NATO-Risiko-Erweiterung Wahl-O-Mat für Berlin Das polnische Suwałki ist ein Brennpunkt des neuen Kalten Krieges. Seite 2 In der richtigen Partei? Politiker testeten ihre Positionen. Seite 9 Harz-Bezieher im Geldrausch Wer eine sichere Geldanlage sucht, ist mit Bernstein derzeit gut beraten – das Urzeit-Harz ist seltener als Gold. Besonders in China steigt die Nachfrage. Seite 17 Foto: imago/ZUMA Press Mittwoch, 3. August 2016 STANDPUNKT Die nächste Generation 71. Jahrgang/Nr. 180 Bundesausgabe 1,80 € www.neues-deutschland.de Europas Billigsex-Meile Kiew Kinderarmut: Tendenz steigend Gerade in Zeiten der Krise blüht in der Ukraine das Geschäft mit der Prostitution Soziale Ausgrenzung trifft europaweit 23 Millionen Mädchen und Jungen Fabian Lambeck über die zunehmende Kinderarmut in der Abstiegsgesellschaft In seinem aktuellen Buch »Die Abstiegsgesellschaft« beschreibt der Soziologe Oliver Nachtwey die Gegenwart als »regressive Moderne«. Der technische Fortschritt im Internetzeitalter trägt den sozialen Rückschritt in sich, weil er sich unter neoliberalen Vorzeichen vollzieht. So werden Errungenschaften in der westeuropäischen Sozialpolitik wieder rückgängig gemacht. Armut wird zu einem Massenphänomen. Der gemeinsame Währungsraum ist zu einem Verarmungsraum mutiert, in dem das Risiko für Kinder, in einem prekären Haushalt aufzuwachsen, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, wie die Daten der Statistikbehörde Eurostat belegen. Das Zahlenmaterial zeigt auch, dass dies nicht nur für die Länder Südeuropas gilt, die durch das Spardiktat von EU und IWF verarmten. Auch das reiche Deutschland leistet sich Armut. In der Bundesrepublik ist jedes siebte Kind von Hartz-IV-Leistungen abhängig. Die Armut der Eltern ist eben auch die Armut der Kinder. Die soziale Spaltung zementiert sich im Laufe der Zeit. So warnt Nachtwey, dass im Bildungssystem der Abstiegsgesellschaft Herkunft und Vermögen der Eltern wieder eine große Rolle spielen. Kindern aus benachteiligten Haushalten steht der Weg nach oben nicht mehr offen. Eine prekäre Elterngeneration vererbt ihre Armut weiter. Das macht die Meldungen über die zunehmende Armutsgefährdung so deprimierend. Zumal auf politischer Ebene kaum etwas getan wird, diese fatale Entwicklung zu stoppen. UNTEN LINKS Dies hier könnte die letzte Marginalie zur Präponderanz der tadschikischen Autokratie in Sachen Sprachpflege und Medienpolitik sein. Jedenfalls in dieser Form. Denn angesichts eines aktuellen Bulletins aus dem zentralasiatischen Binnenstaat werden womöglich Emendationen unserer üblichen Digests obligat: Das dortig in einem schon längerem Kontinuum amtierende weltliche Offizium hat durch den in der Causa kompetenten Gawhar Scharifsoda vom Komitee für Sprache diktieren lassen, dass Journalisten des Landes künftig für als kryptisch inkriminierte Texte mit bis zu 200 US-Dollar pönalisiert werden. Das soll fiktiv nichts mit Punitivität zu tun haben, sondern allein dem Bildungsprekariat zugute kommen, das unter der von etymologisch eingebildetenen Medienmachern verursachten nachrichtensprachlichen Paraplasie leide. »In manchen Artikeln stehen bis zu zehn Wörter, die einfache Leser nicht kennen«, wird Sprachpfleger Scharifsoda zitiert. Wir verstehen diesen Satz leider nicht. tos ISSN 0323-3375 Foto: 123rf/utnapistims Berlin. Mehr als jedes vierte Kind in Europa unter 16 Jahren ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – Tendenz steigend. 22,85 Millionen oder 27,4 Prozent aller Kinder in Europa wuchsen demnach 2014 in entsprechend ärmlichen Verhältnissen heran. 2010 waren es noch 27,2 Prozent oder 22,6 Millionen. Das geht aus Daten des Europäischen Statistikamtes Eurostat hervor. Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, sagte dazu: »Wir brauchen soziale Standards in Europa statt ein Europa des Sozial- und Lohndumpings.