4.8 Tragfähigkeit von Sicherheitsvorrichtungen

I – 4.8
Prof. Ulrich Sieberath
Jörn Peter Lass
4.8 Tragfähigkeit von
Sicherheitsvorrichtungen
4
Sicherheitsvorrichtungen (z. B. Befestigungsvorrichtungen und Fangscheren, Feststeller
und Befestigungsvorrichtungen für Reinigungszwecke) müssen, wenn sie in Übereinstimmung mit der vom Hersteller veröffent
lichten Bedienungsanleitung vorhanden und
in Betrieb sind, das Türblatt oder den Fensterflügel 60 s in der ungünstigsten Position (d. h. Lage, Richtung) bei einer Last von
350 N halten können. Diese Schwellenfestigkeit muss durch Prüfungen nach EN 14609
oder EN 948 (Referenzverfahren) oder durch
Berechnung nachgewiesen werden.
Sicherheitsvorrichtungen sind Elemente,
die den Nutzer von Fenstern und Türen
vor Gefahren schützen, die durch eine
unsachgemäße Bedienung oder Nutzung entstehen können. Dies können
z. B. Fangscheren (Putzscheren), Feststeller und Öffnungsbegrenzer sein.
Öffnungsbegrenzer sind im Regelfall dazu bestimmt, die aus statischen Kräften
resultierenden Belastungen zur Begrenzung des Öffnungswinkels aufzunehmen.
Sie können in Türschließer integriert sein
oder in Form von zusätzlichen energieverzehrenden oder nichtenergieverzehrenden Vorrichtungen in Fenster montiert werden. Öffnungsbegrenzer gelten
als Sicherheitsvorrichtungen und müssen die Beanspruchungen gemäß Abschnitt 4.8 erfüllen. Es handelt sich um
eine Forderung, die grundsätzlich in der
CE-Kennzeichnung zu deklarieren ist,
da es sich hier um einen Schwellenwert
(threshold value) handelt.
86
Tragfähigkeit von Sicherheitsvorrichtungen
Die Sicherheitseinrichtungen werden mit
einer Einzellast von 350 N in ungünstigster Belastungsrichtung über eine Belastungsdauer von 60 Sekunden belastet.
Die Belastung erfolgt punktförmig. Abweichend von DIN EN 14609 kann die
Lasteinleitung auch direkt an der Sicherheitsvorrichtung erfolgen, um die ungünstigste Belastung, z. B. für die Verschraubungen am Scherenlager, zu prüfen.
a Öffnungswinkel von 90° bzw. maximaler
Öffnungswinkel
1 fixierte Ecke
Bild 4.18 Beispiel für die Belastung einer
Sicherheitsvorrichtung an einem
Kippfenster nach DIN EN 14609
Baugruppen, die dem üblichen und geplanten Gebrauchszweck eines Fensters dienen, fallen nicht unter die Anforderungen an Sicherheitsvorrichtungen
gemäß Abschnitt 4.8. Hierzu zählen
beispielsweise Drehkippscheren, Parallel-Ausstellscheren, Friktionsscheren
oder Drehbänder.
Um die Sicherheit dieser Bauteile zu gewährleisten, werden Anforderungen an
die mechanische Festigkeit und Dauerfunktionsfähigkeit empfohlen, die sich an
ift Rosenheim 2013
I – 4.8
Tragfähigkeit von Sicherheitsvorrichtungen
den Angaben in Abschnitt 4.15 und 4.17
der EN 14351-1 orientieren. Da diese Anforderungen nicht zwingend mit der CEKennzeichnung nachzuweisen und zu
deklarieren sind, wird ein Nachweis im
Rahmen einer Leistungsbeschreibung
empfohlen, um Schäden und Unfällen
vorzubeugen und so Haftungsansprüche
zu vermeiden. Deshalb werden hierzu
auch Anforderungen von Qualitäts- und
Gütegemeinschaften wie der RAL-Gütegemeinschaft Fenster und Haustüren
e.V. formuliert.
Folgender Prüfablauf hat sich bewährt:
•Prüfung der Dauerfunktion der Sicherheitseinrichtungen nach DIN EN 1191
„Fenster und Türen – Dauerfunktionsprüfung – Prüfverfahren“,
•Klassifizierung der Dauerfunktion
nach Tabelle 1 aus DIN EN 12400
„Fenster und Türen – Mechanische
Beanspruchung – Anforderungen und
Einteilung“,
•Überprüfung der Belastung der Sicherheitseinrichtung (Schwellenwert)
über 60 Sekunden in der ungünstigsten Position mit einer Last von 350 N,
für Fenster nach der DIN EN 14609
„Fenster – Ermittlung der Widerstandsfähigkeit gegen statische Verwindung“ und Türen nach der DIN EN
948 „Drehflügeltüren – Ermittlung der
Widerstandsfähigkeit gegen statische
Verwindung“,
•Prüfung und Bewertung gegen Vertikallasten und Verwinden. Für Fenster nach der DIN EN 13115 „Fenster
– Klassifizierung mechanischer Eigen-
Bild 4.19 Beispiele für Ausführungen von Dreh-/Kipp-Beschlägen
ift Rosenheim 2013
87
4
I – 4.8
Tragfähigkeit von Sicherheitsvorrichtungen
schaften – Vertikallasten, Verwindung
und Bedienkräfte“ und Türen nach
DIN EN 1192 „Türen – Klassifizierung
der Festigkeitsanforderungen“.
Ein häufige Ursache für Beschädigungen ist der „Leibungsschlag“, der
den Anschlag des Fensterflügels an die
Leibungswände der Wandöffnung bezeichnet. In der Bedienungsanleitung
für Beschläge sollte der Leibungsschlag
als Fehlbedienung bezeichnet und ausgeschlossen werden. Wenn ein Fenster
als zusätzliche Leistungseigenschaft den
Leibungsschlag aushalten soll, muss das
Fenster speziell dafür ausgelegt werden.
Für diesen Fall gilt der Leibungsanschlag
als Anschlag (Stopp) und ist dynamisch
nach DIN EN 1191 zu belasten.
4
Diese Anforderungen sind nicht zu verwechseln mit den Forderungen des Abschnittes 4.17 „Mechanische Festigkeit“;
dort werden Beanspruchungen berücksichtigt, die aus der Nutzung oder Fehlbedienung resultieren und auf Tür- und
Fensterkonstruktion wirken.
88
ift Rosenheim 2013