Plädoyer für einer verteilungswirksame und

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Cox, Helmut
Article
Plädoyer für einer verteilungswirksame und
stabilitätsorientierte Lohnpolitik
Wirtschaftsdienst
Suggested Citation: Cox, Helmut (1977) : Plädoyer für einer verteilungswirksame und
stabilitätsorientierte Lohnpolitik, Wirtschaftsdienst, ISSN 0043-6275, Verlag Weltarchiv,
Hamburg, Vol. 57, Iss. 5, pp. 262-268
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WISSENSCHAFT FUR DIE PRAXIS
Plädoyer für eine verteilungswirksame und
stabilitätsorientierte Lohnpolitik
Helmut Cox, Duisburg
Die gegenwärtige Lohnpolitik steht vor dem Dilemma, dem Verteilungsinteresse der Gewerkschaften
nur auf Kosten des Stabiiitätsinteresses der Volkswirtschaft Rechnung tragen zu können. Wie könnte
dieser Konflikt zwischen verteilungswirksamer und stabilitätsorientierter Lohnpolitik gelöst werden?
ie in den vergangenen Wochen abgeschlosse­
nen Tarifabkomm en sind in weiten Teilen der
tagespolitischen Presse, bei verschiedenen W irt­
schaftspolitikern, so z. B. Bundeswirtschaftsm ini­
ster Friderichs, und wirtschaftswissenschaftlichen
Forschungsinstituten kritisch aufgenommen w or­
den n). In diesem Zusammenhang w ird behauptet,
daß die Tarifabschlüsse zu hoch seien und nicht
in die konjunkturpolitische Landschaft paßten. Die
kritischen Äußerungen rekurrieren — stabilitäts­
politisch gesehen — in der Regel auf den inflations­
theoretischen Ansatz der Kostendruckinflation bzw.
den im Rahmen dieser inflationstheoretischen Er­
klärung möglichen Rückgang der Beschäftigung in
enger Verbindung m it W achstum sverlusten2).
D
Auf der Grundlage dieser Inflationstheorie wird
die Schlußfolgerung gezogen, daß eine Einkom ­
menspolitik, in w elcher Form auch immer, als spe­
zielle stabilitätspolitische Maßnahme zur Mäßi­
gung des Verteilungskonflikts angewendet werden
müsse. Da auf dem A rbeitsm arkt nur begrenzt die
Gesetze des Marktes gelten und daher die Löhne
höchst unvollkomm en auf Angebots- und Nach’ ) V g l. auch A rm in G u t o w s k l : V e rte ilu n g s k a m p f g e fä h rd e t
d en A ufschw ung, in: W IR T S C H A F T S D IE N S T , 57. Jg . (1977), H. 2,
S. 7 0 -7 1 .
Prof. Dr. Helm ut Cox, 39, is t O rdinarius für
Volkswirtschaftslehre und K onrektor der
Gesamthochschule Duisburg.
262
frageänderungen reagieren, w ird in der Einkom ­
m enspolitik ein entsprechender w irtschaftspoli­
tischer S tabilisator gese he n 3). Zw ar setzt das
Geldm engenkonzept, das eine Abstim mung der
m onetären Gesamtnachfrage m it dem Gesamt­
angebot verfolgt, langfristig den Rahmen fü r die
Lohnpolitik, jedoch hat sich gezeigt, daß, abge­
sehen von der M öglichkeit der Übertragung des
Verteilungskam pfes auf die Geldmenge, selbst bei
Anwendung einer antiinflationären Geldm engen­
p o litik sich der Finanzierungsspielraum kurzfristig
2) V g l. M a rtin B r o n f e n b r e n n e r ,
F ra n k lin D. H o l z m a n : A S u rv ey of In flatio n T h e o ry , in: A m e ric a n E c o n o m ic
R e vie w , V o l. 53, 1963, S. 593 ff.; F ra n k lin D. H o l z m a n : In fla ­
tio n : C o st Push and D e m a n d P u !l, in-, A m e ric a n E c o n o m ic R e ­
v ie w , V o l. 1, 1960; O ttm a r I s s i n g : In fla tio n s th e o rie — S y ste­
m atisc her Ü b e rb lic k ü b e r In fla tlo n s b e g riffe und In fla tio n s u rs a ­
chen,
in: W irtsch a ftsw isse n sch a ftlich es S tu d iu m , 3. J g ., 1974,
N r. 10, S. 453—459; Joa ch im K l a u s : In fla tio n s th e o rie , D a rm stad t
1974, S. 54 ff.; Em il K ü n g : L o h n in flatio n und G e w in n in fla tio n ,
in: Erich S c h n e i d e r (H rs g .): P ro b le m e d e r E in k o m m e n s p o li­
tik , T ü b in g e n 1965; H a n s -J ü rg e n S c h m a h I : S ta g fla tio n , In:
W irtsch a ftsw isse n sch a ftlich es S tu d iu m , H e ft 2, 1975, S. 6 8 -7 3 ;
H ans W ü r g l e r : In fla tio n als M a c h tp ro b le m , in: S c h rifte n des
V e re in s fü r S o c ia lp o litik , N .F . Bd. 67, B e rlin 1973.
3) Z u d em In stru m e n ta riu m d e r E in k o m m e n s p o litik vg l. G o ttfrie d
H a b e r l e r (H rs g .): In c o m e P o lic ie s an d In fla tio n , W ash in g to n
D .C . 1971; M a n fre d K e r n : E in k o m m e n s p o litik als In stru m e n t
d e r S ta b ilitä ts p o litik , in: D as W irtsch a ftsstu d iu m , 1973, S. 113 ff.;
U rs L e n d i : S ta b ilitä ts - und w a c h s tu m s o rie n tie rte E in k o m m e n s ­
p o litik , Z ü ric h , S t. G a lle n 1969; H e in z -D ie te r H a r d e s : E in ko m ­
m e n s p o litik in d e r B R D, F ran k fu rt 1974; R o lf S e i t e n z a h l :
E in k o m m e n s p o litik und K o n z e rtie rte A k tio n und O rie n tie ru n g s ­
d a te n , K ö ln 1974; J . K l a u s , M. G ö m m e l : R e a lis ie ru n g s p ro ­
b le m e d e r E in k o m m e n s p o litik in d e r B R D , in: C ivita s-J ah rb u ch
fü r S o z ia lw is s e n s c h a fte n , 11. B d ., 1972, S. 80 ff.; D ie te r C a s s e I :
D ie K o n z e rtie rte A k tio n , in: 25 J a h re M ark tw irts c h a ft In d e r Bun­
d e s re p u b lik D e u ts ch lan d , S. 251 ff.; A rtu r W o l l : In fla tio n s th e o ­
retische B eg rü n d u n g d e r E in k o m m e n s p o litik , in: Erich H o p p ­
mann
(H rs g .):
K o n z e rtie rte
A k tio n ,
F ra n k fu rt a. M .
