Sendemanuskript hr2-Camino vom 17.07.2016

Dieses Manuskript stimmt nicht unbedingt mit dem Wortlaut der Sendung überein.
Es darf nur zur Presse- und Hörerinformation verwendet
und nicht vervielfältigt werden,
auch nicht in Auszügen.
Eine Verwendung des Manuskripts für Lehrzwecke
sowie seine Vervielfältigung und Weitergabe als Lehrmaterial
sind nur mit Zustimmung der Autorin/des Autors zulässig.
Thema: Ins Gelingen verliebt
Über die schöpferische Kraft der Zuversicht
HR 2 / Camino am 17. Juli 2016 / Redaktion: Klaus Hofmeister
Autorin: Lisa Laurenz
Musik 1….. (einblenden ab: “Und ich hab gesagt….)
Take 1 (Claudia Noll) 0`39
Eine Freundin hat mir erzählt, sie hätte ein Beratungsgespräch geführt mit einem
Vater und danach war sie ganz deprimiert, weil der hat gesagt: mein ganzes
Leben ist schlimm und schlecht. Es gibt 10 Prozent von meinem ganzen Leben
wo ich sagen würde, da geht es noch. Und sie war ganz erschüttert. Und ich hab
gesagt: bor, zehn Prozent! Mann, das kannst du ausbauen, sprich mit ihm, sag
ihm: wie sehen die zehn Prozent aus? Was sind die schönen Dinge? Sei dir
bewusst jeden Morgen, diese zehn Prozent gibt es und jetzt gucken wir mal,
wie die sich ausbauen lassen. Die war dann ganz erstaunt und sagte: ja,
so kann man es auch sehen.
Autorin
So klingt Zuversicht. Mutig, vertrauensvoll und entschieden. Zuversicht ist eine
geistige Kraft, eine innere Haltung, eine Stimmung. Sie ist getragen von der Hoffnung
dass es gelingen wird. Ein zuversichtlicher Mensch erkennt Chancen, wo andere
Probleme sehen. Er ist erfüllt von dem Glauben, dass sich die Dinge trotz aller
Schwierigkeiten zum Guten entwickeln:
Take 2
(Uwe Böschemeyer) 0`38
Der zuversichtliche Mensch setzt alle Hoffnungskräfte ein. Der ruht in sich, der
hat eine heitere Ausstrahlung. Das ist kein Mensch, der durch die Zeit rast,
sondern der ruht auch in der Zeit. Der ruht in sich, er ist geistesgegenwärtig.
Zuversicht ist, wenn ich es hochtrabend sagen soll, ein Existential, ein zu
jedem Menschen gehörendes Gefühl. Es kann verdrängt werden, verkapselt
werden. Es steht jedem Menschen zur Verfügung.
(Musik soll hier weg sein)
Autorin
Uwe Böschemeyer ist Psychotherapeut, Theologe und Autor. Seine Bücher sind
Seite 1
von einer tiefen Zuversicht durchdrungen. Er sei kein Schwärmer, der alles durch
eine rosarote Brille sehe, meint er:
Take 3 (Uwe Böschemeyer) 0`23
Ich klinge immer so hoffnungsvoll, ich bin es auch, auch wenn ich manchmal
die Hoffnung verliere. Wir Menschen sind sehr wohl ausgestattet für ein
einigermaßen gelingendes und manchmal sogar glückliches Leben. Das
kommt aber alles nicht von selbst und es kommt überhaupt nicht von selbst,
wenn wir nicht nach der Zuversicht in uns suchen.
Take 4 (Claudia Noll) 0`42
Mit Zuversicht verbinde ich auch Entwicklung. Zuversicht ist mir nicht in
die Wiege gelegt, ganz sicher nicht, aber es ist ganz oft so, dass mir
Menschen auf der Arbeit oder in anderen Zusammenhängen sagen: bor, wo
nimmst du das her? wie kommst du zu dieser Einschätzung? Manche sagen
auch: du bist ja hoffnungslos optimistisch. Aber das bin ich nicht. Ich glaube
schon, dass ich realistisch einschätzen kann, ob es Sinn macht, sich in eine
bestimmte Richtung zu bewegen oder ob man es gleich sein lässt. Aber ich
bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein Leben
zum Positiven zu wenden.
