A 080/2016 Fehler in einer Betriebsratsanhörung durch unrichtige

ARBEITS-, SOZIAL- UND TARIFRECHT
A 080/2016 vom 04.08.2016
Fehler in einer Betriebsratsanhörung durch unrichtige
oder unvollständige Information
BAG, Urteil vom 07.06.2015, Az.: 2 AZR 15/15
Vor jeder Kündigung hat der Arbeitgeber (AG) den Betriebsrat (BR) anzuhören. Unterlässt er die Anhörung, ist die Kündigung nach § 102
Abs. 1 S. 2 BetrVG unwirksam. Unwirksam ist nach der Rechtsprechung auch eine Kündigung, bei der die Anhörung des BR, z. B. wegen
einer unrichtigen oder unvollständigen Information, nicht ordnungsgemäß erfolgt ist.
Das BAG hat in seiner Entscheidung insbesondere folgende Frage zu
entscheiden: Kann bzw. wann kann eine objektive Fehlinformation im
Rahmen einer Betriebsratsanhörung zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führen? Da die Vorinstanz Feststellungen dazu nicht getroffen
hatte, war die Sache an das LAG zurückzuverweisen.
Der Kläger, der in den Jahren 2006 bis 2009 jährlich an 20 bis 32 Tagen krankheitsbedingt gefehlt hatte, wurde nach der Betriebsratsanhörung gekündigt, nachdem er im Jahre 2010 erneut an 23 Arbeitstagen,
im Jahre 2011 an mindestens 32,5 Arbeitstagen und im Jahre 2012 bis
zum 05.11. an 56 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt war.
Er ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam, da der AG den BR
zu Unrecht im Rahmen der Betriebsratsanhörung darüber unterrichtet
habe, er habe die von ihm empfohlene Therapie abgebrochen. Auch
der Inhalt von sog. Rückkehrgesprächen sei fehlerhaft wiedergegeben
worden. Ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes betriebliches Eingliedermanagement habe die Beklagte nicht durchgeführt.
Der Zeck der Anhörung besteht darin, den BR in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d.h. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers (AN) auf den
AG einzuwirken. Der BR soll die Stichhaltigkeit und die Gewichtigkeit
der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden. Die Anhörung soll ihm nicht die selbständige - objektive Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des AG
ermöglichen.
Der Inhalt der Unterrichtung ist grundsätzlich subjektiv determiniert
(BAG vom 23.10.2014, 2 AZR 736/13). Der AG hat dem BR die Umstände mitzuteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich beGeschäftsstelle Hamburg • Loogestraße 8 • 20249 Hamburg • Tel.: 040 468656-0 • Fax: 040 468656-26
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stimmt haben. Dem kommt der AG dann nicht nach, wenn er dem BR
einen schon aus seiner Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem BR bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den BR zum Nachteil des AN
auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung
unwirksam.
Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, "bloß" objektive Fehlinformation führt dagegen für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit
der Kündigung (BAG vom 21.11.2013, 2 AZR 797/11). Dabei kommt es
nicht darauf an, ob der AG bei größter Sorgfalt die richtige Sachlage
hätte kennen können. Maßgeblich ist, ob er subjektiv gutgläubig und ob
trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung Genüge getan ist. Dies ist bei einer unbewussten Falschinformation dann der Fall, wenn sich der Inhalt der Unterrichtung mit
dem tatsächlichen Kenntnisstand des AG deckt und der BR damit auf
derselben Tatsachenbasis wie dieser auf dessen Kündigungsabsicht
einwirken kann.
An einer ordnungsgemäßen Unterrichtung fehlt es, wenn der AG dem
BR für dessen Beurteilung bedeutsame, zu Ungunsten des AN sprechende, objektiv unzutreffende Tatsachen mitteilt, von denen er selbst
durchaus für möglich hält, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Es
handelt sich in diesem Fall nicht um eine unbewusste Fehlinformation.
Der AG ist nicht gutgläubig. Er stellt vielmehr seinen Kenntnisstand
bewusst als umfassender dar, als er es in Wirklichkeit ist. Er nimmt
damit in Kauf, den BR in unzutreffender Weise zu unterrichten.
Die subjektive Überzeugung des AG von der Relevanz oder Irrelevanz
bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt
würde. Der AG darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des AN auswirken können, dem BR nicht deshalb
vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht
von Bedeutung waren. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des AG - auch objektiv, d.h.
durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert.
Das LAG hat nicht festgestellt, die Beklagte habe gewusst oder zumindest für möglich gehalten, dass ihre Mitteilung an den BR, der Kläger
habe die Schmerztherapie abgebrochen, falsch oder irreführend war.
Der Beklagten wird Gelegenheit zu geben sein, näher darzulegen, inwiefern die Falschangabe in dem Unterrichtungsschreiben auf einem
Missverständnis beruhen konnte.
Eine mit häufigen (Kurz-)Erkrankungen begründete Kündigung ist sozial nur gerechtfertigt, wenn im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Prognose stützen, es werde auch künftig zu Erkrankungen
im bisherigen - erheblichen - Umfang kommen (erste Stufe). Die prog-
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nostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (zweite Stufe). Diese
Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als
auch in Entgeltfortzahlungskosten liegen, wenn diese für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen jährlich zu erwarten sind. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung (dritte Stufe) ist schließlich zu
prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom AG angesichts der Belange des
AN gleichwohl hingenommen werden müssen.
Auf der Basis der bisherigen Feststellungen konnte der Senat nicht beurteilen, ob im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose berechtigt war.
Es ist des Weiteren aufzuklären, ob als milderes Mittel gegenüber der
Beendigungskündigung die Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem
anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht kam. Sollte eine
ausreichende Initiative zur Durchführung eines BEM nicht feststellbar
sein, bestünden insoweit erhöhte Anforderungen an eine Darlegung
von dessen objektiver Nutzlosigkeit durch die Beklagte (BAG vom
20.11.2014, 2 AZR 755/13). Ob die Beklagte den AN ausreichend zum
BEM eingeladen hatte (Informationen über die Ziele des BEM sowie
Hinweis auf Art und Umfang der erhobenen und verwendeten Daten)
ist durch die Vorinstanz aufzuklären.
Sollte die Beklagte ihren Pflichten aus § 84 Abs. 2 SGB IX nicht ordnungsgemäß nachgekommen sein, wird ihr Gelegenheit zu geben sein,
zur - möglichen - objektiven Nutzlosigkeit eines BEM vorzutragen.
Bei der Betriebsratsanhörung sollte der Arbeitgeber mit großer Sorgfalt
verfahren. Unvollständigkeiten und Fehler können zur Unwirksamkeit
der Kündigung führen. Es gilt allerdings der - vom BAG in der Entscheidung nochmals beschriebene - Grundsatz der subjektiven Determinierung. Eine vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, "bloße" objektive Fehlinformation führt für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit
der Kündigung.
Die Entscheidung verdeutlicht darüber hinaus nochmals, dass die Initiative zum sog. BEM vom AG ausgeht. Voraussetzung ist eine ordnungsgemäße Einladung. Dies bedeutet, dass der AN über die Ziele
des BEM informiert sowie auf Art und Umfang der erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen werden muss.
Anlage
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