1971,
S. 117 ff.; K a rl-F rie d ric h L a r e n z :
U n tersu ch u n g en z u r E in ­
k o m m e n s p o litik , T ü b in g e n 1968; O s k a r E. K u n t z e : P re is k o n ­
tro lle n , L o h n k o n tro lle n und L o h n -P re is in d e x b in d u n g in d en eu ro ­
p äischen L än d ern , B e rlin -M ü n c h e n 1973.
WIRTSCHAFTSDIENST 1977/V
WISSENSCHAFT FÜR DIE PRAXIS
ausweiten lä ß t4), so daß Lohnerhöhungen infla­
tionäre Impulse auslösen. Dahingestellt sein soll,
ob und m it welchem Erfolg sich bei konsequenter
antiinflationärer G eldm engenpolitik die Anpas­
sungsprozesse bezüglich der Ailokation der Fak­
toren A rb e it und Kapital in der W irklichkeit vo ll­
ziehen und wie hoch die gesellschaftlichen Kosten
dieser faktisch sehr zähflüssig verlaufenden An­
passungsprozesse sind.
Gefahren übersteigerter Lohnforderungen
Die Konjunkturforscher sind sich in der Charakte­
risierung unserer gegenwärtigen Konjunkturphase
nicht einig. Die imm er noch sehr hohe A rbeits­
losigkeit in Höhe von ca. 1,2 M ill./5,3 % A rbeits­
losen deutet darauf hin, daß der Aufschwung noch
nicht gefestigt ist, obwohl in verschiedenen Berei­
chen eine deutliche Nachfragebelebung festzustel­
len ist. Das gleiche muß auch bezüglich der Preis­
niveaustabilisierung gesagt werden.
In dieser Situation der nicht gefestigten Konjunk­
tur kann ein Lohndruck, hervorgerufen durch über­
höhte Lohnsteigerungen, zu einem Abwürgen des
sich anbahnenden Aufschwungs führen, da die
Gewinne w eiter reduziert bzw. Gew innsteigerun­
gen im gewünschten Umfange verhindert werden.
Das hat zur Folge, daß die A rbeitslosigkeit nicht
abgebaut und die Kapazitäten nicht ausgelastet
werden, was sich betrieblich auch in einer ungün­
stigen Relation von Nutz- und Leerkosten nieder­
schlägt und zu einer Produktionsmenge führt, die
deutlich vor dem Kostenoptim um liegt und somit
die durchschnittlichen Produktionskosten w eiter
verteuert.
Dabei zeigt sich auch auf der Arbeitgeberseite ein
besonderes Problem, das im Rahmen der Nach­
fragebelebung im Aufschwung nicht auszuschlie­
ßen ist: Die Arbeitgeber neigen eher zu Lohn­
zugeständnissen, wenn die Lohnkosten leichter
abwälzbar werden, d. h. die Komsumgüternachfrage sich tatsächlich oder auch nur verm eintlich
belebt hat.
Wenn die M arktkräfte auf dem Arbeitsm arkt in der
Rezession bzw. in dem sich anbahnenden Auf­
schwung wirksam wären, würden bei Unterbeschäf­
tigung die Lohnerhöhungen mäßig bleiben. Jedoch
gehorchen die Lohntarife nur begrenzt und be­
dingt dem Marktgeschehen, so daß nicht ausge­
schlossen werden kann, daß im Aufschwung die
Gewerkschaften relativ hohe Lohnforderungen
durchsetzen können. Diese werden dann höchst­
wahrscheinlich mit negativen W irkungen auf Be­
schäftigung und Wachstum mit der Folge erkauft,
4) V g l. Ulrich T e i c h m a n n :
M ünchen 1976, S. 245.
G ru n d riß
WIRTSCHAFTSDIENST 1977/V
d e r K o n ju n k tu rp o litik ,
daß der sich anbahnende Aufschwung abgewürgt
w ird und die Gewerkschaften lediglich einen Pyr­
rhussieg davontragen.
Verteilungspolitische Zielsetzung
Selbst wenn w ir unterstellen, daß die Gewerk­
schaften in der Aufschwungphase eine gemäßigte
Lohnpolitik betreiben, wie dies 1976 durchaus der
Fall gewesen is t 5), so entstehen jedoch, wie empi­
risch nachweisbar ist, stabilitätspolitische Pro­
bleme in der nachfolgenden Periode oder sobald
der Zustand der Vollbeschäftigung erreicht ist.
Dem Lohnverzicht in der Aufschwungphase stellen
die Gewerkschaften eine verteilungswirksam e
Lohnpolitik in der Hochkonjunktur mit dem Ver­
such gegenüber, die in der Vorphase verschlech­
terte Relation von Lohn- und Gewinnquote zu­
gunsten der Lohnquote durch Lohnnachschläge
zu verbessern. Diese verteilungspolitische Zielset­
zung ist in dieser Konjunkturphase wegen der
leichten Abw älzbarkeit der Löhne auf die Preise
leichter durchsetzbar, und weil A rbeitgeber schnel­
ler Lohnzugeständnisse machen. Die dann eintre­
tende Verbindung von Kostendruck und aus über­
proportionalen Lohnerhöhungen möglicherweise
sich ergebenden Nachfragestößen löst ein w eite­
res Heraufschaukeln des Preisniveaus aus.
