maßnahmen?
Zugänge zum Thema:
– Gottesdienste besuchen, einen katholischen und einen evangelischen,
Erlebtes austauschen
Gottesdienst ist Ritual, die sonntägliche Wiederholung des V
­ ertrauten
und Beruhigenden, so kann man es in
Büchern über den Gottesdienst immer wieder lesen. Das mag auf ruhige
Zeiten auch so zutreffen. Nähert man
sich aber Luther, dann stimmt das nur
in geringem Maße. Für Luther waren
Gebet und Gottesdienst zuerst
Kampf. Hier ging es um alles – um das
richtige oder falsche Verständnis
Gottes. Ohne die mittel­
alterliche
Messliturgie hätte es keine Reformation gegeben.
Von Michael Meyer-Blanck
In Eric Tills Lutherfilm aus dem Jahr
2003 wird gezeigt, wie dramatisch sich
der junge Luther im Kloster den
Glauben erkämpfen musste – gegen
den eigenen Unglauben. Wenn ihn
wieder alle teuflischen Mächte packen würden, so sagte ihm sein väterlicher Freund und Ordensvorgesetzter Staupitz, dann solle er ein Kreuz
in die Hand nehmen und sich daran
festhalten. Im Film sieht man den
jungen Luther in einer schweren
Angstkrise, wie er das Kreuz packt,
sich auf den Boden wirft, in der Form
des Kreuzes die Arme von sich streckt
und „Christus, hilf mir!“ ruft.
Wenn es ganz schlimm kommt,
dann heißt es einfach nur sich festhalten, vielleicht an dem einen Satz:
„Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Markus 9, 24). Gebet ist
Leben ohne Netz und doppelten Boden. Nur so ist es auch aufscheinender Glanz, der den Dingen trotz allem
eigen ist. Davon lebt der Gottesdienst,
der nach Luther keine gemächliche
Wiederholung des schon Bekannten
ist, sondern Begegnung mit Jesus
selbst. Wie könnte die Begegnung mit
jemandem, den man liebt, Routine
und Wiederholung sein?
Eine sehr gebildete und auch kluge
alte Dame aus meiner Gemeinde in
Norddeutschland sagte einmal zu
mir: „Ach, wissen Sie, zum Gottesdienst muss ich nicht gehen, ich weiß
ja inzwischen, was da kommt, es geht
Der Gottesdienst braucht nach Luther keine geweihten Altäre oder heilige Räume – wie hier im Hafen von Dierhagen auf dem Fischland.
eben immer um das Lob Gottes, und
das ist ja auch schön, aber ich brauche
das nicht.“
Gottesdienst ist zuerst
Gottes Dienst an uns
In dieser Äußerung ist der Gottesdienst vor allem als unser Dienst an
Gott, als unser Gotteslob verstanden.
Luther aber drehte das Ganze um: Der
eigentliche Akteur im Gottesdienst ist
nicht der Mensch, der Gott lobt und
preist. Es geht in der Liturgie nicht um
­unseren Dienst an Gott, sondern um
Gottes Dienst an uns.
Der eigentliche Akteur ist Gott,
der dem Menschen etwas Gutes tut,
der ihn tröstet und aufrichtet. Gott
macht die Menschen gewiss, dass sie
zwar vielleicht nicht in Ordnung,
aber gerade so (und nicht „trotzdem“!) gut, schön und geliebt sind. So
erweist Gott den Menschen seinen
Dienst. Darum soll sich der Gottesdienstbesucher gar keine Gedanken
machen, ob er Gott recht dient oder
nicht. Alle Konzepte von Gottesdienst
als einer Gott erwiesenen Ehre, alle
Formen von Kult zu Gottes Lob sind
damit zwar nicht hinfällig, aber zweitrangig. Das Eigentliche ist das Handeln Gottes: „Er selbst kommt uns
entgegen, die Zukunft ist sein Land“
(EG 395, 3).
Herz statt Altar – der
gottesdienstliche Ort
Für Luther ist der wichtigste Ort des
Gottesdienstes das Herz des glaubenden Menschen. Es kommt nicht darauf an, dass ein Priester das Heilsgeschehen in kultisch angemessener
Form zelebriert – so schön das ist,
und evangelische Liturgen legen oft
viel zu wenig Wert darauf. Aber der
eigentliche liturgische Ort ist der Altar nicht. Denn es kommt vor allem
darauf an, das, was dort geschieht, als
etwas „für mich“ zu begreifen. Das
Schöne und Wahre und Gute in der
Das Luther-Zitat
Martin Luther über den Gottesdienst
Weil nun aber der Sonntag ganz allgemein als unser Feiertag angenommen
ist, so bleibe es so, nur dass wir Herren darüber seien und nicht er über
uns. Hier sollen wir zusammenkommen, um Gottes Wort zu hören und ihn
miteinander anzurufen, in aller Not zu ihm zu beten und ihm für empfangene Wohltaten zu danken. Kann es nicht unter einem Dach oder in einer Kirche geschehen, so geschehe es auf einem freien Platz unter dem Himmel,
oder wo Raum dazu ist, aber doch so, dass es eine ordentliche, allgemeine,
öffentliche Versammlung sei, weil man nicht für jeden einen besonderen
Ort bestellen kann und auch nicht in heimliche Winkel gehen soll, auf dass
man sich dort verstecke.
Da ist der Vorteil dabei, wenn die Christen so zusammenkommen, dass
das Gebet noch einmal so stark gehet wie sonst. Man kann und soll zwar
überall an allen Orten und zu allen Stunden beten. Aber das Gebet ist nirgendwann so kräftig und stark, als wenn die ganze Gemeinde einträchtig
miteinander betet.
Aus der Torgauer Kirchweihpredigt vom 5.10.1544
Vor allen Dingen will ich gar freundlich gebeten haben, auch um Gottes
Willen, dass alle diejenigen, die diese unsere Ordnung im Gottesdienst
­sehen oder befolgen wollen, ja kein notwendig Gesetz draus machen, noch
jemands Gewissen darein verstricken oder damit fangen, sondern sie, der
christlichen Freiheit entsprechend, nach ihrem Gefallen gebrauchen, wie,
wo, wann und wie lange es die Sache mit sich bringt und fordert.
Anfang der S
­ chrift „Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes“ 1526
Liturgie anschauen allein bringt es
eben nicht.
Darum ermahnt Luther in seinen
gottesdienstlichen Schriften immer
wieder dazu, dass wir das Tun Gottes
für uns „im Herzen fest erfassen“. Darum ist die entscheidende menschliche Person in der Liturgie nicht der
Priester, sondern der einzelne Gläubige. Die jahrhundertelange Herrschaft
der Geistlichen über die Menschen ist
aufgehoben, indem jeder Einzelne
gefragt und selbst verantwortlich ist.
Jeder ist sein eigener Priester mit dem
eigenen Altar im Inneren.
Das allgemeine Priestertum bezieht sich also auf den Kern des Glaubens, auf die eigene Gewissheit, ein
guter, ein anerkannter, ein Mensch
Gottes zu sein. Diese Gewissheit kann
einem keiner abnehmen – und bisweilen muss sie erkämpft werden, so
wie das bei Luther selbst der Fall war.
Die Herausforderung,
aktiv passiv zu sein
Der erste Satz aus Luthers „Deutscher
Messe“ von 1526 warnt vor dem
Überschätzen der liturgischen Form.
Für den Gottesdienstbesucher
kommt es nicht darauf an, etwas Bestimmtes und Richtiges zu tun. Vielmehr ist das Gegenteil gefragt: Es
geht darum, liturgisch in bestimmter
und richtiger Weise nichts zu tun.
Der Mensch soll all seine Aktivität
darauf verwenden, passiv zu sein.
Diese paradoxe Regel wurde am
Anfang der Neuzeit formuliert, und
sie stellt für uns spätmoderne Menschen eine erhebliche Herausforderung dar. Aus dem aktiven Arbeiter,
dem homo faber, wird der passive
Mensch, das Kind vor Gott, das sich
beschenken lässt. Darum ist die erste
liturgische Aufgabe – nicht zuletzt
für diejenigen, die predigen und die
Liturgie leiten – das Hören und
Empfangen.
Ein Missverständnis wäre es allerdings, den Gottesdienst als Predigt
mit Umrahmung aufzufassen. Das
Hören beschränkt sich nicht auf das
Anhören von pfarramtlichen Reden.
Gute Predigten sind gewiss das wichtigste Markenzeichen der evangeli-
Foto: Marion Wulf-Nixdorf
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Das Evangelium im Turm wiederentdeckt; Luthers Reformprogramm, Kirche in Gefangenschaft; Predigt, Kirchenlied;
Bibeltexte:
Apostelgeschichte 2, 42–47;
Römer 12, 1
Literatur:
– Karl-Heinrich Bieritz, Liturgik, Berlin/New York 2004, 466–467
– Michael Meyer-Blanck, Liturgie und
Liturgik. Der evangelische Gottesdienst aus Quellentexten erklärt, Göttingen 2009, 32–74
– Evangelische Kirche in Deutschland
(EKD), Der Gottesdienst. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis
des Gottesdienstes, Gütersloh 2009
schen Kirche, und von Luthers Predigten lernt man bis heute viel. Aber
nicht die Predigt ist das Eigentliche,
sondern das Hören auf Gott, jene umfassende Form von aktivischer Passivität, die nicht unvernünftig ist, wohl
aber höher denn alle Vernunft.
Darum ist auch die Musik für Luthers Gottesdienst- und Glaubensverständnis so wichtig. Wenn man mit
schönen Tönen in Resonanz gerät,
dann ist man in der Weise aktiv und
passiv zugleich, wie das dem Menschen auch vor Gott guttut.
Haben Sie Fragen zu diesem Thema
oder möchten Sie uns Ihre Meinung
mitteilen? Schreiben Sie eine Mail an
[email protected]
Oder diskutieren Sie darüber mit
dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs und Professor Wolf
Krötke in u
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Michael Meyer-Blanck
ist Professor für
Religionspädagogik in
Bonn.
Foto: privat
Sonntag, 10. April 2016 | Nr. 15 NK
Wider die mörderischen Rotten
Luther und der Bauernkrieg
Höchst anstößig
war für Luther
die biblische
Begründung der
moderaten
„Zwölf Artikel“
der ober­
schwäbischen
Bauern von
Anfang März
1525, hier eine
Darstellung am
Krämer-Haus
in Memmingen,
wo sie verfasst
wurden.
Foto: Martin Egg
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden,
Folge 15 Teil 3:
Auseinandersetzungen
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Ist Luthers Unterscheidung ­zwischen
christlicher und welt­licher Freiheit
von Menschen in der Gesellschaft
heute noch so zu vertreten?
2. Müssen Christen Revolutionen
ablehnen?
3. Wie hätten Sie an Luthers Stelle auf
den Bauernaufstand reagiert?
Zugänge zum Thema:
– Besuch des Bauernkriegspanora­
mas in Bad Frankenhausen oder Be­
trachtung einer Fotografie ­dieses Pa­
noramas
Erst ermahnte Luther die Fürsten und
Herren, sie hätten den Aufruhr der
Bauern verursacht. Dann rief er zur
Vernichtung der Bauern auf. Ein finsteres Kapitel der Reformation.
Von Siegfried Bräuer
Zum Lutherjubiläum 1883 wurde im
schwäbischen Leipheim ein Gedenkstein errichtet, auf dem auch der Name
des ersten evangelischen Pfarrers der
Stadt, Johann Jakob Wehe, stand. Als
bekannt wurde, dass sich der 1525 Hingerichtete am Bauernkrieg beteiligt
hatte, sah seine Kirche darin ein Problem. Hatte doch Luther den bewaffneten Aufstand der Bauern verurteilt.
Die Frage „Reformation und Bauernkrieg“ ist nie ganz zur Ruhe gekommen. Luthers Stellungnahmen zum
Bauernkrieg gehören zur belastenden
Hypothek der evangelischen Kirche,
auch wenn vieles, was darüber zu lesen
ist, nicht den Tatsachen entspricht.
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Schon früh war Luther gegen Aufruhr, weil dabei jeder Mensch das
Recht in die eigene Hand nehme und
die von Gott gesetzte Aufgabe der Obrigkeit zur Friedenswahrung verletzt
werde. Chaos und Zerstörung der Lebensgrundlagen seien die Folgen. Luther wendet sich deshalb bereits 1520
gegen Studentenproteste und 1520/21
mit seiner „treuen Vermahnung an
alle Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“ gegen das Drängen auf zügige Veränderungen in Wittenberg. Drei Jahre vor dem Bauernkrieg proklamiert er hier: „Ich halte
und will’s allezeit halten mit der Seite,
die Aufruhr erleidet [...], und will wider die Seite sein, die Aufruhr macht.“
In gewaltsamen Veränderungen
sah er den endzeitlichen Versuch des
Satans, die Verkündigung des neu entdeckten Evangeliums zu vernichten.
Darum argwöhnte er auch Gewalt, als
matorischer Kreise an seiner Härte aber
wies Luther schroff zurück.
Vor allem diese Schrift trug ihm in
der frühen DDR den Vorwurf eines
„Fürstenknechtes“ ein. Später, im Vorfeld des Luther-Jubiläums von 1983,
befreiten die marxistischen Ideologen
den Reformator vom Makel seiner
Bauernkriegsschriften. Der Staatsratsvorsitzende Honecker bezeichnete ihn
gar als einen der größten Söhne des
deutschen Volkes.
Die Evangelische Kirche aber war
lange nur zögernd bereit, sich mit
Luthers Polemik gegen die aufständischen Bauern kritisch auseinanderzusetzen. Es ist jedoch zu bedenken,
dass sich die Zeiten sehr geändert
haben. Für evangelische Christen
heute aber bleibt Luthers Stellungnahme zum Bauernkrieg sehr problematisch.
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Frei und verpflichtet, Kirche und Obrig­
keit, Das Gesetz gehört aufs Rathaus
Bibeltexte: Markus 12, 17;
Römer 13, 1–7; 1. Petrus 2, 17
Literatur:
– Martin Luther: Ausgewählte Schrif­
ten. Herausgegeben von Karin Born­
kamm und Gerhard Ebeling. Bd. 4.,
Frankfurt 1982 (Insel Verlag)
– Heinz Schilling: Martin Luther. Re­
bell in einer Zeit des Umbruchs,
München 2012
– Günter Vogler (Herausgeber): Bau­
ernkrieg zwischen Harz und Thürin­
ger Wald, Stuttgart 2008
– Horst Buszello, Peter Blickle, Rudolf
Endres (Herausgeber): Der deutsche
Bauernkrieg, Paderborn, 1984
Siegfried Bräuer
ist Professor für
Kirchengeschichte in
Berlin.
Foto: Petra Krötke
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ausbreiteten. Der lokal unterschiedliche Wille zur Veränderung fand in den
zwölf Artikeln der oberschwäbischen
Bauern von Anfang März 1525 einen
weithin anerkannten Ausdruck. Der
Memminger Kürschner Sebastian Lotzer hat sie niedergeschrieben und der
Prediger Christoph Schappeler biblische Belege hinzugefügt. Sie forderten
neben der Pfarrerwahl durch die Gemeinde alte Nutzungsfreiheiten, aber
auch neue Befreiungen und Gleichstellungen. Die Autorität der rechtmäßigen Obrigkeit wurde anerkannt und
die Bereitschaft zu Änderungen auf
biblischer Grundlage erklärt.
Luther kannte die zwölf Artikel
schon bald. Die Aufständischen hatten ihn als Schlichter für ihre Forderungen benannt. Als er am 16. April
1525 zu einer dreiwöchigen Reise
nach Eisleben aufbrach, plante er bereits eine Stellungnahme. In Eisleben
„Ehe ich mich umsehe, rauben und toben sie
wie die rasenden Hunde. (...) Darum, liebe Herren,
helft hier. (...) Steche, schlage, würge, wer da kann.“
Martin Luther
Thomas Müntzer als Pfarrer im thüringischen Allstedt eine Gemeinde der
Auserwählten aufzubauen begann.
Als sich die sächsischen Landesherren, Kurfürst Friedrich und Herzog
Johann, Müntzer verweigerten und er
aus Allstedt floh, um mit seinen Predigten in der Reichsstadt Mühlhausen
Fuß zu fassen, stand für Luther fest, was
von dem „Satan von Allstedt“ zu erwarten war. Er sah seine Sorge bestätigt,
als sich Müntzer nach Süddeutschland
begab und in den Unruhen der Bauern
das Werkzeug Gottes für den großen
endzeitlichen Umbruch begrüßte.
Der Bauernkrieg hat eine lange
Vorgeschichte in den großen Veränderungen des Spätmittelalters, der reformatorische Aufbruch sorgte jedoch
für einen weiteren Schub. Nach Protestaktionen und Revolten kam es
1524/1525 zu Erhebungen in kleineren Herrschaften Südwestdeutschlands, die sich schnell als Aufstand
Das Luther-Zitat
Martin Luther über den Bauernkrieg
„Im voranstehenden Büchlein durfte ich die Bauern nicht verurteilen, weil
sie sich zur Untersuchung des Rechts und zu Annahme besserer Belehrung
erboten. [...] Aber ehe ich mich umsehe, schreiten sie weiter und greifen mit
der Faust zu, vergessen ihr Angebot, rauben und toben wie die rasenden
Hunde. [...] Darum liebe Herren, erlöset hier, rettet hier, helft hier! Erbarmet
euch der armen Leute! Steche, schlage, würge hier, wer da kann. Bleibst du
darüber tot – wohl dir! Einen seligeren Tod kannst du niemals erreichen,
denn du stirbst im Gehorsam gegen das göttliche Wort und den göttlichen
Befehl. Röm. 13.“
Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern, 1525
schrieb er sie als „Ermahnung zum
Frieden auf die 12 Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ nieder.
Er ging davon aus, dass es noch
nicht zu Gewaltakten gekommen sei,
und hielt zuerst den Fürsten und Herren vor, sie hätten durch ihre Feindschaft gegenüber dem Evangelium
und ihre Tyrannei den Aufruhr als
Strafe Gottes verursacht. Er verlangt
Buße und Bereitschaft zu maßvollen
Veränderungen. Die Forderungen der
Bauern hält er teilweise für verhandelbar, nicht aber ihre biblische Begründung. Mit ihr verfälschten sie die
christliche Freiheit, die sich auf das
Gottesverhältnis beziehe, zu einer
weltlichen Angelegenheit.
Dann erfuhr Luther, dass Müntzer
nach Mühlhausen zurückgekehrt sei
und in einem Sendschreiben im Namen Gottes zum Endkampf gegen die
Gottlosen aufgerufen hatte. In diesem
Schreiben heißt es: „Dran, dran, solange das Feuer heiß ist. Lasst euer Schwert
nicht kalt werden [...]. Es ist nicht möglich, solange sie leben, dass ihr von
menschlicher Furcht frei werdet.“
Als der Kurfürst am 5. Mai starb,
brach Luther seine Reise ab und schrieb
einen Nachtrag zur Neuauflage seiner
„Ermahnung“: „Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der
anderen Bauern“. Mit ähnlich militanten Worten wie Müntzer rief er im Namen Gottes zur Vernichtung der gewalttätigen Bauern auf. Die gegnerische
Emserdruckerei in Dresden brachte
diese Aufforderung sofort separat heraus, um Luther, der vorher als Aufrührer angeprangert worden war, nun als
Wendehals bloßzustellen. Kritik refor-
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28.12.15 10:20
Sonntag, 17. April 2016 | Nr. 16 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Erfordert Taufe eine eigene Entscheidung?
Luther rechnete mit einem eigenen Glauben der Kinder und setzte auf das Sakrament im Säuglingsalter
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 16
Teil 3:
Auseinandersetzungen
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Wenn Sie als Säugling getauft
wurden: Was wissen Sie von Ihrer
Taufe?
2. Wenn Sie sich an Ihre eigene Taufe erinnern können: Wie haben Sie
das erlebt?
3. Wenn Sie nicht getauft sind: Woran – würden Sie sagen – sind Christen erkennbar?
Zugänge zum Thema:
– Lesen und sprechen Sie über das
Vierte Hauptstück von Luthers Kleinem Katechismus (EG 806,4)
Früher wurden Kinder kurz nach der
Geburt getauft. Die Kindersterblichkeit war hoch, und das Neugeborene
sollte unbedingt mit dem Namen
Christi verbunden sein. Doch ist es
richtig, unmündige Kinder zu taufen?
Gilt die Taufe ohne eigene Entscheidung dafür?
Von Peter Martins
Eisleben 1483, 11. November, St. Petri-Pauli-Kirche. Wie damals alle Kinder, so wurde auch der älteste Sohn
Hans und Margarethe Luders gleich
nach seiner Geburt getauft. Traditionell erhielt er den Namen des Tagesheiligen, Martin. Dieser Brauch
machte den eigenen Namen auch zu
einem Erinnerungszeichen an das
Getauftsein. Es gibt viele Belege darüber, wie wichtig Luther diese Gewissheit war. Ein „Kind Christi“ ist
mit dem heilvollen Namen Jesu
Christi verbunden – und das geschieht in der Taufe.
Eisleben 2012. Seit dem 29. April
ist die restaurierte St.-Petri-PauliKirche ein „Zentrum Taufe“. Ihre architektonische Mitte bildet ein großer runder „Taufbrunnen“. Anders
als durch das gewohnte Übergießen
des Kopfes mit Wasser kann ein Täufling hier ganz ein- oder untergetaucht werden. Luther hat diese Art
der Taufe befürwortet: „Denn ohne
Zweifel kommt in der deutschen
Sprache das Wörtlein Taufe von dem
Wort Tiefe, dass man tief ins Wasser
senkt, was man tauft.“
Taufe als Zugang
zur Kirche
Sein Taufverständnis hat Luther einprägsam 1529 im Kleinen und ausführlicher im Großen Katechismus
entwickelt. Die Taufe erhält ihre lebensprägende Dynamik aus Gottes
Wort, „das mit und bei dem Wasser
ist, und dem Glauben, der solchem
Worte Gottes im Wasser traut“. Was
die Taufe bedeutet, ist bei Paulus (Römer 6) zu lernen: Sie „verbindet“ einen Menschen mit dem gekreuzigten
Jesus Christus, macht ihm am eigenen Leib die „Reinigung von Sünden“
erfahrbar und lässt einen so befreiten
Christenmenschen aus der Kraft der
Auferstehung leben. Die Taufe ist der
Zugang zur Kirche Christi, und sie ist
begründet in der Weisung Jesu: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle
Völker: Taufet sie auf den Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heili-
Taufbrunnen in Eisleben: Religions-Schüler des Martin-Luther-Gymnasiums (7. Klasse) kamen zu Projekttagen in das Zentrum Taufe.
gen Geistes und lehret sie halten alles,
Was „Rechtfertigung aus Glauwas ich euch befohlen habe (Matthä- ben“ bedeutet, ist darum an der Kindertaufe zu sehen: Vertrauen auf die
us 28, 19f.).
Auf dieses Wort beriefen sich aber von außen zugesprochene Gerechtigetwa seit 1522 auch die ersten Grup- keit, die Fähigkeit im Glauben zu
pen, die eine Kindertaufe ablehnten. wachsen, weil es andere gibt, die eiSie waren davon
nem von Anfang
überzeugt, dass die
an mehr vertrau„Denn ohne Zweifel
en, als man
Taufe eine bewusste
selbst dazu aus
Glaubensentscheikommt in der deutschen
eigener Kraft in
dung des Täuflings
Sprache das Wörtlein
der Lage ist.
voraussetzt. Der arTaufe von dem Wort Tiefe,
gumentative AufIn Luthers
wand, den Luther
Sicht war eine
dass man tief ins Wasser
im Großen KatechisEr wachs enensenkt, was man tauft.“
taufe bei den
mus zur VerteidiTäufern die ungung der Kindertauzulässige Wiefe betrieb, zeigt die
Martin Luther
derholung eines
Schwierigkeiten ihrer biblischen Bebereits Getauften, während die
gründung.
Der „Taufbefehl“ Christi schließe Täufer wiederum eine Säuglingstaufe
selbstverständlich alle Kinder mit ein, nicht als gültige Taufe akzeptierten.
so Luther. Weiter: Die Apostelge- Darum bezeichnete Luther die Täufer
schichte berichte von der Taufe ganzer abwertend als „Wiedertäufer“ und stig„Häuser“ und dazu gehörten gewiss matisierte sie als „Schwärmer“ und
die Kinder. Vor allem aber rechnete „Rottengeister“, die wegen öffentliLuther mit einem eigenen Glauben chen Aufruhrs des Landes zu verweider Kinder. Christi Gegenwart in der sen oder sogar mit dem Tod zu bestraTaufe selbst erwecke diesen und stütze fen seien.
Dabei war die Täuferbewegung in
ihn dann durch den „fremden“ Glauben der Eltern, Paten und der Gemein- ihrer großen Vielfalt selbst ein Teil
de in Gebet und Unterweisung.
der Reformation. Die „Schleit­heimer
Das Luther-Zitat
Martin Luther über die Taufe:
Da siehest Du abermals, wie teuer und wert die Taufe zu halten sei, weil wir
solchen unaussprechlichen Schatz darinnen erlangen. Welches auch wohl
­anzeigt, daß es nicht ein schlichtes bloßes Wasser sein kann. Denn bloßes
Wasser könnte solches nicht tun. Aber das Wort tuts und daß Gottes Namen
darinnen ist. Wo aber Gottes Name ist, da muß auch Leben und Seligkeit
sein, daß es wohl ein göttlich, selig, fruchtbar und gnadenreich Wasser
­heißet (Großer Katechismus).
Das Wassertaufen […] bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche
Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und
bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein
neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe
(Kleiner Katechismus).
Artikel“ (1527) zeigen exemplarisch,
was für die schweizerisch-oberdeutsche Täuferbewegung zum Gemeindeleben im Sinne des Evangeliums
gehörte: verbindliche Regelungen für
das Zusammen­leben, Verzicht auf die
Ausübung öffentlicher Ämter, Verweigerung des Eides und Aufruf zur
Gütergemeinschaft.
Täufer wurden
grausam verfolgt
Es gehört sicher zu den dunklen Seiten der Reformationsgeschichte, dass
auf demselben Speyrer Reichstag im
April 1529, auf dem die Evangelischen gegen ihre eigene Diskriminierung protestierten, sie zugleich mit
den katholischen Vertretern die Bekämpfung der Täufer beschlossen
und sich an deren grausamer Verfolgung beteiligten. Die in Luthers Sinn
fortschreitende Reformation verwarf
mit der Verdammung der Täufer aber
zugleich die Alternative, deren Glaubenszeugnis als kritische und tolerante Selbstprüfung der eigenen Positionen zu sehen.
Die Kindertaufe blieb auf lange
Sicht im Hauptstrom des deutschen
Protestantismus unhinterfragt. Erst
seit Mitte des 20. Jahrhunderts und
ausgelöst durch die Tauflehre Karl
Barths setzte ein Prozess ein, der langsam dazu führte, dass auch Tauf­
liturgien für Erwachsene in Gottesdienstordnungen aufgenommen wurden. Das „Zentrum Taufe“ in Eisleben
mag dabei ein weiterer Schritt sein.
Eröffnet wurde es fünf Jahre nach dem
29. April 2007, als in Magdeburg elf
christliche Kirchen feierlich die gegenseitige Anerkennung der Taufe beschlossen. Sie machten damit für die
Praxis verbindlich, was die Kirchen der
Ökumene seit über 1500 Jahren mit
den Worten des alten Glaubensbekenntnisses von Nicäa-Konstantinopel
bezeugen: „Wir bekennen die eine
Taufe zur Vergebung der Sünden.“
Foto: Ulrike Kasper
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Luthers Reformprogramm,
Christsein: frei und verpflichtet,
Katechismen
Bibeltexte:
Markus 1, 9–12;
Matthäus 28, 16–20; Römer 6, 1–7
Literatur:
– Rat der EKD, Die Taufe: Eine Orientierungshilfe
zu Verständnis und
Praxis der Taufe in der evangelischen
Kirche. Gütersloh 2008.
– Christian Lange, Clemens Leonhard,
Ralph Olbrich (Hrsg.), Die
Taufe. Einführung in Geschichte
und Praxis. Darmstadt 2008
Eisleben 1546. 62 Jahre nach seiner
Taufe stirbt Luther am 18. Februar im
Verlauf einer Reise in seiner Geburtsstadt. Seine letzten schriftlichen Worte
waren bekanntlich: „Wir sind Bettler.
