Antikoagulation in Notfall-Situationen Prof. Dr. med. Hans-Peter Kohler Chefarzt, Medizinische Klinik, Spital Netz Bern, Zieglerspital & Departement Klinische Forschung Universität Bern, Inselspital Inhalt -Begriffe, Grundlagen der Blutgerinnung -Der antikoagulierte Patient als Notfallpatient -Beispiele von „gerinnungsrelevanten/blutungsrelevanten“ Notfallsituationen -Arten von Blutverdünnern (Antikoagulantien) -Herkunft von Antikoagulantien (historisch) Begriffserklärung: „Antikoagulation“ Antikoagulation (griech. anti „gegen“ und lat. coagulatio „Zusammenballung“) Direkte Hemmer (Gerinnungsfaktor), Indirekte Hemmer (Synthesehemmung) ⇒ Hemmung der plasmatischen Gerinnung Thrombozytenaggregationshemmer werden umgangssprachlich auch als Blutverdünner bezeichnet…. ⇒ Hemmung der Blutplättchen Häufige Notfallsituationen Antikoagulation als Therapie -Lungenembolie -Herzinfarkt -Thrombose Blutungsstillung als Therapie -Hirnblutung -Trauma -Aneurysma/ Dissektion Das Wissen über eine Antikoagulation ist lebenswichtig! Je nach Erkrankung ist die Kommunikation mit dem Arzt jedoch unmöglich (z.B. Hirnblutung). Häufig im Alter! Indikationen für eine orale Antikoagulation Thromboembolische Erkrankungen ⇒Der Anteil antikoagulierter Notfall-Patienten ist hoch Der antikoagulierte Patient als Notfallpatient -Gefahren der AK (Bei der Entstehung von Notfallsituationen) -Das Wissen einer Antikoagulation bei Therapien (Arzt!) -Der antikoagulierte Patient in der Notfallsituation (Verhalten) -Abwägen des Risikos/Nutzen Diagnostik in Notfallsituationen Notfalldiagnostik: -Lumbalpunktion -ZVK -Anästhesie lumbal -Aszitespunktion -Etc. etc. Bei antikoagulierten Patienten ggf. gefährlich Bei vielen Notfallsituationen ist die Blutgerinnung direkt betroffen! Grundlagen der Blutgerinnung Die primäre Hämostase Von der primären („zellulären“) Hämostase zur plasmatischen Gerinnung Möglichst ein guter Flow ohne Endothelschaden! Die plasmatische Gerinnung Das Endprodukt Optimale Blutverdünnung Blutung, Blutungstendenz Starke AK Thrombose, Hyperkoagulabilität Schwache AK Fallbeispiel -45-jähriger Patient verspührt während der Arbeit am Computer zunehmend Kopfschmerzen. Beginn innert Sekunden. -Immer ansprechbar -Patient ist antikoaguliert wegen einer Lungenembolie -Bei Eintritt: Schwindel (unspezifisch), Kopfschmerzen, Nausea, Erbrechen BD: 220/120 Was ist passiert? Frage an das Publikum Bluthochdruck? Migräne? Hirnblutung? Welche Untersuchung muss durchgeführt werden? Computer Tomographie Eine mögliche Ursache Weitere Ursachen: Hirntumor Bluthochdruck Der Notfallpatient mit Thoraxschmerz “Thoraxschmerz“ -Sehr häufiges Symptom -Differentialdiagnose ist breit: Herzinfarkt, Dissektion, Pneumothorax, Lungenembolie, muskuloskeletaler Schmerz, Pneumonie etc, etc… -Das Wissen über eine bestehende Antikoagulation ist sehr wichtig! Differentialdiagnose Thoraxschmerz Ursachen Gefässverschluss Gefässverletzung Blutverdünnung als Therapie Blutverdünnung: schädlich/gefährlich Wie lautet Ihre Diagnose? Therapie -Hemmung der Blutplättchen (Aspirin, Clopidogrel [Plavix]) -Initial auch Hemmung der plasmatischen Gerinnung (Heparine) NW: Blutungsgefahr! Fallbeispiel Aktuelles Problem: 64 jähriger Patient mit plötzlichen Schmerzen zwischen den Schulterblättern und Brust Anamnese: -St.n. Herzinfarkt vor 5 Jahren -Hypertonie, Diabetes (Insulin) -Antikoaguliert bei Vorhofflimmern Befunde bei Eintritt: -Kaltschweissiger Patient -Blutdruck 90/60 -Puls 130 unregelmässig -Atemnot -Was ist passiert? -Ist die Situation gefährlich? Frage an das Publikum Lungenödem? Lungenembolie? Herzinfarkt? Dissektionsmembran Notfallsituationen Antikoagulation als Therapie -Lungenembolie -Herzinfarkt -Thrombose Blutungsstillung als Therapie -Hirnblutung -Trauma -Aneurysma/ Dissektion Das Wissen über eine Antikoagulation ist lebenswichtig! Je nach Erkrankung ist die Kommunikation mit dem Arzt jedoch unmöglich (z.B. Hirnblutung). Fallbeispiel: 48-jähriger Patient JL: Vor 12 Stunden 2-maliges Bluterbrechen (ca. 2 Jogurtbecher) PA: Koronare Herzerkrankung mit Vorhofflimmern, St.n. Herzinfarkt und Hirnschlag, oral antikoaguliert. Status: Kardiopulmonal stabil, BD 145/80, Puls 70 Labor: Hb: 12.8, INR: 2,4 Pat. wünscht