Roggen in der Schweinefütterung

44
Tier
BAUERNBLATT | 23. Juli 2016 ■
geklemmt, sollte man intensiv nach
der Ursache für ein gestörtes Wohlbefinden suchen, da sonst in Kürze mit dem Ausbruch von Beißereien zu rechnen ist. Daneben geben
auch die Nutzung der Buchtenbereiche, das Liegeverhalten und die
Aktivität dem kundigen Beobachter Aufschluss über mögliche Problemfelder. In jedem Fall erfordert
diese Beobachtung Zeit und Erfahrung. Letztere sollte durch Schulungen der Teilnehmer in Futterkamp zum Beginn und im Verlauf
des Projektes optimiert werden.
Letztlich sind aber doch die Erfahrung mit den eigenen Schweinen und das Lernen durch Probieren unersetzlich. Seminare und der
Austausch mit Berufskollegen können immer nur einen Anstoß geben, Neues zu versuchen.
Der Einstieg
in den Ausstieg
Nach Auslaufen des Pilotprojektes soll nun vereinbarungsgemäß
mit der Umsetzung des Kupierverzichts in ganz Schleswig-Holstein
begonnen werden. Hierfür wurde
durch eine Förderung aus Eler-Mitteln durch das Land eine kosten-
lose Beratung für Interessierte ermöglicht (siehe Bauernblatt vom 2.
Juli, Seite 48). Dies bedeutet aber
nicht, dass Betriebe von heute auf
morgen das Kürzen des Ferkelschwanzes unterlassen sollten, da
dies allein in den meisten Fällen zu
massivem Tierleid durch intensives
Schwanzbeißen führen wird. Vielmehr sollte sich jeder Betrieb langsam mit kleinen Gruppen von Ferkeln oder Mastläufern an die Haltung von geringer oder gar nicht
kupierten Schweinen herantasten.
Stets sollten dabei die Haltungsbedingungen weiter optimiert werden, um die Wahrscheinlichkeit eines Beißausbruchs zu minimieren.
Eine Blaupause für eine Schweinehaltung ohne Bissschäden haben
die Forschungsanstrengungen der
letzten Jahre leider noch nicht liefern können. Hingegen sind aber
mittlerweile viele Risikofaktoren
bekannt, die im Rahmen der angebotenen Beratung betriebsindividuell erkannt und abgestellt werden können. Ungeklärt ist aber immer noch, wie Ferkel mit intakten
Schwänzen vermarktet werden
können, da viele Mäster die „unproblematisch“ zu haltenden Ferkel
mit gekürzten Schwänzen bevorzu-
gen. Somit sind ernste wirtschaftliche Belastungen für die ohnehin
schrumpfende Zahl der Sauenhalter
im Land nicht ausgeschlossen.
Dr. Ole Lamp
Landwirtschaftskammer
Tel.: 0 43 81-90 09-16
[email protected]
FAZIT
Mit dem mutigen Engagement
der 15 Betriebe im Pilotprojekt
wurde ein erster Ansatz unternommen, den Kupierverzicht
in mehreren konventionell arbeitenden Praxisbetrieben in
Schleswig-Holstein zu erproben. Die Betriebe wurden dabei intensiv durch Berater begleitet und in Schulungen auf
das Vorhaben vorbereitet. Die
Teilnehmer haben mit viel Idealismus Belastungen auf sich genommen, um diesen Schritt in
die Zukunft vor vielen anderen
Betrieben zu wagen. Es zeigte
sich bereits in der subjektiven
Betrachtung, dass ein erfolgreicher Kupierverzicht ohne
einen Anstieg des Schwanzbeißens nicht mit wenigen
einfachen Maßnahmen zu erreichen ist. Vielmehr steigt
durch den Kupierverzicht der
Zeitaufwand für Tierbetreu-
ung und -beobachtung erheblich an. Auch die Optimierung
der Haltung ist für viele Betriebe mit einem nennenswerten
Aufwand verbunden. Diese
nötigen Mehraufwendungen
sowie eventuelle Probleme
bei der Vermarktung unkupierter Schweine können zu
erheblichen wirtschaftlichen
Belastungen führen. Eine flächendeckende
Umsetzung
des Kupierverzichts erfordert
daher gemeinsame Anstrengungen aller Wirtschaftspartner und eine umsichtige Vorgehensweise der Politik. Die
bundesweiten Forschungsbemühungen zur Problematik
des Schwanzbeißens sind aktuell größer denn je. Sie werden weiter dazu beitragen, das
komplexe Geschehen besser zu
verstehen und in Zukunft sicher zu beherrschen.
Entlastung für den Stoffwechsel
Roggen in der Schweinefütterung
Von der jährlichen Roggenernte in
Deutschland (2015: 3,35 Mio. t) landen 50 bis 65 % im Futtertrog. In
der Norddeutschen Tiefebene mit
ihren überwiegend ertragsschwächeren Böden ist Roggen immer
schon zu einem großen Teil in der
Tierhaltung veredelt worden. Roggen hat im Vergleich mit anderen
Getreidearten einen geringeren
Nährstoff- und Wasserbedarf und
eine ausgesprochene Winterhärte.
