Unser juristischer Newsletter vom Juni 2016

KÜNDIGUNG BEI RÜCKKEHR AUS DEM
MUTTERSCHAFTSURLAUB
In der Schweizer Presse war in letzter Zeit viel über Fälle zu lesen, in denen
Frauen bei der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub die Kündigung erhielten. Der
Bundesrat bedauerte diese Diskriminierung kürzlich in seiner Antwort auf eine
parlamentarische Interpellation 1. Er schlägt vor, dass die vom Arbeitgeber in
solchen Fällen geschuldete Entschädigung erhöht wird und ein Kulturwandel in den
Betrieben stattfindet, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu
gewährleisten. Ein weiterer parlamentarischer Vorstoss, der im März 2016
eingereicht wurde, spricht für sich: «Mutter werden und dann den Job verlieren?»
> WÄHREND DER SCHWANGERSCHAFT UND DES MUTTERSCHAFTSURLAUBS IST EINE
KÜNDIGUNG NICHT ERLAUBT – UND DANACH?
Eine Kündigung wegen Mutterschaft gilt als diskriminierend und ist deshalb illegal
(Art. 3 Abs. 1 Gleichstellungsgesetz [GlG] und Art. 336 Abs. 1 Bst. a
Obligationenrecht [OR]). Eine solche Kündigung ist dennoch gültig, allerdings muss
der Arbeitgeber eine Entschädigung zahlen, die im besten Fall bis zu sechs
Monatslöhne beträgt (Art. 5 Abs. 2 und 4 GlG).
Frauen werden nach der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub manchmal Opfer
einer diskriminierenden Kündigung. Einige Arbeitgeber scheuen nicht davor zurück,
nach Ablauf der 16-wöchigen Schutzfrist eine Kündigung auszusprechen, weil sie
fürchten, die neuen Familienpflichten der Arbeitnehmerin könnten ihre Präsenz am
Arbeitsplatz beeinträchtigen. Eine solche Kündigung ist diskriminierend, weil sie
nicht auf objektiven Kriterien wie z.B. der Arbeitsqualität oder der
wirtschaftlichen Lage beruht, sondern einzig und allein auf dem Status der Frau.
> WAS SOLL MAN IM FALLE EINER DISKRIMINIERENDEN KÜNDIGUNG TUN?
Bei einer diskriminierenden Kündigung (Art. 3 GlG) gelten analog die
Bestimmungen für eine missbräuchliche Kündigung (Art. 336 OR). Die
Arbeitnehmerin kann die Kündigung zwar anfechten, jedoch nicht annullieren
lassen. Sie kann auch nicht verlangen, wieder angestellt zu werden. Die Stelle ist
also verloren, allerdings besteht ein Anspruch auf Entschädigung. Bei einem
1
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20163248
[Texte]
Unter der Lupe – Juli 2016
1
öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis kann die Kündigung angefochten und die
Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses verlangt werden.
Den betroffenen Frauen wird empfohlen, ihre Rechte geltend zu machen, denn nur
so lässt sich diese Diskriminierung – die nicht nur sie selbst, sondern ihre ganze
Familie betrifft – aufhalten. Es ist möglich, die kantonale Schlichtungskommission
für Streitigkeiten nach dem Bundesgesetz über die Gleichstellung einzuschalten. 2
Es kann sinnvoll sein, sich zuvor mit dem Bereitschaftsdienst für juristische
Auskünfte der Dienststelle für Arbeitnehmerschutz und Arbeitsverhältnisse in
Verbindung zu setzen.
Einige Frauen wenden sich auch an ein Anwaltsbüro, um ihre Ansprüche gegen den
Arbeitgeber durchzusetzen und wenn nötig bis vor das Arbeitsgericht zu gehen.
Andere lassen sich von ihrer Gewerkschaft beraten.
