SCHÖNER LEBEN Die farbigen Exemplare sind speziell für eine Ausstellung angefertigt worden. Marianne Burch klebt Karton in eine Büstenform. GUT IN FORM Reissen, kleben, nähen – MARIANNE BURCH leistet Massarbeit. Ihre Büsten entstehen aus Naturmaterialien in der einzigen Manufaktur der Schweiz. Text Kathrin Fritz Fotos Maurice K. Grünig 44 Schweizer Familie 25/2016 SCHÖNER LEBEN Marianne Burch und Rita Belfiglio bei der Arbeit im Atelier. Die Kanten im Innern der zusammengeschraubten Form werden verstrichen. «Die Lady ist wegen der vielen Kurven schwierig zu kleben.» Marianne Burch, Büstenmacherin Die Rückenpartie wird in der Form ausgestrichen. L ady 007 hat Idealmasse. 86-64-90, Grösse 36, schön geformte Kurven, Polster an der richtigen Stelle, wie sie sich jede Frau wünscht. Lady 007 – sie ist nicht mit dem bekannten britischen Agenten verwandt, ihre Figur entspräche aber vermutlich seinem Beuteschema – steht in einem Metallregal. Neben ihr thronen weitere Ladys, alle mit exakt denselben Massen und im gleichen Abstand zueinander platziert. Es sind Torsi. Kopfund gliederlose Skulpturen, weiss, wie von einem Bildhauer aus hellem Marmor gemeisselt. Anstelle von hartem Stein hat ihre Schöpferin Marianne Burch, 67, aber weiche Materialien verwendet: Karton, in weiches Vlies gehüllt und mit Leinen aus England umspannt. Neben den Frauenbüsten in Grösse 34 bis 52 stehen ein paar 46 Schweizer Familie 25/2016 Lady 007 wurde aus der Form gehoben und muss nun trocknen. Männerbüsten mit breiten Schultern und flacher Brust und zwei, drei Büsten für Kinder. Die kurvenreichen Damen sind aber deutlich in der Überzahl. Hie und da prangt eine Lücke im Gestell. «Nicht lange, wir werden sie bald wieder füllen», sagt Marianne Burch. Die Auftragsbücher sind voll. Neben Privatpersonen sind es Schneiderinnen, Schulen und Modedesignerinnen, die bei der anufaktur Zimmermann bestellen. M Theater und das Opernhaus Zürich brauchen ebenfalls Büsten für die Kostümschneiderei, und Museen schätzen die Produkte aus säurefreien Materialien, weil sie ihre wertvollen Ausstellungsstücke nicht angreifen. Die Herstellung einer Büste in Handarbeit braucht Zeit. «Wir arbeiten deshalb vor», sagt die Chefin der Büstenmanufaktur Zimmermann. Der Betrieb in Küssnacht am Rigi ist der einzige in der Schweiz, in dem Kleiderbüsten noch ausschliesslich von Hand gefertigt werden. Mit Karton und Kleister In einem Trog liegen grosse Kartonstücke, in Plastikfolie eingewickelt. Marianne Burchs Mitarbeiterin Rita Belfiglio, 61, hat sie am Vortag im Wasser eingeweicht und über Nacht «ziehen lassen». Mit den Händen reisst sie den Karton in schmale Streifen. «Schneiden darf man nicht», sagt sie. «Die Kanten wären sonst zu gerade und würden sich später beim Ausstreichen nicht so gut miteinander verbinden.» 007, die den Namen dem Erschaffungsjahr des Prototyps, 2007, verdankt, liegt in zwei Hälften aufgeklappt auf einem grossen Tisch. Es sind die Negativformen aus Kunststoff, die die beiden Frauen nun mit Karton auskleiden werden. Rita Bel- figlio macht sich daran, die Innenseite der Brustpartie mit den gerissenen Streifen zu belegen. Sie bestreicht den Karton mit Kleister und drückt ihn in die Form. Marianne Burch arbeitet am Rückenteil. «Die Lady ist wegen der vielen Kurven schwierig zu kleben», sagt sie. Die beiden Frauen streichen und drücken die auf geweichten Streifen aneinander, bis eine homogene zusammenhängende Schicht die Kunststoffform bedeckt. Noch ein paar Striche mit der Hand, und dann werden die Hälften vorsichtig übereinandergelegt und mit Flügelschrauben verschraubt. «Früher war das ein Kraftakt», sagt Marianne Burch, «die Formen wurden von Bildhauern aus Gips hergestellt und waren sehr schwer. Die Gipsformen, die Marianne Burchs Vorgänger 1937 auf einer Gant ersteigern konnte, verwendet die Büstenmacherin auch heute noch. Je nachdem, welche Masse eine Kundin hat. Die Büste ist nun fast fertig geklebt. Noch einmal greifen die beiden Frauen tief in deren Inneres und verstreichen die Kartonkanten der beiden Hälften miteinander. Damit sie später auf einem Ständer befestigt werden kann, setzt Rita Belfiglio am unteren Ende eine Halterung aus Holz und am «Hals» eine gedrechselte Rondelle ein. Dann löst sie die Flügelschrauben, die die beiden Hälften zusammengehalten haben. Vorsichtig heben die Frauen 007 aus der Form und stellen sie ins Regal. Hier wird sie ungefähr eine Woche lang trocknen und hoffentlich stehen bleiben. «Bis jetzt hält sie, doch der kritischste Moment kommt erst später», sagt Marianne Burch, «obwohl wir nun schon seit vielen Jahren Büsten herstellen, kommt es vor, dass sich eine nach einigen Stunden plötzlich nach vorne neigt und allmählich in sich zu sammensinkt.» Doch 007 steht auch nach zwei Stunden starr und stramm. In der ➳ Schweizer Familie 25/2016 47 SCHÖNER LEBEN Rita Belfiglio zieht mit viel Kraft das Leinen über die Büste. Der Leinenstoff aus England veredelt die Objekte. Vom Schreiner gedrechselte Holzrondellen für die Halspartie. Büsten in unterschied‑ lichen Stadien. Zwischenzeit hat Rita Belfiglio eine der trockenen Kartonbüsten in dickes Vlies eingepackt, während ihre Chefin nicht ganz ladylike mit einem Bandschleifer gekonnt um die Kurven einer anderen Büste feilt und letzte Unebenheiten glättet. Manchmal müsse sie den Büsten auch mit der Säge zu Leibe rücken, um zu korrigieren, sagt sie. Millimeterschritte Säge und Schleifer sind Chefinnensache, Rita Belfiglio ist fürs Nähen des Leinenüberzugs zuständig. Sie hat eine Art Schlauch genäht, der auf einer Seite offen ist. Diesen muss sie nun unter Aufbietung aller Kräfte über die gepolsterte Büste zerren. Der Stoff scheint viel zu eng. Sie reisst und zieht, schiebt und kämpft sich Zentimeter um Zentimeter voran, bis der Stoff endlich über der Büste sitzt. Nun gehts in Millimeterschritten weiter. Immer wieder nimmt Rita Belfiglio Mass, während sie den Schlitz mit hellblauen Tapeziernadeln verschliesst. Nachdem sie die Öffnung zugenäht hat, misst sie ein letztes Mal Ober- weite, Taille und Hüftumfang: 86-64-90, Grösse 36, die Büste ist perfekt. ● Kaufinformationen Zimmermann Büsten, Küssnacht am Rigi Büstenangebot: www.buesten.ch Preis ab 488 Franken, Büsten nach persön lichem Mass ab 650 bis 1000 Franken, Damenhosen-Büste ab 380 Franken, Herrenbüste H5 ab 488 Franken. 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