Das ist wahr!“ Sie werden an diesem
Ort zu einem „Taufspruch“ besonderer
Art, denn so hätten sie auch über dem
Anfang seines Lebens stehen können:
Nichts hat der Mensch vor Gott als das
Vertrauen, dass ihm durch die Gnade
Christi alles zuteil wird – in der Taufe,
„dem reichen Sakrament für leere
Hände“ (Heiko Augustinus Oberman).
Wie denken Sie über die Kindertaufe? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd
Krebs, und Professor Wolf Krötke im
Reformations-Blog https://glaubenskursreformation.wordpress.com
oder schreiben Sie eine E-Mail an
[email protected].
Peter Martins ist
Pfarrer und leitet das
Pastoralkolleg der EKBO
in Brandenburg
an der Havel.
Foto: privat
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 24. April 2016 | Nr. 17 NK
„Das ist mein Leib“
Lange Zeit gab es Streitigkeiten um das Abendmahl, die die evangelischen Christen spalteten
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 17
Teil 3:
Auseinandersetzungen
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Was ist für Sie das Brot des
Abendmahls, wenn Sie hören, dass
es mit den Worten „Das ist mein
Leib“ eingesetzt wird?
2. Was erleben Sie bei Abendmahl?
3. Sollte das Abendmahl jeden
Sonntag gefeiert werden?
Zugänge zum Thema:
– Betrachten der Bilder „Abend­
mahl“ von Ben Willikens (1976–79)
und „Das letzte Abendmahl“ von
Tintoretto (1592–94)
Vor allem der Streit um das Abendmahl führte zur ­Spaltung innerhalb
der e
­ vangelischen Christenheit: Wie
kann Jesus Christus mit Leib und Blut
bei der Feier des Abendmahls in Brot
und Wein gegenwärtig sein? Über
Jahrhunderte gab es für die Anhänger
der Reformatoren Martin Luther, Johannes Calvin und Ulrich Zwingli keine
Gemeinschaft im Abendmahl. Das änderte sich erst 1973.
Von Anne Käfer
„Wenn Sie die Oblaten austeilen und
die Becher mit dem Wein, dann sagen
Sie bloß nicht, dass seien Christi Leib
und Blut, dann wollen die das nicht.“
Die, das sind die Gemeindemitglieder,
zu deren Schonung die Vikarin von
ihrem Mentor aufgefordert wird, bei
der Feier des Abendmahls nur ja nicht
das lutherische Abendmahlsverständnis explizit zu machen. Die heutigen
Gemeindemitglieder, denen die nötige
theologische Klarheit fehle, könnten
von der Vorstellung, Christi Fleisch zu
verzehren und sein Blut zu trinken,
angewidert sein.
Symbol für
Gekreuzigten
Martin Luther selbst suchte über Jahre
hinweg Klarheit darüber zu erlangen,
was denn die Worte bedeuten, mit denen der biblische Jesus seinen Jüngern
das Brot des „Abendmahls“ austeilt.
Wie ist die Aussage: „Das ist mein
Leib“ zu verstehen?
Während Luther sich noch auf der
Wartburg versteckt hält, bricht der
Priester und Theologieprofessor Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt,
öffentlich mit der katholischen Tradition der Messe. An Weihnachten 1521
feiert er in Wittenberg das Abendmahl
in deutscher Sprache und unter beiderlei Gestalt. Er lässt im Widerspruch
zur katholischen Lehre die Gemeindemitglieder nicht nur am Brot, sondern
auch am Wein des Abendmahls teilhaben. In seinen theologischen Schriften
führt er zudem aus, dass die Abendmahlsfeier vornehmlich dem Gedächtnis des Kreuzestodes Christi diene. Heilswirksam sei allein der durch
den Heiligen Geist gewirkte Glaube an
den Gekreuzigten. Unter anderem
über diese Ansicht gerät Luther mit
Karlstadt in heftigen Streit. Vor allem
aber mit Ulrich (Huldrych) Zwingli,
der die reformierte Tradition entscheidend prägte, führt Luther eine erbitterte Auseinandersetzung.
Nach Zwingli müssen die Verweise
auf Leib und Blut Christi als Redewen-
Das letzte Abendmahl, 1515/20, Basler Werkstatt – unter Mitarbeit Hans Holbeins des Jüngeren (um 1497-1543).
dungen, als Metaphern gedeutet werden. Das „ist“ in der Aussage: „Das ist
mein Leib“, müsse als „bedeutet“ verstanden werden. Das Brot des Abendmahls sei Symbol für den Leib des
Gekreuzigten.
Wort ­verbürgt
Gegenwart
Luther wendet ein, der Wortlaut der
biblischen Überlieferung sei nur dann
recht verstanden, wenn das „ist“ ernst
genommen und erkannt werde, dass
zugleich mit dem Brot des Abendmahls auch der Leib Christi wirklich
gegenwärtig, realpräsent sei. Die Gegenwart des Leibes werde keineswegs
durch eine Wandlung im Sinne der
katholischen Lehre gewirkt. Vielmehr
verbürge das biblisch überlieferte Gotteswort – das sind die Einsetzungsworte, die Christus selbst gesprochen haben soll – die Wahrheit der Realpräsenz
während der Feier des Abendmahls.
Und demgemäß werde Christi Leib
mit dem Abendmahlsbrot gegessen.
An diesem Verständnis ist Luther
aus christologischen Gründen gelegen,
die das Heil des Menschen bedingen.
In Christus sind nach Luther wie nach
Zwingli und in Übereinstimmung mit
der kirchlichen Tradition die göttliche
und die menschliche Natur vereinigt.
Nach Zwingli sind die beiden Naturen
jedoch nur wechselweise von den Lebensvollzügen Christi betroffen. Die
Aussage, dass Gott am Kreuz gelitten
habe, versteht Zwingli als bloße Re-
densart. Zwar sei Christus, der am
Kreuz gelitten habe, auch wahrer Gott.
Doch habe in Christus allein die
menschliche Natur gelitten. Ebenso
schließt Zwingli in seiner Schrift „Eine
klare Unterrichtung vom Nachtmahl
Christi“ (1526) aus, dass Christus, der
mit seiner menschlichen Natur gen
Himmel gefahren sei, mit dieser räumlich gebundenen Natur im Sakrament
des Abendmahls gegenwärtig sein
könne: „So nun Christus zur Rechten
Gottes sitzt und da auch bleiben wird,
bis er am Jüngsten Tage wiederkommt,
wie kann er dann hier auf Erden im
Sakrament leiblich gegessen werden!“
Nach Luther hingegen sind die beiden Naturen Christi derart miteinander vereinigt, dass stets zugleich beide
Naturen an den Lebensvollzügen
Christi beteiligt sind. Am Kreuz leide
Christus als Mensch und als Gott. Dies
sei von unübertreffbarer Heilsrelevanz. Denn nur deshalb, weil Gott
selbst in Christus am Kreuz gelitten
habe und gestorben sei, gewähre der
Kreuzestod Christi Erlösung aus Sünde und Leid.
Gleich wie Gott in Christus gestorben sei, ist nach Luther die menschliche Natur des Erlösers in den Elementen des Abendmahls präsent. Denn die
mit der göttlichen Natur vereinigte
menschliche Natur sei keinesfalls von
der göttlichen getrennt und zur Rechten Gottes abgesetzt worden. Vielmehr
habe sie Anteil an der göttlichen Eigenschaft der Allgegenwart und könne folglich auch in Brot und Wein gegenwärtig sein, wenn diese als Abendmahlselemente konsumiert werden.
Das Luther-Zitat
Martin Luther über das Abendmahl:
„Es ist zutreffend gesprochen, wenn man aufs Brot zeigt und sagt: ‚Das ist
Christi Leib’. Denn wer das Brot sieht, der sieht den Leib Christi [...]. Folglich ist auch recht gesprochen: Wer dieses Brot anfasst, der fasst den Leib
Christi an. Und wer dieses Brot isst, der isst den Leib Christi, wer dieses
Brot mit Zähnen oder Zunge zerdrückt, der zerdrückt mit Zähnen oder Zunge den Leib Christi. Und doch bleibt es stets wahr, dass niemand den Leib
Christi sieht, anfasst, isst oder zerkaut, wie man anderes Fleisch sieht und
zerkaut. Denn was mit dem Brot geschieht, wird zutreffend dem Leib Christi
zugeeignet um der sakramentalen Einheit [von Brot und Leib] willen“
(Martin Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, 1528).
In seiner Schrift „Vom Abendmahl
Christi. Bekenntnis“ (1528) hält Luther fest: „Nein Geselle, wo Du mir
Gott hinsetzt, da musst Du mir die
Menschheit mit hinsetzen. Sie lassen
sich nicht sondern und voneinander
trennen. Es ist eine Person geworden,
die die Menschheit nicht so von sich
scheidet wie Meister Hans seinen Rock
auszieht und von sich legt, wenn er
schlafen geht.“ So wie in der Person
Christi Gott und Mensch stets untrennbar vereinigt seien, sind nach Luther im Sakrament Brot und Leib,
Wein und Blut untrennbar miteinander verbunden. Und deshalb habe der
Glaubende mit dem Verzehr des Brotes und des Weines, durch den ihm
Christus einverleibt werde, Anteil an
der in Christus präsenten Liebesgemeinschaft von Gott und Mensch.
Nach Luther ist ganz klar, dass nur
im Glauben diese Heilswirkung des
Sakramentes erlebt wird. Für Luther
ist jedoch ebenfalls entscheidend, dass
Gottes Zuwendung zum Menschen
von diesem nicht beeinflusst wird.
Gottes liebende Gegenwart sei wie in
Christus so auch in den Elementen des
Abendmahls unabhängig von dem
Glauben gegeben, in dem sie ein
Mensch empfängt.
Gegenwart
durch den Geist
Die Streitigkeiten um das Abendmahl
sollten im Marburger Religionsgespräch (1529) beigelegt werden. Jedoch wurde kein theologischer Konsens gefunden. Vor allem der Streit um
das Abendmahl führte zur Spaltung
der evangelischen Christenheit. In den
folgenden Jahrhunderten wurde immer wieder neu Klarheit gesucht über
das rechte Verständnis des Abendmahls. So führte Johannes Calvin, dessen Theologie die reformierte Tradition maßgeblich beeinflusste, aus, dass
– im Unterschied zu Zwingli – das Brot
nicht als bloßes Symbol, sondern als
der Ort anzusehen sei, an dem durch
das Wirken des Geistes die Gegenwart
des Leibes Christi erlebt werde.
Über viele Jahrhunderte hin feierten die reformierten und die lutherischen Gemeinden kein gemeinsames
Abbildung: epd
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Gottesdienst neu, Zwingli und Bullinger, Calvin, Martin Bucer
Bibeltexte:
1. Korinther 11, 17–34;
Matthäus 26, 17–30
Literatur:
- Abendmahl, hg. v. Hermut Löhr (UTB
3499), Tübingen 2012.
- Dorothea Wendebourg, Art. Taufe
und Abendmahl, in: Luther Handbuch,
hg. v. Albrecht Beutel, Tübingen 2005,
414–423.
- Das Abendmahl. Eine Orientierungshilfe, vorgelegt vom Rat der EKD, Gütersloh 2003.
Abendmahl. Das änderte sich erst
1973 mit der Leuenberger Konkordie,
welche die theologische Grundlage für
eine gemeinsame Abendmahlspraxis
schuf. Die entscheidende Aussage dieser Konkordie ist: „Im Abendmahl
schenkt sich der auferstandene Jesus
Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein“
(EG 811, 18). Heute haben auf dieser
Grundlage 103 evangelische Kirchen
Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft erklärt.
Die theologischen Differenzen
wurden damit jedoch nicht nivelliert.
Und das ist auch gut so, denn sie gewähren Einblick in wertvolle Einsichten darüber, wie Gottes Heilszuwendung in Jesus Christus gedacht werden kann.
Wie denken Sie über das Abendmahl?
Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftrag ten Pfarrer Bernd
Krebs, und Professor Wolf Krötke im
Reformations-Blog https://glaubenskursreformation.wordpress.com
oder schreiben Sie eine E-Mail an
[email protected].
Anne Käfer ist
Privatdozentin
für Systematische
Theologie
an der Universität
Bielefeld.
Foto: privat
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 18
Teil 3
Auseinandersetzungen
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 1. Mai 2016 | Nr. 18 NK
ZUR WEITERARBEIT
Alles vorherbestimmt
oder ist der Wille frei?
Verwandte Themen des Kurses:
Das Evangelium im Turm wiederentdeckt; Christsein – frei und verpflichtet; Luther und der verborgene Gott
Bibeltexte:
2. Mose 7, 1-5;
Römerbrief 9, 11–23;
Epheserbrief 2, 8–10
Literatur:
– Wolfgang Achtner, Willensfreiheit in
Theologie und Neurowissen­schaften.
Ein historisch-systematischer Wegweiser, Darmstadt 2010
– Friedrich Hermanni / Peter Koslowski (Hg.), Der freie und der unfreie
Wille. Philosophische und theologische Perspektiven, München 2004
Luthers Streit mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Wie erleben Sie den Glauben an
Gott: als Zwang, als eigene Entscheidung, als Nicht-anders-Können?
2. Kennen Sie Lebenssituationen, die
man mit Luthers Bild des Zugtiers beschreiben könnte (siehe Zitat unten)?
Zugang zum Thema:
Anspiel mit Marionetten
Hat der Mensch einen freien Willen?
Kann er sich für oder gegen Gott entscheiden? Die Frage nach dem unfreien Willen ist für Martin Luther der
Dreh- und Angelpunkt. Nur zwei ­seiner
Schriften hielt er für gute Bücher; den
Katechismus und „Vom unfreien Willen“. Warum?
Von Christiane Tietz
Die Reformation hat die Freiheit des
Menschen ins Zentrum gestellt – die
„Freiheit eines Christenmenschen“
von der Vermittlung durch kirchliche
Amtsträger, von der Werkgerechtigkeit
und zu guten Werken. Gleichzeitig haben die ­Reformatoren, allen voran
Martin Luther, eine fundamentale Unfreiheit des Menschen ausgemacht.
Luther war überzeugt: Der Mensch
hat gegenüber Gott keinen freien Willen, er ist nicht in der Lage, sich für
oder gegen Gott zu entscheiden.
Diese Vorstellung trifft heute auf
viel Unverständnis, weil sie dem modernen Freiheitsdenken widerspricht.
In manchen evangelischen Traditionen wird sie ausdrücklich abgelehnt,
weil es gerade die Entscheidung eines
Menschen für Gott sei, die ihn zum
Christen mache.
Luther hingegen meinte, an der Unfreiheit des Willens hänge seine Rechtfertigungslehre. Die zentrale Einsicht
bei ihr ist ja, dass der Mensch durch
kein gutes Werk, weder ein moralisches
noch ein religiöses, seine Annahme
durch Gott bewirken kann. Gott
nimmt den Menschen allein aus Gnade
an. Das Einzige, was der Mensch tun
kann, ist, diese gnädige Annahme geschehen zu lassen, das heißt zu glauben.
Martin Luther hat mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam
(†1536) heftig über die Frage gestrit-
Das Luther-Zitat
Wird der Mensch wie
eine Marionette von
anderen Mächten
gelenkt? Foto: Fotolia.com
ten, ob der Mensch sich für diesen Geschenk Gottes. Nur an Gott hängt
Glauben entscheiden kann oder nicht. das ewige Heil des Menschen. Auch
Erasmus behauptet in seinem Text das Geschenk des Glaubens an Gottes
„Vom freien Willen“ von 1524, die Gnade ist rein in Gottes Gnade begründet.
Gnade sei zwar weLuther und die
sentlich, um zum
Wenn es irgendwie
anderen ReformaGlauben zu finden.
geschehen könnte, möchte toren fassen dies
Aber auf der Seite
ich nicht, dass mir ein
im Anschluss an
des Menschen gebe
Augustin unter
es ein minimales
freier Wille gegeben
dem Begriff der
Moment der Entwerde, mit dem ich nach
scheidungsfreiheit.
„Prädestination“:
dem Heil streben könnte.
Nur dann sei der
Es ist prädestiniert,
Mensch für seinen
das heißt von Gott
Martin Luther
Unglauben oder
vorherbestimmt,
Glauben (und damit
wer glauben kann
auch für sein ewiges Unheil oder Heil) und wer nicht. Die Frage, warum Gott
verantwortlich. Und nur so könne der nicht alle Menschen zum Glauben
Mensch zum Glauben und zum ­guten vorherbestimmt hat, ist für Luther die
Leben angespornt werden.
eigentliche Theodizee-Frage, das heißt
Luther vertritt in seiner Reaktion ­­­die Frage, wie dies gerecht sein kann.
auf Erasmus’ „Vom unfreien Willen“
Luther versucht sie mit seiner Vorvon 1525 die entgegensetzte Position: stellung vom verborgenen Gott zu beDiese Freiheit, sei sie noch so klein, hat antworten. Und er hofft, dereinst,
der Mensch nicht. Denn sonst läge es wenn er Gott von Angesicht zu Angeam Menschen, ob er sich in der richti- sicht schaut, zu verstehen, warum das
gen Weise auf Gott bezieht oder nicht gerecht war. Für den Moment emp– und der Glaube würde zu einem fiehlt er, mit jedem Menschen so ummenschlichen Werk. Stattdessen, so zugehen, als wäre er zum Glauben an
schärft Luther ein, ist der Glaube ein Gott bestimmt. Denn keiner weiß, ob
der andere prädestiniert ist oder nicht.
In seinem sonstigen Handeln ist
der Mensch aber frei. Luther war über-
Der Mensch als Zugtier
So ist der menschliche Wille in die Mitte gestellt wie ein Zugtier. Wenn Gott
darauf sitzt, will und geht es, wohin Gott will … Wenn Satan darauf sitzt, will
und geht es, wohin Satan will. Und es liegt nicht an seinem Willensvermögen,
zu einem von beiden Reitern zu laufen oder ihn zu suchen. Vielmehr streiten
die Reiter selbst darum, es in Besitz zu nehmen und in Besitz zu behalten.
Der Heilige Geist handelt aus Belieben
Wenn Gott in uns wirkt, will und handelt der Wille, der durch den Heiligen
Geist verändert und uns sanft eingehaucht (wörtlich: liebkosend angesäuselt) ­worden ist. Er handelt aber wiederum aus reinem Belieben, aus
Neigung und aus seinem freien Antrieb, nicht gezwungen. So kann er durch
nichts, was ihm entgegen ist, in etwas anderes verwandelt werden. Nicht
einmal durch die Pforten der Hölle wird er besiegt oder gezwungen, sondern er fährt fort, das Gute zu wollen, willig zu tun und lieb zu haben, so
wie er zuvor das Böse wollte, willig tat und es lieb hatte.
Freier Wille bedeutet Ungewissheit
… ich würde nicht wollen, dass mir ein freies Willensvermögen gegeben wird
oder irgendetwas in meiner Hand belassen würde, wodurch ich nach dem
Heil streben könnte …, weil ich … dann … gezwungen würde, mich andauernd
ins Ungewisse hinein anzustrengen und Lufthiebe zu machen. Denn mein
Gewissen wäre, und wenn ich auch ewig lebte und wirkte, niemals gewiss und
sicher, wie viel es tun muss, damit Gott Genüge getan wäre.
Martin Luther, De servo arbitrio – Vom unfreien Willensvermögen, 1525
zeugt, dass der Mensch gegen­über den
Dingen, „die unter ihm sind“, also in
Bezug auf alles, was zur Welt gehört,
einen freien Willen hat.
Macht Luthers Vorstellung vom unfreien Willen gegenüber Gott den
Menschen nicht zu einer Marionette
Gottes? Fast hat man den Eindruck.
Luther vergleicht den menschlichen
Willen mit einem Zugtier (1. Zitat),
das entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird. Die Richtung seines
Willens kann der Mensch nicht selbst
ändern, sie wird von außen bestimmt,
eben vom Teufel oder von Gott. Vom
Teufel – das heißt vom Bösen und von
der Sünde – aber nur, wenn Gott dies
zulässt.
Willenlos
gegenüber Gott?
Wichtig für das richtige Verständnis
vom unfreien Willen ist, dass damit
nicht gesagt werden soll, der Mensch
sei willenlos gegenüber Gott. Er hat ja
einen Willen. Als Sünder will er nicht
mit Gott leben. Zwar kann er die Richtung seines Willens nicht von selbst
ändern, dennoch ist er für sein böses
Wollen verantwortlich – ist doch er
selbst es, der will. Ohne Gott kann der
Mensch nicht anders, als Sünder sein.
Er ist darauf angewiesen, dass Gott ihm
mit seiner Gnade begegnet.
Schön ist das Bild, das Luther für diesen Wechsel verwendet (2. Zitat): Der
Wille wird durch den Heiligen Geist
liebkosend angesäuselt. Er wird eben
nicht dazu gezwungen, sich auf Gott
auszurichten und zu glauben. Er wird
durch Gottes Liebe dafür gewonnen,
und zwar so nachhaltig, dass ihn nichts
von diesem Glauben mehr abbringen
wird. Das ist die Kehrseite der Prädestination (3. Zitat): Weil alles an Gott liegt,
braucht der Mensch keine Angst zu haben, dass sein Glaube nicht stark genug
sei. Dies ist die Freiheit, die der unfreie
Wille bedeutet.
Luthers Vorstellung vom unfreien
Willen, das gilt es nüchtern einzugestehen, steht in Spannung zum modernen Freiheitsdenken und zur Selbstbestimmung, wie sie seit der Aufklärung
betont werden. Luther hat jedoch gut
gesehen, dass nicht alles im Leben unserer Selbstbestimmung unterliegt.
Mit dem Glauben ist es wie mit der
Liebe: Auch hier kann man gar nicht
anders, als den anderen lieben. Man ist
wie gefangen vom anderen – und fühlt
sich doch frei.
So auch der Glaube: Dass man an
Gott glaubt, entsteht nicht dadurch,
dass man wie bei einem Autokauf alle
Vor- und Nachteile vernünftig abwägt
und sich dann entscheidet. Nein, an
Gott zu glauben, stellt sich so ein, dass
Gott sich dem Menschen bekannt
macht und der Mensch von ihm, von
seiner Liebe, Gnade und Treue, überwunden und begeistert wird – und
darum nicht anders kann, als Ja dazu
zu sagen.
Christiane Tietz
ist Professorin
für Systematische
Theologie an der
Theologischen Fakultät
der Universität Zürich.
Foto: privat
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Da bleibt einem nichts im Halse stecken:
Tablettenschlucken problemlos
in einem Rutsch
Etwa jeder Dritte klagt
über Schwierigkeiten bei
der Einnahme von Tabletten oder Kapseln.
Ältere Menschen und
Kinder kämpfen verstärkt damit. Bei Kindern
liegt das oft an fehlender
Übung, oder sie verweigern die Einnahme, weil
das Medikament schlecht
schmeckt. Ältere Menschen leiden häufig unter Mundtrockenheit, die das Schlucken erschwert. Sie kann sowohl altersbedingt als auch als Nebenwirkung
bestimmter Medikamente auftreten.
Viele werden erfinderisch, wenn
es darum geht, Tabletten in den
Magen zu befördern und greifen
zu Apfelmus, Joghurt
oder Banane. Dabei geht
es ganz einfach: Die
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ist glatt und speichelanregend, sodass das
Schlucken von Tabletten und Kapseln – auch geteilter Tabletten mit
Bruchkanten – zum Kinderspiel
wird. Der Überzug schmeckt angenehm nach Zitrone und überdeckt
so einen bitteren Eigengeschmack.
Eine große Hilfe ist Medcoat
Schluckhilfe für all jene, die durch
Erkrankungen wie z. B. MS, Parkin-
son, Schlaganfall oder Demenz an
Schluckstörungen leiden. Medcoat
Schluckhilfe vereinfacht die notwendige Medikamenten-Einnahme
und führt zur echten Erleichterung
des ohnehin schwierigen Alltags.
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Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 18
Teil 3
Auseinandersetzungen
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 8. Mai 2016 | Nr. 19 NK
Keine Frohbotschaft
ohne Drohbotschaft
ZUR WEITERARBEIT
Warum Luther Gesetz und Evangelium trennt und doch aufeinander bezieht
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. „Gott sieht alles“ – Wie geht es Ihnen mit dieser Gottesvorstellung
und welche Gefühle löst sie bei Ihnen aus?
2. Was fehlt unserem Glauben ohne
das Gesetz?
3. „Du siehst mich!“ Wo und wie spüren Sie Anspruch und Zuspruch in
Ihrem Leben?
Zugang zum Thema:
Vergleichen Sie die Antinomer-These:
„Das Gesetz gehört aufs Rathaus,
nicht auf den Predigtstuhl“ mit der 2.
These von ­Barmen (Evangelisches
Gesangbuch 810).
Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen! So schreibt Paulus an
die Galater. Aber was heißt das fürs
Christsein im alltäglichen Leben
oder in der Gesellschaft. Ist nun alles, was wir tun, ins Belieben ­gestellt
oder braucht die Freiheit der Kinder
Gottes auch eine Begrenzung?
Von Bischof Markus Dröge
„Gott sieht alles!“ Wenn in meiner
Zeit als Pfarrer in Koblenz auf den
Elternabenden der Konfirmandin­
nen und Konfirmanden die Rede auf
diese Gottesvorstellung kam, dann
waren oft große Vorbehalte zu spü­
ren. „Bitte erzählen Sie meinem
Kind nicht, dass Gott immer alles
sieht, so wie unsere Eltern das getan
haben. ,Gott sieht alles, was du
machst, auch wenn du alleine in dei­
nem Zimmer bist. Er bestraft dich,
wenn du etwas Schlimmes tust oder
denkst.‘“
Diese Vorstellung vom strafenden
Gott war in der Generation unserer
Großeltern noch sehr präsent. Der
Gott, in dessen Blick man sich seiner
vermeintlichen Sünden bewusst
wird. Mit dieser Vorstellung präsent
waren auch die Gottesvergiftungen,
die daraus entstanden sind. Das Ge­
fühl, niemals zu genügen und nicht
gut genug zu sein.
Schmerzliche Gegenbilder zur
Freiheit des Evangeliums, das uns
doch herausrufen will aus der steti­
gen Mühle der Selbstzweifel und der
Selbsterniedrigung. In Gottes Augen
bist du geliebt. Du brauchst und du
kannst dich nicht selbst recht­
fertigen. Das ist doch die befreiende
Botschaft des Evangeliums, und das
war die Erkenntnis, die Martin
­Luther aufs Neue bezeugt hat.
Gegen einen Gott, der
allzu kuschelig ist
Heute ist der strafende Gott aus den
Kinderzimmern vertrieben. Zum
Glück muss man sagen. Aber an sei­
ne Stelle ist manchmal die Vorstel­
lung eines lieben Gottes getreten,
der allzu „kuschelig“ ist. Der Ku­
schelgott, der alles gut findet, der uns
in allem recht gibt, der alles versteht
und immer lieb ist. Mit diesem Gott
sieht man bald gar nichts mehr, fin­
det in ihm keine Orientierung, denn
alles verschwimmt in einem Nebel
aus Harmonie. Auch dieses Gottes­
bild greift zu kurz, und wir merken
heute, dass Menschen wieder mehr
und dringlicher danach suchen, wor­
an wir uns im Glauben tatsächlich
halten können. In einer Welt, in der
es keine Grenzen mehr zu geben
Verwandte Themen des Kurses:
Das Evangelium im Turm wiederentdeckt, Frei und verpflichtet, Kirche
und Obrigkeit, Viermal solus
Bibeltexte:
2. Mose 7, 1-5;
Römer 3, 19.31; 7, 7–25; Galater 3, 10–29
Literatur:
– Gerhard Ebeling, Luther. Einführung
in sein Denken, Tübingen 2006, Kapitel 7: Gesetz und Evangelium.
– Gemeinschaft Europäischer Kirchen
in Europa, Gesetz und Evangelium im
Blick auf die Entscheidungsfindung
in ethischen Fragen (www.leuenberg.
net/sites/default/files/basic-page/
doc-6145-1.pdf).
Markus Dröge ist
Bischof der Berlinbrandenburgischen
Kirche und Mitglied im
Rat der EKD.