« Besonders dramatisch sei in diesem Zusammenhang die Politik der Bundesregierung, die ihr Sparkonzept in ganz Europa durchsetze. Die Linkspartei im Bundestag fordert angesichts der Kinderarmut in Europa und in Deutschland eine Kindergrundsicherung als eigenständige Sozialleistung. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte, dies sei notwendig, »um die soziale Stigmatisierung ganzer Generationen durch Armut zu beenden«. dpa/nd Seite 6 Erdogan: LINKE fordert Sanktionen Türkischer Präsident wirft Westen Unterstützung des Putsches vor Foto: dpa/Jens Kalaene Berlin. Europas neue Sex-Hauptstadt – diesen Ruf hat die ukrainische Metropole Kiew seit einigen Jahren. Nach der Orangen Revolution im Jahr 2004, die auch als erste Maidan-Revolution bezeichnet wird, haben sich nicht nur politische und ökonomische Verhältnisse spürbar verändert. Auch das Nachtleben in Großstädten wie Kiew hat sich gewandelt. Immer mehr Ukrainerinnen bieten ihre Dienste im Sex-Gewerbe an. Das Geschäft boomt – auch und gerade wegen der wirtschaftlichen Krise im Lande und ungeachtet der Tatsache, dass Prostitution in der Ukraine eigentlich verboten ist. Während der Fußball-Europameisterschaft 2012, die in Polen und der Ukraine stattfand, sollen sich allein in Kiew etwa 50 000 Prostituierte aufgehalten haben, die auf zahlreiche Kundschaft hofften. In der gesamten Ukraine, so schätzte damals der einheimische Hilfsfonds gegen Aids, arbeiteten bis zu 90 000 Frauen als Prostituierte; in anderen Quellen war sogar von doppelt so vielen Prostituierten die Rede. 30 Prozent von ihnen, hieß es, seien drogenabhängig, ein Drittel sei HIV-positiv. Die Freier, berichtet unser Autor Denis Trubetskoy, kommen in großer Zahl aus dem Ausland – Geschäftsreisende aus den EU-Staaten ebenso wie Sex-Touristen vor allem aus der Türkei, aber auch aus anderen Ländern. Für den Bezahl-Sex in der Ukraine müssen sie längst nicht so viel Geld hinblättern wie in ihrer Heimat. Viele der Frauen bestreiten so ihren Lebensunterhalt; nicht wenige hoffen, auf diese Weise Bekanntschaften zu schließen, die ihnen ein neues Leben außerhalb der von Krise und Krieg erschütterten Ukraine ermöglichen könnten. Dies gelingt allerdings nur den allerwenigsten. »Sowohl die wirtschaftliche Lage als auch die Perspektiven für junge ukrainische Frauen sind miserabel«, urteilt die Psychologin Olena Schumalowa. nd Seite 3 Luftangriffe der USA gegen IS in Libyen Kampfeinsätze sollen die anerkannte Einheitsregierung bei Offensive auf die Stadt Sirte unterstützen Die vom IS gehaltene libysche Küstenstadt Sirte ist hart umkämpft. Jetzt griff die US-Luftwaffen in die Offensive ein. Tripolis. US-Kampfflugzeuge haben erstmals Angriffe auf mutmaßliche Stellungen des Islamischen Staates (IS) in der libyschen Küstenstadt Sirte geflogen. Pentagon-Sprecher Peter Cook erklärte, die »Präzisionsangriffe« seien auf Gesuch der UN-gestützten Einheitsregierung erfolgt und würden »fortgesetzt«. In einer Erklärung des russischen Außenministeriums wurde am Dienstag ohne direkte Kritik an den US-Luftangriffen dazu aufgerufen, »in strikter Übereinstimmung mit dem internationalen Recht« zu handeln und beim Kampf gegen den IS in »enger Koordination« vorzugehen. Milizen der Einheitsregierung haben derweil bei ihrer Offensive zur Rückeroberung Sirtes Fortschritte erzielt. Die Kämpfer brachten ein Viertel im Stadtzentrum vollständig unter ihre Kontrolle und stießen am Dienstag auf das Hauptquartier der Dschihadistenmiliz IS in Sirte vor, wie das Militär mitteilte. Der Einnahme des Viertels alDollar gingen nach Angaben des Militärkommandos zum SirteEinsatz heftige Kämpfe voraus. Dabei seien fünf Soldaten der regierungsnahen Milizen getötet und 17 weitere verletzt worden. Der IS beherrscht Sirte seit Juni 2015, im Mai dieses Jahres begann eine Offensive zur Rückeroberung der Stadt. Der Verlust der 450 