geist.voll - Erzdiözese Wien

geist.voll
www.erzdioezese-wien.at/geistvoll
spirituell | orientierend | praktisch
Gemeinde
ä im Neuen Testament
ä ihr Auftrag heute
ä neu gründen?
Erzdiözese Wien
2/2016
ISSN 1815-4859
Inhalt
„GEMEINDE“
04 Roland Schwarz
Die frühchristlichen Gemeinden der Bibel
09 Wolfgang Beck
Wenn sich eine kirchliche Sozialform zu wichtig nimmt –
zu Krise und Transformationsprozessen des Gemeindebegriffs
15 Stefan Lobnig
Gedankensplitter zur Gründung neuer Gemeinden
18 Weiterführende Hinweise
Spiritualität konkret
19 Christoph Benke
Beleidigern gern verzeihen. Werke der Barmherzigkeit – Teil 2
Ignatius verstehen
20 Rogelio García Mateo SJ
Ignatius, Luther und die Hl. Schrift – Teil 2
Gegenargument
22 Angelika Walser
Die andere Wange hinhalten. Anleitung zu christlichem Masochismus?
24aufgefunden
Impressum
Titel: „geist.voll spirituell. orientierend. praktisch“; Medieninhaber (Verleger): Erzdiözese Wien,
A-1010 Wien, Wollzeile 2; Herausgeber: Erzdiözese Wien – Pastoralamt, Referat für Spiritualität
Redaktion: Dr. Beate Mayerhofer-Schöpf, P. Dr. Anton Aigner SJ, P. Dr. Thomas Neulinger SJ; alle: 1010 Wien,
Stephanspl. 6/1/5/Zi. 554; Tel. (01) 515 52-3309, Fax: -2371; [email protected], Homepage: www.erzdioezese-wien.at/geistvoll
Gestaltung: Peter List; Coverfoto: © robert - Fotolia.com; Druck: Netinsert, 1220 Wien | Erscheint viermal jährlich,
Jahresabo s 12/ Einzelheft s 3; Offenlegung: Die Zeitschrift „geist.voll“ dient sowohl der theologischen und praxisbezogenen Information über die Ignatianischen Exerzitien und über andere Formen der Spiritualität als auch der
Auseinandersetzung damit.
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Liebe Leserin, lieber Leser!
„Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?“
So lautete der Titel eines Buches, das
Gerhard Lohfink in den 80er Jahren
geschrieben hat. Es wurde ein Bestseller; die Frage nach der angemessenen
Form der christlichen Gemeinde ist
seither nicht mehr verstummt. Manche
haben diese Frage vielleicht auch schon
„satt“. Das zähe Ringen um die Realisierung der Restrukturierungspläne in
den Diözesen macht bei den einen
Kreativität frei – bei den anderen erzeugt es Frust. „Pfarre neu“ bedeutet
nicht unbedingt auch eine neue Freude
an der Kirche und an der kirchlichen
Gemeinde.
„Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?“
Mögen über das „Wie“ die Meinungen
auseinander gehen – die Tatsache, dass
die Weitergabe der Botschaft Jesu von
Anfang an vor allem in und durch die
Gemeinden erfolgt, steht außer Frage.
Im Miteinander, im gemeinsamen
Suchen, Beten und Feiern begegnen die
Jüngerinnen und Jünger dem Herrn.
Besonders in den Auferstehungserzählungen wird das deutlich. In der Erzählung vom Fischfang am See von Tiberias – ein später Zusatz zum JohannesEvangelium, um das Jahr 100 n. Chr.
Geb. geschrieben – werden Gedanken
wiedergegeben, die schon mit der
Situation der frühen Kirche zu tun
haben. Die Perikope beginnt mit der
Einladung des Petrus: „Ich gehe fischen.“
Die anderen sagen:
„Wir gehen auch mit
dir.“ „Und in jener
Nacht fingen sie
nichts.“
Auch wenn die Nacht lang und mühevoll ist, auch wenn die Arbeit schwer
und vergeblich zu sein scheint und das
Verlangen, aufzugeben und nach
Hause zu gehen, groß ist, bleiben doch
alle da und arbeiten zusammen. In
diesem gemeinsamen Ausharren stellt
sich die Gegenwart des Herrn, die
geschwunden schien, wieder ein.