Foto: EKBO
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Das Gesetz darf nicht zum Evangelium gemacht werden und das Evangelium nicht zum Gesetz.
scheint und erlaubt ist, was machbar dern Seite wieder herunterzufallen.
ist, da fragen Menschen danach, wo Übertragen auf die Antinomer heißt
uns Grenzen gesetzt sind und an wel­ das: Kaum hatten die Reformatoren
chen Geboten und Leitlinien wir uns die befreiende Macht der freien Gna­
de Gottes verkündet, da kommen sie,
festhalten können im Leben.
Mit der Unterscheidung von Ge­ um zu behaupten, dass das Gesetz
setz und Evangelium haben Martin nun insgesamt nicht mehr nötig sei
Luther und die Refor­
für die Gläubi­
gen. Und fallen
matoren diese beiden
Darum muss doch das
unversehens
Seiten des Glaubens
Gesetz gepredigt werden,
von Anfang an in das
wie ein Betrun­
wo man Christum
kener
vom
Zentrum ihrer Theo­
logie gerückt. Und
Pferd.
predigen will.
Gegen die
von Anfang an gab es
Martin Luther
auch Konflikte. Theo­
antinomisti­
logen, die das Gesetz
schen Strömun­
so stark hervorgehoben haben, dass gen hält Luther deshalb an dem Zu­
das Evangelium dahinter zu ver­ sammenhang von Gesetz und Evan­
schwinden drohte. Und andere, die gelium fest. Sie sind einander zwar
so begeis­tert die freie Gnade des entgegengesetzt. Das Gesetz klagt
Evange­liums betont haben, dass ih­ uns der Sünde an. Das Evangelium
nen das Gesetz aus dem Blick geriet. spricht uns von der Sünde frei. Aber
Martin Luther hat für diese Theolo­ gerade in diesem Gegensatz gehören
gen den Ausdruck „Antinomer“ ge­ sie auch zusammen. Das ist schwierig
prägt. Vom griechischen „anti-no­ zu denken und noch schwieriger zu
mos“ – also diejenigen, die „gegen verstehen, und deshalb spricht Lu­
das Gesetz“ sind. Johannes Agricola, ther davon, dass es die höchste und
zunächst ein enger Vertrauter Lu­ schwerste Kunst des Theologen sei,
thers in Wittenberg, später Oberhof­ zwischen Gesetz und Evangelium
prediger am Berliner Dom, war ein recht zu unterscheiden.
besonders bekannter Vertreter, der
beschuldigt wurde, diese Ansicht zu
vertreten.
Im Grunde ist es ja so, dass die An­
tinomer etwas Entscheidendes am
reformatorischen Glauben erkennen
und hervorheben, nämlich die be­ Denn es besteht eine doppelte Ge­
freiende Kraft des Evangeliums. Aber fahr. Das Gesetz darf nicht zum Evan­
sie schießen übers Ziel hinaus, wenn gelium gemacht werden. Das würde
sie daraus folgern, das Gesetz sei nun dann geschehen, wenn es als Weg
gar nicht mehr nötig. Martin Luther zum Heil gepredigt würde. Das Evan­
hält deshalb fest, dass das Gesetz der gelium darf aber auch nicht zum Ge­
Standard des Lebens bleibt und zu­ setz werden, indem es zur Vorschrift
sammen mit dem Evangelium eine gemacht wird, wie zu glauben ist.
unverwechselbare Rolle in unserer Dann würde man wiederum aus der
lebenslangen Buße spielt. Er veran­ freien Zuwendung Gottes ein Werk
schaulicht das in dem Bild eines be­ von Menschen machen. Deshalb ist es
trunkenen Mannes, der auf ein Pferd von entscheidender Bedeutung, Ge­
steigen will. Er schwingt sich auf sein setz und Evangelium spannungsvoll
Ross, um gleich darauf auf der an­ aufeinander zu beziehen. Wir sind
Evangelium erhellt erst,
was das Gesetz bedeutet
Das Luther-Zitat
Der Mensch als Zugtier
„Ich halt wohl, dass euch nun längst zukommen sind die Disputationen
­wider die neuen Geister, so das Gesetz Gottes oder zehn Gebote aus der
­Kirche zu stoßen und auf’s Rathaus zu weisen sich unterstanden haben; […]
Ich habe freilich gelehrt, lehre auch noch, dass man die Sünder solle zur
Buße reizen […] Und wenn wir gleich des Gesetzes für uns nicht bedürften,
und es aus dem Herzen reißen könnten, das doch unmöglich ist, so müssten wir’s doch um Christus willen predigen, damit man wüsste, was er für
uns gethan und gelitten hätte. Denn wer könnte wissen, was Christus und
warum Christus für uns gelitten hätte, wenn Niemand wissen solt, was Sünde oder Gesetz wäre? Darum muss doch das Gesetz gepredigt werden, wo
man Christum predigen will“
(Martin Luther, Brief „wider die Antinomer“ vom Jahre 1539).
Foto: pixabay.com
Sünder und Gerechte zugleich, Ge­
setz und Evangelium bestimmen un­
sere ganze menschliche Wirklichkeit.
Den Zusammenhang von Gesetz
und Evangelium betont auch die
Theologische Erklärung von Barmen
(1934), allerdings in der Weise, dass
das Evangelium erst e­igentlich er­
hellt, was das Gesetz für unser Leben
als Christinnen und Christen bedeu­
tet. Die Trennung ­einer Gesetzesof­
fenbarung Gottes vom Evangelium,
für die sich die „Deutschen Christen“
auf Luther beriefen, wurde damit ein­
mütig abgelehnt. Jesus Christus ist
das eine Wort Gottes, das in Evangeli­
um und Gesetz begegnet. Neben dem
Wort Christi sind nicht noch „andere
Ereignisse, Mächte, Gestalten oder
Wahrheiten“ wie das Gesetz des
„deutschen Volkes“ als Gottes Offen­
barung anzuerkennen. Damit wurde
ein starkes Gegengewicht gegen völki­
sches Denken und die Vereinnah­
mung und Instrumentalisierung von
Luthers Gesetzesverständnis durch
die Nationalsozialisten geschaffen.
Das ist ein gutes Beispiel dafür,
warum wir den Zusammenhang von
Gesetz und Evangelium, in dem das
Gesetz vom Evangelium her verstan­
den wird, das uns frei macht „zu frei­
em, dankbaren Dienst“ an Gottes
Geschöpfen, nicht aufgeben dürfen.
„Du siehst mich.“ So lautet das Kir­
chentagsmotto für den Deutschen
Evangelischen Kirchentag in Berlin
und Potsdam 2017. Wie kommt Gott
heute in der Unterscheidung von Ge­
setz und Evangelium in den Blick?
Gottes Blick ruft mich in die Verant­
wortung. Er macht mir schmerzhaft
bewusst, was in meinem Leben und
in der Welt nicht gelingt. Zugleich
blickt Gott mich mit liebenden Au­
gen an. Für ihn bin ich schon ganz
und gar erkannt als sein geliebtes
Kind, ohne dass ich etwas dazutun
müsste oder könnte. „Du siehst mich.“
Es ist gut, wenn wir beide Seiten an­
schauen können. Und spannungsvoll
aufeinander beziehen. Das schafft
Wahrhaftigkeit im Glauben und im
Leben. Der Anspruch des Gesetzes
und die Zusage des Evangeliums brin­
gen unser Leben in Spannung. Aber
von dieser Spannung her können wir
uns hoffnungsvoll und glaubensge­
wiss den Herausforderungen unserer
Zeit stellen.
Wie denken Sie über Freiheit und
Gesetz? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftrag ten Pfarrer
Bernd Krebs und Professor Wolf
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1
Sonntag, 15. Mai 2016 | Nr. 20 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Der kleine Grieche
Philipp Melanchthon, Chefdiplomat und Verhandler für die gute Sache
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 20,
Teil 4:
Weggefährten Luthers
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Luther gilt als leidenschaftlicher
Inspirator, Melanchthon als Diplomat. Welche Wesensart ist Ihnen näher?
2. Wie hängen Bildung und Glaube
aus Ihrer Sicht zusammen?
Zugang zum Thema:
– Besuch der Melanchthonhäuser in
seiner Geburtsstadt Bretten (Kraichgau) und in Lutherstadt Wittenberg
– Film: Philipp Melanchthon – „Zum
Gespräch geboren“. DVD mit 60-min.
Film und Arbeitsmaterialien, Karlsruhe 2009, bestellbar über www.melanchthon.com
– Lied „Heut singt die liebe Christenheit“ (Evangelisches Gesangbuch 143)
In den nächsten Folgen stellen wir die
wichtigsten Weggefährten Luthers
vor. Los geht es mit Philipp Melanchthon. Er wurde von Luther liebevoll
„graeculus“, „Griechlein“, genannt
wegen seiner hervorragenden Kenntnisse im Griechischen, die ihm die
Gräzisierung seines Geburtsnamens
„Schwartzerdt“ einbrachte. Reformationsbotschafterin Margot Käßmann
sagt über die ­beiden: „Was muss das
für ein Gespann in Wittenberg gewesen sein: der kleine, schmale, leise
und sehr feinsinnige Melanchthon
neben dem kräftigen, humorvollen,
oft polternden Luther.“
Eine Gipsbüste Melanchthons im Melanchthonhaus Wittenberg.
Foto: Uwe Birnstein
schmalen Melanchthon neben dem konnte er diesen von der Wichtigkeit
wuchtigen Luther vor. Nicht nur fi- der Bildung überzeugen. Ohne Bilgürlich, sondern auch geistig. Das Ver- dung würde Deutschland in Barbarei
hältnis der beiden Wittenberger Ko- zurückfallen, war Melanchthon überryphäen war jedoch absolut gleichbe- zeugt. Nur die Kirchen zu reformieren,
rechtigt. Privat waren Melanchthon genügte ihm nicht. Also machte er sich
und Luther durch eine tiefe, geradezu auf, die Schulen und Universitäten zu
überschwäng­liche und respektvolle erneuern. Mit Energie und LeidenMännerfreundschaft verbunden. Be- schaft brachte er die Ideale des Humaruflich waren sie ein gleichberechtig- nismus in die Reformationsbewegung
tes „Dreamteam“. Stärken und Schwä- ein. „Ad fontes“ – „Zurück zu den
Quellen!“, lautete
chen der beiden erdas Motto des Hugänzten sich aufs
Gute Gründe für das
manismus. MeTrefflichste. MelanSterben: „Du wirst von
Von Uwe Birnstein
chthon lenkte die oft
lanchthon machTrübsal befreit und von
„Im Herbst 1518 kam ein kleiner, un- unbedachte Impulsite es für den Glauscheinbarer neuer Professor in Wit- vität Luthers in dipben fruchtbar.
der Wut der Theologen.“
tenberg an: Philipp Melanchthon. lomatische Bahnen.
„Indem wir die
Philipp Melanchthon
Blicke auf die
Der 21-jährige Humanist, geboren in Mit großem GleichBretten nahe Pforzheim, entpuppte mut analysierte er
Quellen lenken,
sich schnell als Universalgelehrter Luthers oft sprunghafte Ideen und beginnen wir auch Christus zu versteund Liebling der Studenten. Die Re- goss sie in ein überzeugendes System hen, sein Gebot wird uns zur Leuchte,
formation trieb er maßgeblich voran. der evangelischen Theologie. In den und uns durchströmt der beglückende
Dennoch wirkt er bis heute neben „Loci Communes“ („Hauptbegriffe Nektar göttlicher Weisheit.“
Martin Luther eher wie eine Randfi- der Theologie“, 1521) durchdachte
gur. Für das Verstehen des evangeli- Melanchthon die evangelische Theoschen Glaubens und der Reformati- logie und machte sie damit dialogfäonsgeschichte ist es lohnend, hig. Luther lobte seinen Freund: „Ich
Melanchthon von Vorurteilen und glaube, dass seit tausend Jahren die
Klischees zu befreien. Drei davon heilige Schrift nicht mit solcher Reinschwirren in den Köpfen auch evan- heit und Klarheit behandelt worden Neben der Kirche war ihm die „Gegelischer Christen:
ist und dass seine Gabe dem apostoli- meinschaft der Lernenden“ wichtig.
„Ich bin ganz und gar der Meinung,
Melanchthon war nur Mitarbeiter schen Zeitalter nahekommt.“
Luthers. Wie einen schmächtigen
Während Melanchthon in theologi- dass wer in geistlichen oder weltliHandlanger stellen sich viele den schen Dingen von Luther lernte, chen Dingen etwas unternehmen
will, sehr wenig ausrichten wird,
wenn er nicht zuvor seinen Geist in
den humanen Wissenschaften reichlich geübt hat.“ Die alten KirchenväZitate von Luther und Melanchthon
ter hatten behauptet, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gebe.
Zitat von Philipp Melanchton:
Melan­­chthon behauptete fortführend: „Außerhalb der Universität ist
„Die Philosophen und die Pharisäer lehrten, der Mensch wird durch seine
kein Leben.“ Seine Liebe zum Lernen
­eigenen Tugenden und Anstrengungen gerechtfertigt. Wir zeigten auf, dass
zeigt sich auch in der Vorstellung,
man allein durch den Glauben gerechtfertigt wurde, das heißt, unsere Wernach dem Tod trete man in eine
ke und Anstrengungen nichts als Sünde sind.“
„himmlische Akademie“ ein. Mit solchen eigenständigen Schwerpunkten
Zitat von Martin Luther über Philipp Melanchthon:
prägte Melanchthon den Protestantismus nicht weniger als Luther.
„Ich bin dazu geboren, dass ich mit den Rotten und Teufeln muss kriegen
Melanchthon war für Luther ein
und zu Felde liegen, darum viele meiner Bücher stürmisch und kriegerisch
Leisetreter. Er meinte das durchaus
sind. Ich muss die Klötze und Stämme ausrotten, Dornen und Hecken weganerkennend. Andere Reformatoren
hauen, die Pfützen ausfüllen, und bin der grobe Waldrechter, der die Bahn
hingegen legten Melanchthons diplobrechen und zurichten muss. Aber Magister Philipps fähret säuberlich und
matische Stärke als Schwäche aus. Mit
stille daher, bauet und pflanzet, säet und begeußt mit Lust, nachdem Gott
allen Mitteln lotete Melanchthon die
ihm hat gegeben seine Gaben reichlich.“
Einigung der evangelischen mit der
Martin Luther im Vorwort zu Melanchthons Kommentar des Kolosserbriefes,
katholischen Kirche aus. Er agierte als
1529
Chefdiplomat der Protestanten. Melanchthon wusste: Zu viel Deutlich-
Liebe zum Lernen
über den Tod hinaus
keit kann schaden. Er wollte die Kirche zusammenhalten. Zugeständnisse
sind notwendig; es ist dabei wichtig,
die wesentlichen Fragen von den unwesentlichen zu trennen.
Mit einer Mischung aus Beharrlichkeit und Nachgiebigkeit sorgte er
dafür, dass das evangelische Anliegen
unüberhörbar blieb. Am Sichtbarsten
ist dieses Bemühen in der „Confessio
Augustana“, dem „Augsburger Bekenntnis“, das maßgeblich von ihm
verfasst wurde. Als auf dem Reichstag
1530 trotz all seiner Mühe keine Einigung zustande kam, war Melanchthon deprimiert. Kritik wurde laut.
„Hier schreit einer und dort schreit
einer“, schrieb er seinem Bruder, „ich
muss aber meine Eigenart beibehalten dürfen, nämlich alles fliehen, was
noch mehr verbittern würde!“ Deswegen hatte er das Bekenntnis sachlich
geschrieben und bewusst auf Polemik
verzichtet. Melanchthon wollte beweisen: Die Lutherischen stehen ganz
auf dem Boden des altkirchlichen Bekenntnisses. Luther nahm seinen
Freund gegen Kritiker in Schutz und
tröstete ihn: „Nehmt euch ja der Leute Urteil wenig zu Herzen, die da sagen, ihr hättet den Papisten zu viel
nachgegeben!“ Ein Leisetreter war
Melanchthon also mitnichten – sondern ein geduldiger Diplomat, der in
wesentlichen Glaubensfragen standhaft blieb. Bis heute gilt er – auch aus
katholischer Sicht – als der Ökumeniker der Reformation.
Wie seine Mitstreiter
war er kein Gutmensch
Obwohl sich Melanchthon mit seiner
bescheidenen Art nicht dazu eignet,
als Heros der Reformation auf einen
Sockel gehievt zu werden: Ein Gutmensch war er so wenig wie seine Mitstreiter. Gewalt lehnte er keinesfalls
ab. Die Obrigkeit ermunterte er, in
Gottes Auftrag unbelehrbare aufrührerische Bauern zu erschlagen. Auch
für Ketzer hielt er die Todesstrafe für
angemessen. „Die Obrigkeit muss, wie
andere öffentliche Vergehen, auch die
öffentlichen Gotteslästerungen strafen“, schrieb er dem Genfer Reformator Johannes Calvin, nachdem der die
Hinrichtung des „Ketzers“ Michael
Servet gefördert hatte.
Im Alter wurde Melanchthon der
theologischen Streitigkeiten müde.
Trotz all seiner Einigungsbemühungen waren Konfessionskriege ausgebrochen. Nach Luthers Tod im Jahr
1546 hatte Melanchthon versucht, Flügelkämpfe innerhalb der evangelischen Kirche zu schlichten – selten mit
Erfolg. „Ich hoffe, bald in die himmlische Kirche einzugehen, weit weg von
den wilden Stürmen, die die Kirche
hier unten so grauenhaft erschüttern“,
gestand er 1557 einem Freund.
Im selben Jahr starb seine Frau.
„Im Alter hört die Sehnsucht nach
der verlorenen Gattin nicht auf wie
bei den Jungen, die sich in immer
neue Liebesabenteuer stürzen. Der
Schmerz bricht wieder auf, wenn ich
daran denke, dass ich, meine Familie
und die Enkel ihrer beraubt sind.“
Drei Jahre später folgte Melanchthon seiner Frau. Seine Angehörigen
fanden einen Zettel, auf den er gute
Gründe für das Sterben notiert hatte:
„Du wirst von der Sünde loskommen.
Du wirst von Trübsal befreit und von
der Wut der Theologen. Du wirst
zum Licht gelangen. Du wirst Gott
sehen. Du wirst den Sohn Gottes
schauen. Du wirst die wunderbaren
Geheimnisse erfahren, die du in diesem Leben nicht begreifen konntest,
nämlich warum wir so, wie wir sind,
geschaffen wurden und wie die beiden Naturen in Christus miteinander
verbunden sind.“
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Das Augsburger Bekenntnis; Bildung
für alle; Die Wut der Theologen
Literatur:
Uwe Birnstein: Der Humanist. Was
Philipp Melanchthon Europa lehrte,
Wichern, Berlin 2010
Melanchthon deutsch, Bände I bis
IV, Leipzig 2011/12
Uwe Birnstein ist
Theologe, Schriftsteller
und Journalist.
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Sonntag, 22. Mai 2016 | Nr. 21 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Frauen und die ­Reformation
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Das Augsburger Bekenntnis; Bildung
für alle; Die Wut der Theologen
Martin Luther und das weibliche Geschlecht im Frühbürgertum
1538) war eine adlige Witwe mit drei
Kindern, als sie Ulrich Zwingli 1522
heiratete. Idelette Calvin (1509–
1549) stammte aus dem Kreis der
französischen Flüchtlinge in Genf.
Zu dieser Gruppe der Pfarrfrauen
gehören auch: Wibrandis Rosenblatt,
Elisabeth Bucer, Katharina Jonas.
Vieles ist nicht bekannt über diese
Frauen, keine Details, keine großen
Biographien. Meist lassen sich lediglich über das Leben ihrer Ehemänner und deren Äußerungen Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen.
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 21
Teil 4
Menschen um
Martin Luther
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Welche Frauen der Reformation
sind Ihnen bekannt? Was wissen Sie
über sie?
2. Welche Rolle spielen Frauen in der
evangelischen Kirche heute?
3. Ist die Frauenordination für Sie
ein Kennzeichen der Protestanten?
Nur dürftige Spuren der
ersten Pfarrfrauen
Zugang zum Thema:
Was sagte Martin Luther über Frauen? Anlegen einer Zitatensammlung
und besprechen
Das, was Luther über Frauen ­äußerte,
klingt sehr ambivalent. Dem Mann
seien sie untertan, ihr Verstand
schwächer als der ihrer Männer. Erstaunlich, dass dennoch so viele
Frauen seine Theologie unterstützten und, den revolutionären Geist in
­s einen Einsichten erkennend, die
Reformation förderten.
Von Margot Käßmann
Die Beteiligung der Frauen ist kein
Seitenthema der Reformation, sondern sie steht exemplarisch für ihre
Inhalte. Das hat vier Gründe:
Erstens die Tauftheologie Martin
Luthers. Wenn jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, Priester, Bischof
und Papst ist, dann kann das auch
jede getaufte Frau sein. Hier liegt der
Schlüssel zum Respekt vor Frauen
und in der Konsequenz die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern
der Kirche. Auch wenn die Reformatoren sich diesen Schritt gewiss nicht
denken konnten, ist er in ihrer Theologie angelegt.
Zweitens wird mit dem Schritt zur
Ehe das „Leben in der Welt“ aufgewertet. Die Eheschließung vormals
zölibatär lebender Priester und Nonnen übersetzt die Grundüberzeugung, dass Leben in Kloster und Zölibat kein vor Gott in irgendeiner
Weise „besseres“ Leben ist. Christsein
bewährt sich mitten im Alltag der
Welt, im Beruf, in der Familie, beim
Regieren wie beim Erziehen der Kinder. Für Frauen aber war die Befreiung, die sich durch die Aufwertung
von Ehe, Sexualität und Kindererziehung ergab, umso größer, als die
Überzeugung überwunden wurde,
„daß Frauen eines besonderen Zuganges zur Gnade bedürfen, den mit
Gewißheit nur die reine Jungfäulichkeit eröffnen konnte“ (so Schaffenorth, Freunde in Christus. Die Beziehung von Mann und Frau bei Luther
im Rahmen seines Kirchenverständnisses).
Elisabeth von Calenberg, auch Reformationsfürstin oder Mutter der
Reformation genannt. Foto: Wikipedia
Drittens beschränkt sich der
Und schließlich: Haben die Refor­reformatorische Bildungsimpetus matoren nicht insgesamt an einer
nicht auf Jungen und Männer, son- Unterordnung der Frau unter den
dern schließt Mädchen und Frauen Mann festgehalten. O ja, kontextuell
ein. Die Volksschule soll Schule für waren Rollenfestlegungen vorgegealle sein – eine ungeheure Aufwer- ben. Daran haben die Reformatoren
tung von Frauen und Frauenleben.
nicht wirklich gerüttelt.
Viertens hat all dies zur aktuellen
Kommen wir damit zu den FrauKonsequenz, dass die Beteiligung en der Reformationszeit selbst. Viele
von Frauen geradezu zum Kennzei- Namen sind bekannt, auch wenn es
chen der reformatoinsgesamt nur
rischen Kirche gewenige authenti„Stellt euch vor, es gäbe
sche Zeugnisse
worden ist.
das weibliche Geschlecht
gibt und recht beDagegen höre ich
nicht. Das Haus und was
sogleich drei Eingrenzt Literatur
wände:
zum Thema.
zum Haushalt gehört,
Zum einen jene
Exemplarisch
würde zusammenstürzen,
I n vo k av i t p r e d i g t
möchte ich siedie Staaten und die
ben nennen in
von 1526, in der
drei Kategorien:
Martin Luther 2.
Gemeinden gingen
Zum einen
Mose 22, 17 auslegt
zugrunde.“
sind da die Pfarrund zu dem Schluss
Martin Luther
frauen. Für sie
kommt: „Die Zauwar die Heirat
berinnen sollst du
mit einem Pfarnicht am Leben lassen.“ Hier lässt sich Luther hinreißen rer, in der Regel also mit einem ehevom Hexenwahn und der Hexenver- maligen Mönch, kein leichter Schritt.
folgung seiner Zeit. Gewiss, der Zeit- Sie wurden von den Altgläubigen
geist kann nicht im Nachhinein verachtet. Es hieß, Kinder, die von
einem ehemaligen Mönch und einer
kleinreden, was er sagte.
Zum anderen werden einige fra- ehemaligen Nonne gezeugt werden,
gen: Ist das nicht Schönfärberei? kommen mit Fehlbildungen zur
Stammt nicht mancher abfällige Satz Welt. Mutige Frauen waren es also,
über Frauen von Luther? Gewiss, die inhaltlich hinter ihren Männern
aber gerade in den Tischreden findet stehen mussten, um den Anfeindunsich Vielfältiges, wie denn die Reden gen ihrer Umwelt gegenüber Haltung zu bewahren.
bei Tische so sind.
Das gilt zuallererst für Katharina
von Bora (1599–1552). Sie war als
ehemalige Nonne gebildet, wertgeschätzt als Gesprächspartnerin, wurDas Luther-Zitat
de Mutter und Geschäftsfrau, die das
Luther über Frauen:
Leben im Schwarzen Kloster in Gang
„Wenn das weibliche Geschlecht anfängt, die christliche Lehre
hielt.
aufzunehmen, dann ist es viel eifriger in Glaubensdingen als Männer. Das
Ebenfalls in Wittenberg spielt Kaerweist sich bei der Auferstehung (Johannes 20,1ff.), Magdalena war viel
tharina
Melanchthon (1497–1557)
beherzter als Petrus. (Martin Luther, Tischreden, 15??)
eine große Rolle. Sie kam nicht aus
Luthers Wertschätzung von Frauen hat sich bereits früh entwickelt.
dem Kloster, sondern war Tochter
1520/21 schreibt er in seiner Auslegung des Magnifikat (Lukas 1,46ff.) voller
Hochachtung über Maria:
des Wittenberger Bürgermeisters. Lu„Oh das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem
ther selbst hatte 1520 die Trauung
jungen, kleinen Mägdlein. Getraut sich, mit einem Wort alle Mächtigen
mit Philipp Melanchthon vollzogen.
schwach, alle Großtuenden kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Berühmten
Auch die beiden großen oberzuschanden zu machen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat,
deutschen
Reformatoren waren verWeisheit und Ruhm zuzueignen
heiratet. Anna Zwingli (um 1484–
Eine andere Kategorie sind die wenigen Frauen, die wie Elisabeth von
Rochlitz eigene schriftliche Zeugnisse
hinterlassen haben. Herausragend
unter ihnen ist Argula von Grumbach (1492–1568). Neben den Briefen
von Elisabeth von Rochlitz sind von
ihr die meisten Schriften von Frauen
der Reformationszeit erhalten und
bearbeitet.
Auch Katharina Zell (um 1497–
1562) hat Schriftliches hinterlassen.
Aus einem Straßburger Patrizierhaus stammend wurde sie von Martin Bucer 1523 mit dem Priester Matthäus Zell vermählt. Nach Kritik an
der Eheschließung schrieb sie einen
Verteidigungsbrief an den Bischof
ebenso wie ein Flugblatt an die Bürger von Straßburg. Auch ein kleines
Liederbuch gab sie heraus.
Elisabeth Cruciger (um 1504–
1535) dichtete Kirchenlieder, eines
ist bis heute im Evangelischen Gesangbuch erhalten: Herr Christ, der
einig Gotts Sohn (EG 67).
Bibeltexte:
Lukas 1, 26–55; 1. Korinther 11, 2–16;
14, 33–36; Epheser 5, 21–33
Literatur:
– Uwe Birnstein, Argula von Grumbach, Neufeld 2014
– Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit, Göttingen 2010
– Lisbeth Haase, Mutig und Glaubensstark. Frauen und die
­Reformation, Leipzig 2011
– Frauen fo(e)rdern Reformation: Elisabeth von Rochlitz, Katharina von
Sachsen, Elisabeth von Brandenburg,
Ursula Weida, Argula von Grumbach,
Felicitas von Selmnitz / Evangelisches Predigerseminar, Wittenberg:
Drei-Kastanien-Verlag 2004
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Frauen als Unterstützerinnen
Nicht zuletzt sind die Fürstinnen zu
nennen, die die Reformation entscheidend, auch politisch unterstützten. Elisabeth von Calenberg-Göttingen (1510–1558) führte 1542 die
Reformation in ihrem Fürstentum in
Südniedersachsen ein. Dabei hielt sie
eine schützende Hand über die Frauenklöster und Damenstifte und ließ
ihr Vermögen sichern. Unter weiteren Namen ist sie bekannt als: Elisabeth Markgräfin von Brandenburg,
Elisabeth Gräfin von Henneberg, Elisabeth von Münden.
