Stand: 28.7.2016 Merkblatt Demand Side Management Neues Regelenergieprodukt Erdgas: Demand Side Management für industrielle und gewerbliche Erdgasverbraucher zur Gaskrisenvorsorge Das Niveau der Erdgasversorgungssicherheit in Deutschland ist ausgesprochen hoch. Ausfälle im Netz sind selten und Mangellagen aufgrund von Importproblemen kommen praktisch nicht vor. Zur weiteren Stärkung des Gasmarktes und damit der Prävention von Gasmangellagen wurde auf Initiative des BMWi von den Marktgebietsverantwortlichen ein neues Regelenergieprodukt eingeführt. Dieses ermöglicht Unternehmen ihre Nachfrageflexibilität im Regelenergiemarkt anzubieten, gleichzeitig unerwartete Gasengpässe abzusichern und allgemein zur Versorgungssicherheit beizutragen. Das vorliegende Merkblatt erläutert die zentralen Rahmenbedingungen zur Nutzung des Produktes. 1. Was sind die rechtlichen Grundlagen? Die aktuell gültige EU-VERORDNUNG Nr. 994/2010 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung (SoS-VO) ordnet nachfrageseitigen Maßnahmen, u. a. auch freiwillige Abschaltungen, eine hohe Bedeutung für die Sicherheit der Erdgasversorgung zu, weil sie direkten Einfluss auf das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage haben. Aufgrund dieser Vorgabe in Verbindung mit dem Verweis auf marktbasierte nachfrageseitige Maßnahmen in § 16 Abs. 1 EnWG kann ein solcher Demand Side Management-Mechanismus innerhalb des Regelenergiemarktes entwickelt werden. 2. Welche Risiken bestehen für Unternehmen im derzeitigen System bei Gasmangellagen? Zur Sicherung der Systemstabilität der Erdgasversorgung werden zunächst marktbasierte Maßnahmen nach § 16 Absatz 1 EnWG (v. a. Regelenergie) eingesetzt. Sind diese ausgeschöpft, haben Netzbetreiber deutlich erweiterte Befugnisse, die Systemstabilität zu sichern. Dazu gehört auch, dass industriellen und gewerblichen Gasverbrauchern nach § 16 Abs. 2 EnWG der Gasbezug gekürzt werden kann, um die Systemstabilität aufrechtzuerhalten und die Versorgung der geschützten Kunden (Haushalte) zu sichern. Diese Zwangsabschaltung würde aktuell ohne eine volkswirtschaftlich begründete Reihenfolge und ohne eine finanzielle Kompensation der entstandenen Schäden erfolgen. 3. Was ist der Vorteil eines marktbasierten DSM-Mechanismus für freiwillige Abschaltungen bei industriellen und gewerblichen Gasverbrauchern? Unternehmen können vorab Potenziale zur Lastreduktion ermitteln und diese in Engpassfällen anbieten. Damit erhalten sie Erwartungssicherheit gegenüber der aktuellen Situation in der nicht klar ist, ob und wann im Fall von § 16 Abs. 2 EnWG von Seiten der Netzbetreiber Liefereinschränkungen verfügt werden. Zudem erhalten sie eine ihren Ausfallschäden angemessene Entschädigung (value of lost load) über den Zeitraum des Abrufs eines DSM-Angebotes. Besteht die Mangellage fort, könnte es anschließend auch zu unfreiwilligen Abschaltungen nach § 16 Abs. 2 EnWG kommen, dennoch wären die Vermögensschäden geringer. 1 Stand: 28.7.2016 4. Wie ist das DSM im Regelenergiemarkt eingebunden? Der Regelenergiemarkt verfügt über vier Stufen, die bei Unter- oder Überspeisung der Bilanzkreise nach und nach abgerufen werden. Die in den Stufen versammelten Angebote werden entsprechend ihrer Preise in Merit-Order-Listen (MOL) sortiert. Die Angebote in den MOL der Ränge 1 und 2 werden über die Gasbörsen beschafft. In den Rängen MOL 3 und 4, auf denen auch das DSM-Produkt angesiedelt ist, wird über Ausschreibungsplattformen der Marktgebietsverantwortlichen Regelenergie beschafft. Abbildung 1: DSM im Regelenergiemarkt Quelle: Gaspool 5. Welche Parameter muss das Unternehmen für ein DSM-Angebot erfüllen? Grundsätzlich muss ein Industrie- oder Gewerbekunde lastganggemessen sein (RLM) und eine Mindestabschaltleistung in Höhe von 10 MW/h für den Rest des Gastages anbieten können. Diese Leistung muss innerhalb einer Vorlaufzeit von weniger als 23 Stunden zur Verfügung stehen. Allerdings muss es über den Tagesabruf hinaus im Extremfall über den gesamten Angebotszeitraum (1 Kalendermonat) verfügbar sein – bei entsprechender Kompensation1. Die Entschädigung für die entgangene Wertschöpfung ist rein arbeitspreisorientiert, das heißt, eine Vergütung erfolgt nur im Falle eines tatsächlichen Abrufs. Das sorgt auch dafür, 1 Bis kurz vor Finalisierung des Produktes war eine Begrenzung auf einzelne Tage geplant. Diese lässt sich in Zusammenarbeit mit dem BKV ggf. noch über ein Pooling erreichen. 