Auch heute können bei manchen Menschen die Enttäuschung über die Kirche
und das Verlangen aufzugeben groß
sein. So bieten die Artikel in diesem
Heft nicht nur interessante Denkanstöße zu einem aktuellen Thema; sie
können darüber hinaus neue Freude
und Dankbarkeit dafür wecken, dass es
in der Kirche Gemeinden gibt, wo ich
Menschen finden kann, die miteinander beten und feiern, füreinander und
für andere da sind, gemeinsam Gott
suchen – und finden.
Ich wünsche Ihnen eine anregende
Lektüre und einen schönen Sommer!
Ihr
P. Josef Anton Aigner SJ
Theologischer Berater im Referat
für Spiritualität
Vorschau: nächste Ausgabe zum Thema „das/der Fremde“
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Dr. Roland Schwarz
ist Leiter des Referats Bibelpastoral im Pastoralamt der Erzdiözese Wien.
Die frühchristlichen Gemeinden der Bibel
Die ersten christlichen Gemeinden in
den Schriften des NT waren räumlich
weit verstreut: von Israel über Syrien,
Kleinasien, Griechenland bis Rom. Jede
Gemeinde hatte ihre eigene Entwicklung. Deshalb waren die Schwerpunkte
und auch der sprachliche Ausdruck der
Verkündigung sowie die Strukturen
sehr unterschiedlich. Dennoch gab es
einige gemeinsame Wesenszüge, die an
jedem Ort eine christliche Gemeinde als
solche geprägt haben. Um diese soll es
hier gehen.
GEMEINSCHAFTEN VON MENSCHEN,
DIE AUS DER BEZIEHUNG ZU JESUS
GELEBT HABEN.
Im Unterschied zu anderen Bewegungen haben jene, die sich von Jesus
begeistern ließen, nach seinem Tod
niemals versucht, eine Gemeinschaft
im eigenen Namen zu gründen. Es war
immer klar, dass sie Suchende zu Jesus
führen wollten und nicht zu sich selbst.
Die Christen der Frühzeit haben sich an
dem orientiert, was Jesus gelehrt und
getan hat. Und damit das möglichst
authentisch bewahrt wurde, haben sie
bald begonnen, vieles aufzuschreiben.
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Der Glaube an Jesus bedeutete zuerst,
an ihn als den „Herrn“ (das war ein
Ausdruck für Gott im Judentum!), der
bei Gott ewig lebt, zu glauben und sein
Lebenskonzept der entgrenzten Liebe
zu übernehmen. Darüber hinaus machten zumindest manche die Erfahrung,
dass sie mit Jesus trotz seines Todes in
lebendiger Gemeinschaft verbunden
waren. So konnte etwa der Apostel
Paulus sagen: „Nicht mehr ich lebe,
sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20)
Die innige Beziehung zu Jesus wird in
eindrucksvollen Bildern beschrieben:
die Gemeinde ist der Leib Christi (1 Kor
12), die von ihm geliebte Braut (Eph 5),
ein Gebäude, dessen Fundament oder
Schlussstein er ist (1 Kor 3,11 bzw. Eph
2,20), die Familie Gottes (1 Tim 3,15), die
Herde (Apg 20,28), Gottes Volk (Röm
9,25; Hebr 4,9).
Das äußere Zeichen dieser Bindung war
die Taufe. Diese bedeutete für Paulus,
am Tod und an der Auferstehung Jesu
teilzuhaben. Weiters: für ein sündiges
selbstsüchtiges Leben sind Christen tot;
sie haben aber ein neues Leben durch
die Liebe, die an der Ewigkeit Gottes
Anteil schenkt (Röm 6,3-11).
GEMEINSCHAFTEN, DIE FÜREINANDER
UND FÜR ANDERE VERANTWORTUNG
ÜBERNOMMEN HABEN.
In der Apostelgeschichte (Apg) lesen
wir, dass die Gläubigen in Jerusalem
„ein Herz und eine Seele waren“ und
„alles gemeinsam hatten.“ (4,32) Das
bedeutete nicht, dass es keinen Privatbesitz gab, sondern die Reichen unter
ihnen verkauften manche Grundstücke
und Häuser, wenn es die Ärmeren zum
Überleben brauchten (4,34f).
