E. Bronfen: Mad Men 2016-3-057 Bronfen, Elisabeth - H-Soz-Kult

E. Bronfen: Mad Men
2016-3-057
Bronfen, Elisabeth: Mad Men. Zürich: diaphanes 2016. ISBN: 978-3-03734-486-6; 160 S.
Rezensiert von: Anette Kaufmann, TVProduzentin, Köln
Elisabeth Bronfens Monographie über die
AMC-Fernsehserie MAD MEN1 ist 2016 im
Verlag diaphanes erschienen.2 In bisher 14
Bänden widmen sich in der Reihe „booklet“
Kulturwissenschaftler, Publizisten und mit
Dominik Graf auch ein Regisseur der Analyse amerikanischer Quality-TV-Serien. Man
wolle nachliefern, „was in den DVD-Boxen
fehlt: Lektüren zur Serie“3 , heißt es in der
Verlagsinformation. Bronfen, Professorin für
English and American Studies an der Universität Zürich, betont, dass sie ihre Lektüre von
MAD MAN „dezidiert über den archetypischen amerikanischen Hochstapler Don Draper“ aufgerollt habe (S. 23). Auf der Basis
genauer, von sympathischer Leidenschaft für
die Serie getragenen Beobachtungen beleuchtet sie in sieben Kapiteln Aspekte des ‚amerikanischen Traums’.
Im Kapitel „Der Schwindel des amerikanischen Traums“ widmet sich Bronfen dem Vorspann der Serie: Eine stilisierte Silhouette der
männlichen Hauptfigur stürzt, nachdem sich
der Boden des Büros unter ihren Füßen aufgelöst hat, an einer Hochhausfassade hinab in
die Tiefe. Doch anstatt am Boden zu zerschellen, sitzt Don Draper am Ende wohlbehalten,
eine Zigarette in der Rechten, in einem Sessel. Die Interpretation, „der fallende Don Draper [sei] als klassischer Archetypus des sich
stets neu erfindenden amerikanischen Helden zu verstehen“ (S. 18), ist schlüssig. Allerdings wage ich (aufgrund meiner Kenntnis
des Entwicklungs- und Produktionsprozesses
von Fernsehserien sowie der Teilnahme an einem Workshop mit MAD MEN-Autorin Lisa
Albert4 ) zu bezweifeln, dass alles, was Bronfen der 30 Sekunden dauernden animierten
Titelsequenz sonst noch an Bedeutung zuweist, darin enthalten oder jedenfalls intendiert ist. Bezogen auf ein Detail halte ich die
Interpretation des Vorspanns auch für unzutreffend bzw. kann sie nicht nachvollziehen.
An den Objekten, die der stilisierte Don während seines Sturzes passiert, ließe „sich sein
Begehren festmachen: knapp bekleidete Ver-
führerinnen, [. . . ]“ (S. 10). Solche Verführerinnen spielen jedoch, zumindest ist das meine
Wahrnehmung, im Verlauf der Serie in Drapers ‚Beuteschema‘ keine Rolle. Angefangen
bei Midge, einer Künstlerin, über die jüdische
Kaufhaus-Erbin Rachel Menken bis zur Dos
Passos lesenden Kellnerin Diana in der letzten Staffel sind seine Geliebten reifere, eher intellektuelle Frauen, während die beiden Ehefrauen Betty und Megan einen kindlicheren
Typus verkörpern.
Die Essenz von Bronfens Ausführungen
zum Vorspann kann man bereits in einer im
September 2011 in der Schweizer Filmzeitschrift „filmbulletin“ veröffentlichten Kritik
nachlesen: „Ominös und zugleich perfekt gezeichnet, verdichtet sich in diesem Bild das
Leitmotiv von MAD MEN. Die vertraute Welt
kann sich jederzeit auflösen, dennoch landet
Don Draper immer wieder auf seinen Füssen.“5 Ein Befund, der sich in allen weiteren
Staffeln bis ins Finale der Serie bestätigt. Die
frühe Kritik enthält im Zusammenhang mit
dem Vorspann auch einen Verweis auf den
Einfluss von Hitchcock und des klassischen
Hollywoodkinos, den ich im Buch vermisst
habe. Wie ich mir überhaupt eine stärkere Beachtung der filmhistorischen Referenzen gewünscht hätte.
