PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Pastoralreferentin Stefanie Sehr, Darmstadt
Zuspruch am Morgen in hr2-kultur am Montag, 8.08.2016
Das Kreuz mit dem Leid
Es ist eine Frage, die die Menschen immer wieder bewegt: Warum all das Leid in der Welt?
Und welchen Sinn hat es?
Vor kurzem habe ich eine kleine Geschichte gefunden, die versucht, eine Antwort auf die
Frage nach dem Leid zu geben:
Eine junge Frau beklagt sich bei ihrem Vater über ihr schweres Leben. Anstatt ihr eine
Antwort zu geben, kocht er in einem Topf mit Wasser Möhren, in einem anderen Topf Eier
und in einem dritten Kaffeebohnen. Nach einiger Kochzeit holt er die Sachen raus und
vergleicht sie: Die harten Möhren sind weich geworden, die zerbrechlichen Eier dagegen
hart und widerstandsfähig und die Kaffeebohnen haben sich selbst kaum verändert, dafür
aber das Wasser. Dann fragt der Vater fragt seine Tochter: „Was bist du? Eine Möhre, ein
Ei oder eine Kaffeebohne?“ Die junge Frau schaut ihn fragend an, und er fährt fort: „Das
alles hat mit deiner Frage zu tun, wozu dein schweres Leben gut sein soll. Der eine wird
durch schwere Lebensphasen weich, wird offen für Gottes Gnade und seine
Barmherzigkeit, offen auch für andere Menschen. Er lernt, gnädiger mit den anderen und
auch sich selbst umzugehen. Ein anderer wird krisenfest, lernt Treue und Ausdauer, kann
vielleicht sogar anderen Halt geben. Und ein Dritter geht durch solche Phasen scheinbar
unbeeinflusst, verändert aber seine Umgebung.“ Und der Vater schließt mit dem Satz: „So
kannst du auch für schwere Lebenslagen dankbar sein.“ (nach Jürgen Werth, Danken tut
gut, S. 127f.).
Dankbar sein für schwere Lebenslagen, puh, das ist ein harter Brocken. In dieser
Geschichte klingt das so einfach. Als gäbe es nicht auch die Menschen, die an ihrem Leid
zerbrechen, nicht mehr auf die Beine kommen, vielleicht eher einer Matschmöhre ähneln.
Mich erinnert diese kleine Geschichte an meine Bibelgruppe. In der hat eine Frau vor
kurzem unermüdlich wiederholt: Gott sei eben ein guter Pädagoge. Er mute uns mit dem
Leid zwar etwas zu, helfe uns aber auch, es zu überstehen. Ehrlich gesagt: Ich bin bei
solchen Antworten etwas skeptisch, mir klingt das zu schnell nach Vertröstung. Und
gerade, wenn tragische Unfälle passieren oder in einem Krieg vor allem Zivilisten die
Leidtragenden sind, finde ich es schlimm, dann von Gott als gutem Pädagogen zu
sprechen.
Gleichzeitig habe ich schon selbst erlebt: Aus manchen schweren Situationen habe ich
etwas gelernt und mich danach stärker gefühlt. Vielleicht, wie das vorher weiche und dann
hart gekochte Ei. Oder ich habe tatsächlich durch Schicksalsschläge einen neuen Blick
auch für andere in schweren Lebenslagen bekommen, bin weicher geworden, wie die
gekochte Möhre in der Geschichte.
Vielleicht kann ich tatsächlich aus Leid etwas lernen. Aber dann kann ich noch lange nicht
dankbar für mein Leid sein. Ich frage mich weiterhin, ob andere Menschen oder ich als
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Möhren, Eier oder Kaffeebohnen unterwegs sind - oder eben so leiden, dass sie Beistand
brauchen.
Sie ist schwierig, die Frage nach dem Leiden. Ich versuche aber, mich ihr immer wieder zu
stellen und, wenn's geht, aus schwierigen Erfahrungen zu lernen. Aber vor allem versuche
ich, anderen Menschen im Leid beizustehen.
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