Die Grundhaltung, die an verschiedenen Stellen der Bibel nachzulesen ist,
besteht darin, dass sich jede und jeder
in einer Gemeinde für die Probleme
der anderen verantwortlich gefühlt
hat. Im Bild vom Leib ausgedrückt, hieß
das: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle
anderen mit.“ (1 Kor 12,26) Die Not des
anderen ist nicht nur sein Problem, sondern auch meines. Ich kann es oft nicht
lösen, aber ich bin in einer lebendigen
Gemeinde dazu aufgerufen, zumindest
nachzudenken, ob ich etwas zur Lösung
beitragen kann.
Dies entspricht der Intention Jesu: für
ihn war es wichtiger, dass Notleidenden geholfen wird als religiöse Vorschriften wie Fasten oder Opfer für den
Tempel zu erfüllen (vgl. Mt 12,1-8; 25;
u.a.).
Voraussetzung dafür, dass Nöte in
einer Gemeinde wahrgenommen werden, war ein verbindliches Zusammenleben. Ohne strenge diesbezügliche
Vorschriften haben sich die Christen
wie selbstverständlich am ersten Tag
der Woche getroffen (Apg 20,7). Das
Schreiben an die Hebräer beklagt allerdings schon, dass einige nicht mehr
regelmäßig zu den Zusammenkünften
kommen (10,25). Das mussten nicht
immer Eucharistiefeiern sein, waren es
aber sicher auch.
Eine weitere Voraussetzung dafür, dass
die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder wahrgenommen werden konnten,
war die zahlenmäßige Überschaubarkeit einer Gemeinde. Es gibt nirgends
eine konkrete Zahlenangabe über die
Gemeindegröße, aber es wird in den
Briefen vorausgesetzt, dass alle über
die angesprochenen Fragen Bescheid
wussten. Auch die Existenz von Hausgemeinden legt aufgrund der räumlichen Begrenzung eine zahlenmäßig
nicht zu große Gruppe nahe.
Die Gemeinden wussten sich allerdings nicht nur für die eigenen Leute
verantwortlich, sondern auch für die
Gläubigen in anderen Städten. Die
Kapitel 8 und 9 im zweiten Korintherbrief widmet Paulus der Motivation zur
Sammlung von Geldspenden für die
verarmte Gemeinde in Jerusalem. Sein
Anliegen ist es, die Übergabe zuverlässig und überprüfbar zu regeln. Auch
Paulus geht davon aus, dass jeder über
einen Privatbesitz verfügt. Das Geben
soll einer absoluten Freiwilligkeit unterliegen.
Dem Vorbild Jesu entsprechend war
aber klar, dass auch Ungetaufte zu
denen gehörten, denen geholfen werden muss (Mt 8,5-13; Lk 10,25-37; Apg
14,8-10; u.a.).
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GEMEINSCHAFTEN, DIE SICH DURCH
GEMEINSAMES BETEN UND FEIERN
UNTEREINANDER UND MIT CHRISTUS
VERBUNDEN FÜHLTEN.
Die Verbindung zu Jesus wurde nicht
nur von den einzelnen Mitgliedern für
sich gepflegt, sondern wurde auch in
Worten und Zeichen gemeinsam zum
Ausdruck gebracht. Die wichtigste
Form dieser Zusammenkünfte war das
Gedenken an das letzte Mahl Jesu mit
seinen Freunden. An der Gestaltung der
Gottesdienste sollten möglichst alle
beteiligt sein. Jede und jeder konnte
etwas beitragen: „Wenn ihr zusammenkommt, trägt jeder etwas bei: einer
einen Psalm, ein anderer eine Lehre, der
Dritte eine Offenbarung; einer redet
in Zungen, und ein anderer deutet es“,
schreibt Paulus (1 Kor 14,26). Auch wenn
es den Dienst der Gemeindeleitung gab,
bedeutete das nicht, dass alle Mitfeiernden nur zugehört haben. Der Gottesdienst war Sache aller!
Charakteristisch für die junge Kirche
war, dass an den Versammlungen im
Gegensatz etwa zu griechischen Vereinen auch Frauen und Sklaven teilgenommen haben. Soziale Unterschiede
durften keine Rolle spielen. Für Paulus
gilt: „Es gibt nicht mehr Juden und
Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht
Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚Einer‘
in Christus Jesus.“ (Gal 3,28)
Die gefeierten Liturgien sollten für
Außenstehende nicht fremdartig sein.