Es kann vorkommen, dass eine Frau zur Kündigung gedrängt wird, wenn sie es
ablehnt, nach der Geburt zum selben Pensum zu arbeiten wie vorher. In einem
solchen Fall darf sie nicht von der Arbeitslosenkasse benachteiligt werden. Gemäss
Artikel 16 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) kann niemand zu einer
Arbeit verpflichtet werden, die dem Alter, den persönlichen Verhältnissen oder
dem Gesundheitszustand nicht angemessen ist. Eine solche Arbeit gilt als
unzumutbar. Es ist daher wichtig, der Arbeitslosenkasse genau zu erklären, welche
Umstände zur Kündigung geführt haben. Es ist zudem immer ratsam, sich vom
Arbeitgeber eine schriftliche Bestätigung geben zu lassen, weshalb das
Arbeitsverhältnis aufgelöst wird.
> RATSCHLÄGE ZUR VERHINDERUNG EINER ALLFÄLLIGEN KÜNDIGUNG
Die Vorstellung, dass sich eine Mutter gleichzeitig um ein Kleinkind und ihren Job
kümmern muss, kann bei bestimmten Arbeitgebern bewusst oder unbewusst zu
Vorurteilen führen. Die Väter sehen sich hingegen weniger mit solchen
vorgefassten Meinungen konfrontiert. Es ist wichtig, möglichst frühzeitig das
Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen, am besten schon bei der Mitteilung der
Schwangerschaft. Ein offenes Gespräch hilft, Ängste abzubauen und gemeinsam die
besten Lösungen zu finden, so dass sowohl die werdende Mutter als auch der
Arbeitgeber beruhigt in die Zukunft blicken können. Manchmal werden die
getroffenen Abmachungen für die Rückkehr nach dem Mutterschaftsurlaub auch in
einer schriftlichen Vereinbarung festgehalten.
Travail.Suisse stellt mit mamagenda den werdenden Müttern und den Arbeitgebern
ein kostenloses Online-Tool für die Organisation der Zeit rund um die
Schwangerschaft und Geburt zur Verfügung. Diese digitale Agenda hilft, die
einzelnen Etappen am Arbeitsplatz rechtzeitig zu planen. Interessant ist auch das
«Handbuch InfoMutterschaft» von Travail.Suisse.
> VERSCHIEDENE RECHTSBEISPIELE
Kanton Zürich - 14.03.2013 - Die Schlichtungsbehörde erzielt einen Vergleich 3
Während ihrer Schwangerschaft schlägt die Sachbearbeiterin und Projektbetreuerin
der Gesuchgegnerin vor, nach dem Mutterschaftsurlaub nicht mehr wie bisher zu
2
c/o Dienststelle für Arbeitnehmerschutz und Arbeitsverhältnisse, Rue des Cèdres 5, 1950
Sitten, Telefon: 027 606 74 00, E-Mail: [email protected]
3
http://www.gleichstellungsgesetz.ch/d103-1651.html
[Texte]
Unter der Lupe – Juli 2016
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100 Prozent, sondern zu einem reduzierten Pensum weiterzuarbeiten. Nach einiger
Zeit willigt die Gesuchgegnerin ein. Als die Gesuchstellerin am vereinbarten Tag
jedoch wieder zur Arbeit erscheint, erhält sie umgehend die Kündigung und wird
informiert, dass bereits eine andere Person eingestellt wurde. Die Gesuchstellerin
gelangt an die Schlichtungsbehörde und verlangt eine Entschädigung von insgesamt
sieben Monatslöhnen. Die Parteien einigen sich auf einen Vergleich.
Kanton Bern - 20.04.2015 - Die Schlichtungsbehörde erzielt einen Vergleich 4
Eine Mitarbeiterin im Spital wird nach der Geburt des ersten Kindes gefragt, ob sie
ihr Pensum reduzieren möchte. Sie zeigt sich damit nicht einverstanden. Nachdem
sie auch nach der Geburt des zweiten Kindes nicht darauf eingeht, muss sie
aufgrund einer Änderungskündigung ihr Pensum reduzieren. Schliesslich folgt einige
Monate später die ordentliche Kündigung. Die Klägerin verlangt eine Entschädigung
aufgrund diskriminierender Kündigung wegen Mutterschaft und ein wohlwollendes
Arbeitszeugnis. Die beiden Parteien schliessen einen Vergleich, die Arbeitnehmerin
erhält eine Entschädigung sowie das verlangte Arbeitszeugnis
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http://www.gleichstellungsgesetz.ch/d103-1721.html
[Texte]
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