Er liefert einen hohen Energieertrag pro Hektar und – verbunden
mit einer sehr guten Nährstoffund Wassereffizienz – die preiswerteste Futterenergie aller Getreidearten auf leichten und mittleren Böden.
Damit bringt Roggen auf sandigen Standorten betriebsökonomische Vorteile. Von den Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz von
Roggen in der praktischen Schweinefütterung berichtet der folgende Artikel.
Mit 8,4 % Rohprotein (Ø 2015
Lufa Nord-West) weist der Roggen den geringsten Gehalt aller
Getreidearten auf. Der Lysinanteil am Gesamtprotein entspricht
jedoch mit 0,31 % (Ø 2015 Lufa
Nord-West) dem des Weizens.
Roggen liegt mit einem Energiegehalt von 13,60 MJ ME (Ø der vergangenen fünf Jahre Lufa Nord-
termenge verbraucht, eignet sich
Roggen sehr gut, um kostengünstige proteinabgesenkte Rationen
bereitzustellen. Diese entlasten
den Stoffwechsel des Tieres und
verbessern die Düngebilanz des
Landwirts.
Wie Rationen mit hohen Roggenanteilen für Eigenmischer in
der Mast aussehen können, ist in
der Tabelle dargestellt (bezogen
auf 88 TS und 850 g TZ).
Zusätzlich zum Lysin ist eine
Threoninergänzung bei höheren
Roggenanteilen in der Ration erforderlich, da diese Aminosäure
beim Roggen mit praecaecal 75 %
im Vergleich der Getreidearten am
schlechtesten verdaulich ist. Bis zur
Mittelmast ist in der Regel auch
eine Methioninzulage notwendig.
Mit dem Zusatz von freien Aminosäuren im Mineralfutter oder Ergänzer ist das Aminogramm entsprechend anzupassen. Ab einer
Preisdifferenz zwischen Roggen
und Weizen von 0,50 bis 0,60 €/ dt
Roggen ist ein wirtschaftlich interessantes Futtermittel für die Schweinefüt- lohnt sich der Roggeneinsatz im
terung und bietet eine sichere und wirtschaftliche Planungsgrundlage für Schweinefutter. Aktuell beträgt die
die Landwirte.
Fotos: KWS Lochow GmbH / hfr Differenz zirka 1,80 €/dt. Es gab in
West) nur knapp unter dem Niveau von Weizen (13,86 MJ ME)
und Triticale (13,74 MJ ME) und ist
somit ein sicherer Energielieferant
auf leichten Standorten. Vor allem
in der Endmast ab 80 kg, in der
das Schwein zirka 50 % der Fut-
Tier 45
■ BAUERNBLATT | 23. Juli 2016
der jüngeren Vergangenheit aber
auch schon Jahre mit 4 bis 5 €/dt.
Begrenzung auf 30 bis
50 Prozent im Futter
In der Schweinemast begrenzt
die DLG in ihren Empfehlungen
von 2006 den Einsatz von Roggen
auf 30 % bei der Vormast bis hin zu
50 % bei der Endmast. In der Praxis
werden in roggenreichen Anbauregionen aber durchaus Rationen mit
einem Roggenanteil von bis zu 70 %
in der Endmast ohne Leistungseinbußen gefüttert. Fütterungsversuche im Lehr- und Versuchsgut (LVG)
Köllitsch der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft aus dem
Jahr 2004 sowie bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen aus
dem gleichen Jahr haben die guten
Erfahrungen der Praxis mit einem
70%igen Roggenanteil bestätigt.
In diesen Versuchen bestand der
Getreideanteil sogar schon ab der
Vormast ausschließlich aus Roggen
– ohne Einbußen bei den biologischen Leistungen, der Schlachtausbeute und der Schlachtkörperqualität. Damit konnte bereits vor über
zehn Jahren die in der Vergangenheit immer wieder angeführte Begrenzung der Futteraufnahme
wegen der früher höheren Bitterstoffanteile im Roggen widerlegt
werden. Durch die modernen Hybridzüchtungen spielen Bitterstoffe
ohnehin keine Rolle mehr.
Der Roggen hat nach der Gerste mit 107 bis 128 g/kg TS Nichtstärke-Polysacchariden (NSP) den zweithöchsten Gehalt. Die NSP-Fraktionen im Getreide sind schlechter
verdaulich, verdünnen den Energie- und Nährstoffgehalt des Futters und verlangsamen den Futtertransport durch den Darmtrakt.
Besonders der relativ hohe Pentosangehalt im Roggen (zirka 25 %
davon löslich) stört bei Ferkeln die
Langjährige und zahlreiche Versuchsergebnisse aus der Praxis belegen keine Einbußen in den biologischen Leistungen der Schweine.
Verdauung, und die Kotkonsistenz
wird klebriger. Durch den Zusatz
von speziellen NSP abbauenden Enzymen wurden in Ferkelfütterungsversuchen positive Effekte erzielt.
In der Mittel- und Endmast sind die
Wirkungen der NSP-Enzyme weniger eindeutig.
