Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität U i ität R Regensburg b Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte INDUSTRIELLE REVOLUTION UND HOCHINDUSTRIALISIERUNG 1800 – 1914 SOMMERSEMESTER 2009 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 A Das Zeitalter der Industriellen Revolution g 1 Einführung 2 Die englische Industrielle Revolution im Überblick 3 Die Industrielle Revolution in Deutschland 3.1 Strukturveränderungen 3.2 Determinanten der Industriellen Revolution 3.2.1 Rechtssicherheit und persönliche Freiheitsrechte 3.2.2 Wirtschafts- und Sozialreformen 3.2.3 Technische Innovationen 3.2.4 Ressourcen 3.3 Der Verlauf der Industriellen Revolution 3.4 Vorindustrieller Lebensstandard 3.5 Wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen 2 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 B Die Phase der Hochindustrialisierung g 1 Einführung 2 Theoretische Grundlagen 3 Der gewerbliche Sektor 3.1 Die Schwerindustrie 3.2 Die Metallindustrie 3.3 Die chemische Industrie 4 Der Dienstleistungssektor 4.1 Geld, Währung, Banken 4.2 Binnen- und Außenhandel 5 Das öffentliche Finanz- und Steuersystem 3 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 1. Einführung Was ist „eine“ oder „die“ industrielle Revolution? Es hat bisher viele „industr. Revolutionen“ gegeben: England, Frankreich, Belgien, Deutschland, USA, Italien, Japan, Spanien, Taiwan, Russland usw. Tatsache ist: Es hat bisher in vielen Ländern eine Industrialisierung stattgefunden zu unterschiedlichen Z it und Zeiten d mitit unterschiedlicher t hi dli h Dauer. D A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 4 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Gemeinsamkeit: g g Prozess ((keine kurzfristige g „„Revolution“); ); Es war in allen Ländern ein ziemlich langfristiger meistens über mehrere Jahrzehnte. Es gibt trotz aller Unterschiede charakteristische Gemeinsamkeiten, bestimmte Merkmale, bestimmte Faktoren. Diese Faktoren determinieren den langfristigen Prozess einer IR: a) Rechtssicherheit und persönliche Freiheitsrechte b) Wirtschafts- und Sozialreformen c)) Technische T h i h N Neuerungen d) Ressourcen ((vor allem Arbeitskräfte,, Unternehmertalente,, Kapital, p , Rohstoffe)) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 5 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die unterschiedlichen Industrialisierungen g in den einzelnen Ländern ergeben g sich,, weil: − die Faktoren a) bis d) quantitativ und qualitativ unterschiedlich sind − diese Faktoren unterschiedlich zusammentreffen Zum Problem der technischen Neuerungen (Inventionen): Sie werden häufig als Kern der Industrialisierung gesehen, weil ... es während der englischen IR spektakuläre Erfindungen (= technische Neuerungen) gegeben hat (Dampfmaschine, Spinnmaschine, mechanischer Webstuhl) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 6 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Aber: g so stark entscheidend? Waren diese Erfindungen Tatsache: Es gab auch früher spektakuläre Erfindungen (vor dem 18. Jh.) Wie ist die (vorwiegend europäische) IR des 18./19. Jahrhunderts weltgeschichtlich einzuordnen? Wie und welcher Art waren vorher und nachher die Erfindungen? A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 7 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die zeitliche Abfolge der technischen Entwicklung: a)) 8000 v.Chr. bis 2500 v.Chr.: b) 2500 v.Chr. bis 500 n.Chr.: c) bis 1200 n.Chr.: Erneuter technischer Aufschwung bis 2009 ... : Verstärkter technischer Aufschwung 600 n.Chr. d) 1300 „„Erste Technische Revolution“ Technologischer (fast) Stillstand (in verschiedenen Bereichen) „Zweite Technische Revolution“ Zu a) 8000 v.Chr. bis 2500 v.Chr. Diese „erste technische Revolution“ beginnt in der Landwirtschaft Es wurden alle grundlegenden landwirtschaftl. Verfahren entwickelt, einschließlich Bewässerung A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 8 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Erfindung des Hakenpfluges: Kreuzweises Pflügen, nur Aufkratzen des Bodens quadratische Felder → q Beginn der Herstellung von Textilien, keramischer Waren, Metalle Gärungstechnik für Brot und Bier Erfindung des Räderkarrens, des Segelschiffes, des einfachen Geschirrs für Tiere Anfänge des Bergbaus, Metallgewinnung und –verarbeitung Pyramidenbau durch neue Formen des Arbeitseinsatzes Resultat: Übergang von der Barbarei zur Zivilisation A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 9 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Zu b) 2500 v.Chr. bis 500 n.Chr. Nahezu völliges Erliegen des technischen Fortschritts Einige wichtige Erfindungen und Verbesserungen, z.B.: Um 1400 v.Chr.: Kenntnisse über Gewinnung und Bearbeitung von Eisen Um das Jahr 0: Erfindung des Wasserrads (Verwendung zum Getreidemahlen) Erfindung der Schraube Insgesamt war der technische Fortschritt gering Es gab aber einen anderen großen Fortschritt: KULTUR A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 10 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Entstehung der Hochkulturen im Orient und in Alt-China Orient: ca. 3000 – 1900 v.Chr. China: ca. 3000 – 1100 v.Chr. Griechische Kultur: ab ca. 3000 v.Chr. ⎯ Die ersten olympischen Spiele: ⎯ Klassische griechische Kultur: ? 776 v.Chr. 480 – 320 v. Chr. ⎯ Dichtung, Geschichtsschreibung, Bildhauerei, Baukunst ⎯ Medizin (Hippokrates, 470 – 406) ⎯ Philosophie: Sokrates 469 – 399 Platon 427 – 347 Aristoteles 384 – 322 A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 11 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 um 1200: Anfänge g der jjüdischen Religion g um 1100: Entwicklung der alphabetischen Schrift (durch die Phönizier Grundlage aller modernen europäischen Schriften) um 650: Erste Münzen (Kleinasien, Griechenland) um 500: Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus um 200 n.Chr.: Entwicklung der christlichen Religion um 520: Mathematik in Indien (Dezimalsystem) Kennzeichen der Zeit 2500 v.Chr. – 500 n.Chr.: Relativer technologischer Stillstand Großer kultureller Fortschritt A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 12 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Zu c)) 600 n.Chr. bis 1200 n.Chr. Ab dem 6. Jh. Verbreitung der Getreidemühle (Wasserantrieb) Erfindung des Radpfluges: Feldform lange Streifen (nicht mehr quadratisch) Was war die Konsequenz? Zerstörung bisheriger Feldmarkierungen und persönlicher Besitzrechte (Radpflug deshalb vor allem in bislang unbebauten Gebieten) Verbessertes Pferdegeschirr um 900 n.Chr. (4 - 5 mal mehr Last möglich) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 13 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Seit dem 11. Jh. vielfältiger g Einsatz der Wasserkraft ⎯ Schmiedehämmer ⎯ Walken von Tuch ⎯ Blasebalg für die Metallverarbeitung ⎯ Wasser schöpfen, Bewässerung ⎯ Papiermühlen, Drehbänke um 1350: Einsatz der Wasserkraft zum Betrieb fast jeder Maschine (= allgemeine Verbreitung) um 1200: Aufkommen der Windmühle A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 14 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Universität Regensburg Zu d) 1300 n.Chr. bis 2009 ... Verstärkter technischer Aufschwung in vielen Bereichen Schiffsbau und Verkehrswesen 12. Jh.: Schiffskompaß 13. Jh.: Steuerruder am Schiffsende (Achtersteven) → wesentlich bessere Steuerung → rasche Entwicklung der Takelung 14. Jh.: Kanalschleuse 1450: „Vollschiff“ (Kombination des nordeuropäischen mit dem mediterranen Schiffsbau) (mehrere Masten, mehr und größere Segel, größeres Volumen, stabiler, schneller) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 15 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 „Maschinenbau“ 13. Jh.: Spinnrad p ((seit ~ 8000 v.Chr. Handspindel) p ) Verbesserter Webstuhl (seit der Antike) ~ 1440: mechanischer Buchdruck von Johannes Gutenberg (Informationstechnologie!) Erst jetzt war Papierdruck massenhaft möglich Papier: chinesische Erfindung Ausbreitung im islamischen Raum (8. Jh.) Aber: Dort keine mechanische Produktion (von Papier) Erste Papierherstellung in Europa: 1276 und 1280 mit Wasserkraft (Papierbrei) → starke Senkung des Papierpreises! A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 16 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Zum Vergleich: g Eine große Bibel aus Pergament „brauchte“ 200 – 300 Schafe Billiges Papier war die Voraussetzung für den mechanischen Buchdruck (die Druckmaschinen waren teuer) Ohne mechanischen Buchdruck waren die Bücher sehr teuer: ~ 1440 Für sein gesamtes Jahresgehalt konnte sich in Italien ein Jura-Professor ... 2 Bücher der Rechtskunde kaufen, ein Medizin-Professor ... 10 medizinische Bücher kaufen A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 17 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Erst der mechanische Buchdruck sparte teure Arbeit und öffnete einen riesigen Markt → Informations-Revolution Mechanisierung Um 1200 entwickelte sich in Europa eine Leidenschaft für die Mechanisierung (in keinem anderen Kulturkreis) 1204: Sägemühle (Normandie) 1251: Mühle zum Senfmahlen (Florenz) 1348: Farbenmühle (Artois) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 18 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Im 15. Jh. waren in jeder großen Gewerbestadt alle wichtigen Gewerbe mechanisiert, z.B.: ⎯ Getreide mahlen ⎯ Kupfertöpfe, Waffen produzieren, Waffen polieren ⎯ Seide spinnen ⎯ verschiedene Geräte schleifen ⎯ Bretter sägen Mechanisierung mit Wasserkraft Europa: Gewerbliche Kapazität und Können (know how) weltweit überlegen Größter Triumph der Maschinenkonstruktion war ... die mechanische Uhr A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 19 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Um 1330 technische Lösung (Stab- und Radhemmung) → explosionsartige Ausbreitung 1364: Uhr von Giovanni de Dondi (Pavia, Padua, Professor für Medizin und Astrologie) „Meisterleistung der Menschheit“ Uhr und Planetarium und ewiger Kalender (Hunderte beweglicher Metallteile) → Beschleunigung der technischen Entwicklung und Verbreitung → Europa gewann einen riesigen technologischen Vorsprung (vorher vielleicht China führend) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 20 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Symbolisch für den europäischen Erfindergeist: 1260: g Bacon ((engl. g Franziskanerpater) p ) Roger sieht Automobile, Unterseeboote, Flugzeuge voraus Mechanisierung bedeutete: Verbindung grundlegender Elemente, z.B.: Kurbel, Pedal, Treibriemen Seit ~ 1400 Abflauen der Erfindungswelle 18. Jahrhundert: Beschleunigung der Erfindungen 1763 – 1784: Wesentliche Verbesserung der Dampfmaschine durch James Watt (vorher Entwicklung durch Newcomen nach einem Patent von Savary 1698) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 21 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg 1767: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Erfindung g der Spinnmaschine p („ („spinning p g Jenny“) y ) durch James Hargreaves 1775: Wesentliche Verbesserung durch Arkwright 1785: Erfindung des mechanischen Webstuhls (Cartwright) Technische Entwicklung während der Industriellen Revolution also nur eine Phase einer längeren Entwicklung Lange nach 1800: Mehr Wasserkraft als Dampfkraft in Industrieanlagen A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 22 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 2. Die englische Industrielle Revolution im Überblick Vorher: Technische Revolutionen 8000 v.Chr. – 2.500 v.Chr. 600 n.Chr. – über die Gegenwart hinaus Für eine industrielle Revolution mussten mehrere Umstände zusammentreffen. Bestimmte