einem am Mittwoch veröffentlichten Papier

Berlin, den 20.07.2016
DGINA 2016: Organisation und Stufung der Notfallversorgung
Präambel
Die medizinische Notfallversorgung steht im Zentrum der Daseinsfürsorge und gewährleistet
unmittelbare lebensrettende Maßnahmen, unverzügliche Stabilisierung
Stabilisierung der KörperfunktioKörperfunkti
nen, zeitgerechte Diagnostik sowie eine optimale Vorbereitung einer fachspezifischen TheTh
rapie. Eine qualitativ hochwertige Notfallversorgung muss unabhängig von WohnWohn oder Unfallort für alle Patientinnen und Patienten verfügbar sein.
Notfallpatienten werden von mehreren notfallmedizinischen Fachgesellschaften als Personen definiert, die körperliche oder psychische Veränderungen im Gesundheitszustand aufau
weisen, für die der Patient selbst oder eine Drittperson unverzügliche medizinische und pflegerische Betreuung als notwendig erachtet. Eine umfassende Planung der Notfallversorgung
muss sich an dieser weitreichenden Definition orientieren. Weil Patientinnen und Patienten
die Dringlichkeit ihrer Beschwerden selbst oft nicht richtig einschätzen,
einschätzen, muss der Zugang zur
Notfallversorgung initial niederschwellig sein. Der weitere Versorgungsprozess ist so zu geg
stalten, dass er die akut notwendige Diagnostik und Therapie rasch und strikt am PatientenPatiente
nutzen orientiert steuert.
Eine Abstufung der Notfallversorgung
otfallversorgung ist sinnvoll, um personelle und technische Ressourcen
sowie Kompetenzen zu bündeln. Allerdings muss jede Stufe der Notfallversorgung in der
Lage sein, unmittelbare Lebensrettung zu gewährleisten und dafür qualitative MindestanMindesta
forderungen erfüllen,
rfüllen, die auch in Versorgungseinheiten der niedrigsten notfallmedizinischen
Versorgungsstufe vorgehalten werden.
Prof. Dr. med. M. Christ
Schriftführerin:
M. Dietz-Wittstock
Wittstock
Schatzmeister:
Dr. med. P.-F.
P. Petersen
Hausanschrift:
DGINA e.V.
c/o Universitätsklinikum Jena
Zentrale Notfallaufnahme
Erlanger Allee 101
07747 Jena
Kontakt:
Tel.: +49 3641
3
9-322008
Fax: +49 3641 9-322002
9
E-Mail:
Mail: [email protected]
Internet: www.dgina.de
Eine sektorale Trennung der Notfallversorgung innerhalb von Notaufnahmen in einen ambulanten oder stationären Behandlungssektor (kassenärztlicher Bereich oder Krankenhausbereich) ist nicht sinnvoll, weil primär ein abzuklärendes Symptom oder eine abzuklärende Verletzung zu einer notfallmäßigen Vorstellung führen und erst nach der Abklärung entschieden
werden kann, welche weitere Behandlung (ambulant oder stationär) sinnvoll ist. Deswegen
sind die Anforderungen an die Notaufnahmen der Krankenhäuser primär nicht anhand einer
Einteilung in ambulante und stationäre Notfallversorgung zu unterscheiden.
Die Notfallversorgung muss an Notfallkrankenhäusern konzentriert werden. Die Zeitvorgaben für die Erreichbarkeit dieser Krankenhäuser unterscheidet sich nach dem Level der Notfallversorgung und sollte für die Notfallkrankenhäuser der Grund- und Regelversorgung eine
PKW Anfahrtszeit von 30 min und für Notfallzentren der Schwerpunkt- und Maximalversorgung 60 min nicht überschreiten. In Regionen, in denen eine Erreichbarkeit der Kliniken für
Notfallpatienten mit zeitkritischen Krankheiten nicht innerhalb der vorgegebenen Zeitgrenzen der bekannten Tracerdiagnosen (Herzinfarkt, Schlaganfall, Polytrauma, aber auch anderer zeitkritischer Diagnosen) gewährleistet ist, muss das Rettungswesen lokal entsprechend
ausgebaut werden.
