Bringt Olympia das Zika-Virus in die Welt?

34 sport
Schweiz am Sonntag
17. Juli 2016
Bringt Olympia das
Zika-Virus in die Welt?
DOPING
Russland zittert
vor dem Bericht
von McLaren
Das durch Mücken übertragbare Zika-Virus ist das grosse Thema vor den Olympischen Spielen in Rio. Auch wenn in
Brasilien Winter ist und deshalb weniger Insekten fliegen – eine globale Verbreitung ist durchaus möglich.
Der olympischen Bewegung droht
der Super-GAU: Hatte der Geheimdienst seine Finger im Spiel? Wurden
Doping-Proben im Hinterzimmer
manipuliert? Anwalt Richard McLaren
schafft Klarheit und veröffentlicht
morgen seinen Bericht zu den
schweren Vorwürfen gegen Russland
bei den Winterspielen 2014 in Sotschi.
Die Experten sind geteilter Meinung.
«Wenn sich die Anschuldigungen bewahrheiten und der Geheimdienst
tatsächlich eingeschaltet war, dann
ist das Staatsdoping und kann vor
den Olympischen Spielen nur eine
Konsequenz haben: Die rote Karte
für Russland», sagte der deutsche
Pharmakologe Fritz Sörgel und
forderte den Komplett-Ausschluss
des Riesenreichs für Rio. «Ich bin da
hin- und hergerissen. Ein Ausschluss
bringt eigentlich mehr Probleme als
Lösungen», sagte indes Sport-Rechtsexperte Michael Lehner: «Am Ende
wird es schwierig, einen Weg zurück
für Russland zu finden. Vielleicht
bringen deshalb Gespräche mehr als
Boykott und Kriegserklärungen.»
Es droht grosse Aufruhr
Die Tigermücke als Übertrager des Zika-Virus dominiert die Schlagzeilen vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.
VON KRISTIAN KAPP
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Rory McIllroy reist nicht nach Rio, Vijay
Singh und Jason Day tun es ihm gleich.
Unter den Spitzengolfern gibt es bereits
mehrere Absagen für die Olympischen
Spiele, die im direkten Zusammenhang mit
dem Zika-Virus stehen. Die Top 4 der Welt
nehmen geschlossen nicht teil. Auch in der
Tennis-Welt gibt es mittlerweile erste Absagen wegen des Zika Virus. So gaben der
kanadische
Wimbledon-Finalist
Milos
Raonic, der Tscheche Tomas Berdych und
die rumänische Weltnummer 5 Simona Halep ihren Verzicht auf Rio bekannt. Hysterie oder begründete Sorgen?
Man müsse grundsätzlich zwischen zwei
Fällen unterscheiden, sagt Felix Fleisch,
Leiter der Infektiologie am Kantonsspital
Graubünden in Chur. «Zika ist ein Riesenproblem.» Die Mikrozephalie, die Missbildung der neugeborenen Kinder, die das
Virus als Folge haben kann, sei etwas
Furchtbares. «Als Schwangere und bei
Kinderwunsch würde ich darum derzeit
nicht nach Brasilien reisen», sagt Fleisch.
Bei «Nichtschwangeren» hingegen sei die
Lage anders: «Bei Männern, die sich nicht
fortpflanzen wollen, sehe ich keine grossen
Gefahren.» Die meisten, die sich mit dem
Zika-Virus anstecken, bemerken dies nicht
einmal: «80 Prozent der Fälle sind asymptomatisch.» Beim Rest zeigen sich Grippesymptome: Gliederschmerzen, Kopfweh,
teilweise Bindehautentzündungen. Und
dann wird noch in ganz seltenen Fällen das
Guillain-Barré-Syndrom festgestellt. Dabei
handelt es sich um von unten aufsteigende
Lähmungserscheinungen, jener einer Paraplegie ähnlich, die allerdings fast immer
nur vorübergehend sind. «Das ist das
Schlimmste, das man als Nichtschwangere
vom Zika-Virus bekommen kann», sagt Fleisch.