Auch diese sollten in verstehbaren
Ausdrucksformen spüren: hier ist Gott
gegenwärtig (1 Kor 14,23-25).
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GEMEINSCHAFTEN, DIE VON IHREM
GLAUBEN ZEUGNIS ABGELEGT HABEN.
Es gibt in den Texten des NT zahlreiche
Belege dafür, dass Christinnen und
Christen von ihrem Glauben anderen
erzählt und auch öffentlich gepredigt
haben. Der Evangelist Lukas etwa berichtet nicht nur von der Lehrtätigkeit
der Jesusjünger zu dessen Lebzeiten
und aufgrund seines Auftrages (z.B.
10,1-12). Er schildert auch ausführlich
die Predigttätigkeit der Apostel und
anderer Mitchristen in der Apostelgeschichte (vgl. 2,1-36; 7; 8,4-13 u.a.). Paulus hat jede Möglichkeit genützt, um
seinen Glauben an Jesus zu bezeugen,
sei es in den jüdischen Synagogen oder
am Marktplatz (Apg 17,17).
Doch es war nicht immer der Fall, dass
Gläubige vor andere hintreten, um
ihren Glauben zu bezeugen; es konnte auch sein, dass Menschen in der
Begegnung mit ihnen einfach spürten,
von welch positiver Lebenshaltung sie
erfüllt sind und von sich aus fragten,
was sie erhoffen. Dies sollten die
Gläubigen nach einem Wort des ersten
Petrusbriefes nützen, um „Rede und
Antwort zu geben“ (3,15). Durch eine
entsprechende Lebensführung war es
sogar möglich, andere ohne Worte zu
gewinnen (1 Petr 3,1).
GEMEINSCHAFTEN, IN DENEN GOTTES
GEIST SPÜRBAR WAR.
Es kann in einer Gruppe alles in Ordnung sein und dennoch ist sie langweilig, man vermisst eine Begeisterung,
eine wohltuende Ausstrahlung durch
die Gruppenmitglieder, eine Atmosphäre, die auch Außenstehende in ihren
Bann zieht, wenn sie mit der Gruppe in
Kontakt kommen.
Die bekannteste Erzählung von einer
Hochstimmung ist jene vom Herabkommen des Heiligen Geistes auf
Jüngerinnen und Jünger am jüdischen
Wochenfest (Apg 2,1-42). Ihre Begeisterung war demnach so groß, dass sogar
Anderssprachige verstanden haben,
was sie mitteilen wollten. Von ihrem
liebevollen solidarischen Zusammenhalten und -leben haben sich viele anstecken lassen und wollten unbedingt
dazugehören (Apg 2,47).
Nach den Worten des Paulus war es
auch dieser Geist Gottes, der den Gläubigen vielfältige Begabungen schenkte,
mit denen sie einander bereichert haben: die Gabe prophetischer Rede, des
Dienens, des Lehrens, des Tröstens und
Ermahnens, des Gebens, des Leitens,
des Heilens u.a. (Röm 12,6-8;
1 Kor 12,4-11).
Eine heute oft verlorene Dimension
ist die der heilenden Ausstrahlung
der frühen Christinnen und Christen.
Nach dem Vorbild Jesu haben sich die
Gemeinden in besonderer Weise um
die Kranken gekümmert. Heilungen
wurden nicht durch magische Praktiken herbeigeführt – die wohltuende
Atmosphäre dürfte zur Gesundung von
Kranken beigetragen haben. Paulus
hält aber auch dezidiert fest: nicht jeder Getaufte hat die Gabe der Heilung
(1 Kor 12,30).
GEMEINSCHAFTEN, IN DENEN EIN
HERRSCHAFTSFREIES ZUSAMMENLEBEN
ANGESTREBT WURDE.
