Steckbrief - Inklusion

AWO|INKLUSIV – Praxisbeispiele für eine inklusivere Gesellschaft
Selbstständig Leben mit flexiblem Auffangnetz
Intensiv Betreutes Einzelwohnen (IBEW) Bad Reichenhall
Die Idee
Das Intensiv Betreute Einzelwohnen (IBEW) ermöglicht Menschen mit chronischer psychischer Erkrankung ein Leben in der
eigenen Wohnung – und das auch dann, wenn sie einen vergleichsweise intensiven Betreuungsbedarf haben.
Konzeptionell basiert das Angebot auf einer engen Anbindung
an das stationäre Wohnprojekt »Tiroler Hof«. Auf diese Weise
konnte ein flexibles und gleichzeitig umfassendes Unterstützungsangebot für ein Leben in größtmöglicher Selbstbestimmung realisiert werden.
»In der eigenen Wohnung hat man einfach mehr Selbständigkeit. Aber alleine hätte ich das alles nicht geschafft.«
Eine IBEW-Klientin im Interview
IBEW in der Praxis
Das Intensiv Betreute Einzelwohnen (IBEW) richtet sich besonders an Menschen mit psychischen Erkrankungen, die zuvor in stationären Einrichtungen gelebt haben und nun den Wunsch haben, in eine selbstständigere und eigenverantwortlichere Wohnform überzuwechseln.
Zur Vorbereitung des Übergangs und zum Aufbau der dafür nötigen Alltagskompetenzen bietet das stationäre
Wohnprojekt »Tiroler Hof« das Trainingsprogramm »Neustart«. Nach erfolgreich absolviertem Training wird
gemeinsam nach einer passenden Wohnung gesucht und der Umzug in das neue Zuhause organisiert.
Durch die enge Kooperation mit dem stationären Wohnprojekt können die Menschen im Intensiv Betreuten Einzelwohnen ihre sozialen Kontakte im Wohnprojekt auch nach dem Auszug aufrechterhalten. Zudem
können sie weiterhin auf die Unterstützung der vertrauten Betreuungskräfte zurückzugreifen. Für Krisenfälle
stehen außerdem eine 24-Stunden-Rufbereitschaft und ein Krisenzimmer im »Tiroler Hof« zur Verfügung.
Diese Möglichkeiten schaffen Sicherheit: Das Wohnprojekt bildet für die Klient_innen im IBEW eine dauerhafte Anlaufstation, die in Krisensituationen genutzt werden kann, um sich wieder zu fangen und Stabilität
zu erlangen.
In einigen Fällen wird das IBEW von Menschen von psychischen Erkrankungen auch als Alternative zu einer
drohenden Heimeinweisung genutzt. Hier spielt die durchgängige Erreichbarkeit und die Sicherheit einer
festen Anlaufstation ebenfalls eine entscheidende Rolle.
Das Angebot des IBEW ist dabei bewusst offen angelegt, so dass sich in der Praxis ganz unterschiedliche Nutzungsformen ergeben. Ein Teil der Menschen hält einen recht engen Kontakt zum »Tiroler Hof« und dessen
Bewohner_innen. Bei anderen reduziert sich der Kontakt mit der Zeit immer mehr. Beide Varianten werden
akzeptiert – schließlich geht es im Kern darum, jedem Klienten und jeder Klientin genau die Form von Unterstützung zu bieten, die gewünscht und benötigt werden.
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IBEW als Beispiel inklusiver Praxis
Das Konzept des Intensiv Betreuten Einzelwohnens wurde entwickelt, um auch Menschen mit chronischen
psychischen Erkrankungen und einem hohen Unterstützungsbedarf ein Leben im eigenen Zuhause zu ermöglichen. Im Vergleich zum Leben in einer stationären Einrichtung bietet das IBEW die Möglichkeit, eine
selbstbestimmtere und selbstständigere Form der Lebensführung zu entwickeln. Zudem können soziale Beziehungen jenseits professioneller Betreuungssettings besser aufgebaut und gepflegt werden.