Das Problem liegt dem zufolge in der U nstetigkeit
der konjunkturphasenverschiedenen Lohnpolitik,
zu der sich allerdings die Gewerkschaften gezwun­
gen sehen, weil sie unter der Zielsetzung stehen,
in erster Linie aktive V erteilungspolitik zugunsten
ihrer M itglieder zu betreiben und keine Status
quo-Politik. Sie stehen unter Erfolgszwang, nicht
zuletzt aus Furcht vor wilden Streiks, wie die Er­
fahrungen von 1969 gezeigt haben.
Notwendige Lohnpolitikverstetigung
Eine stabilitätspolitisch an und fü r sich notwendige
Verstetigung der Lohnpolitik, die einen Konjunk­
turzyklus ü b e rg re ift6), d. h. eine w ohldosierte Lohn­
p olitik im Aufschwung, die der Gew innstabilisie­
rung dient, und in der Vollbeschäftigungsphase in­
flationsneutrale Lohnsatzsteigerungen, muß jedoch
gerade an dem verständlichen Verteilungsinteresse
der Gewerkschaften scheitern. Stabilitätspolitisch
gesehen würden mäßige Lohnsatzsteigerungen im
Aufschwung notwendig sein, dam it die Unterneh­
mer über Gewinnanreize investieren, die Kapa­
zitätsauslastung erm öglicht w ird und freie Arbeits­
kräfte eingesetzt werden und som it die Arbeits5) V g l. S a ch v e rs tä n d ig e n ra t z u r B egutachtung d e r
sch aftlichen E n tw ick lu n g : J a h re sg u tach ten 1976/77,
S . 65 ff.
6) V g l. h ierzu Ulrich T e i c h m a n n :
tu rp o litik , a. a. O ., S. 259 f.
g e s a m tw irt­
Bonn 1976,
G ru n d z ü g e d e r K o n ju n k ­
263
WISSENSCHAFT FÜR DIE PRAXIS
losigkeit abgebaut wird. Das läuft allerdings w ie­
derum auf einen Verzicht auf eine aktive Vertei­
lungspolitik der Gewerkschaften im Sinne ihrer
bisher betriebenen B arlohnpolitik hinaus.
Lohnerhöhungen respektive Barlohnerhöhungen in
der Phase der Vollbeschäftigung, die von den Ge­
werkschaften m it dem Ziel der Verteilungsw irk­
sam keit durchgesetzt werden, führen jedoch ko­
sten- und nachfrageseitig m öglicherweise w ieder­
um zu inflationären Prozessen. Insofern ste llt sich
die Frage, ob zwischen Stabilität und Verteilungs­
w irksam keit ein W iderspruch besteht, der nicht
gelöst werden kann, und daher im Interesse der
w irtschaftlichen S tabilität bewußt auf Umvertei­
lungseffekte verzichtet werden muß.
Bei Bejahung der Tarifautonom ie besteht aller­
dings das Problem, daß eine zyklusübergreifende
verstetigende Lohnpolitik kaum erreichbar sein
wird, da eine staatliche Einwirkung auf die T arif­
verhandlungen nicht m it der Tarifautonom ie ver­
einbar wäre. Eine solche staatliche Lohnpolitik
wäre jedoch die Bedingung zur Erreichung dieses
Ziels.
Lohntheoretische Konzepte
M it der Formel von der produktivitätsorientierten
und kostenniveauneutralen L o h n p o litik 7) ist zwar
ein lohntheoretisches Konzept gegeben, das Fix­
punkte bzw. Margen fü r eine stabilitätskonform e
Lohnpolitik unter gleichzeitiger Berücksichtigung
zusätzlicher, jedoch sehr eng gezogener, Vertei­
lungsspielräum e (kostenniveauneutrale Lohnpoli­
tik) angibt, das fü r hypothetische Analysen über
lohnpolitische W irkungszusamm enhänge fruchtbar
sein mag, das jedoch in einer M arktw irtschaft mit
freie r Lohnaushandlung nur begrenzt praktikabel
ist und ln Tarifverhandlungen bestenfalls Stand­
punkte der Tarifparteien abstützt und vielleicht in
Ausnahmefällen die Tarifhöhe mitbeeinflussen
kann. Zu bedenken ist jedoch, daß gerade die
Gewerkschaften gegen die automatische Anwen­
dung derartiger Formeln sind, während gerade
7) V g l. E lis ab eth L i e f m a n n - K e i I : P ro d u k tiv itä ts o rie n tie rte
L o h n p o litik , in: W eltw irts c h a ftlic h e s Arch iv, 1956, Bd. 76, S. 240 ff.;
H. S c h e r f :
P ro d u k tiv itä ts o rie n tie rte L o h n p o litik und P reiss ta b ititä t, in: W eltw irtsch aftlich es A rchiv, Bd. 98, 1967 I, S. 117 ff.;
H. K. K u I I m e r : P ro d u k tiv itä t, Lohn und In flatio n , M e is e n h e im
am G lan 1965; H e lm u t C o x : M ö g lic h k e ite n und G re n ze n der
P o litik d e r V e rm ö g e n s v e rte ilu n g . E in e th eo retis ch e A n aly se der
Z u s a m m e n h ä n g e v o n E in k o m m e n s p o litik und V e rm ö g e n s b ild u n g
in A rb e itn e h m e rh a n d , in: S c h m o lle rs Jah rbuch fü r W irtscha fts­
und S o zialw isse n sch aften 1968, S. 171 ff.; H e rb e rt G i e r s c h :
P ro b le m e s ta b ilitä ts k o n fo rm e r L o h n p o litik , in: K yklos, Bd. 20,
1976, S. 147 ff.; d e r s e l b e : L o h n p o litik und G e ld w e rts ta b ilitä t,
K iel 1967; S a c h v e rs tä n d ig e n ra t z u r Begutachtung d e r g e s a m tw irt­
schaftlichen E n tw ick lu n g : Jah re sg u tach ten 1966/67, 1972; Bruno
M o l i t o r : Das K o n zep t d e r ko s ten n iv e a u n e u tra le n L o h n p o litik ,
in: D as W irtsch a ftsstu d iu m , 1974, S. 271 ff.; B e rt G ü ß r e g e n :
K o s te n n iv e a u n e u tra le L o h n p o litik und ih re v e rte ilu n g s p o litis c h e n
Im p lik a tio n e n , F ran k fu rt 1974; Erich S t r e i ß I e r : M ö g lic h k e ite n
und G re n ze n e in e r p ro d u k tiv itä ts o rie n tie rte n L o h n p o litik , W ien
1960.