Für die Getauften galt das Wort Jesu:
„Wer bei euch groß sein will, der soll
euer Diener sein, und wer bei euch
der Erste sein will, soll der Sklave aller
sein.“ (Mk 10,43f) Jede Fähigkeit, die
einer besaß, sollte nicht der Selbstdarstellung dienen, sondern das Leben der
anderen bereichern. Ja, es galt sogar
der Rat des Paulus: „In Demut schätze
einer den anderen höher ein als sich
selbst.“ (Phil 2,3)
Dennoch gab es teilweise aus der
damaligen Gesellschaft übernommene
Formen der Unterordnung (etwa der
Frau unter den Mann) bzw. wachsende Strukturen in den immer größer
werdenden Gemeinden, die doch zur
Folge hatten, dass in manchen Situationen die einen mehr zu sagen hatten als
die übrigen. Es wurde notwendig, dass
sich Leitungsdienste herausbildeten
und angesichts vermehrter Missstände
einzelne, die ein besonderes Naheverhältnis zu den Aposteln hatten, Anweisungen gaben, die die Gemeinden in
Einheit mit der Gesamtkirche hielten.
Doch auch angesichts dieser Entwicklungen wurde darauf geachtet, dass
es keine Willkür unter Entscheidungsträgern gab: Wichtiger als die Unterordnung der Frau unter den Ehemann
war die gegenseitige Unterordnung
der Gläubigen (Eph 5,21). Die Männer
wiederum wurden viel ausführlicher
auf ihre Verantwortung für die Frauen
hingewiesen als umgekehrt, um mit al-
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len Mitteln unterdrückende Strukturen
zu verhindern (Eph 5,25-33).
Für Amtsträger galt die eindringliche
Mahnung: „Seid nicht Beherrscher
eurer Gemeinden, sondern Vorbilder
für die Herde!“ (1 Petr 5,3) Gemeindemitglieder hatten sogar das verbriefte
Recht, gegen Amtsträger Klage zu
erheben (1 Tim 5,19-21).
GEMEINSCHAFTEN, IN DENEN
UNTERSCHIEDLICHE STANDPUNKTE
AKZEPTIERT WURDEN.
In Gruppen, die durch gemeinsame
Überzeugungen gebildet werden,
muss es natürlich einen Grundkonsens
geben. Dieser bestand nicht in einem
genau bis ins Einzelne festgelegten und
möglichst ausführlichen Lehrsystem.
Paulus fasst das Wichtigste zusammen:
„Wenn du mit deinem Mund bekennst:
‚Jesus ist der Herr‘ und in deinem
Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den
Toten auferweckt‘, so wirst du gerettet
werden.“ (Röm 10,9) Weiters: „Wer den
anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt.“
(Röm 13,8)
Darüber hinaus gab es durchaus unterschiedliche Sichtweisen: so haben etwa
die einen sich nichts dabei gedacht,
Fleisch zu essen, das von Nichtchristen
den Göttern geopfert und dann verkauft wurde, während dies für andere
ein Problem war (vgl. 1 Kor 8). – Paulus
hat den christlichen Geschwistern geraten, nach Möglichkeit ehelos zu bleiben
(1 Kor 7,25-38), spätere Schreiben
seiner Schüler haben dagegen Ehe und
Familie bei Gemeindeleitern geradezu
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vorausgesetzt (1 Tim 3,2.4f) und jungen
Witwen die Wiederheirat dringend
nahegelegt (1 Tim 5,14). Diese Beispiele
ließen sich vermehren.
Aufgrund unterschiedlicher Auffassungen blieben Konflikte nicht aus. Doch
diese wurden in liebevoller und von
Respekt getragener Weise ausgetragen. Das beste Beispiel ist der Apostelkonvent in Jerusalem, den Lukas
(Apg 15) erzählt. Das Problem: manche
meinten, auch nichtjüdische Christen
müssten die jüdischen Speise- und Ritualvorschriften, speziell die Beschneidung, einhalten, während Paulus und
Barnabas als Gesandte der Gemeinde
von Antiochien dies als unnötiges Hindernis für die Zugehörigkeit zur Kirche
betrachteten. Das wurde ausführlich
diskutiert und man hat sich auf einen
für alle annehmbaren Kompromiss
geeinigt: Die Nichtjuden brauchten die
Vorschriften nicht einzuhalten, aber sie
mussten einige wenige Dinge beachten, damit die aus dem Judentum kommenden Mitchristen keine Probleme
mit der Tischgemeinschaft hatten (Apg
15,20.29). Dies wurde sowohl schriftlich
als auch durch Abgesandte mitgeteilt
(15,30). Es sollten möglichst alle der Entscheidung zustimmen können.