Alle in einer Notaufnahme ankommenden Patienten müssen unmittelbar eine strukturierte
Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit erhalten, um dringlich behandlungsbedürftige Patienten rechtzeitig zu identifizieren. Eine anschließende ärztliche Behandlung von Behandlungsfällen mit Mitteln des ambulanten Sektors durch die KV oder durch Krankenhäuser
muss in jedem Notfallkrankenhaus bzw. Notfallzentrum nach Ersteinschätzung gewährleistet
sein.
Eine gemeinsame sektorenunabhängige Planung der ambulanten und stationären Notfallversorgung einschließlich des Rettungsdienstes und der Rettungsleitstellen ist notwendig.
So kann es sinnvoll sein, dass in Rettungsdienstbezirken mit geringer notärztlicher Einsatzfrequenz die Notärzte an der Notfallversorgung in den Kliniken oder im Hausbesuchsdienst
der kassenärztlichen Vereinigung im Rahmen der Möglichkeiten eingesetzt werden.
Die DGINA ist überzeugt, dass eine Organisationsentwicklung der Notfallversorgung unter
Qualitätsaspekten zu einer Zentralisierung und Professionalisierung der Notfallmedizin führen muss. Dieser Prozess muss sowohl die kassenärztliche als auch die klinische Notfallversorgung umfassen, diese an einem Ort zusammenführen und sektorenübergreifend mit den
Instrumenten der Versorgungsforschung kontrollieren.
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1.
Qualitätsanforderungen an alle an der Notfallversorgung teilnehmenden Krankenhäuser
Generell
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Kooperation der Krankenhäuser mit dem Rettungsdienst mit Vorabinformation über
Patienten, überdachte Anfahrtsmöglichkeit, Kooperation mit den Rettungsleitstellen,
Einbindung in den Katastrophenschutz/Versorgung von Großschadenfällen
24/7 Aufnahmebereitschaft, Abmeldung aus der Notfallversorgung nur bei Ausfall
kritischer Infrastruktur
verpflichtende Teilnahme an telemedizinischen Netzwerken für zeitkritische Erkrankungen und Verletzungen zur Gewährleistung der Primärversorgung aller Notfälle
Struktur
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Mindestens Hauptabteilungen Innere Medizin und Chirurgie (mit
viszeralchirurgischer und unfallchirurgischer Kompetenz).
Zentrale Notaufnahme als primäre Anlaufstelle für alle Notfallpatienten
Schockraum in der Notaufnahme (Ausstattung analog lokales Traumazentrum der
Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU)1.
Hubschrauberlandemöglichkeit
Strukturiertes validiertes mindestens 4-stufiges Ersteinschätzungssystem zur Feststellung der Behandlungsdringlichkeit unmittelbar nach Eintreffen des Patienten (max.
nach 10 Min). Die Ersteinschätzung aller Notfallpatienten ist obligat.
24/7 Verfügbarkeit von Notfalllabor (notfallmedizinisch relevante Laborwerte innerhalb von 60 Minuten vorliegend), EKG, Sonographie (Abdomen, Gefäße, Lunge, Herz),
endoskopische Notfalldiagnostik (innerhalb von 30 Minuten).
Ausreichende Raumkapazität für Patientenzahlen bis zur 85-zigsten Perzentile des
maximal gemessenen Patientenaufkommens
24/7 Verfügbarkeit von Röntgen und Computertomographie.
24/7 Vorhaltung von intensivmedizinischen Kapazitäten / Intensivstation, und deren
jederzeitige Verfügbarkeit zur Weiterbehandlung lebensbedrohter Notfallpatienten
Blutkonserven müssen innerhalb von 30 Minuten in ausreichender Zahl verfügbar
sein.
