Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Von Akerselva nach Bygdøy
Musikalische Impressionen aus Oslo
Von Anette Sidhu-Ingenhoff
Sendung:
Samstag, 23. Juli 2016
Redaktion:
Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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„Musikstunde“ mit Anette Sidhu-Ingenhoff
Von Akerselva nach Bygdøy
Musikalische Impressionen aus Oslo
SWR 2, 23. Juli 2016, 9h05 – 10h00
Signet: SWR2 Musikstunde
Am besten sieht man Oslo vom Holmenkollen aus. Das ist der Berg mit der
Skisprung-Schanze! Ringsherum ein großes Sportareal, im Winter bestens geeignet
für Olympia und Biathlon-Wettkämpfe. Steil aufwärts schleicht die Bahn aus der
Stadt den Berg hinauf, an rot gelb oder blau gestrichenen Holzhäuschen vorbei.
Oben gläsern blauer Himmel, weiter Blick auf die Fjordlandschaft. Jenseits des
olympischen Areals ragt stolz die schwarze Holmenkollen–Kapelle empor, eine
Holzkirche, wie sie typisch für Norwegen ist. Im Juni, Juli, dem kurzen Hochsommer
liegt die Stadt sanft in lichtes Grün gebettet, in der Ferne gleißt die Sonne über
dem Fjord. Mit dem Schiff oder dem Flieger kommt man meist hier an. Musikalisch
stimmt uns jetzt Christian August Sinding ein, der in Oslo Musik studierte, bevor er
nach Deutschland ging und für Richard Wagner schwärmte. Hier der Beginn
seiner 1894 entstandenen Sinfonie in d-moll.
1:00
Musik 1 Ausschnitt 1. Satz Allgro moderato
3:35
AMS M0107301(AMS) 01-00401-007
40'00 Sinfonie d-Moll, op. 21
Norsk Kulturrads Klassikerserie
Knardahl, Eva; Philharmonisches Orchester Oslo; Fjeldstad, Oivin
Sinding,
Christian
Moderation 2
Der aus dem norwegischen Kongsberg stammende Komponist Christian Sinding
mit dem Beginn seiner 1. Sinfonie d-moll, es spielte das Philharmonische Orchester
Olso unter Oivin Fjelstad.
Ob Spuren der alten Wikinger, abenteuerlicher Seefahrer oder Erforscher der
Seele wie Edvard Munch, Henrik Ibsen, Gustav Vigeland und Edvard Grieg: in
Oslo werden wir fündig! Der Stadtrundgang beginnt am Fluß Akerselva. In einem
ca. 2 stündigen Marsch gelangt man hier durch die Stadt nach Norden. Im
historischen „Christiania“, so hieß Oslo lange Zeit, war Akerselva die
wirtschaftliche Lebensader der Stadt, Sägewerke und Papiermühlen, Werkstätten
und Textilbetriebe säumten das Ufer. Heute ist der Pfad ein Paradies für
Naturfreunde, man fühlt sich ein bißchen wie auf dem Land, kann baden oder
Biber beobachten.
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Weniger naturbelassen, stattdessen von sehr dicken Mauern umgeben, ist
Akershus festning im Süden. Neun schwere Angriffe überstand Bollwerk auf der
Landzunge seit dem Mittelalter. Immer wieder versuchten Schweden und Dänen,
die Stadt am Oslofjord einzunehmen. 1624 brannte sie nieder, und Christian IV Oslo wurde dänische Provinz - errichtete im Schatten der Burg „Kvadraturen“,
einen streng viereckig angelegten Renaissance-Stadtteil. Er nannte die Stadt, die
zuvor nach einer Flussmündung „ulsu“ genannt wurde, „Christiania“. Viele
Kämpfe gegen die Vorherrschaft von Dänen und Schweden gingen ins Land,
bevor Norwegen 1905 unabhängig wurde und die Stadt dann Oslo heißen
durfte.
1866 kam Edward Grieg nach Christiania, von hier aus wurden ihm
Reisestipendien gewährt, die seine Ohren für die europäische Musikszene
öffneten: für Franz Liszt, Johannes Brahms, Max Bruch, Clara Schumann. Fasziniert
haben ihn auch die Russen, Tschaikowsky und Mussorgski mit ihrer Offenheit für
volkstümliche Klänge! Hier ist sein „Klokkeklang“ aus den Lyrischen Stücken op.
54. Radikal für seine Zeit: schwingende Quintenintervalle zwischen Pianissimo und
dreifachem Piano, bis die Stimmen im Unendlichen zu verhallen scheinen.