Umstände neue Produktionsweise → langfristiger Strukturwandel der Wirtschaft A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 23 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Struktur der Wirtschaft: ⎯ Land-/Forstwirtschaft (I) ⎯ Verarbeitendes Gewerbe (II) ⎯ Dienstleistungssektor (III) Strukturwandel: Überproportionales Wachstum des sekundären Sektors, speziell der Industrie (weniger des Handwerks) ⇒ sektoraler kt l Strukturwandel St kt d l A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 24 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Strukturwandel in England: g Innerhalb des sekundären Sektors wuchs plötzlich die Baumwollindustrie 1780 – 1790: Dramatische Beschleunigung der Baumwollindustrie in Lancashire ∅ jährliche Wachstumsrate 13 % zum Vergleich: Eisenindustrie ∅ jährliche Wachstumsrate 1790 – 1810: 6-8 % Aber: Baumwoll- und Eisenindustrie bestanden noch lange nicht aus „gigantischen“ Fabriken; eher kleine Betriebe (aber viele) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 25 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Noch lange g traditionelle Energie g ((Wasserkraft)) Nur langsamer, allmählicher Einsatz der Dampfmaschine Erstmaliger Einsatz in der Baumwollindustrie 1786 (Zufällig, weil der 5. Lord Byron einer Fabrik den Wasserzufluss sperrte.) Lange nach 1800: Wesentlich mehr Wasserkraft als Dampfkraft in Industrieanlagen Zwischenergebnis für die gesamte Industrie: Im ersten Abschnitt der Industriellen Revolution (1780 bis ~ 1810): Einsatz von mittelalterlichen itt l lt li h E Energiequellen i ll A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 26 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Eine g gewisse Ausnahme bildete die Baumwollindustrie: Kombination: 1. Energiequelle Dampf (Dampfmaschine), relativ früh 2. Maschinentechnische Innovationen (z.B. mechanischer Webstuhl) 3. Arbeitsorganisatorische Neuerungen Aber: Es musste eine wichtige Voraussetzung gegeben sein → eine expandierende Nachfrage Aus diesen beiden Faktoren 1. Kombination ... 2. expand. Nachfrage entstand die mechanische Fabrik A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 27 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Anders formuliert: Industrialisierung der Baumwollindustrie = effiziente Nutzung ökonomischer Ressourcen Was ist eine „ökonomische Ressource“? Das hängt von verschiedenen Faktoren oder Umständen ab, z.B. vom Entwicklungsstand eines Landes Beispiel: Bevölkerungswachstum negativ bei niedrigem Entwicklungsstand positiv bei höherem Entwicklungsstand E l d England: Die ökonomischen Ressourcen hatten Ende des 18. Jahrhunderts eine günstige Konstellation A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 28 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3. Die Industrielle Revolution in Deutschland 3.1. Strukturveränderungen Beschäftigtenanteile in den drei Wirtschaftssektoren (in %): Landwirtschaft Industrie/Handwerk Dienstleistungen 1800 62 21 17 1871 49 29 22 - 13 +8 +5 Differenz A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 29 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Beschäftigtenanteile g im g gewerblichen Sektor ((in %)) Verlag Handwerk Industrie 1800 43 50 7 1873 21 46 33 - 22 -4 + 26 V l Verlag H d Handwerk k I d ti Industrie 1800 43 50 7 1835 43 46 11 1850 39 45 16 1873 21 46 33 Diff Differenz A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 30 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ergebnis: g Der Verlauf der Industrialisierung war nicht linear 1800 – 1835: sehr langsame Entwicklung 1835 – 1850: spürbare, deutliche Entwicklung ⎯ Der Kapitalstock ist gestiegen ⎯ Die Investitionsquote erhöhte sich von ca. 5 % auf ca. 8 % ΔY I I = : Y Y ΔY A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 31 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Ab 1850: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 rasche,, allgemeine g Industrialisierung g ⎯ Eisenbahnbau ⎯ Eisen- und Stahlindustrie ⎯ Bergbau (Steinkohle, Erz) ⎯ Hüttenindustrie ⎯ Textilindustrie ⎯ Maschinenbau ⎯ Banken (vorher Privatbankiers) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 32 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3.2. Determinanten der Industriellen Revolution Die entscheidenden Determinanten trafen in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen 3.2.1. Rechtssicherheit und persönliche Freiheitsrechte Was war vorher? Feudalismus (bis ca. 1800) Feudalismus: Leibeigenschaft (serfdom) Dorfordnungen (z.B. gemeinsame Nutzung der Weide) Stadtrechte (z.B. Verleihung des Bürgerrechts, Heiratsverbote) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 33 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Feudalismus bedeutet: Regelung g g des täglichen g Lebens Der einzelne Mensch hatte seinen festen Platz in der Gesellschaft Form der Gesellschaft: Der Absolutismus (seit ca. 1648) beginnt den Einzelnen aus diesen Bindungen zu lösen Grund: Der Fürst wollte einen direkten, unmittelbaren Untertan A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 34 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Aufklärung g im 18. Jahrhundert schafft u.a. die Menschenrechte ((Naturrechte)) Die Freiheit ist die höchste Norm Immanuel Kant (1724 – 1804): „Freiheit ist die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ John Locke (1632 – 1704): Staat → Rechtsstaat = Schutzinstitut für die natürlichen Rechte A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 35 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 David Hume ((1711 – 1776): ) Politischer und wirtschaftlicher Liberalismus Der Staat übernimmt ein unbeschränktes Gesetzgebungsrecht Preußen: 1794 Preußisches Allgemeines Landrecht Wie sahen die konkreten (politischen) Maßnahmen aus, um persönliche Freiheitsrechte und Rechtssicherheit herzustellen? A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 36 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 a)) Rechtssicherheit ⎯ langfristiger Prozess der staatlichen Gesetzgebung Mittelalter → Merkantilismus (17./18. Jh.) → Aufklärung (18. Jh.) → Liberalismus (19. Jh.) ⎯ im wirtschaftlichen Bereich: frühe Rechtssicherheit durch Kaufmannsrecht, z.B. Zahlungsmodalitäten, Rechte und Pflichten aus dem Wechsel (14. Jh.) Diese Normen und Regeln gingen allmählich in die staatlichen Gesetze ein (z.B. in das Handelsgesetzbuch) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 37 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 b)) Persönliche Freiheitsrechte 1770 – 1800: Aufhebung verschiedener feudaler Bindungen 1807 (Preußen): Gesetzliche Beseitigung der Leibeigenschaft (= Ende des Feudalismus) Was gehörte zu diesen Bindungen? A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 38 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 1. Rechtliche Bindungen g ⎯ Abhängigkeitsverhältnis zum Grundherrn (= persönliche Unfreiheit) z.B. Bauer gehörte zum „lebenden Inventar“ ⎯ Beschränkte Verfügungsgewalt des Bauern über den Boden (dominium utile); der Bauer hatte nur ein Nutzungsrecht, kein Eigentum ⎯ Hoheitliche Rechte: Polizeigewalt und niedere Gerichtsbarkeit lag beim Grundherrn A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 39 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 2. Wirtschaftliche Verpflichtungen ⎯ Hand- und Spanndienste (Arbeitskräfte, Zugtiere, Geräte musste der Bauer für den Grundherrn stellen) ⎯ Gesindezwangsdienst (Bauernkinder mussten im herrschaftlichen Betrieb, z.B. Haushalt, arbeiten) ⎯ Einfügung der Bauernhöfe in die Flurgemeinschaft; es herrschte Flurzwang (z.B. gleiche Anbauweise, gleiche Erntezeiten) Sinnvoll? ⎯ Gemeinsame Nutzung der Weide A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 40 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg ⎯ Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Flurgemeinschaft g und g gemeinsame Weidenutzung g führten zu einer Art von Genossenschaft (Dorfgenossenschaft) (cooperative association) 3. Aber auch: Der Grundherr musste den Bauern schützen, auch wirtschaftlich; er hatte eine umfassende Verpflichtung gegenüber dem Bauern A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 41 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Aus diesen rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Grundherrn und Bauern g sich eine enge g Dorfgemeinschaft g ergab Diese Gemeinschaft war stabil; jeder hatte seinen festen Platz in der Gesellschaft Der Feudalismus war also eine bestimmte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit klaren Strukturen Diese Ordnung hatte immerhin rund 1000 Jahre Bestand (ca. 800 – 1800) 3.2.2. Wirtschafts- und Sozialreformen In der 1. Hälfte des 19. Jh.: in allen deutschen Ländern Reformen Die wichtigsten: Agrarreform (Bauernbefreiung) Gewerbereform (Gewerbefreiheit) = Auflösung der alten Ordnungsstrukturen (Feudalismus) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 42 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 a) Agrarreform Preußen 1807 Inhalt: 1. Emanzipation der Landbewohner 2. Neubestimmung der Eigentumsrechte am Boden 3. Verbesserung der Agrikultur Maßnahmen: 1. Verleihung des Eigentums 2. Aufteilung von Gemeinschafts-Flächen (Allmende) 3. Beseitigung von Streubesitz (Gemengelage) 4. Beseitigung des Flurzwangs (Bindung an das Fruchtfolgesystem eines Dorfes) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 43 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Auswirkungen: g ((Ablösesumme oder Landabtretung) g) 1. Belastung 2. Eigenständiges Wirtschaften (Gewinnorientierung) 3. Wegfall des Bauernschutzes Taler/ha a = Umwandlung der Dienste in Geldleistungen (1700 - 1800) b = Eigentumsverleihung mit Festlegung der Amort. Dienste Ablösungssummen (1807) c = Beendigung der finanziellen Abwicklung Zins der Agrarreformen (Jahrzehnte später) Geldleistungen Steuern a A Das Zeitalter der Industriellen Revolution b c 44 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 b)) Gewerbereform ((Gewerbefreiheit)) Preußen 1807,, 1810 England formell 1814, Aufhebung der Zünfte) Ziel: ⎯ Umfassende Reform ⎯ Programm für eine allgemeine Verbesserung der Wirtschaft ⎯ „Möglichst freier Gebrauch der Kräfte der Untertanen aller Klassen“ (Karl A. v. Hardenberg) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 45 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Inhalt: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 ⎯ erleichterter Besitz und freie Benutzung g von Grundstücken ⎯ eindeutige Eigentumsrechte ⎯ freie Ausübung eines jeden Gewerbes (= Gewerbefreiheit im engeren Sinn) ⎯ allmähliche Abschaffung der Zünfte, Monopole, Zwangsrechte und Taxen insgesamt: Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen Einführung der Marktwirtschaft A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 46 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Maßnahmen: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 ⎯ erste Anfänge g 1731 ((Reichszunftordnung) g) (fast wirkungslos) ⎯ Allgemeines Preußisches Landrecht 1794 (neue Zünfte mussten genehmigt werden) ⎯ Oktoberedikt 1807 in Preußen (Ankündigung der generellen Gewerbefreiheit) ⎯ Steueredikt 1810 in Preußen (Eröffnung eines Gewerbebetriebs durch Lösung eines Steuerscheines) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 47 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 c)) Weitere Reformen — Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 = Schaffung eines einheitlichen deutschen Wirtschaftsgebietes → großer Binnenmarkt → Voraussetzung für ein besseres Verkehrssystem (Eisenbahn) → Angleichung der (Wirtschafts- und) Finanzpolitik — 1837 beginnende Vereinheitlichung des deutschen Währungsgebietes (endgültige Währungseinheit erst am 1.1.1876: Mark) — 1812 Judenemanzipation A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 48 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3.2.3 Technische Innovationen Wie war der Stand der Technik in Deutschland um 1800? „Standardtechnik“: internationales Niveau (z.B. Bau, Handwerk) Bergbau, Salinenwesen: international führend (viele Lehrbücher von deutschen Autoren) „Schlüsselindustrie“:teilweise deutlicher Rückstand A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 49 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Was waren damals „Schlüsselindustrien“? „ a) Agrartechnik: z.B. Anbaumethoden (z.B. verbesserte 3-Felder-Wirtschaft), besserer Pflug Sommerstallhaltung (Dünger!) Leistungsfähigere Tiere (durch Tierzucht) International führend: England, Holland b) Textilgewerbe: Spinnmaschine (England 1764) Mechanischer Webstuhl (England 1785) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 50 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 c)) Maschinenbau,, Dampftechnik p (Dampfmaschine, England 1769) d) Schwerindustrie (insbesondere Eisen- und Stahlproduktion) - Hochofen: Steinkohle anstatt Holzkohle (Abraham Darby, England, 1709, technisch-physikalische Lösung) Erster Steinkohle-Hochofen in England 1735 - Verbesserte Eisenproduktion (gegenüber Mittelalter) Puddelverfahren (Henry Cort, England, 1784) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 51 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 In diesen vier „„Schlüsselindustrien“ hatte Deutschland also einen Rückstand Wie sollte dieser Rückstand aufgeholt werden? 