Rütlischwur gegen den Terror - lu-wahlen.ch

Samstag, 30. Juli 2016 / Nr. 175
1. August
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Rütlischwur gegen den Terror
Islamistische Gewalttaten sind auch in der Schweiz zur realen Bedrohung geworden.
Indes gibt es keinen Grund, in politischen Aktionismus zu verfallen. Entscheidend sind
ein kühler Kopf, trotzige Gelassenheit – und die Rückbesinnung auf urschweizerische Werte.
PASCAL HOLLENSTEIN
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E
will. Man kann auch wieder gehen. Oder
gar nicht kommen. Dieses Land tut gut
daran, eine harte Migrationspolitik zu
führen, auch im Asylbereich. Wer aber
nach rechtsstaatlichen Kriterien hier ist,
der soll sich nicht als Mensch zweiter
Klasse fühlen müssen. Es geht nicht um
eine moralisch überhöhte Willkommenskultur. Es geht ganz pragmatisch
um die Organisation einer Gesellschaft,
die zunehmend heterogener wird. Ein
Minimalkonsens ist da unabdingbar.
Und er muss nötigenfalls mit aller Härte durchgesetzt werden.
s sei nur eine Frage der Zeit,
bis der islamistische Terror
auch die Schweiz erreiche,
heisst es in diesen Tagen
mit ihren schrecklichen Anschlägen bisweilen. Die
Aussage ist falsch: Er ist schon da. Islamistische Gewalttäter oder solche, die
es noch werden könnten, leben mitten
unter uns. Ihre Untaten verüben sie zwar
– vorerst noch – als sogenannte Dschihadreisende in anderen Ländern. Oder
sie konnten, wie im Fall der Schaffhauser IS-Zelle, vereitelt werden. Aber die
Gewalttäter sind da. Zudem sind Schweizer bereits Opfer des Terrorismus geworden, zuletzt beim Lastwagenattentat
in Nizza. Zwar hat es noch keinen Anschlag auf Schweizer Staatsgebiet gegeben. Aber gerade individuelle Gewalttäter sind schwer zu entdecken; sie
entgehen dem engmaschigsten Überwachungsnetz. Der Staat kann sich für
die Sicherheit seiner Bürger einsetzen,
aber er kann sie nicht garantieren. Kein
Staat konnte das je.
Der islamistische Terror zielt auf die
Herzen der Menschen. Er will uns entzweien. Er will, dass die Kategorien
verschoben werden. Nicht mehr das
Verbindende soll zählen, sondern das
Trennende. Wir – und sie, die Muslime.
Dabei geht vergessen: Auf einer globalen
Skala fallen dem islamistischen Terror
weit mehr Muslime zum Opfer als Angehörige anderer Glaubensrichtungen.
Der Staat
kann die Sicherheit
seiner Bürger
nicht garantieren.
Das Land tut gut
daran, eine harte
Migrationspolitik
zu führen.
Der Befund ist Besorgnis erregend.
Aber er ist kein Grund für Panik oder
Fatalismus. Auch wenn kein Gesetz und
kein noch so hochgerüsteter Geheimdienst den Terror je zu 100 Prozent
verhindern wird, so kann und muss die
Sicherheitslage doch stetig verbessert
werden. Die Schweizer werden im September an der Urne die Gelegenheit
haben, mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz einen hierfür notwendigen
Schritt zu tun. Dabei wird es nicht
bleiben können. Die Freiheitsrechte sind
zu wahren. Aber unser Abwehrdispositiv muss der Realität einer neuen Bedrohung angepasst werden.
Die Hände in den Schoss zu legen,
ist also keine Option. Genauso wenig
ist es zielführend, den Terror kleinzureden, wie dies etwa Peter Bodenmann
in der «Weltwoche» getan hat. «Am
gleichen Tag, als in Nizza 84 Menschen
starben, wurden weltweit mehr als 3400
Personen Opfer des Molochs Verkehr»,
rechnet der ehemalige SP-Präsident aus
der Unfallstatistik vor. Die Zahlenspielereien sind zynisch gegenüber den
Opfern und tragen nichts zu einer vernünftigen Debatte bei. Es geht beim
Terror eben nicht um die schiere Zahl
der Opfer. Diese ist in der westlichen
Hemisphäre klein, da hat Bodenmann
schon Recht. Aber im Gegensatz zu
Unfällen sind terroristische Anschläge
keine Unwägbarkeiten des Schicksals,
sondern gezielte Angriffe auf unsere
Lebensart.