Dies alles kann nur anreißen, wie
viele Frauen die Reformation geprägt haben. Nur wenige sind namentlich bekannt, und von ganz wenigen sind schriftliche Zeugnisse
überliefert. Unübersehbar aber ist
ihre Bedeutung für die Reformation
als Personen und als inhaltliches,
theologische Signal: Das Priestertum
aller Getauften zeigt sich gerade
auch in der Beteiligung von Frauen
– das ist zum Kennzeichen reformatorischer Kirchen geworden.
Wie denken Sie über Frauen in der
Kirche?
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Sonntag, 29. Mai 2016 | Nr. 22 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Berühmteste Pfarrfrau
Katharina von Bora, die Frau an Luthers Seite, war seine Vertraute und verantwortete die Wirtschaft
überraschte er Feinde wie Freunde.
Sie reagierten mit Häme oder zumindest mit Unverständnis. Da Luther
vermutete, er werde nicht mehr lange
leben, wollte er vor seinem Tod seinem Vater die Bitte auf Nachkommen erfüllen und mit seiner Tat bekräftigen, was er lehrte. Über Katharina sagte er: „Ich bin ja nicht verliebt
­ itze, aber ich liebe meine
und in H
Frau“ (Weimarer Ausgabe, Briefe
Band 3, Seite 541).
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 22
Teil 4
Menschen um
Martin Luther
FÜR DAS GESPRÄCH
Einer der größten
Haushalte Wittenbergs
Fragen zum Einstieg:
1. Welche Idealbilder der Partnerschaft und (Pfarr-)Ehe haben Sie
heute?
2. Können Frauen ihr Leben nach ihren Vorstellungen und entsprechend
ihrer Fähigkeiten gestalten?
3. Wie wichtig ist Ihnen die ­religiöse
Bildung unserer Kinder und Enkel?
Dass Luthers Reformation bis in die
praktischen Lebensvollzüge hinein
eine neue ­Entwicklung einleitete,
wird an Katharina von Bora besonders deutlich. Berühmt geworden ist
sie als Luthers Ehefrau, als erste
Pfarrfrau, als „entlaufene Nonne“.
Auch wenn nicht alle Zuschreibungen
historisch gesehen auf sie zutreffen
– eine Pfarrfrau war sie als Professorengattin nicht. Auch wenn von ihrem
außergewöhnlichen Leben vieles unbekannt bleibt, wurde sie doch zur
Symbolgestalt der Pfarrfrau wie keine a
­ ndere.
Von Sabine Kramer
Aus welchem Ort in Sachsen Katarina
von Bora stammte, ist umstritten. Sie
wurde 1499 in Lippendorf südlich
von Leipzig oder in Hirschfeld bei
Nossen geboren. Die Mutter scheint
früh verstorben, der Vater wieder geheiratet zu haben, denn schon als
Fünfjährige kam sie in das Kloster
Brehna als „Kostkind“. Für ein adliges
Mädchen der damaligen Zeit war das
nicht ungewöhnlich.
Hier konnte sie Bildung in Lesen,
Schreiben, Singen, Latein, Handarbeit und Hauswirtschaft ­erlangen.
Das Kloster bot ihr eine lebenslang
gesicherte Versorgung, dazu Aufstiegsmöglichkeiten, etwa als Kantorin oder Äbtissin. Katharina kam als
Zehnjährige ins Kloster Nimbschen
bei Grimma, sechs Jahre später wurde
sie Nonne und legte die Ordensgelübde ab. Wir wissen nicht, ob sie diesen
Schritt freiwillig oder ohne eigene
Entscheidungsmöglichkeit ging.
Was die spätere Lutherin und ihre
Mitschwestern bewegte, das Kloster
zugunsten einer unabseh­baren Zukunft zu verlassen, lässt sich nur vermuten. Martin Luthers Kritik am
Foto: Hendrick Schmidt/dpa
Zugang zum Thema:
– Besuch der Katharina-Luther-Stube
in ihrem Sterbehaus in ­Torgau
– Lied der Elisabeth Cruciger: „Herr
Christ, der einig Gotts Sohn“ Evangelisches Gesangbuch 67.
„Luthers Hochzeit“: Beim großen Stadtfest in Wittenberg vom 10. bis 12. Juni
spielen diesmal Antje Glöckner und Fred Göde Katharina und Martin.
Wie wohl, wenn Eheleute miteinander
zu Tisch und zu Bett gehen!
Ob sie gleich zuweilen ­murren, das muss nicht schaden.
Adam und Eva werden sich gar weidlich neunhundert Jahre
gescholten ­haben, und Eva zu Adam gesagt haben:
„Du hast den Apfel ­gefressen!“ Wiederum wird Adam
geantwortet haben: „Warum hast du ihn mir gegeben?“
Martin Luther
mönchischen Ideal, das er 1521 in seinem Gutachten über die Mönchsgelübde dargelegt hatte, war möglicherweise im Kloster bekannt geworden:
Ein Ablegen der Gelübde könne vor
Gott nur freiwillig, nicht aber gegen
den Willen eines Menschen erfolgen.
In der Woche nach Ostern 1523
kam Katharina von Bora gemeinsam
mit acht Ordensschwestern in
Wittenberg an. Ob sie in leeren
­Heringsfässern geflüchtet waren, wie
es die Legende erzählt, bleibt dahingestellt. Dass ihre Flucht mit Gefahren verbunden war, ist jedoch sicher.
Dem Fluchthelfer, Leonhard Koppe
aus Torgau, und den Geflüchteten
selbst hätten auf dem Herrschaftsgebiet des Luthergegners Herzog Georg
von Sachsen Tod, Gefängnis oder
Das Luther-Zitat
Luthers Testament von 1542 zeigt die hohe Wertschätzung des Reformators
für seine Frau. Entgegen allen Rechtsnormen der Zeit, die für Witwen
grundsätzlich einen Vormund vorsahen, jedoch die Immobilien den Kindern
oder männlichen Verwandten des Mannes zusprachen, bestimmte Luther
seine Gattin zur Universalerbin und zum Vormund ihrer Kinder:
„Das tu ich darum, erstlich, weil sie mich als ein fromm, treulich Gemahl
allzeit lieb, wert und schön gehalten und mir durch reichen Gottessegen
fünf lebendige Kinder (die noch vorhanden, Gott gebe, lange) geboren und
erzogen hat; … und allermeist darum, dass ich will, sie müsse nicht den
Kindern, sondern die Kinder sollen ihr in die Hände sehen (finanziell von
ihr abhängig sein), sie in Ehren halten und ihr unterworfen sein, wie Gott
geboten hat … Denn ich halte dafür, dass die Mutter werde ihren eigenen
Kindern der beste Vormund sein und solch Gütlein … nicht zu der Kinder
Schaden oder Nachteil, sondern zu Nutz und Besserung brauchen, als die
ihr Fleisch und Blut sind und sie unter ihrem Herzen getragen hat.“
Luthers Testament, 1542, Weimarer Lutherausgabe, Briefe Band 9, Nr. 3699
empfindliche Körperstrafen gedroht.
Doch ihre Flucht glückte, und Luther
sah sich vor der schwierigen Aufgabe,
sie zu versorgen.
Eheanbahnung mit
Hindernissen
Um die Nonnenflucht zur Nachahmung zu empfehlen, veröffentlichte
er die Schrift: „Ursache und Antwort,
dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen dürfen“. Die Frau, argumentierte Luther, „ist nicht geschaffen,
Jungfrau zu sein, sondern Kinder zu
tragen … wie das auch die weiblichen
Gliedmaßen, von Gott dazu eingesetzt, beweisen“ (Weimarer Ausgabe,
Band 11, Seiten 394-400). Nur wenige
Frauen seien dazu geschaffen, ohne
Ehemann und Kinder zu leben. Übertrieben haben dürfte Luther mit seiner Schätzung, wie viele Nonnen freiwillig im Kloster lebten: „sicher unter
tausend kaum eine“.
Katharinas Mitschwestern gingen
eine Ehe ein oder kehrten zu ihren
Familien zurück. Bei Katharina von
Bora hingegen scheiterten zwei Eheanbahnungen. Als sie den als geizig
bekannten, 60-jährigen Wittenberger
Professor Kaspar Glatz ablehnte, soll
Katharina gesagt haben, sie heirate
lieber Luthers Mitarbeiter Nikolaus
von Amsdorf oder Luther selbst.
Am Abend des 13. Juni 1525,
­einem Dienstag, ging Luther mit Katharina von Bora die Ehe ein. Damit
Anfangs war die Familie mittellos.
Bald gelang es Katharina, ihr Wohnhaus, das „Schwarze Kloster“ und ehemalige Klostergebäude der Augustinermönche, zu einem der größten
Haushalte in Wittenberg zu entwickeln. Das Lutherhaus war weit mehr
als der Wohnort der Familie: ein Begegnungsort lokaler wie europäischer
Geistesgrößen und Herrscherhäuser,
Zufluchtsstätte für Glaubensflüchtlinge, Krankenhospital, Herberge für Gäste und Pflegekinder, ein überaus begehrtes Studentenwohnheim, Mensa
und Ort der Tischreden Luthers.
Die Wirtschaftsführung oblag Katharina eigenständig. Sie beaufsichtigte die Mägde und Knechte, leitete
die Küche, den Einkauf und die Eigenproduktion der Lebensmittel,
ließ ein Badehaus errichten, Öfen
aufstellen, einen Keller bauen, erweiterte den Grundbesitz und damit die
landwirtschaftlichen Flächen. Obwohl Bargeld im Lutherhaus immer
knapp war, wurden unter Katharinas
Leitung täglich 30 bis 50 Personen
verköstigt – für die damalige Zeit
eine enorme Leistung.
Sie gebar sechs Kinder, von denen
vier das Erwachsenenalter erreichten.
Ihr Anteil an den Diskussionen bei
Tisch ist größer, als es die Nachschreiber, die kein Interesse an Katharinas
Beiträgen hatten, notierten. Für Luther war sie Leib- und Seelsorgerin,
seine Vertraute, die ihn nicht selten
nachts im Ehebett, wenn Luther von
Glaubenszweifeln oder wie er es
nannte, vom Teufel, heimgesucht
wurde, mit ­Bibelworten tröstete.
1546 starb Luther plötzlich. Im
selben Jahr brach der Schmalkaldische Krieg aus und zwang die Witwe
zur Flucht. Bei ihrer Rückkehr waren
ihre Felder verwüstet, am Ende ihres
Lebens war sie hoch verschuldet.
1552 floh Katharina nach Torgau,
dort verstarb sie an den ­Folgen eines
Verkehrsunfalls.
Auf ihrer Grabplatte in der Torgauer Stadtkirche ist sie in Lebensgröße dargestellt mit einem Buch in den
Händen, betend, Bibel lesend. Luther
kritisierte die bis dahin höher angesehene klösterliche Lebensform zugunsten der Gestaltung des Glaubens
in der Welt – in einer Partnerschaft,
als Eltern, in einem Beruf. Katharina
von Bora brachte den Mut auf, diese
Umbrüche an Luthers Seite in ihrem
eigenen ­Leben zu gestalten.
Ist Katharina von Bora ein Vorbild für
Sie? Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten, Pfarrer Bernd
Krebs, und Professor Wolf Krötke im
­Reformations-Blog glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben Sie der Redaktion eine
E-Mail: [email protected].
Sabine Kramer ist
Historikerin und
Geschäftsführende
Pfarrerin der
Marktkirchengemeinde
Halle / Saale.
Foto: privat
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Frauen und die Reformation; Die
Ehe: „Ein weltlich Ding“; Leben nach
Luther – das evangelische Pfarrhaus
Bibeltexte:
1. Buch Mose 2, 18;
Matthäus 19, 4–6; Galater 3, 26–28
Literatur:
– Martin Treu, Katharina von Bora.
Biographien zur Reformation.
­Wittenberg, 2006
– Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit: Gelehrt, mutig und
glaubensfest. Göttingen 2014
– Sylvia Weigelt, Der Männer Lust
und Freude sein, Wartburg-Verlag
Weimar.
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Sonntag, 5. Juni 2016 | Nr. 23 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 23
Teil 4
Menschen um
Martin Luther
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Gehört die Wahrnehmung
­öffentlicher Verantwortung zu den
Aufgaben eines evangelischen Pfarrers?
2. Wie gestaltet sich das Verhältnis
von Staat und Kirche heute
­angesichts des Grundsatzes der
Trennung von Staat und Kirche?
3. Wie gestalten und pflegen wir als
Kirchenmitglieder Partnerschaft und
öffentliche Mitverantwortung angesichts der den Kirchen gebotenen Verpflichtung zum Dienst am Nächsten?
Zugang zum Thema:
– Gespräch mit einem Pfarrer der Region, der in der Wendezeit ein Bürgermeisteramt innehatte
– Katalog zur Ausstellung anlässlich
des 450. Todestages von Johannes
Bugenhagen, Dr. Pomeranus, 1485–
1558, Schwerin 2008
Dass ein Gemeindepastor in bestimmten Situationen zusätzlich auch
politische Verantwortung übernimmt,
war während der friedlichen Revolution in der DDR 1989 - 90 nicht selten,
aber umstritten. Wie verhielt es sich
mit der Übernahme staats- und kommunalpolitischer Verantwortung
während der Reformation?
Von Norbert Buske
Der Reformator Johannes Bugenhagen – er gilt als Organisator der lutherisch geprägten Landeskirchen – bietet ein Beispiel. Er war an der
Erarbeitung vieler, von den jeweiligen Landtagen und Stadtvertretungen zu beschließenden Kirchenordnungen maßgeblich beteiligt. Bei
diesen Kirchenordnungen handelte
es sich um Gesetze im Range von Landesverfassungen, mit denen nicht nur
kirchliche Belange neu geordnet wurden, sondern zugleich Bereiche des
Bildungs- und Sozialwesens. Vieles
dieser damals geschaffenen Rechtsordnung blieb Jahrhunderte lang gültig. Darüber hinaus schufen diese
Kirchenordnungen Rechtssicherheit
für die sich in den einzelnen Territorien konstituierenden Landeskirchen,
eine Rechtssicherheit, die es den Landeskirchen im Verlauf der weiteren
Entwicklung ermöglichte, Aufgaben
eigenständig wahrzunehmen. Das diplomatische Geschick, das der Reformator Johannes Budenhagen bei den
Verhandlungen zeigte, war beispielgebend auch für die Verhandlungen um
die Staatskirchenverträge in den ostdeutschen Bundesländern.
Der 1485 geborene, aus Pommern
stammende Reformator Johannes Bugenhagen gehört mit Martin Luther
und Philipp Melanchthon zum Dreigestirn der Wittenberger Reformation.
Bereits als 19-Jähriger wurde Bugenhagen zum Rektor der Ratsschule in
Treptow an der Rega berufen. Diese
Am 1856 in
Greifswald
errichteten
RubenowDenkmal ist
Bugenhagen als
Vertreter der
Theologischen
Fakultät
dargestellt.
Das Denkmal
ist Heinrich
Rubenow, dem
ersten Rektor der
1456 gegründeten
Universität
gewidmet.
Obgleich Bugenhagen seine Ansichten stets unmissverständlich vertrat, vermied er allzu scharfe Polemik. Er galt als bedächtig, konnte
geduldig zuhören und sachgerecht
abwägen. So verwundert es nicht,
dass der für sein Verhandlungsgeschick geschätzte Reformator auch
um weitere diplomatische Dienste
gebeten wurde. Beispielhaft verwiesen sei auf die Krönung des dänischen Königs Christian III. und die
Vermittlung der Heirat des pommerschen Herzogs Philipp I. mit Maria,
der Tochter des Kurfürsten Johann
des Beständigen.
Nach einem arbeitsreichen und
erfüllten Leben starb der Reformator
Johannes Bugenhagen 1558 und wurde in der Wittenberger Stadtpfarrkirche bestattet.
Norbert Buske,
promovierter Pastor i.
R. (Greifswald), war 1991
bis 94 Vorsitzender des
Rechtsausschusses im
Landtag MV. Foto: privat
Foto: epd
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Johannes Bugenhagen
Der Kirchenorganisator im Dreigestirn der Wittenberger Reformatoren
„gelehrte Schule“ stand unter der Aufsicht des Abtes des nahe der Stadt gelegenen Prämonstratenserklosters Belbuck. Unter der Leitung Bugenhagens
gewann sie erheblich an Ansehen.
Von Treptow aus knüpfte Bugenhagen Verbindungen zu Kreisen der
Humanisten. Spätestens seit 1512
beschäftigte er sich mit bibelwissenschaftlichen Studien. Juristische
Kenntnisse erwarb Bugenhagen
wahrscheinlich über die gesellschaftlichen Verbindungen seines Vaters
als Ratsherr.
Freundschaft mit Luther
in Wittenberg
Als der Abt des Klosters Belbuck im
Jahr 1517 eine neue Ordensschule errichtete, wurde Bugenhagen zum Lektor für das Bibelstudium berufen. Der
sich hier unter seiner Führung bildende Schülerkreis diskutierte auch die
Schriften der Wittenberger Reformbewegung. Der reformatorische Durchbruch für Bugenhagen ergab sich im
Herbst 1520 aus der Lektüre der
Schrift Luthers „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“.
Viele Schüler und Freunde, die Bugenhagen in Belbuck und Treptow
gewonnen hatte, wurden zu Wegbereitern der Reformation, so in Stralsund,
Hamburg, Lübeck und Riga.
Im Frühjahr 1521 ging Bugenhagen nach Wittenberg und gewann
Luthers Freundschaft. Auf Drängen
Melanchthons begann er, bibelwissenschaftliche Vorlesungen zu halten.
Sein bereits 1524 gedruckter Psalmenkommentar machte ihn rasch
über Wittenberg hinaus bekannt. Im
gleichen Jahr erschien auch erstmals
seine Passionsharmonie, eine Zusammenstellung der in den vier Evangelien berichteten Leidensgeschichte
Das Bugenhagen-Zitat
„Hier will ich, dass ein Jeglicher fleißig merke, dass wir nicht verwerfen
gute Werke, die aus freiem Herzen geschehen, nach Gottes Wort, um Gottes
willen, unserem Nächsten zu Dienste, sondern wir verwerfen alle Werke,
wie gut sie auch seien mögen genannt werden, die nicht mit freiem Herzen
geschehen (wie gesagt), sondern an welchen das Herz also hänget und
­gebunden ist, dass es meinet, damit Vergebung der Sünden und den
Himmel zu verdienen.“
Johannes Bugenhagen, „Von dem christlichen Glauben und rechten guten
Werken wider den ­falschen Glauben und erdichtete gute Werke, dazu wie
man’s soll anrichten mit guten Predigern, dass solch Glaube und Werke
­gepredigt werden, an die ehrenreiche Stadt Hamburg“, 1526.
Christi. Diese Passionsharmonie wurde zu einem fleißig gelesenen, immer
wieder nachgedruckten Andachtsbuch. Sie war bis ins 20. Jahrhundert
hinein Bestandteil der Anhänge in
vielen Gesangbüchern. Im Blick auf
ihre frömmigkeitsgeschichtliche Bedeutung ist sie dem Kleinen Katechismus von Martin Luther vergleichbar.
Auch in den folgenden Jahrzehnten fühlte sich Bugenhagen, neben
seinen rasch anwachsenden weiteren
Aufgaben, der theologisch wissenschaftlichen Arbeit verpflichtet. Die
Wittenberger Universität promovierte ihn 1533 zum Doktor der Theologie und berief ihn zum Professor.
Bugenhagen heiratete 1522, noch
vor Luther, der 1523 die Berufung von
Bugenhagen zum ersten evangelischen Pfarrer an der Stadtpfarrkirche
Wittenberg durchsetzte. Mit Bugenhagen begann die Geschichte des evangelischen Pfarrhauses. Als Luther heiratete, traute Bugenhagen das Paar.
Beide Familien blieben eng freundschaftlich miteinander verbunden.
Rechtliche Gestaltung
der Landeskirchen
Zu Bugenhagens pfarramtlichen Aufgaben gesellten sich bald weitere Verpflichtungen. Der Kurfürst ernannte
den Stadtpfarrer 1532 zum Superintendenten für den rechtselbischen
Kurkreis, später zum Generalsuperintendenten für Sachsen. Bugenhagen
hatte die neuen evangelischen Geistlichen zu ordinieren. Sie kamen auch
aus Gebieten, die der sächsischen Generalsuperintendentur nicht zugeordnet waren, einige von weit her, aus
Dänemark, Flandern, Ungarn, Siebenbürgen, Polen und dem Baltikum.
Sie rechneten es sich zur Ehre an, von
Bugenhagen ordiniert zu werden.
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Kirche und Obrigkeit; Wider die mörderischen Rotten, Das Gesetz gehört
aufs Rathaus; Bischöfe und Fürsten;
Literatur:
– Norbert Buske u.a., Johannes Bugenhagen. Sein Leben. Seine Zeit.
Schwerin 2010
– Norbert Buske, 20 Jahre „Güstrower Vertrag“ (Staatskirchenvertrag)
Eine Dokumentation. Schwerin 2014
Zu den nachhaltigsten Verdiens­ten
Bugenhagens gehört seine unablässige
Mitarbeit bei der rechtlichen Ausgestaltung und Absicherung der sich
bildenden neuen Landeskirheraus­
chen. Durch zahlreiche Anfragen und
Bitten um Mitarbeit wurde er in die
Rolle des wichtigsten protestantischen
Kirchenorganisators gedrängt. Er
wusste um die Bedeutung einer verlässlichen Rechtsordnung zur Sicherung der reformatorischen Erkenntnisse. Die Kirchenordnungen in
­ übeck, dem
Braunschweig, Hamburg, L
Herzogtum Pommern und dem Königreich Dänemark sind maßgeblich
durch ihn geprägt worden. Dabei bewies er ein sich immer deutlicher abzeichnendes politisches Geschick. Er
hatte ein Gespür dafür, was den jeweiligen Verhandlungspartnern möglich
und zumutbar war.
Wichtige Bereiche des öffentlichen
gesellschaftlichen Lebens wurden vor
dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die guten Werke im
Rahmen der von Johannes Bugenhagen maßgeblich geprägten evangelischen Kirchenordnungen neu geordnet. Das wird im Blick auf das Armenund Sozialwesen beispielhaft deutlich: Die mittelalterliche Kirche hatte
den Gläubigen die Fürsorge für Kranke und Hilfsbedürftige nachdrücklich
eingeschärft. Das Almosengeben gehörte zu den guten Werken. Sie waren zur Erlangung des Seelenheils
notwendig. So zahlte sich eine für die
Hilfsbedürftigen dargebrachte Gabe
doppelt aus, sowohl für den Empfänger als auch für den Geber. Die Reformation setzte neue Akzente. Nicht
das gute Werk, sondern die Würde des
Hilfsbedürftigen, die ihm als Geschöpf Gottes verliehen war, wurde in
den Vordergrund gerückt.
Um diese neue Werteordnung zur
Geltung zu bringen, bedurfte es einer
grundlegenden Neuordnung der
kirchlichen Einkünfte. Den von den
jeweiligen Landtagen sowie dem jeweiligen städtischen Regiment hierfür geschaffenen Rechtsgrundlagen,
den evangelischen Kirchenordnungen, folgten Visitationen der Landesherrschaft. Diese führten zu einschneidenden Eingriffen in die kirchliche Finanz- und Vermögensverwaltung. Johannes Bugenhagen wurde
nicht nur wiederholt zur Erarbeitung
dieser Rechtsgrundlagen herangezogen, sondern war auch – wie zum Beispiel in Pommern – an vielen sich
unmittelbar anschließenden, von den
Herzögen angeordneten Visitationen
als herzoglicher Visitator beteiligt.
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Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 24
Teil 4
Menschen um
Martin Luther
Der Politiker Luthers
Im Dreigestirn der Wittenberger Reformatoren war Spalatin der Organisator
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Luther widersteht; Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, Das
Augsburger Bekenntnis
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Was bedeutet Ihnen die Freundschaft mit einer Christin oder einem
Christen für ihren Glauben?
2. Gehört Geheimdiplomatie zur
Existenz der Kirche in der Gesellschaft?
Literatur:
– Georg Berbig, Spalatins und Luthers
Briefwechsel bis zum Jahr 1525, Halle
(Saale),1906
– Martin Burkert/Karl-Heinz Röhlin,
Georg Spalatin – Luthers Freund und
Schutz, Leipzig, 2015
– Irmgard Höss, Georg Spalatin, Weimar, 1956
Zugänge zum Thema:
– Besuch von Schloß Hartenfels in
Torgau/Sachsen – als kursächsische
Residenz war Torgau das politische
Zentrum der Reformation.
– Auf Spalatins Spuren, von Spalt
nach Altenburg
– Originalbrief von Spalatin an
Luther, siehe Literaturliste
Georg Spalatin gehört zu den herausragenden Männern der R
­ e­for­ma­t­­­­i­ons-­
geschichte. Ohne sein vermittelndes
Wirken hätte Martin Luther kaum den
Schutz seines Landesherrn erfahren.
Von Karl-Heiz Röhlin
Mit großem diplomatischem Geschick
zog Georg Spalatin bei Reichstagen und
Religionsgesprächen hinter den Kulissen die Fäden. Dabei war er, benannt
nach seinem Geburtsort Spalt in Mittelfranken, eher ein Mann der leisen Töne.
Seine Vermittlungs­versuche führten
mitunter zu Differenzen mit dem ungestümen Reformator. Die Freundschaft
Luthers mit Spalatin zeigt, wie eng in
der „heißen Phase“ der Reformation
theologisch fundierte Kirchenkritik,
machtpolitische Interessen und die
hohe Kunst der Diplomatie verknüpft
sind.
Die Bedeutung Spalatins hängt eng
mit seiner besonderen Stellung am
Hof des Kurfürsten zusammen. Bis
zum Tod Friedrichs des Weisen im
Mai 1525 bekleidet er verschiedene
einflussreiche Ämter. Seine Karriere
beginnt er als Erzieher der Kurprinzen. Dann wird er Bibliothekar und
Universitätsreferent in Wittenberg.
Als Sekretär und persönlicher Vertrauter des Kurfürsten wächst Spalatin auch in die Rolle des Spezialisten
für Kirchenfragen hinein. Sein juristisches Studium befähigt ihn dazu in
besonderer Weise. In politischen und
kirchenpolitischen Fragen läuft der
ganze Schriftverkehr am Hof über seinen Schreibtisch. Spalatin entwirft
für den Kurfürsten Antwortschreiben
an Papst und Kaiser, begleitet den
Kurfürsten zu den Reichstagen und
ist als Gesprächspartner bei Kurienvertretern und Gesandten des Kaisers
gefragt. 1525 wird er in das Amt des
Hofpredigers in Torgau berufen. Bis
zu seinem Lebensende arbeitet Spalatin an der sächsischen Chronik.
Wann Spalatin Luther zum ers­ten
Mal begegnet ist, wissen wir nicht genau. Ende des Jahres 1513 bittet Spalatin Martin Luther in einem Brief
um ein Gutachten im Streit zwischen
dem Humanisten Johann Reuchlin
und den Kölnern Dominikanern. In
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 12. Juni 2016 | Nr. 24 NK
Bei Georg Spalatin (1484–1545), Geheimsekretär Friedrichs des Weisen und
Beauftragten für die Wittenberger Universität, liefen die Fäden zusammen. Das
Gemälde (1509) stammt von Lucas Cranach der Ältere. Foto: wikipedia
diesem Streit geht es um die Bedeu- chen soll er in Rom zum Ketzerprotung des Alten Testamentes und der zess erscheinen. Diese Nachricht
jüdischen Literatur, speziell des Tal- schreckt Luther und seine Freunde
muds, für die Auslegung der Bibel. In auf. In einem Brandbrief wendet er
seinem Antwortbrief vom Februar sich sofort an Spalatin, der zu dieser
1514 unterstützt Martin Luther die Zeit mit dem Kurfürsten zum ReichsThesen Reuchlins. Die Bücher des tag in Augsburg weilt. Spalatin verHumanisten zu verbieten, hält er für fasst umgehend ein diplomatisches
falsch: „Wenn man Bücher ver- Schreiben an die Kurie und erreicht
brennt, werden
mit Hilfe des Kurfürsten, dass die
neue folgen.“
„Wenn ich nicht gewesen
Vorladung Luthers
Ende August
wäre, nimmer wäre es
nach Rom aufge1517 lädt Martin
mit Luthero und seiner
hoben wird.
