Lebensrealitäten von Migrantinnen. Wie aus zwei Eins wird. An der Diskussionsrunde nahmen neben Sineb El Masrar zwei weitere Frauen teil, Lara-Zuzan Golesorkhi und Leyla Türer. Leyla Türer kam Anfang der 70iger als 17-Jährige nach Deutschland. Sie arbeitete von Anfang an in den unterschiedlichsten Jobs, etwa als Fabrikarbeiterin oder Barkeeperin und erlernte dabei die deutsche Sprache. Selbständig und ohne Sprachkurs, trainingon-the-job sozusagen. Seit den 80iger Jahren war sie in der Jugend- und Frauenarbeit tätig. Zuerst in Düsseldorf, seit 1994 dann in Mannheim. Hier, im Interkulturellen Bildungszentrum Mannheim (ikubiz), bietet Leyla Türer in Neckarstadt-West Raum und Förderung für Kinder und Mütter mit Migrationshintergrund. Die Frage nach den Vorteilen eines Lebens mit zwei Kulturen kann sie ganz klar beantworten. Auch wenn sie mit einem Paket aus Werten und Normen aus der türkischen Heimat gekommen sei, entwickelte sie sich vor allem „Ich habe mir das Beste aus beiden hier in Deutschland als Person weiter. Leyla Türer Kulturen herausgepickt und damit nimmt sich das Beste aus beiden Welten und mixt sich damit einen ganz individuellen „leckeren Cocktail“, der einen leckeren Cocktail gemixt“ ihren Horizont öffnet und ein gelungenes Leben Leyla Türer ermöglicht. Aber auch sie sieht Schwierigkeiten, wo man an „unsichtbare Mauern“ stößt, wie bei der vergeblichen Wohnungssuche, wenn man einen ausländisch klingenden Namen besitzt. Viele Menschen müssten sich zuerst aufgenommen fühlen, bevor sie sich trauen, sich selbst ihren Mitmenschen zu öffnen, und hier kann ein Teufelskreis aus Zurückweisung und Isolation beginnen, der Ankommen in der neuen Gesellschaft sehr erschwert. Sineb El Masrar‘s Eltern wanderten in den 60iger Jahren ein, sie selbst wurde in Deutschland geboren. Ihren Migrationshintergrund und das Leben mit zwei Kulturen sieht sie vor allem als persönliche Bereicherung an. Das funktioniere aber nur, wenn man sich selbst „verorten“ könne. Wenn diese ganz individuelle Verortung nicht gelingt, führt dies zu einem latenten Hadern mit dem eigenen „Ich“, genauso wie mit dem persönlichen Umfeld und der Gesellschaft. Vor allem der zweiten Generation aus Einwandererfamilien fehle es zunehmend an Orientierung und „Verortung“. Hier könne dann oft die Hinwendung zur Religion als Identitätsersatz beobachtet werden. Lara-Zuzan Golesorkhi wurde als Kind einer Deutschen und eines Iraners in Deutschland geboren und lebt und arbeitet momentan als Promotionsstudentin der Politikwissenschaft in den USA, wo sie sich mit dem Verhältnis von Staat und Islam in Deutschland und den USA beschäftigt. Mit ihrer Kampagne With-or-Without, die von der UNO ausgezeichnet wurde, möchte Sie die Integration von „Mit zwei Kulturen zu leben ist dann Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund mit eine Bereicherung, wenn man oder ohne Kopftuch in den deutschen Arbeitsmarkt gelernt hat, sich selbst zu verorten“ stärken. Ihren eigenen Migrationshintergrund, die Sineb El Masrar Möglichkeit einer anderen Perspektive und Erfahrungswelt an Traditionen, Gebräuchen und Esskultur sieht Lara-Zuzan Golesorkhi vor allem als Gewinn. Eine Bürde aber werde er vor allem dann, wenn sie in der deutschen Gesellschaft oft als Repräsentantin einer fremden Kultur wahrgenommen werde und Rede und Antwort stehen müsse. Auch das Thema Kopftuch kam in der Diskussion zur Sprache. Sineb El Masrar stellte klar: „Die Kopftuchdebatte ist auf beiden Seiten nicht ehrlich geführt worden“. Zum einen fehle, auch unter Muslimen, das Wissen über die Herkunft des Kopftuchs. Im Koran selbst kommt das Wort Kopftuch in keiner Sure vor. Das Bedecken des weiblichen Hauptes geht auf die vorislamischen Sumerer und Assyrer zurück und war dort vor allem ein Zeichen für den sozialen Status einer Frau. Neben dem Mangel an Wissen über die Herkunft von religiösen Traditionen ignoriere der politisierte Kopftuchstreit aber vor allem die Vielzahl an unterschiedlichen Lebensrealitäten und individuellen Motiven muslimischer Frauen für das Tragen oder Nicht-Tragen eines Kopftuchs, das auch von nicht-religiösen Faktoren wie Bildungsstand, Alter und sozialem Umfeld beeinflusst wird: „In diesen Punkten hinken Wissenschaft und Forschung eklatant hinterher“, bestätigt Lara-Zuzan Golesorkhi, und fährt fort, „die ganze Debatte um das Kopftuch ist ein Symbolstreit über die eigentliche Frage, ob eine Emanzipation im Islam überhaupt möglich ist“. Diese Kernfrage des Abends beantworten die Podiumsteilnehmerinnen mit einem eingeschränkten Ja. Lara-Zuzan Golesorkhi hält eine muslimische Emanzipation für möglich, allerdings müsse jede Frau individuell für sich herausfinden, auf welche Weise und vor allem wovon sie sich emanzipieren möchte. Sineb El Masrar jedoch warnt vor einem zu individuellen Verständnis von Emanzipation: „Ideen und Kämpfe verwässern, wenn klar definierte Begriffe wie Emanzipation und Feminismus im Islam auf „Wir müssen damit beginnen, einer rein individuellen Ebene verwirklicht werden sollen.