Robert Theisen, Luxemburg Pädagogischer Bücherkoffer Im deutschen Pflegekinderwesen wird oft sehr viel von Pflegeeltern erwartet. Auch wenn wir in Luxemburg bereit sind Pflegeelternbewerber anzunehmen, die vergleichsweise wenige Vorkenntnisse aufweisen und keine sozialpädagogische Ausbildung nachweisen, fördern wir die Familien durch Weiterbildungskurse und intensive Supervision. Da es uns wichtig ist, dass Pflegekinder optimal gefördert werden, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die Familien in ihrer pädagogischen Freizeitgestaltung zu unterstützen. Wie dies gelingen kann, soll am Beispiel unseres Weiterbildungsprogramms im Jahr 2010 dargestellt werden. Pädagogische Freizeitgestaltung Thema des Weiterbildungsprogramms 2010 war die „Pädagogische Freizeitgestaltung“. Ziel war, den Pflegefamilien pädagogisch wertvolle Hilfsmittel zu vermitteln. Diese sollen sie vor allem dabei unterstützen, die Sozialkompetenzen der Kinder zu stärken und zu erweitern. Die Weiterbildung bestand aus einer Veranstaltung, in der eine theoretische Einleitung gegeben wurde. Diese wurde durch individuelle praktische Übungen in den Haushalten aller teilnehmenden Pflegefamilien ergänzt. Die Themen der musikalischen Früherziehung, des Theaterspiels, des Recyclingbastelns und des Lesens wurden von einer von uns angeworbenen ausgebildeten Sozialkommunikationstrainerin behandelt. Theoretische Hintergründe Das Lesen sollte einen wichtigen Platz im Alltag des Kindes einnehmen. Schon im Kleinkindalter kann man anfangen, den Babys vorzulesen. Beim Vorlesen werden dem Kleinkind über die Stimme des Erwachsenen Gefühle vermittelt, die es somit besser verstehen lernt. Die eigene Gefühlswahrnehmung wird verstärkt. Über das Lesen wird die Kontaktaufnahme zu den Kindern vereinfacht. Dem Kind wird ermöglicht, in einer imaginären Welt zu reisen. Weiterhin kann das Kind Spannungen abbauen, die es anderswo nicht ausdrücken kann. Der Rhythmus wird beim Lesen vom Kind selbst oder vom Erwachsenen bestimmt und ist nicht wie beim Fernsehen schon vorprogrammiert. Wenn die Kinder auch nicht die ganze Zeit während des Vorlesens sitzen bleiben, sollte man mit der Geschichte fortfahren. Das Kind kann trotzdem weiter zuhören. Man sollte das Kind dennoch nicht zwingen, einer Geschichte zuzuhören. Es sollte jedoch respektieren, wenn andere Kinder die Geschichte weiter verfolgen möchten. Wenn das Kleinkind aus Versehen eine Seite zerreißt, sollte es nicht geschimpft werden, da es somit schnell die Lust verlieren kann. Kleinkinder mögen vor allem Geschichten, in denen sie sich wiedererkennen. Somit hat man die Möglichkeit, den Namen des Helden mit dem des Kindes zu ersetzen. Vor allem sollte man als Erwachsener die Geschichte vorher selbst gelesen haben. Wenn die Kinder größer werden, kann man ihnen Märchen vorlesen, auch wenn diese grauenhaft erscheinen. Die Kinder lernen, mit ihren Ängsten umzugehen und haben die Möglichkeit in dem Moment aufzuhören, in dem sie wollen. In den Büchern finden die Kinder oft Antworten auf Fragen, die sie sich anders nicht trauen würden zu stellen. Sie nehmen wahr, dass auch andere ähnliche oder dieselben Schwierigkeiten und Gefühle wie sie selbst haben können. Das Kind kann beim Vorlesen einbezogen werden, indem es ihm bekannte Worte selbst liest. Bücher erwecken die Neugier, ihre kritische Haltung wird gefordert und weitere