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis gelegenen Stadt wäre ein schwerer Schlag für die Dschihadisten. Sirte bildet die Verbindung zwischen Westen und Osten des ölreichen Landes. Auch Frankreich bekräftigte unterdessen seine »vollständige Unterstützung« für die Regierung der nationalen Einigung von Ministerpräsident Fajes al-Sarradsch in seinem Kampf für die Einheit des Landes und gegen den Terrorismus. In einem Telefonat mit Sarradsch habe Außenminister Jean-Marc Ayrault die Entscheidung der libyschen Seite begrüßt, »um internationale Hilfe zu ersuchen«, die sich unter anderem in den US-Luftangriffen niederschlage, teilte das Außenministerium in Paris mit. Die Sarradsch-Regierung hatte Ende Juli offiziell gegen die nicht mit ihr abgesprochene französische Militärpräsenz in Libyen protestiert. Der Einsatz war bekannt geworden, nachdem die französische Regierung den Tod von drei Soldaten in Libyen bekannt gegeben hatte. Nach Angaben von Präsident François Hollande starben sie während einer »gefährlichen Erkundungsmission« bei einem Hubschrauberabsturz. Dagegen sagte ein Kommandeur der Truppen des gegen die Dschihadisten operierenden Generals Chalifa Haftar, wahr- scheinlich hätten Islamistengruppen den Hubschrauber in der Nähe der östlichen Stadt Bengasi abgeschossen. Bengasi ist Sitz einer von der UNO nicht anerkannten und von Haftar unterstützten Gegenregierung. Nach Sturz und Tod des libyschen Machthabers Muammar alGaddafi im Zuge des NATO-Einsatzes 2011 war das nordafrikanische Land ins Chaos gestürzt. AFP/nd Kommentar Seite 4 } Lesen Sie heute im Ratgeber Neuregelungen ab 1. August 2016 Mietrecht: Bienen auf dem Balkon? Elternstreit über die Impfung des Kindes Berlin. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (LINKE) dringt auf Sanktionen gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. »Wir brauchen wegen seiner brutalen Verfolgungspolitik mit Folter und Massenverhaftungen in der Türkei endlich Sanktionen gegen Erdogan. Seine Konten müssen gesperrt werden«, sagte Dagdelen der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Dagdelen forderte zudem, die Entsendung von Imamen nach Deutschland zu stoppen und Staatsverträge mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) aufzukündigen: »Wer Ditib in die deutschen Klassenzimmer lässt, lässt quasi Erdogan in die Klassenzimmer.« Der autoritäre türkische Staatschef seinerseits keilt weiter: »Leider unterstützt der Westen den Terror und steht an der Seite der Putschisten«, sagte Erdogan am Dienstag in einer Ansprache. Er attackierte auch die bundesdeutsche Justiz, die ihm untersagt hatte, sich während der Kölner Großdemonstration am Sonntag per Videobotschaft an seine Anhänger zu richten. Agenturen/nd Seite 5 Bundeswehr: Viele verweigern Soldaten und Soldatinnen wollen aus Gewissensgründen entlassen werden Düsseldorf. Auch nach der Umgestaltung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee gehen dort hunderte Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ein. Von Mitte 2014 bis Mitte 2016 hätten 62 Soldatinnen und 407 Soldaten aus Gewissensgründen entlassen werden wollen, berichtet die »Rheinische Post« unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei. Das zuständige Bundesamt für Familie habe 67 Prozent der Anträge anerkannt und 25 Prozent abgelehnt. Die restlichen Anträge seien als unzulässig eingestuft oder vom Antragsteller zurückgezogen worden. »Das Risiko des Soldatenberufs, töten zu müssen oder getötet zu werden, wird in konkreten Gefechtssituationen oft als Schlüsselerlebnis erstmals erfahrbar und häufig erst dann in seiner vollen Tragweite begriffen«, sagte die linke Bundeswehrexperten Katrin Kunert. Ihre Partei fordere, die Verfahren zu vereinfachen: Die Begründungspflicht solle durch eine einfache Willenserklärung ersetzt werden. AFP/nd
© Copyright 2025 ExpyDoc