An der WM noch kein Thema
Das Zika-Virus ist in Südamerika ein neues
Phänomen. Vor zwei Jahren, als ebenfalls
in Brasilien die Fussball-WM stattfand, war
es noch kaum ein Thema. «Das kann auch
daran liegen, dass die Symptome ähnlich
sind wie bei den beiden bekannteren
Infektionskrankheiten Dengue und Chi-
80
Prozent der Ansteckungsfälle mit dem Zika-Virus
verlaufen asymptomatisch.
Deshalb bemerken die
meisten Betroffenen ihre
Ansteckung nicht einmal.
kungunya», erklärt Fleisch. «Wenn man also vor zwei Jahren noch nicht spezifisch
nach dem Zika-Virus suchte, bemerkte
man es vielleicht noch gar nicht.» Die
beiden genannten Fieberarten sind für
Männer grundsätzlich schlimmer als eine
Ansteckung mit dem Zika-Virus. Übertragen werden sie durch dieselben Mückenarten: Vor allem durch die Gelbfiebermücke,
sowie die in der Schweiz ebenfalls bekannte
Tigermücke.
Im Tessin sind Tigermücken bereits
heimisch. «Und auch in Basel, einer ebenfalls im Schweizer Durchschnitt wärmeren
Region, hat man sie schon nachgewiesen»,
sagt Fleisch. Die Tierchen dürften via Gotthardroute Richtung Norden transportiert
worden sein: «Der globale Handel und der
Tourismus sind diesbezüglich ein Problem.»
In Graubünden blieben trotz geografischer
Nähe Sichtungen von Tigermücken bislang
weitgehend aus. Und noch wichtiger, wie
Fleisch betont: «Es gibt in der Schweiz
noch keinen nachgewiesenen Fall von
Tigermücken mit Krankheitserregern.» In
Italien hingegen wurden vor zwei Jahren
bereits Dengue und Chikungunya nachgewiesen – verbunden mit einem Ausbruch
in der Region Emilia-Romagna.
Und dennoch sind es nicht nur Hysterie
oder Angstmacherei, dass es die Olympischen Spiele sein könnten, die 2016 das
Zika-Virus in die Welt tragen werden. «Es
ist eines der Hauptprobleme von Olympia»,
sagt Fleisch. «Es wird ja nicht nur Sportler,
sondern grosse Massen von Fans aus aller
Welt in Brasilien haben.» Wird ein mit dem
Virus infizierter Brasilienreisender nach
der Rückkehr in der Heimat von einer
Tigermücke gestochen, kann das Insekt
Zika auch auf Menschen übertragen, die
selbst gar nie in Südamerika waren.
Fleisch: «Man würde mit einem Stich nicht
automatisch angesteckt. Aber es ist möglich. Noch ist es Theorie, es wird aber
wahrscheinlich irgendwann zur Praxis.»
In der Schweiz beurteilt Fleisch die
Gefahren noch nicht als gross: «Wenn es
übertragen wird, dann eher in Armutsregionen mit schlechterer medizinischer
Versorgung und vor allem nicht so guten
Überwachungsmethoden wie bei uns – bei-
KEYSTONE
spielsweise in Slums von asiatischen oder
afrikanischen Ländern.» Während in der
Schweiz eine Ansteckung schnell erkannt
und sofort Alarmstufe Rot herrschen würde,
sei die Frage schwierig zu beantworten,
wie lange es in ärmeren Regionen ginge,
bis überhaupt nach dem Zika-Virus gesucht
würde, sagt der Bündner Infektiologe.
Vor einer weiteren Art der Übertragung
des Zika-Virus› ist indes niemand gefeit:
Jener der sexuellen. «Bis jetzt ging man
davon aus, dass nach der Rückkehr aus
«Es wird nicht
nur Sportler,
sondern
grosse Massen
von Fans aus aller Welt
in Brasilien haben.»