Im Kapitel „We’re Selling America“ spürt
Bronfen der (Wort-)Bedeutung des Pitche(n)s
nach. Das Pitchen – die „‚Überredung zum
Kauf’“ (S. 37) – bildet gewissermaßen den
Kern des Werber-Geschäfts, das Draper und
die anderen ‚Mad Men’ (und Women) betreiben. Allerdings existiert diese Tätigkeit gänzlich unabhängig von dem dafür verwendeten
Begriff (über dessen tatsächlichen Gebrauch
in den 1960er-Jahren ich leider keine zuver1 Sieben
Staffeln mit insgesamt 92 Episoden, Erstausstrahlung in den USA: 19.07.2007–17.05.2015.
2 Unter dem Titel „Mad Men, Death and the American
Dream“ ist das Buch auch in englischer Sprache erhältlich.
3 Diaphanes:
booklet, <http://www.diaphanes.net
/reihe/detail/33> (07.06.2016).
4 Gemeinsamer Workshop der Autorin und Produzentin
Lisa Albert und der Dramaturgin Rachel O’Flanagan
„Case Study MAD MEN“ vom 12.–14.10.2015 an der
Internationalen Filmschule Köln
5 Elisabeth Bronfen: Eine Magnificent Obsession, in:
filmbulletin 6 (2011), <http://www.filmbulletin.ch
/full/artikel/2011-9-28_mad-men-eine-magnificentobsessionn/> (29.05.2016).
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lässigen Quellen gefunden haben), sodass ich
Bronfens Überlegung, „dass das Wort ‚pitch‘
[. . . ] eine Vielzahl an semantischen Bedeutungen in sich vereint, die in den vielen PitchSzenen in MAD MEN mitschwingen“ (S. 37)
für wenig überzeugend halte.
Ebenso wenig überzeugt hat mich der Versuch, im Kapitel „Jenseits des Glücksprinzips“ den Vornamen des männlichen Protagonisten in ihre Interpretation einzupassen. Im
Zusammenhang mit dem von ihm ‚gestohlenen’ Namen Don(ald) Draper hebt Bronfen
die phonetische Ähnlichkeit zwischen „Don“
und „dawn“ (Morgenröte) hervor und leitet
daraus einen Verweis ab „auf jenes Vorwärtsstreben, das der amerikanische Traum emphatisch propagiert“ (S. 65). Wenn schon dem
angenommenen Vornamen und dem „confidence game“ (S. 23) eine so große Bedeutung zugemessen wird, verwundert es, dass
eine andere, viel naheliegendere NamensParallele unerwähnt bleibt: Richard ‚Dick’
Whitman, wie Draper eigentlich heißt, trägt
den gleichen Vornamen wie Nixon (aka „Tricky Dick“). Nicht nur bildet dessen Aufstieg
zum Präsidenten, von der ersten, gescheiterten, Kandidatur im Jahr 1960 bis zum Wahlerfolg 1969, gewissermaßen eine Klammer aller
Staffeln – der Präsident, der im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg den Begriff der
„madmen theory“ benutzte, musste 1974 wegen seiner Lügen in der Watergate-Affäre zurücktreten.6 Daniela Sannwald stellt in ihrer
Monographie „Lost in the Sixties“7 den Vornamen Don übrigens in den Bedeutungskontext „der mächtige Herrscher, der Herr und
der Fachmann zugleich“ (S. 105) und ordnet
die Bedeutung, die Bronfen mit dem Vornamen des Protagonisten verknüpft, der afroamerikanischen Sekretärin Dawn Chambers
zu (S. 124). Einig sind sich beide Autorinnen in der Lesart des Nachnamens Draper
(to drape = abdecken, behängen) als Hinweis
auf den „Verstellungsakt“ (S. 65; und Daniela
Sannwald, S. 105).
