GELDPOLITIK 21. Juli 2016 EZB BLEIBT VORERST IM WAIT-AND-SEE MODUS von Cornelia Koller Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Geldpolitik auf der heutigen Sitzung wie erwartet unverändert gelassen. Gleichzeitig hat EZB-Präsident Mario Draghi aber mit Blick auf den Brexit ein deutliches Zeichen gesetzt, dass die EZB – wenn nötig – bereit, willens und in der Lage ist, ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Folgen des Brexit noch unklar Im besonderen Interesse der heutigen Sitzung und der anschließenden Pressekonferenz standen der beschlossene EU-Austritt Großbritanniens und die Fragen nach den Folgen für die Eurozone. Draghi betonte mehrfach, dass sich die Märkte bislang „ermutigend widerstandsfähig“ gezeigt haben, dass es aber noch zu früh sei, um die realwirtschaftlichen Auswirkungen einschätzen zu können. Bisher zeichnen die im Vorfeld des Brexit erhobenen Umfragen mehrheitlich noch das Bild einer fortgesetzten Konjunkturerholung; lediglich der deutsche ZEW Indikator und das Verbrauchervertrauen der Eurozone weisen erste Bremsspuren auf. Gleichwohl haben die Konjunkturrisiken – ebenso wie die geopolitischen Risiken – zuletzt zugenommen. Abzuwarten bleibt nun, inwieweit dies das Wirtschaftsvertrauen dämpfen und in einem weiteren Schritt Investitionsentscheidungen, vor allem der exportorientierten Unternehmen, sowie geplante Konsumausgaben verzögern könnte. In einer ersten Schätzung geht die EZB davon aus, dass das Wachstum in der Eurozone durch den Brexit in den nächsten drei Jahren um 0,2 % bis 0,5 %-Punkte niedriger ausfallen könnte. Draghi führte in diesem Zusammenhang aber auch an, dass dies lediglich eine vorsichtige Annäherung sei, da bisher noch nicht einmal bekannt sei wie lange die Austrittsverhandlungen dauern, geschweige denn mit welchen Ergebnissen sie abschließen werden. erstmals seit Februar wieder in den positiven Bereich zurückgekehrt (+0,1 % nach –0,1 % im Mai). Auch die Kernrate ohne die schwankungs-anfälligen Energie- und Nahrungsmittelpreise stieg leicht auf 0,9 % (Mai: 0,8 %). Gleichwohl liegt sie damit weiter deutlich unterhalb des stabilitätspolitischen Ziels der EZB einer Inflationsrate von „unter, aber nahe 2 %“. Die noch unabsehbaren Auswirkungen des Brexits auf Konjunktur und Inflation haben zudem ihre Spuren in den von der EZB stark beachteten marktbasierten Inflationserwartungen hinterlassen: die langfristigen Inflationserwartungen der Marktteilnehmer sind Anfang Juli auf ein neues Allzeittief von 1,25 % gefallen. Bis zur nächsten Sitzung am 8. September erwartet die EZB mehr Klarheit. So werden die Wirtschaftsdaten der kommenden sechs Wochen und die dann vorliegenden neuen Projektionen zu Konjunktur und Preisentwicklung neue Erkenntnisse über den fundamentalen Datenkranz und gegebenenfalls über die dann erforderlichen geldpolitischen Instrumente liefern. Wertpapierankaufprogramm Prüfstand derzeit nicht auf dem Draghi zeigte sich weiterhin zufrieden mit dem bisherigen Erfolg des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten und bekräftigte erneut, dass die EZB mindestens bis März 2017 monatlich Wertpapiere im Umfang von 80 Mrd. Euro ankaufen wird1. Fragen zu einer möglichen Nachjustierung der bestehenden Regeln für den Ankauf von Wertpapieren beantwortete er damit, dass dieser Themenkomplex nicht diskutiert worden sei. Nachdem die Zinsen als Folge des beschlossenen Brexits vor allem bei deutschen Staatsanleihen zuletzt noch weiter gesunken sind, könnte das Regel1 Dagegen sieht Draghi vorerst keine unmittelbaren Folgen für die Preisentwicklung durch den Brexit und rechnet unverändert