FELIX FLEISCH
LEITER INFEKTIOLOGIE
KANTONSSPITAL GRAUBÜNDEN
Brasilien rund einen Monat lang nur geschützter Geschlechtsverkehr praktiziert
werden soll», sagt Fleisch. «Mittlerweile
empfiehlt man mindestens drei Monate,
um sicher gehen zu können, dass das Virus
nicht mehr im Körper ist.»
Die Mücken stechen am Tag
Ansonsten lasse sich für Brasilienreisende
nicht viel machen. Gegen Zika, Dengue
und Chikungunya ist keine Impfung möglich.
«Am wichtigsten ist der Mückenspray»,
sagt Fleisch. Auch Moskitonetze in der
Nacht seien sinnvoll, allerdings bieten sie
keinen umfassenden Schutz: «Während
jene Mücken, die Malaria übertragen, vor
allem in der Nacht aktiv sind, stechen
Tiger- und Gelbfiebermücke vorwiegend
am Tag.»
Immerhin: Im August ist in Brasilien
Winter, wegen der entsprechend trockeneren
und kühleren Witterung wird es dann
deutlich weniger Mücken haben.
Die Sportwelt jedenfalls steht vor bewegenden Tagen. Zwar gehören Nachrichten über Doping-Vergehen aus
Russland fast schon zur Tagesordnung, doch die Sotschi-Vorwürfe erreichen eine neue Qualität. Gerüchten
zufolge dürfte der Bericht für ordentlich Aufruhr sorgen. Denn sollten die
Anschuldigungen von Whistleblower
Gregori Rodschenkow stimmen, ist das
als Frontal-Angriff auf die olympische
Bewegung zu bewerten. Der frühere
Leiter des Doping-Labors in Sotschi
behauptete, dass es 2014 bei den
Spielen ein vom Staat gelenktes systematisches Doping-Programm gegeben
habe, dass der Geheimdienst involviert war, dass Doping-Proben durch
ein Loch in der Wand in ein Hinterzimmer gereicht wurden, um sie zu
manipulieren, und dass Dutzende russische Athleten – darunter 15 Medaillengewinner – gedopt gewesen seien. Ein Horror-Szenario, das die Debatte über einen Komplett-Ausschluss Russlands von den Sommerspielen wieder anheizt. Ein staatlich
gelenktes Doping-Programm würde
auch Präsident Wladimir Putin
schwer belasten, den Spezi von IOCPräsident Thomas Bach. Seite an Seite
haben die Protagonisten die Spiele
in Sotschi 2014 eröffnet und beendet.
Bach jedoch schwingt die feine
Klinge und liess durchblicken, dass ein
General-Ausschluss Russlands für ihn
zunächst kein Thema sei. Vielmehr
wälzte Bach die Verantwortung auf
die Weltverbände ab. «Wir werden
selbstverständlich auf diesen Untersuchungsbericht reagieren und in
Kooperation mit den WintersportVerbänden angemessene Massnahmen
auf der Grundlage von Beweisen ergreifen», sagte der 62-Jährige. Bach
räumte aber auch ein, dass er nicht
alles dulden werde und dass das IOC
selbst zum Gegenangriff übergehen
könnte. «Ich kann nicht spekulieren,
was der Report beinhaltet. Klar ist,
wenn es einen institutionellen Eingriff gegeben hätte, dann würde das
IOC auch institutionell reagieren
und wird dabei nicht zögern», sagte
er der Tageszeitung «Die Welt».
Russland hofft auf das CAS
Russland indes tobt. Das Riesenreich
hat derzeit schon genug zu tun mit
der Sperre seiner Leichtathleten für
Rio. 136 Athleten hatten gehofft,
über eine Ausnahmeregelung noch
am Zuckerhut starten zu können,
doch der Leichtathletik-Weltverband
IAAF erlaubte nur zwei Sportlerinnen,
in Rio als «neutrale Athleten» anzutreten – eine davon ist «Staatsfeindin»
Julia Stepanowa. Die russischen
Hoffnungen ruhen jetzt auf dem Entscheid des Internationalen Sportgerichtshofes CAS, der am 21. Juli verkündet werden soll. (SID)