Katholische Morgenfeier auf HR 2 am 31.07.2016 Dechant Stefan Buß, Fulda Musikalische Gestaltung: Regionalkantor Thomas Pieper, Kassel 18. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C Welchen Sinn hat mein Leben? Die meisten kennen diese Frage, die manchmal auftaucht, die mich öfter bedrängen kann, je älter ich werde: „Welchen Sinn hat mein Leben?“ Wenn ich diese Frage zulasse, dann stellen sich weitere Fragen: „Für wen all die Arbeit und Mühen? War das alles? War und ist genügend Freude und Lust in meinem Leben, genug Erfolg und Erfüllung? Bin ich nicht doch zu kurz gekommen? Was hat in meinem Leben Bestand - auch über den Tod hinaus?“ Vor einiger Zeit berichtete mir ein Lehrer über seine Erfahrungen im Ethik-Unterricht, den er in einem Gymnasium erteilt: "Da sitzen also zwanzig Schüler und sollen zu werteinsichtigem Urteilen und Handeln erzogen werden. Das Problem eine WerteHierarchie zu erstellen, löst einer im Handstreich: Es genügt ein einziges Wort: Geld! Das ist das Wichtigste! Mein Vater sagt, mit Geld hat man alles; sonst braucht man nichts. Kann man auch Freundschaften kaufen, gebe ich zu bedenken. Ja! Auch ein gutes Gewissen? Das Wort hat er nicht verstanden." Sicher kennen Sie den Song "Wenn ich einmal reich wär ..." aus dem Musical "Anatevka“. Der jüdische Milchmann Tevje malt sich in den leuchtenden Farben aus, wie herrlich es für ihn wäre, ein vermögender Mann zu sein. Wie sich dann sein ganzes Leben in jeder Hinsicht radikal verbessern würde. Und da er ein frommer Jude ist, meint er gegen Ende seines Lieds: "Ich hätte Zeit und könnte endlich zum Beten oft in die Synagoge gehn. Ein Ehrenplatz dort wäre mein schönster Lohn. Mit den Gelehrten diskutiert ich die Bibel, solange bis wir sie verstehn – Ach, das wünschte ich mir immer schon." Um zum Schluss seines Liedes zu fragen: "Herr, du schufst den Löwen und das Lamm – sag, warum ich zu den Lämmern kam. Wär es wirklich gegen deinen Plan, wenn ich wär ein reicher Mann?" Mancher hat sich das schon mal vorgestellt, wie es wäre, "wenn ich einmal reich wär“? Die Antwort, wie das wäre, könnte Tevje, kann jeder im Evangelium finden, das in den katholischen Gottesdiensten heute gelesen wird. Da ist von einem die Rede, der das Ziel, von dem Tevje träumt, erreicht. Es geht um einen reicher Kornbauer, der durch glückliche Umstände noch weitere Güter hinzugewinnt, so dass er 1 gar nicht weiß, wohin damit. Anders, als Tevje es sich ausmalt, ist also für den Bauern der Reichtum erst einmal nicht mit Freiheit und Sorglosigkeit verbunden, sondern er muss sich Gedanken über die Unterbringung seiner Güter machen. Ihm ist schnell klar: Er muss investieren, er muss seine Lagerkapazitäten vergrößern. Dann, wenn er das geschultert hat, so glaubt er, kann er sich beruhigt zurücklehnen und seine Früchte genießen. - Musik 1 Johann Sebastian Bach, „Allegro assai (BWV 1042)“ aus Violin Concertos, Dauer: 2´52´´ Als ich den Text des heutigen Evangeliums las, da musste ich an den Erfahrungsbericht des Lehrers aus dem Gymnasium denken. Was ist wichtig, was ist das Wichtigste im Leben? Ich meine, mit dem eben skizzierten biblischen Text in der Erzählung von dem reichen Mann, will Jesus deutlich machen, dass man nicht nur die Mehrung seines Besitzes im Sinn haben darf: "Hütet euch vor jeder Art von Habgier! Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines Vermögens im Überfluss lebt." Jesus verurteilt und verteufelt auf keinen Fall den Besitz überhaupt, das Geld, die materiellen Werte. Auch er war darauf angewiesen - zum Leben. Im Evangelium wird dies deutlich gemacht, dass gute Frauen Jesus und seine Jünger mit ihrem Vermögen unterstützten. Die Armut, die Jesus geübt hat, die er in der Bergpredigt seligpreist und die er seinen Jüngern ans Herz legt, bedeutet also nicht eine Besitz- und Bedürfnisreduzierung auf null. Gewiss diejenigen, die von ihm zur Predigt ausgesandt werden, sollen sich bei ihrem Auftrag nicht mit einem Rucksack voller Absicherungen belasten; sie sollen auf den "ganzen Besitz" verzichten. Aber bei diesem Verzicht geht es um einen Verzicht zugunsten einer wichtigeren Sache: Es geht um den Dienst des Herrn. Und wenn er ruft, dann dürfen in der Tat die Sorge und die Bemühung um Hab und Gut und Geld nicht die Oberhand gewinnen; dann gilt es, alles hintan zu stellen - so wie der Mann, der im Acker einen Schatz entdeckt hat und dafür alles hergibt, was er besitzt. Der Herr und er allein ist aller Bemühung und aller Sorge wert; er allein verdient die totale Aufmerksamkeit - und nicht Hab und Gut und Lebensgenuss. Die Reihenfolge muss klar sein! In der Werte-Hierarchie steht Gott an oberster Stelle. Und an dieser Stelle darf nichts anderes stehen, schon gar nicht ein materieller Wert. Also der reiche Mann denkt und plant sehr vernünftig, sehr umsichtig, sehr weitsichtig. Vorsorge würde man das heute nennen. Und die tut not, wenn man nicht eines Tages im Regen stehen will. Der Staat und die Versicherungsbranche hämmern uns das immer wieder ein. Sie rechnen uns das vor, und wir rechnen es nach und sichern uns ab und sind überzeugt, dass unsere Rechnung aufgehen wird. 2 Aber keine Versicherung kann uns die Garantie geben, dass uns nicht ein Strich durch die Rechnung gemacht wird. Und dass dies geschehen kann, genau das führt Jesus den Menschen im heutigen Gleichnis vor Augen. Nicht, weil er uns die irdischen Güter madig machen will. Nicht, weil er ein vorausschauendes Handeln zurückweist. Sondern weil er möchte, dass der Mensch sich nichts vormacht; dass wir uns nicht in falschen, trügerischen Sicherheiten wiegen wie der reiche Kornbauer, zu dem Gott warnend und ihm die Augen öffnend spricht: "Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?" Mit einem Schlag kann alles zu Ende sein und all unser angehäuftes Gut, das wir so sauer erworben, es hilft uns nichts. Das letzte Hemd hat keine Taschen. - Musik 2 Johann Sebastian Bach, „Allegro (BWV 101)“ aus Violin Concertos, Dauer: 3´52´´ Mit Geld kann ich das Glück, die Liebe, den Sinn meines Lebens, meine innere Lebendigkeit - früher sagte man: mein Seelenheil - nicht erkaufen. Wie es Jesus, die Lehre des Gleichnisses vorwegnehmend, ausdrückt: "Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat." Wobei Güter nicht nur in materiellem Besitz bestehen müssen. Auch Macht, Prestige, Ansehen, Einfluss, Wissen - all dies sind letztlich Äußerlichkeiten. fördern nicht Leben, sondern verhindern es. Es vergeht wie Schall und Rauch. Jesus sagt: "Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat." - Aber wovon lebe ich dann? Es muss etwas sein, was wesentlich zu mir, zu meinem Leben gehört; etwas, was mir durch keine Macht der Welt genommen werden kann, weil es