Kompetenzen werden gestärkt. Die eigene Identität wird mit aufgebaut. Die Erwachsenen können verschiedene Spiele um das Lesen herum aufbauen: Die Kinder erfinden selbst eine Geschichte, nachdem sie den Buchtitel u nd den Umschlag kennen; man kann sich als Held der Geschichten verkleiden und erraten lassen, um wen es sich handelt; die Kinder sollen die Geschichte aus ihrer Erinnerung heraus erzählen; Handpuppen können als Hilfsmittel zum Vorlesen benutzt werden, um den Effekt zu verstärken; den Beginn einer Geschichte vorlesen und die Kinder sollen die Fortsetzung dazu erfinden; man kann verschiedene Stimmen beim Vorlesen benutzen; zu einer Geschichte kann Verschiedenes gebastelt und ein Theaterstück zusammengesetzt werden oder die Geschichte wird mit Musikinstrumenten untermalt. Wichtig ist es, mit den Kindern zusammen den Zeitpunkt und den Ort für das Vorlesen zu bestimmen. Praktische Umsetzung Damit die Theorie auch den Alltag der Kinder, die von unseren Pflegefamilien betreut werden, bereichern kann, haben wir acht Bücherkoffer mit jeweils 45 Alben, Romanen und Dokumentationen in 4 verschiedenen Sprachen zusammengestellt (luxemburgisch, deutsch, französisch und portugiesisch). Eine Handpuppe soll den Tagesmüttern die Möglichkeit bieten, die Geschichten auf eine andere Weise vorzulesen. Die Sozialkommunikationstrainerin hat einen Bücherkoffer in jeder Pflegefamilie, die an der Weiterbildung teilgenommen hat, vorgestellt. Während anderthalb Stunden hat sie den Familien und den Kindern erklärt, wie man verschiedene Geschichten sehr lebhaft vorlesen und darstellen kann. Danach haben sie gemeinsam den Inhalt des Koffers und auch die Gebrauchsanleitung für den Umgang mit dem Koffer und den Büchern entdeckt. Durch diese Darbietung wurde das Interesse im lebhaften Vorlesen bei den Pflegemüttern geweckt und sie konnten ihr Wissen und ihre Kompetenzen auf diesem Gebiet erweitern. Lebhaftes Vorlesen ist der Schlüssel zu einem aufmerksamen Zuhören seitens der Kinder. Eine Mitarbeiterin unseres Pflegekinderdienstes hatte im Vorfeld eine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit den Büchern und dem Koffer für die Kinder ausgearbeitet. Die Regeln wurden durch Fotos sehr lebendig dargestellt. Während der Darbietung hat die Mitarbeiterin diese Regeln mit den Kindern nachgestellt und sie dabei fotografiert. Mit diesen Fotos wurde ihre ganz persönliche Gebrauchsanweisung zusammengestellt. Auf diese spielerische Art wurde den Kindern der richtige Umgang mit den Büchern näher gebracht. Zum Schluss einer jeden Darbietung war die Enttäuschung bei den Kindern groß, da der Bücherkoffer weiter zur nächsten Pflegefamilie ziehen musste. Zurzeit haben die Pflegefamilien die Möglichkeit, einen Bücherkoffer nach dem anderen für jeweils einen Monat auszuleihen und sich an dessen Inhalt zu erfreuen. Das Projekt ermöglicht es Pflegemüttern den Kindern zuzuhören und ihnen dabei zu helfen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Leider gab es für viele der Kinder in ihrer Herkunftsfamilie keinen Zugang zu pädagogischem Material, welches eine andere Welt eröffnet. Die Bücher und die Anregungen, die dadurch gegeben werden, stärken das Selbstwertgefühl der Kinder, indem sie ihnen Rückhalt bieten, und oft zeigen die Geschichten, dass sie nicht alleine mit ihren Sorgen und Ängsten sind.
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