in der Koje sitzen zu können, möchte nicht an den Monitor angeschlossen werden. Beginnt eine Zeitung zu lesen... Eine Gastroskopie ist vorgesehen..... Im Notfall befinden sich 16 Patienten..... Krankenschwester geht 5 Minuten später zufällig in die Koje... Patient liegt am Boden in einer Blutlache…… Was ist passiert ??? Die Magenulkus Blutung Schichten der Magenschleimhaut 1. Mukosa (Schleimhaut) 2. Ulcus (Magengeschwür) 3. Submukose (Bindegewebsschicht) 4. Blutgefäße Was stehen für Antikoagulantien zur Verfügung? Coumarine Wirkung : Einwirkung der Coumarine (Synthesehemmung) Geschichte der Coumarine Natürliche Coumarine Durch Aspergillus- oder Penicillium-Arten kann in feuchtem (verschimmelten) Heu mit hohem Anteil an Melilotus (M. officinalis, M. altissimus, M. albus) aus Melilotsäure (Dihydro-o-cumarsäure) Dicoumarol gebildet werden und führt damit zu Hämorrhagien, auch Süsskleekrankheit (sweet clover disease) genannt. Dicoumarol kann im Heu über Jahren persistieren. Ueber ein Viehsterben in Nordamerika, das nach der Aufnahme von feucht gelagertem, Steinklee Heu auftrat, wurde erstmals in den 1920er Jahren berichtet…… Wieso sind Coumarine nicht harmlos? -Schmales therapeutische Fenster -Monitorisierung unumgänglich -Interkationen mit Nahrungsmittel (Vitamin K) -Interaktionen mit anderen Medikamenten -Schnelle Antagonisierung z.T. „komplex“ Interaktionen zwischen Blutverdünner und anderen Medikamenten ! Schmales therapeutisches Fenster Thematik: TIA/CVI und VHF Transient Ischämische Attacke Cerebrovaskulärer Insult Die orale Antikoagulation beim VHF Was für Blutverdünner stehen noch zur Verfügung? z.B. in Notfallsituationen Substanzen Heparin -Intravenös, subkutan Fraktionierte Heparine -subkutan Neuere synthetische Substanzen (in Erprobung, in Entwicklung) -per os. -subkutan (Alte natürliche Substanzen) -nicht in der Routine Unfraktioniertes Heparin Geschichte des Heparins -1916: Medizinstudent Jay McLean entdeckt das Heparin zufällig in der Hundeleber: Heparin -1935: Identifikation als hochsulfatiertes Glycosaminoglycan -1928: erster Einsatz am Menschen -1967: erster standardisierter Einsatz am Menschen -1973: genauer Wirkungsmechanismus (Rosenberg/Damus) -1983: Synthese der AT-III Bindung verantwortlichen Sequenz Heparin Recipe Take 2,300 kg of intestines, 914 L water, 46 L chloroform, and 23 L toluene. Warm at 36°C for 17 hrs. Add 137 L acetic acid, 160 L ammonia add NaOH, (to adjust pH), and 1,065 L water. Bring to the boil; then filter. Add 915 L hot water to filtrate and leave to stand overnight, then skim off the fat. Add pancreatic extract, keep at 42°C for three days, then bring to boil. Filter solids and assay liquid for heparin content. Wirkung von Heparin -Einsetzbar bei Niereninsuffizienz -Therapeutische Dosis SEHR individuell. -Im Alter „problemlos“ einsetzbar. Low molecular weight heparin (LMWH) LMWH -Vorsicht bei Niereninsuffizienz Die Entwicklung geht weiter ! LMWH Pentasaccharide Die Natur kennt weitere Antikoagulantien Blutegel... der kleine Aderlass… Anwendungsgebiete für diese sehr alte Behandlungsweise aus scheinbar der Ayurvedischen (indischen) Medizin, sind bestimmte Entzündungen, Furunkulosen und Stauungsbeschwerden durch Blutfülle. Blutentnahmemenge von etwa 50 - 70 ml pro Egel (einschließlich Nachblutung…). Der schwere Unfall JL: 55 j. Pat, Autounfall Fallbeispiel Klinik: -BD: 90/60, tachykard -Weichteilschwellung li (Beckenbereich/li OS) Oral antikoaguliert wegen Herzklappenersatz Und nun ? -Quick: 5%.... -Blutplättchen sehr tief Die notfallmässige Normalisierung der Blutgerinnung Z.B. vor Operationen… Bei Blutungen… -Vitamin K intravenös -Fresh Frozen Plasma (FFP) -Faktoren-Konzentrate -Einzelfaktoren (FVII) Das Wissen über eine Antikoagulation ist absolut zentral!! ⇒ Ausweis!!! Wie verhalte ich mich in Notfällen? Symptome ernst nehmen, insbesondere Hinweise auf Blutungskomplikationen (Magen, Darm, Kopf etc.) -Kontakt mit Hausarzt -Bei schweren Krankheitsbildern, direkt San Pol, Spital ⇒Einmal zuviel als zu wenig! -Medikamentenliste mit AK-Karte mitnehmen (sollte immer bereit liegen…) -Dokumentation auch für Auslandaufenthalte, ggf. in Englisch
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