File Name: 08_KiTa_MO_2016_07_08_08_AdF_Fluechtlingskinder #PP Stage: 1st Proof Date: 08/06/2016 11:39:20 vorm. (GMT+01:00) Pages: 160 of 162 Kita-manaGEmEnt // FlücHtlinGE »Flüchtlingskinder in der Kita« – Ansätze zur Fortbildung und Begleitung Herausforderungen erfolgreich meistern ■ Im Jahresverlauf 2015 stieg die Zahl der Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten nach Europa flohen, stark an. Dies führte die europäischen Länder und allen voran die Bundesrepublik Deutschland an die Belastungsgrenzen einer humanitären Grundsätzen folgenden Aufnahme. Unter den Flüchtlingen befanden sich viele Familien mit Kindern und Jugendlichen, die mit einiger Verzögerung in den Bildungsinstitutionen Kita und Schule ankommen. Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit den Anforderungen an die Fortbildung und Begleitung der Kita-Praxis als frühkindlicher Bildungsform, damit die Aufnahme von Kindern mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung zu einer Bereicherung für die Kindertageseinrichtung wird. S 160 pätestens seit dem Sommer 2015 zeichnete sich ab, dass sich frühkindliche Angebote der Kindertagesbetreuung sowie das Schulsystem mittelfristig auf die erhöhte Inanspruchnahme durch Kinder mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung einstellen müssen. Insbesondere unter den Bürgerkriegslüchtlingen befanden sich überdurchschnittlich viele Familien – die Zahl aller sich in der Bundesrepublik Deutschland beindlichen ausländischen Kinder bis 10 Jahre belief sich bis zum 31. Dezember 2015 auf ca. 588.800, allein aus den drei Ländern Syrien, Afghanistan und dem Irak kamen annähend 105.200 Kinder.1 »... für viele Familien aus dem nichteuropäischen Ausland ist das Angebot der außerfamiliären Tagesbetreuung unbekannt ...« Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sehen sich Kindertageseinrichtungen als Angebote der außerfamiliären Betreuung vor besondere Herausforderungen gestellt. Einerseits ist die frühzeitige Einmündung der Flüchtlingskinder in das Bildungssystem eine wesentliche Grundvoraussetzung für die dauerhafte und nachhaltige Integration der gesamten Herkunftsfamilie in die bundesdeutsche Gesellschaft. Jedoch bestehen hierzu Vorbehalte und Unsicherheiten – für viele Familien aus dem nichteuropäischen Ausland ist das Angebot der außerfamiliären Tagesbetreuung unbekannt, die Kinder wachsen bis zum Eintritt in die Vor-/ Grundschule größtenteils im häuslichen Kontext auf. Auf der anderen Seite bestehen in den Kindertageseinrichtungen Verunsicherungen und Sorgen im Hinblick auf die }P Volker abdel Fattah, m.a. Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie, referent für Kinder- und Jugendhilfe im aWo landesverband Sachsen e.V. www.kita-management-dresden.de unbekannte Situation der Flüchtlingskinder und die damit in Verbindung gebrachten Anforderungen. Ebenso müssen Vorbehalte und Ressentiments, die in Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft gegenüber Flüchtlingen bestehen, zu einem gewissen Prozentsatz auch beim Kita-Personal als gegeben angenommen werden. Die angedeutete Gemengelage macht deutlich, dass die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingskindern keine Selbstverständlichkeit ist, die unbemerkt durch Angebote der Kindertagesbetreuung aufgefangen wird. Vielmehr bedarf es der kontinuierlichen und auf einen längeren Zeitraum angelegten Begleitung, bis die Betreuung der Kinder als Normalität verstanden und umgesetzt werden kann. Bevor der Beitrag näher auf die Begleitung von Kindertageseinrichtungen eingeht, werden mit den nachfolgenden Grundsätzen die mit der Aufnahme von Flüchtlingskindern verbundenen Aufgabenstellungen verdeutlicht:2 1 Die frühzeitige Einmündung von Kindern mit Flucht- und Migrationshintergrund in das Bildungssystem ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für die dauerhafte und nachhaltige Integration der gesamten Herkunftsfamilie in die bundesdeutsche Gesellschaft. Den Regelangeboten der Kindertagesbetreuung können lexible und niederschwellige Maßnahmen vorgeschaltet werden, um den Einstieg in die frühkindliche Bildung und Erziehung zu ermöglichen. Allerdings können alternative Formen das Regelsystem der Kindertagesbetreuung auf Dauer nicht ersetzen. 