Autorin
Für Menschen wie Claudia Noll ist Zuversicht ein Lebenselixier. An ihrem Arbeitsplatz im Jugendamt braucht die Sozialarbeiterin jede Menge Zuversicht, bei all den
folgenschweren Entscheidungen, die sie täglich zu treffen hat. Muss ein Kind ins Heim
oder in eine Pflegefamilie? Wohin und wie? Wie nährt sie da ihre Zuversicht? Mit
Singen zum Beispiel:
Musik 2....
Take 5
(Claudia Noll) 0`23
Oder wenn wir besonders viel düstere Sachen an dem Tag hatten, dann geh
ich runter nach nebenan, ins Blumengeschäft und hol gerade in paar richtig
schöne strahlende Blümchen und stell die irgendwo hin, dass möglichst viele
sie sehen. Das ist ein Bild, es gibt viel Schönes und Strahlendes im Leben.
Das Schöne ist, es gibt dann Kollegen die machen Ähnliches.
Autorin
In unruhigen und schwierigen Zeiten hört man zuversichtliche Menschen gerne sagen:
Sprecherin
„Wir schaffen das.“
Seite 2
Sprecher
„Alles wird gut!“
Autorin
Alles wird gut? Viele Menschen sind gegenwärtig tief verunsichert angesichts einer
Welt, die immer unübersichtlicher wird. Angst vor der Zukunft, Resignation und
Hoffnungslosigkeit sind weit verbreitet, Bedrohungen sind allgegenwärtig. Terrorgefahr, Flüchtlingskrise, Rechtspopulismus, Umweltzerstörung und Klimachaos oder
der Brexit. Es gibt viel Anlass, sich um diese Welt zu sorgen, in der es bisweilen so
ungerecht, so grausam und zerstörerisch zugeht. Selbst zuversichtlichen Menschen
droht da manchmal das Vertrauen abhanden zu kommen:
Take 6 (Uwe Böschemeyer) 0`46
Woher kriegt man in dieser Zeit Zuversicht? Daher, dass man geschichtlich
denkt und weiß, es hat schon oft Situationen gegeben, in denen Menschen
gedacht haben, jetzt geht es in die Katastrophe. Menschsein ist geschichtliches Sein und geschichtliches Sein ist sich veränderndes Sein und keineswegs immer zum Negativen. Die Zuversicht in dieser Zeit bekomme ich zum
Beispiel dadurch, dass ich mir das vergegenwärtige. Wir sind in Veränderung
begriffen und viele von uns knurren, ich hab es auch getan. Aber Leben ist
Veränderung und Zuversicht entsteht, wenn ich der Veränderung, auch der
politischen oder gesellschaftlichen eine Chance gebe.
Autorin
Die Begabungen und Möglichkeiten, mit schwierigen Lebenssituationen kreativ
umzugehen, sind jedoch verschieden. Das gilt für die großen Herausforderungen
im Leben genauso wie für die vielen kleinen Situationen im Alltag. Ingeborg Becker
ist 85 Jahre alt:
Musik 3.... (unter Take 7 einblenden...)
Take 7
(Ingeborg Becker)
Wenn es Schwierigkeiten gibt in meinem Leben, dann sag ich mir: hab keine
Angst, du schaffst es, mit Gottes Hilfe natürlich und denke dann, es wird
gehen. Und dann passiert mir auch nichts unbedingt Schlimmes. Am Morgen
wenn ich aufwache bete ich, ich danke dir für diese Nacht, fröhlich bin ich
aufgewacht und schon bin ich fröhlich den ganzen Tag. Und ich erwarte auch
für den Tag etwas Gutes und dies Gute was mir dann irgendwie passiert, ich
seh es am Abend dann beim Einschlafen: da war doch etwas Schönes und
wenn es noch so klein war, es war was Gutes.