1. Ausbau des technischen Bildungswesens - 1747:Oeconomisch-mathematische Realschule (Berlin) Später weitere Gründungen (Realschulen, „Höhere Bürgerschulen“, Handelsschulen) - 1750:Gründung von Bergakademien (wissenschaftliche Erforschung des Bergbaus) - 1777:Naturwissenschaftlich-technischer Unterricht an den Universitäten A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 52 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 - ab 1820er Jahre: polytechnische Lehranstalten spätere Technische Hochschulen bzw. Universitäten (z.B. Berlin, Karlsruhe, Dresden, Darmstadt) Fachschulen, Spezialschulen (z.B. für Uhren, Textilien) 2. Technologie-Transfer (vor allem aus England) Dieser Transfer war im wesentlichen personal gebunden; warum? 3 Möglichkeiten (vor allem): - Anwerbung An erb ng von on E Experten perten - Import von Maschinen - Wissen durch Auslandsreisen A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 53 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Alle 3 Methoden waren sehr schwierig; g; warum? England: Generelles Exportverbot für Maschinen und Zeichnungen der Textilindustrie 1781 – 1843 Behinderung der Ausreise von Experten Bei Besichtigungen englischer Betriebe durfte nicht gezeichnet werden. A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 54 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Wie sah das Ergebnis g aus ((den Wissensvorsprung p g Englands g aufzuholen)? ) Einige Fakten: 1780: Erste Baumwoll-Spinnmaschinen in Augsburg 1794/96: Erster Koks-Hochofen in Oberschlesien (1 schottischer Ingenieur und 2 deutsche Techniker) Eisenproduktion: Rezeption englischer Neuerungen etwa … 30 J Jahre h später ät A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 55 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Bis um 1800 also ein langsamer g Aufholungsprozess: g p Moderne Technologien wurden erst allmählich eingeführt. Gründe? Es gab keinen großen Markt für die Produkte (der neuen Technologie: Textil, Eisen); der Markt war eng Bis um 1800 keine Massennachfrage, weil: - kein großer Binnenmarkt (deutscher Zollverein erst 1834!) - niedriger Reallohn A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 56 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3. Sonstige Möglichkeiten (um den technologischen Rückstand aufzuholen) Allgemein für ganz Europa gültig: a) Faktormobilität (Arbeit und Kapital) Ab ca. 1800 eine langsame, aber spürbare Steigerung Es kam zu einem Entwicklungsprozeß in ganz Westeuropa → „diffusion of best practice“ Auffallend: Diese Diffusion fand besonders innerhalb gleicher oder ähnlicher Kulturräume statt, viel weniger zwischen Kulturräumen A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 57 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg b) Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Handel Der Handel zwischen den westeuropäischen p Ländern wuchs stärker und intensiver als zwischen Europa und anderen Weltregionen (Übersee) Dieser Handel innerhalb Europas förderte den Technologie-Transfer Insgesamt für Deutschland: Ab ca. 1800 entwickelte sich die Technik rasch Z ä h t kkeine Zunächst i großen ß Erfindungen, E fi d sondern d partielle ti ll Verbesserungen V b d der Produktionsverfahren (und Produkte) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 58 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Was sind allgemein g die Bedingungen g g für g große Innovationen? a) (Relativ) große Inlandsnachfrage b) Starker Wettbewerbsdruck c) Differenzierte Wirtschaftsstruktur d) Gut ausgebildete Menschen Diese Bedingungen wurden in Deutschland zwischen 1800 und 1835, dann stärker ab 1835 geschaffen → Beherrschung der modernen Technologie A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 59 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Beispiele: p 1843: 90 % der Lokomotiven in D. aus dem Ausland 1850: 40 % “ “ Ab 1851: 60 % “ “ 1850er Jahre: 60 % der Spinn-Maschinen aus dem Inland A Das Zeitalter der Industriellen Revolution “ Inland 60 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die „Schlüsselindustrie“ Agrartechnik A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 61 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3.2.4 Ressourcen g ökonomischen Ressourcen: Die wichtigsten 1. Effiziente Landwirtschaft England: klare Eigentumsrechte (~ 1800) verbesserte Arbeitstechniken neue Anbauweise neue Gruppe landwirtschaftlicher Unternehmer 2. Kapital I Y Damit die Investitionsquote ( ) steigen kann England: 1760: 6% 1800: 8% 1820: 10 % (insgesamt also langsam) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 62 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3. Arbeitskräfte g durch Bevölkerungswachstum g Vermehrung 4. Rohstoffe England: Eisenerz, Steinkohle 5. Unternehmertalente ⎯ Begünstigung durch eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ⎯ Reichtum ermöglicht sozialen Aufstieg Diese 5 Ressourcen hatten in England Ende des 18. Jahrhunderts eine günstige Konstellation Begünstigung durch die damalige Gesellschafts-, Wirtschafts- und Rechtsordnung A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 63 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Bei welchen Ressourcen g gab es Anfang g des 19. Jahrhunderts Probleme ((in Deutschland)? ) Keine Probleme: Arbeitskräfte, Unternehmertalente Landwirtschaft positive Entwicklung Rohstoffe etwas problematisch (Eisenerz und Steinkohle selten nebeneinander) Problem: Kapital (erste Hälfte des 19. Jh.) Aber: Kapital war genügend vorhanden Wieso dann ein Problem? A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 64 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 a) Geringe Neigung, sich zu verschulden g Ehre Bankrott bedeutete: Verlust der bürgerlichen Der Gläubiger konnte den Schuldner 5 Jahre lang ins Gefängnis einsperren lassen Geringe Verschuldungsbereitschaft = niedrige Investitionsneigung = hohe Liquiditätsneigung (oder Kauf von Staatspapieren) b) Unterentwickeltes Bankensystem Es gab viele Privatbankiers: = unvollkommener Kapitalmarkt Wenig Investitionen in Industrieunternehmen weiterhin: Staatskredit Hypotheken Wechselkredit Erst seit Mitte des 19. Jh. Gründung von Aktienbanken → Entstehung eines nationalen Geld- und Kapitalmarktes A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 65 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Wichtige g Banken für die Industriefinanzierung: g 1848: Abraham Schaaffhausenscher Bankverein (Köln) Bis 1848 Privatbank Wegen Insolvenz Umgründung in eine AB Die Gläubiger (Einleger) wurden Aktionäre 1851 Disconto-Gesellschaft (Berlin) Bis 1856 Genossenschaft Ab 1856 Kommanditgesellschaft auf Aktien (KbaA) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 66 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg 1853 Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Bank für Handel und Industrie (Darmstadt) ( ) (von Anfang an als AG) 1870 Deutsche Bank AG (Berlin) Commerz- und Discont-Bank AG (Hamburg) (später nur Commerzbank AG) 1872 Dresdner Bank AG A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 67 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3.3. Der Verlauf der Industriellen Revolution Ende des 18. Jh. allmählicher Aufschwung im Textilgewerbe Textilgewerbe: noch eng mit der Landwirtschaft verbunden Viele Bauernfamilien betrieben die Textilproduktion als Nebengewerbe, d.h. Heimgewerbe Die Organisationsform war der Verlag A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 68 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Verleger viele kleine Produzenten: (z.B. Bauern) Der Verleger beschaffte den Rohstoff (z.B. Baumwollgarn), finanzierte die Produktion (bezahlte die Löhne), und besorgte den Absatz der Fertigprodukte. Der verlegte Produzent (z.B. Bauer) war rechtlich selbständig, aber wirtschaftlich vollkommen vom Verleger abhängig abhängig. Der Verleger bestimmte die Menge und den Preis und damit den Lohn. A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 69 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Am bedeutendsten war die Leinenproduktion Um 1800: 60 % Leinen vom gesamten Textilexport Preußens Leinen vor allem in Schlesien (aber auch anderen Regionen, z.B. Westfalen) Nach den napoleonischen Kriegen, ab ca. 1815, (Aufhebung der Kontinentalsperre Napoleons gegen England) beginnt der Niedergang der Leinenindustrie Grund? 1. Die Nachfrage ging verstärkt zur Baumwolle 2. Die Baumwolle war (in England), schon stark mechanisiert (B.-spinnerei und B.-weberei) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 70 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Folge: g Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 billiger g und q qualitativ besser als die handwerkliche Leinenproduktion p Wie reagierten die Leinenproduzenten in Deutschland? 