Musik 2
Grieg Klokkeklang
50
AMS M0015547(AMS) 01-012
Glockengeläut für Klavier, op. 54 Nr. 6
Lyrische Stücke
Pletnjew, Michail
1999 Grieg, Edvard
3:03
Moderation 3
Michail Pletnev. Wenn man das alte Oslo sucht, muß man aus der lebhaften
Innenstadt heraus in die Ovre Slottsgate gehen, zum „Christiana Torv“, einem
kleinen historischen Marktplatz und „Gamle Radhus“, dem alten Rathaus. Weiter
Richtung Meer steht man schon bald vor der mächtigen Mauer von Akershus
festning. Ein bißchen duster und einsam kann es hier abends werden, Cafés und
Geschäfte gibt es nicht, erst im Hafen trifft der Tourist wieder auf mehr Leben.
Von dort gelangt man auf die Halbinsel Bygdoy (Büggöii), im Winter mit dem Bus,
im Sommer mit der Fähre. Als ich im März dort herumlaufe, liegt die Wasserfläche
still da, glänzend im Sonnenlicht, Schwäne und Enten ziehen leise ihre Bahnen,
Möwen kreischen, Wasservögel fliegen vorüber, in der Ferne kriecht langsam ein
Schiff an blau-silbernen Hügeln vorbei, die im Morgendunst liegen. Auf der
kleinen Halbinsel versammelt sich einiges: das berühmte norwegische
Freilichtmuseum, das Maritim-Museum, der Hangar mit dem Expeditionsschiff
Fram, das Häuschen mit Thor Heyerdals Floß Kon-Tiki, und, weiter landeinwärts,
das Wikinger Museum.
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Dort besonders faszinierend drei Schiffe aus der Zeit um 800 n. Chr: das Oseberg,
Gokstad und das Tuneschiff. Als Grabstätten genutzt, enthalten sie viele
Beigaben: Möbel, Handwerkzeug, geschnitzte Schlittenköpfe, Truhen mit
Nähmaterial, ja sogar Stoffe gibt es aus einer Zeit vor 1200 Jahren! Zarte,
zerbrechliche Seide aus Anatolien, in rot sind die bedrohlichen Recken mit ihren
Waffen aufgedruckt. Weit herum gekommen waren diese Wikinger und
kämpferisch! Halb Europa, ja sogar die Küsten Nordamerikas waren ihnen
bekannt.
Dass man großen Respekt, ja Furcht hatte vor Ihnen - auf dem Festland – zeigt
das mittelalterliche Ludwigslied. Dort heißt es u.a.: „“Ludwig, kuning min, Hilph
minan liutin. Heigun sa northman harto bidwungan.“ – „Ludwig, hilf meinen
Leuten, die Normannen haben sie hart bedrängt“. Geredet wird von
„northman“, „Männer des Nordens“. Damit sind Skandinavier gemeint. Im
Thronfolgestreit nach dem Tod Ludwigs II. um 880 überfielen sie westfränkisches
Gebiet.
Musik 3 CD Notker Balbulus Take 11
2:03
Anonym: Ludwigslied kürzen auf 4’00
AMS M0272260(AMS) 01-011
9'44 Einan Kuning weiz ich
Althochdeutsches Ludwigslied
Sequenzen Tropen & Gregorianscher Choral aus dem Kloster St. Gallen
Morent, Stefan Johannes
Anonymus; Morent, Stefan Johannes
Moderation 4
Stefan Johannes Morent mit einem Ausschnitt aus dem mittelalterlichen
Ludwigslied. Das größte Museum auf Oslos Halbinsel Bygdoy ist das „Norsk
Folkemuseum“, ein weitläufiger Park, er bietet eine Art Zeitreise: in bunten
Behausungen warten Trachten und Handwerkskunst, das ländliche Leben in
Norwegen ist nach Regionen zu sehen, Bauernhöfe, Handwerksbetriebe,
Stabkirchen.
Das Maritim Museum beherbergt mit dem Stokke-Boot das älteste in Norwegen
gefundene Wasserfahrzeug aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Interaktiv kann man
sich hier durch die Schifffahrtsgeschichte durcharbeiten, Schiffsmodelle
studieren, in Kajüten kriechen und Filme zum Leben auf See anschauen.
