Akustik der Prosodie

Teildisziplin Prosodie
Prosodie: Teildisziplin der Linguistik und Phonetik
Terminologiedebatte auf der IPA-Revisionstagung in Kiel (1989):
größte Meinungsvielfalt zum Thema Prosodie, ihrer symbolischen
Repräsentation, Notation und Transkription.
3 Begriffe: Prosodie, Suprasegmentalia, Intonation.
Synonymsetzung ist nicht unüblich (z.B. Bußmann, 1990, S. 352).
Definitionen: einheitliche Verwendung (im Seminar?)
Literatur:
– Lehiste (1970), Kap. 1
– Clark/Yallop (1995), Kap. 9
– Möbius (1993), Kap. 2
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c Bernd Möbius
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Begriffe
Intendiert ist eine systematische Unterscheidung
zwischen einzellautbezogenen (vokalischen, konsonantischen)
Merkmalen
und Merkmalen, die sich über längere Abschnitte einer sprachlichen
Äußerung erstrecken (Tonhöhe, Register, Satzmelodie, Lautstärke,
Rhythmus).
“prosodisch”, “suprasegmental”, “nicht-segmental”
simultan zu den Segmenten realisiert
länger andauernd als Segmente
global statt lokal
Manifestation hierarchisch höherer linguistischer Einheiten:
Silben, Wörter, Phrasen, Sätze, Diskurse
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Nebenbemerkung zur Orthographie
Für die Schriftsysteme der weitaus meisten Sprachen gilt:
nur rudimentäre Markierung prosodischer Merkmale:
Interpunktion, typographische Hervorhebungen
(Unterstreichung, Fettdruck, Schrägsetzung, Gesperrtsetzung).
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Vorschlag zur Systematik
Prosodie:
sprachwissenschaftliche Teildisziplin, allg. Oberbegriff
umfasst linguistische und paralinguistische Funktionen
Merkmalssysteme mit linguistischer Funktion:
Intonation (pitch, tonal): linguistisch relevante Funktionen der
Grundfrequenz auf Silben-, Wort-, Äußerungs- und Diskursebene
Dauer (duration, temporal): linguistisch relevante Funktionen der
absoluten und relativen Dauer von Einheiten
Intensität (intensity, stress): linguistisch relevante Funktionen
energiebezogener Merkmale
(Suprasegmentalia?)
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Akustische Parameter
Sprachgrundfrequenz (
Klassische akustische Parameter:
)
Intensität
Segmentdauer
Probleme:
Jeder dieser Parameter besitzt auch lautspezifische Relevanz.
Jeder dieser Parameter unterstützt mehrere linguistische Funktionen.
Jeder dieser Parameter unterstützt auch paralinguistische Funktionen.
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Grundfrequenzverlauf
File: k61be041.wav Page: 1 of 1 Printed: Mon Dec 15 10:59:49
32759
-22019
Hz
150
100
Grundfrequenzverlauf ( -Kontur) der Äußerung
“Wer muss noch Schularbeiten machen?”
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Intensitätsverlauf
File: k61be041.wav Page: 1 of 1 Printed: Mon Dec 15 11:13:40
32759
-22019
dB
60
40
20
Intensitätsverlauf (RMS-Intensität) der Äußerung
“Wer muss noch Schularbeiten machen?”
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Dauer sprachlicher Einheiten
File: k61be041.wav Page: 1 of 1 Printed: Mon Dec 15 11:17:13
32759
-22019
kHz
5
4
3
2
1
_ v e:
6
m
U
s n
O
X
S
u: l a:6
b
aI
t n
m
a
X
@
n
_
Dauer sprachlicher Einheiten (hier: Lautdauern) in der Äußerung
“Wer muss noch Schularbeiten machen?”
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Intonation
Intonation: linguistisch relevante Funktionen der Grundfrequenz auf
Silben-, Wort-, Äußerungs- und Diskursebene
vorwiegend lexikalisch: auf Moren, Silben
(Ton, Tonsprachen, Pitchakzentsprachen)
vorwiegend intonatorisch: auf Wörtern
(Ton, Pitchakzent, Akzentuierung)
vorwiegend syntaktisch: auf Phrasen- und Satzebene
(Phrasengrenzen, Phrasierung)
vorwiegend semantisch: auf Phrasen- und Satzebene
(Informationsstruktur, Satzmodus)
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Ton- und Pitchakzentsprachen
Tonsprachen: Yoruba, Igbo, Thai, Vietnamesisch, Mandarin-Chinesisch
(Beispiel)
Wort
ma1 m
ma2 m
ma3 m
ma4 m
ma ma
Tonverlauf
hoch eben
hoch steigend
tief oder fallend-steigend
fallend
neutral
Bedeutung
Mutter
Hanf
Pferd
schimpfen
Fragepartikel
Pitchakzentsprachen: Japanisch, Serbisch, Kroatisch, Litauisch,
Lettisch, Norwegisch, Schwedisch (Beispiel)
Tonverlauf
Tiefton 1. Silbe
tief 1. Silbe, hoch-tief 2. Silbe
Bedeutung
Ente
Geist
Wort
anden1
anden2
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Wahrnehmung der Sprachgrundfrequenz
Perzeptives Korrelat von -Änderungen sind Tonhöhenänderungen, aber
umgekehrt ist es nicht ebenso eindeutig.