1. Versuch die Kosten zu senken Wie? Löhne senken (etwas anderes war nicht möglich) 2. Versuch die Menge zu steigern (Verlängerung der Arbeitszeit) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 71 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Lohnsenkung gp plus Arbeitszeitverlängerung g g bedeutet ((damals)) Elend,, Verarmung g Außerdem: Durch die Erhöhung der Produktionsmenge (außerdem: sinkende Qualität!) noch stärkerer Druck auf die Preise → weiterer Druck auf die Löhne Ergebnis: Die Reaktion der Leinenproduzenten war nicht erfolgreich A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 72 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Einzig g mögliche, g , richtige g Reaktionen: 1. Mechanisierung (Industrialisierung) der Leinenproduktion 2. Umstellung auf (mechanisierte) Baumwollproduktion Zu 1: Technisch schwierig; am leichtesten war die Mechanisierung der Baumwolle Zu 2: Dazu waren die vielen Tausend Leinenweber nicht bereit; sie fürchteten um ihren bisherigen Arbeitsplatz; sie sahen in den mechanischen Webstühlen ihren Feind A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 73 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ähnlich war die Situation in der Wollindustrie ⎯ Bis weit in das 19. Jh. wurde ein Großteil der Wolle exportiert ⎯ Nur zögerliche Mechanisierung (technische Probleme!) Baumwollindustrie wuchs verstärkt seit ca. 1840 rasche Mechanisierung; konsumnahe Produkte A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 74 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Generell: Leinen und Wolle waren schwer zu mechanisieren Baumwolle war leicht zu mechanisieren Deshalb hatte Deutschland zu Beginn der Industrialisierung eine „falsche“ Produktionsstruktur (viel Leinen und Wolle) Deshalb: Allmählicher Abbau der Leinen- und Wollindustrie Aufbau der Baumwollindustrie Die Textilindustrie war in Deutschland kein Führungssektor Sie war in gewisser Weise zunächst ein Hindernis (aus technischen Gründen) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 75 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der relative Beschäftigungsabbau im Leinen- und Wollgewerbe war auch ein soziales g Umstrukturierung g ((hin zur Baumwolle)) Problem,, ebenso die ganze In Deutschland war eher ein Führungssektorkomplex entscheidend: Eisenbahnbau Steinkohlenbergbau Eisen- und Stahlindustrie Maschinenbau Es waren also mehrere eng miteinander verknüpfte Branchen (oder Sektoren), die sich gegenseitig unterstützten und einen sich selbst tragenden Aufschwung einleiteten Dieser Aufschwung begann um 1835/40 A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 76 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Industrie vor 1850 V l Verlag Manufaktur Handwerk Handwerk 1835 A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 1850 77 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3.4. Vorindustrieller Lebensstandard Allgemein in Europa: Vorindustrielle Zeit geprägt von Not, Hunger, Elend Bis ~ 1850: Massenarmut und Hungerkrisen (Pauperismus) Ursache: Die Bevölkerung wuchs schneller als die Wirtschaft Bevölkerungswachstum > ~1% A Das Zeitalter der Industriellen Revolution Wirtschaftswachstum weniger als 1 % (D. ~ 1/3 %) 78 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Indikatoren: g nach Agrarprodukten g p stieg g Die Nachfrage Das Angebot stieg geringer (wegen niedriger Produktivität) → Agrarpreise steigen deutlich Angebot an Arbeitskräften stieg ständig Nachfrage nach gewerblichen Produkten stieg nur langsam warum? Weil der größte Teil des Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben werden musste → Preise für gewerbliche Produkte stiegen nur langsam → kaum Gewinne im gewerblichen Sektor → Nominallöhne ziemlich konstant A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 79 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Mögliche g Reaktionen: ⎯ Auswanderung (seit etwa 1840) ⎯ Lohnsenkung (möglich?) Folge: Versuch, mehr Nahrungsmittel selbst zu produzieren Wenn das nicht möglich: → Reallohn sinkt Vor allem bei den Stadtbewohnern und den unterbäuerlichen Schichten A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 80 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Zwischenergebnis: g Demographisch-ökonomische Zwangssituation Diese wurde verstärkt durch Krise im textilen Heimgewerbe Seit Anfang des 19. Jh. nicht mehr wettbewerbsfähig Verlage versuchten die Lohnstückkosten zu senken und gleichzeitig die Produktion zu erhöhen (Gründe: Preissenkung notwendig Wachsende Märkte) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 81 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 → Verlängerung g g der Arbeitszeit → Mehr Arbeitskräfte (Frauen, Kinder) Folge: Marktorientierung dieses Bevölkerungsteils stieg (weniger Nahrungsmittel und Fertigwaren konnten selbst produziert werden) → Lohndruck seitens der Verleger ohne Abwehrchance → Produktionsmenge (und Arbeitszeit) stiegen → Qualität sank → nicht wettbewerbsfähig → Preise fielen bis 1840er Jahre um ~ 30 % A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 82 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die englische Konkurrenz wurde im Laufe der 1. Hälfte des 19. Jh. stärker: Pi P TK PK = Produktionskosten PK TK = Transportkosten P = Preis (auf dem Exportmarkt) E = Absatzradius Pi = Preis der inländischen Anbieter P i d i lä di h A bi t E A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 83 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Englische g Exportgüter p g waren billiger g als deutsche Produkte Grund: Produktionskosten in England gesunken Transportkosten (teilweise) gesunken Wo war (in Deutschland) die Not am größten? —Landwirtschaft wenig ertragreich — (noch) keine Industrialisierung stattfand — einseitige (nicht industrialisiertes) Gewerbe (z.B. schlesisches Leinenrevier) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 84 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Welcher Personenkreis war am stärksten betroffen? 1. Landlose Bevölkerungsschichten (z.B. Landarbeiter) 2. Landwirte im Nebenerwerb (auch Heimarbeiter) 3. Städtische Arbeiter (Gesellen, Handlanger usw.) → insgesamt die breite Masse der Bevölkerung A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 85 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der Lebensstandard bis um 1850 ((Vor- und Frühindustrialisierung) g) Die Berechnung des Lebensstandards für Bezieher von überwiegend (oder nur) Geldeinkommen: Entscheidend waren die Ausgaben für elementare Bedürfnisse: — Nahrungsmittel — Wohnung — Kleidung A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 86 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ausgaben g eines Handwerkers um 1810: — 70 % (des Einkommens) für Nahrungsmittel (30 % für Brot) — 10 % für die Wohnungsmiete — 8 % für Bekleidung = ~ 90 % für elementarste Lebensbedürfnisse (um 1850: etwa 85 %) — 6 % für Heizung — 4 % für Hausrat, Beleuchtung In Notzeiten blieb für Heizung, Hausrat usw. praktisch nichts übrig Der Lebensstandard war also vor allem von den Preisen für Nahrungsmittel abhängig A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 87 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Bis um 1850 lag das Existenzminimum bei dem 1,2- bis 1,4fachen des Nahrungsbedarfs: A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 88 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Zu erkennen sind: g Missernten — 1816/17 allgemeine — 1843 Missernte bei Kartoffeln — 1846 Missernte bei Getreide — Ende 1840er Jahre gute Ernten (ebenso um 1825 und 1835) Ergebnis: In den 5 Jahrzehnten von 1800 bis 1850 war nur in 2 Jahrzehnten (1820 bis 1840) das Existenzminimum einer Familie durch den Lohn eines Handwerkers gedeckt A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 89 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Was geschah in den übrigen 3 Jahrzehnten? Notwendigkeit eines zusätzlichen Lohnes → verstärkt Frauen- und Kinderarbeit Beispiel einer Weberfamilie (4/5 Personen) um 1830: Das Existenzminimum lag jährlich bei ca. 180 Mark Verdienstmöglichkeiten Leinen Baumwolle Ohne Mitarbeit eines Kindes 180 Mitarbeit 1 Kind 200 215 Mitarbeit 2 Kinder 220 235 A Das Zeitalter der Industriellen Revolution Mark 195 90 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Dieses Beispiel p g gilt für den Fall,, dass das Kind noch zur Schule g ging g Nach der Schule konnte es rasch als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt werden Beispiel: 180 Mark Jahresverdienst 270 Mark “ Leinen, ohne Mitarbeit Kind Mitarbeit 1 Kind (Bei Baumwolle ca. 290 Mark) Damit war das Existenzminimum (180 M.) deutlich überschritten A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 91 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Wenn das Existenzminimum deutlich überschritten wurde → „„übertriebener Konsum“ (Vorwurf von Zeitgenossen, galt in ganz Europa) Vor allem bei Heimarbeitern: — überdurchschnittlich hohe Konsumneigung — geringe Sparneigung Mögliche Ursache: Nur wenige Sparkassen (noch nicht flächendeckend) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 92 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Hauptsächliche Ursache: g Lebensweise,, weil Kurzsichtige — kaum Perspektiven für Aufstieg — relativ hohe Löhne in jungen Jahren, danach sinkende Löhne Einkommensmaximum (Arbeiter ohne notwendige Ausbildung): ca. 25 Jahre, dann allmählich sinkendes Einkommen Die Verhaltensweise kurzsichtige Lebensweise und relativ hohe Konsumausgaben war dann ausgeprägt, wenn die produzierten Waren (hauptsächlich Textilien) abgesetzt werden d kkonnten. t A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 93 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Aber: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Durch die ausländische ((Maschinen-)) Konkurrenz wurde der Absatz immer schwieriger. Seit etwa 1830 tendenziell wachsende Arbeitslosigkeit Heimgewerbe: Langfristig sinkende Nominallöhne (weil Preise sanken) → 1840er Jahre völlige Armut, wenn 1 Verdienst ausfiel (Revolution von 1848 teilweise auch eine „Sozialrevolution“) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 94 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die langfristige Entwicklung des Realeinkommens (Nominaleinkommen bezogen auf den g ) Ø Index der Lebenshaltungskosten): A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 95 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3.5. Wirtschafts- und sozialpolitische p Maßnahmen Bis um 1835 kein Schutz für Arbeitnehmer: — Gestaltung des Arbeitsplatzes — Arbeitszeit — Verpflegung während der Arbeit (fast) alles konnte von den Arbeitgebern frei bestimmt werden. Wachsende Zahl der Arbeitssuchenden und langsamer wachsende Zahl der Arbeitsplätze → Verschlechterung der Arbeitsbedingungen A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 96 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 1825/30: Arbeitszeit 12/13 Stunden bei Tagarbeit g 11 Stunden bei Nachtarbeit oft auch 16-18 Stunden (bei fehlender Nachtarbeit) auch für Kinder (teilweise ab 4 Jahren) keine Beschränkung Auswanderung bis 1835: — Nach Osteuropa, vor allem Südrussland (1816 bis 1826 etwa 250.000 nach Russland) — Seit 1815 Übersee (USA und andere Gebiete), bis 1835 ca. 100.000 1815 – 1835: 400.000 Auswanderer A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 97 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Unterstützungsmaßnahmen g bis um 1835: — Kommunen (Armenfürsorge oft größter Etatposten) — Kirchen — Privatinitiativen — Staat sah noch keine Notwendigkeit zu allgemeinen Regelungen (Laisser-faire) Erste Gesetze ab 1839 (in Preußen): 9. März 1839: Jugendschutzgesetz (teilweise auch Frauen-) — keine Fabrikarbeit für Kinder unter 9 Jahren — maximal 10 Stunden für Jugendliche zwischen 9 und 16 Jahren A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 98 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Relativ g geringe g Wirkung g dieses Gesetzes,, weil — zuwenig Kontrollmöglichkeiten (sogen. „Gewerberäte“ nicht objektiv; erst ab 1853 Fabrikinspektoren, die ab 1878 obligatorisch wurden) — Frauenschutz nur bei ganz schweren Arbeitsbedingungen (z.B. Bergwerke) Immerhin: 1845 Verbot des Trucksystems A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 99 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Hilfsmöglichkeiten g in Notfällen: — Kommunen: Fortsetzung der Armengesetze aus vorindustrieller Zeit (auch Übernahme kirchlicher sozialer Funktionen) Hilfe, wenn keine andere Hilfsquelle = Subsidiaritätsprinzip der Kommunen (bis heute) — Hilfseinrichtungen durch Arbeiter in Preußen bis 1847 66 Unterstützungskassen der Arbeiter Lassalle 1863: „Deutsche Arbeiterversicherungsgesellschaft“ A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 100 