Deutsch-Finnische Rundschau 147 Sofi Oksanen: Fegefeuer Die 33-jährige Schriftstellerin Sofi Oksanen, Tochter einer Estin und eines Finnen, in Jyväskylä aufgewachsen, hat mit ihrem 2008 in Finnland erschienenen Roman „Fegefeuer“ nicht nur heftige Diskussionen ausgelöst, sondern auch gleich den Finlandia-Preis gewonnen. Überall, wo das Buch bisher erschienen ist – derzeit wird die Übersetzung in die 40. Sprache vorbereitet – wird es gelobt und gefeiert. 2009 folgte der Runeberg-Preis und 2010 der Literaturpreis des Nordischen Rates. Anfang November wurde ihr der renommierte Prix Femina in Frankreich verliehen. Zu Recht, denn Oksanen hat in der Tat eine atemberaubende, unter die Haut gehende Geschichte über das Land ihrer Mutter und Großmutter geschrieben. Sie setzt 1992 ein, ein Jahr nachdem Estland seine Unabhängigkeit erlangt hatte, in einem Dorf im Westen des Landes. Die alte Aliide Truu wohnt allein auf dem Land. Ihr Leben gerät aus allen Fugen, als sie eines Tages einen verschmutzten, geschundenen, mehr toten als lebendigen Körper auf ihrem Hof entdeckt. Es ist die 20-jährige Russin Zara, die am anderen Ende der Sowjetunion, in Wladiwostock, aufgewachsen ist. Sie sucht bei Aliide Unterschlupf und gibt an, auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Mann und Zuhältern zu sein. Schon bald stellt sich heraus, dass die Begegnung dieser beiden Frauen kein Zufall ist. Zara ist Aliides Großnichte. Nach 56 Jahren schließt sich hier ein Kreis, der in Aliides früher Jugend beginnt und mit einem Foto, das Zara ihr zeigt, Erinnerungen an Ereignisse zurückbringt, die sie erfolgreich ausgeblendet zu haben glaubte. Damals in den 30er Jahren waren Aliide und ihre Schwester Ingel in ein und denselben Mann, in Hans, verliebt, dessen Wahl auf die jüngere Ingel fiel. Eine Entscheidung, die Aliide nie akzeptieren konnte und letztendlich dazu führte, dass die Schwester und deren Tochter Linda in den Gulag, in dem Linda Zara zur Welt brachte, deportiert werden. In einer direkten, nahezu tabulosen, aber auch sehr feinfühligen Sprache und aus einer weiblichen Perspektive zieht Oksanen den Leser in den Bann der jüngsten Geschichte Estlands anhand der Erfahrungen einer Familie. Sie nennt Unaussprechliches beim Namen und gibt denen, die unter Krieg, Besatzung, Kommunismus, Unterdrückung gelitten haben, eine Stimme und ein Gesicht. Das macht den eigentlichen Wert dieses Buches aus. Petra Sauerzapf-Poser Sofi Oksanen: Fegefeuer (Puhdistus, WSOY Helsinki, 2008). Aus dem Finnischen von Angela Plöger, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 395 S. ISBN 978-3-462-04234-4, 19,95 Euro.
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