Luther Spalatin
Lehr so weit kommen.“
Die Anhörung
zum Abendessen
erfolgt schließlich
ins Wittenberger
Georg Spalatin
in Augsburg durch
Augustiner Kloster
den päpstlichen
ein. Zu diesem Essen kommen auch der Beichtvater des Legaten Cajetan. Das Verhör Luthers
Kurfürsten Jacob Vogt und Spalatins findet vom 12. bis 14. Oktober 1518
Nürnberger Freund Christoph im Palais der Fugger statt. Am Ende
Scheurl. Sehr wahrscheinlich disku- wirft Cajetan Luther regelrecht hintiert die Gesprächsrunde auch über aus und fährt ihn an: „Geh und lass
den Ablasshandel. Jedenfalls schreibt dich nicht mehr bei mir sehen, es sei
Luther nur wenige Tage nach dem denn zum Widerruf!“ Noch in der
Thesenanschlag vom 31. Oktober Nacht nach dem Verhör verlässt Lu1517 an Spalatin, er wünsche nicht, ther heimlich die Stadt und entgeht
dass unsere Thesen früher in die Hän- so der Gefahr, verhaftet zu werden.
de des Kurfürsten kommen als in die
In Abstimmung mit dem KurfürsHände seiner Gegner. Offenkundig ten entwirft Spalatin erneut ein
soll der Eindruck vermieden werden, Schrei­b en, um die inzwischen gefordass der Kurfürst vorab von dem ge- derte Auslieferung Luthers nach
planten Thesenanschlag wusste. Spa- Rom abzuwenden. Der neue Vorlatin jedenfalls kennt den Inhalt der schlag besteht nun darin, ein GutThesen. Er ist es, der dem Kurfürsten achten Deutscher Universitäten über
die Thesen vorlegt und interpretiert. Luthers Thesen einzuholen. Spalatin
bringt unter anderem auch den Bischof von Würzburg, er ist ein
Freund des Kurfürsten, als Vermittler ins Gespräch.
All diese Aktivitäten Spalatins
führen dazu, dass in den Jahren von
Seine erste große Rolle als Diplomat 1517 bis 1520 die endgültige Entspielt Spalatin im Jahr 1518. Luther scheidung über die Sache Luthers
erhält in diesem Jahr eine Vorladung immer wieder hinausgeschoben
nach Rom. Innerhalb von sechs Wo- wird. Außerdem verhindern der Tod
von Kaiser Maximilian, Anfang 1519,
und die Vorbereitungen zur Wahl
des neuen Kaisers weitreichende kirchenpolitische Entscheidungen.
Luther-Zitat
Im Jahr 1521, in den Wochen vor
dem
Reichstag zu Worms, arbeitet Spa„Mögest du meine aufrichtige Freundschaft und Zuneigung erkennen! Doch
latin als Regisseur im Hintergrund. Es
was bedarf es der Worte? Das weißt du selbst am besten, auch ohne meine
Versicherung. Grüße deine Gattin aufs Beste! Wenn du sie aber auf deinem
ist vorrangig sein Verdienst, dass LuLager in deine Arme einschließest in süßester Umarmung und deine
ther die Bühne des Reichstags und daKatharina mit Küssen bedeckest, so magst du wohl daran denken: Siehe
mit das wichtigste öffentliche Podium
diesen Menschen, eine Schöpfung Gottes, hat mir Christus geschenkt. Ihm
betreten darf. Der vorsichtige Kurfürst
sei Lob und Preis! Und auch ich werde den Tag festlich begehen und dann
hegt zunächst große Bedenken gegenin der Nacht bei gleichem Liebeswerk deiner gedenken.“
über einem öffentlichen Auftritt Luthers. Er fürchtet nicht zu Unrecht
Martin Luther in einem Brief anlässlich der Hochzeit von Georg Spalatin mit
Katharina Heidenreich, 1525
eine weitere Verschärfung der religionspolitischen Konflikte.
Verhör in
Rom verhindert
Rom fordert im Vorfeld des Reichstags von Kaiser Karl V. die Exekution
der inzwischen verhängten Bannbulle gegen Luther. Der Reichstag hat
nach Meinung der Kurie nicht das
Recht, einen bereits verurteilten Häretiker noch einmal anzuhören. Den
Kaiser selbst interessiert der theologische Streit nicht sonderlich. Er sucht
nach Lösungen, die Einheit des Reiches zu stärken. Nach den vielen Sympathiekundgebungen für Luther in
Worms hält er es für das kleinere
Übel, den Wittenberger Mönch doch
öffentlich anzuhören.
Am 17. und 18. April 1521 kommt
es dann zu dem berühmten Auftritt
Luthers vor Kaiser und Reich. Der
Leiter des Verhörs, Johann von der
Ecke, fordert Luther auf, seine Schriften zu widerrufen. Am ersten Verhandlungstag argumentiert Luther in
lateinischer Sprache. Am folgenden
Tag hält er seine Verteidigungsrede in
Deutsch. Auch wenn Luther die Worte „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, wohl nicht gesprochen hat, so
charakterisieren sie doch treffend seine Haltung.
Alle diplomatischen Bemühungen
Spalatins können das Wormser Edikt
nicht verhindern. Über Luther wird
die Reichsacht verhängt. Alle Schriften Luthers stehen auf dem Index.
Wegen der Gefahr eines Aufruhrs zögert der Kaiser die Ausfertigung des
Ediktes hinaus. Er gibt Luther sogar
seinen Reichsherold als Begleitschutz
mit auf den Heimweg. Von Friedberg
in Hessen aus setzt Luther seinen Weg
alleine fort, da der lutherisch gesonnene hessische Landgraf seinen
Schutz zugesagt hat.
Planer des filmreifen
Scheinüberfalls
Vieles spricht dafür, dass Spalatin bei
dem Scheinüberfall auf Luther und
dem Versteck auf der Wartburg der
Vater des Plans gewesen ist. Der kurfürstliche Rat Hans von Planitz und
Kanzler Gregor Brück unterstützen
den filmreifen „Überfall“. Während
Luthers Wartburgzeit ist Spalatin der
wichtigste Verbindungsmann nach
außen. Er versorgt ihn mit Nachrichten vom Hof, der Universität und den
Entwicklungen im Reich.
Beim Reichstag in Augsburg im
Jahr 1530 ist Spalatin wieder als Berater gefordert. Kurfürst Johann von
Sachsen beruft ihn neben Melanchthon und Justus Jonas in die sächsische Delegation. Zum ersten Mal
nach dem Tod Friedrich des Weisen
wird Spalatin, inzwischen Superintendent in Altenburg, wieder eine
wichtige Rolle bei einem Reichstag
spielen. Luther selbst kann nicht nach
Augsburg reisen, da er seit dem
Wormser Edikt unter Reichsacht
steht. Von der Veste Coburg aus steht
er jedoch in ständigem Kontakt mit
den Freunden. In Augsburg formuliert die sächsische Delegation die auf
Konsens angelegte Confessio Au-
gustana, das so genannte Augsburger
Bekenntnis. Bis in die Gegenwart hinein spielt es eine besondere Rolle
bei ökumenischen Gesprächen. Wie
weit die einzelnen Artikel von Spalatin beeinflusst sind, lässt sich nicht
mehr genau feststellen. In dem Bestreben, konsensfähige Formulierungen zu finden, sind sich Melanchthon
und Spalatin jedenfalls einig.
Der kirchenpolitische Einfluss
Spalatins auf die Reichstage wird zuweilen unterschätzt. Immerhin: In
der Schlosskirche in Wittenberg steht
die Statue Georg Spalatins in einer
Reihe mit den großen Theologen der
Reformation. Ein Zeichen dafür, dass
theologische Kirchenkritik, machtpolitische Interessen und diplomatisches Ringen in der Reformationszeit
nicht zu trennen sind.
Karl-Heinz Röhlin
ist Rektor am
Pastoralkolleg
Neuendettelsau.
Foto: privat
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Kontaktdermatitis) möglich. Apothekenpflichtig.
Stand: Februar 2014 . Taurus Pharma GmbH, Benzstr. 11, D-61352 Bad Homburg
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die
Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt
oder Apotheker.
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 25
Teil 5
Die Ausbreitung der
Reformation
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 19. Juni 2016 | Nr. 25 NK
Das Augsburger Bekenntnis
Der missglückte Einigungsversuch der Protestanten mit der Kirche und dem Kaiser
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Hilft Ihnen das Augsburgische Bekenntnis, Ihren Glauben an Gott
auszudrücken?
2. Würden Sie sich ein neues Bekenntnis unserer Evangelischen Kirche wünschen?
3. Trauen Sie sich zu, ein solches Bekenntnis zu formulieren?
Zugänge zum Thema:
– Lektüre: Confessio Augustana. Das
Augsburger Bekenntnis von 1530 in
heutigem Deutsch, Berlin 2014
– Besuch auf der Coburg, Ausstellung
über Luthers Anteilnahme am Augsburger Bekenntnis.
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Luther widersteht; Luthers Reformprogramm; Kirche und Obrigkeit; Das
ist mein Leib; Der kleine Grieche; Bischöfe und Fürsten; Gemeinde und
Amt; Der Augsburger Religionsfriede
Literatur:
– Gunther Wenz, Theologie der
­Be­kenntnisschriften der ­evan­gelischlutherischen Kirche, 2 Bände, Berlin
1996
In Augsburg suchten 1530 „Protestanten“ den Schulterschluss mit der
Kirche. In diesem Sinne trugen sie
dort ein Bekenntnis vor. Auch Kaiser
Karl V. strebte nach Einigung. Doch es
kam anders.
Von Wolf Krötke
„Ich rede von deinen Zeugnissen vor
Königen und schäme mich nicht“
(Psalm 119, 46). Dieses Wort steht
dem Bekenntnis voran, das der kursächsische Kanzler Christian Beyer
am 25. Juni 1530 auf dem Reichstag
zu Augsburg vor Kaiser Karl V. verlesen hat. Der Kaiser aber – so heißt es
– sei dabei eingeschlafen. Das Bekenntnis selbst jedoch ist ein lebendiges Zeugnis des Glaubens der Wittenberger Reformation geblieben.
Das war 1530 nicht abzusehen. In
diesem Jahr wollte der Kaiser die
Spaltung der Kirche durch die rasante
Ausbreitung reformatorischer Predigt und Gemeindepraxis endlich beenden. Denn sie spaltete auch das
Kaiserreich. Doch seit dem Reichstag
von Worms (1521), bei dem über Luther die „Reichsacht“ verhängt wurde
und die Verbreitung seiner Schriften
und Lehren verboten war („Wormser
Edikt“), hatte Karl sich nicht mehr
direkt um die deutschen Verhältnisse
kümmern können.
Seine Kräfte waren durch Aufstände in seinem Reich sowie durch die
Der kursächsische Kanzler Christian Beyer verliest auf dem Reichstag zu Augsburg vor Karl V. die „Confessio Augustana“. Holzschnitt (16. Jahrhundert). Kriege mit Frankreich und vor allem
mit den Türken, die 1529 vor Wien
standen, gebunden. Sein Bruder, der
Erzherzog Ferdinand, versuchte zwar,
auf dem 2. Reichstag zu Speyer (1529)
das „Wormser Edikt“ überall durchzusetzen. Dagegen erhoben die evangelischen Fürsten und Städte mit einer
„Protestation“ ihre Stimme. Seitdem
nennt man evangelische Christen
„Protestanten“ und die bunte Vielfalt
evangelischer Glaubensströmungen
„Protestantismus“.
Danach blieb jedoch alles beim
Alten. Karl wollte das auf dem Reichstag in Augsburg, der Versammlung
aller deutschen weltlichen Herrscher
und kirchlichen Autoritäten, ändern.
Das Einladungsschreiben dazu klang
friedlich. In ihm hieß es, der Kaiser
wolle jede Meinung „in Liebe und
Gütlichkeit hören, verstehen und erwägen“.
Übereinstimmung
und Missbrauch
Ausgerüstet mit Vorarbeiten für die
Darstellung der reformatorischen
Lehre brachen die Wittenberger nach
Augsburg auf. Luther aber musste an
der Grenze von Kursachsen Halt machen. Er war ja vom Kaiser geächtet
und konnte sich außerhalb Kursachsens nicht blicken lassen. Er wurde
auf der Veste Coburg einquartiert.
Von dort aus beriet er Melanchthon,
welcher das Augsburgische Bekenntnis formulierte. Es hieß zunächst
„Apologie“ (= Verteidigung).
Dieses Bekenntnis wirbt um die Ein-
Das Zitat: Augsburger Bekenntnis
Artikel 4: Es wird gelehrt, „dass wir Vergebung der Sünden und
Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unser Verdienst […] erlangen können,
sondern […] dass wir vor Gott gerecht werden aus Gnade um Christi willen
durch den Glauben“.
Artikel 7: „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche
sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei
denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut
dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der
christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis
gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht
werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig,
dass überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien
eingehalten werden“.
Evangelisches Gesangbuch, 808
„Die Apologie (Verteidigung) gefellet mir fast (= sehr) wohl
und weiß nichts dran zu bessern und ändern.“
Martin Luther
heit der Kirche. Der erste Teil legt in
21 Artikeln dar, dass die reformatorische Lehre auf der Bibel beruht und
mit der „Alten Kirche“ übereinstimmt. Der zweite Teil benennt sieben „Missbräuche“, die in den von der
Reformation erfassten Gebieten
Deutschlands überwunden wurden:
1. Die Austeilung des Abendmahls in
einer Gestalt,
2. den Zwangszölibat für Priester,
3. das Messopfer, das man zur Vergebung der Sünden bezahlen kann,
4. die Beichtpraxis, die aufgrund von
Leistungen Vergebung verspricht,
5. „Kulthandlungen“ und
6. „Mönchsgelübde“, die diese Vergebung gewährleisten sollen, sowie
7. die Beanspruchung weltlicher Gewalt durch die Bischöfe.
Das alles wurde moderat vorgetragen. Wildes Reden vom Papst als „Antichrist“ kommt nicht vor. Umso eindrücklicher brachte Melanchthon das
reformatorische Verständnis des
Evangeliums und der Kirche zur Geltung. Luther musste zugestehen: Die
„Apologie […] gefellet mir fast (=
sehr) wohl und weiß nichts dran zu
bessern und zu ändern“. Freilich hat
er auch hinzugefügt, dass er „so sanft
und leise nicht treten kann“.
Für uns ist es ein Segen, dass Melanchthon „sanft und leise“ für die
reformatorische Botschaft geworben
hat. Daran können wir im ökumenischen Gespräch mit unserer römischkatholischen Schwesterkirche anknüpfen. Damals freilich scheiterte
das evangelische Werben um die Einheit der Kirche. Das hängt auch damit
zusammen, dass in ihr ein „Spaltpilz“
steckte. Melanchthon hat ihn im Artikel 10 über das Abendmahl geschickt kaschiert:
Zwischen den Lutherischen und
den „Reformierten“ der Schweiz und
Süddeutschlands schwelte nämlich
der Abendmahlsstreit. Dazu heißt es
in diesem Artikel nur kurz: Die „Gegenlehre“, dass „der wahre Leib und
das wahre Blut Christi wirklich unter
der Gestalt des Brotes und des Weines
gegenwärtig ist, […] wird verworfen“.
Das zielte auf Zwingli, für den Brot
und Wein Leib und Blut Jesu Christi
nur symbolisierte. Genau diese „Gegenlehre“ aber wurde dem Kaiser am
8. Juli 1530 in einer „Rechenschaft des
Glaubens an Kaiser Karl“ von den
„Reformierten“ übergeben.
Eine derartige Uneinigkeit des reformatorischen Aufbruchs war nicht
geeignet, ihn als einende Kraft der
Kirche zu empfehlen. Außerdem
spukte noch eine Begleiterscheinung
dieses Aufbruchs in die Bemühung
um die Einheit der Kirche hinein. Das
waren die Täufer. Sie lehnten die Kindertaufe ab. Dagegen spricht sich Artikel 9 aus.
Politisch bedrohlich für das Kaiserreich aber war, dass bei den Täufern
Vorstellungen von der Errichtung eines Reiches Gottes auf Erden herumgeisterten. Melanchthon hat demgegenüber das Amt der „Obrigkeit“ als
Gottes „guter Ordnung“ stark hervorgehoben (Artikel 16 und 28).
Kaiser Karl V. gewann trotzdem
nicht den Eindruck, dass das eine Kaiserreich im „Protestantismus“ eine
starke Stütze habe. Er beauftragte die
römisch-katholische Fraktion des
Reichstags mit einer Widerlegung
(confutatio) des evangelischen Bekenntnisses, das diese auch geliefert
hat. Melanchthon hat Punkt für
Punkt darauf geantwortet. Doch die
Annahme seiner „Apologie“ wurde
vom Kaiser verweigert.
Ein Krieg, der beiden
Seiten Schande bereitete
Ermattet durch die endlosen Verhandlungen reisten die Vertreter der evangelischen Fraktion nach und nach ab.
Die verbleibende katholische Fraktion aber bekräftigte das „Wormser
Edikt“ – eine verhängnisvolle Entscheidung. Die „protestantischen“
Fürstentümer und Städte schlossen
sich daraufhin zum „Schmalkaldischen Bund“ zusammen.
Im Schmalkaldischen Krieg von
1546 bis1547, in dem die „Protestanten“ unterlagen, kam es zu einem
Kampf, in dem beide Seiten dem
Evangelium des Friedens nichts als
Foto: wikipedia
Schande bereiteten. Melanchthons
Interesse an der Einheit der Kirche
aber blieb ungebrochen. Er arbeitete
weiter am Augsburger Bekenntnis.
Mit einer veränderten Version der
Augustana, der Augustana variata,
warb er um Kompromisse zwischen
den zerstrittenen Parteien. Das war
nicht erfolgreich. So wurde ihre ursprüngliche Fassung zur BekenntnisGrundlage unserer Kirche.
Dennoch bleibt das Bemühen um
die Erneuerung des evangelischen Bekenntnisses richtungsweisend. Bekenntnisse im evangelischen Sinne
sind nämlich nicht dazu da, einmal
erkannte Wahrheiten zu zementieren. Sie wollen in den Geist der Bibel
hinein führen. Sie rufen aber zugleich
auf, die Verhältnisse ernst zu nehmen,
auf die dieser Geist trifft.
Den Geist der Bibel von Gottes
Menschenfreundlichkeit prägt das
Bekenntnis von 1530 uns auch heute
ein. Die Zeit, in der das damals geschah, aber ist vergangen. Wir müssen
diesen Geist heute in unserer pluralistischen Gesellschaft bezeugen.
Vor „Königen“ haben wir dabei sicherlich nicht zu reden. Aber der
Psalm 119, 46, der dem Augsburgischen Bekenntnis voran steht, kann
doch eine gute Devise für die christliche Existenz heute sein. Sie lautet
nicht: Ich vertrete den „Protestantismus“. Dieses Wort sollte als Selbstbezeichnung der evangelischen Christenheit überhaupt aus ihrem Sprachgebrauch verschwinden!
Sie lautet positiv: Ich rede von deinen Zeugnissen, du Gott der Liebe zu
uns, und schäme mich nicht!
Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs,
und Professor Wolf Krötke im
­Reformations-Blog glaubenskursreformation.wordpress.com oder schrei­
ben Sie der Redaktion eine E-Mail:
[email protected]
Wolf Krötke ist
Professor für
Systematische
Theologie in Berlin und
Mitherausgeber dieses
Reformationskurses.
Foto: privat
Sonntag, 26. Juni 2016 | Nr. 26 NK
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Als die Fürsten zu Bischöfen wurden
Luther wollte die reformierte Einheitskirche – und es kam das landesherrliche Kirchenregiment
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Kirche und Obrigkeit; Luther und
der Bauernkrieg; Johannes Bugenhagen; Georg Spalatin; den Schafstall Christi ausfegen; Gemeinde
und Amt
Literatur:
– Reformation. Macht. Politik. Das
Magazin zum Themenjahr 2014 „Reformation und Politik“, herausgegeben von der EKD, Hannover 2013.
Abrufbar unter http://www.ekd.de/
reformation-und-politik/
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Grafik: EKD/Statistik
nutzte er für Belange der Gesundheits- und Armenfürsorge. Auf
kommunaler Ebene wurden „GeGlaubenskurs
meine Kästen“ zur Verwaltung der
Reformation
kirchlichen Einnahmen eingerichder Evangelischen
tet und für soziale Zwecke genutzt.
Wochenzeitungen
Von herausragender Bedeutung erim Norden, Folge 26
wies sich die „Visitation“ der GeTeil 5
meinden. Kurfürst Johann ordnete
Die Ausbreitung
sie auf Anraten Luthers in Kursachder Reformation
sen an. Melanchthons „Unterricht
der Visitatoren“ (1528) wurde zum
FÜR DAS GESPRÄCH
Vorläufer amtlicher Kirchenordnungen. Mit dem Augsburger ReliFragen zum Einstieg:
gionsfrieden (1555) war diese Ent1. Wissen Sie als Glied unserer Kirche,
wicklung für die lutherischen Terriwarum es Landeskirchen, Superintorien reichsrechtlich abgesichert.
tendenten und Konsistorien gibt und
Der Westfälische Friede (1648) bewie erleben Sie diese ­Institutionen
zog auch die Reformierten mit ein.
heute?
Fortan bestimmten Landesherren
2. Kirchenasyl, Beschneidung,
die Konfession ihrer Untertanen.
Schächtung, Arbeitsrecht der Kirchen
Was von Luther als Notlösung gesind aktuelle Konfliktfelder zwischen
dacht war, verfestigte sich institutioStaat und Religions­gemeinschaften.
nell. Aus den ursprünglich nach BeHaben Religionsgemeinschaften Sondarf gebildeten Visitationskommissiderrechte?
onen entwickelte sich das Amt des
3. Was halten Sie davon, wenn Pasto„Superintendenten“. Konsistorien
ren sich in der Predigt zu politischen
wurden als Aufsichtsbehörden eingeFragen äußern und Stellung bezierichtet, die aus Juristen und Theolohen?
gen bestanden. In der weiteren Entwicklung führte dies zu e­ iner flächenZugänge zum Thema:
deckenden, durchgegliederten Kir– Lektüre von Melanchthons „Unterchenaufsicht und Verwaltung mit
richt der Visitatoren“
dem Landesherrn an der Spitze. Seit
– Lesen Sie die Erklärung der EKD
dem Augsburger Religionsfrieden bezum Thema „Christentum und politigründeten neue Rechtstheorien diesche Kultur“ (EKD-Texte Nr. 63). Abruf- Die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland erinnern an die
l iche Kirchenregises „landesherr­
­territorialen Verhältnisse in Deutschland bis 1918 und an die landesfürstliche
bar unter http.//www.ekd.de/ EKDment“ anstelle der rechtlichen BefugHerrlichkeit und staatskirchliche Organisation des Protestantismus seit der
Texte/44648.html
nisse von Bischöfen (16./17. Jahrhun­Reformationszeit.
dert), später dann mit der alle Lebensbereiche umfassenden absolutistiMartin Luther kritisierte die kirchli- che“) ging es um Gottes Herrschaft Luthers Wartburgaufenthalt presch- schen Herrschaft oder aber aufgrund
chen Missstände. Bei Veränderungen („Regiment“). Die Kirche sei für das te in Wittenberg sein Kollege Andre- einer freien Vereinbarung im Rahsetzte er auf die schützende und ord- Heil, die Obrigkeit für das Wohl der as Karlstadt mit reformatorischem men eines Gesellschaftsvertrags (18.
nende Kraft des Fürstenstaats – so- Menschen verantwortlich. Im Notfall Eifer vor. Und 1525 beriefen sich die Jahrhundert).
wohl gegenüber Kaiser und Papst, als aber gelte das Prinzip wechselseitiger aufständischen Bauern in ihrem
Zunehmend versuchte die Obrigauch bei die Neuordnung der kirchli- Solidarität: „Wenn es die Not fordert Kampf gegen die Fürsten auf Lu- keit, die Kirche für ihre Ziele in Anchen Verhältnisse unter der Verant- und der Papst der Christenheit anstö- ther. Die Dinge drohten außer Kon- spruch zu nehmen. Umgekehrt gab
wortung der Landesherren. Die Ge- ßig ist, soll sich darum kümmern, wer trolle zu geraten.
es in den lutherischen Kirchen auf
burtsstunde der evangelischen Lan- es zuerst kann als ein treues Glied des
Auch wenn Luther die Forderun- der Grundlage der Drei-Stände-Lehdeskirchen.
ganzen Körpers [...] Dies vermag nie- gen der Bauern bejahte, so lehnte er re eine Tendenz zur theologischen
mand so gut wie das weltliche Zwang und revolutionäre Gewalt ab. Verklärung einer paternalistischen
Von Martin Hauger
Schwert“ (An den christlichen Adel Ein aktives Widerstandsrecht des drit- monarchischen Verfassung und späBraunschweig, Oldenburg, Schaum- deutscher Nation, 1520).
ten Standes gegenüber der Obrigkeit ter des Nationalismus. Vor diesem
burg-Lippe, Kurhessen-Waldeck. Nakannte er nicht.
Hintergrund tamen und Grenzen evangelischer
Den Gemeindeten
sich lutheri„Wenn es die Not fordert
gliedern bleibe
Landeskirchen haben oft wenig gesche Kirchen bis
und der Papst der
nur der Weg des
mein mit denen der deutschen Bunzur Katastrophe
Christenheit anstößig
Leidens: „Dem
des Nationalsozidesländer. Sie erinnern an die terrialismus schwer
Frevel soll man
torialen Verhältnisse vor 1918 und
ist, soll sich darum
mit der Bejahung
damit an die ältere landesfürstliche Für Luther bestand wenig Zweifel, nicht widerstekümmern (um das Heil
Herrlichkeit und staatskirchliche Or- dass ein Notfall vorlag. Im Deutschen hen, sondern ihn
demokratischer
und das Wohlergehen der
ganisation des Protestantismus seit Reich war der Einfluss Roms zu Be- leiden; man soll
Prinzipien und
der Reformationszeit. Luther hatte ginn des 16. Jahrhunderts auf drü- ihn aber nicht
dem Übergang
Menschen), wer es zuerst
schon früh erkannt, dass die Reform ckende Weise stark, stärker als in billigen, noch
zur partizipatorikann als ein treues Glied
schen evangelider Kirche gegen den Widerstand Frankreich, England oder Spanien. dazu dienen oder
des ganzen Körpers ... Dies
schen Laienkirche
von Papst und Kaiser nicht ohne Un- Ein Umstand, über den die „Deut- f o l g e n “ (Vo n
terstützung der Landesfürsten mög- schen“ lautstark klagten, zum Beispiel weltlicher Obrigvermag niemand so gut wie der Moderne.
Luther hatte
lich war. Erst mit der Trennung von in den „Gravamina“ (Beschwerden keit, wie weit
das weltliche Schwert ...“
diese Entwicklung
Kirche und Staat in der Weimarer gegen den Papst und die Kurie) der man ihr GehorMartin Luther
Republik endete die „Allianz von Reichstage. Es ging um Eingriffe in sam schuldig sei,
nicht voraussehen
Thron und Altar“ und damit der kirchliche Stellenbesetzungen, finan- 1523).
können. Sie geGleichtakt territorialer Entwicklung. zielle Ausbeutung und eine willkürliWas die kirchlichen Missstände an- hört aber zur Wirkungsgeschichte
belangte, setzte der Reformator auf seiner Entscheidung, Fürsten als NotFür Luther war eine solche Tren- che päpstliche Gerichtsbarkeit.
nung noch keine Option. Er unterLuthers Reformvorschläge nah- die schützende und ordnende Kraft bischöfe in die Pflicht zu nehmen.
schied zwar zwischen Kirche und Ob- men diese Kritik auf; sie reichten des Fürstenstaats – sowohl nach au- Sein Verständnis christlicher Freiheit
rigkeit und warnte vor deren Vermi- aber tiefer. Die von ihm propagierte ßen gegen Kaiser und Papst wie auch als Spannungsverhältnis von innerer
schung. Obrigkeitliche Übergriffe auf christliche Freiheit war ein Angriff nach innen, was die Neuordnung der Unabhängigkeit und praktischer
die Kirche verurteilte er ebenso wie auf die theologischen Grundlagen kirchlichen Verhältnisse anbelangte. Nächstenliebe kann demgegenüber
das weltliche Machtstreben der Päps- der Papstkirche. Dies blieb nicht Der Reichsabschied von Speyer helfen, auch die politische Verantworte. Aber in beiden Ordnungen („Rei- ohne politische Wirkung. Während (1527) eröffnete den Landesherren tung des Einzelnen wie auch der Kirdabei neue Handlungsspielräume: Bis che im Sinne kritischer Solidarität
zu einem Konzil war ihnen gestattet, zum Staat zu begreifen.