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Aber: Alles kein besonderer Erfolg, weil — g g Solidaritätsdenken bei den Arbeitern zu gering — Staat zeigte sich ablehnend — Marxisten (Marx und seine Anhänger) waren vollkommen dagegen Grund? Der Kapitalismus sollte nicht gestützt werden, sondern möglichst schnell zusammenbrechen Staatliche Wirtschaftspolitik: K Konzentration t ti auff di die H Handelspolitik d l litik = Gründung des Deutschen Zollvereins (1834) und Zollpolitik (mäßige Schutzzölle mit dem Ziel der allmählichen Beseitigung) A Das Zeitalter der Industriellen Revolution 101 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 B Die Phase der Hochindustrialisierung 1. g Einführung Kennzeichen (Merkmale) der Hochindustrialisierung: ⎯ Die Landwirtschaft verliert an Bedeutung ⎯ Der sekundäre Sektor (Industrie/Handwerk) wächst schneller ⎯ Der tertiäre Sektor (Dienstleistungen) wächst ⎯ Das Sozialprodukt steigt langfristig (dauerhaftes, ständiges, nachhaltiges Wachstum) ⎯ Das Wachstum ist nicht gleichmäßig → unterschiedliche Wachstumstrends → Konjunkturzyklen B Die Phase der Hochindustrialisierung 102 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Aufgrund g dieser Merkmale wäre die Hochindustrialisierung g in Deutschland 1850 – 1913 Hochindustrialisierung im engeren Sinn: 1870/73 – 1913 weil: ⎯ ab etwa 1870 besonders starker Prozeß der Industrialisierung ⎯ bis um 1870 Landwirtschaft noch ~ 50 % der Beschäftigten ⎯ ab 1870/73 Investitionen in Gewerbe/Verkehr höher als in der Landwirtschaft B Die Phase der Hochindustrialisierung 103 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 2. Theoretische Grundlagen Ursachen des langfristigen Wachstums: a) Vermehrung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital (teilweise auch Boden) b) Technischer Fortschritt (im weitesten Sinn) ⎯ Verbesserung der Technik (Inventionen, technische Neuerungen) ⎯ Verbesserung der Produkte und Produktionsverfahren ⎯ Organisatorische Neuerungen ⎯ Bessere Ausbildung (Humankapital) B Die Phase der Hochindustrialisierung 104 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Das langfristige g g Wachstum des Sozialprodukts p (Y, GDP) 1850 – 1913 (Wachstumsraten): 1850 – 1873: ∅ 2,4 % pro Jahr 1874 – 1894: ∅ 2,1 % “ “ 1895 – 1913: ∅ 3,2 % “ “ 1850 – 1913: ∅ 2,6 % “ “ Also kein gleichmäßiges Wachstum, sondern „lange Wellen“ (Kondratieff-Zyklen), oder „Entwicklungsstufen“ E t i kl t f “ (A. (A Spiethoff) S i th ff) B Die Phase der Hochindustrialisierung 105 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Schaubild 1 B Die Phase der Hochindustrialisierung 106 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die Zeit von 1850 – 1873 kann als „„take-off“ der deutschen Wirtschaft bezeichnet werden (In England einige Jahrzehnte früher) Theoretische Begründung: ⎯ Zunahme der Netto-Investitionen von jährlich ca. 5 % auf 10 %. ⎯ Herausbildung zumindest eines „Führungssektors“ („leading sector“) ⎯ Bildung eines stabilen politischen, sozialen und institutionellen Rahmens ⎯→ Übergang in die Phase des nachhaltigen Wachstums („sustained growth“) B Die Phase der Hochindustrialisierung 107 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Vorher ((vor 1850)) g gab es immer wieder Rückschläge g Vor 1850 ist vor allem das Pro-Kopf-Einkommen nicht gewachsen. Das bedeutet: Das Bevölkerungswachstum war mindestens so groß wie das Wirtschaftswachstum ⎯→ keine Steigerung des Wohlstandes 1850 – 1873: Der entscheidende Übergang von der vorindustriellen Wirtschaft (und Gesellschaft) in die Industriegesellschaft B Die Phase der Hochindustrialisierung 108 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen: g des Kapitalstocks p technischer Fortschritt ⎯ Erhöhung Erhöhung des K notwendig, weil sinkende Grenzerträge: E K B Die Phase der Hochindustrialisierung 109 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der Kapitalstock K 1850 – 1913: 1850 – 1875: Ø 2,3 , % jährlich j 1876 – 1895: Ø 2,7 % jährlich 1896 – 1913: Ø 3,4 % jährlich 1850 – 1913: Ø 2,7 % jährlich also ständige Erhöhung des K Das Arbeitspotential A 1850 – 1913: Ø 1,1 % jährlich also ständige Erhöhung des A. Die Kapitalintensität K A B Die Phase der Hochindustrialisierung 1850 – 1913: Ø 1,6 % jährlich (warum?) 110 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Sozialprodukt Y und Kapitalstock K 1850 – 1913: Y K 1850 – 1873: ∅ 2,4 % ∅ 2,3 % 1874 – 1894: ∅ 2,1 % ∅ 2,7 % 1895 – 1913: ∅ 3,2 % ∅ 3,4 % 1850 – 1913: ∅ 2,6 % ∅ 2,7 % Das bedeutet für 1850 – 1913: Kapitalkoeffizient K Y B Die Phase der Hochindustrialisierung und Kapitalproduktivität Y K ziemlich konstant 111 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Dagegen ist die Arbeitsproduktivität Y : A Y langfristig (1850 – 1913) gestiegen: A ∅ 1,5 % jährlich weil: Sozialprodukt Y: ∅ 2,6 % Arbeitspotential A: ∅ 1,1 % ∅ 1,5 % Arbeitsproduktivität : Y A B Die Phase der Hochindustrialisierung 112 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Diese Steigerung von Y war die Ursache für die Steigerung des Reallohnes seit etwa 1850: A ~ 1850 bis ~ 1873: + 20 % ~ 1873 bis ~ 1895: + 30 % ~ 1895 bis ~ 1913: + 25 % 1850 bis 1913: + 100 % Die Wachstumsraten von Y (2,6 % jährlich) und K (2,7 % jährlich) waren im internationalen Vergleich hoch. B Die Phase der Hochindustrialisierung 113 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 I Y Auch die Investitionsquote ( ) war relativ hoch: 1850 – 1913: ∅ 12 % aber mit steigender Tendenz: 1900 – 1913: ∅ 15 % Ähnlich hohe Investitionsquoten nur in den USA Warum war die Zeit von 1850 – 1873 eine Phase besonders intensiven Wachstums? Zur Erinnerung die Entwicklung von Y: 1850 – 1873: ∅ 2,4 % jährlich 1874 – 1894: ∅ 2,1 % “ 1895 – 1913: ∅ 3,2 % “ B Die Phase der Hochindustrialisierung 114 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Y K A 1850 – 1873: 1873 ∅ 2,4 24% ∅ 23% 2,3 ∅ 0,9 09% 1874 – 1894: ∅ 2,1 % ∅ 2,7 % ∅ 1.0 % 1895 – 1913: ∅ 3,2 32% ∅ 34% 3,4 ∅ 1,3 13% Was kann zur Kapitalproduktivität gesagt werden? 1850 – 1873 wurde also besonders ...... investiert. B Die Phase der Hochindustrialisierung 115 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Um 1850 lag das deutsche Sozialprodukt deutlich unter dem englischen und französischen; aber danach wuchs es schneller. Die Wachstumsraten waren nur in den USA höher. 1850 – 1873 (Zeit intensiven Wachstums): Schaffung eines modernen und entwicklungsfähigen Industrieapparates Stichwort: „Ökonomisierungsprozeß“ insbesondere: „Organisationsrevolution“ = Intensivierung I t i i marktwirtschaftlich kt i t h ftli h gesteuerte t t Tauschbeziehungen T hb i h Wichtige Branchen: Verkehr, Banken (Infrastruktur) B Die Phase der Hochindustrialisierung 116 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Trotzdem: Bis 1873 Investitionen in der Landwirtschaft größer als in Gewerbe und Verkehr. Danach waren die Investitionen im Gewerbe eindeutig führend: (1850: ~ 14 % aller Inv.) 1900: ~ 50 % Zwischen 1850 und 1875: Große Bedeutung der Investitionen im Eisenbahnbau Anfang der 1870er Jahre: ~ ¼ aller Investitionen für den Eisenbahnbau B Die Phase der Hochindustrialisierung 117 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ab ~ 1875 waren die Investitionen im Gewerbe ((Industrie/Handwerk)) eindeutig g führend: 1850: ~ 14 % 1900: ~ 50 % → verstärkte Industrialisierung („Hochindustrialisierung“) Ein weiterer, wichtiger Investitionsschwerpunkt: nichtlandwirtschaftlicher Wohnungsbau Der war notwendig, weil sich die Relation Landbevölkerung zu Stadtbevölkerung änderte → Verstädterung (Landflucht) B Die Phase der Hochindustrialisierung 118 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 1871: ~ 25 % der Bevölkerung g städtisch ((Gemeinden mit mehr als 5.000 E.)) 1910: ~ 50 % der Bevölkerung städtisch ( 1871: “ “ “ ) 4 Städte mit mehr als 100.000 E. 1910: 48 Städte mit mehr als 100.000 E. Der höchste Verstädterungsgrad in der Rheinprovinz Vor allem im Ruhrgebiet: 75 % Stadtbevölkerung B Die Phase der Hochindustrialisierung 119 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3. Der gewerbliche Sektor Industrie, Handwerk, Bergbau: Ihr Anteil am Sozialprodukt (GDP) ist ständig gestiegen Anteil (in %) an der Beschäftigung am Sozialprodukt Landw. Industrie Dienstl. Landw. Industrie Dienstl. 1850 55 24 21 45 20 35 1913 34 38 28 20 45 35 I II III I II III B Die Phase der Hochindustrialisierung 120 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Graphik 1: Die Beschäftigtenanteile der 3 Sektoren in % 60 50 40 30 20 10 0 1850 70 75 B Die Phase der Hochindustrialisierung 80 90 1900 10 15 20 Jahr 121 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ein Vergleich g der Anteile an der Beschäftigung g g mit den Anteilen am Sozialprodukt p zeigt: g Die Produktivität im Gewerbe (Sektor II) war im Vergleich zur übrigen Wirtschaft überdurchschnittlich hoch Das Wachstum der Produktivität im tertiären Sektor (III, Dienstleistungen) war unterdurchschnittlich. Grund? B Die Phase der Hochindustrialisierung 122 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Eine wichtige Eigenschaft machte sich immer stärker bemerkbar: Die Investitionsgüter-Industrie wuchs schneller als die Konsumgüter-Industrie Beispiel: 1880 – 1900 zehnfache Steigerung der Stahlproduktion Grundlage des industriellen Wachstums: Bergbau und Hüttenwesen (Schwerindustrie) Bis ~ 1855: Erheblicher Eisen-Import (Eisenbahnbau!) Danach: Wachsender Eisen-Export ⎯→ Der Eisenbahnbau gab die entscheidenden Impulse für den Bergbau und die Eisenindustrie B Die Phase der Hochindustrialisierung 123 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Also: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Schwerindustrie sehr wichtig, wuchs stark, Grundlage für das ganze Wachstum Ihr Kennzeichen: Aber: Großbetrieb In der gesamten Industrie dominierte der Klein- und Mittelbetrieb Beschäftigung (Gewerbe) 1910/13 Schwerindustrie übrige Industrie 10 % 90 % ((~ 1 Million Arbeiter) Bis 1913 dominierte (beschäftigungsmäßig) die Konsumgüter-Industrie (aber: die Investitionsgüter-Industrie wuchs schneller) B Die Phase der Hochindustrialisierung 124 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Tabelle 1: Die größten Branchen (gemessen Beschäftigung) 1875 1913 Prozent Rang Prozent Rang Textil/Bekleidung/Leder 38 1 23 1 Metallerzeugung, -verarbeitung 14 2 20 2 Nahrungs- und Genußmittel 13 3 12 4/5 Holz/Druck/Papier 12 4 12 4/5 B Bau 10 5 14 3 B Die Phase der Hochindustrialisierung 125 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Tabelle 2: Die Branchen mit den höchsten Wachstumsraten (1875 – 1913) Gas, Wasser, Elektrizität 9,7 % (weniger als 1 % der Beschäftigten) Chemie 6,2 % Metallerzeugung (Schwerindustrie) 5,7 % Metallverarbeitung (z.B. (z B Maschinenbau) 53% 5,3 Bau 3,1 % Textil,, Bekleidung, g, Nahrung, g, Genuß- 2,7 , % mittel B Die Phase der Hochindustrialisierung 126 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die wichtigsten Branchen aufgrund verschiedener Kriterien (Beschäftigung, Wachstumsraten, Effekte auf andere Wirtschaftsbereiche): Schwerindustrie → Grundlage des industr. Wachstums → Größte Ausbreitungseffekte, (Bergbau/Hüttenindustrie) Metallverarbeitung starke Diversifikation (z.B. Maschinenbau, elektrotechnische Industrie) Ch i h IIndustrie Chemische d ti B Die Phase der Hochindustrialisierung → I Innovativ, ti stark t k wachsende h d P Produktion d kti 127 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 3.1. Die Schwerindustrie Die Steinkohle war auf 3 Regionen konzentriert: Anteile an der Gesamtförderung (in %) 1913 1871 Ruhrgebiet 60 48 Oberschlesien 23 Saargebiet 6 12 89 B Die Phase der Hochindustrialisierung 