Wie gehen wir als Gesellschaft und
Nation also mit dem Terror um? Welche
Möglichkeiten bieten sich uns kulturell
und politisch? Was bedeutet dies alles
für die Schweiz? Das sind die Fragen,
die man gerade im Vorfeld des Nationalfeiertages erörtern muss.
Abertausende im Herrschaftsgebiet des
IS, Hunderte fast wöchentlich in Afghanistan und im Irak. Auch in Nizza
starben Muslime. Seinen grössten
Triumph würde der islamistische Terror
dann feiern, wenn er uns dazu brächte,
Muslime auszugrenzen. Er schüfe eine
Art argumentativen Zirkel, einen Teufelskreis des Hasses. Wenn man sich vor
Augen führt, mit welchen Parolen auch
in diesem Land zuweilen Stimmung
gegen Angehörige dieser Glaubensrichtung gemacht wird, so sind wir nicht
weit davon entfernt, in diese Falle zu
tappen.
Am Montag feiern wir den 1. August.
In seiner eindringlichen Beschreibung
des Rütlischwurs lässt Friedrich Schiller
die ersten Eidgenossen zuerst streiten,
bevor sie schwören, ein «einzig» Volk
von Brüdern zu sein. Das Wort «einzig»
ist entscheidend. Es sagt uns nicht, dass
Einigkeit herrschen soll. Dissens und
Streit sind erlaubt, und es hat sie in der
Eidgenossenschaft weiss Gott auch zur
Genüge gegeben. Gefährlich wird es
freilich dann, wenn Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt, stigmatisiert werden.
Das sagt uns das Schillersche Wort
«einzig». Alle Bundesgenossen sollen
gleichwertig sein – bessere oder mindere Eidgenossen gibt es nicht.
Es ist an der Zeit, diesen Rütlischwur
ernst zu nehmen. Das heisst erstens: Es
darf in unserem Land keine Ausgrenzungen geben, denn wir sind gleichwertig – unbesehen von Religion, Geschlecht, Sprache, sexueller Orientierung oder politischer Überzeugung.
Zweitens: Wir beugen uns keiner Macht
und Gefahr – nicht der Angst und schon
gar nicht dem Terror. Wir halten trotzig
an unseren Prinzipien fest, wir bleiben
eine liberale, offene Gesellschaft. Und
drittens: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren – von keiner Partei.
Womöglich wäre es klug, all dies in
diesen Tagen mit dem Refrain des
Schweizerpsalms anzureichern. «Betet,
freie Schweizer, betet!» Zu welchem Gott
auch immer.
Wegducken ist kein Rezept
Vorab: Die Antwort kann nicht in der
politischen Isolation liegen. Der Zürcher
SVP-Parlamentarier und Verleger Roger
Köppel hat unlängst darauf hingewiesen,
die beste Versicherung gegen Anschläge
Ein einzig Volk
sei es, sich konsequent aus Angelegenheiten in anderen Ländern herauszuhalten, sich nicht in fremde Händel
einzumischen. Die Schweiz solle auch
gegenüber der Terrororganisation IS
neutral sein, dann würden die Schweizer schon unbeschadet über die Runden
kommen. Das ist hilfloses Gerede. Denn
erstens sind Schweizer, wie erwähnt, ja
bereits Opfer des Terrors. Zweitens bezieht sich Neutralität definitionsgemäss
auf das Verhältnis zwischen Staaten – der
IS ist aber keiner. Drittens positioniert
sich auf widerliche Weise ausserhalb der
westlichen Zivilisation, wer sich politisch
vor den islamistischen Schergen wegduckt. Und viertens ist politische Feigheit auch deshalb kein Rezept, weil es
den Terroristen nicht um völkerrechtliche Fragestellungen geht. Sie hassen
uns, weil wir so sind, wie wir sind.