Isolationsmöglichkeiten für infektiöse Patienten
1
http://www.dguonline.de/fileadmin/published_content/5.Qualitaet_und_Sicherheit/PDF/20_07_2012_Kurzfassung_Weissbuch_DG
U_Auflage2.pdf
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Nachweis von Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität für die Versorgung geriatrischer Notfallpatienten
Personal
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Facharzt für Innere Medizin und Chirurgie 24/7 verfügbar (im Rufdienst innerhalb von
20-30 Minuten). 24-stündige Anwesenheit mindestens eines Arztes mit der Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ im Haus.
Das Ärzteteam der Notaufnahme muss für die Beherrschung notfallmedizinischer
Maßnahmen und die rasche diagnostische Abklärung aller Notfallsymptome gezielt
ausgebildet sein.
Die ärztliche Personalausstattung der Notaufnahme soll so bemessen sein, dass die
Zeit bis zum ersten Arztkontakt in 90% der Patientenkontakte die maximal vorgegebenen Zeiten des Ersteinschätzungssystems nicht überschreitet. Hierfür werden die
Zeitvorgaben des Manchester Triage Systems (MTS) auf alle verwendeten Ersteinschätzungssysteme übertragen.
Eine ärztliche Leitung der Notaufnahme, welche die Zusatzweiterbildung "Klinische
Notfall- und Akutmedizin" führt (sobald bundesweit erwerbbar).
Eine eigenständige pflegerische Leitung mit Fachweiterbildung „Notfallpflege“ analog
dem DGINA Curriculum und ein eigener pflegerischer Personalstamm.
Die pflegerische Personalausstattung muss mindestens 1 Vollkraft pro 1400 Patientenkontakte/Jahr (ohne Administration) betragen. Die minimale Personalstärke darf
2 Pflegekräfte pro Schicht, entsprechend ca. 11 Vollkraftäquivalente aber nicht unterschreiten. Bei Vorhandensein eines kurzstationären Bereichs müssen zusätzlich 1
Pflegekraft pro 5 Betten / Schicht zur Verfügung stehen (analog der Empfehlung der
DGAI/BDA zur IMC Besetzung2), ein höherer Personalbedarf ist bei höherer Behandlungsschwere und erweitertem Aufgabenspektrum anzunehmen. Anstatt Pflegekräften können teilweise andere Berufsgruppen, z.B. Notfallsanitäter, eingesetzt werden.
Das eingesetzte Pflegepersonal muss kontinuierlich notfallmedizinisch weitergebildet
werden.
2
https://www.bda.de/docman/alle-dokumente-fuer-suchindex/oeffentlich/empfehlungen/602-intermediate-careentwicklung-definition-ausstattung-organisation-und-moegliche-loesungen/file.html
4
2.
Stufungen
Stufe 0
Krankenhäuser, die die unter 1.) aufgeführten Qualitätsanforderungen nicht erfüllen, nehmen nicht an der Notfallversorgung teil.