8) V g l. H ans D e c k e r s :
T a rifv e rtra g ? , M ü n s te r 1960.
264
B e trie b lic h e r o d e r
ü b e rb e trie b lic h e r
die A rbeitgeber sich den Status quo sichernder
Formeln im Rahmen der von ihnen bevorzugten
zentralen Tarifverhandlungen b e d ie n e n 8). Reali­
stisch dürfte sein, daß die Gewerkschaften Lohn­
erhöhungen durchzusetzen versuchen, die die
vergangene oder antizipierte Inflationsrate berück­
sichtigen und darüber hinaus über dem durch­
schnittlichen Produktivitätsfortschritt m it dem Ziel
liegen, das Verhältnis von Lohn- und Gewinnquote
durch „Zusamm endrücken der G ew innzitrone“ zu
ihren Gunsten zu beeinflussen.
Deshalb nützt es der lohnpolitischen Praxis kaum
etwas, wenn von seiten der Lohntheorie griffige
Lohnformeln entw ickelt werden. Realistischer da­
gegen ist es, sich darüber Gedanken zu machen,
ob und welche neuen Entlohnungsform en bei Wah­
rung derT arifautonom ie praktiziert werden können
und sollen, die über das klassische Instrum enta­
rium der B ariohnpolltik hinausgehen und deren
Einsatz sowohl verteilungsw irksam e als auch sta­
bilitätskonform e W irkungen zeitigen können, dam it
der (vermeintliche?) W iderspruch zwischen vertei­
lungsw irksam er und stabilitätsorientierter Lohn­
p o litik aufgehoben werden kann. Dies soll im fo l­
genden in Grundzügen untersucht werden, ohne
dabei allzusehr in die Details gehen zu wollen.
Nachteile deutscher Lohnpolitik
Der ln der Vergangenheit praktizierten Lohnpolitik
der Gewerkschaften, denen sicherlich ln langfristi­
ger Betrachtung stabilitätspolitisches Verantw or­
tungsbewußtsein nicht abgesprochen werden kann,
haftet jedoch im m er die potentielle Gefahr der
kurzfristigen Instabilität an. Der besondere Cha­
rakter deutscher Lohnpolitik potenziert diese Ge­
fahr.
□ Es gelten Einheitstarife fü r das gesamte Tarlfgeblet bzw. die gesamte Branche. Das heißt, Grenz­
betriebe und Intram arginalbetriebe haben die glei­
chen Lohnsätze zu verkraften und werden dam it
ungleich behandelt, was um so bedenklicher ist,
wenn Gewerkschaften sich bei ihren Lohnforde­
rungen an den gewinnstarken Unternehm en bzw.
an der durchschnittlichen Branchenproduktivität
orientieren 9). Dies kann zu einer besonderen Be­
lastung jener Unternehmen führen, deren Gewinn­
margen gering sind, vor allem wenn Abwälzungen
auf die Preise schwer bzw. nur partiell durchsetz­
bar sind, so daß die Gewinne nicht stabilisiert w er­
den und Unterbeschäftigung und Wachstums­
verluste drohen.
□ Einheitstarife können im Rahmen entsprechen­
der m onetärer Gesamtnachfrage leichter auf die
9) V g l. H e lm u t C o x : M ö g lic h k e ite n und G re n z e n d e r P o litik der
V e rm ö g e n s v e rte ilu n g , a . a . O . , S. 185 f.
WIRTSCHAFTSDIENST 1977/V
WISSENSCHAFT FÜR DIE PRAXIS
Preise abgew älzt werden, wenn alle Unternehmen
prinzipiell m it den gleichen Tarifsätzen belastet
werden.
□ Ein w eiterer Nachteil deutscher Lohnpolitik
liegt jedoch darin begründet, daß In der Vergan­
genheit grundsätzlich nur B arlohnpolitik betrieben
worden ist und verm ögenspolitische Strategien
kaum Eingang in die T arifp olitik der Gewerkschaf­
ten gefunden haben 10). Der Gedanke, einen Teil
der Lohnerhöhungen systematisch als sogenannte
Investlvlöhne zu vereinbaren oder investive Ge­
w innbeteiligungen zu realisieren, und zwar als Zu­
satz zu Barlohnsteigerungen, ist bisher bis auf
’ 0) V g l. G e rh a rd W e i s s e r : L o h n b ild u n g in d e r M a rk tw irt­
schaft, in: G ew erk s c h a ftlic h e M o n a ts h e fte , 1956, S. 532.
" ) V g l. O sw ald v. N e l l - B r e u n i n g : S p a re n o h n e Ko nsum ­
verzich t? , in: G . L e b e r (H rsg ): V e rm ö g e n s b ild u n g in A rb e it­
n eh m e rh an d , D o k. III, W is sen sch aftlich e B e iträ g e , F ra n k fu rt/M .
1965, S. 43 ff.; Erich P r e i s e r : T h e o re tis c h e G ru n d la g e n d e r
V e rm ö g e n s p o litik , B o n n e r A k a d e m is c h e R e d e n , N r. 29, Bonn 1964;
G erh ard W e i s s e r : V e rm ö g e n s w irk s a m e T a rifv e rträ g e — Ihre
R e chtfertig ung und ih re T e c h n ik , in : G . L e b e r (H rs g .): V e r­
m ö g en sb ild u n g in A rb e itn e h m e rh a n d , D o k. III, W iss. B e iträ g e ,
F ra n k fu rt/M . 1965, S. 123 ff.; T h e o T h i e m e y e r : G e w erks ch af­
ten und V e rm ö g e n s b ild u n g , in: G ew erk s c h a ftlic h e M on atsh efte,
1961, S. 85 ff.; W in frie d H ö h n e n :
D ie verm ö g e n sp o litisch en
G esetze und M aß n ah m e n in d e r B R D , K ö ln 1968; H e lm u t C o x :
D ie O rd nung d e r O rig in ä rv e rte ilu n g als G eg en stan d d e r V e rm ö ­
g e n s p o litik , Diss. K ö ln 1965.
wenige Ausnahmen noch nicht von den Gewerk­
schaften aufgegriffen worden, obgleich Vor­
schläge dieser A rt in der lohnpolltischen Diskus­
sion seit längerer Zelt e n tw ic k e lt11) und noch kürz­
lich auch vom Sachverständigenrat In Verbindung
m it der Forderung nach maßvollen Barlohnab­
schlüssen In seinem Jahresgutachten 1976/77
unter der Überschrift „K o rre ktu r der Einkommens­
verteilung“ gemacht worden sind 12).