2 Stand: 28.7.2016 dass das DSM-Produkt stets als letzte Maßnahme auf der MOL 4 im Regelenergiemarkt gezogen wird und nur für Extremfälle zur Anwendung kommt. Die Rahmenbedingungen sind in folgender Tabelle zusammengefasst. Parameter Ausprägung Beschreibung Produktart Rest of the day Abruf am Vortrag für 24h‐Band möglich oder Within‐Day für den Rest des Gastages (entsprechend Vorlaufzeit) Leistungszeitraum 1 Kalendermonat DSM wird i. d. R. als Monatsprodukt kontrahiert, Abweichungen sind im Bedarfsfalle möglich Leistung min. 10 MWh/h, danach in 1 MW/h-Schritten Minimal angebotene Abschaltleistung, ein Pooling kleinerer Leistungen durch den Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) ist möglich Abrufleistung Vollabruf DSM‐Kontrakte werden ausschließlich über die gesamte angebotene Leistung abgerufen (Pooling, also das Aufteilen in Pakete von Seiten der Industrie- oder Gewerbekunden ist möglich) Übergabestelle/ Netzgebiet NCG: HN, HM, HS, LO, LW Gaspool: Nowega, GUD-L, GUD-H, Ontras, Gascade, GTG Lieferort (Standort des Industrie- oder Gewerbekunden mit Leistungsreduzierung) auch im Verteilnetz Preisstellung EURO/Gastag Preis für einen gesamten Abruf(gas)tag, keine Leistungspreiskomponente Vorhaltedauer Leistungszeitraum DSM‐Kontrakte bedingen die Vorhaltung der kontrahierten Leistung während des gesamten Leistungszeitraumes Vorlaufzeit Angabe der Zeit, bis Leistungsreduzierung wirksam wird 1 bis 23 Stunden Beispiel Verfügt ein Unternehmen über einen Industrieprozess, bei dem innerhalb der geforderten Vorlaufzeit eine Leistungsreduktion von 20 MW angeboten werden kann, kalkuliert es die Kosten, die für einen Tag Produktionsausfall, einschließlich Ab- und Anfahrkosten, entstehen. Ergibt sich etwa eine entgangene Wertschöpfung (value of lost load) von 150 EUR/MWh je Stunde Gasausfall, ergeben sich bei 20 MW für einen Tag Kosten in Höhe von 3 Stand: 28.7.2016 72.000 EUR. Diese werden einschließlich der Angaben zu Vorlaufzeit und erneuter Verfügbarkeit von Seiten des Lieferanten/Bilanzkreisverantwortlichen als Angebot an den Marktgebietsverantwortlichen übermittelt. 6. Wie ist der Ablauf im Fall eines Abrufs? Vor Abruf wird vom Marktgebietsverantwortlichen eine Merit-Order-Liste der Angebote erstellt, die auf dem Preis der einzelnen Angebote (und ggf. der möglichen Vorlaufzeit) basiert. Im Fall eines DSM-Aufrufes hat der Anbieter/Industriekunde die angebotene Leistungsreduzierung nach Ablauf der angegebenen Vorlaufzeit bis zum Ende des Gastages bzw. bis zum angegebenen Zeitpunkt im jeweiligen Netzgebiet umzusetzen. Abbildung 2: Abrufprozess Quelle: Gaspool/NCG Nach Beseitigung der Gasmangellage können vom MGV Messdaten angefordert werden, um zu prüfen, ob die Leistungsreduzierung tatsächlich erfolgt ist. Sofern eine angebotene Leistungsreduzierung nicht bzw. nicht vollumfänglich erbracht wurde, erfolgt eine Pönalisierung durch den MGV gegenüber dem Anbieter! Diese wird vermutlich in den Verträgen zwischen BKV und Industrie-/Gewerbekunden festgehalten werden. 7. Wann startet das Produkt? Das Produkt startet, wie geplant, zum Gaswinter 2016/17. Eine Ausschreibung erfolgt zeitgleich jeweils für die einzelnen Monate Dezember 2016 bis März 2017. Insgesamt wird eine 4 Stand: 28.7.2016 Leistung von 11.200 MW ausgeschrieben, die aber auch das zweite MOL-4-Produkt, die Long Term Options, umfasst. Im Gaspool-Marktgebiet beginnt die Ausschreibung am 01.09. und endet am 22.09.2016. Der Zuschlag erfolgt am 29.09.2016. Bei Gaspool werden 1.300 MW ausgeschrieben. Im Marktgebiet NetConnect Germany beträgt die Leistung 9.800 MW, die im Zeitraum zwischen 17.10. und 01.11. ausgeschrieben wird. Der Zuschlag erfolgt hier am 09.11. 