Tonhöhe kann wahrgenommen werden, auch wenn der Grundton nicht
im Sprachsignal vorhanden ist.
Beispiel Sprachsignalübertragung: Telefonbandbreite 300–3000 Hz.
Grundtonfrequenz wird aus den im Spektrum vorhandenen
Harmonischen erschlossen, durch Kombination der virtuellen und
spektralen Tonhöhe in eine gemeinsame Empfindungsgröße (Terhardt,
1974) oder aus der Periodizität des Zeitsignals.
Grundfrequenz ist nur eines von mehreren akustischen Korrelaten der
wahrgenommenen Tonhöhe.
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Weitere Begriffe
Prominenz: signalphonetische und wahrnehmbare Hervorhebung eines
Äußerungsabschnitts; relatives Merkmal, binär oder graduell?
(Silben-)Betonung: akustische Realisierung eines (lex.) Wortakzents
Akzent(-silbe): tonal (durch F0) markierte betonte Silbe
Spezialfälle des Akzents: Kontrastakzent, Emphase
Weitere pros. Merkmale (weniger systematisch untersucht):
Sprechtempo, Rhythmus, Pausen, Häsitationen, Stimmqualität,
Phonationstyp, ...
– unterliegen ebenfalls Konventionen der Sprachgemeinschaft und
können ling. Funktionen tragen (Laryngalisierung als Grenzsignal)
– geben Information über Sprechstil, situativen Kontext, Einstellung
und emotionale Verfassung des Sprechers
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Wortakzent
Fester Wortakzent (vorhersagbar): WA liegt fest auf einer bestimmten
Silbenposition, z.B. in allen Wörtern auf der ersten Silbe (Finn.,
Ungar., Tschech.) oder der vorletzten (Poln.) oder der letzten (Franz.).
Beweglicher Wortakzent (nicht vorhersagbar): WA ist pro Wort
lexikalisch an eine Silbe gebunden (Dt., Engl., Russ.). Segmentell
identische Wörter können prosodische Minimalpaare bilden:
– dt.: ’umfahren – umf’ahren, ’übersetzen – übers’etzen,
Tenor, August, Konstanz
– engl.: ’import – imp’ort, ’abstract – abstr’act
– russ.: m’uka “Qual” – muk’a “Mehl”, r’asa “Rasse” – ras’a “Tau”
– span.: t’ermino – term’ino – termin’o
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Kontrastakzent, Emphase
Emphasis for contrast (Thorsen, 1979a): Die den Kontrastakzent tragende
Silbe ragt deutlich aus lautlicher Umgebung heraus, durch tonale
Hervorhebung dieser Silbe und tonale Reduktion der Umgebung.
Terminologische Vereinbarung:
Kontrastakzent: expliziter Gegensatz (“Ich will ihn nicht umfahren,
sondern umfahren.”)
Emphase: impliziter Kontrast (“Ich will ihn doch nicht umfahren!”)
Beide Arten der Hervorhebung werden durch die gleichen akustischen
Parameter realisiert.
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Akzentgruppe
Akzentgruppe (accent group), bei manchen Autoren auch Betonungsgruppe
(stress group):
Einheit aus akzentuierter Silbe und allen folgenden nicht-akzentuierten
Silben
unabhängig von Wortgrenzen
aber sensitiv gegenüber Phrasengrenzen
Akzentzählende (stress-timed) vs. silbenzählende (syllable-timed)
Sprachen? Isochronie?
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Phrasierung
Phrasierung: Gliederung einer Äußerung in Abschnitte, die jeweils durch
eine eigene Intonationskontur und Deklinationslinie charakterisiert sind.
Intonatorische Phrasen sind nicht notwendigerweise koextensiv mit
syntaktischen Phrasen.
Grenzsignale: final fall, final rise, continuation rise, declination reset(ting),
phrase-final lengthening, utterance-final lengthening.
Phrasengrenzen als Disambiguierungshilfe?
“Ja zur Not geht’s auch am Samstag”
“Flying planes can be dangerous.”
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Satzmodus
Satzmodus-Definitionen:
semantisch/syntaktisch/funktionale Definition:
systematischer Zusammenhang zwischen Satztypen, die durch formale
grammatische Eigenschaften definiert sind, und pragmatischen
Funktionstypen.
Beispiele: Aussage-, Frage-, Aufforderungs-, Exklamativsatz
Prosodische/intonatorische Definitionen:
terminal vs. nicht-terminal;
oder wesentlich systematischer bei (Altmann, 1987)
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