2 Die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingskindern ist eine Haltungsfrage. Sowohl auf der personalen Ebene der einzelnen Fach- und Zusatzkräfte wie auf Einrichtungs- und Trägerebene ist es unverzichtbar, dass eine klare Positionierung zur Aufnahme von Flüchtlingskindern diskutiert, festgeschrieben und nach außen kommuniziert wird. Die Kindertageseinrichtung tritt im Innen- und Außenverhältnis klar auf, gibt den Kindern, Eltern und einzelnen Angestellten eine Orientierung und übt eine Vorbildwirkung aus. » Die Grundsätze verdeutlichen die personalen, inhaltlichen und organisatorischen Dimensionen, damit die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingskindern als Normalität des Bildungs- und Erziehungsauftrages verstanden werden kann.« 3 Flüchtlingsfamilien erhalten die gleiche Wertschätzung und Anerkennung, wie diese einheimischen Familien entgegengebracht werden. In ihren Kom- KiTa BW 7-8 | 2016 69325607_KiTa_BW_7-8_2016_Innenteil.indb 160 6/8/2016 11:39:20 AM File Name: 08_KiTa_MO_2016_07_08_08_AdF_Fluechtlingskinder Stage: 1st Proof Date: 08/06/2016 11:39:20 vorm. (GMT+01:00) Pages: 161 of 162 Kita-manaGEmEnt // FlücHtlinGE Q} petenzen und Fähigkeiten werden sie anerkannt und erhalten ein Angebot zur Begleitung, das respektvoll und ressourcenorientiert ist. 4 Die Einrichtung öfnet sich für Flüchtlingsfamilien und schaft eine Willkommenskultur, durch die sich alle Eltern angesprochen und eingeladen fühlen. Dazu werden die bisherigen Eltern der Einrichtung aktiv einbezogen, Ängste und Vorbehalte respektiert und mit der nötigen Wertschätzung diskutiert. 5 Alle Eltern haben die gleichen Rechte und Plichten. Durch die Kindertageseinrichtung erfahren alle Eltern die gleiche Behandlung, kein Elternteil bzw. keine Elterngruppe wird bevorzugt und niemand benachteiligt. 6 Jedes Kind erhält die individuell nötige Zuwendung und hat die gleichen Beteiligungsmöglichkeiten, die allen Kinder zustehen. Kein Kind wird aufgrund seiner Herkunft oder den in seiner Person liegenden Merkmalen benachteiligt. 7 Die Normalität des Bildungs- und Erziehungsauftrages bei Kindern mit Flucht- und Migrationshintergrund setzt die intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern voraus. Diese erhalten die gleichen Beteiligungsund Mitsprachemöglichkeiten wie die einheimischen Eltern, und zwar unabhängig von sprachlichen und kulturellen Verständigungsbarrieren. 8 Die Kindertageseinrichtung öfnet sich konsequent für alle Kinder, in dem eine Kultur der Vielfalt etabliert wird. Diese inklusive Öfnung ist ein längerfristiger Prozess, der durch den Träger begleitet und unterstützt wird. 9 Die Kindertagesbetreuung hat einen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag und ist ein familienergänzendes Angebot. Aus diesem Auftrag ergeben sich die Grenzen in den Handlungsmöglichkeiten einer Kindertageseinrichtung. Für die darüber hinaus gehende Begleitung von Familien vernetzt sich die Einrichtung im Gemeinwesen. 10 Das Kita-Team erarbeitet sich Möglichkeiten und Grenzen, innerhalb derer der frühkindliche Bildungsund Erziehungsauftrag umgesetzt wird. Dies beinhaltet die Schafung eines Bewusstseins für die eigenen Ressourcen, die eingebracht bzw. abgerufen werden können. 