damit, dass sich die Inflation im Zuge der Stabilisierung bei den Ölpreisen bis Ende des Jahres weiter nach oben bewegen wird. So ist die Inflationsrate im Juni 1 Mindestens bis März 2017 sollen monatlich 80 Mrd. Euro für den Kauf von Kreditverbriefungen (ABS, Asset-Backed Securities) und gedeckten Schulverschreibungen (Covered Bonds) sowie öffentlichen Anleihen und Unternehmensanleihen ausgegeben werden. Die EZB hat inzwischen Vermögenswerte des öffentlichen Sektors in Höhe von 911,0 Mrd. Euro und seit Anfang Juni 2016 Vermögenswerte des Unternehmenssektors in Höhe von 10,4 Mrd. Euro erworben. Im Rahmen des 3. Programms zum Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen wurden 185,5 Mrd. Euro angekauft, ABS Anleihen wurden in Höhe von 20,4 Mrd. Euro erworben (Stand: 15. Juli 2016). Geldpolitik | 21. Juli 2016 1/3 werk aus unserer Sicht dennoch bald auf dem Prüfstand stehen. Denn es wird für die EZB immer schwieriger, öffentliche Wertpapiere zu kaufen, da sie nur Staatsanleihen erwerben darf, deren Rendite über dem jeweils geltenden Einlagensatz (-0,40 %) liegt. So dürften beispielsweise deutsche Anleihen, die den Regeln entsprechen, in wenigen Monaten „ausverkauft“ sein. Derzeit können innerhalb des erlaubten Laufzeitbandes von zwei bis 30 Jahren nur noch Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von sieben Jahren an aufwärts erworben werden. Da zudem nicht mehr als 33 % aller programmberechtigten Staatsanleihen pro Land und 33 % einer einzelnen Anleihe erworben werden dürfen, beschränken sich die erwerbbaren Bundesanleihen aktuell nur noch auf rund 15 %. Kommende Daten werden entscheiden Da die Geldpolitik der EZB durch das Wertpapierankaufprogramm und die vier neuen großzügigen gezielten längerfristigen Refinanzierungsoperationen (targeted longer-term refinancing operations, TLTRO) ohnehin schon extrem expansiv ist, zögert Mario Draghi aus gutem Grund, zu schnell mit einer weiteren Lockerung zu reagieren. Sollten die Wirtschafts- und Marktdaten es jedoch erfordern, hat er heute erneut bekräftigt, dass die EZB bereit, entschlossen und in der Lage ist, ihre Geldpolitik weiter zu lockern und dabei alle ihr innerhalb ihres Mandats zur Verfügung stehenden Instrumenten zu nutzen. Nur im Fall starker Turbulenzen an den Finanzmärkten und ein Durschlagen der Brexit Unsicherheit auf die Realwirtschaft könnte die EZB aus unserer Sicht vorübergehend neue Liquiditätshilfen zur Verfügung stellen. Das Wertpapierankaufprogramm ist diesbezüglich ausreichend flexibel: es kann zeitlich gestreckt, erhöht oder in seiner Zusammensetzung erweitert werden. Möglich wäre in diesem Fall vor allem ein zeitliches Ausdehnen des Wertpapierankaufprogramms über den März 2017 hinaus. Zudem könnte im September eine flexiblere Handhabung beim Ankauf von Anleihen, wie das Anheben der 33 % Grenze auf etwa 50 % oder die Ausweitung des kaufbaren Laufzeitbandes beschlossen werden. Geldpolitik | 21. Juli 2016 2/3 IMPRESSUM Makro-Team Hamburg Dr. Holger Schmieding | Chefvolkswirt +49 40 350 60-8021 | [email protected] Wolf-Fabian Hungerland +49 40 350 60-8165 | [email protected] Berenberg Makro erscheint zu folgenden Themen: Konjunktur ► Geldpolitik Währungen Rohstoffe Emerging Markets Osteuropa Trends www.berenberg.de/publikationen Cornelia Koller +49 40 350 60-198 | [email protected] Wolfgang Pflüger +49 40 350 60-416 | [email protected] Dr. Jörn Quitzau +49 40 350 60-113 | [email protected] Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. Nachträglich eintretende Änderungen können nicht berücksichtigt werden. Joh. 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