“ den Koran weiblich zu lesen und Emanzipation im Islam sei möglich, genauso wie sie im den Islam weiblich zu denken“ Christentum und einer christlichen Gesellschaft möglich Sineb El Masrar war und ist. Deshalb kritisiert die Autorin vehement die oft vorherrschende „fetischisierte Diskussion“, die den Islam und Emanzipation als unvereinbare Gegensätze darstellt. Tatsächlich aber fand sie in Interviews mit Muslimas heraus, dass sich viele der Frauen in ihrer traditionellen häuslichen Rolle durchaus als emanzipiert wahrnehmen, da sie innerhalb der ihnen zugewiesenen Domäne „das Sagen hätten“. Hier lägen auch die Grenzen einer islamischen Emanzipation, wie sie einige islamische Feministinnen interpretieren würden. Sineb El Masrar allerdings geht einen Schritt weiter und plädiert für mehr Wissen über die eigenen Religion unter muslimischen Frauen, um veraltete Denkmuster über Bord werfen zu können: „Ein emanzipierter Umgang mit dem Koran ist ein wichtiger Faktor einer Emanzipation im Islam. Wir müssen damit beginnen, den Koran weiblich zu lesen und den Islam weiblich zu denken.“ Die vornehmlich weiblichen Zuschauer nahmen Rege an der Diskussion teil. Auf eine Frage nach den Grenzen der Emanzipation für muslimische Frauen beantwortete Sineb El Masrar, dass im Alltag oft der soziale Zwang für Mädchen und Frauen stärker sei als religiöse Grundsätze. Muslimas sind zur Emanzipation auf offene, hilfsbereite Menschen in ihrem Umfeld angewiesen, die emanzipierte Bestrebungen nicht mit Druck bis hin zum Ausstoßen aus der Gemeinschaft beantworten. Auch der augenscheinliche Gegensatz zwischen einer klaren Zuordnung zu einer Identität „Die Debatte um das Kopftuch ist und einem individuellen Cocktail der Kulturen, wie ein Symbolstreit über die eigentliche ihn Leyla Türer zu Anfangs für sich beschrieben Frage, ob eine Emanzipation im hatte, stieß auf kritische Nachfrage aus dem Islam überhaupt möglich ist“. Publikum. Die Sozialarbeiterin betonte darauf hin Lara-Zuzan Golesorkhi aber, dass der kulturelle Cocktail kein Widerspruch zu einer klaren Zuordnung sei, da auch ein Mix der Kulturen bedeute, sich zu bestimmten Werten und Normen zu bekennen, die im Leben Orientierung bieten, ohne eine der Kulturen abzulehnen. Ob denn die Kennzeichnung als Mensch mit Migrationshintergrund, auch in wissenschaftlichen Statistiken, nicht als solches schon ein Stigma sei, war eine weitere Frage aus dem Besucherraum. Hier positionierte sich Sineb El Masrar ganz klar: „Einen Migrationshintergrund zu haben ist kein Makel. Und dennoch ist es wichtig, ihn sichtbar zu machen, weil das zeigt, dass Deutschland schon lange ein Einwanderungsland ist und Menschen mit Migrationshintergrund ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sind.“ Eine letzte Wortmeldung fragte nach dem Beitrag von Islamunterricht an deutschen Schulen zur Emanzipation im Islam. Die Förderung des Wissens über den Islam und auch des Begriffs der Emanzipation im Religions- oder besser noch im Ethikunterricht sei generell sinnvoll, so Sineb El Masrar. Allerdings säßen bei der Entwicklung eines islamischen Religionsunterrichts vor allem Vertreter der deutschen traditionell-patriarchalischen Islamverbände am Tisch, für die Emanzipation im Islam kein Thema sei. Moderatorin Rita Böhmer brachte es zuletzt auf den Punkt: Frauen mit muslimischen Migrationshintergrund kämpfen an vielen Fronten; sie ringen um ihre Rolle als Individuum, in der religiösen Gemeinschaft, ihrem sozialen Umfeld und der deutschen Gesellschaft. Eine Emanzipation im Islam ist dann möglich, wenn es gelingt, den Koran aus feministischer Perspektive zu beleuchten und es unserer Gesellschaft gelingt, Muslimas so zu fördern, dass sie sich befähigt fühlen, unzeitgemäße Denkmuster emanzipiert zu hinterfragen. Dazu braucht es zuallererst eine Anerkennung und Wertschätzung der vielen unterschiedlichen Lebensrealitäten von muslimischen Frauen in Deutschland, weit jenseits der Kopftuchfrage.
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