Seite 3
Autorin
Sehe ich die Dinge positiv oder negativ? Wer trotz aller Schwierigkeiten optimistisch
und zuversichtlich durchs Leben geht, fühlt sich besser. Gemeint ist hier nicht naives
Wunschdenken oder übersteigerter Optimismus, sondern die reale Möglichkeit, aus
allem das Beste zu machen. Optimistische und zuversichtliche Menschen haben
vieles gemeinsam. Und doch gibt es Unterschiede:
Take 8
(Uwe Böschemeyer) 0`49
Der Optimist ist so ein Glücksbold, der hat sein fröhliches Naturell, der denkt
auch nicht weiter darüber nach ob das was er leben möchte, auch eintrifft, der
rechnet einfach damit. Anders als der Optimist muss sich der Zuversichtliche
selber fragen, ob er in sich Zuversicht entdecken kann oder nicht. Es gibt
Menschen, die nicht Optimisten sind und trotzdem zuversichtlich, weil sie sich
besinnen auf die Frage: ist das eigentlich alles was ich an schlechter Stimmung
zustande bringe oder gibt es noch etwas in mir, was meinem Leben neuen Grund
geben könnte? Zuversicht bezieht sich immer auf etwas Konkretes. Der zuversichtliche Mensch muss sich die Zuversicht ein Stück weit erarbeiten.. Er muss
sich ausrichten auf das was er möchte.
Autorin
Besonders in schwierigen Situationen zeigt sich, was eine zuversichtliche Haltung
ausmacht. Maria Baum wirkt wie ein Fels in der Brandung. Sie sei von Natur aus ein
zuversichtlicher Mensch, meint die 59 jährige. Sie arbeitet als Controllerin in einem
großen Unternehmen. Im vergangenen Herbst, als immer mehr Flüchtlinge kamen,
entschied sie sich, wie viele andere auch, ehrenamtlich zu helfen. Fortan betreute
sie Kinder und Jugendliche in einer Notunterkunft. Eines Tages kam ein minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan, nennen wir ihn Tarek, auf sie zu:
Take 9
(Maria Baum)
0`22
Und sagt: willst du mir Deutsch beibringen? Ich sag: ja, warum nicht. Nach ein
paar Wochen hat er ganz gut gesprochen und dann haben alle gesagt: du
hast eine spezielle Lehrerin, wir wollen da auch Deutsch lernen und am
Schluss saßen da zwanzig Mann. Es war unvorstellbar, ich bin nach fünf
Stunden jedes Mal total fertig raus. Und dann kam der 22. Dez.
Autorin
Da teilte man ihr mit, dass die Notunterkunft über die Feiertage geschlossen werden
soll. Ob sie jemanden bei sich aufnehmen könne? Tarek wolle gerne zu ihr:
Take 10
(Maria Baum)
0`15
Seite 4
Dann gibt es noch einen aus Ghana und einen aus Eritrea. Ich sag: ok, warum
nicht. Ich hab alle Termine abgesagt, verschoben. Silvesterball, weil die sollten
ja bis zum 4, Januar bleiben.
Autorin
So fing alles an. Der junge Afghane ist schließlich bei ihr geblieben:
Take 11
(Maria Baum)
0`49
Und plötzlich war ich Mama. Und dann ging es los, die ganzen Papiere
beschaffen, Pflegekind quasi, quer Beet deutsche Gründlichkeit, dann war
alles durch. Wenn mir das einer vor einem Jahr erzählt hätte, hätte ich gesagt:
du spinnst! Was soll das? Ich glaube ohne Zuversicht würden sie so was nicht
schaffen. Es ist auch immer wieder hinfallen und aufstehen und sagen: ok,
alles wird gut, weitermachen. Ich hab immer zu ihm gesagt: Kind, alles wird
gut.