Im nächsten Museum lockt ein urzeitlich anmutendes Ungetüm, das große
Holzschiff Fram, das Frietjof Nansen fast zum Nordpol und Roald Amundsen zum
Südpol führte. Die Dokumentation über diese abenteuerlichen Polarfahrten
nimmt den Besucher gewaltig gefangen. Zumal er im Maschinenraum und der
Kombüse der Fram herumlaufen und sich orientieren kann, wie man sich wohl auf
so einem Schiff mitten im Eismeer gefühlt haben muss, beim Überwintern nahe
dem Nordpol. Die Fram riecht förmlich noch nach Meer und Kälte: die alten
5
Sextanten, die Schlitten, die Fotos und Filme von eisigen Landschaften in Arktis
und Antarktis bringen dem Besucher die gelungenen und die tragischen
Expeditionen eindrücklich nahe. Fritjof Nansen entwickelte das Schiff für seine
Nordostpassage 1893, es sollte dem Packeis standhalten, hochgedrückt werden
und mit der Drift des Eises ganz natürlich zum Nordpol gelangen. Ganze drei
Jahre (!) zog die Mannschafft von den neusibirischen Inseln aus auf hohen
nördlichen Breitengraden ohne Steuerung durch das Nordmeer und langte
tatsächlich im August 1896 wieder in Norwegen an. Während Frietjof Nansen, von
Abenteuerlust gepackt, mit seinem Kameraden Johannsen zu Fuß versuchte, den
Nordpol zu erreichen. Er scheiterte (bei etwa 86‘ Grad nördlicher Breite) und
beide Männer mußten mit ihren Hundeschlitten und Kajaks eineinhalb Jahre lang
einen gefährlichen Rückweg durchs Eis suchen. Sehr spannend auch heute
noch, Nansens Tagebuch zu lesen: „In Nacht und Eis. Die norwegische
Polarexpedition“.
Nach dem 1. Weltkrieg, in den 20er Jahren betätigte sich Frietjof Nansen übrigens
als Retter von Kriegsgefangenen, half Millionen hungernder Russen und setzte
sich für Flüchtlinge ein, denen er zum sog. Nansen Pass verhalf, ein Dokument,
das Staatenlose vor Verfolgung schützte. Geheiratet hatte Nansen ganz jung,
noch vor seiner Nordpolexpedition, seine Liebe war Eva Sars, eine erfolgreiche
Konzertsängerin, die man in Olso besonders gerne hörte mit „Solveigs Lied“. 2:57
Musik 4 Solveigs Lied - Philharmonisches Orchester Bergen 5:26
AMS M0345347(AMS) 01-005
5'34 Solveigs Lied, op. 23 Nr. 19. Fassung für
Singstimme und Orchester
Olav Trygvason - Songs
Solberg, Marita; Philharmonisches Orchester Bergen; Ruud, Ole Kristian
Grieg,
Edvard; Ibsen, Henrik
Moderation 5
Marita Solberg mit dem Philharmonischen Orchester Bergen.
Dass die Abenteuerlust der Wikinger auch noch in Gestalten des 20.
Jahrhunderts, steckt erfährt man im Kontiki-Museum. 1947 wagte es Thor
Heyerdal, der selbst kaum schwimmen konnte, mit einem Floß aus Balsaholz von
Peru aus über den Pazifik zu den Osterinseln zu segeln, nur mithilfe der
Meeresströmung und der Ostwinde! Es ging ihm darum, zu beweisen, dass es den
präkolumbianischen Indianern Südamerikas technisch möglich gewesen war,
Polynesien zu besiedeln. Damit brachte er die sog. experimentelle Archäologie
voran, den Versuch, praktisch nachzuweisen, wie Menschen früher Zeitalter die
Distanzen vom Festland zu weit entfernten Inseln oder anderen Kontinenten
zurücklegen konnten. Auch seine nach ägyptischen Vorlagen konstruierten
Papyrusboote „Ra“ und „Ra II“ sind zu sehen, mit denen er 1970 von Marokko aus
mit dem Äquatorialstrom und im Nordostpassat versuchte den Atlantik zu queren,
6
und die Antilleninsel Barbados in Mittelamerika zu erreichen. Im Auftrag der UNO
machte seine Mannschaft auf diesen Fahrten schon damals auf die weltweite
Meeresverschmutzung aufmerksam. „Hotu Matua“ singen hier in einer frühen
Feldaufnahme Bewohner der Osterinsel.
Musik 5
1:07
AMS M0034253(AMS) 01-023
1'07 Hotu Matua
The Secret Museum of Mankind - Ethnic Music Classics: 1925-48, Vol. 2
Ensemble N. N.