Die eigene Wohnung hat dabei für die Klient_innen unterschiedliche Funktionen: Sie ist einerseits ein sichtbarer Beleg für die Fähigkeit zur selbstständigen Lebensführung und damit wichtig für das Selbstwertgefühl;
andererseits ist sie aber auch ein wichtiger Ausgangspunkt für einen Alltag und soziale Beziehungen jenseits
spezialisierter Einrichtungen für Menschen mit psychischer Erkrankung.
»Man kann auch andere Kontakte mit der Umgebung aufnehmen, wenn man eine
Wohnung hat. (…) Für die eigenen Würde ist das schon auch wichtig.«
Eine IBEW-Klientin im Interview
Gleichzeitig bietet das Angebot des IBEWs ein flexibles Auffangnetz in Krisensituationen. Das Wissen, im
Notfall auf dieses Auffangnetz zurückgreifen zu können, stellt aus der Sicht der Klient_innen wiederum eine
zentrale Voraussetzung dafür dar, um sich selbst eine Wohnform außerhalb der beschützenden Strukturen
eines stationären Angebots zutrauen zu können. In den meisten Fällen ist hier die bloße Möglichkeit, sich im
Bedarfsfall jederzeit Hilfe holen zu können, ausschlaggebend.
Das Konzept des IBEW kann somit als Beispiel für eine sinnvolle Erweiterung der Angebotspalette für Menschen mit chronischer psychischer Erkrankung verstanden werden. Es schließt eine Lücke zwischen stationären Angeboten und ambulanten Betreuungsformen mit geringerem Unterstützungsangebot, wie dem klassischen Betreuten Einzelwohnen (BEW).
Der Leitperspektive »so viel Unterstützung wie nötig, so viel Autonomie wie möglich« entsprechend konnte
auf diese Weise ein Angebot geschaffen werden, das für die Klient_innen ein hohes Maß an Flexibilität bietet. Diese Flexibilität macht es mögliche, eine an die jeweils individuellen Bedürfnisse optimal angepasste
Kombination von Selbständigkeit und Unterstützung zu enwickeln.
»Wenn ich möchte, komme ich her und wenn nicht, dann
bleibe ich zuhause. Es ist nicht so, dass ich muss.«
Ein IBEW-Klient im Interview
Weiter gedacht
Gerade im Bereich der Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen wird immer wieder kritisiert, dass die angebotenen Betreuungsformen noch zu starr organisiert seien und sich zu wenig an den
unterschiedlichen Bedürfnislagen der Betroffenen orientierten.
Das Konzept des IBEW macht in diesem Zusammenhang deutlich, wie eine flexible Weiterentwicklung vorhandener Unterstützungsstrukturen aussehen kann, die sich konsequent an den realen Bedarfen und Bedürfnissen der Menschen mit psychischen Erkrankungen orientiert.
Das Konzept des Trainingsprogramms »Neustart« und das IBEW-Angebot haben sich in der Praxis bewährt
– was sicher auch daran liegt, dass sie gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten im stationären Wohnprojekt »Tiroler Hof« konzipiert und entwickelt worden sind.
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Kontakt
Tiroler Hof und Intensiv Betreutes Einzelwohnen
Sabine Haase (Einrichtungsleitung)
Tel.: 08651 – 716 98 51
E-Mail: [email protected]
Tiroler Str. 12, 83435 Bad Reichenhall
Gemeinnützige GmbH des Projektevereins
www.projekteverein.de
Weitere Informationen zum Projekt
Das IBEW Bad Reichenhall und das stationäre Wohnprojekt »Tiroler Hof« werden von der Gemeinnützigen
GmbH des Projektevereins in München getragen.
Der Projekteverein ist seit 1982 korporatives Mitglied der bayerischen Arbeiterwohlfahrt.
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