Musik 4..... (direkt dran)
Sprecher
„Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.“
Autorin
So ein berühmtes Zitat des Philosophen Ernst Bloch. In seinem Buch `Das Prinzip
Hoffnung` beschreibt er die Hoffnung als eine schöpferische Kraft. Der Mensch,
der um seine Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit weiß, um die Möglichkeit des
Scheiterns und den Tod, hofft trotzdem. Hoffnung und Zuversicht hängen eng
zusammen. Zuversicht basiert auf Hoffnung und Vertrauen und ist getragen von
einer „fast unmerklichen existentiellen Grundgestimmtheit“, so beschreibt es die
Psychoanalytikerin Verena Kast in ihrem Buch `Zuversicht`:
Sprecherin
„Unser Leben ist sozusagen von Hoffnung unterlegt. Es ist sehr schwierig zu
sagen, was Hoffnung wirklich ist: erst wenn sie uns so ganz und gar abhanden
zu kommen droht, dann spüren wir, dass doch immer noch etwas trägt, wir immer
noch eine vorstellungslose Hoffnung auf eine Verbesserung haben, Vertrauen,
dass sich etwas verändern wird zum Besseren hin wider besseres Wissen“
Take 12
(Claudia Noll) 0`26
Seite 5
Ich glaube, das hab ich mir bis heute bewahrt, dieses Gefühl, dass es eine
Kraft gibt, die die Zuversicht pur ist. Das ist für mich wirklich Glaube, die Liebe
pur. Wenn ich mir den Frühling angucke und sehe, ein Baum steht da den
ganzen Winter ohne Blätter, dann kommen die Blätter, dann die Blüten, die
Blumen entfalten sich, das ist ne Kraft, die dahinter steht, die ist viel
größer als ich.
Autorin
Religiöse und spirituelle Menschen schöpfen ihren Lebensmut und ihre Hoffnung
meist aus tieferen Quellen. Für viele ist die Bibel eine Quelle der Inspiration. In
Psalm 46 heißt es:
Sprecher
„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke. Eine Hilfe in den großen Nöten, die uns
getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge
und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte
von seinem Ungestüm die Berge einfielen.“
Autorin
Zuversicht ist ein altes Wort. Es wurde in früheren Zeiten vor allem mit Gott in
Verbindung gebracht. Und heute?
Take 13 (Uwe Böschemeyer) 0`36
Gott ist meine Zuversicht und Stärke. Soll ich es ehrlich sagen? Davon lebe
ich. Das hat nichts mit Moderne zu tun. Das ist eine Möglichkeit, die wir heute
ebenso haben wie in früheren Zeiten. Leider ist das viel zu bekannt und deswegen ist das kein altes Thema, sondern ein hochmodernes. Es ist nur die
Frage, ob wir es riskieren, über unseren Verstand hinaus zu gelangen und uns
ganz einzulassen auf die Tiefe unserer Seele, in der Gott zu sprechen beginnt
und damit kommt die Zuversicht zustande.
Autorin
Wie kommt man dahin? Zuversicht lässt sich nicht erzwingen. So manche hoffnungsvollen Neuanfänge münden in Enttäuschung. Risiken wurden vielleicht falsch eingeschätzt, die eigenen Fähigkeiten überschätzt oder das Leben hat einfach einen
anderen Weg genommen. Wenn Sorge, Angst und Verzweiflung das Gemüt verdunkeln, ist es oft schwer, an einen guten Ausgang zu glauben. Manche Menschen
müssen erst an einen existentiellen Tiefpunkt ihres Lebens gelangen, um zu entdecken,
dass da doch etwas ist was sie trägt:
Seite 6
Take 14 (Uwe Böschemeyer) 0`53
Vor Jahren hatte ich mit einer Frau zu tun, die unmittelbar vor dem Selbstmord
stand. Sie rief mich an von einem Hochhaus und sagte, ich springe gleich. Auf
irgendeine Weise gelang es dann, sie wieder runterzuholen, dann haben wir
miteinander zu arbeiten begonnen. Und ich habe mit ihr so eine kleine innere
Wanderung gemacht und habe gesagt: lassen sie doch mal ihre Zuversicht,
die sehr verdeckt in ihnen liegt, als Person erscheinen. Und da sah sie sich, ich
bin heute noch begeistert, da sah sie sich auf sich zukommen als die Zuversichtliche und da habe ich ganz tief begriffen, dass Zuversicht ganz zweifellos in
jedem Menschen zu Hause ist. Die Frau hat sich weder das Leben genommen
noch hat sie trübsinnig weitergelebt, sie ist wieder zum vollen Leben gekommen.
Musik 5....
Sprecher
Ein Mann träumte. Er sah Kühe in einem Teich stehen, die plötzlich ganz mager
wurden und schließlich im Wasser versanken. Aber dann tauchten auf einmal ganz
gesunde und wohlgenährte Tiere aus dem Wasser auf. Und eine Stimme sagte:
„Wo Neues entstehen soll, muss Altes sterben“.
