Kunststücke Demenz

„Menschen mit Demenz sind die Punks des Alters“
Tagungsbericht zur internationalen Fachtagung „Kunststücke Demenz“
Rund 300 Künstler, Kulturpädagogen, Tätige
in der Altenarbeit sowie Experten aus der
Wissenschaft trafen sich am 14. Februar
2012 in der Kunst- und Ausstellungshalle
der Bundesrepublik Deutschland in Bonn,
um sich über nationale und internationale
Entwicklungen künstlerisch-kultureller Praxis mit Menschen mit Demenz zu informieren und darüber zu diskutieren.
„Tjewerktijaamm thami kwerte ma“ – mit diesem
Kauderwelsch eröffneten die Demenzclowns
von miMakkus die internationale Fachtagung
„Kunststücke Demenz“. Was zunächst nur unterhaltsam schien, hat einen ernsten Hintergrund: miMakkus finden mit ihrer Arbeit einen
non-verbalen Zugang zu Menschen mit Demenz und ihren Emotionen. Sie bieten in den
Niederlanden und in Deutschland Fortbildungen
für die Clownerie mit Menschen mit Demenz an.
Nach einleitenden Grußworten durch Dr. Silvia
Matalik, Bundesministerium für Bildung und
Forschung, Dr. Robert Fleck, Bundeskunsthalle,
sowie Prof. Max Fuchs, Institut für Bildung und Kultur, stellten Flavia Nebauer und Kim de
Groote die Ergebnisse der Studie „Auf Flügeln der Kunst vor“, deren Veröffentlichung Anlass
für die Fachtagung war. Diese Studie erstellte das Institut für Bildung und Kultur im Auftrag
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Sie stellt zusammen, welche Angebote
und Projekte im Bereich Kunst
und Kultur es bereits in Deutschland und im Ausland gibt und
welche Bedeutung sie für die Begleitung von Menschen mit Demenz haben können. Flavia Nebauer und Kim de Groote zeigten
auf, welche Herausforderungen
an eine kompetente Kunstbegleitung gestellt werden und leiteten
daraus Handlungsbedarfe ab.
Fazit der Studie ist, dass Menschen mit Demenz nicht nur ein
Recht auf Kulturteilhabe haben,
Eine Clownin von miMakkus
sondern Kunst und Kultur sich
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sogar in besonderer Weise für die Arbeit mit Menschen mit Demenz eignen. Wie bedeutsam
Kunst und Kultur für Menschen mit Demenz sind, brachte eine Tagungsteilnehmerin auf den
Punkt: „Kunst und Demenz gehören zusammen. Menschen mit Demenz sind die Punks des
Alters. Das Ver-rücktsein der Kunst und Demenz passen gut zusammen.“
Im Anschluss stellte Pam Schweitzer, European Reminiscence Network, das Schulungskonzept „Remembering Yesterday, Caring Today“ zur kreativen Erinnerungsarbeit für Menschen
mit Demenz und ihren Angehörigen vor, bei dem mit Fotos, Methoden des Improvisationstheaters, Musik, Schreiben, Malen u.v.m. gearbeitet wird. Die Wirkungen dieser Arbeit werden derzeit in einer groß angelegten Studie von fünf britischen Universitäten in der REMcare
Studie untersucht, deren Ergebnisse Errollyn Bruce von der Universität in Bradford vorstellte.
Pflegende und Demenzbetroffene gaben auf die Arbeit positive Rückmeldungen, es wurde
aber auch deutlich, dass es nicht immer leicht ist, medizinische Standards an Evaluationen
im künstlerischen Bereich zu stellen.
In der Mittagspause bot ein Marktplatz mit 14 kulturellen
Projekten für Menschen mit Demenz Gelegenheit gute
Praxisbeispiele kennen zu lernen. Es wurden rege Gespräche geführt und viele Erfahrungen ausgetauscht. Außerdem wurde die Mittagspause genutzt, Fotografien von
Michael Hagedorn aus der Kampagne KONFETTI IM
KOPF zu betrachten, die das obere Foyer der Bundeskunsthalle schmückten. Zudem bot die Bundeskunsthalle
exemplarisch kurze Führungen durch die aktuelle Ausstellung „Art and Design for all – The Victoria and Albert
Museum“ an, die sie für Menschen mit Demenz entwickelt
haben. Bei den Führungen halten die Kunstvermittler keinen kunsthistorischen Vortrag, sondern gehen auf die
Bedürfnisse ihrer Besucher ein, indem sie einen Bezug zu
ausgesuchten Kunstwerken über Gegenstände herstellen, die weitere Sinne ansprechen. Ein Kleidungsstück
aus der Ausstellung wird herumgereicht, man erfühlt den
Anregende Gespräche auf dem
Marktplatz
Stoff, die Teilnehmenden erinnern sich an eigene Kleidungsstücke. Birgit Tellmann von der Bundeskunsthalle
ist sich sicher, dass die Museumsführungen bei den Besuchern sehr gut ankommen. Ein
Ausflug ins Museum ist für Demenzbetroffene etwas Besonderes und stärkt ihre Inklusion.
