Prof. Dr. Angelika Siehr, LL.M. (Yale) SoSe 2016

Prof. Dr. Angelika Siehr, LL.M. (Yale)
SoSe 2016
Hausarbeit zur Vorlesung Grundrechte
Die Volljuristin P ist deutsche Staatsbürgerin und hat während ihres Referendariats eine Station bei der Polizei des Landes Y abgeleistet. Nach ihrem zweiten juristischen Staatsexamen
bewirbt sie sich auf eine Stellenausschreibung der Polizei des Landes Y um einen Direkteinstieg in den höheren Polizeivollzugsdienst und erteilt bei ihrer Bewerbung auch die geforderte Erlaubnis zur Einsicht in ihre Personalakten des Referendariats.
Das Anforderungsprofil der Stellenausschreibung nimmt auf folgende Vorschrift in den ordnungsgemäß als Verwaltungsvorschriften erlassenen Richtlinien zur Auswahl und Einstellung von Bewerber/-innen für den mittleren und gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Y Bezug:
„Die Mindestkörperlänge beträgt für Bewerberinnen 1,63 m und für Bewerber 1,65 m.
Bei besonders geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern kann diese Grenze um bis zu
2 cm unterschritten werden.“
Männer sind statistisch gesehen über 12 cm länger als Frauen, sodass nur ca. 4 % der Männer diese Vorgabe für die Mindestkörperlänge nicht erfüllen, während bei den Frauen mehr
als 40 % die Mindestanforderung von 1,63 m nicht erfüllen.
Die Bewerbung der P wird von der zuständigen Behörde B unter Berufung auf zwei Gründe
abgelehnt: Zum einen erfülle P mit ihrer Körperlänge von 1,58 m nicht das Anforderungsprofil
für den höheren Polizeivollzugsdienst. Zwar gebe es keine unmittelbar für den höheren Polizeivollzugsdienst erlassene Vorschrift zur Regelung von Mindestkörperlängen. Doch sei es
legitim und auch geboten, insoweit auf die für den gehobenen und mittleren Dienst geltenden
Vorschriften zurückzugreifen, da eine angemessene Körperlänge in allen Bereichen des Polizeivollzugsdienstes eine für die dienstliche Eignung als Polizeibeamter/-in wesentliche Eigenschaft sei: Die Festsetzung einer Mindestkörperlänge von 1,63 bzw. 1,65 m sei sachlich
gerechtfertigt, um eine störungsfreie Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben zu gewährleisten.
So könne es in verschiedenen Bereichen bei unterdurchschnittlich kleinen Polizeibeamten/innen zu Problemen kommen. Dies sei insbesondere im Bekleidungsbereich (Einsatzhelme,
-kleidung, ABC-Schutzmasken) und bei Eingriffstechniken der Fall. Auch sei es in der Vergangenheit zu Fällen gekommen, in denen unterdurchschnittlich kleine Polizeibeamte beiderlei Geschlechts nach Stürzen oder beim Schießtraining mit der circa 20 kg schweren
Schutzausrüstung nicht mehr ohne Hilfe aufstehen konnten. Zudem seien Polizeivollzugsbeamte/-innen, die erheblich kleiner als ein gewaltbereites Gegenüber seien, physisch und
psychologisch im Nachteil; im Angriffsfall würden sie als Schwachstelle angesehen und zum
bevorzugten Angriffsziel.