Das Verständnis der Kirche als Ge„für sich also zu leben, zu regieren
Das Luther-Zitat
und zu halten, wie ein jeder solches meinschaft der Glaubenden und Lugegen Gott und käyserl. Majestät hof- thers Hochschätzung des allgemei„Demnach, so uns jetzt das Evangelium ... wiederkommen ... ist ... hätten
fet und vertraut zu verantworten“.
nen Priestertums befördern ein
wir auch dasselbige rechte bischöfliche und Besucheamt ... gerne wieder
und
Sachsen
kam
es
daIn
Hessen
evangelisches Ja zu demokratischer
angerichtet gesehen, aber weil unser keiner dazu berufen ... haben wir des
raufhin
zu
einer
Neugestaltung
des
Mitbestimmung.
Gewissen wollen spielen und zur Liebe Amt (welches allen Christen gemein
Kirchenwesens unter der Verantworund geboten) uns gehalten und demütiglich mit Bitten angelangt den
tung der Landesherren. Das Modell
durchlauchtigsten hochgeborenen Fürsten und Herrn Johann, Herzog zu
Sachsen ... unsere gewisse weltliche Obrigkeit, von Gott verordnet; dass Se.
der evangelischen Landeskirche trat
Martin Hauger ist Jurist
Kurfürstl. Gnaden aus christlicher Liebe (denn sie nach weltlicher Obrigkeit
an die Stelle einer universalen Erneuund Ober­kirchenrat
nicht schuldig sind) und um Gottes Willen, dem Evangelio zu gut und den
erung der Kirche, wie sie Luther urfür ­Theologische
elenden Christen ... zu Nutz und Heil, gnädiglich wollten etliche tüchtige
sprünglich
im
Sinn
hatte.
Grundsatzfragen im
Personen zu solchem Amt fordern und ordnen.“
Philipp von Hessen gründete die
Kirchenamt der EKD in
erste evangelische Universität. Das
Hannover.
(Martin Luther, Vorrede zu Melanchthons Unterricht der Visitatoren, 1528)
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Vermögen der aufgelösten Klöster
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XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 3. Juli 2016 | Nr. 27 NK
Den Schafstall Christi ausfegen
Die Reformation im Kurfürstentum Brandenburg (1539–1614)
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 27
Teil 5
Die Ausbreitung
der Reformation
FÜR DAS GESPRÄCH
Zugänge zum Thema:
– Besuch der Ausstellung „Christliches Leben […] Regionen und Städten der Mark Brandenburg des 16.
Jahrhunderts“ im Dominikanerkloster Prenzlau
– Reformation zwischen Elbe und
Elster, eine Kulturroute von Torgau
nach Wettenberg auf zwei oder vier
Rädern entdecken
– Per Rad der Reformation auf der
Spur, Fünf Radrouten zwischen Wittenberg und Berlin
Infos zu beiden Touren:
www.prediger-und-buerger.de und
www.ag-historische-stadtkerne.de
2017 wird nicht nur ein Lutherjubiläum oder ein Jubiläum der deutschen
oder europäischen Reformation gefeiert – es geht auch um die Reformation vor Ort. Denn was 1517 mit
Luther in Wittenberg begonnen hatte, fand in der Folgezeit überall in
Deutschland Sympathisanten und
Unterstützer. Vielerorts begann eine
allmähliche V
­ eränderung des kirchlichen Lebens. Auch in der Mark
Brandenburg stießen Luthers Ideen
auf Interesse.
Von Andreas Stegmann
Vor allem in der Altmark im Westen
der Mark Brandenburg und in der
Niederlausitz im Süden fanden sich
in den 1520er-Jahren Reformationsanhänger, die da und dort auch schon
für erste Veränderungen sorgten: für
evangelische Predigt, für Abendmahlsfeiern mit Brot und Wein und
für eine allmähliche Abkehr von der
Papstkirche. Doch weil sich Kurfürst
Joachim I. der Reformation verweigerte und zusammen mit der Geistlichkeit die Neuerungen bekämpfte,
blieb es in der Mark bei vereinzelten
un­zusammenhängenden Ansätzen.
Untergründig wirkten Luthers Ideen
aber weiter: In der Mark wurde die
Übersetzung des Neuen Testaments
ins Deutsche gelesen, die reformatorischen Flugschriften diskutiert oder
die evangelischen Lieder gesungen.
Auch in die kurfürstliche Familie
fand die Reformation Eingang. Die
Foto: KG St. Nikolai Spandau, Sabine Müller
Fragen zum Einstieg:
1. Können wir heute das Christusbekenntnis noch so in die Mitte stellen
wie bei der Brandenburgischen Reformation?
2. Was wissen Sie über Ihre Gemeinde/Region aus der Reformationszeit?
3. Wie gehen wir mit dem historischen Erbe der brandenburgischen
Reformation um?
Carl Röhling: Spandauer Adelsmesse, 1913. Das großformatige Bild, das im südlichen Seitenschiff der Nikolaikirche in
Berlin-Spandau hängt, zeigt den brandenburgischen Kurfürsten Joachim II., wie er am 1. November 1539 aus der Hand des
Brandenburger Bischofs Matthias von Jagow das Abendmahl in beiderlei Gestalt – mit Brot und Wein – empfängt.
Frau von Kurfürst Joachim I., die dänische Prinzessin Elisabeth, bekannte
sich offen zu Luther und musste 1528
vor dem Zorn ihres Ehemanns nach
Kursachsen fliehen, wo sie zeitweise
bei Luther in Wittenberg unterkam.
Auch die meisten ihrer Kinder, darunter auch die beiden zu Erben der
Herrschaft bestimmten Söhne Joachim und J­ ohann, begannen mit der
Reformation zu sympathisieren. Kurprinz Joachim suchte sogar den Kontakt zu Luther und wurde allmählich
für die Wittenberger Reformation
gewonnen.
Als er 1535 an die Macht kam,
begann er, den Übergang der Kurmark zum evangelischen Glauben
ins Werk zu setzen. Als Fürst die
Reformation einzuführen, war
nicht einfach, musste man doch
zahlreiche politische Rücksichten
nehmen. Und gerade der brandenburgische Kurfürst mit seinen engen verwandtschaftlichen und politischen Verbindungen zu den Jagiellonen und den Habsburgern und
seinen der Papstkirche treuen Familienangehörigen und Nachbarn
musste vorsichtig taktieren.
1539 war es in der
Kurmark so weit
Mehr als vier Jahre dauerte es darum, bis Joachim II. sich offen zur
Reformation bekannte und eine Erneuerung der kurmärkischen Kirche
Brandenburgische Kirchenordnung
„Aber erstlich und vor allen Dingen wollen wir, dass Christus Jesus unser
Erlöser, Seligmacher und Heiland gepredigt werden soll. Also dass wir durch
den Glauben an ihn selig werden ohne unser Verdienst aus lauter Gnaden.
Dass wir auch allein in und durch seinen Namen Vergebung der Sünden
und Versühnung mit Gott dem himmlischen Vater erlangen mögen und zu
der Seligkeit kommen. Dass wir auch solches bei keiner Kreatur oder durch
keinen andern Weg suchen sollen. […] Daneben soll auch fleißig gelehrt und
gepredigt werden: Weil Christus Jesus nicht allein für uns gestorben ist,
sondern auch hier auf Erden einen feinen göttlichen, ehrlichen unsträflichen
Wandel geführt hat, […] sollen auch wir unserm Herrn und treuen Meister mit
einem guten ehrlichem Wandel, Wesen und Leben nachfolgen.“
Brandenburgische Kirchenordnung von 1540, Text modernisiert
im Sinne der Wittenberger Reforma- intendenten eingesetzt und ein Kontion auf den Weg brachte. Die Zeit sistorium geschaffen; Gottesdienst,
bis dahin war erfüllt mit familien- Sakramente und Frömmigkeit wurund reichspolitischer Diplomatie. den im Sinne Luthers neu verstanden
Der junge Kurfürst zeigte sich als und anders praktiziert als bisher; die
kluger Taktiker, der auf Zeit zu spie- städtischen Schulen und die Franklen wusste und am Ende das meiste furter Universität wurden im Sinne
von dem erreichte, was er sich vorge- von Humanismus und Reformation
nommen hatte: eine Erneuerung der neu organisiert.
märkischen Kirche und einen AusDie Verbindungen zu den anderen
bau seiner Macht.
reformatorischen Territorien im
Am 1. November 1539 war es so Reich, vor allem zu Kursachsen, waweit: Mit einer demonstrativ evange- ren eng: Viele märkische Pfarrer stulischen Abendmahlsfeier begann die dierten in Wittenberg, die WittenberReformation im Kurfürstentum Bran- ger Reformatoren waren wichtige
denburg. Vorangegangen war im Sep- Berater des Kurfürsten und der Kurtember 1539 die erste offizielle evan- fürst engagierte sich für die reichspogelische Predigt in der Berliner Dom- litische Sicherung der Reformation.
kirche. Im Sommer 1540 folgte dann
noch eine neue Kirchenordnung für
das Kurfürstentum.
Nun begann der zielstrebige Aufbau einer evangelischen Landeskirche. Dabei konnte sich der Kurfürst
sogar auf den Brandenburger Bischof Eine ähnliche Entwicklung wie im
Matthias von Jagow stützen, der sich Kurfürsten ergab sich auch in der seit
in den Dienst der Reformation ge- 1535 verselbständigten Neumark, wo
stellt und das durch seine Heirat be- Markgraf Johann herrschte. Etwas
kräftigt hatte.
früher als sein Bruder führte dieser
Doch der Landesherr brauchte dort die Reformation ein und setzte
den Bischof eigentlich nur als Recht- sie genauso eng an Luther orientiert
fertigung nach
um. Ein schönes
außen: Seine MitZeugnis für die
„Ferner lasst euch in
wirkung sollte
enge Verbindung
euer Gebet befohlen sein
suggerieren, dass
der märkischen
die Christliche Kirche zu
es sich bei der
Reformation ist
kirchlichen Erdas aus der Zeit
Wittembergk, die billig
neuerung
in
um 1550 stameine Mutter aller Kirchen
mende handBrandenburg nur
genannt wird.“
schriftlich überum eine Reform
lieferte „gebett
innerhalb der
Gebet eines Cottbuser Pfarrers,
des Pfarrers tzu
Papstkirche
mit dem er seine Predigten
Cottbuß domith
handle. Um nicht
beschloss
er seine predigeinen politischen
Preis für die Einführung der Refor- tenn beschleust“: „Ferner lasst euch
mation zahlen zu müssen, hatte der in euer Gebet befohlen sein die
Kurfürst auch dafür gesorgt, dass ein Christliche Kirche zu Wittembergk,
offenes Bekenntnis zur Wittenberger die billig eine Mutter aller Kirchen
Reformation unterblieb.
genannt wird. Darin das Evangelium
Das änderte aber nichts daran, Jesu Christi rein und lauter gelehrt
dass während der 1540er Jahre die wird, darin das Hochwürdige Sakramärkische Kirche nach dem Witten- ment nach der Ordnung und Einsetberger Vorbild umgestaltet wurde: Es zung Gottes den Gläubigen mitgegab eine Visitation, die die kirchli- teilt wird“.
chen Verhältnisse vor Ort neu ordneWährend der zweiten Hälfte des
te; es wurden anstelle der Bischöfe 16. Jahrhunderts wurzelte die lutheriund ihrer Kirchenverwaltung Super- sche Reformation in der Mark ein.
In der Neumark
ging es etwas schneller
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Luthers Reformprogramm, Gottesdienst neu, Das Augsburger Bekenntnis, Zwingli und Bullinger, Calvin
Literatur:
– Iselin Gundermann: Kirchenregiment und Verkündigung im Jahrhundert der Reformation (in:
­Tausend Jahre Kirche in BerlinBrandenburg, hg. v. Gerd Heinrich,
Berlin 1999, 147–241) www.reformation-mark-brandenburg.de
Anhänger der Papstkirche fanden
sich bald kaum mehr. Wie tief das Luthertum hier einwurzelte, zeigt auch
das Ende der märkischen Reformationsgeschichte. Im Jahr 1613 konvertierte nämlich Kurfürst Johann Sigismund zum reformierten Glauben.
Doch sein Versuch, das märkische
Luthertum für den C
­ alvinismus zu
gewinnen und die „zweite“ Reformation durchzusetzen, scheiterte: Die
märkischen Reformierten blieben
während des 17. Jahrhunderts eine
kleine Gruppe, und die Koexistenz
mit den Lutheranern gelang mehr
schlecht als recht.
Einig waren sich beide evangelischen Glaubensrichtungen der frühen Neuzeit in ihrer Konzentration
auf den Glauben an Jesus Christus als
Gottessohn und Erlöser, wie er in der
Bibel verkündigt und vom Menschen
geglaubt wird und, wie er im Alltagsleben der Menschen durch Frömmigkeitspraxis und Nächstenliebe Gestalt
gewinnt.
Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs
und Professor Wolf Krötke im Reformations-Blog glaubenskursreformation.wordpress.com oder schreiben
Sie der Redaktion eine E-Mail:
reformation@­epv-nord.de
Andreas Stegmann ist
Privatdozent im Fachbereich Kirchengeschichte
an der HumboldtUniversität zu Berlin.
Foto: privat
Sonntag, 10. Juli 2016 | Nr. 28 NK
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 24
Teil 4
Menschen um
Martin Luther
Mehr Machtkampf
als Kirchenkritik
Auslöser der Reformation in Skandinavien waren meist weltliche Gründe
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Kirche und Obrigkeit, Johannes Bugenhagen, Bischöfe und Fürsten, Bildung für alle, Die Spaltung der einen
Kirche Jesu Christi in Europa
Von Ingun Montgomery
Die skandinavischen Länder Dänemark, Norwegen, Island, Schweden
und Finnland lagen alle an der Peripherie des reformatorischen Geschehens. Die Missstände in den Kirchen
dieser Länder waren weniger auffällig als in Deutschland, weshalb auch
keine gleich heftige Kritik an der Kirche laut wurde. Die Reformation war
hier nicht zuerst religiös und kirchlich, sondern vielmehr politisch und
ökonomisch bedingt.
Wie in anderen frühmodernen
Staaten wollten die Regierungen
auch in Schweden und Dänemark
die Kirchengüter in Besitz nehmen,
um die Finanzprobleme des Staates
zu bewältigen. Denn sehr viel Grund
und Boden befanden sich im Besitz
der Kirche. Die Bischöfe übten politische Macht aus und gehörten dem
„Reichsrat“ an. Das war eine Behörde
von eingeborenem Adel, weltlich
und geistlich, die als Ratgeber des
Königs auftraten.
Humanisten wie Erasmus von
Rotterdam hatten schon Kritik an
der katholischen Kirche wegen ihres
Reichtums und der Missbräuche ihres kirchlichen Auftrags geübt, allerdings, ohne diese Kirche grundsätzlich in Frage zu stellen. Je größer
aber die Bildung der Bürger außerhalb des kirchlichen Bezirkes wurde,
desto wirksamer war diese Kritik in
der Öffentlichkeit.
Der Norden Europas war zu jener
Zeit aufgrund der Kalmarer Union
von 1397 eine Großmacht unter einem gemeinsamen Regenten in einer Personalunion vereinigt. Für
Dänemark und Norwegen dauerte
die Union bis 1814. In Schweden endete sie nach mehreren nationalen
und politischen Aufständen 1520.
Die Religionsfrage spielte dabei eine
markante Rolle. Humanistische und
reformatorische Strömungen erreichten in dieser Zeit sowohl Schwe-
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Wie finden Sie es, dass der Staat
(die weltliche Obrigkeit) in Missstände der Kirche eingreift, nicht nur damals, sondern auch heute?
2. Ist es für Christen möglich, „Haushalter Gottes“ in der Welt (1. Petrus
4, 10) zu sein?
3. Das Lied „Herr, deine Liebe ist wie
Gras und Ufer“ (EG Nr. 663 und
Singt/Jubilate 137) ist in Schweden
sehr beliebt. Verstehen Sie warum?
Zugänge zum Thema:
– Einladung eines Kenners der skandinavischen Kirchen heute. Etliche
Gemeinden haben Kontakte nach
Skandinavien. Zudem gibt es einen
Nordisch-Deutschen Kirchenkonvent.
Literatur:
– Matthias Asche, Anton Schindling
(Hg.), Dänemark, Norwegen und
Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Nordische Königreiche und Konfession
1500 bis 1600, Münster, 2003
Wittenberg war der wichtigste Impulsgeber für die Reformation in
den skandinavischen Ländern. Dort
war die Reformation stark vom Einfluss der Obrigkeiten ­geprägt und
hatte vor allem politischen und ökononischen Charakter.
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Ingun Montgomery
ist emeritierte
TheologieProfessorin an
der Universität in Oslo.
Sie lebt in Schweden. Foto: privat
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Die Reformation in Dänemark: Abendmahl mit Brot und Wein sowie Verkündigung auf biblischer Grundlage. Detail des
Altargemäldes der Pfarrkirche Torslunde von 1561, jetzt im Nationalmuseum Kopenhagen.
Foto: Nationalmuseet Danmark
den, aber auch Dänemark. Doch diese beiden Länder beeinflussten sich
in dieser Frage bemerkenswerterweise nicht. Nach Schweden kamen die
reformatorischen Gedanken mit der
Hanse zuerst nach Stockholm. In Dänemark war dagegen der deutsche
Einfluss besonders stark, weil Schleswig-Holstein ein Teil des ­dänischen
Königreiches war.
Die Kirche in Dänemark war damals wohlhabend und rief mit ihrer
Finanzpolitik die Missbilligung der
Bauern und Bürger hervor. 1513 wurde Christian II. König. Er war vom
Fürstenideal der Renaissance geprägt
und wollte die nordische Union fester
ausbauen.
Der König wollte die
Nationalkirche leiten
Für Dänemark strebte der König in
dieser Union eine katholische Nationalkirche unter seiner Leitung an.
Gegen den Adel und die Kirche, die
sich dagegen sträubten, ging er rücksichtslos vor. Während der Reforma­ einen
tionszeit bewirkte er, dass es k
rechtmäßig geweihten Erzbischof in
Dänemark gab. 1523 wurde er jedoch wegen seiner bürgerfreundlichen Politik von den ­Bischöfen und
dem Adel vertrieben.
Sein Onkel Herzog Frederik von
Schleswig-Holstein wurde zum König gewählt und musste dabei versprechen „Ketzer und Lutherschüler“ zu bestrafen, was er später unterließ. 1526/27 vollzog er den offenen Bruch mit Rom. Schon 1530
legte er mit der „Confessio Hafniensis“ die erste evangelische Bekenntnisurkunde vor. Sein Sohn, Herzog
Christian, der in Nordschleswig die
Herrschaft übernahm, war von Luthers Auftreten in Worms stark be-
Luther-Zitat
„Dies habe ich mit großem Vergnügen gehört, indem ich sehe, dass eurer
Majestät Eifer für die Gottseligkeit und die Wissenschaften von Gott
verliehen ist, nämlich anderen zu einem herrlichen Exempel. Denn was ist
eine größere Zierde für Könige, ja, auch nothwendiger für sie, als daß sie
entweder von Natur begabter seien als die Übrigen, oder daß sie durch die
Pflege der Wissenschaften unterwiesen werden, damit sie nicht immer mit
fremden Augen sehen und dem Urtheil anderer glauben müssen.
Christus, der das Werk in eurer königlichen Majestät angefangen hat, wollte
es vollenden durch großes Wachstum, so daß auch im ganzen Reiche,
besonders in den Domkirchen, Schulen eingerichtet und ausgestattet
werden, um junge Leute zum Dienst in Pfarren heranzubilden.“
Aus Luthers Brief an Gustav I., König von Schweden am 18. April 1539, in
(Weimarer Ausgabe, Nr. 2529.
eindruckt und förderte die evangelische Predigt in seinem Gebiet. Als er
nach seinem Vater König von Dänemark wurde, ließ er seine Krönung
von Johannes Bugenhagen evangelisch vollziehen. Mit dem Erlass im
selben Jahr war das Land evangelisch geworden und 1537 wurde eine
evangelische Kirchenordnung ausgearbeitet und verabschiedet.
Schwedens Kampf um
die Unabhängigkeit
In Schweden jedoch war die Ausbreitung der Reformation verbunden
mit dem Freiheitskampf gegen die
dänische Herrschaft im Norden Europas. Christian II. war es 1520 gelungen, Schweden zu erobern. Bei
seiner Krönung ließ er auf Anregung
des Erzbischofs Trolle etwa 100 Mitglieder der schwedischen Opposition, darunter zwei Bischöfe, hinrichten. Dieses Massaker schwächte die
Kirche, weil Trolle, der oberste Leiter
der nationalen Kirche, dafür verantwortlich gemacht wurde.
Die Unabhängigkeitspartei erhob
sich dagegen unter Führung von
Gustav Vasa erneut zum Kampf gegen die Dänen. 1523 konnte er zum
König gewählt werden. Die neue
Lehre aber wurde von ihm durch einen Rechtsakt 1527 in der Formulierung „das Wort Gottes möge überall
im Reich rein gepredigt werden“ anerkannt. Unterstützt wurde er dabei
von Luther. Mit einem Empfehlungsschreiben von ihm kam Georg Normann 1539 nach Schweden. Schon
bald wurde er neben seiner Tätigkeit
als Erzieher des Prinzen auch als königlicher Rat und Superintendent
für sowohl politische als kirchenpolitische Fragen tätig.
Der Papst verstand wenig von den
Vorkommnissen in Schweden und
hielt weiter zu Trolle, der inzwischen
nach Dänemark geflüchtet war. König Gustav Vasa ernannte unterdessen auf eigene Faust Bischöfe. Als er
dann in Rom beantragte, die „Annaten“, eine vom Papst für jeden vom
ihm geweihten Bischof erhobene
Steuer, oft ein halbes Jahreseinkommen, im Land behalten zu dürfen,
wurde ihm das verweigert. Als der
Papst danach auch die neuen Bischöfe nicht bestätigen wollte, kam es
unwiderruflich zum Bruch. Der König antwortete dem Papst, dass er die
Bischöfe von Christus selbst bestätigen lassen wolle. Der Bruch mit Rom
war zwar nicht eindeutig theologisch
motiviert, aber jedoch vollständig. Es
dauerte deshalb ziemlich lange, ehe
die evangelische Kirche ihren festen
Grund gefunden hatte. Mit der Kirchenordnung von 1572 und dem Bekenntnis vom Uppsala 1593 wurde
die Reformation zu Ende geführt.
Was die anderen skandinavischen
Länder betrifft, so gab es in Norwegen keinen einheimischen Reformator. Es waren Wanderprediger, oft
entlaufene Mönche, welche die neue
evangelische Botschaft verkündeten.
Erst 1607 wurde eine norwegische
evangelische Kirchenordnung verabschiedet. In Finnland wurde Michael
Agricola durch Predigten und Übersetzungen der Bibel in die finnische
Sprache zum Reformator.
Für alle skandinavischen Länder
aber galt zur damaligen Zeit wie
auch für die anderen Länder Europas, dass ein Land ohne Religion und
Kirche unvorstellbar war und keinen
Bestand haben könne. Die Könige
mussten darum für die wahrhafte
Religion in ihren Ländern sorgen.
Sie wurden dabei von den Wittenberger Reformatoren unterstützt. Wie
Bugenhagen in Dänemark wirkten
seine Schüler Olaus und Laurentius
Petri in Schweden und Michael Agricola in Finnland, um die Botschaft
der Reformation in den einheimischen Sprachen zu verbreiten.
Glaubensfreiheit prägt
Skandinavien heute
Die Kirchen in Skandinavien sind
evangelisch-lutherisch geblieben.
Aber die Säkularisierung breitet sich
immer mehr aus. Ob dies eine Folge
des kritischen Denkens der Reformation ist, lässt sich fragen.
In Dänemark ist „die dänische
Volkskirche“ in der Verfassung von
1849 verankert. König und Reichstag
verwalten sie. 80 Prozent der Bevölkerung sind Mitglieder. Staat und
Kirche arbeiten hier erstaunlich gut
zusammen.
In Schweden wurden die Kirchen
im Jahre 2000 und in Norwegen dieses Jahr vom Staat getrennt und als
Religionsgesellschaft unter anderen
eingestuft. In Schweden gehören 67
Prozent der Bevölkerung der evangelisch-lutherischen Kirche an, in Norwegen etwa 80 Prozent.
Gemeinsam ist ihnen, dass Glaubensfreiheit den Geist dieser Kirchen
prägt. Und das ist gut so.
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Sonntag, 17. Juli 2016 | Nr. 29 NK
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 29
Teil 5
Die Ausbreitung
der Reformation
Allein das Wort
Der Reformator der deutschsprachigen Schweiz: Huldrych Zwingli
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Haben Sie schon einmal von Huldyich Zwingli gehört?
2. Welches Bild haben Sie von ihm?
3. Welche Unterschiede zwischen reformierter und lutherischer Theo­
logie sind Ihnen bekannt?
Zugang zum Thema:
– Besuchen Sie eine reformierte Kirche (zum Beispiel den Französischen
Dom in Berlin) und achten Sie auf
die Ausstattung. Gibt es Unterschiede
zu anderen Kirchen?
Foto: Winterthur Kunstmuseum/Wikipedia
Als Huldrych Zwingli 1519 Leutpriester
am Großmünster in Zürich wurde, begann die Reformation in der Schweiz.
Kurz zuvor war er mit Luthers Schriften in Kontakt gekommen.
Von Frank Jehle
Wer am Sonntag, 2. Januar 1519, den
Hauptgottesdienst im Großmünster in
Zürich besuchte, erlebte – ohne es zu
wissen – ein Epoche machendes Ereignis. Huldrych Zwingli, der neue Leutpriester, am Neujahrstag 35 Jahre alt
geworden, stellte sich als Prediger vor.
Predigttext war nicht mehr die herkömmliche Perikope, der überall für
den jeweiligen Sonntag vorgeschriebene Bibelabschnitt. Zwingli wollte, dass
die Gemeinde die Heilige Schrift nicht
nur selektiv, sondern in ihrer Ganzheit
kennenlernte. „Wir haben hier einen
unfehlbaren und unparteiischen Richter“, sagte er später dazu, „nämlich die
göttliche Schrift, die weder lügen noch
betrügen kann. Das Wort Gottes soll
über die Menschen urteilen und nicht
die Menschen über das Wort Gottes.“
Zwingli war ein guter Redner und
vielseitig gebildet. Als Student hatte
er in Basel, Wien und möglicherweise
auch in Paris gelebt und als Feldprediger der Eidgenossen Oberitalien
bereist. Mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam stand er in persönlichem Kontakt. Autodidaktisch
hatte er sich das Griechische angeeignet (später auch das Hebräische), die
Briefe des Apostels Paulus in der Ursprache abgeschrieben und teilweise
auswendig gelernt.
In seinen Predigten im Großmünster fing er vorn im Neuen Testament
mit dem Matthäusevangelium an.
Stück und Stück predigte er in der
Folge über das erste der vier Evangelien weiter. Diesem entnahm er auch
seinen Wahlspruch, den er auf das
Titelblatt der meisten seiner Bücher
setzte: „Kommt her zu mir alle, die
sich abarbeiten und eine Last tragen
müssen, ich will euch Ruhe geben“
(Matthäus 11, 28).