8. Wer ist mein Ansprechpartner, wenn ich DSM-Potenziale habe? Ansprechpartner ist der Gaslieferant/Bilanzkreisverantwortliche des Unternehmens. Mit diesem schließt der Gasverbraucher den Vertrag über die Leistungsreduktion. Wenn es zum Abruffall kommt, wird der Kunde vom Lieferanten/BKV informiert und zur Reduktion „angewiesen“. Der Bilanzkreisverantwortliche schließt auch den Vertrag über die Teilnahme am Regelenergieprodukt mit dem Marktgebietsverantwortlichen. 9. Gibt es weitere Vertragsverbindungen für dieses Regelenergieprodukt? Zentrales Bindeglied ist der Bilanzkreisverantwortliche, der zum einen Vereinbarungen mit dem Industriekunden über Teilnahme am DSM trifft und zum anderen die Regelenergie an die Marktgebietsverantwortlichen verkauft (und ggf. vorher poolt). Abbildung 3: Vertrags- und Kommunikationsbeziehungen Quelle: Gaspool/NCG 10. Wie erfolgt die Vergütung? Die Abrechnung und Vergütung erfolgt nach Beendigung der Gasmangellage. Die MGV zahlen die DSM-Kompensationen an den BKV und dieser den Industrie- und Gewerbekunden aus. Eine genaue Regelung steht seitens der Marktgebietsverantwortlichen noch aus. 5 Stand: 28.7.2016 11. Wie wird sichergestellt, dass meine Bereitschaft, zur Versorgungssicherheit beizutragen, nicht zu ständigen Abrufen bzw. Abschaltungen führt? Die Merit-Order-Liste 4 und damit die freiwilligen Abschaltungen werden erst aktiviert, wenn es dem normalen Markt nicht mehr möglich, ist Regelenergie bereitzustellen. Dafür sorgt auch die reine Arbeitspreisvergütung. Entsprechende Aufrufe erfolgen aufgrund der im Gegensatz zu anderen Regelenergieprodukten höheren Arbeitspreise auch in der MOL 4 erst zuletzt. Das bedeutet, dass die Aktivierung des DSM-Mechanismus die letzte Maßnahme ist, bevor Netzbetreiber Maßnahmen zum Erhalt der Systemsicherheit nach § 16 Abs. 2 EnWG und damit ggf. auch unfreiwillige Abschaltungen ergreifen können. 12. Warum ist ein DSM-Mechanismus ein effizientes Instrument für die Versorgungssicherheit – auch in Bezug auf die Kosten für die Gasverbraucher? Mittels der vorab kontrahierten DSM-Angebote kann erheblich Zeit gewonnen werden, bevor auf Abschaltungen im Rahmen des § 16 Abs. 2 EnWG oder gar des Notfallplans zurückgegriffen wird. Die Potenziale können im Engpassfall gesamtwirtschaftlich effizient Reserve-Regelenergie bereitstellen. Da es sich um ein Regelenergieprodukt handelt, wird der reguläre Gasmarkt nicht verzerrt. Umzulegende Kosten für die Gasverbraucher (Unternehmen und Haushalte) entstehen im Gegensatz zu angebotsseitigen Ansätzen nur, wenn tatsächlich eine Gasmangellage eintritt und das DSM-Produkt zur Anwendung kommt, auch weil das Produkt keine Leistungsvergütung enthält. Die Kosten richten sich nach dem Umfang der Gasmangellage und der Menge der abgerufenen DSM-Angebote, d. h. diese Vorsorgelösung ist tendenziell angemessen dimensioniert. Auch diese verbliebenen Kosten werden minimiert, da die Abschaltreihenfolge entsprechend der entgangenen Bruttowertschöpfung (value of lost load) gereiht wird und damit die günstigsten Regelenergieangebote zuerst abgerufen werden. Nicht zuletzt ergibt sich für die DSM-Anbieter mehr Erwartungssicherheit bezüglich ihrer Abschaltung im Fall von Gasmangellagen. Positiv für die Netzbetreiber ist zudem, dass in den betroffenen Gebieten die Entlastung schnell und ohne Transportaufwand zur Verfügung steht. Hinweis: Alle Angaben wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet und zusammengestellt. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Inhalts sowie für zwischenzeitliche Änderungen übernimmt der DIHK keine Gewähr. Ansprechpartner Till Bullmann, DIHK E-Mail: [email protected] Telefon: 030-20308-2206 6
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