P fühlt sich durch diese ablehnende Entscheidung in ihren Grundrechten verletzt. Letztlich
werde sie aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert, da Frauen im Durchschnitt eben kleiner
seien als Männer. Würde man hingegen Mindestkörperlängen festsetzen, die dazu führten,
dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen der gleiche Prozentsatz von ca. 4 % der Bewerber/-innen ausgeschlossen wäre, so würde sie die erforderliche Mindestkörperlänge erreichen. Eine auf bestimmten Mindestkörperlängen beruhende Ablehnung als Beamtin im
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höheren Polizeidienst verstoße daher gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG
und gegen ihre Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG. Zudem habe sie sich ja auf eine Stelle im höheren Polizeivollzugsdienst beworben, sodass die genannten Richtlinien vorliegend gar nicht
anwendbar seien. Auch eine analoge Anwendung scheide aus, da es im höheren Polizeidienst um die Übernahme von Führungsaufgaben gehe. Die von B dargestellten Tätigkeiten
seien von der von ihr angestrebten Position allenfalls zu ganz geringen Teilen umfasst. Soweit Beamte/-innen des höheren Polizeivollzugsdienstes tatsächlich einmal bei einem Einsatz vor Ort seien, um diesen zu koordinieren, so stünden sie jedenfalls nicht in der ersten
Reihe, seien daher auch kein bevorzugtes Angriffsziel. Insgesamt verkenne B, dass sich die
praktischen Anforderungen an die Dienstausübung im mittleren und gehobenen Polizeivollzugsdienst doch erheblich von denen des höheren Dienstes unterscheiden. Letzterer sei
durch Verwaltungsaufgaben und den Dienst am Schreibtisch geprägt; ein Einsatzdienst im
eigentlichen Sinne werde durch Polizeivollzugskräfte des höheren Dienstes hingegen nicht
geleistet.
Als zweiten Grund für die Ablehnung der P nennt B erhebliche Zweifel an deren Verfassungstreue. Aufgrund eigener dienstlicher Erkenntnisse ist B bekannt, dass P seit circa 10
Jahren aktives Mitglied einer Partei des linken politischen Spektrums ist. Das Parteiprogramm enthält u.a. die Forderung, die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen und
sozialen Rechtsstaat zu „erneuern“ und insbesondere die parlamentarische Demokratie
durch Elemente einer direkten Demokratie zu „erweitern“. Weiterhin strebt die Partei gemäß
ihrem Parteiprogramm eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, namentlich im Finanzsektor, an. P hat auch regelmäßig an Demonstrationen teilgenommen. U.a. verteilte sie auch
Flyer für die Teilnahme an einer Demonstration unter dem Motto „Gegen den Krieg in Syrien
und die repressive Flüchtlingspolitik“, zu der diverse demokratische Organisationen aufgerufen hatten. Bei einigen Demonstrationen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, an
denen P allerdings nicht beteiligt war.
B begründet ihre Ablehnung damit, dass das System der repräsentativen Demokratie zu den
wesentlichen Merkmalen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zähle und auch die
Eigentums- und Wirtschaftsordnung, anders als vielleicht in der Anfangsphase der Bundesrepublik, inzwischen gefestigt sei. Die Aktivitäten der P seien daher geeignet, Zweifel daran
zu begründen, ob sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes eintreten würde. Somit mangele es P an einer unabdingbaren Voraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst.
In § 33 des einschlägigen Landesbeamtengesetzes Y heißt es:
„(1) In das Beamtenverhältnis darf nur berufen werden, wer
1. Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes […] ist,
2. die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im
Sinne des Grundgesetzes eintritt.“
Die Personalakte der P enthält keine Einträge, die an ihrer Verfassungstreue zweifeln lassen, ihre dienstlichen Beurteilungen sind durchweg positiv. Es kam während des Referendariats auch zu keinen Konflikten aufgrund ihrer politischen Einstellung.
Die P ist entsetzt. Es müsse doch möglich sein, sich in einer Demokratie auch kritisch mit
dem Staat auseinanderzusetzen! Deswegen sei sie noch lange nicht verfassungsfeindlich.
Außerdem sei ihr dienstliches Verhalten tadellos gewesen, wie sich ja auch aus ihrer Personalakte ergebe.
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Nach Erschöpfung des Rechtsweges möchte P Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung der B in Gestalt des letztinstanzlichen Urteils erheben.
Hat eine Verfassungsbeschwerde der P Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitungshinweise – bitte aufmerksam lesen!:
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Die Abgabe der Hausarbeit kann auch per Post erfolgen, in diesem Fall aber ausschließlich per EINSCHREIBEN MIT RÜCKSCHEIN! Für die fristgerechte Abgabe muss
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4. Eigenständigkeitserklärung: Mit der Hausarbeit muss die folgende Eigenständigkeitserklärung abgegeben werden:
Eigenständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Hilfe verfasst habe. Ich habe keine anderen Quellen als die angegebenen benutzt und habe die
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Bielefeld, den ________________________ (Unterschrift)
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