Autorin
So kann in tiefen seelischen Prozessen aus einem Gefühl drohender Vernichtung etwas
Neues entstehen. Die Zuversicht ist eine geheimnisvolle Kraft. Woher kommt sie? Von
Gott? Aus der Seele? Aus dem Unbewussten?
Take 15
(Eckhart Neumann)
0`21
Ich glaube, es ist eine Grundbedingung menschlicher Existenz, wir sind nicht die,
die unser Leben willentlich gestalten. Das Leben gestaltet sich in uns oder es
macht mit uns. Wir steuern uns selbst, wir sind häufig zielgerichtet und gleicheitig gibt es den anderen Pol, wo wir geschehen lassen müssen.
Autorin
Eckart Neumann, Psychotherapeut und Psychoanalytiker, ist ein hoffnungsvoller
Mensch. Er möchte seinen Klienten, die manchmal Schlimmes erlebt haben, das
Gefühl vermitteln, dass sie ihrem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert sind, dass es
immer Hoffnung gibt:
Take 16
(Eckart Neumann) 0`46
Dass das Leben etwas Gutes will, egal in welchem Schlamassel ich stecke. Egal
ist es nicht, es gibt schon grausame Schicksale, da kann man nicht mehr sagen,
Seite 7
es ist egal, aber trotzdem zu vermitteln, dass es im Leben in Beziehung etwas
Gutes und Heiles hat. Und das gibt ein Gefühl von Halt. Ich vertraue darauf,
dass das Unbewusste in uns und auch die Qualität der Begegnung Entwicklung
ermöglicht. Das muss für die Patienten nicht so sein, aber diese Haltung vermittelt sich. Wir wollen uns entwickeln, wir Menschen wollen uns lebenslang
entwickeln und darauf zu vertrauen. Das setzt so was wie Gottvertrauen voraus.
Ich persönlich könnte den Beruf nicht machen ohne das als spirituellen Hintergrund zu haben.
Autorin
Zuversicht speist sich aus verschiedenen Quellen. So weiß man heute: die Gene
bestimmen mit, inwieweit der Mensch eine Grundbegabung für Zuversicht mitbringt.
In welchem Maße, das ist allerdings umstritten. Eine entscheidende Rolle spielen
auch Kindheitserfahrungen und Lebensumstände:
Take 17
(Maria Baum) 0`11
In meinem Elternhaus war das so, dass es immer hieß: geht nicht, gibt es
nicht. Es gibt immer einen Weg. Immer vorwärts schauen und nicht zurück.
Und das bleibt irgendwie hängen.
Autorin
Maria Baum gehört zu den Menschen, die mit tiefem Vertrauen durchs Leben gehen.
Psychologen nennen das Urvertrauen oder Grundvertrauen:
Musik 6....
Take 18
(Henriette Petersen) 0`25
Ich verstehe unter Grundvertrauen ein ganz tiefes sicheres Gefühl des
verankert und geborgen seins, des Vertrauens in meine Fähigkeiten und in
die, bei allen Katastrophen Güte dieser Welt. Damit meine ich natürlich nicht
nur meine soziale Umwelt, sondern auch die Natur, den Kosmos. Und das ist
dann so ein ganzheitliches Gefühl, das sehr tragend ist.
Autorin
Urvertrauen ist eine sichere Basis für Zuversicht. Ob sich dieses Grundvertrauen
entwickelt, hängt von den frühen Bindungserfahrungen ab, erklärt die Gesprächspsychotherapeutin Henriette Petersen:
Take 19
(Henriette Petersen) 0`41
Das sind in der Regel die Eltern. Das kann genauso gut eine Tante sein,
von der ich aufgenommen worden bin oder Großeltern oder Adoptiveltern.
Entscheidend ist, dass diese Menschen sich verlässlich mir zuwenden. Dass
sehr feinfühlig die Signale des Säuglings und Kleinkindes wahrgenommen und
Seite 8
dann richtig interpretiert werden und schließlich prompt und angemessen
darauf reagiert wird. In diesem Wechselspiel kann es die Welt als sicheren
Ort erleben und sein Vertrauen, mit dem es ankommt, wird bestätigt.