Moderation 6
Wie Sie sehen: die Museen auf der Halbinsel Bygdoy in Oslo versetzen einen
gedanklich schnell rund um den ganzen Globus! Zugleich ist die Stadt aber auch
eine Top Destination für Live Musik und zwar in jedem Genre. Besonders in den
langen, warmen Sommernächten gibt es so ziemlich alles: von den großen
Festivals bis zu Veranstaltungen auf fast geheimen, kleinen Hinterhofbühnen.
„Oslo ist zur Zeit einer der aufregendsten Plätze für Live- Musik in Europa“ sagt
Tord Krogtoft, er leitet „Oya“, ein hippes Festival im Tøyenpark mit jungen
Künstlern. Beim „Norwegian Wood“ im Frognerbad gibt es internationale Stars
aber auch unbekannte norwegische Bands. Besonders eindrucksvoll ist „Over
Oslo“, dort schaut man von 370 m Höhe aus hinunter auf Stadt und Fjord. Festival
Leiter Lars Petter Fosdahl meint: „Da wir überwiegend auf norwegische und
skandinavische Musiker setzen, sind andere Festivals ev. internationaler
bekannter, aber wer Norwegen live erleben will, bekommt hier eine ganze
Menge davon“. Tord Krogtoft sinniert: „Das Licht - es wird im Juni erst kurz vor
Mitternacht dunkel - dürfte vielen Musikern exotisch und einzigartig erscheinen“,
dieses Phänomen zieht Künstler und Besucher gleichermaßen stark an.
Und warum diese lebendige Musikszene? Nicht nur, weil man hier nach den
langen, kalten Wintern die kurze Sommerzeit besonders genießen will, sondern
auch, weil „die Musiker in bisher nicht gekanntem Ausmaß auf die Einnahmen
aus live-Veranstaltungen angewiesen sind“ sagt Geir Ramnefjell, Kulturredakteur
von Dagbladet. Ob es Rock und Popkonzerte sind oder die Oper, das Slottsfjell
Festival in Tonsberg oder „Over Oslo“, die milden sommerhellen Nächte schaffen
eine besondere, einmalige Atmosphäre, die man erlebt haben muss. In diesem
Jahr traten bei „Over Oslo“ Mitte Juni z.B. Tom Jones, Chris de Burgh, Ingebjorg
Bratland und die Carpe Diem Band auf, besonders beliebt auch: die
norwegische Liedermacherin Kari Bremnes.
(Informationen: http://overoslo.no/ )
7
Musik 6
3:54
AMS M0316505(AMS) 01-002
3'54 Like før dagen går ned
Og så kom resten av livet
Bremnes, Kari
Bremnes, Kari; Bremnes, Kari
Moderation 7
Die norwegische Sängerin Kari Bremnes. Nach dem Blick auf die Musikfestivals
geht’s jetzt in der SWR 2 Musikstunde mit der Stadtwanderung durch Oslo weiter
in Richtung Schloss. Prachtvoll liegt der repräsentative klassizistische Bau am Ende
der Karl Johans Gate. Kurz vor dem Schlosspark stößt man auf das
Nationaltheater, alle zwei Jahre findet hier das „Ibsen Stage Festival“ statt, mit
Theaterproduktionen aus vielen Ländern, seit 2008 gibt es dort den hoch
dotierten internationale Ibsen Preis. Auf Henrik Ibsen trifft man in Oslo immer
wieder. Seinen Lebensabend verbrachte in einem Haus mit Blick direkt auf’s
Schloss in der heutigen Henrik Ibsens Gate. Im Museum kann man seine mit
wunderbaren Möbeln des späten 19. Jh.s ausgestatteten Privaträume besuchen.
Ganz in rot gehalten sind die Vitrinen und Räume der Ausstellung, die mit frühen
Drucken seiner Werke, Bildern, Sounds von Bühnenszenen, Alltagsgegenständen
an sein Leben erinnern. Stiche aus der Zeit lassen seine lebenslange Begeisterung
für das Festland und den sonnigen Süden Europas aufleuchten. Man kann
Interviews mit Schauspielern zu seinen Bühnengestalten hören, Betrachtungen zu
seinen verschiedenen Lebensphasen, zu seinem Verständnis von Religion und
Politik. Faszinierend die Psychologie seiner kämpfenden, gegen die bürgerliche
Fassade ringenden Frauengestalten.
