Anna Jermolaewa: Beide Weiß

Wien, 11. August 2016
21er Haus
Museum für
zeitgenössische Kunst
Quartier Belvedere
Arsenalstraße 1
1030 Wien
Öffnungszeiten:
Di: 11 – 18 Uhr
Mi: 11 – 21 Uhr
Do – So: 11 – 18 Uhr
an Feiertagen geöffnet
Pressedownloads:
21erHaus.at/presse
Pressekontakt:
Julia Aßl, Leitung
+43 1 795 57-185
+43 664 800 141 185
[email protected]
5 Jahresplan, 1996 / 2001 / 2006 / 2011 / 2016, Collage, © Belvedere, Wien
Anna Jermolaewa: Beide Weiß
14. Oktober 2016 bis 22. Jänner 2017
Eröffnung: 13. Oktober 2016, 19 Uhr
Pressevorabbesichtigung: individuelle Terminvereinbarung
Anmeldung erforderlich unter: [email protected]
Anna Jermolaewa: Beide Weiß ist nach Cornelius Kolig. Organisches die zweite Schwerpunktpräsentation im Rahmen der Ausstellung Die Sprache der Dinge. Materialgeschichten aus der
Sammlung. Die Motive in Anna Jermolaewas Videos, Fotografien und Installationen bestechen
durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit und zeugen zugleich vom analytischen Interesse der
Künstlerin an gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen, an der Position des
Individuums, seinen Erfahrungs- und Handlungsspielräumen, die sich auch und gerade materiell
manifestieren.
Vorwort der Kuratorin
Von Luisa Ziaja
Die titelgebende Arbeit der Präsentation einer Auswahl von Werken der in St. Petersburg
geborenen und seit den 1990er-Jahren in Wien lebenden Künstlerin Anna Jermolaewa, Beide
Weiß (nach Valeria Mukhina), wirkt in ihrer reduzierten Formensprache und Materialästhetik wie
eine minimalistische Installation: Eine weiße und eine schwarze Pyramide sind auf einem
schwarzen Tisch platziert, unweit davon hängt ein gerahmtes Aquarell, das die beiden Objekte
zweidimensional abbildet, wobei unklar bleibt, welches Element das andere reproduziert.
Vielleicht ist das auch nicht so wichtig, jedenfalls stellt die Arbeit die Kunstfertigkeit
Jermolaewas in beiden Medien aus.
Ginge es hier aber ganz in der Tradition der Minimal Art um die reine, selbstreferenzielle
geometrische Form, die auf nichts als sich selbst verweist, würde es sich mit Sicherheit nicht um
eine Installation der Künstlerin handeln. Zwar eignet sich Jermolaewa, wohl unter dem Eindruck
eines längeren Aufenthalts in New York, bei dem sie permanent mit der Minimal-Ästhetik
konfrontiert war, diese an, sie verlässt aber die programmatische Selbstbezüglichkeit zugunsten
des hinter der Form stehenden Narrativs: Der Titel referiert auf die sowjetische Psychologin
Valeria Mukhina und ihre Experimente zum Konformitätsverhalten von Individuen in einer
Gruppenkonstellation.
Basierend auf ähnlichen Versuchsanordnungen ihres polnisch-amerikanischen Kollegen
Solomon Eliot Asch, die der Gestaltpsychologe in den 1950er-Jahren in den USA durchgeführt
hatte und deren Ergebnis das schockierende Ausmaß manipulativen Konformitätsdrucks
belegte, übertrug Mukhina das Experiment in den 1970er-Jahren in die UdSSR. Dort waren die
Forscherinnen und Forscher überzeugt von der Widerstandsfähigkeit ihrer Probanden. Doch
entgegen der gegebenen, augenfälligen Faktizität einer weißen und einer schwarzen Pyramide
waren die Testgruppen – mit jeweils einem Probanden, der der Manipulation der restlichen
Mitglieder ausgesetzt war – der Meinung, beide seien weiß.
