Artikel a eujedermann

Jedermann spielt Jedermann
Hugo von Hofmannsthals Drama war das Paradestück dieses Kultursommers − Die PNP hat vier Inszenierungen von Eggenfelden bis Salzburg verglichen
Vielleicht darf man es mal so
drastisch formulieren: Ein stinkreicher Typ geht für den Erfolg
über Leichen. Als sein letztes
Stündchen schlägt, überlegt er es
sich aus Angst vor dem ewigen
Höllenfeuer doch noch anders,
tut Buße und geht als frommer
Mann ins Himmelreich ein. Kaum
zu glauben, dass diese Geschichte
den Stoff für ein Theaterstück hergibt, das im deutschsprachigen
Raum offenbar so beliebt ist wie
kein anderes. Das ist durchaus etwas ketzerisch, aber man darf sich
fragen, weshalb dieses im Grunde
so simpel gestrickte Stück Sommer für Sommer die Massen anzieht, egal, an welchem Ort und in
welcher Besetzung Hugo von
Hofmannsthals Paradewerk gerade gespielt wird.
Bösewicht bis zum Ende:
Peter Willy Willmann mit
Christine Neubauer in
Passau.
„Ich-war-dabei-Gefühl“
als Erfolgsgarant
Wäre Satan eine derart machtlose Witzfigur wie in diesem
Stück, es gäbe wohl nichts Böses
auf der Welt. Ganz abgesehen davon also, dass der Österreicher
wesentlich kohärentere Dramen
verfasst hat als dieses, zehrt der
„Jedermann“ heute vom Nimbus
der Salzburger Festspiele, wo er
seit 1920 gegeben wird. Für seinen
Erfolg spielt inzwischen das „Ichwar-dabei-Gefühl“ eine nicht unwesentliche Rolle. „Sie haben ,Jedermann‘ gespielt, unter freiem
Himmel natürlich, und ich war
dabei.“ Das Publikum war in
Mengen dabei in den letzten Wochen und Monaten, in Eggenfelden, in Passau, in Rotthalmünster,
in Bad Füssing, in Salzburg. Dass
die opulentesten Inszenierungen
in diesem Reigen zugleich die besten sind, ist bei weitem nicht
selbstverständlich. Wer zum Ab-
Unentschiedene
Figur:
Peter Simonischek mit Nina Hoss in Salzburg.
Ohne Höllenqualen geläutert: Karlheinz Treml
Ein rundum gelungener „Jedermann“: Regisseur und Hauptdarsteller Alfons Eder (r.) mit Andrea Elisabeth
in der Inszenierung seiner „(J)edermann-Bühne“, die morgen noch einmal in Kienle als Geliebte und
Würding bei Bad Füssing zu sehen ist.
(Fotos: Schlegel/Scholz/AP/Gilg) Konrad Maier als Tod.
schluss der Festspielsaison eine
der schlüssigsten diesjährigen
Umsetzungen des Stoffes erleben
möchte, ist mit der morgigen Aufführung der „(J)edermann-Bühne“ im Bürgerhaus von Würding
bei Bad Füssing bestens bedient.
Eine
Laien-Inszenierung?
Exakt, denn Regisseur und
Hauptdarsteller Alfons Eder hat
in seiner Version einige Klippen
gekonnt umschifft, an denen die
Inszenierung der Europäischen
Wochen auf dem Passauer Domplatz ebenso angeschrammt ist
wie diejenige der Kolpingfamilie
Eggenfelden mit dem „Bayerischen Jedermann“ im Theatron
Gern oder auch die ehrwürdigen
Salzburger Festspiele.
Die erste, dem Werk immanente
Inszenierungsfalle ist der religiös
durchtränkte Kosmos, in dem die
Handlung spielt. Da dieser Kosmos in der Realität brüchig geworden ist, ist die Versuchung groß,
den „Jedermann“ zu modernisieren, indem die religiöse Dimension kurzerhand von der Bühne verbannt wird. Die Folgen dieses Ansatzes waren in Passau zu erleben:
In der Fassung von Peter Willy
Willmann bleibt der zynisch-lebenslustige Bösewicht ein Bösewicht bis zum bitteren Ende,
„Glaube“ und „gute Werke“ sind
gestrichen, die Läuterung findet
nicht statt. Ein Mann nimmt seinen Geldwahn mit ins Grab − wesentlich mehr hat diese Geschichte nicht zu erzählen. Hofmannsthal aber durchaus.
Wenn „Jedermann“, dann mit
allen Konsequenzen und mit allen
religiösen Zumutungen − eben so,
wie ihn Alfons Eder darstellt: Von
allen Freunden, auch seinem
liebsten − dem Geld − verlassen,
sieht das Publikum einen gebrochenen Mann. Genau dies ist der
Schlüssel, um die zweite Inszenierungsfalle zu umgehen: Ist die
Hauptfigur als polternder Grobian angelegt, der brüllend und
hochdramatisch die nebensächlichsten Bemerkungen in Szene
setzt, dann wird die Mutation zum
reuigen Sünder gänzlich unglaubhaft. Alfons Eder aber verkörpert
gekonnt einen tief Gefallenen, der
aus der Einsamkeit und Verlorenheit den Schritt hin zur Demut
vollzieht. Diese Hölle des Verlassenseins scheint Karlheinz Treml
als Eggenfeldener „Jedermann“
nicht zu durchleben. Zwar ist er
ein besonnener Mann, der seine
„Sach“ zusammenhält, und dem
Wer braucht schon
eine Nina Hoss?
der Reichtum ein wenig „s’ Hirn
verdraht“ hat, doch was genau
sein Hirn wieder geraderückt,
kann der Zuschauer nicht unbedingt nachvollziehen. Etwas unentschieden angelegt ist schließlich auch der Salzburger „Jedermann“ von Peter Simonischek. Er
ist ein kleiner, zu Macht und Geld
gekommener Aufsteiger, der in
seine Rolle als ruch- und herzloser Lehensherr noch nicht so
recht hineingewachsen ist.
Mit der prächtigen Ausstattung
von Salzburg oder Passau können
die Laiengruppen selbstredend
nicht mithalten. Auch haben sie
keine Nina Hoss oder Christine
Neubauer, deren Anblick als
Buhlschaft allein schon gewisse
Defizite in der Inszenierung wettmacht. Doch wer braucht das
schon? Die „(J)edermann-Bühne“ offenbar nicht.
Raimund Meisenberger
Karten für die morgige Vorstellung um
19.30 Uhr im Bürgerhaus Würding bei Bad
Füssing gibt es an der Abendkasse.