Nach der Mittagspause wurden zwei Praxisprojekte anschaulich dargestellt. Heinke Hartmann, Regisseurin und Kulturpädagogin, präsentierte das Theaterprojekt „Die schöne Zeit
geht wieder heim“, das im vergangenen Jahr in Konstanz von Menschen mit und ohne Demenz erarbeitet und im Stadttheater Konstanz und im Theater am Gleis in Winterthur,
Schweiz, aufgeführt wurde. Heinke Hartmann bewertet die Theaterarbeit im Nachhinein als
einfacher als im Vorfeld befürchtet. Nicht nur Menschen mit Demenz haben von diesem Pro2
jekt profitiert, sondern auch Nicht-Betroffene konnten von der gemeinsamen Arbeit und dem
schauspielerischen Talent ihrer Mitspieler profitieren.
Gary Glazner vom Alzheimer´s
Poetry Project, USA, ist ein Urvater des Poetry Slam, eine Form
moderner Dichterwettkämpfe. Er
erfand den Arbeitsansatz Alpoetry,
bei dem Gedichte für und mit
Menschen mit Demenz sehr lebendig und durch Requisiten unterstützt vorgetragen werden. Mittlerweile wurden in den USA über
800 Personen für diesen Arbeitsansatz fortgebildet. Das Projekt
wird derzeit in Deutschland entwickelt. Der deutsche Projektleiter Führung durch die Ausstellung
Lars Ruppel rezitierte spontan mit
den 300 Tagungsteilnehmern gemeinsam Heinz Erhardts Gedicht „Die Kuh“ und berichtete
auf dem Marktplatz über seine positiven Erfahrungen mit dem Arbeitsansatz.
In einer abschließenden Podiumsdiskussion sprachen Dr. Silvia Matalik, Bundesministerium
für Bildung und Forschung, Dr. Gabriele Kreutzner, Demenz Support Stuttgart, Detlef Rüsing, Dialogzentrum Demenz an der Universität Witten/Herdecke, Klaus Bremen, ehemaliger
Geschäftsbereichsleiter des Paritätischen in NRW, sowie Birgit Tellmann von der Bundeskunsthalle über Chancen und Herausforderungen von Kulturarbeit mit Menschen mit Demenz. Dabei machte Dr. Gabriele Kreutzner deutlich, dass Demenz nicht nur ein medizinisches Problem sei, sondern eine soziale und kulturelle Herausforderung. Wie wir als Gesellschaft mit dem Phänomen umgehen, mache die Krankheit noch schlimmer. Klaus Bremen
plädiert dafür, Institutionen einzurichten, die sich um das Thema
Kulturarbeit mit Menschen mit Demenz langfristig kümmern können.
Detlef Rüsing kritisierte, dass oftmals der Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis fehle. Dr. Silvia Matalik räumt medizinischer
Forschung, Präventions- und Versorgungsforschung einen hohen
Stellenwert ein. Die Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern,
Pflegeforschern, Psychologen, Soziologen und SozialwissenschaftMit 300 Teilnehmenden war die Tagung ausgebucht
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lern im Team sei ungemein wichtig, um adäquate Pflegekonzepte zu erarbeiten. Kulturelle
Bildung könnte ein nächster Baustein sein, den man implementieren könnte.
Das große Interesse an der internationalen Fachtagung zeigte: Der Bedarf an Information
und Austausch zum Thema ist groß. Mit der Tagung wurde ein wichtiger Impuls gesetzt,
künstlerisch-kulturelle Praxis für Menschen mit Demenz zu stärken, und Kooperationen zwischen verschiedenen Experten auf den Weg zu bringen.
Weitere Informationen
Institut für Bildung und Kultur
Kim de Groote
Küppelstein 34
42857 Remscheid
Tel. 02191.794.296
[email protected]
www.ibk-kubia.de
Eine Zusammenarbeit von
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