Beruhigend ist: Unser Land befindet
sich noch in einer ungleich besseren
Position als manch anderes europäisches. Es gibt hier keine Stadtteile wie
in Brüssel, in denen das Gewaltmonopol
des Staates nur noch auf dem Papier
besteht. Die Arbeitslosigkeit auch unter
muslimischen Migranten ist vergleichsweise niedrig, die Schulen haben die
Lage im Griff. Hinzu kommt ein historischer Startvorteil: Die Schweiz hatte
keine Kolonien. Die Migration aus dem
arabischen Raum war deshalb vergleichsweise gering, muslimische Einwanderung aus dem Balkan punkto
Islamismus in aller Regel unproblematisch. Denn ja: Diese Spielart des Terrors
hat sehr wohl etwas mit dem Islam zu
tun. Das macht noch längst nicht jeden
Muslim zum potenziellen Terroristen,
tatsächlich sind gewaltbereite Extremisten eine verschwindend kleine Minderheit. Aber man darf diesen Faktor nicht
unterschlagen. Es gab unter den bisher
bekannten islamistischen Terroristen
Reiche wie Arme; es gab Personen aus
zerrütteten Familien wie solche aus
intakten; es gab notorische Kleinkriminelle wie solche, die aus gewissermassen
geordneten Verhältnissen stammten,
Konvertiten und aus traditionell muslimischen Familien Stammende. Es gab
und gibt alles. Vor allem gibt es kein
klares soziodemografisches Profil – ausser eben den muslimischen Glauben als
Klammer.
Das ist ein Fakt. Wer ihn schönredet,
spielt jenen in die Hände, die von einer
politisch geduldeten Islamisierung fantasieren. Andererseits muss auch klar
sein: Einen monokausalen Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt, wie
er von gewissen politischen Scharfmachern und auch von Hasspredigern
herbeigeredet wird, gibt es, wenn überhaupt, nur in den wenigsten Fällen.
Unsere Schweiz, die wir am 1. August
feiern werden, ist ein zwar christlich
geprägter, aber multireligiöser Staat,
der konfessionelle Gräben in einem
schmerzhaften Prozess nahezu eingeebnet hat. Notwendig hierfür war die
Erkenntnis, dass Religion und Staat zwei
unterschiedliche Sphären sind, dass
religiöse Gesetze niemals über staatliche
zu stellen sind und umgekehrt der Staat
die Religions- und Kultusfreiheit gewährleistet. Das Minarettverbot, das
Tessiner und vielleicht auch bald eidgenössische Burka-Verbot sind in diesem Zusammenhang als Rückschritte zu
sehen. Derartige Volksbegehren können
zwar dazu dienen, dass sich die Bevölkerung Luft verschaffen kann. Doch
ist die Verfassung der falsche Ort, um
Dampf abzulassen.
Rote Linien, klare Regeln
Ohnehin liegt falsch, wer glaubt, mit
politischen Sticheleien auf dem Buckel
der Muslime in unserem Land etwas
Positives bewirken zu können. Willkürliche Ungleichbehandlung war noch
immer ein probates Mittel, um Extremisten Gehör und Einfluss zu verschaffen. Gewiss, es muss unmissverständlich
klar sein, dass es rote Linien gibt, die
nicht überschritten werden dürfen. Kleidervorschriften gehören nicht dazu,
wohl aber ein minimaler sozialer und
gesellschaftlicher Normenkanon. Man
gibt in diesem Land auch Frauen die
Hand. Man besucht den Schwimmunterricht, wenn die Stundentafel der
Schule das vorsieht. Derartige Dinge
sind rückhaltlos durchzusetzen, Hassprediger gehören in ihre Schranken
gewiesen, der Entstehung von Subkulturen à la Winterthur ist mit allen
rechtsstaatlichen Mitteln ein Riegel zu
schieben. Man muss nicht in der
Schweiz leben, wenn man sich den
hiesigen Gebräuchen nicht anschliessen