In der Regel wurde dazu ein Christusbild abgedruckt: entweder ein Auferstandener, der die Arme einladend
ausbreitet, oder Jesus, wie er die Menschen auffordert, das Kreuz, das sie
belastet, vor ihn hinzulegen; er wird
es für sie tragen.
Zwinglis Predigten stießen auf ein
großes Echo. Der Buchdrucker Christoph Froschauer (1490-1564) schrieb,
die Zürcher könnten auf ihren neuen
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Huldrych Zwingli, Gemälde von Hans Asper (etwa 1531).
Leutpriester stolz sein. Wie sehr man schof von Konstanz aufkündigte, gemit diesem zufrieden war, geht daraus mäß dem fehlbare Landgeistliche der
hervor, dass er bereits nach zwei Jah- Gerichtsbarkeit des Bischofs unterren zum Chorherrn des altehrwürdi- standen. Der Rat nahm juristisch das
gen Stifts befördert wurde.
Kirchenwesen selbst in die Hand. ReDie reformatorischen Ereignisse formation bedeutete hier Emanzipatifolgten in den 1520er-Jahren Schlag on vom Bischof.
auf Schlag. Stadtgespräch wurde das
Schritt um Schritt wurden das
„Wurstessen“ in der Fastenzeit 1522 im kirchliche und das öffentliche Leben
Haus Christoph Froschauers. Zwingli reformiert. Bereits 1520 war eine
verteidigte diese Übertretung der neue Sozialgesetzgebung eingeführt
worden. Im Somkirchlichen Gebote
mer 1524 wurden
mit seiner Schrift
„Sehe ein jeder uff sinen
die Kirchen von
„Von erkiesen vnd
Houptmann ­Christum
den Bildern „gefryheit der spysen
Jesum! Der wirt uns nit
reinigt“. Nach der
[von der freien Wahl
Auffassung
der Speisen]“.
verfüeren.“
Zwinglis und seiAls der für Zürich
Huldrych Zwingli
ner Freunde durfzuständige Bischof
te das Göttliche
von Konstanz sich
bei den Stadtbehörden über Zwingli nicht verdinglicht werden. Ostern
beschwerte, luden diese im Januar 1525 wurde zum ersten Mal eine
1523 zur „Ersten Zürcher Disputation“ evangelische Abendmahlsfeier abgeein. 600 Personen versammelten sich halten: Anstelle des Altars stand vorim Rathaus, um über Glaubensfragen ne in der Kirche ein schlichter Holzzu verhandeln. Es war dies ein so noch tisch, mit Leinwand bedeckt. Die
nie dagewesenes Ereignis und stellte Abendmahlsgefäße waren aus Holz.
die Autorität der kirchlichen Hierar- Die Pfarrer trugen keine Messgewänder mehr und die Gemeindeglieder
chie in Frage.
Der Rat beschloss nach der Dispu- reichten sich Brot und Wein selbst
tation: Zwingli dürfe weiter so predi- vom einem zum nächsten weiter.
gen wie bis anhin und „die recht gött- Noch in den späten 1520er-Jahren
lich gschrift“ verkünden. Grundsätz- wurde die ganze Bibel von den Zürlich befahl der Rat: „Es sollen auch die cher Gelehrten neu ins Deutsche
übrigen unserer Leutpriester, Seelsor- übersetzt. Die erste Vollbibel der Reger und Prädikanten in unserer Stadt formation erschien in Zürich 1531.
und in unseren Landschaften und
Zwingli war ein fleißiger Publizist.
Herrschaften nichts anderes behan- Seine Schrift „Wer Ursache zum Aufdeln und predigen, als was sie mit dem ruhr gibt“ von 1524 wurde als seine
heiligen Evangelium oder sonst mit „bedeutendste sozialkritische Schrift“
der rechten göttlichen Schrift belegen bezeichnet. In ätzender Schärfe heißt
können.“
es hier, nicht nur die „hohen Bischöfe“
Jedenfalls in der Rückschau ist die- seien die wahren Aufrührer und auch
ser Ratserlass der endgültige Durch- nicht nur „der Rest der kläffenden
bruch der Zürcher Reformation. Eine Priester, Mönche, Nonnen und – allen
ihrer ersten Folgen war, dass der Rat voran – der Äbte“, sondern vielmehr
zwei Wochen später einen erst 1506 „die Fürsten, Mächtigen und Reichen
geschlossenen Vertrag mit dem Bi- dieser Welt“. „Was ihr miteinander [...]
zum Nachteil Gottes und der armen
Menschen ins Werk gesetzt habt, das
nennt ihr gut. Das, wonach euch gelüsDas Zitat: Huldrych Zwingli
tet, das dünkt euch recht. [...] Ihr reißt
den Menschen die Kleider vom Leib
„Das Wort Gottes ist gewiss, es kann nicht fehlerhaft sein. Es ist klar und
wie Disteln und Dornen. Es stehen das
lässt nicht in der Finsternis irren; es öffnet sich selber und bescheint die
Gericht und das Recht, ja die Person
menschliche Seele mit allem Heil und mit aller Gnade. Es lässt die Seele in
des Richters selbst in eurer Gewalt.
Gott vertrauen, es demütigt sie, damit sie sich selbst aufgebe und verwerfe,
Vollzieht er, was euch gefällt, so ist er
doch sich dann wieder in Gott fasse. In Gott lebt sie, darum kämpft sie; sie
ein guter Richter. [...] Ihr wisst genau,
verzweifelt an allem menschlichen Trost. In Gott ruht sie allein.“
Zwingli: Von Klarheit und Gewißheit des Wortes Gottes, 1522
dass niemand der Hand Gottes entfliehen kann, ebenso, dass Gott nicht
schläft; er kommt, wenn für ihn die
Zeit gekommen ist.“
In seiner Schrift „Der Hirt“, ebenfalls von 1524, entwirft Zwingli, was
heute das kirchliche „Wächteramt“
genannt wird: Der Hirt beziehungsweise der Pfarrer dürfe „auch dem
König, Fürsten oder Oberen nichts
durchgehen lassen“. Er müsse im Gegenteil „jedem seinen Irrtum anzeigen“, sobald er sehe, dass jener vom
Weg abkomme. Er müsse tun, „was
niemand wagt: Den Finger auf wunde
Stellen legen und Schlimmes verhüten, keinen schonen, vor Fürsten,
Volk und Geistliche treten, sich weder
durch Größe, Einfluss und Zahl noch
durch irgendwelche Schreckmittel beeindrucken lassen, sofort zugegen
sein, wenn Gott ruft, und nicht nachlassen, bis sie sich ändern.“
Zwingli war erfolgreich. Was in Zürich begann, wurde vielerorts in der
Eidgenossenschaft und teilweise auch
in Süddeutschland aufgenommen
und weitergeführt, zunächst in St.
Gallen, dann in Bern, Schaffhausen
und Basel. In den Landständen Appenzell, Glarus und in den Drei Bünden sowie im Thurgau, im Rheintal
und in der Fürstabtei St. Gallen konnte sich die Reformation ebenfalls
größtenteils durchsetzen.
Die Innerschweizer Kantone –
Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern
und Zug – wollten aber nichts von
einer Reformation wissen. Zu wichtig war für sie unter anderem, dass
die oft arbeitslosen Bauernsöhne
Geld in fremden Kriegsdiensten, besonders beim Papst und dem König
von Frankreich, verdienen konnten.
Die Eidgenossenschaft wurde in einen bitteren Bürgerkrieg verwickelt,
in dem Zwingli am 11. Oktober 1531
als Feldprediger der Zürcher Truppen, der den Waffengang befürwortet hatte, in Kappel starb.
Von seinem Nachfolger Heinrich
Bullinger (1504-1575) konnte sein Lebenswerk aber weitgehend gerettet
werden. Zürich wurde zum Zufluchtsort evangelischer Glaubensflüchtlinge,
besonders aus Norditalien, die die Seidenindustrie nach Zürich brachten.
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, von Zwinglis Auseinandersetzungen mit den Täufern und
Martin Luther zu erzählen. Beides
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ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Die Reformation in Brandenburg und
Skandinavien; Reformation in der
Schweiz - das Beispiel Genf; Die Reformation in Straßburg und im deutschen Südwesten; Die „hugenottische“ Reformation in Frankreich;
Literatur:
– Peter Opitz, Ulrich Zwingli, Prophet,
Ketzer, Pionier des Protestantismus,
Zürich 2015,
– Gottfried W. Locher, Die Zwinglische
Reformation im Rahmen der europäischen Kirchen­geschichte. Göttingen/
Zürich: 1979
– Marianne Jehle-Wildberger, Frank
Jehle, Kleine St. Galler Reformationsgeschichte, TVZ 2006
war tragisch, da die Einheit der aus der
Reformation hervorgegangenen Kirchen so zerfiel. Dabei waren die ersten
Täufer in Zürich, die die Kindertaufe
ablehnten sowie Christen­gemeinde
und Bürgergemeinde entflechten
wollten, zunächst enge Mitarbeiter
und Freunde Zwinglis gewesen; er war
ihnen aber zu wenig radikal.
Auch Luther stand er in den Anfangsjahren nahe. Er hatte zwar unabhängig von Luther die Lehre von der
Rechtfertigung „allein aus Glauben“
entdeckt. Bereits 1518 schenkte er
aber einem Freund einen Band mit
wichtigen Lutherschriften.
Der Unterschied in der Abendmahlslehre ist aus der Sicht einer heutigen, ökumenisch informierten
Theologie verjährt. Auch Zwingli, jedenfalls der reife Zwingli, bestritt
nicht, dass Christus im Abendmahl
real gegenwärtig ist. Die heutige Forschung spricht bei ihm von einer
„geistigen Realpräsenz“. Um dies eingehender zu erklären, brauchte es
aber einen weiteren Artikel.
Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs
und Professor Wolf Krötke im
­Reformations-Blog glaubenskursreformation. wordpress.com oder
schrei­ben Sie an:
­reformation@­epv-nord.de
Frank Jehle ist
promovierter
Universitätspfarrer
im Ruhestand in
St. Gallen/Schweiz.
Foto: privat
Sonntag, 24. Juli 2016 | Nr. 30 NK
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 30
Teil 5
Die Ausbreitung
der Reformation
Ein Franzose in Genf
Johannes Calvin und die Reformation in der frankophonen Schweiz
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Weshalb bedarf die Kirche i­mmer
wieder der Erneuerung?
2. Was ist „billige Gnade“?
3. Weshalb sollte die Kirche durch
Presbyterien/Gemeindekirchenräte
und Synoden geleitet werden?
Zugang zum Thema:
– Surfen unter www.calvin09.org
– Unterricht in der christlichen
R
­ eligion I, 1 bei „Institutio ­online“ lesen
–B
esuch der Französischen
Friedrichstadtkirche in Berlin
Neben Luther und Zwingli ist Johannes Calvin (1506-1564) der dritte
­herausragende Reformator des 16.
Jahrhunderts. ­Beflügelt von seinem
Denken und seiner biblisch inspirierten Organisation der Kirchenleitung,
­ rotes­­­­­­tan­­tis­­­­hat sich der reformierte P
mus heraus­gebildet – in Ungarn, in
den Nieder­landen, in Schottland, in
einigen deutschen Gebieten und
dann weltweit. ­Calvins Hauptwerk
„Unterricht in der christlichen
­Religion“ wurde das meistgedruckte
und -gelesene Werk reformatorischer Theologie.
Von Michael Beintker
Calvin war ein Franzose. Und ein
Franzose, der damals evangelisch
wurde, war seines Lebens nicht sicher.
In Frankreich war die Reformation in
blutigen Anfängen steckengeblieben.
So musste Johannes Calvin wegen seines Glaubens ins Exil gehen und dort
erleben, wie man den evangelischen
Christen in Frankreich, den dann so
genannten H
­ ugenotten, mit allen
Mitteln den Garaus zu machen suchte. Seine Theologie ist nicht zuletzt
die Theologie eines Flüchtlings für
Flüchtlinge gewesen, für Menschen,
denen ihr himmlisches Heimatrecht
(vergleiche Philipper 3, 20) wichtiger
geworden war als die Sicherheit i­ hrer
irdischen Existenz.
Am liebsten hätte er die Gelehrtenlaufbahn eingeschlagen. Auf
Wunsch des Vaters hatte Calvin in
Paris, Orléans und Bourges Jura studiert, wandte sich jedoch 1531 in Paris den humanistischen Studien zu
und schrieb ein Buch über den römischen Philosophen Seneca. Aber die
Theologie gewann die Oberhand. In
den Jahren der un­
steten Wanderschaft zwischen der Flucht aus Paris
1533 und der ­Ankunft in Genf 1536
entstand die erste Auflage des „Unterrichts“. Calvins Wertschätzung Luthers zeigt sich daran, dass diese erste
Auflage nach den Hauptstücken des
Kleinen Katechismus gegliedert ist.
Die Vorrede widmete Calvin dem
französischen König Franz I. Er habe
die Summe jener Lehre zusammengefasst, die die verblendeten Verfolger
in Frankreich mit Gefängnis, Verbannung, öffentlicher Ächtung und mit
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Johannes Calvin, Gemälde eines unbekannten Künstlers der „flämischen
Schule” im „Musée historique de la Réformation“ in Genf.
Foto: gemeinfrei
„Ein Hund bellt, sobald er seinen Herrn ange­griffen sieht. Ich
wäre wohl lasch, wenn ich ­angesichts eines Angriffs gegen die
Wahrheit ­Gottes verstummen würde.“
Johannes Calvin
dem Feuertod bestrafen wollten. Calvin wollte seinem König die Grundzüge des evangelischen Glaubens ans
Herz legen und ihn zum Umdenken
bewegen. Ohne Erfolg.
Zum Reformator wurde er eher
unfreiwillig. Er befand sich auf der
Durchreise, als ihn Guillaume Farel,
der erste evangelische Prediger in
Genf, im Jahr 1536 regelrecht festhielt
und ihn beschwor, bei der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in
Genf zu helfen. Hier war 1535 auf Beschluss des Rates die Reformation eingeführt worden. Die Genfer versprachen sich davon nicht nur die Erneuerung ihrer Kirche unter dem Evangelium, sondern auch politische Vorteile wie die Unabhängigkeit ihrer Stadtrepublik von Savoyen, was mit der
Hinwendung zur Schweizerischen
Eidgenossenschaft verbunden war.
Calvin lag alles an der Erneuerung
der Kirche an Haupt und Gliedern.
Reformation hieß für ihn Umkehr –
Umkehr der Kirche zu Jesus Christus
als ihrem Herrn. Politische Kalküle
lehnte er an diesem Punkt ab und
verbat sich die Einmischung des Genfer Magistrats in die kirchlichen Angelegenheiten.
Damit waren Konflikte programmiert. Schon nach zwei Jahren wies
man Farel und Calvin aus, weil sie sich
weigerten, die österliche Abendmahlsfeier nach den liturgischen Anweisungen der Genfer Behörden abzuhalten.
Calvin ging nach Straßburg und
betreute dort unter Anleitung Martin
Bucers die ständig wachsende französische Flüchtlingsgemeinde. 1541 rief
man ihn reumütig nach Genf zurück:
Man wollte einen Reformator von
Format und Gestaltungskraft haben
und konnte keinen Besseren finden
als Calvin.
Er fühlte sich in Straßburg wohl
und wäre besser dortgeblieben. Aber
er sah auch seine Verantwortung und
begab sich nun in eine S
­ ituation, die
bei allen Fortschritten der Reformation noch lange von Auseinandersetzungen überschattet war. Der Tiefpunkt war die Hinrichtung des Spaniers Michel Servet im Jahr 1553. Servet
hatte die Trinität Gottes geleugnet.
Darauf stand nach damaligem Recht
die Todesstrafe. Der Magistrat machte
ihm den Prozess und ließ ihn verbrennen. Es bleibt ein schwerer An-
stoß, dass Calvin diese Hinrichtung
nicht verhindert, sondern entschieden befürwortet hat.
Erst 1556 kehrte Ruhe ein, als die
Genfer dem „Franzosen“ das Bürgerrecht verliehen. Bis dahin war Calvin
der Ausländer, den man mehr oder
weniger notgedrungen achtete, weil
seine Predigten und sein theologisches Denken Respekt einflößten. Für
die von Jahr zu Jahr rapide zunehmende Zahl der französischen Flüchtlinge war Calvin der unangefochtene
Seelsorger und Ratgeber.
Calvin war 20 Jahre jünger als Luther und Zwingli. Er gehörte zu einer Generation, der bereits bestimmte Fehlentwicklungen der Reformation vor Augen standen. Er bemerkte,
dass die Predigt der freien Gnade
Gottes in eine Predigt der billigen
Gnade umschlug, wenn man das aus
der Rechtfertigung des Sünders erwachsende neue Leben nicht beachtete. Deshalb betonte er die wirksam
erneuernde Kraft des Heiligen Geistes. Wer auf Christus vertraut, wird
zur Liebe befreit und sich spürbar
verändern.
Calvin erkannte, dass die Leitung
der Kirche durch Bischöfe oder dann
durch die politische Obrigkeit – seien
es Fürsten oder seien es wie in der
Schweiz gewählte Stadtregierungen
– vom Neuen Testament her nicht zu
rechtfertigen war. Nach seinem Konzept wird die Gemeinde im kollegialen Zusammenspiel der vier Ämter
von Pastoren, Presbytern, Diakonen
und Lehrern geleitet und ist mit den
anderen Gemeinden durch Synoden
verknüpft. Damit waren die Grundlagen für die presbyterial-synodale Leitung der evangelischen Kirche gelegt.
Den Streit der Evangelischen in
der Abendmahlslehre hielt Calvin
für ein großes Ärgernis, das überwunden werden musste. Er stand näher bei Luther als bei Zwingli und
verstand sich gut mit Melanchthon:
Das Abendmahl sah er nicht nur als
Gedächtnismahl. Es ist als eine
Handlung zu sehen, in der uns der
gekreuzigte und auferstandene
Christus mit Brot und Wein seine
Gemeinschaft schenkt und sich als
geistliche Speise darreichen lässt, damit wir ihn empfangen und in ihm
an der ganzen Fülle seiner Gnadengaben ­Anteil erlangen.
Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs
und Professor Wolf Krötke im
­Reformations-Blog auf glaubenskursreformation.wordpress.com oder
schreiben Sie der Redaktion eine EMail an [email protected].
Verwandte Themen des Kurses:
Luthers Reformprogramm,
­Bildersturm, Das ist mein Leib, Melanchthon, Zwingli und Bullinger,
Bartholomäusnacht
Bibeltexte: 5. Mose 6, 4f.
Römer 12, 1–2; Epheser 4, 11–16;
Philipper 3, 20
Literatur:
Herman Selderhuis, ­Johannes Calvin.
Mensch zwischen Zuversicht und
Zweifel. Eine ­Biografie, Gütersloh
2009;
Matthias Freudenberg/Georg ­Plasger,
Calvin-Lesebuch, Neukirchen-Vluyn
2009
Michael Beintker ist
reformierter Theologe
und Professor für
­Systematische
Theologie an der
Universität ­Münster.
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Das Calvin-Zitat
„Was ist der Sinn des menschlichen Lebens? Die Erkenntnis Gottes unseres
Schöpfers. Aus welchem Grund sagst du dies? Er hat uns ja dazu geschaffen
und in diese Welt gestellt, um in uns verherrlicht zu werden. So ist es nichts
als recht und billig, dass unser Leben, dessen Ursprung er ist, wiederum
­seiner Verherrlichung diene. […] In welcher Weise wird Gott recht geehrt?
Wenn wir all unser Vertrauen auf ihn setzen, wenn wir uns bemühen, ihm
mit unserem ganzen Leben zu dienen, indem wir seinem Willen gehorchen,
wenn wir ihn in allen Nöten anrufen und unser Heil, und was wir sonst uns
an Gutem nur wünschen können, bei ihm suchen, und endlich, indem wir
mit Herz und Mund ihn als alleinigen Urheber alles Guten anerkennen.“
Calvin, Genfer Katechismus 1545, Fragen 1, 2 und 7
ZUR WEITERARBEIT
Titelblatt des
Originaldrucks von
Calvins Hauptwerk
„Unterricht in der
christlichen Religion”
von 1536. Foto: gemeinfrei
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Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt
oder Apotheker.
Sonntag, 31. Juli 2016 | Nr. 31 NK
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 31
Teil 5
Die Ausbreitung
der Reformation
3
XGLAUBEN UND WISSENx
ZUR WEITERARBEIT
Europa im Blick
Verwandte Themen des Kurses:
Das ist mein Leib; Zwingli und Bullinger; Johannes Calvin;
Die Spaltung der einen Kirche in Europa
Martin Bucer wollte eine Reformation ohne Grenzen
Bibeltext:
1. Korinther 9, 19–22
(Bucers „Lieblingstext“)
FÜR DAS GESPRÄCH
Literatur:
– Christoph Strohm: Martin Bucer, in:
Irene Dingel/Volker Leppin (Hg.), Das
Reformatoren-Lexikon, Darmstadt
2014, Seiten 65–73;
– Martin Greschat, Martin Bucer. Ein
Reformator und seine Zeit (1491–
1551), Münster 2009
Fragen zum Einstieg:
1. Wie wichtig ist Ihnen ethisches
Handeln als Folge der Rechtfertigung?
2. Wer zwischen Konfliktparteien zu
vermitteln versucht, macht sich –
wie Bucer – häufig bei beiden Seiten unbeliebt. Ist das typisch für Anfänge eines Versöhnungsprozesses?
3. Wie können wir das Reformationsjubiläum im Sinne Bucers zu einer
europäischen Feier machen?
Zugang zum Thema:
– Stephen Buckwalter: Martin Bucer
im Europäischen Parlament (PDF-Datei: [email protected])
– Exkursion zu Bucers Geburtshaus (7
Impasse Plobmann, Sélestat) oder zu
seiner ersten Wirkungsstätte (Église
St. Jean, Wissembourg) und zur großen Dechanei, die er ab 1542 mit seiner Familie bewohnte und in der er
Glaubensflüchtlinge und Studenten
aus ganz Europa beherbergte (15 Rue
Martin Luther, Straßburg)
Als Student erlebte Martin B
­ ucer in
­Heidelberg e
­ inen Mönch aus Sachsen, der mutig die herrschende
Theologie angriff. Diese B
­ egegnung
mit Martin Luther veränderte sein
Leben.
Von Stephen Buckwalter
Am 26. April 1518 hielt ein junger
Augustinereremitenmönch aus
Sachsen, der ein halbes Jahr zuvor
mit einem unerhörten Angriff auf
das Ablasswesen von sich reden gemacht hatte, eine akademische Disputation an der Universität Heidelberg. Dieser mit Spannung erwartete
Gast namens Martin Luther beeindruckte die Heidelberger Studentenschaft mit seiner selbstbewussten
Abrechnung mit der herrschenden
Theologie, vor allem mit seiner Einsicht, dass menschliche Existenz vor
Gott nicht durch die eigene Leistung,
sondern durch das gnädige SichSchenken Gottes getragen wird.
Unter seinen gebannten Zuhörern
befand sich ein acht Jahre jüngerer
elsässischer Dominikanermönch namens Martin Bucer. Dieser war von
der Botschaft des Gastes aus Wittenberg derart beeindruckt, dass er fortan zu einem der eifrigsten Anhänger
Luthers im gesamten südwestdeutschen Raum wurde.
kanerkloster seiner Heimatstadt ein. Priester inzwischen exkommuniHier wurde er bald als begabt er- ziert. So kam Bucer zusammen mit
kannt und für eine akademische seiner schwangeren Frau als FlüchtLaufbahn innerhalb des Dominika- ling nach Straßburg.
nerordens bestimmt. Es folgten StuIn einer bemerkenswerten Entdienaufenthalte in Heidelberg und wicklung wurde er innerhalb weniMainz sowie 1516 die Priesterweihe. ger Jahre vom außenpolitisch unanIm Januar 1517 wurde Bucer er- genehmen Gast und Kleriker ohne
neut nach Heidelberg geschickt, um Anstellung zum führenden Kircheneinen Universitätsgrad zu erlangen. mann der Stadt Straßburg und in
Während dies er
den Jahrzehnten
danach sogar zu
zweiten Heidelber„Großes Gewäsch, so dass einem Reformager Studienzeit fand
die oben beschriebeich das Klappermaul, den tor von überregine Begegnung mit
onaler Wirkung
Bucer, hier wohl spüre“
Luther statt, die sein
und geradezu euMartin Luther
Leben für immer
ropaweiter Ausverändern sollte. Es
strahlung.
folgte eine ruhelose
Geleitet wurZeit, in der Bucer um den Austritt aus de Bucer hierbei von der Vision eidem Orden und die Lossprechung ner durch die Predigt des Wortes
von seinen monastischen Gelübden Gottes angebahnten umfassenden
kämpfte, was er im Frühjahr 1521 Erneuerung der gesamten Gesellschaft. Die Kirche verstand Bucer als
endlich erreichte.
Während des Sommers 1522 war eine sichtbare, an den ethischen Aner Kaplan des Reichsritters Franz von weisungen des Wortes Gottes zu mesSickingen in Landstuhl und bekun- sende Gemeinschaft.
dete seinen Übertritt ins evangeliIm Zentrum seiner Theologie
sche Lager demonstrativ durch die stand die Rechtfertigung des Sünders
Eheschließung mit der ehemaligen allein durch den Glauben, die aber
Wer war dieser Martin Bucer? Gebo- Nonne Elisabeth Silbereisen. Da- mit einer vom Heiligen Geist beren wurde er am 11. November 1491 nach nahm er eine Pfarrstelle im el- wirkten Hinwendung des erlösten
im elsässischen Schlettstadt (heute: sässischen Weißenburg (heute: Wiss- Menschen zu seiner wahren BestimSélestat) in ausgesprochen ärmlichen embourg) an, musste die Stadt aber mung, zum Dienst am Mitmenschen,
Verhältnissen. Noch als Fünfzehnjäh- im Mai 1523 fluchtartig verlassen, untrennbar verbunden war. Denn
riger trat der junge Bucer unter dem denn der Speyerer Bischof hatte ihn Gott „als einen Vater erkennen und
Druck des Großvaters in das Domini- als verheirateten und ketzerischen anrufen“ implizierte für Bucer, „dass
wir alle Menschen als unsere Brüder
auch erkennen und ihnen dienen“.
Schwerpunkte der Theologie Bucers
Das Zitat:
kann man gut in zwei Kirchenliedern erkennen, die Bucers lebenslanMartin Luther über eine Schrift Bucers: „Alles und alles zu lang und großes
ger Sekretär Konrad Hubert verfasst
Gewäsch, so dass ich das Klappermaul, den Bucer, hier wohl spüre“
hat: „O Gott, du höchster GnadenBrief an Gregor Brück, August 1544
Bucer über Luther nach dessen Tod: „Wie viele Leute Luther hassen, weiß
thron“ (EG 194) und „Allein zu dir,
ich. Und doch steht fest, dass Gott ihn sehr geliebt hat; und dass er uns
Herr Jesu Christ“ (EG 232, 1–3).
kein heiligeres und wirksameres Werkzeug des Evangeliums geschenkt hat.
Bucers größte Lebensleistung
Luther hatte Fehler, schwere sogar. Aber Gott hat sie doch getragen und
bleibt seine Vermittlung im Abendhingenommen, dass er keinem anderen Sterblichen einen mächtigeren
mahlsstreit zwischen den Anhängern
Geist und eine göttlichere Kraft verliehen hat, seinen Sohn zu verkündigen
Zwinglis, die in den Abendmahlseleund den Antichristen niederzustrecken.
menten Brot und Wein nur Symbole
Greschat, Bucer, 234.
für Jesu Leib und Blut sahen, und den
Er erstritt Lossprechung
von Ordensgelübden
Kirchenfenster in
der evangelischen
Kirche von
Weitbruch bei
Hagenau im
Elsass: Martin
Bucer (Mitte)
als Vermittler
zwischen Luther
und Zwingli. Das
Fenster wurde
1924 von Joseph
Ehrismann
(1880–1937) nach
einer Skizze des
Straßburger
Theologie­
professors Robert
Will (1869–1959)
vollendet.
Foto: Jean-Pierre Siefer,
Paroisse Protestante
Weitbruch
Anhängern Luthers, die von Christi
leiblicher Anwesenheit im Abendmahl überzeugt waren.