128 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Tab. 3: Die Kohleförderung 1872 – 1913 (in Mio to pro Jahr) Deutschland England Frankreich Stein- Braun- Stein- Stein- 1872 32 11 80 30 1913 192 88 292 41 Der Eisenerzbergbau konzentrierte sich im Ruhrgebiet Ab ca. 1880 musste immer mehr Eisenerz importiert werden. Zunächst aus Spanien und England, dann verstärkt aus Schweden B Die Phase der Hochindustrialisierung 129 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ab 1871 kamen die Eisenerze aus Lothringen g hinzu. Diese waren aber phosphorhaltig und konnten mit dem bisherigen Bessemer-Verfahren (Erfindung 1856) nicht verhüttet werden Erst durch das Thomas-Verfahren rentable Verhüttung Danach, vor allem ab 1890 ein starker Anstieg der Roheisen- und Stahlproduktion B Die Phase der Hochindustrialisierung 130 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Es entstand eine Verbundwirtschaft zwischen Steinkohle und Eisenerz Lothringen/Luxemberg Erzbergbau (Minette) Verhüttung zu Roheisen Koks (Hüttenwerke) Steinkohlebergbau Ruhrgebiet/Saargebiet Kokereien (Koks) Kokereien (Koks) Hüttenwerke (Roheisen) andere Erze andere Erze Stahlwerke vor allem Ausland: Spanien England Schweden B Die Phase der Hochindustrialisierung 131 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der Erfolg der eisenproduzierenden Industrie: Tab. 4: Die Roheisenproduktion in Mio. Tonnen Welt Deutschland 1870 12,9 1,4 (11 %) 6,7 (52 %) 1,9 (15 %) 1890 24 4 (+ 90 %) 24,4 4 7 (19 %) 4,7 8 0 (33 %) 8,0 9 4 (39 %) 9,4 1913 77,3 (+ 216 %) 19,3 (25 %) 10,4 (14 %) 31,5 (41 %) Zur Erinnerung: England USA Ab ca. 1890 expandierte die Verbundwirtschaft in Deutschland / Luxemburg immer stärker B Die Phase der Hochindustrialisierung 132 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 1913 war Deutschland der größte Metallexporteur der Welt ((Eisen,, Stahl,, Nichteisen-Metalle)) Kennzeichen: Montan-Konzerne Zwischen 1850 und 1870 ist der Kapitaleinsatz in der Montanindustrie sprunghaft gestiegen Welche Gesellschaftsform dominierte? Aktiengesellschaft Zwischen 1850 und 1870 erster Konzentrationsprozeß B Die Phase der Hochindustrialisierung 133 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ab etwa 1880 zweiter Konzentrationsprozess p Grund? Von 1874 (Ausbruch der sogenannten Gründerkrise) bis 1879 starker Konjunktureinbruch vor allem der Eisenindustrie Es hieß damals: „Kartelle sind Kinder der Not“ B Die Phase der Hochindustrialisierung 134 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Es entstanden besonders große Konzerne (trusts), z.B. g ((Gelsenberg-Konzern) g ) Gelsenkirchener Bergwerks-AG 1904: 25.000 Arbeiter 6,5 Mio to Kohle Harpener Bergbau-AG (in Dortmund) (etwa gleich groß wie Gelsenberg, größter Koks-Produzent) Es entstanden auch große Syndikat Was ist ein Syndikat? Verkaufskartell = straffste Form eines Kartells B Die Phase der Hochindustrialisierung 135 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Das bedeutendste Syndikat: 1893 Rheinisch-Westfälisches Rheinisch Westfälisches Kohlen-Syndikat Kohlen Syndikat (~ 87 % der gesamten Fördermenge des Ruhrgebiets!) Warum kam es zu diesem Syndikat? Nach Ausbruch der Gründerkrise 1874 ging die Nachfrage nach Kohle zurück, die Produktion wurde aber erhöht: 1875 – 1890: Halbierung des Preises Verdoppelung der Produktion Folge: Wettbewerbsbeschränkungen (Kartelle) seit 1874, i b insbesondere d ab b 1880 B Die Phase der Hochindustrialisierung 136 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Endpunkt dieser Entwicklung war dann das R.-W. Kohlen-Syndikat von 1893 Auch in anderen Bereichen der Montanindustrie entstanden immer mehr Kartelle 1897: Das Reichskammergericht erklärte Kartellverträge für rechtsverbindlich Folge? weitere Kartellierung Zum Vergleich andere Länder: USA: Kartellverbot (Anti-trust-law); blieb aber auch ziemlich wirkungslos GB/Frankreich: Kartellverträge sind rechtsunwirksam; einigermaßen erfolgreich B Die Phase der Hochindustrialisierung 137 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Welche Wirkungen g hatte das Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat? y Ziel war: Kohlenförderung sollte der Nachfrage angepasst werden bzw. nur langsam steigen (damit Preis steigt) Ziel erreicht? Die Kohlenförderung ist nach 1893 schneller gestiegen als vorher Di K Die Kohlenpreise hl i stiegen ti wieder, i d aber b llangsam 1913 gleicher Preis wie 1874 B Die Phase der Hochindustrialisierung 138 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Preisentwicklung: 1874 1893 1913 Wieso ist die Kohlenförderung (Produktion) nach 1893 trotz des Syndikats gestiegen? (Obwohl nicht gegen den Syndikats vertrag verstoßen wurde; wäre auch schwierig gewesen) Weil ein neuer Konzerntyp entstand B Die Phase der Hochindustrialisierung 139 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der neue Konzerntyp war eine spezielle Form der Konzentration: der vertikale Konzern 3. Stufe: Stahlwerk (Walzwerk) 2. Stufe: Eisenhütte(n) 1. Stufe: Bergwerk Der Kohlenverbrauch innerhalb des Konzerns wurde nicht auf die Syndikatsquote angerechnet B Die Phase der Hochindustrialisierung 140 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der K.-Verbrauch war auf der 2. und 3. Stufe natürlich sehr hoch g ist nach 1893 ((= Gründung g des Rheinisch→ Die Kohlenförderung Westfälischen Kohlen-Syndikats!) stark gestiegen Beispiele: Gutehoffnungshütte (GHH, ab 1873 Aktiengesellschaft) → Konzern aus Kohlen- und Erzbergwerken, Eisenhütten, Stahl- und Walzwerken Hoesch AG Ilseder Hütte Gelsenberg-Konzern: seit 1904 zusätzlich Erzbergwerke, Hütten-, Stahl- und Walzwerke Harpener Bergbau-AG: Mischkonzern (z.B. Erwerb von Binnenschiffahrts-Reedereien für den Kohlentransport) B Die Phase der Hochindustrialisierung 141 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg 1896: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Gründung des Roheisen-Syndikats Dieses Syndikat war (im Gegensatz zum R.-W. Kohlen-S.) wenig erfolgreich Grund? Es gab Konkurrenz durch einen großen Außenseiter (Eisenwerke Kraft in Stettin) → Auflösung des Syndikats 1908 Beurteilung der Schwerindustrie bis 1914: Insgesamt sehr erfolgreich (Produktion, Beschäftigung, Gewinn, Qualität ...) B Die Phase der Hochindustrialisierung 142 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Immerhin weltweit Rang 2 (hinter den USA) In verschiedenen Eisenprodukten weltweit führend (z.B. Krupp-Stahl) Aber: Von 1879 bis 1900 Roheisenzölle (10 Mark/Tonne) War England auf dem deutschen Markt noch konkurrenzfähig? Marktpreis Zoll (10 Mark) Fracht (~ ( 10 Mark) ~ 40 Mark Produktionskosten für Roheisen (1 Tonne) ~~~~~~~~~ ~~~~~~~~~ England B Die Phase der Hochindustrialisierung → Transport Deutschland 143 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Englischer Hüttenwerkspreis etwa 30 % niedriger Andererseits: Deutsche Hüttenwerke boten im Ausland Roheisen für deutlich weniger als 60 Mark/to an Wie heißt ein solches Verhalten? Dumping 3.2. Die Metallverarbeitung Zur Erinnerung: Di M Die Metallverarbeitung t ll b it war b beschäftigungsmäßig häfti äßi die di stärkste tä k t Wachstumsbranche W h t b h ⎯ es hatte die größten Ausbreitungseffekte ⎯ es hatte eine starke Diversifikation B Die Phase der Hochindustrialisierung 144 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Beispiel der Diversifikation (musste nicht innerhalb eines einzelnen Unternehmens sein, gesamtwirtschaftlich betrachtet): ) sondern g Solinger Messerschmiede ⎯ Maschinenbau ⎯ Fahrzeugbau ⎯ elektrotechnische Industrie Der Maschinenbau: Er begann um 1830, verstärkte sich ab ca. 1850 und ganz besonders ab 1860 Seit 1855/60 gab der Maschinenbau die entscheidenden Impulse für die Eisen- und Stahlproduktion (vorher war es der Eisenbahnbau) Zum Vergleich England: Erst gab der Maschinenbau die Impulse, danach (ab 1825) der Eisenbahnbau B Die Phase der Hochindustrialisierung 145 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Welche Maschinen wurden am meisten nachgefragt? g g Um 1870: 75 %: Bergbau-Maschinen, landwirtschaftl. Maschinen, Maschinen für Schiffsbau, Motoren, diverse Apparate zur Bearbeitung von Metall, Holz 20 %: Lokomotiven, Bahnwaggons, sonstige Wagen 5 %: Textilmaschinen B Die Phase der Hochindustrialisierung 146 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Charakteristische Merkmale des Maschinenbaus: ⎯ Die Großunternehmen ((z.B. Krupp, pp MAN)) verstärkten die Produktdiversifikation ⎯ Die Klein- und Mittelbetriebe spezialisierten sich ⎯ Es g gab nie eindeutige g Branchenführer ⎯ Es gab typische Pionierunternehmer, Universalfirmen, Spezialisten ⎯ Gewisse Hauptstandorte: Berlin, Berlin Leipzig Leipzig, Chemnitz Chemnitz, Köln Köln, Mannheim Mannheim, Nürnberg/Augsburg, Hannover ⎯ Die durchschnittliche Betriebsgröße wuchs nur langsam Grund? B Die Phase der Hochindustrialisierung 147 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die einzelnen Betriebe sind zwar gewachsen (= internes Wachstum), aber es gab ständig Neugründungen (= anfangs wenig Beschäftigte) Also: wachsende Zahl der Beschäftig ten wachsende Zahl der Betriebe Der Maschinenbau war immer stärker exportorientiert: 1870: 1,3 % des gesamten Exports 1910: 7% “ “ “ B Besonderes d K Kennzeichen i h d der metallverarbeitenden t ll b it d IIndustrie: d ti sehr innovativ B Die Phase der Hochindustrialisierung 148 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Universität Regensburg 2 Beispiele: p Fahrzeugbau g Elektrotechnische Industrie Fahrzeugbau a) Fahrrad b) Automobil zu a) 1885: Erste fabrikmäßige Fahrradproduktion in England 1886: Fahrräder der Nähmaschinenfabrik Naumann (Dresden) 1889 “ “ B Die Phase der Hochindustrialisierung “ Dürkopp (Bielefeld) 149 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 1888: Erfindung g des Luftreifens durch Dunlop p ((England) g ) 1900: Erfindung der Freilaufnabe durch Ernst Sachs (Deutschland) → Fahrrad war jetzt ein ausgereiftes Produkt Aber: Bis dahin sehr teuer, deshalb geringe Nachfrage Dann rapide Verbreitung des Fahrrads → Massenmobilität (wie später durch Auto) B Die Phase der Hochindustrialisierung 150 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Was war der Grund für diese Massenmobilität, d.h. auch große Nachfrage? 1. Große Popularität des Radsports 1885: Deutscher Radfahrerkongreß 1886: Erste Radrennbahn Bayerns zwischen Nürnberg und Fürth Allmählich immer mehr Radfahr-Vereine 2. Sinkende Preise 1882: modernes englisches Rad ca. 300 Mark, ~ ½ Jahreslohn! 