Auswirkungen von Einheitsinvestivlöhnen
Investivlohn und investive G ewinnbeteiligung sind
sicherlich nicht als Alternative zur bisherigen Lohn­
politik, sondern als lohnpolitisches A dditiv zu be­
greifen, das stabilitätspolitischen Zielen gerecht
werden soll. Jedoch kom m t es darauf an, diese
Instrum ente so einzusetzen und so zu gestalten,
daß sie einerseits stabilitätspolltischen Zielen ge­
recht werden, andererseits aber auch den Vertei­
lungsstatus positiv zugunsten der Arbeitnehm er
beeinflussen können. Gerade unter diesen Ge12) V g l. S a c h v e rs tä n d ig e n ra t z u r B e g u tachtung d e r g e s a m tw irt­
sch aftlichen E n tw ick lu n g : J a h re sg u tach ten 1976/77, Bonn 1976,
S. 61 ff.
VERÖFFENTLICHUNGEN DES HWWA-INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG-HAMBURG
N EU ER SC H EIN U N G
Hajo Hasenpflug
NICHT-TARIFÄRE H A N D E LS H EM M N IS S E
Formen, W irkungen und wirtschaftspolitische Beurteilung
Neben den Zöllen beeinflußt eine Vielzahl nicht-tarifärer Handelshem m ­
nisse Umfang, Richtung und gütermäßige Struktur des internationalen
W arenverkehrs. Diese sogenannten NTBs (non-tariff barriers) gewinnen
mit fortschreitendem Zollabbau zunehm end an Bedeutung. In der vor­
liegenden Studie wird die sehr kom plexe und heterogene M aterie durch
Systematisierung in zehn NTB-Typen, die den Import hemmen, und drei
NTB-Kategorien, die den Export begünstigen oder beschränken, sowohl
für den W issenschaftler als auch für den W irtschaftspolitiker und nicht
zuletzt für den Praktiker übersichtlich gestaltet.
Großoktav, 227 Seiten, 1977, Preis brosch. DM 3 4 , -
V E R L A G
W E L T A R C H I V
WIRTSCHAFTSDIENST 1977/V
G M B H
ISBN 3-87895-139-6
-
H A M B U R G
265
WISSENSCHAFT FÜR DIE PRAXIS
sichtspunkten betrachtet sind die oben genannten
Instrum ente nur unter bestimmten Bedingungen
geeignet.
Investivlöhne haben grundsätzlich Kostencharakter,
auch wenn innerhalb der Sperrfrist den Unterneh­
men keine Liquidität entzogen wird, nachher je ­
doch eine Auflösung der investiven Anlagen nicht
ausgeschlossen werden kann. Daher muß im Rah­
men der entsprechenden monetären Gesamtnach­
frage kostenseitig m it inflationären Impulsen ge­
rechnet werden, die bei Einheitsinvestivlöhnen
wegen der leichteren Ü berwälzbarkeit auf die
Preise um so wahrscheinlicher sind. Bei vermach­
teten Märkten w ird der m it Investivlöhnen verbun­
dene „co st push“ um so leichter auf die Preise
abzuwälzen sein. Bei gleichbleibender Nachfrage­
funktion müssen kostenseitig hervorgerufene In­
flationsprozesse
mit
Unterbeschäftigung
und
Wachstumsrückgang teuer erkauft werden.
Zudem ist fraglich, ob Einheitsinvestivlöhne posi­
tive Verteilungseffekte zugunsten der Lohnein­
komm ensbezieher hervorrufen 13). O rientiert sich
die Höhe des Einheitsinvestivlohns an dem Grenzbetrieb eines Tarifgebietes, so muß die Vertei­
lungsunw irksam keit des lnvestivlohns in Kauf ge­
nommen werden. Umverteilungseffekte werden
wegen des niedrigen Einheitstarifs kaum entste­
hen. W ird die Höhe des Einheitstarifs von vorn­
herein so hoch angesetzt, daß ein hoher Vertei­
lungseffekt erreicht wird, d. h. daß die m it hohen
Gewinnm argen arbeitenden Unternehmen ange­
zapft werden, so muß bei begrenzter bzw. nicht
m öglicher Ü berwälzbarkeit m it einem Ausscheiden
der Grenzbetriebe und/oder m it der Existenz­
gefährdung vieler gewinnschwacher Betriebe die­
ses Tarifbereichs sowie mit A rbeitslosigkeit und
gegebenenfalls W achstumsverlusten
gerechnet
werden.
Ergebnisbezogene Staffeltarife
Wenn überhaupt an die Einführung des Investivlohns gedacht sein soll, bleibt unter den oben
genannten Aspekten nur folgende W ahl: An die
Stelle von Einheitstarifen müssen Staffeltarife tre ­
ten, die die Unternehmen entsprechend ihren
Gewinnlagen b e la ste n 14). Die Einführung eines
solchen ergebnisbezogenen
Staffeltarifsystem s
w ürde die Hinwendung zu betriebsnahen bzw. sol­
chen Tarifen bedeuten, die auf kleinere T arif­
gebiete oder sogar einzelne Unternehmen (Firmen­
tarife) zugeschnitten sind. Nach einem solchen
Tarifsystem würden die Unternehmen, die hohe
Gewinne machen, auch entsprechend höhere ln,3) V g l. H e lm u t C o x : M ö g lic h k e ite n und
d e r V e rm ö g e n s v e rte ilu n g , a. a. O ., S. 186.
M) E b en d a.