Bucer vermittelte unbeirrt
im Abendmahlstreit
Unbeirrbar kämpfte Bucer für die
Überwindung dieses Streites, in dem
er die Konfliktparteien in Basel,
Bern, Zürich, Konstanz, Ulm, Memmingen, Augsburg, Frankfurt, Kassel
und Wittenberg persönlich aufsuchte und sie miteinander ins Gespräch
zu bringen versuchte. Dieses Vorhaben trug ihm Misstrauen und Feindschaft von allen Seiten ein und war
mehrmals vom endgültigen Scheitern bedroht. Auch Luther misstraute ihm und stand seinen Vermittlungsversuchen skeptisch gegenüber,
während Bucer sich freundlich über
Luther äußerte.
Aufgrund seiner Beharrlichkeit
gelang ihm der große Durchbruch
endlich am 29. Mai 1536, als durch
seine Vermittlung Luther und die
Vertreter von acht süddeutschen
Reichsstädten, die bisher als zwinglianisch galten, eine gemeinsame
Abendmahlserklärung, die „Wittenberger Konkordie“, unterzeichneten.
Immer wieder wurde Martin Bucer von zahlreichen evangelischen
Mitstreitern vorgeworfen, er würde
den Gegnern zu oft und zu weit entgegenkommen und ließe der eigenen Position die nötige Eindeutigkeit fehlen. Doch Bucer war es auch,
der sich 1548 vehement weigerte, der
Unterwerfung der Stadt Straßburg
unter das Interim des Kaisers zuzustimmen. Das hatte Karl V. vom Magistrat der Stadt gefordert.
Durch diese „Übergangsregelung“
– eine Folge ihrer Niederlage im
Schmalkaldischen Krieg – wurden
die evangelischen Territorien und
Reichsstädte gezwungen, entscheidende reformatorische Neuerungen
rückgängig zu machen.
Sein reformatorisches Projekt der
letzten 26 Jahre verlassend suchte
Bucer im April 1549 Asyl in England.
Von der Unrast und den abschließenden Enttäuschungen seines Lebens
schwer gezeichnet starb Bucer am 28.
Februar 1551 in Cambridge und wurde in der dortigen Great St. Mary’s
Church beigesetzt.
Bucer drängte es immer, bestehende Grenzen zu überwinden. Die
eigene Position war für ihn nicht
Grundlage für die eigene Abgrenzung, sondern Ausgangspunkt für
den Dialog mit Andersdenkenden.
Dies galt nicht nur im Hinblick auf
theologische, sondern auch im Hinblick auf politische Grenzen. Während die meisten Reformatoren nur
die Politik ihres Fürstentums oder
Territoriums oder bestenfalls des
Heiligen Römischen Reiches im
Blick hatten, war Bucer der erste Reformator, der gesamteuropäisch
dachte.
Er besaß eine Aversion gegen jede
Art von falschem Nationalstolz. Am
12. April 1535 schrieb er an eine sehr
gute Freundin, Margaretha Blarer, die
Schwester des Konstanzer Reformators Ambrosius Blarer: „Es stört mich
sehr an dir, liebe Schwester, dass
schon allein der Name ‚Franzose‘ eine
derartige Antipathie bei dir hervorruft. Sagt mir bitte, was sind das überhaupt: ‚Deutsche‘, ‚Italiener‘, ‚Spanier‘? Jeder an sich gleichermaßen verloren, doch in Christus allesamt Brüder. Ihm hat der Vater nicht das eine
oder das andere Volk, sondern alle
Völker zum Eigentum gegeben.“
Diskutieren Sie mit dem Reformationsbeauftragten Pfarrer Bernd Krebs
und Professor Wolf Krötke im
­Reformations-Blog glaubenskursreformation. wordpress.com oder
schrei­ben Sie der Redaktion eine EMail: ­reformation@­epv-nord.de
Bucers internationale Ausstrahlung:
Plakat auf ­einem Kirchentag der
presbyterianischen Kirche in
Südkorea.
Foto: Weber
Stephen Buck­walter ist
wissenschaftlicher Mit­
arbeiter in der Martin-­
Bucer-Forschungsstelle
an der Universität
Heidelberg.
Foto: privat
Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 32
Teil 5
Die Ausbreitung
der Reformation
„Résister und protester“
Die Reformation in Frankreich
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Welche Rolle spielt das Bekennen
in Ihrem persönlichen Glauben?
2. Was können wir von der positiven
Protestkultur der französischen Protestanten lernen? Wofür wollen wir
stehen und vehement eintreten?
Zugang zum Thema:
– Besuch einer reformierten Gemeinde, zum Beispiel in Lübeck, Lüneburg
oder Bützow, Anschriften unter
www.reformiert.de
– Besuch im Hugenotten-Museum,
Berlin Gendarmenmarkt
www.hugenottenmuseum-berlin.de
– Teilnahme am jährlichen RefugeFest am 29. Oktober in der französischen Kirche zu Berlin, www.franzoesische-kirche.de
– virtuelles Museum des Protestantismus“, www.museeprotestant.org/de
24. August 1572, Bartholomäustag: In
Paris sind viele Protestanten versam­
melt. A
­ nlass ist die Hochzeit des Pro­
testanten Heinrich von Navarra (spä­
ter Heinrich IV.) und der Katholikin
Marguerite von ­Valois. Die Hoffnung
ist groß, dass damit die seit 1562 to­­
ben­den Religionskriege zwischen Ka­
tholiken und Protestanten ein Ende
finden. Doch der Kronrat lässt in der
Bartholomäusnacht die protestanti­
sche Führungsspitze ermorden. Das
löst ein Blutbad aus. Mehr als 3000
Menschen werden in Paris ermordet,
in ganz Frankreich sterben 30 000
Protestanten.
Von Solange Wydmusch
Am 13. April 2016 wurde nahe der
Brücke Pont-Neuf in Paris, neben dem
Reiterdenkmal von Heinrich IV., eine
Gedenktafel enthüllt, die an das Massaker der Bartholomäusnacht erinnert. Dem Festakt der Stadt Paris, genau fünf Monate nach den
IS-Terroranschlägen vom 13. November 2015, gab der Präsident des protestantischen Dachverbands, François
Clavairoly, eine starke interreligiöse
Note und stellte ihn zwischen Erinnerung und Zuspruch: „Eine versöhnte
und zukunftsfähige Gesellschaft kann
nur da entstehen, wo die verletzten
Erinnerungen ausgesprochen und gehört werden. (…) Dialog ist der Schlüssel gegen religiöse Gewalt und religiöspolitischen Extremismus und gegen
verkrampfte religiöse Identitätssuche.“
Genau dieses Aufeinander-Hören
und -Zugehen fehlte im 16. Jahrhundert und führte in eine Sackgasse der
Gewalt und Zerstörung. In Frankreich
nahmen christliche Humanisten, darunter auch Theologen, früh Ideen von
Luther zur Reform der Kirche auf und
übersetzten einige seiner Schriften.
Unter ihnen waren einflussreiche Persönlichkeiten wie Marguerite
d’Angoulème, die Schwester des Königs Franz I., und Guillaume Briçon­ ischof
net, Bischof von Meaux. Der B
versuchte Gedanken von Eramus von
Rotterdam lokal umzusetzen. Seine
Bemühungen um die Erneuerung der
Kirche wurden bekämpft. Der Theologe und Humanist Lefèvre d’Étaples
übersetzte das Neue Testament ins
Französische (1523–1530). Die theologische Fakultät der Sorbonne/Paris
machte Lefèvre d’Étaples 1527 einen
Prozess wegen „lutherischer Ketzerei“.
Jede Übersetzung der Bibel ins Französische und jede Gemeindereform
wurde verboten.
Die Regierung in Paris ging mit äußerster Härte gegen die „Lutheraner“
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 7. August 2016 | Nr. 32 NK
Temple des Batignolles der reformierten Kirche in Paris.Foto: Eglise protestante Unie de France
Die Inschrift auf der Gedenktafel: Am 24. August 1572 und an den folgenden
­Tagen wurde Paris zum Schauplatz des Massakers der Bartholomäusnacht.
Nach dem Attentat auf Admiral Gaspard von Coligny wurden mehrere tausende
Protestanten ermordet um ihres Glaubens willen. „Tag, der mit Entsetzen zu
allen Tagen gehört, der von Rot durchtränkt ist und durch seine Schande
errötet.“ Zitat aus: Agrippa D’Aubigné, Les Tragiques. Foto: federation protestante de France
vor. Trotzdem bildeten sich landesweit
heimliche reformatorische Gemeinden in dem grundsätzlich katholischen Frankreich. Wurden sie entdeckt, drohten Geldbußen, Gefängnis
oder Scheiterhaufen. Immer wieder
gab es auch provokative Aktionen. Viel
Aufsehen zum Beispiel erregte 1534
die „Plakataffäre“, bei der Plakate gegen die Messe in verschiedenen Städten und sogar an der Schlafzimmertür
des Königs aufgehängt wurden.
Der Humanist Johannes Calvin
schloss sich dem Protestantismus an
und prägte ihn. Er musste jedoch wegen den Verfolgungen Paris und
Frankreich verlassen, pflegte aber aus
dem Genfer Exil durch Briefwechsel
enge Verbindungen zu den Gemeinden und half ihnen, sich zu profilieren.
1559 fand die erste – ebenfalls – geheime Nationalsynode der „Reformierten“ mit Teilnehmern aus 50 Gemeinden statt. Ein Glaubensbekenntnis (später als Confession de foi de La
Rochelle, Confessio Gallicana bekannt) und eine Kirchenordnung (Discipline) wurden beschlossen, basierend auf den von Calvin gelieferten
Grundtexten. Alles wurde intern geregelt, da die Protestanten sich auf keine
weltliche Instanz verlassen konnten.
Die Presbyter, von der Gemeindeversammlung gewählt, überwachten das
kirchliche Leben und die Sitten der
Gläubigen, regelten Meinungsverschiedenheiten und kümmerten sich
um die Armen. Der Gottesdienst mit
der Predigt und dem Gotteslob in
„geistiger und wahrhaftiger Anbetung“ bildete den Höhepunkt des Gemeindelebens.
Immer wieder wurde die „Discipline“ den Gegebenheiten angepasst. Ihre
Grundzüge gelten jedoch bis heute:
besonders die presbyterial-synodale
Struktur, wonach die örtlichen Presbyterien und die Synoden gemeinsam
entscheidungs- und handlungsbefugt
sind. Die Kirche ist keine Institution
Das Zitat:
„Halten wir fest: das Leben der Kirche ist nicht ohne Auferstehung, noch
mehr: nicht ohne viele Auferstehungen“ Johannes Calvin, Kommentar zu
Micha 4.
„Und eben darauf müssen wir warten und uns darauf verlassen, dass, wenn
wir ganz ausgelöscht sein werden und alles zum Ärgsten gekommen ist, er
sich wohl ein neues Volk aus unserer Asche schaffen kann.“
Johannes Calvin, Brief an die Gemeinden des Languedoc, 1562
der Geistlichen, sondern eine kollegiale Gemeinschaft, deren Angelegenheiten von Laien und Pastoren gemeinsam geregelt werden.
Als Protestant hob man sich gesellschaftlich auf verschiedene Weisen ab.
Protestant zu sein bedeutete, anders
zu sein als die Anderen, aber auch sich
bewusst zu einer Glaubensminderheit
zu bekennen. Calvin wollte, dass der
Glaube im Alltagsleben Eingang findet, und dass jeder befähigt ist, über
seinen Glauben Auskunft zu geben:
nicht nur der Theologe, sondern auch
der „Schweinehirt“. So maß Calvin jedem eine bisher nicht gekannte Selbstbestimmung und Freiheit zu, jedoch
auch eine Verantwortungsethik.
Der Krieg zwischen den Protestanten und Katholiken war jedoch vorprogrammiert. Dabei waren die Protestanten nicht nur Opfer, da sie Militärtruppen hatten. Die Religionskriege, auch Hugenottenkriege genannt,
waren die härtesten und längsten
Bürgerkriege, die Frankreich jemals
erlebt hat (1562–1577), während deren
auch die Bartholomäusnacht stattfand.
1598 erließ Heinrich IV., der nach
der Bartholomäusnacht zum katholischen Glauben konvertiert war, das
Edikt von Nantes. Es gewährte den
Protestanten 86 Jahre Frieden, Gewissensfreiheit und freie Religionsausübung in der Öffentlichkeit, ausgenommen in Paris und Umgebung sowie in Städten mit Bischofssitz oder
königlichen Schlössern. Es gab damals
20 Prozent Protestanten.
Mit dem Ende der Regierungszeit
Heinrichs IV. verlor das Edikt von
Nantes immer mehr an Bedeutung.
Die Unterdrückung nahm ständig zu.
1685 erließ Ludwig XIV. das Edikt von
Fontainebleau, mit dem die Protestanten all ihre Rechte verloren. Etwa
30 000 strömten ins angrenzende Ausland. Darauf folgte auch das Edikt von
Potsdam durch den Großen Kurfürs­
ten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (29. Oktober 1685); er bot den
Refugiés Zuflucht. Die Glaubensflüchtlinge prägten das Land Brandenburg mit ihrer französischen Kultur
nachhaltig – spürbar bis heute.
Trotz Verfolgungen und Glaubenszwang – Übertritt zur katholischen
Kirche, Tod, Strafgaleeren, Gefängnis
– verblieben 900 000 Hugenotten im
Land. Sie trafen sich heimlich außerhalb der befestigten Orte zu Versammlungen, es entstand die „Kirche der
Wüste“. Der Name Hugenotten wird
nur noch im Ausland, in der Diaspora,
weitergeführt.
Résister (Widerstehen) – dieser
Geist ist bei den französischen Protestanten lebendig geblieben. Er wurde
auch im Zweiten Weltkrieg deutlich.
Das protestantische Dorf Chambon
sur Lignon nahm schon 1938 Flüchtlinge aus den mittel­europäischen Län­ amen viele jüdische
dern auf. Später k
Kinder dazu. Allen Einwohnern gemeinsam wurde die Auszeichnung
„Gerechte unter den Nationen“ verliehen; der einzige Fall einer kollektiven
Zuerkennung dieses Titels.
Die französischen Protestanten (1,5
Prozent der Bevölkerung) bleiben diesem Geist auch heute treu. Das Engagement für die Anderen, der Glaube
an Gott mit seiner Kraft der Erneuerung, findet sich immer wieder. Am
diesjährigen Nationalfeiertag rund
um den 14. Juli hingen an den protestantischen Kirchen Banner mit der
Aufschrift „Egalité, Liberté, Fraternité,
Exilés l’accueil d’abord“ – „Gleichheit,
Freiheit, Brüderlichkeit, Flüchtlinge
vorderst empfangen“. Sie fordern, dass
mindestens 30 000 Flüchtlinge, wie
vereinbart in der EU, und nicht wie
bisher nur 500, aufgenommen werden. Ihr Motto für 2017 ist „Protester
pour Dieu, Protester pour l’homme“:
vehementes Eintreten für Gott und
für den Mitmenschen.
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Zwingli; Calvin; Bucer
Literatur:
– Julien Coudy (Herausgeber): Die
Hugenottenkriege in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1965
– Die Bartholomäusnacht, Überblick
unter: www.reformiert-info.de/8717-056-4.html
– Heinrich Mann: Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre, Taschenbuch rororo 1994
Solange Wydmusch ist
Unternehmensberaterin
und Religionssoziologin,
­Mitglied der
Französischen Kirche
und gebürtige Französin.
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Glaubenskurs
Reformation
der Evangelischen
Wochenzeitungen
im Norden, Folge 33
Teil 6
Die hellen Seiten der
Reformation
3
XGLAUBEN UND WISSENx
Sonntag, 14. August 2016 | Nr. 33 NK
Trost des Evangeliums
Martin Luther als Seelsorger
FÜR DAS GESPRÄCH
Fragen zum Einstieg:
1. Können E-Mails und Blogs das sein
und werden, was zu Luthers Zeiten
die seelsorgenden Briefe waren?
2. Wie verhält sich einerseits die Autorität des Seelsorgenden und andererseits das Festhalten daran, dass
jedes Gemeindeglied Seelsorger ist,
bei Luther? Was erleben wir von dieser bleibenden Spannung?
3. Seelsorge ist Gemeindeaufgabe:
Was brauche ich, um ein seelsorgendes Gemeindeglied zu werde?
4. Was braucht eine reformatorische
Kirche heute, um eine tröstende Kirche zu sein?
Zugang zum Thema:
– Ein Beispiel für Luthers eindrückliche briefliche Seelsorge gegenüber
dem lebenserschöpften Friedrich
dem Weisen: Vierzehn Tröstungen für
Mühselige und Beladene, Weimarer
Ausgabe 6, Seiten 99–134
In den Tischreden bezeichnet Martin
Luther sich als einen „Arzt kranker,
beschädigter und toter Gewissen“. Er
schrieb viele Briefe, sprach über Gefühle und Glauben. Auch Luther
brauchte einen Seelsorger. Und der
hatte ­Humor.
Von Christina Maria Bammel
Briefe schreiben, eine wunderbare,
wenn auch in die Jahre gekommene
Gesprächsweise! Wieviel Stärkung in
den Zeilen liegt, wenn sie einfühlsam
und mit etwas Zeit geschrieben sind.
Wer sie empfängt und zu lesen weiß,
liest sicher die Zeilen mehr als einmal,
behält ein Wort in Gedanken und
freut sich darüber, so bedacht zu sein.
Luthers seelsorgerliches Handeln
war maßgeblich briefeschreibendes
Handeln. Seine Korrespondenz in Sachen Seelsorge ist atemberaubend.
Sie hat ihm gar selbst oft vor lauter
Schreiblast den Atem genommen. An
Fürsten, Bürger, Amtspersonen, Kollegen, Lehrer, Handwerker schrieb er,
an Bauern eher nicht. Viele Frauen
sind unter den Adressaten.
Die Themen der Menschen damals ähneln den heutigen: Beziehungs-, Ehe- und Existenzfragen, Bestärkung, dort, wo schwer gezweifelt
wird, Fragen nach Leben und Tod,
Verluste durch Tod, Suizid, der verfrühte Tod etwa von Kindern, aber
auch Arbeitslasten, erdrückende Verpflichtungen können zum Thema
der Seelsorge werden. Streit und der
Umgang mit Schwächen, Gewissensdruck, Krankheit, Rückzug und Einsamkeit, die Reihe der seelsorglichen
Themen ist länger.
Wenn Luther begann mit „Euch
bewegt, ob“, „Ihr seid hochbekümmert, weil“ oder „dass Gott Euch
Euer liebes Weib genommen“, bringt
er das Problem auf den Punkt. Er
fühlt mit: „Das ist mir wahrlich leid,
das weiß Gott, der mein Seufzen
hört.“ Er gesteht auch mal zu, dass er
vor lauter Schmerz gar nicht weiß,
was er noch sagen könnte. Oft folgt
darauf dialogisch mit dem Empfänger eine Auseinandersetzung und ein
praktischer Rat, auch mal pädagogisierend: „Darum glaube das“, „haltet
fest“, „müsst ihr so sprechen“. Am
Ende des Schreibens wird dann der
Sack zugebunden: „Wenn Euch gute
Leute trösten, so lernt ja glauben,
dass Gott solches zu Euch sagt. Folget
dem und zweifelt nicht.“ Schwer­
mütigen gibt er gar mit auf den Weg:
„Hiermit fröhlich Gott befohlen.“
Martin Luther
empfing und
schrieb viele
seelsorgerliche
Briefe. Das
Foto zeigt die
Schauspieler
­Karoline Schuch
als Katharina von
Bora und Devid
Striesow als
Martin Luther bei
Proben im Mai
2016 während der
­Dreharbeiten zum
Film „Katharina
Luther“. Foto: dpa
Die Wucht der Autorität des Seel- sich selbst wegziehen soll. Das stellt
sorgers ist greifbar. Er zieht sie aus dem den Kranken oder Angefochtenen
göttlichen Mandat: „Gott hat’s befoh- und dem Sterben Nahen auf einen feslen, dass ein Mensch den andern trös- ten neuen Boden außerhalb seiner
ten soll, und will auch, dass der Betrüb- selbst. Trösten führt zu neuen Widerte solle glauben solchem Trost, als sei- standskräften, da der Betroffene auf
ner eignen Stimme, so höret nun, was neuem Grund steht. Trost wird damit
auch zum Trotz gegen den Strudel der
wir in Gottes Namen zu Euch sagen.“
Seelsorge ist Gottes Tat. Gott selbst In-sich-selbst-Verlorenheit und Aufredet durch Wort und Trost. Luther sich-selbst-Stehen-Müssen. Mit Luther
bringt auch sein Fühlen ein, jammert gesprochen: im Predigen Stellung bezuweilen, zeigt, dass auch er mal ver- ziehen zum Trotz gegen den Teufel,
letzt oder wütend ist oder der Melan- dessen Lügenmacht und heillose Wircholie so gut wie gar nicht Herr wird. kung genannt werden muss: „Gott hat
Regelrecht anweisend geht Luther uns Predigern befohlen, die Seele zu
vor, wo, wie er sagt, dem Teufel das unterrichten und zu trösten“ und zwar
Haupt geboten werden muss: „Man als entfaltete Kreuzestheologie bezomuss dem Teufel das Kreuz ins Ange- gen auf Christus und die Schrift. Der
sicht schlagen.“
Ursprung der Seelsorge ist Christus als
Luthers Ansporn, sich aggressiv Arzt und Hirte.
dem Teufel zu stellen, mag man finSeit den Klostertagen buch­stabiert
den, wie man will. Es leuchtet allemal Luther dies in engem Austausch mit
ein, dass es um die
seinem Generalvikar Johann
Ermutigung geht,
von Staupitz
den schweren und
„Ohne Doktor Staupitz
durch. „Nirtraurigen Gedangends als in den
ken Raum zu entwäre ich in Seelennot und
Wunden Christi
ziehen. Sicher hatAnfechtung ersoffen und
wird die Prädeste die briefliche
längst in der Hölle.“
tination verstanNähe Grenzen. Es
den und gefunbraucht persönliMartin Luther
che Nähe. Der
den, denn es
Seelsorger oder
steht geschrieauch „Seelwarter“,
ben:
diesen
wie Luther ihn nennt, orientiert im (Christus) höret.“ Den Einfluss des
Predigen, indem er unterweist, indem Spirituals Staupitz beschreiben Luer sich sorgt um die Seele, wenn sie thers eigene Worte am besten: „Wenn
lebensmüde, angefochten, zerrissen mir Dr. Staupitz oder vielmehr Gott
ist. Luthers gesamte Theologie wurde durch Doktor Staupitz nicht herausgeihm unter der Hand immer wieder holfen hätte aus Seelennot und Anneu zur Sorge um die Seele der sich fechtung, so wäre ich darin ersoffen
und längst in der Hölle.“
ihm Anvertrauenden – als Trost.
Der Augustinereremit und WittenTrost im strengen Sinne besteht
nicht darin, „eine Aufbesserung unse- berger Universitätsgelehrte wirkte, so
rer Schwachheit zu erleben, vielmehr viel wir wissen, sehr anerkannt durch
darin, mitten in unserer Schwachheit seine Predigt- und Seelsorgetätigkeit in
durch den Glauben von uns selbst den wachsenden Städten des 16. Jahrweggekehrt zu werden zu Christus hunderts. In Erfurt sind sich beide behin“ (Georg Ebeling). Wer tröstet, gegnet. Bekannt ist die Anekdote, dass
deckt nicht zu, sondern auf, verharm- der entmutigte und kränkelnde Lulost nicht, sondern wird gegebenen- ther einmal meinte, er werde die Profalls gar verschärfen, was zu sagen ist. motion zum Doktor der Theologie
Da braucht er etwas Mut zur Weisung. nicht mehr erleben, woraufhin StauDer ganze Schatz der Seelsorge besteht pitz intervenierte: „Es ist gleich recht.
im Grunde aus Trost, der nicht zu ver- Unser Herr Gott hat jetzt viel zu schafwechseln ist mit Rührseligkeit.
fen im Himmel; wenn Ihr sterbt, so
Trost wird für Luther eine kämpfe- kommt Ihr in seinen Rat, denn er
rische Sache, die den Betroffenen von muss auch einige doctores haben!“
Das Zitat:
Die im Amt der Kirche, das heißt die Prediger und die Seelsorger, mögen
lernen, wie sie sich gegen die Gebrechlichen und die Schwachen halten
­sollen. Die sollen sie auch so erkennen lernen, wie Christus uns kennet. Das
heißt sie sollen nicht sauer und rauh gegen sie losfahren mit Drängen und
Poltern oder mit Verdammen …, sondern gelinde und säuberlich mit ihnen
handeln und ihre Schwachheit tragen, bis sie stärker werden.
Evangelium am 2. Sonntag nach Ostern, aus der Sommerpostille Crucigers
1544, WA 21, 337, 30–36 Brief an die Gemeinden des Languedoc, 1562
Der fromme Mönch lebte predigend
und seelsorgend aus der persönlich
erfahrenen Geborgenheit in der Liebe Gottes. Er maß gemeinsam mit
Luther aus, dass die Suche nach Frieden in Jesus Christus auf den Wegen
der Meditation (meditatio) und des
Gebetes (oratio) entlang führt, begleitet auch in Anfechtung (tentatio). Die
Anfechtung treibt zum Wort hin.
Seelsorge ist Aufgabe
aller Gemeindeglieder
Die Schrift wurde für Luther zum
eigentlichen Raum der Seelsorge:
Hier spricht Christus die beschädigte, kranke und sterbende Seele an.
Aber sie ist nicht als Ratgeber- und
Rezeptbuch für den einzelnen Fall
zu degradieren. Angefochten zu bleiben, bestimmt auch das Leben des
Gerechtfertigten. Luther hat das
durchschritten. „Und da tröste ich
mich auch so, wie ich Euch hier tröste“, setzt Luther unter seine Briefe,
wenn er seine Grenzen nennt, sich
selbst anklagt, er sei ja nur ein ungeschickter Tröster. Berührt sind hier
jene Widersprüche, in die man sich
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selbst als Seelsorger stellt: offenherzig
und machtlos, zur Versöhnung aufrufend und dabei doch kaum fähig,
Streit dranzugeben, hohe Ansprüche
– persönlich schwer zu halten.
Auch wenn laut Luther nahezu jeder Aufgabenbereich eines Pfarrers
von Seelsorge bestimmt ist, sind im
Sinne des Priestertums aller Glaubenden im Gespräch unter Geschwistern
alle Christen beteiligt und beauftragt.
Bei allem zeitlich Gebundenen der
Seelsorge des Martin Luther – wichtig
bleibt: Seelsorgende sind zeitlebens
selbst auf Seelsorge angewiesen. Seelsorge nimmt den ganzen Mensch in
den Blick und umschließt auch
Leibsorge und den Trost des irrenden,
traurigen, aber im Evangelium getrösteten Gewissens. Das wird mit dem
Trost ins Freie gestellt, wird so zu
„Christi Brautbett“. Seelsorge überhaupt stellt ins Freie, was sich auch in
Sprache und Haltung zeigt. Suggestion und Manipulation verbieten sich.
Luthers Seelsorge-Schule lehrt,
dass die Hilfe zum Leben in aller Gebrochenheit und Endlichkeit in der
Grundspannung von Annahme und
Aufbegehren nicht trennt zwischen
den großen Heilsfragen und dem irdischen Klein-Klein. Schließlich ein Aspekt, der hier zu wenig beleuchtet
wurde: Wir können uns nicht den
politischen Situationen entziehen.
Auch das gehört zur Glaubwürdigkeit
unseres seelsorglichen Auftrages.
ZUR WEITERARBEIT
Verwandte Themen des Kurses:
Spalatin; Diakonie; Der Teufel vergiftet das Getreide; Bibelstellen: 1. Könige 19, 1–18; Galater 6, 2. Korinther 1, 4–5;
Literatur:
– Gerhard Ebeling, Luthers S
­ eelsorge
an seinen Briefen dargestellt, Mohr
Siebeck, T­ übingen 1997
– Christian Möller, Martin Luther, in:
Geschichte der Seelsorge in Einzelporträts, Vandenhoeck & Ruprecht,
II, Seiten 25–44
Christina Maria
Bammel ist promo-
vierte Theologin und
Oberkonsistorialrätin
für den Bereich
Kirchliches Leben in
der EKBO. Foto: privat