Autorin
Eine liebevolle und warmherzige Atmosphäre in der Familie fördert das Vertrauen
und die Gewissheit, dass das Leben Gutes bereithält, selbst unter schwierigsten
Bedingungen. Claudia Noll ist unter glücklichen und unglücklichen Umständen
aufgewachsen. Als fünftes von sechs Kindern, die Mutter war alkoholabhängig.
Take 20 (Claudia Noll)
0`56
Unglücklich war sicher, dass meine Mutter sehr unglücklich war, dass wir sehr
viele Kinder waren, sehr beengt, sehr ärmlich gewohnt haben und es hat sich
so ergeben, dass ich sehr früh ins Kinderheim musste, mit elf Monaten. Ich bin
mehrmals im Kinderheim gewesen und ich hatte sehr viel Angst. Ich hatte
einfach ganz viel Lebensangst. Trotzdem gab es etwas bei uns zu Hause was
auch ganz anders war. Wir haben alle zusammen viel gesungen und das mach
ich bis heute. Das war eine Kraft, die ich kennen gelernt habe auch durch
meine so unglückliche Mutter, die trotzdem mit uns gesungen hat und wenn wir
das gemacht haben, dann war irgendwie alles gut. Meine Mutter war sehr
naturverbunden und das hat sie mit meinem Vater geteilt und das haben meine
Eltern mit uns geteilt.
Autorin
Sobald sie draußen in der Natur war merkte sie schon als Kind, dass etwas sie trägt.
Sie war immer neugierig auf diese stützende Kraft, die sie in bestimmten Momenten
in sich spürte. Dieser Kraft wirklich zu vertrauen lernte sie im Laufe ihres Lebens.
Besonders in Situationen, die für sie schmerzlich und leidvoll waren.
Es gibt Dinge im Leben, die sich nicht verändern und rückgängig machen lassen.
Unveränderliches akzeptieren zu können und trotzdem zuversichtlich zu sein, ist ein
Teil der Lebenskunst. Für Claudia Noll gehört dazu, verzeihen zu können, den Eltern
und auch anderen Menschen:
Take 21 (Claudia Noll) 0`42
So dieses Gefühl zu bekommen: ich kann dem anderen wirklich vergeben, ich
muss dem nicht mehr böse sein, ich muss nicht mehr mit dem hadern. Aber
Seite 9
das Wichtigste war eigentlich, dass ich mir selber verzeihen konnte, weil das
konnte ich lange nicht. Dieses mich hinsetzen und akzeptieren: so hab ich
es gemacht und es war nicht das Beste für den oder die, aber ich konnte es
damals nicht anders. Das tut mir leid, aber ich gehe jetzt weiter und mach es
besser. Ich kann mich selbst so nehmen wie ich bin. Daraus erwächst ganz
viel Kraft und Zuversicht.
Take 22
(Uwe Böschemeyer) 0`21
Der Mensch auch in dieser Zeit hat Grund dazu, ich möchte jetzt mal mutig
sagen, das Leben zu lieben. Aber das Leben zu lieben bedeutet, ganz offen zu
werden für das worüber wir bislang nicht nachgedacht haben, was wir nicht
gesehen haben, was darauf wartet, von uns entdeckt zu werden.
Autorin
Maria Baum hat den Schritt in ein neues Leben gewagt. Seit sie einen 17jährigen
Flüchtlingsjungen als Pflegekind bei sich aufgenommen hat, hat sich bei ihr vieles
verändert, gefühlsmäßig und ganz praktisch. Neben ihrem Vollzeitjob, dem sie
auch im Home-Office nachgehen kann, gibt es jetzt vieles zu regeln:
Take 23 (Maria Baum) 0`25
Der Asylantrag wird jetzt gestellt und dann warten wir ab,aber ich bin da
zuversichtlich. Ich hab die Erfahrung gemacht, wenn man positiv an Dinge
herangeht, dass sich dann Tür und Tor öffnet. Am Anfang macht man sich
Gedanken: was mach ich? was sag ich? wie reagier ich wenn das jetzt
negativ? Es war eigentlich nie so.
Autorin
Ihre Zuversicht ist unerschütterlich. Woher nimmt sie diese Kraft?