266
G re n ze n
der
vestivlöhne als Unternehmen m it niedrigen Ge­
winnen zahlen. Dies erhöht die Verteilungsw irk­
samkeit der Lohnpolitik, aber auch die m it dem
Einheitsinvestivlohn verbundene W irkung der uni­
formen Belastung und deren negative Folgen für
die Unternehmen wären geringer als bei Einheits­
löhnen. Das dann allerdings entstehende Problem
der Verteilungsungerechtigkeit ist die Kehrseite
der M edaille, weil A rbeitnehm er in gew innträchti­
gen Unternehmen überproportional mehr verdie­
nen als solche in gewinnschwachen Unternehmen.
Aber ein Problem b leibt nach w ie vor der Kosten­
charakter des Investivlohns, auch wenn im Falle
der investiven Anlage der Löhne im Unterneh­
mensbereich kein Liquiditätsentzug entsteht, so
daß, unterstellt man den kosteninflationstheore­
tischen Ansatz, stabilitätspolitische Bedenken gel­
tend gemacht werden müssen.
Vorteile investiver Gewinnbeteiligungen
Es liegt also nahe zu prüfen, ob und inw iew eit als
A lternative zum differenzierenden ergebnisbezo­
genen Investivlohn investive G ew innbeteiligungen
der Arbeitnehm er verteilungs- und sta b ilitä tsp o li­
tische Effekte auslösen. Der Vorteil des Einsatzes
dieses originärverteilungspolitischen M ittels kann
sich sowohl in einer Aufschwungphase als auch
in der Vollbeschäftigungsphase als zweckmäßig
erweisen; und grundsätzlich hat es sogar Vorteile
gegenüber der Investivlohnpolitik und der klassi­
schen B a rlo hn po litik der Gewerkschaften.
Die Vorteile liegen wie beim ergebnisbezogenen
Investivlohn in der O rientierung der Verteilung
an der Größe Gewinn. Eine uniform ierende Be­
handlung der Unternehmen w ird ausgeschlossen,
da diese nach ihrer w irtschaftlichen Leistungs­
kraft belastet werden. Diese Bedingung w ird um
so eher eingehalten, je betriebsbezogener Ge­
w innbeteiligungen vereinbart werden. Die O rien­
tierung am Branchengewinn, w ie der Sachverstän­
digenrat e m p fie h lt15), ist deswegen nicht zweck­
mäßig.
Die investive Verwendung der M ittel komm t ge­
gebenenfalls dem Finanzierungs- und Investitions­
interesse der Unternehmen entgegen, so daß
keine L iquidität entzogen w ird. Die Inflationsge­
fahr im Sinne des „cost-p ush “ ist, da investive
G ew innbeteiligungen keinen Kostencharakter ha­
ben, sondern ex ante- und daher unbekannte G rö­
ßen sind, zum indest nicht so viru len t w ie bei
Lohnerhöhungen, deren Kostencharakter eindeu­
tig ist, w om it freilich nicht verkannt werden soll,
daß auch potentielle G ew innbeteiligungen schon
P o litik
>5) S a c h v e rs tä n d ig e n ra t z u r B e g u tachtung d e r g es am tw irtsch aft­
lichen E n tw ick lu n g : J a h re sg u tach ten 1976/77, a. a. O ., S. 147.
WIRTSCHAFTSDIENST 1977/V
WISSENSCHAFT FÜR DIE PRAXIS
in Preissteigerungen bewußt a ntizipiert werden
kö n n e n 16), wenn konstante Gewinnsätze ange­
strebt werden.
Berücksichtigt man all diese Gesichtspunkte, so
spricht zum indest die Vermutung dafür, daß eine
G ew innbeteiligungspolitik partiell eine akzep­
table Alternative zur traditionellen Lohnpolitik
sein kann. Anstelle gesam tw irtschaftlich uner­
wünschter — z. B. über den P roduktivitätsfort­
schritt hinausgehender — Barlohnerhöhungen
könnten investitionsbestim m te G ew innbeteiligun­
gen auf betrieblicher Basis prozentual ex ante
vereinbart werden, die aber erst w irksam werden,
wenn ein positiver w irtschaftlicher Erfolg einge­
treten ist. Sicherlich gehen die Arbeitnehm er da­
m it ein Einkom m ensrisiko ein; dafür verm indert
sich aber das A rb e its p la tz ris ik o 17).
Zwei-Phasen-Modell des BMWi
Diese M öglichkeit der ex ante festzulegenden Be­
teiligungshöhe an den Unternehmensgewinnen
grenzt sich von dem aus dem Bundeswirtschafts­
m inisterium stammenden Vorschlag ab, die T arif­
verhandlungen in zwei Phasen einzuteilen, wobei
in der ersten Phase unter Berücksichtigung ge­
schätzter Konjunkturdaten vorsichtige Barlohn­
erhöhungen vereinbart werden sollen, während in
der zweiten Phase als Ausgleich fü r gegebenen­
fa lls zu niedrige Lohnerhöhungen in der ersten
Phase
nachträglich
verm ögenswirksam e
Zu­
schläge ausgehandelt werden sollen. Es ist in
diesem Zusammenhang dem Sachverständigenrat
zuzustimmen, wenn er dieses Zwei-Phasen-M odell
stabilitätspolitisch gesehen fü r bedenklich hält,
da die Ungewißheit über die künftigen relativen
Gewinnanteile der A rbeitnehm er Unsicherheit bei
den Unternehmen erzeugen d ü rfte 1S). Es kann
nicht ausgeschlossen werden, daß die Gewerk­
schaften in der zweiten Phase Nachholansprüche
unangemessen überziehen und auch durchsetzen,
was sicherlich den Sinn des Zw ei-Phasen-M odells
konterkarieren würde. Vorzugsw ürdiger dürfte da­
her der hier vorgeschlagene Weg sein, parallel
zu den Lohntarifen die relative G ewinnanteilshöhe
der Arbeitnehm er ex ante schon festzulegen und
damit zum „D atum “ zu machen.