11 Die Kindertageseinrichtung stellt sich auf Traumatisierungen bei Flüchtlingskindern ein und entwickelt Handlungsschritte bzw. einen Notfallplan, um traumatisierten Kindern in der konkreten Situation beistehen zu können. Flüchtlingskinder können sich geborgen und sicher fühlen und haben in der Einrichtung die Möglichkeit, in eine normale Kindheit zurückzuinden. Für die eigentliche Traumabehandlung werden die Eltern an Traumatherapeuten empfohlen bzw. vermittelt. Sollte dies nicht möglich sein, so erhalten die Eltern Informationen zu psychologisch besetzten Beratungsstellen, wie z.B. zur Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII. Die Grundsätze verdeutlichen die personalen, inhaltlichen und organisatorischen Dimensionen, damit die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingskindern als Normalität des Bildungs- und Erziehungsauftrages verstanden werden kann. Deren Umsetzung ist ohne Fortbildungen und Angebote an kontinuierlicher Begleitung kaum realisierbar. » Die Reflexion und nachhaltige Veränderung von Einstellungen ist ein längerfristiger Prozess.« Bereits im September 2014 startete im Freistaat Sachsen das Projekt »Willkommens-Kita« in Trägerschaft der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (zunächst 4, später 10 Kindertageseinrichtungen), im November 2015 begann in Sachsen-Anhalt ein vergleichbares Projekt an 20 Standorten mit bis zu 30 Kindertageseinrichtungen.3 Ebenfalls im Verlauf des Jahres 2015 führten Kommunen, Trägerverbände und Landesverwaltungen erste Informations- und Fachveranstaltungen sowie Fortbildungen durch, um die Kita-Praxis in die hematik »Flüchtlingskinder« einzuführen. So war der inhaltliche Schwerpunkt der Jahrestagung des Sächsischen Landesjugendamtes »Die Kindertagesbetreuung für Flüchtlinge und Migranten öfnen – was Fachberatung tun kann und muss« Anfang März 2015 Programm und Botschaft an die Kita-Fachberatung zugleich. Diese und vergleichbare Angebote nahmen mit der Ankunft v.a. syrischer Bürgerkriegslüchtlinge ab dem Herbst 2015 deutlich zu und setzen sich mit entsprechenden Planungen im Jahr 2016 unverändert fort. Öfentliche Fach- und Informationsveranstaltungen dienen vor allem der Positionierung und Impulssetzung. Diese sind im Hinblick auf die zunehmend kontrovers geführten Diskussionen zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unverzichtbar und strahlen vor allem drei Botschaften aus: erstens die Anerkennung des Rechts eines jeden Kindes auf bestmögliche Bildung und Erziehung, zweitens die Position des (öfentlichen bzw. freien) Trägers zur der Aufnahme und Integration von Flüchtlingsfamilien, drittens die Bestätigung der Umsetzung des Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsauftrags durch die Kita-Praxis. » Ein Hinterfragen bzw. gar die Veränderung bestehender Einstellungen, zumal wenn diese verfestigt sind, dürfte damit aber kaum zu erreichen sein.« Fortbildungen für Kita-Träger und Einrichtungen können inhaltliche hemenstellungen und Fragen bearbeiten, die sich bei der Aufnahme von Kindern aus Flüchtlingsfamilien ergeben. Dabei ist insbesondere bei pädagogischen Fach- und Leitungskräften, die über keine Erfahrung im Umgang mit Kindern nichtdeutscher Herkunft verfügen, das Vorliegen jener Grundvoraussetzung entscheidend, die sich als »Haltungsfrage« beschreiben lässt und wesentlich die Qualität des Umgangs mit Heterogenität und Vielfalt bestimmt. Im Kern geht es dabei um die persönliche Sicht- und Herangehensweise mit neuen bzw. ungewohnten Zusammenhängen, die im pädagogischen Handlungsauftrag begründet liegen, als Herausforderung wahrgenommen werden und bei fehlenden Voraussetzungen in Überforderung oder negative Einstellungen umschlagen können. Die Relexion und nachhaltige Veränderung von Einstellungen ist ein längerfristiger Prozess, dem einmalige Impulssetzungen durch Fortbildungen und 1-tägige Informationsveranstaltungen nur in einem geringen Umfang entsprechen können. Auch dürfte es kaum genügen, Sichtweisen und Einstellungen zu hinterfragen, wenn diese Ansätze nur punktuell erfolgen und im Kita-Alltag »verloren« gehen. Zwar bieten Tagungen 161 KiTa BW 7-8 | 2016 69325607_KiTa_BW_7-8_2016_Innenteil.indb 161 6/8/2016 11:39:20 AM File Name: 08_KiTa_MO_2016_07_08_08_AdF_Fluechtlingskinder #PP Stage: 1st Proof Date: 08/06/2016 