Fragen danach, welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Machtverhältnissen das
Individuum ausgesetzt ist und wie sich im Kleinen, im Alltäglichen Erfahrungs- und
Handlungsräume für die Einzelne und den Einzelnen erschließen lassen, beschäftigen Anna
Jermolaewa schon lange. Die Motive ihrer Videos, Fotografien und Installationen bestechen
gerade in ihrer Einfachheit und zeugen zugleich vom analytischen Interesse der Künstlerin an
(hegemonialen) Strukturen, in denen sich soziale, politische oder auch geschlechtsspezifische
Ungleichheit äußert. Jermolaewa findet ihre Bilder im Hier und Jetzt, richtet ihren Blick auf
Nebensächlichkeiten, auf Selbstverständliches, dem letztlich das große Ganze menschlicher
Existenz eingeschrieben ist. Ihr Blick ist dabei niemals selbstgefällig oder pathetisch, vielmehr
entlarvend ironisch, manchmal sogar von beißendem Humor und stets emphatisch.
So zeigt etwa das fortlaufende Langzeitprojekt 5 Jahresplan, das sie seit 1996 alle fünf Jahre
durchführt und als ihr Lebenswerk bezeichnet, immer dieselbe Kameraeinstellung auf die
Rolltreppe einer Petersburger U-Bahn-Station. Die lapidare Momentaufnahme hält Menschen in
Bewegung fest, die sich über die Jahre sonderbar ähneln, auch wenn sich ihre Lebenswelt
grundlegend verändert hat. Jermolaewa navigiert zwischen den Realitäten des
postkommunistischen Ostens und des spätkapitalistischen Westens wie auch in all den
Zwischenzonen und fängt die Manifestationen und Materialisierungen ökonomischer, politischer
und sozialer Verhältnisse und ihrer geschichtlichen Dimension ein. Sie porträtiert die Katzen der
Petersburger Eremitage, die als veritable Mitarbeiter des Museums gelten können, und erzählt
zugleich die Geschichte der Belagerung der Stadt durch deutsche Truppen im Zweiten
Weltkrieg. Oder davon, wie der bis vor wenigen Jahren geltende sogenannte „Disney-Look“ in
Form von Verordnungen und Verboten, beispielsweise einen Bart oder Make-up zu tragen, dem
Management des Vergnügungsparks direkten Zugriff auf die Körper seiner Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter erlaubte.
Als Flaneurin mit der Videokamera hält Jermolaewa Realitäten Einzelner und Vieler fest, in einer
Art, wie sie wohl Walter Benjamin gefallen hätte, mit einem Blick, der uns eine Ahnung davon
gibt, was er wohl gemeint haben könnte, als er davon schrieb, dass der historische Materialist
angehalten sei, die Geschichte – und man könnte wohl hinzufügen auch die Gegenwart – gegen
den Strich zu bürsten und darauf zu bestehen, dass schwarz schwarz ist und nicht weiß.
Katalog zur Ausstellung
Die Sprache der Dinge. Materialgeschichten aus der Sammlung
Herausgeber: Agnes Husslein-Arco, Axel Köhne, Luisa Ziaja
Grafikdesign: Atelier Liska Wesle, Wien / Berlin
Druck und Bindung: Gerin, Wolkersdorf
Seitenanzahl: 120
19 x 24 cm, Softcover
Deutsche Ausgabe
ISBN 978-3-903114-06-7
6 Euro
belvedere.at/book-shop
© Belvedere, Wien
Allgemeine Information
Ausstellungstitel
Anna Jermolaewa
Beide Weiß
Kuratoren
Axel Köhne und Luisa Ziaja
Dauer
14. Oktober 2016 bis 22. Jänner 2017
Ort
21er Haus
Museum für zeitgenössische Kunst
Quartier Belvedere, Arsenalstraße 1, 1030 Wien
Öffnungszeiten
Dienstag 11 bis 18 Uhr
Mittwoch 11 bis 21 Uhr
Donnerstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr
an Feiertagen geöffnet
Tickets
Regulär | 7 Euro
21er Haus Jahreskarte | 21 Euro
Ermäßigt | 5,50 Euro
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre | frei
21erhaus.at
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