Das Problem liegt natürlich in der Bemessung des
stabilitätspolitisch zu verantwortenden B e teili­
gungsspielraums, der unternehm ensindividuell
verschieden ist und vorsichtig ausgelotet werden
muß. Dieser Spielraum kann nur durch w ohldo­
sierte G ew innbeteiligung langsam und vorsichtig
V g l auch C a rl F ö h I : K reisla u fa n a ly tis c h e U ntersu chung der
V e rm ö g en sb ild u n g In d e r B u n d e s re p u b lik und d e r B e e in flu ß b a r­
keit Ih re r V e rte ilu n g , T ü b in g e n 1964, S. 130 f.
,7) V g l. S a c h v e rs tä n d ig e n ra t z u r Begutachtung d e r g e s a m tw irt­
schaftlichen
E n tw ick lu n g :
J a h re sg u tach ten
1976/77,
a. a. O .,
S . 144 ff.
'S) E b enda, S. 146.
WIRTSCHAFTSDIENST 1977/V
erschlossen werden, wobei ständiger Versuch
und Irrtum nicht auszuschließen sind. M it Sicher­
heit darf nicht erw artet werden, daß die Gewinn­
beteiligungen der Arbeitnehm er alternativ zur
bisherigen Lohnpolitik der Gewerkschaften treten,
sondern nur additiv zu begreifen, sind, um zusätz­
liche stabilitätspolitisch zu verantwortende Ver­
teilungsspielräum e fü r die Arbeitnehm er zu er­
öffnen und dam it dem gewerkschaftlichen Inter­
esse nach Verteilungsvorteilen entgegenzukom ­
men.
Voraussetzungen einer Realisierung
Für die Realisierung einer solchen V erteilungs­
p o litik ist jedoch notwendig, daß eine Verbindung
zwischen den zentral auf überbetrieblicher Ebene
geführten Barlohn- und den dezentral auf betrieb­
licher Ebene geführten G ew innbeteiligungsver­
handlungen hergestellt w ird und daß überhaupt
beide T arifparteien bereit sind, B a rlo hn po litik und
investive G ew innbeteiligungspolitik kom binativ zu
betreiben.
Z ur Verw irklichung dieses dualistischen Verhand­
lungsm odells ist die Kooperation und Abstim ­
mung zwischen dezentraler und zentraler Ebene
notwendig. Dies g ilt sowohl fü r die Arbeitgeber­
ais auch fü r die Arbeitnehm erseite. Unterstellen
w ir, daß in den bisherigen Tarifauseinanderset­
zungen der Kontakt der Verbände zu ihrer Basis
in den Unternehmen nie ernsthaft in Frage gestellt
war, dürfte auch in diesem Fall kaum ein ernst­
haftes Problem entstehen 19).
Dagegen ist es viel schwieriger, die Bereitschaft
auf A rbeitnehm er- und A rbeitgeberseite zu wekken, eine kom binierte Barlohn- und G ew innbetei­
ligu ng spo litik zu betreiben. Sowohl bei Gewerk­
schaften als auch bei Unternehmern ist diese Be­
reitschaft aus mehreren Gründen, teils aus grund­
sätzlichen ideologischen Erwägungen, te ils aber
auch aus Vorurteilen und aus Verkennung beider­
se itiger Vorteile einer solchen V erteilungspolitik,
bisher noch nicht vorhanden. Der Sachverständi­
genrat schätzt diese Bereitschaft vielleicht etwas
zu optim istisch ein, wenn er meint, man sei heute
von derartigen Überlegungen w eniger w eit ent­
fernt als noch vor wenigen J a h re n 20). Eine ver­
einzelt festzustellende Bereitschaft dürfte aber
stabilitäts- und verteilungspolitisch wenig effektiv
sein, so daß eine investive G ew innbeteiligung nur
auf bre iter Basis sinnvoll ist.
!9) E in e r g e n a u e re n U ntersu chung b ed ü rften in diesem Z u s a m ­
m en h a n g d ie A s p e k te : S ic h e rs te liu n g d e r In te rd e p e n d e n z von
e in z e lb e trie b lic h e r und z e n tra le r V e rh a n d lu n g s e b e n e a u f A rb e it­
g e b e r- und A rb e itn e h m e rs e ite ; P ro b le m d e r m ö g lich en K o n ku r­
re n z - und u. U. K o n flikts itu atio n zw isch en B e trie b s rä te n und G e ­
w erksch aften ; Frag e n d es b e trie b lic h e n E in zu g sb ereich s von G e ­
w in n b e te ilig u n g s v e rh a n d lu n g e n ; F ra g e n des Schlichtungsw esens
b ei G e w in n b e te ilig u n g s v e rh a n d lu n g e n .
20) V g l. S a c h v e rs tä n d ig e n ra t z u r B egutachtung d e r g e s a m tw irt­
schaftlichen E n tw ick lu n g : Jah re sg u tach ten 1976/77, a. a. O ., S. 144.
267
WISSENSCHAFT FÜR DIE PRAXIS
Sicherlich w äre es zu begrüßen, wenn die Träger
der Lohnpolitik von sich aus eine solche kom bina­
tive V erteilungspolitik betrieben, denn sie läge
sowohl im verteilungs- als auch im sta b ilitä tsp o li­
tischen Interesse. Wenn hierzu aber Anreize und
andere M ittel der „leichten Hand“ nicht zum Ziele
führen, sollte in der Tat überlegt werden, ob im
Falle einer erheblichen Gefährdung des gesamt­
w irtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne des §1
des Gesetzes zur Förderung der S tab ilitä t und
des Wachstums der W irtschaft die kom binative
Anwendung von Barlohn- und investiver Gewinn­
bete ilig un gsp olitik nicht vorgeschrieben werden
sollte. Schon der Zwang zur gleichzeitigen Anwen­
dung beider Instrum ente kann sich stabilitäts- und
verteilungspolitisch positiver auswirken, als wenn
nur das „klassische“ M ittel der Barlohnerhöhung
eingesetzt w ürde. In diesem Sinne könnte sich
eine entsprechende Erweiterung des S tabilitäts­
gesetzes anbieten. Zw ar w ürde dies eine Ein­
engung des Entscheidungsspielraum s der T a rif­
parteien bezüglich der Anwendung der ve rte i­
lungspolitischen A ktionsparam eter bedeuten, je ­
doch läge die Höhe des auszuhandelnden Bar­
lohns und der investiven G ew innbeteiligung nach
w ie vor im Zuständigkeitsbereich der T arifpar­
teien, so daß die Tarifautonom ie nicht wesentlich
tangiert w ird.