Die vereinzelt auftretende
Schaumbildung bei Roggenanteilen von über 30 % in der Flüssigfütterung, vor allem bei frisch geerntetem Roggen, liegt an den speziellen Eigenschaften der löslichen
Proteine. Daher sollte Roggen auch
aus diesem Grund frühestens vier
Wochen nach der Ernte verfüttert
werden. Der Schaumbildung kann
mit Pflanzenölzusätzen von 0,5 bis
1,0 % oftmals wirksam begegnet
werden. Alternativ dazu versprechen auch technische Anpassungen am Anmischbottich Erfolg. Beispielhaft seien genannt der Wasserzulauf von unten, die Verringerung der Rührgeschwindigkeit,
Form und Anbringhöhe der Rührflügel sowie die Verwendung von
Schnecken- statt Kreiselpumpen.
Im Vergleich zu Weizen und Triticale ist Roggen deutlich weniger
mit Fusariumtoxinen wie zum Beispiel Deoxynivalenol (DON) und Zearalenon (ZEA) belastet. Zudem ist
die Auswuchsgefährdung bei längeren Schlechtwetterperioden in
der Erntezeit erheblich geringer.
Das verringert das Ernterisiko und
erhöht damit die Planungssicherheit für die Landwirte.
Grenzwerte für
Mutterkorn beachten
Roggen darf in der Fütterung
nur eingesetzt werden, wenn der
Grenzwert von 1 g Mutterkorn je
Kilo (entspricht 0,1 Gewichts-%)
Futter eingehalten wird. Seit 2003
ist ein Verschneiden mit mutterkornfreien beziehungsweise mutterkornarmen Futterpartien bei
Überschreitung des Grenzwertes
futtermittelrechtlich
untersagt.
Eine gründliche Getreidereinigung
vor der Einlagerung des Roggens
trägt zu einer Minimierung des Befalls bei, da die Mutterkörner grö-
Tabelle: Beispiele für Rationen mit hohen Roggenanteilen für Eigenmischer in der Mast
Komponente
Roggen
Triticale
Gerste
Sojaschrot HP
Mineralfutter
Planzenöl
ME
Rohprotein
Lysin/ME
Lysin
pcv Lysin
Kosten*
*Preise Stand 3/2016
Einheit
%
%
%
%
%
%
MJ
g/kg
g/MJ
g/kg
g/kg
€/dt
Vormast
Mittelmast
Endmast
25 bis 50 kg
50 bis 80 kg
80 bis 120 kg
35
21,5
18
21
3
1,5
13,36
171
0,85
11,4
10,2
22,10
45
18
15
18
3
1
13,21
157
0,76
10,1
8,9
21,10
60
10
13,5
14
2,5
12,99
141
0,65
8,5
7,4
19,14
ßer und leichter sind. Des Weiteren hat der Landwirt mit der Sortenwahl einen erheblichen Einfluss
auf die Anfälligkeit des Roggens
für Mutterkorn (Mutterkorneinstufung APS maximal 4). Das spielt besonders beim Einsatz in der Sauenfütterung eine wichtige Rolle. Hier
sollte die Roggeneinsatzmenge generell auf maximal 25 % begrenzt
werden, und der Roggen muss absolut mutterkornfrei sein, da die Alkaloide der Mutterkörner massive
Fruchtbarkeitsstörungen verursachen können. Es kann zu vermehrten Totgeburten, Umrauschern und
Milchmangel kommen.
Für die Ferkelaufzucht empfiehlt
die DLG für Ferkel bis 15 kg keinen
Roggen, für Ferkel ab 15 kg Lebendgewicht (LG) maximal 15 %. Auch
in diesem Produktionsabschnitt haben Versuche bereits 2004 belegt,
dass mit höheren Roggenanteilen
von 15 % bis 15 kg und 30 % ab
15 kg LG die Leistungsparameter
Futteraufnahme, Tageszunahmen
und Futterverwertung nicht abfallen (Weber et al., LLG Iden; Hagemann et al., Lelf Ruhlsdorf).
FAZIT
Auf den leichten und mittleren Böden Nord- und Nordwestdeutschlands
erbringen die heutigen Hybridroggensorten hohe und stabile Korn- und Energieerträge,
verbunden mit einer sehr guten Nährstoff- und Wasser­
effizienz. Damit bietet diese
Getreideart eine sichere und
wirtschaftliche
Planungsgrundlage für die Landwirte. Die Bedenken gegenüber
einer Mast mit hohen Roggenanteilen sind nicht gerechtfertigt, wie die langjährige Praxis als auch zahlreiche
Versuchsergebnisse belegen.
Der Einsatz von Roggen bewirkt auch bei Einsatzraten
von über 50 % keine Einbußen in den biologischen Leistungen der Tiere. Bei der nach
wie vor deutlichen Preisdifferenz zum Weizen stellt der
Roggen eine wettbewerbsfähige Futterkomponente dar
und bleibt damit interessant
für die Schweinefütterung.
Marc Röbbing
Landwirtschaftliche
Spezialberatung (LSB),
Rotenburg
Tel.: 0 42 61-96 06 53
[email protected]