Stufe 1
Notfallkrankenhäuser (Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung):
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Notfallkrankenhäuser, die die Qualitätsanforderungen unter 1.) erfüllen
Hauptabteilungen mindestens Innere Medizin und Chirurgie (mit
viszeralchirurgischer und unfallchirurgischer Kompetenz) an einem Standort
Kooperation mit einem spezialisierten, höherstufigen Krankenhaus, um Verlegungen
jederzeit durchführen zu können
Einbindung in telemedizinische Netzwerke für die Notfallmedizin
Stufe 2
Notfallzentren (Krankenhäuser der Schwerpunkt- und Maximalversorgung):
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Notfallkrankenhäuser, die die Qualitätsanforderungen unter 1.) erfüllen
Fachabteilungen mindestens Innere Medizin mit 24/7 Herzkatheter-Bereitschaft, Unfallchirurgie, Viszeralchirurgie, Gefäßchirurgie mit Traumaversorgung mindestens
gemäß den Anforderungen des Traumanetzwerks der DGU als „regionales
Traumazentrum“1, Neurologie mit Stroke Unit, Neurochirurgie, interventionelle Radiologie/Neuroradiologie
Anzustreben sind weitere Fachabteilungen: Gynäkologie und Geburtshilfe, HNO,
MKG, Augenheilkunde, Psychiatrie, Pädiatrie. Bei Nichtvorhandensein der Fächer ist
bei Erstkontakt in der Notaufnahme eine Kompetenz zur Notfallbehandlung vorzuhalten und eine zeitnahe fachärztliche Versorgung organisatorisch sicherzustellen
Vorhaltung von extrakorporalen Verfahren zur Nierenersatztherapie und Temperaturmanagement
Eigener ärztlicher Personalstamm des Notfallzentrums, hierbei mindestens ein Arzt
mit Zusatzweiterbildung "Klinische Notfall- und Akutmedizin" pro Schicht (sobald
bundesweit erwerbbar)
Eigener pflegerischer Personalstamm des Notfallzentrums, hierbei mindestens eine
Pflegekraft pro Schicht mit der spezifischen Weiterbildung „Notfallpflege“
Organisatorisch dem Notfallzentrum angegliederte kurzstationäre Überwachungseinheit mit mindestens 6 Betten und IMC-Standard
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Teilnahme an externen Registern zur notfallmedizinischen Qualitätssicherung (z.B.
bundesweites Notaufnahmeregister)
Bereitstellung spezifischer Versorgungskapazitäten innerhalb planerisch etablierter
telemedizinischer Netzwerke für die Notfallmedizin
Isolationsmöglichkeit in der Notaufnahme mit Schleusung und separatem Zugang
Fachkrankenhäuser für Kinder- und Jugendmedizin mit Vorhaltung von Kinderintensivmedizin, Kinderendoskopie, Kinderchirurgie entsprechen Kindernotfallzentren und
sind ebenfalls der Stufe 2 zuzuordnen
Ohne festgelegte Stufung
Krankenhäuser der notfallmedizinischen Spezialversorgung
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Spezielle Versorgungen, die in der Regel nur an Universitätsklinika und Krankenhäusern der Maximalversorgung zu leisten sind (z.B. spezielle Intoxikationen, Verbrennungen, Replantationen von Gliedmaßen, Versorgung von seltenen Erkrankungen
und speziellen Transplantationspatienten, spezielle hochkontagiöse Erkrankungen,
herzchirurgische Versorgung)
o Die hier aufgeführten speziellen Versorgungen gehen über die Anforderungen
der Stufe 2 hinaus. Diese Versorgungen sind selten und die Patienten werden
häufig nach primärer Versorgung von einem anderen an der Notfallversorgung teilnehmenden Krankenhaus zuverlegt. Die Versorgung erfolgt dann im
Rahmen des Versorgungsauftrages. Die Kosten sollen sachgerecht in den DRG
abgebildet oder über Sicherstellungs- oder auch Zentrumszuschläge vergütet
werden.
Spezielle Versorgungen durch Fachkrankenhäuser, die die Anforderungen der Stufe 1
aufgrund des eingeschränkten Leistungsspektrums nicht erreichen, aber Patienten in
der Regel nach primärer Versorgung von einem anderen an der Notfallversorgung
teilnehmenden Krankenhaus zuverlegt bekommen (z.B. Herzchirurgie, Psychiatrie)
o Die Versorgung erfolgt im Rahmen des Versorgungsauftrages und erfordert
keine gesonderte Vorhaltung
Spezielle Versorgungen durch Fachkrankenhäuser, die die Anforderungen der Stufe 1
aufgrund des eingeschränkten Leistungsspektrums nicht erreichen, aber für eine
primäre Versorgung aufgrund der klaren Symptomatik der Notfallpatienten geeignet
sind (z.B. Augenklinik)
o die Vorhaltungskosten für eine begrenzte primäre Versorgung sind geringer
als in der Stufe 1. Solche Fachkrankenhäuser sollten von dem in Stufe 0 zu
leistenden Abschlag befreit werden.
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