In der Vermögens- und einkom m enspolitischen
Diskussion standen und stehen w eit schärfere
Einwirkungsmaßnahmen als die hier in Erwägung
gezogene zur Debatte und werden in vielen Län­
dern der W elt auch p ra k tiz ie rt21). W er z.B . bei
uns den gesetzlichen Investivlohn oder die ge­
21) Z . B. ¡n Form von Lo h n - und P reissto p p s in v e rsc h ied en en
L än d ern . V g l. d azu O scar-E rich K u n t z e : P re is k o n tro lle n , Loh n­
ko n tro lle n und L o h n -P re is -In d e x b in d u n g in d en eu rop äischen
Län d ern , a . a . O . ; K a rl-F rie d ric h L a r e n z :
U n tersuchung zu r
E in k o m m e n s p o litik , a. a. O.
22) So h atte sich b ek an n tlich auch d e r D G B m eh rh eitlich fü r das
ü b e rb e trie b lic h e G e w in n b e te ilig u n g s s y s te m aus g esp ro ch en . D ie
A rb e itg e b e r hab en kürzlich ein K o n zep t b e trie b lic h e r G e w in n ­
b e te ilig u n g vo rg e le g t.
HERAUSGEBER:
H am b u rg
D ietrich
H W W A — In stitu t fü r W irtschaftsforschun g —
(P rof.
O rtlle b ,
D r.
W o lfg a n g
M ic h a ls k i,
P rof.
D r.
H e in z -
P rof. D r. H a n s -J ü rg e n S chm ahl)
O tto
G.
Vermögenspolitische Kompensationsmaßnahmen
A llerdings ist im Falle betrieblicher G ew innbetei­
ligungssystem e das Argum ent der ungerechten
— weil zufallsbedingten — Verteilung nicht von
der Hand zu weisen, da nur Arbeitnehm er in ge­
w innträchtigen Unternehmen entsprechend ge­
fö rd ert werden. Die Nachteile, die in diesem Zu­
sammenhang die Arbeitnehm er in öffentlich­
staatlichen Einrichtungen, in Kostendeckungsbe­
trieben, in „N on-P rofit-E nterprises“ und extrem
gewinnschwachen Bereichen in Kauf nehmen
müssen, könnten durch spezielle lohn- und ver­
m ögenspolitische Maßnahmen kom pensiert w er­
den.
H ier wäre zu überlegen, ob nicht unsere bisheri­
gen verm ögenspolitischen Maßnahmen, so z. B.
das 624-DM-Gesetz oder das Sparprämiensystem ,
grundlegend einmal auf ihre verm ögenspolitische
W irksam keit zu überprüfen wären, weil bekannt
ist, daß auch Personenkreise in höheren Einkom ­
m ensklassen in den Genuß d erartige r verm ögenspoltischer Maßnahmen kommen, obwohl sie
eigentlich gar nicht zu dem verm ögenspolitisch
zu fördernden Personenkreis gehören sollten. Ist
man bereit, unsere derzeitige Verm ögenspolitik
einmal unter diesem G esichtspunkt zu überprü­
fen, dann könnten eventuell freiw erdende finan­
zielle M ittel bevorzugt jenem Personenkreis zuge­
führt werden, der nicht an ausgehandelten Ge­
w innbeteiligungen partizipieren könnte.
23) D a b ei kö n n te n sich V o rs c h lä g e e rü b rig e n , in e in e m s p e z ie l­
len V e rb ä n d e g e s e tz d ie „M a rk tm a c h t“ d e r T a rifp a rte ie n zu b än ­
d ig e n . V o rs c h lä g e d ie s e r A rt, d ie o h n e h in kaum durch setzb ar
s in d ,
n e g ie re n
w e itg e h e n d
d en
C h a ra k te r g e g e n g e w ic h tig e r
M arktm ac h t, d en G ew erks ch afte n und A rb e itg e b e rv e rb ä n d e als
T a rifv e rb ä n d e h ab en m üssen.
H E R S T E L L U N G U N D V E R T R IE B :
V e rla g W e lta rc h iv G m b H , H a m b u rg
A n z e ig e n : G e n e ra lv e rtre tu n g D r. H ans K iem en
A n z e ig e n p re is lis te : N r. 12 vom 1 .1 .1 9 7 1
R E D A K T IO N :
D r.
setzliche G ew innbeteiligung der A rbeitnehm er be­
fü rw o rte t22), w ird einer solchen Regelung, wie
sie hier bezüglich der anzuwendenden A ktions­
param eter vorgeschlagen w ird, leichter seine Zu­
stim mung geben kö n n e n 23).
M a y e r (C h e fre d a k te u r),
D ip l.-V w .
H u b e rt
Ham ann,
H e lg a
H ö p in g
Lan g e,
D r.
Klaus
(S te llv e rtre te r),
R e n a te
S c h letz,
K w asn iew ski,
D ip l.-V w .
C laus
D ip l.-V w .
K lau s­
B e z u g s p re is e : E in z e lh e ft: D M 7,50, J a h re s a b o n n e m e n t: D M 8 0 , (S tu d en ten : D M 3 0 , - )
E rsc h ein u n g sw eise: m o n atlich
p e te r Z an zig
D ruck: O tto S c h w itzk e, H am b u rg
A n schrift
stie g 21,
d e r R e d a k tio n : 2 H a m b u rg
T e l.: (0 40) 35 62 306/307
36,
N euer
J u n g fe rn ­
A n schrift d es V e rla g e s : 2 H a m b u rg 36, N e u e r J u n g fe rn s tie g 21,
T e l.: (0 40) 35 62 500
O h n e aus d rü cklich e G e n e h m ig u n g d es V e rla g e s ist es nicht ges tattet, d ie Z e its c h rift o d e r T e lle d a ra u s a u f p h o tom echanischem
W e g e (P h o to k o p ie , M ik ro k o p ie ) o d e r auf a n d e re A rt zu v e rv ie lfä ltig e n . C o p y rig h t b ei V e rla g W e lta rc h iv G m b H .
268
WIRTSCHAFTSDIENST 1977/V