11:39:20 vorm. (GMT+01:00) Kita-manaGEmEnt // FlücHtlinGE Abb. 1: Regelmäßige Fortbildungen unterstützen ebenso wie Informationsrunden im Team die Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit Flüchtlingskindern in der Kita. 162 Pages: 162 of 162 und Fortbildungen die nicht zu unterschätzende Möglichkeit, die Teilnehmenden durch Wissen, Informationen und Argumente für die Aufnahme von Kindern aus anderen kulturellen, religiösen, ethnischen usw. Zusammenhängen zu sensibilisieren. Ein Hinterfragen bzw. gar die Veränderung bestehender Einstellungen, zumal wenn diese verfestigt sind, dürfte damit aber kaum zu erreichen sein. Auch legen erste Praxisberichte nahe, dass die in Fortbildungen erzielte Motivation und Ofenheit zur hematik bereits nach kurzer Zeit wieder absank. » Ein Ausweg aus dem angedeuteten »Fortbildungsdilemma« ergibt sich mit einem Mix aus Fortbildungen und stetigen Begleitungsansätzen.« rungen zu stabilisieren. daneben können mit der anmoderation bzw. implementierung der methode der kollegialen Beratung auf teamebene die vorhandenen Kompetenzen herausgefordert werden, das team erfährt die möglichkeit zum Kennenlernen der vorhandenen Selbstlösungskompetenzen und damit zur Selbstregulation bestehender Problemlagen. der skizzierte ansatz wird in Sachsen und Sachsen-anhalt mit den WillkommensKitas in trägerschaft der deutschen Kinder- und Jugendstiftung verfolgt und sollte lächendeckend allen Kindertageseinrichtungen, die Flüchtlingskinder aufnehmen, für einen längerfristigen zeitraum zugänglich gemacht werden. die dazu notwendigen inanziellen mittel legitimieren sich bereits aus pädagogischen Gesichtspunkten, mit der erfolgreichen integration der Flüchtlingsfamilien dürften sich diese mittelfristig auch aus ökonomischen Gesichtspunkten auszahlen. ■ Fazit Ein ausweg aus dem angedeuteten »Fortbildungsdilemma« ergibt sich mit einem mix aus Fortbildungen und stetigen Begleitungsansätzen. in Fortbildungen werden grundlegende informationen, fachtheoretische und methodische inhalte vermittelt, die eine Professionalisierung des arbeitsfeldes bei der Bildung und Erziehung von Kindern mit heterogenen Herkunftsmerkmalen sicherstellen. diesen Wissenszuwachs gilt es, in der Begleitung der Praxisarbeit und bei der Erprobung des erworbenen Wissens zu verankern. aus methodischer Sicht bieten sich dazu einerseits Supervision und coaching an, um innerhalb eines Kita-teams und auf der personalen Ebene der einzelnen Fachkräfte relexionsprozesse zu ermöglichen und initiierte Einstellungsände- }P HINWEIS: lesen Sie mehr zum thema in »Flüchtlingskinder in der Kita. Praxishandbuch zur aufnahme von Kindern mit Fluchtund migrationshintergrund«, erschienen im carl link Verlag von Volker abdel Fattah. Fußnoten 1 2 3 Statistisches Bundesamt: Ausländische Bevölkerung. Fachserie 1 Reihe 2/2015. Wiesbaden, 2016, Tabellen 4 und 8. Link: https://www.destatis.de/DE/ Publikationen/hematisch/Bevoelkerung/MigrationIntegration/ AuslaendBevoelkerung.html (Abruf am 25.04.2016). Abdel Fattah, Volker (2016): Flüchtlingskinder in der Kita. Praxishandbuch zur Aufnahme und Betreuung von Kindern mit Flucht- und Migrationshintergrund. Kronach, S. 111 f. https:// www.dkjs.de/ themen/ alle- programme/ willkommenskitas/ (Abruf am 25.04.2016). }P diSKUSSionSForUm Wie sieht Ihr Kita-Alltag aus? Beschäftigen Sie derzeit akute Probleme und schwierige Situationen? Möchten Sie mir von interessanten Projekten aus Ihrer Einrichtung berichten? Ich interessiere mich dafür! Teilen Sie mir Ihre Erfahrungen mit: … per E-Mail: [email protected] … auf unserer facebook-Seite: www.facebook.de/kitaaktuell Gerne können Sie auch meine Redaktionssprechstunde für den persönlichen Austausch nutzen: Tel. 0221-94373-7614 (Mi 14–15 Uhr). Ich freue mich auf Ihre Meinung! Ihre Angela Ott KiTa BW 7-8 | 2016 69325607_KiTa_BW_7-8_2016_Innenteil.indb 162 6/8/2016 11:39:21 AM
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