Das Museum evoziert sehr gut die Stimmung des „fin de siècle“. Am meisten
gefällt mir ein dunkles kleines Theater, man sitzt auf Stufen, schaut auf einen
kleinen Theaterprospekt, und hört Ibsens kraftvolle Originalsprache: Norwegisch!
Dank seiner Kenntnis der nordischen Sagen fand er zu einem herben Ton, ganz
anders als die damals allein gültige dänische Sprache. Ibsens Norwegisch macht
einen schroffen Eindruck! Hier, im dunklen Theaterraum hört man ihm zu und darf
in die tiefen Abgründe der Seele steigen bei „Gespenster“ oder „Hedda Gabler“.
Mit einer Bühnenfassung für sein Gedicht über den Fantasten und Abenteurer
„Peer Gynt“ beauftragte er selbst Edward Grieg.
Musik 7
rein erst ab 1:40
5:43
Edvard Grieg: Peer Gynt:
AMS M0263414(AMS) 01-00501-007
14'30 3 Chöre Peer Gynt, Szenische Musik für Soli, Chor und
Orchester, op. 23
Oper, Chorwerke Philharmonischer Chor Oslo; London Philharmonic Orchestra;
Dreier, Per Grieg, Edvard; Ibsen, Henrik
(1) Nachtszene, 5. Akt Nr. 21 01-A-005
7'10
8
Moderation 8
„Nachtszene“ aus dem 5. Akt „Peer Gynt“ mit dem Philharmonischen Chor Oslo,
dem London Philharmonic Orchestra, Leitung Per Dreier.
Wenn man in Oslo vom Schloss aus weiter in Richtung Westen läuft, kommt man
zum Frognerparken, der jedes Jahr tausende Besucher anlockt. Die Begeisterung
weckt eine Skulpturensammlung, entworfen hat sie Gustav Vigeland in den
1920er Jahren: hunderte menschliche Körper, eingebunden in formal und
inhaltlich aufeinander bezogene Groß-Skulpturen. Themen sind der Zyklus des
Lebens und die Geschichte der Menschheit. Am beliebtesten ist wohl
„Sinnataggen“, der zornig aufstampfende kleine Trotzkopf aus Bronze,
„Monolitten“, die große Säule mit sich windenden Menschen und das „Livshjulet“,
das Lebensrad. Die naturalistischen Figuren erinnern an Auguste Rodin, der
Vigelands Vorbild war. Im Sommer fällt das tiefrote Abendlicht in den Park und
scheint sie lebendig zu machen.
In den 1890er Jahren hielt sich Vigeland, Norwegens berühmter Bildhauer, in
Berlin in einem Kreis skandinavischer Literaten, Künstler und Intellektueller auf,
dazu gehörten z.B. August Strindberg und der dänische Maler und Schriftsteller
Holger Drachmann. Man traf sich im Gasthaus „Zum schwarzen Ferkel“ Unter den
Linden. Hier diskutierte man über Okkultismus, Psychologie und die Philosophie
Friedrich Nietzsches. Mit von der Partie: Edvard Munch.
„Der Fotoapparat kann mit Pinsel und Palette nicht konkurrieren, so lange man
ihn im Himmel und in der Hölle nicht verwenden kann“ sagt Munch. Die Eindrücke
der Seele sind ihm wichtiger als die des Auges. Das wird klar, wenn man ein Bild
wie „Das kranke Kind“ von 1885 anschaut, wo er den frühen Tod seiner Schwester
Sophie verarbeitet, oder „Tod im Krankenzimmer“ aus dem „Lebensfries“, ein Bild
wie das Schlusstableau eines Ibsen Schauspiels. Tatsächlich stattet Munch immer
wieder auch Ibsens Dramen mit Bühnenbildern aus. Eine Serie seiner Bilder hat er
übrigens auch Oslos Landschaft: den Christiania-Fjord zum Thema. Man findet
Edvard Munch in der Nationalgalerie und im Munch Museum in Toyen, das
übrigens in 3 Jahren in ein neues Museum nahe der Oper umziehen soll. Munch,
der sich lange Jahre in Mitteleuropa aufhielt, kam 1909 nach Oslo zurück und
stattete dort die Universitätsaula aus: die Bilder heißen „Sonnenaufgang“,
„Fjord“, „Geschichte der Alma Mater“ und „Die ewigen Kräfte des Lebens“.