1905/10: gutes Rad ca. 80 Mark, ~ 1 Monatslohn B Die Phase der Hochindustrialisierung 151 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Auffallend: Starke Standortkonzentration 1910/13: Expreß, Mars, Triumph, Victoria, Hercules alle in Nürnberg, ca. ⅓ der gesamten deutschen Produktion Die großen Unternehmen (z.B. Triumph) stellten noch andere Produkte her (z.B. Schreibmaschinen) Ältestes, noch heute existierendes Zweiradwerk der Welt: Hercules-Werk: 1886: Gründung in Nürnberg durch Carl Marschütz (Neumarkt/Opf.) B Die Phase der Hochindustrialisierung 152 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg zu b)) 1864: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 ((Automobil)) Gründung der ersten Motorenfabrik der Welt (Köln) durch Nikolaus August Otto (Otto-Motor) 1875: Erfindung des Viertaktmotors (Otto) 1883: Benzin-Motor von Gottlieb Daimler (Cannstatt) 1886: Erste „Daimlerkutsche“ (ca. 1,1 PS Leistung) 1879/80: Zweitaktmotor von Karl Benz (Mannheim) B Die Phase der Hochindustrialisierung 153 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg 1886: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Motor-Fahrzeug g von Benz,, ca. 2-3 PS = Geburtsstunde des Automobils (dieses Fahrzeug war keine umgebaute Kutsche) 1890: Daimler-Motorengesellschaft in Cannstatt 1899: Automobilfabrik Benz & Cie Bis dahin aber nur wenige Automobile Grund: extrem teuer Problem: Straßen, Tankstellen B Die Phase der Hochindustrialisierung 154 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Noch vor dem Ersten Weltkrieg g wachsende Popularität, p , weil ... Automobilrennsport (z.B. Paris-Marseille) 1907 in Deutschland etwa 10.000 Automobile B Die Phase der Hochindustrialisierung 155 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Elektrotechnische Industrie Es war der modernste und wachstumsintensivste Zweig der Metallverarbeitung 1847: Siemens & Halske (Berlin) 1873: Schuckert-Werke (Nürnberg) 1883: „Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Electricität“ (Emil Rathenau, Berlin) seit 1887 AEG Später mehrere Großunternehmen und viele kleine U. 1903: Fusion von Siemens und Schuckert (ca. 15.000 Beschäftigte, 1913 ca. 43.000 B.) B Die Phase der Hochindustrialisierung 156 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Jetzt nur noch zwei Großkonzerne: Siemens-Schuckert und AEG Daneben aber viele kleine und mittlere Unternehmen Charakteristische Merkmale: ⎯ Ein Betrieb hatte im Durchschnitt knapp 100 Beschäftigte ⎯ Es dominierte das Großunternehmen (mit mehreren Betrieben) ⎯ Starke St k Standortkonzentration St d tk t ti 1907: Über 50 % der Beschäftigten in Groß-Berlin („größte Zentrale der elektrotechnischen Produktion der Welt“) B Die Phase der Hochindustrialisierung 157 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 ⎯ Die Großunternehmen hatten eine breite Produktpalette Die Kleinunternehmen waren stark spezialisiert (oft nur 1 Produkt) ⎯ Die 3 Großkonzerne Siemens, Schuckert (bis 1903) und AEG gründeten Finanzierungs-, Finanzierungs BeteiligungsBeteiligungs und Betriebsgesellschaften 3 3 Die chemische Industrie 3.3. Die chem. Industrie war die international bedeutendste deutsche Industrie In 2 Bereichen hatte sie eine weltweite Monopolstellung: a) Kaliproduktion und -verarbeitung: 95 % - 98 % der Welt b) Synthetische Farbstoffe: um 1900 etwa 90 % B Die Phase der Hochindustrialisierung 158 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Anteil am Chemie-Export p der Welt: Anteil D. 28 % GB 16 % (2. Rang) Gesamter Umsatz: 1913 ca. 2,5 Mrd. Mark USA 1,5 Mrd. Mark (2. Rang) Auffallend das Wachstumstempo: Synthetische Farbstoffe: 1880 ca. 50 % Weltmarktanteil 1900 ca. 90 % Weltmarktanteil B Die Phase der Hochindustrialisierung 159 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der Aufschwung g begann g um 1860 ((Gründung g bedeutender Unternehmen): ) 1861: Farbwerke Bayer (zunächst Barmen, dann Leverkusen) 1863: Farbwerke Hoechst (zunächst Meister, Lucius & Co.) 1865: Badische Anilin & Soda-Fabrik (zunächst Mannheim, dann Ludwigshafen) Vorher kleinere Werke (Casella in Hoechst, Merck in Darmstadt) B Die Phase der Hochindustrialisierung 160 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Neben den schnell wachsenden großen Farbwerken behaupteten sich zahlreiche kleine und mittlere Betriebe Um 1900 hatten die Farbwerke Hoechst 10.000 Beschäftigte Grund für die 2 Weltmonopole: a)) Kali: K li zahlreiche hl i h große ß Lagerstätten L tätt von K Kalisalz li l b) Synthetische Farben: hoher Forschungsstand der Chemie in D. B Die Phase der Hochindustrialisierung 161 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Indikatoren des Forschungsstandes: − Große Forschungsintensität a) 1900: in D. ca. 4.000 ausgebildete Chemiker in GB ca. 3.000 ausgebildete Chemiker b) 1885-1899: ca. 11mal mehr Patente als in GB c) Britische Fachzeitschriften: die Zahl deutscher Aufsätze ist ca. 6mal so hoch wie die Z hl b Zahl britischer iti h A Aufsätze f ät B Die Phase der Hochindustrialisierung 162 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 − Großes Interesse der Unternehmer an der Wissenschaft a) viele Unternehmen haben eigene ForschungsForschungs und Entwicklungsabteilungen b) enge Zusammenarbeit mit Universitäten und Technischen H h h l Hochschulen B Die Phase der Hochindustrialisierung 163 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Seit Ende des 19. Jahrhunderts rasches Wachstum der p pharmazeutischen Produktion (z.B. Aspirin, Insulin, Antibiotika usw.) Grund: große Forschungsintensität Indikatoren: Nobelpreis für Medizin - 1901: Emil von Behring (u.a. Diphterie.Serum) - 1905: Robert Koch (Cholera, Malaria usw.) - 1908: Paul Ehrlich (Salvarsan gegen Syphilis) B Die Phase der Hochindustrialisierung 164 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Konzentration durch Kartellierung: 1904: Bayer BASF AGFA Kartell (Aktien-Gesellschaft für Anilinfabrikation, Berlin) Hoechst Casella Kartell Kalle & Co. AG Beide Kartelle bildeten ein Kartell in bestimmten Produktionsbereichen → 1925: I.G. I G Farbenindustrie B Die Phase der Hochindustrialisierung 165 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 1888: Kalisyndikat p Entwicklung g der Kali-Chemie Expansive → immer neue Kalibergwerke und Fabriken → 1910: Zwangssyndikat für Kali mit festen Produktionsquoten Grund: Preußischer Staat war Eigentümer mehrerer Kalibergwerke 4. Der Dienstleistungssektor 4.1. Geld, Währung, Banken Vor 1871 gab es in D. keine einheitliche Währung (Gulden und Taler) Einheitlich war nur das Münzmetall: Silber B Die Phase der Hochindustrialisierung 166 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Gesetze 1871/73: 1. Einführung der Mark (Währungseinheit) g ((Relation Silber zu Gold 15,5:1) , ) 2. Goldwährung Bis dahin hatte nur England die Goldwährung (seit 1816) Seit den 1870er Jahren GW: Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen Seit den 1890er Jahren GW: USA, Russland, Japan, Österreich-Ungarn → Das D iinternationale t ti l Wäh Währungssystem t war d damitit auff d den Goldautomatismus G ld t ti ausgerichtet: i ht t Die Zahlungsbilanzen der einzelnen Länder wurden bei Ungleichgewichten (Überschuss, Defizit) wieder ausgeglichen. B Die Phase der Hochindustrialisierung 167 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der Goldautomatismus Mark pro Pfund (Kurs) (Goldexportpunkt) 20,51 20,43 oberer Goldpunkt Goldparität 20,35 p unterer Goldpunkt (Goldimportpunkt) B Die Phase der Hochindustrialisierung 168 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 In London g gesetzlich festgelegt: g g 1£ = 7,314 , Gramm FG In Berlin gesetzlich festgelegt: 1M = 0,358 Gramm FG 1£ = 20,43 M (Gold-)Parität Beispiel: D. importiert aus GB mehr als es dorthin exportiert → HB-Defizit (D. gegenüber GB) = auf dem Devisenmarkt werden mehr £ nachgefragt als umgekehrt M → £ wird teurer, £-Kurs steigt z.B. auf 20,60 M (das sind 7,358 Gramm FG) B Die Phase der Hochindustrialisierung 169 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg D-Importeur: Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Bei einem bestimmten Kurs wird es günstiger, in D. Gold zu kaufen (fester Preis!), dieses Gold nach GB zu transportieren, dort in £ zu tauschen (fester Preis!) und mit dem Erlös die Importe aus GB zu bezahlen. → G ld Goldexportpunkt t kt also l d dort, t wo di die T Transaktionskosten kti k t fü für G Gold ld gleich l i h der Differenz aus Kurswert und G-Parität ist. Mit Einführung der Goldwährung 1871/73 durften keine Silbermünzen mehr geprägt werden. Die bisherigen Silbermünzen (Taler und Gulden) blieben bis 1907 in Umlauf → bis dahin also „hinkende Goldwährung“. B Die Phase der Hochindustrialisierung 170 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Goldumlaufwährung: Goldmünzen zu 20, 10 und 5 Mark (kleinere Münzen, Scheidegeld, p , Nickel). ) aus Silber,, Kupfer, 1875 Gründung der Reichsbank = Verkauf der Preußischen Bank (Aktienbank) an das Reich (die privaten Inhaber von Aktien der PB erhielten ihre Aktien zum gleichen Nennwert in Reichsbankaktien umgetauscht). Bis dahin (1875) gab es in D. 34 Notenbanken. Di B Die Bayerische i h H Hypothekenth k und dW Wechsel-Bank h l B k verzichtete i ht t 1875 auff ihr ih Notenprivileg N t i il zugunsten der neugegr. öffentl.-rechtl. Bayerischen Notenbank. B Die Phase der Hochindustrialisierung 171 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Auch nach 1875 gaben mehrere private und öffentl.-rechtl. Notenbanken noch Noten aus. Die Reichsbank war privilegiert, um allmählich die einzige Notenbank und damit Zentralnotenbank zu sein. Privilegien: Nur RB durfte im ganzen Reich Filialen einrichten. Alle Emissionsrechte, die erloschen oder aufgeg., gingen an RB. Bevorzugung bei der Banknotensteuer. Erst 1910 wurde die Reichsbanknote gesetzliches Zahlungsmittel. Bis 1906 gab es nur 100-Mark-Scheine. Danach auch 50 und 20 Mark. B Die Phase der Hochindustrialisierung 172 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Notenbankverfassung Leitung: g RB-Präsident und RB-Direktorium (auf Vorschlag des R.-Kanzlers vom Kaiser ernannt) Status der Leitung: Kanzler hatte ein Weisungsrecht (nur 1 x gebraucht, von Bismarck 1887: Lombardverbot für russische Wertpapiere; Aufhebung 1894: deutsch-russischer Handelsvertrag) Deckung der RB-Noten: 1/3 in Gold oder Gold-Devisen 2/3 in erstklassigen Handelswechseln (wenn der 2/3 Rest größer als 250 Mio. Mark war, musste die RB eine Notensteuer zahlen) B Die Phase der Hochindustrialisierung 173 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Aufgaben der Reichsbank 1. Die Funktionsfähigkeit des Goldstandards garantieren. 2. Die volkswirtschaftliche Liquidität (Geldmenge und Kreditvolumen) steuern. Dazu diente fast ausschließlich die Diskontsatz-Politik. B Die Phase der Hochindustrialisierung 174 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Banken und ihre Bedeutung In Preußen bis 1870 keine Zulassung einer Bank-AG (nur 1 Ausnahme: 1848 Bankhaus Schaaffhausen, Köln) ⎯ deshalb Kommanditgesellschaften auf AG (z.B. Disconto-Gesellschaft, Berlin, 1851/56) ⎯ 1870-73: 107 neue Aktienbanken 1870: Deutsche Bank und Commerz- und Disconto-Bank 1872: Dresdner Bank Bis 1873 gründeten vor allem Privatbankiers die Aktienbanken (sahen darin noch keine Konkurrenz). Die meisten Banken bis um 1880 vorwiegend Anlagebanken: 1. Beteiligung am Wirtschaftsunternehmen über Aktienbesitz 2. Emission von Aktien, Obligationen g usw. B Die Phase der Hochindustrialisierung 175 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Deutsche Bank und Commerz-Bank eher Depositenbanken Bis in die 1880er Jahre allgemein Entwicklung zur Universalbank Zwei Konzentrationswellen: 1. 1873-1879: Viele Insolvenzen durch Gründerkrise. 2. 1895-1901: Zielbewußte Expansion Förderung der Konzentration durch das Börsengesetz 1896: ⎯ Aktien neu gegründeter Gesellschaften waren erst 1 Jahr nach ihrer Ausgabe g zum Handel an der Börse zugelassen g → 1 Jahr im Portefeuille einer Großbank Durch Emissionstätigkeit und Depotstimmrecht: enge und dauernde Verflechtung zwischen Banken und Großunternehmen B Die Phase der Hochindustrialisierung 176 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Weitere wichtige Kreditinstitute: Seit Ende des 18. Jh. Sparkassen; allmählicher Aufschwung seit etwa 1850, besonders seit Ende des 19 Jh.; 19. Jh ; 1908 passive Scheckfähigkeit Scheckfähigkeit, Giro- und Kontokorrent-Konten möglich. möglich 1913: Alle Sparkassen jeweils ~ 20 Mrd. Mark Spareinlagen und Aktiva. Die 9 Großbanken insges. ~ 5 Mrd. Kredite. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts Kreditgenossenschaften für Landwirtschaft (Raiffeisenbanken) und Handwerker/Einzelhändler (Volksbanken, Schulze-Delitzsch). B Die Phase der Hochindustrialisierung 177 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 4.2. Binnen- und Außenhandel Binnenhandel 3 Entwicklungstendenzen: Spezialisierung Veränderung des Warensortiments Konzentration Schon immer spezialisiert war der Landhandel (meist lokale und regionale Märkte; Getreide, Tiere) Hinzu kamen seit Beginn des 19. Jahrhunderts die sogen. Kolonialwaren (Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze usw.) → Kolonialwaren-Läden B Die Phase der Hochindustrialisierung 178 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Seit etwa 1870: Handel mit Drogeriewaren g zunächst: Kolonialwaren für arzneiliche, kosmetische, technische Zwecke dann zusätzlich: Produkte der chemischen Industrie Außerdem: Der alte Kolonialwarenhandel nahm immer mehr einheimische Lebensmittel auf → allgemein: Lebensmittelhandel (Gemischtwarenladen) Seit den 1880er Jahren Trend zum Großbetrieb G i ht Gemischtwarenladen l d → Warenhaus W h (breites (b it S Sortiment) ti t) B Die Phase der Hochindustrialisierung 179 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ein spezielles Warenhaus war das Kaufhaus: Nur Waren einer bestimmten Warengruppe (z (z.B. B Textilien) Vorbilder des Waren- und Kaufhauses waren die Warenhäuser „Bon Marché“ in Paris (1852) und Macy in New York (1858) Grundsätze: Fester Preis, hoher Umsatz bei niedriger Gewinnspanne, kein Kaufzwang, g, großzügiger g g g Umtausch Kunden: Bürgerlicher Mittelstand, Kleinbürgertum, Arbeiterschaft Erstes deutsches Warenhaus: Leonhard Tietz in Köln (1879) (1905 Aktienges. später Kaufhof AG) Leonhards Bruder Hermann Tietz: Karstadt: a s ad 1882-94 Warenhaus mit Filialen (später Hertie) Gründung G ü du g 1881 88 von o Rudolf udo Karstadt a s ad a als s Textilhaus e aus in Wismar s a B Die Phase der Hochindustrialisierung 180 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Auch im Lebensmittel-Einzelhandel entstanden Großbetriebe, z. B. 1880 „Kaiser’s Kaffeegeschäft“ (in Viersen) Kritische Einstellung der kleinen Einzelhändler: bedrohliche, unlautere Konkurrenz (Warenhaus umging den Großhandel) Berechtigte Befürchtung? 1913 1913: Anteil der Warenhäuser Warenhä ser am Gesamt Gesamtumsatz msat Ein Einzelhandel elhandel 2 % Trotzdem: In Preußen seit 1900 Sondersteuer für Warenhäuser In Württemberg seit 1903 kommunale Sondersteuer möglich B Die Phase der Hochindustrialisierung 181 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Außenhandel Außenhandelspolitik seit 1862 freihändlerisch: 1862 1863 1865 1868 Handelsvertrag mit Frankreich England, Belgien Italien, Österreich Österreich-Ungarn 1865: allgemeine starke Zollsenkung 1870: Viele Waren (außer Eisen) zollfrei 1873: Wichtige Eisenprodukte zollfrei (z.B. Roheisen, -stahl) 1877: Weitere Eisenprodukte zollfrei (z.B. Schienen, Lokomotiven) Damit weitgehender Übergang zum Freihandel. B Die Phase der Hochindustrialisierung 182 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Nach Ausbruch der Gründerkrise 1873 (zunächst Börsen- und Finanzkrise, dann allgemeine Wirtschaftskrise): Ab 1876 (Rücktritt des Präsidenten des Reichskanzleramtes Rudolf Delbrück, Freihändler!) rascher h Üb Übergang zum Protektionismus P t kti i Ab 1879: System mittlerer bis hoher Schutzzölle Wichtige Zölle: 1880 - 85: 10 Mark je Tonne Weizen oder Roggen 1885 - 87: 30 “ 1887 - 91: 50 “ 1891 - 1906: 1906 35 “ 1906 - 1913: 75 “ Von 1880 - 85 Charakter eines Finanzzolles B Die Phase der Hochindustrialisierung (1890 94 R (1890-94: Reichskanzler i h k l von Caprivi) C i i) 183 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 1879 - 1913: 10 Mark je Tonne Roheisen ((= ca. 17 % des Preises von 1879,, 60 Mark)) Kalkulation eines englischen Roheisen-Exporteurs nach D.: 60 Mark Erlös auf dem dt. Markt ./. 10 Mark Zoll ./. 10 Mark Transport/Versicherungskosten 40 Mark maximale Produktionskosten in GB (das war möglich) B Die Phase der Hochindustrialisierung 184 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Der Außenhandel im Überblick: Export Import jeweils in Mio. Mark 1870 2 300 2.300 3 300 3.300 1890 3.400 4.300 1913 10.100 ((18 %)) 10.800 ((20 %)) Es existierte langfristig ein ziemlich gleichmäßiges Handelsbilanzdefizit B Die Phase der Hochindustrialisierung 185 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Gründe: ⎯ Stark wachsender Import von Rohstoffen und Nahrungsmitteln ⎯ Stark wachsender Export von Fertigwaren (Anteil von Fertig- und Halbwaren 1913: 75 %) ⎯ Die Importpreise stiegen schneller als die Exportpreise 1896 - 1913: Importpreis-Index gegenüber Exportpreis-Index um 100 % gestiegen! → drastische Verschlechterung der terms of trade B Die Phase der Hochindustrialisierung 186 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Anteile am Weltexport p in %: 1880 1900 1913 Großbritannien 23 20 17 Deutschland 10 13 13 USA 10 13 13 F k i h Frankreich 11 9 8 B Die Phase der Hochindustrialisierung 187 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Wie war die Außenhandelsverflechtung? gingen g die Exporte, p , woher kamen die Importe? p Wohin g Exporte (1913) in % Importe in % 14 GB 1890: 76 Europa 11 Österr.-Ungarn 1913: 55 “ 9 Rußland • 1890: 10 USA • 1913: 16 “ • 76 Europa gesamt ∅ 10 USA 86 Europa/USA B Die Phase der Hochindustrialisierung 1913: 71 Europa/USA 188 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Wachsende Bedeutung als Rohstofflieferanten: Argentinien, g , Brasilien,, Chile Praktisch keine Bedeutung: Afrika und andere, nichtindustrialisierte Länder Bedeutung der Kolonien für Deutschland? (Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo, Ostafrika, Neu-Guinea, Bismarck-Archipel, Marshall-Inseln und einige andere kleine Inseln im Pazifik) Anteil am deutschen Export: ca. 0,5 % (Eisenbahnmaterial, Schuhe, Zement, Zucker usw ) usw.) Anteil am dt. Import:0,1 - 0,5 % (Federn, Kokosnüsse usw.) B Die Phase der Hochindustrialisierung 189 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 5. Das öffentliche Finanz- und Steuersystem Finanzverfassung: geteilte Finanzhoheit Reich - Länder - Gemeinden Die Einnahmen des Reichs: 1. Zölle 2. Verbrauchsteuern: ( y Salz, Tabak, Branntwein, Bier, Rübenzucker (Bayern, Württemberg, Baden, Elsaß-Lothringen: behielten eigene, höhere Biersteuer) 3. Erwerbseinkünfte: Post, Telegraphenwesen, Reichseisenbahnen in ElsaßLothringen (Bayern, Württemberg: eigene Post) B Die Phase der Hochindustrialisierung 190 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 4. Sonstige Einkünfte: 5. Matrikularbeiträge: insbesondere Verkehrssteuern ⎯ Wechselsteuer seit 1869 ⎯ Stempelsteuer beim Abschluß von Gesellschaftsverträgen, Ausgabe von Obligationen, Kuxen, Schecks (seit 1881) ⎯ Gebühren Soweit die Einnahmen 1.- 4. nicht ausreichten MB MB mußten vom Reichstag g und Bundesrat beschlossen werden Umlage auf die Länder nach deren Bevölkerungszahl Aber: Frankensteinsche Klausel ab 1879: Wenn die Einnahmen aus 1. - 4. jährlich 130 Mio. Mark überstiegen, mußten diese Mehreinnahmen an die Länder verteilt werden (nach der Bevölkerungszahl) bzw. wurden mit den MB verrechnet B Die Phase der Hochindustrialisierung 191 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Mehrmals waren die Überweisungen des Reiches an die Länder höher als deren MB → Durch die F.-Klausel konnte das Reich seine Einnahmen nicht erhöhen → Seit 1880/81 Aufnahme von Anleihen Reichsschuld: 1871: 0M 1890: 1 Milliarde M 1904: 3,1 Milliarden M Zwischenbemerkung: Wo sind die direkten Steuern? Es gab für das Reich noch keine. (1906: Erbschaftssteuer) B Die Phase der Hochindustrialisierung 192 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die Ausgaben g des Reichs: Das Reich hatte im zivilen Bereich nur wenige Aufgaben → Militäretat war größter Einzelposten: ~ 80 % Anteil Militärausgaben an allen öffentlichen Ausgaben 1910: 21 % Das war weniger als in Frankreich und nicht mehr als in GB. B Die Phase der Hochindustrialisierung 193 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Beurteilung: Das Reich hatte nur begrenzte Einnahmemöglichkeiten. Es war „Kostgänger der Länder“ (Bismarck) Wegen wachsender Verschuldung: Finanzreform 1906 durch Staatssekretär Hermann von Stengel Ergebnis: Aber: ⎯ Aufhebung der Franckensteinschen Klausel ⎯ Erhöhung diverser Verbrauch- /Verkehrssteuern ⎯ Einführung der Erbschaftssteuer Weitere Verschuldung 1909: Reichsschuld 5 Mrd. Mark → Weitere Finanzreform durch von Sydow 1908/09 Ergebnis: ⎯ Erhöhung verschiedener Verbrauchsteuern ⎯ Börsenumsatzsteuer erhöht B Die Phase der Hochindustrialisierung 194 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die Struktur der Reichseinnahmen 1874 und 1913 (in %) 1874 1913 Zölle 28 31 Verbrauchsteuern 41 43 Erwerbseinkünfte (z.B. Post) 3 7 Matrikularbeiträge 18 2 E b h ft t Erbschaftssteuer 0 2 Anleihen 0 5 Sonstiges 10 10 100 100 B Die Phase der Hochindustrialisierung 195 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Die Länder Wie wichtigste Einnahmequelle waren die staatlichen Betriebe Diese Erwerbseinkünfte machten 40-60 % aller Einnahmen aus. Meistens erzielten die Eisenbahnen bedeutende Gewinne. An zweiter Stelle standen die direkten Steuern: 1. Einkommensteuer (nach Klassen gestaffelt) 2 2. Ertragssteuern (insbesondere Realsteuern: GrundGrund , Gebäude Gebäude-, Gewerbesteuer) ((vor allem in Süddeutschland wichtig) g) B Die Phase der Hochindustrialisierung 196 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ausbau der Personalbesteuerung g in Preußen durch die Steuerreform des Finanzministers Johannes von Miquel 1891-1893: Ablösung der Klassensteuer durch eine allgemeine, progressive Einkommensteuer. Eingangssteuersatz 0,62 % bei jährlichem Einkommen von 900 - 1.050 Mark (Ø Jahreseinkommen eines Arbeiters: 650 M) Höchster Steuersatz 4 % für Einkommen von über 100.000 M → Steuereinnahmen stiegen beträchtlich (90 % aller direkten Steuern) → Preußen überließ alle Ertragssteuern den Gemeinden. B Die Phase der Hochindustrialisierung 197 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 In Bayern und Württemberg blieben die Ertragssteuern länger die Grundlage des Steuersystems 1905: Württemberg 1910: Bayern allgemeine Einkommensteuer 1878: Sachsen Die Gemeinden Am Anfang relativ hohe Einnahmen aus Grundbesitz, eigenen Betrieben sowie Verwaltungseinnahmen g ((z.B. Gebühren)) B Die Phase der Hochindustrialisierung 198 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Ende des 19. Jh.: ⎯ Gemeinden bekamen die Realsteuern (Preußen) ⎯ Zuschläge g auf die Einkommensteuer ((1913: Ø 200 %)) Struktur der gemeindlichen Einnahmen: 33 % Einkommen/Vermögensteuer 24 % Realsteuern 23 % Verwaltungseinnahmen 14 % Erwerbseinkünfte (95 %) Trotzdem stieg die Verschuldung der Städte beträchtlich. B Die Phase der Hochindustrialisierung 199 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Das Kirchensteuerwesen Die alten örtlichen Kirchenzehnten und kirchlichen Umlagen wurden durch die Kirchensteuer ersetzt Kirchensteuer: Zuschlag zur staatlichen Einkommensteuer 1875: Preußen; Hessen 1912: Bayern All Allgemeine i Strukturen St kt und d Tendenzen T d B Die Phase der Hochindustrialisierung 200 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte Prof. Dr. Rainer Gömmel Universität Regensburg Industrielle Revolution und Hochindustrialisierung 1800 - 1914 Struktur der öffentlichen Einnahmen (1900): Reich 30 % Länder 31 % Gemeinden 39 % Struktur der öffentlichen Ausgaben (1913): Militär 25 % (= 4,7 % des Netto-SP; im internationalen Vergleich wenig) Bildung/Soziales/Gesundheit 28 % (steigend) Verwaltung 17 % (rückläufig) B Die Phase der Hochindustrialisierung 201
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