Take 24 (Maria Baum) 0`40
Ich glaube, ich bin ganz einfach Mama geworden. Das ist alles. Wir
unterhalten uns oft darüber und sagen: wir haben beide Glück gehabt. Mein
Leben vorher war natürlich völlig anders. Mein Leben vorher war voll auf Beruf
ausgelegt. Jetzt hab ich meinem Chef einfach mal gesagt: weißt du, es gibt
auch noch ein Leben nach dem Büro. Ich hab einen acht Stunden Vertrag und
nach maximal neun Stunden gehe ich, weil ich hab ein Kind zuhause und ich
muss sagen, seitdem fühle ich mich viel viel besser. Da merkt man erst, was
man versäumt hat im Leben, so als überzeugter Single.
Autorin
Man weiß heute, dass lebensbejahende Menschen nicht nur zufriedener und
glücklicher sind, sondern auch gesünder. Sie haben ein besseres Immunsystem
Seite 10
und sind weniger anfällig für körperliche und seelische Erkrankungen. Für Zuversicht
kann man, ja muss man sich entscheiden. Verena Kast hält sie für das Geheimnis
eines gelingendes Lebens.
Sprecherin
„Wir Menschen müssen uns immer wieder neu zur Zuversicht und damit zur
Hoffnung entschließen... Vertrauen riskieren und uns dazu entschließen, dass wir
in einer Welt leben wollen, in der man einander vertrauen kann. Hoffnung vermehrt
sich aus der Erfahrung heraus, dass uns Menschen etwas trägt. So haben wir immer
wieder Einfälle, die uns helfen, das Leben zu bewältigen und uns immer wieder neue
Zuversicht geben können. Aber wir können diese Einfälle offensichtlich nicht selber
machen. Wir können nur offen und empfänglich dafür sein, wenn sie kommen.“
Musik 8.....
Autorin
Zuversicht ist eine schöpferische Kraft. Sie hilft, morgens entspannt aufzustehen, mit
Freude in den Tag zu gehen, Probleme kreativ zu lösen und neue Wege zu gehen.
Zuversichtlich zu sein kann man lernen und trainieren. Positives Denken allein helfe
jedoch nicht, meint Böschemeyer. Man müsse schon tiefer tauchen:
Take 26 (Uwe Böschemeyer) 0`38
Ich plädiere leidenschaftlich dafür, dass Menschen sich nicht dann und wann,
sondern regelmäßig und wenn irgend möglich an jedem Morgen eine
Viertelstunde Zeit nehmen still zu werden, denn in der Stille beginnt die Seele
sich auszusprechen, das zu sagen was ihr fehlt oder worauf wir in unserem
Bewusstsein noch nicht aufmerksam geworden sind. Dann entwickelt sich in
der Stille das Gefühl, ich bin bei mir, ich stehe zu mir, ich habe Stehvermögen.
Ganz oft kommt dieses Gefühl auf und mehr, vom Leben getragen zu sein.
Autorin
In unsicheren und stürmischen Zeiten sehnt sich der Mensch nach etwas, was ihm
Halt gibt. Das kann auch ein Engel sein, meint der Benediktinermönch Pater Anselm
Grün. Er schreibt:
Sprecher
Seite 11
„Der Engel der Zuversicht schenkt uns Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft... Ich
erkenne was ist.... und bin trotzdem zuversichtlich... Die Zuversicht sieht mehr
als das bloß Vorhandene... Sie sieht zu allem Äußeren die innerste Wirklichkeit der
Dinge, sie sieht zur Welt hinzu Gottes Engel, die mit uns durch die Welt gehen
und ihre schützende Hand über unser Land und unsere Erde halten.“
(Musik noch einmal hochziehen...)
Literatur
Uwe Böschemeyer: Du bist viel mehr. Wie wir werden was wir sein können
Ecowin Verlag 2010
Uwe Böschemeyer: Machen Sie sich bitte frei. Entdecken Sie Ihre Furchtlosigkeit
Ecowin Verlag 2012
Verena Kast: Zuversicht. Wege aus der Resignation
Kathrin Klette: Hoffen. Eine Anleitung zur Zuversicht
Anselm Grün: Du wirst gehalten
Herder Verlag 2012
Ch. Links Verlag 2016
Vier-Türme-Verlag 2015
Seite 12