Wenig bekannt ist, dass Munch auch Novellen und Kurzgeschichten schrieb. So
kommt es, dass der norwegische Komponist Ketil Bjørnstad zum Jubiläum des Oslo
Chamber Choir 2011 in der Aula der Universität eine Kantate nach Munchs
Texten komponierte. „Soloppgang“ widmet sich hymnisch dem Sonnenaufgang
9
Musik 8
Ketil Björnstad
AMS M0362315(AMS) 01-019
5'15 Soloppgang
Sunrise - A cantata on texts by Edvard Munch
Björnstad, Ketil; Oslo Chamber Choir Björnstad, Ketil; Munch, Edvard; ...
Moderation 9
„Sonnenaufgang“ aus der gleichnamigen Kantate von Ketil Björnstad nach
Edvard Munch mit dem Oslo Chamber Choir.
Vom Hauptbahnhof in Oslo kommt man mit wenigen Schritten zur Oper. Das
Gebäude zu besichtigen lohnt sich: ähnlich wie das Sidney Opera House liegt
diese schlanke, einer Welle ähnliche Baugestalt aus Beton, Marmor, Glas und
Holz, entworfen vom norwegischen Büro „Snøhetta“, direkt am Meer, 2008 war
Eröffnung. Eine an das Gemälde „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich
gemahnende Plastik, die „Eisscholle“, schwimmt beweglich davor auf dem
Wasser. Den Saal mit über 1300 Plätzen erreicht man über eine ganz leicht
schwankende, den Zuschauerraum wie ein riesiger Baumstamm umfassende
Holzwendeltreppe, die den Besucher in die visionäre Welt des Theaters entführt.
Bei einem Rundgang durchs Haus erschließen sich die große Bühnenwerkstatt,
Schneiderei, Ballettsäle und zahlreiche Nebenbühnen. Als ich im März dort war,
konnte ich der Hauptprobe von „Elysium“ von Rolf Wallin zuschauen. Nach „Peer
Gynt“ von Jüri Reinvere ist „Elysium“ bereits die zweite Uraufführung unter der
Intendanz von Per Boye Hansen gewesen, die sich mit der Zukunft des Humanen
befasst. Ich hörte vielfältiges Schlagzeug, Xylophone, Harfen, Bläser, sechsfach
besetzte Celli und Bässe, Szene mit Vater, Mutter, Kind. Es geht um die letzten
vierzig überlebenden Menschen auf der Erde, sie müssen für ihre CyberNachfolger „Fidelio“ Oper darbieten und das geht schrecklich schief. Die
menschliche Frau wäre gerne die transhumane, die andere gerne eher ein
Mensch. Eine fast panische Stimmung vermittelte sich, düster, beklemmend!
Erinnert an Richard Strauss‘ „Frau ohne Schatten“.
Ein bisschen verwandt zur Klangwelt von „Elysium“ ist „Concerning King“, ein
Quartett von Rolf Wallin:
Musik 9
1‘47
Rolf Wallin 3. Satz Ausschnitt
AMS M0052822(AMS) 01-00401-009
23'59 Concerning King Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello
Second string quartet
Arditti Quartet, London Wallin, Rolf
10
Moderation 10
Ein Ausschnitt aus dem 3. Satz des Streichquartetts „Concerning king“ von Rolf
Wallin mit dem Arditti Quartett.
Nördlich des Bahnhofs stößt man übrigens in der Hollendergata 4 auf Willy Brands
Wohnung, der hier in den 1930er Jahren Geschichte studierte und politisch aktiv
war. Damit gehen unsere Streifzüge durch Oslo in der SWR Musikstunde zu Ende.
Die norwegische Hardanger Fiedel soll das letzte Wort haben. Die schön verzierte
Kastenhalslaute hat neben den vier Spielsaiten auch Resonanzsaiten, die wie bei
der Viola d‘amore unter dem Griffbrett liegen und ihr einen starken, vollen Klang
verleihen. Miriam Andersen und ihr Ensemble spielen Tanzmelodien der
Wikingerzeit: „Olaf und Harald im Wettstreit um das Königteich von Norwegen“.
Am Mikrofon war Anette Sidhu-Ingenhoff.
Musik 10
Hardanger Fiedel
Ausschnitt
AMS M0320686(AMS) 01-006
11'34 Tanzmelodien der Wikingerzeit (Die
beiden Brüder St. Olaf & Harald im Wettstreit um das Königtum von Norwegen) für
Harfe, Flöte, Gesang, Fidel. Mandora und Gesang
Konzert mit Miriam Andersen, Ale Möller (Møller) und Gunnar Stubseid vom
17.06.2012 in Freyburg an der Unstrut
Andersén, Miriam; Møller, Ale; Stubseid, Gunnar Traditional