mich selbst im Innersten ausmacht. Für den gläubigen Menschen ist es Gott. Gott hat sein Wort in seine Seele gelegt, ihm sein Wort anvertraut. Da, wo die Seele aus ihm heraus spricht oder handelt, da erfährt er Bereicherungen, berührt er Reichtümer, aus denen er leben kann und die unvergänglich sind; unvergänglich, weil Gott darin anwesend ist, auch wenn einem das gar nicht bewusst ist. In solchen Lebensvollzügen, in denen der Mensch als Person ganz bei sich ist, nicht von sich weggeführt durch äußere Interessen, erfährt er ein Stück Ewigkeit gerade im Hier und Jetzt, sammelt er einen Schatz im Himmel, ist er "reich bei Gott". Der Wunsch "Wenn ich einmal reich wär" erledigt sich dann von selbst. - Musik 3 Johann Sebastian Bach, „Allemande (Allegro moderato, BWV 1023)“ aus Violin Concertos, Dauer: 4´17´´ 3 Worum es letztlich im Gleichnis des reichen Kornbauer geht, wird deutlich, wenn man einmal ganz genau hört, was der Bauer wirklich sagt. Er führt eine Art Selbstgespräch, als er überlegt, wie er mit der großen Ernte umgehen soll. Und in diesem kurzen Gespräch kommt ein Wort dauernd vor: “Ich“ - insgesamt siebenmal. Und das ist auch was Jesus letztlich anprangert. Der Mann kann nur noch an sich selbst denken: ich, ich und nochmal ich. Ist das allein der Sinn des Lebens? Unser Leben haben wir uns nicht selbst gemacht. Es ist ein Geschenk Gottes, das dem Menschen anvertraut ist, und jeder hat eine Aufgabe in dieser Welt und trägt Verantwortung. Das Leben ist dem Menschen anvertraut. Das bedeutet: Was übrig bleibt, ist die klare Aussage: Mensch, du lebst auch immer für andere und nicht für dich allein in der Welt. Das Leben ist dem Menschen anvertraut. Und es wird erst dann sinnvoll, wenn der Mensch auch andere in den Blick nimmt. Der Sinn des Lebens liegt nicht nur darin, dass es dem einzelnen gut geht, und man es sich gut gehen lässt. Er liegt nicht darin, dass der Mensch nur „ich“ sagt. Sondern es liegt darin, dass er auch „Du“ und „wir“ sagt. Das ist die Botschaft Jesu, die er mit dem Gleichnis des reichen Bauern vermitteln will. Und diese Botschaft ist auch heute brandaktuell, denn wir leben in einer Gesellschaft, die oft sehr individualistisch geworden ist. Was macht also das Leben sinnvoll und wertvoll? Welchen Sinn also hat mein Leben? Die Antwort Gottes, wie Juden und Christen glauben, vermittelt uns die Hl. Schrift im Alten Testament. Man könnte sie umschreiben: Lebe im Heute! Genieße die Frucht deiner Mühen und deiner Arbeit! Genieße das, was dir von Gott geschenkt ist! Die Rätsel des Gestern und Morgen lass im Vertrauen auf Gott aufgehoben sein! Lebe in der Ehrfurcht vor dem unbegreiflichen Gott! Der Glaube der Christen, wie er im Neuen Testament bezeugt wird, ließe sich umschreiben: Der bleibende unbegreifliche Gott ist in Jesus Christus als Mensch begreiflich geworden. Und nun heißt es für uns Christen in der Fortführung alttestamentlicher Weisheit: Lebe im Heute und genieße die Frucht deiner Arbeit in der Ehrfurcht vor Gott und im Vertrauen auf ihn und seine Liebe, die sich in der Liebe zum Nächsten zeigt. Das sind die Schätze, die vor Gott reich machen, vor jenem Gott, der in jedem Augenblick des Lebens vor sein Angesicht rufen kann. - Musik 4 Johann Sebastian Bach, „Giga” (BWV 1023)” aus Violin Concertos, Dauer: 2´46´´ 4
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