Zum Thema Namensfindung sei ein Hinweis aus der Produktionspraxis gestattet:
Fiktionale Charaktere benötigen einen Namen, über dessen Auswahl man sich als Autor/Produzent/Showrunner selbstverständlich Gedanken macht. Ich schaue mir zum
Beispiel immer Listen mit beliebten Vorna-
men des angenommen Geburtsjahres an. Für
das Jahr 1926, das Sannwald als Dick/Dons
Geburtsjahr datiert (S. 104), findet man auf
einer Hitliste männlicher Babynamen8 die
Namen Richard (strong ruler) und Donald
(proud chief, world ruler) auf den Plätzen 7
und 9.
Weitere Kapitel-Themen in Bronfens Buch
sind „Heterotopie Fahrstuhl“, Kriegsspuren
und die Mondlandung. Im abschließenden
Kapitel „Going to Commercial“ widmet sie
sich dann den beiden letzten Folgen der Serie
und dem original Coca-Cola-Werbespot aus
dem Jahr 1971 als Schlusspunkt. Wie in allen
Bänden der Reihe, gibt es am Ende fünf sogenannte „Anspieltipps“, in denen jeweils eine
Folge gesondert vorgestellt wird, sowie eine
Seite mit filmografischen Angaben.
Im Unterschied zu der bereits 2014, vor
der Ausstrahlung der letzten Staffel, im Verlag bertz + fischer erschienenen Monographie
von Daniela Sannwald oder dem Aufsatz von
Elisabeth K. Paefgen9 kann Elisabeth Bronfen
den gesamten Erzählbogen in ihre Analyse
einbeziehen. Allerdings wurde der Serie bereits während der Ausstrahlung viel publizistische Aufmerksamkeit in Print- und OnlineMedien zuteil. Und da anlässlich des Serienfinales in den USA am 17. Mai 2015 in zahlreichen Tages- und Wochenzeitungen umfangreiche Kritiken und Analysen erschienen sind,
sind auch Gedanken zum Ende und dem ‚gro6 Vgl.
hierzu z.B. Alyssa Rosenberg: On ‘Mad Men,’ Richard Nixon is the key to understanding Don Draper,
in: The Washington Post, 14.04.2014. <https://www.
washingtonpost.com/news/act-four/wp/2014
/04/14/on-mad-men-richard-nixon-is-the-key-tounderstanding-don-draper/> (29.05.2016).
Wiederholte Hinweise auf Nixon finden sich auch
in einem Gespräch zwischen Matthew Weiner und
A.M. Holmes, auf das sich Elisabeth Bronfen mehrfach bezieht (S. 17, 138, 146, 150f.), einzusehen unter
<http://www.nypl.org/events/programs/2015/05
/20/matthew-weiner> (29.05.2016).
7 Daniela Sannwald, Lost in the Sixties. Über MAD
MEN, Berlin 2014.
8 Baby Center Expert Advice (Hrsg.): Popular Baby Names for 1926, <http://www.babycenter.com
/popularBabyNames.htm?year=1926> (09.06.2016).
9 Elisabeth K. Paefgen, Sad Men and Women. MAD
MEN als Studie in Traurigkeiten, in: Claudia Lillge /
Dustin Breitenwischer / Jörn Glasenapp / Elisabeth K.
Paefgen (Hrsg.), Die neue amerikanische Fernsehserie.
Von TWIN PEAKS bis MAD MEN, Paderborn 2014,
S. 303–327.
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E. Bronfen: Mad Men
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ßen Serien-Ganzen‘ nicht grundsätzlich neu.
Abschließend lässt sich festhalten, dass
sich Elisabeth Bronfens kulturphilosophische
Ausführungen, die unter anderem Verweise
auf Roland Barthes, Stanley Cavell, Michel
Foucault, Ralph Waldo Emerson und Alexis
de Tocqueville enthalten, als Lektüre-Angebot
vor allem an ein Publikum mit Interesse am
akademischen Diskurs richten dürften. Der
Erkenntnisgewinn für Leserinnen und Leser,
die etwas über erzählerische und filmische Eigenheiten oder die Produktionshintergründe
der Serie erfahren möchten, ist hingegen eher
gering.
HistLit 2016-3-057 / Anette Kaufmann über
Bronfen, Elisabeth: Mad Men. Zürich 2016, in:
H-Soz-Kult 21.07.2016.
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