Baurecht Zeitschrift für Baurecht und Vergabewesen Droit de la construction Revue du droit de la construction et des marchös publics Wesen und Unwesen der Bauwesenversicherung Hans-Ulrich Brunner Accords de transfert de droits ä bätir entre communes Benoft Bovay Garantien auf erstes Anfordern in Bauverirägen mit dem Staat Martin Werner Rechtsprechung zum Privatrecht — Jurisprudence en droit prive Bussmann / Demierre / Göksu / Heinzmann / Hürlimann-Kaup/ Pichonnaz/ Reetz/Schmid / Schweryl Siegenthaler/ Steinauer/ Stöckli /Werro • A Institut für Schweizerisches und Internationales Baurecht Institut paur le droit suisse et international de Ta construction Universität Freiburg Universit de Fribourg — Schuitliess BR/DC 312016 Wesen und Unwesen der Bauwesenversicherung Hans-Ulrich Brunnei Dr. jur., Rechtsanwalt, LL.M.. Zürich 1. Einleitung 1. Die Bauwesenversicherung versichert in ihrem Kern bereich‘ (a) Bauleistungen, einschliesslich aller zugehörigen 2 gegen Baustoffe und Bauteile (versicherter Gegenstand), (b) Beschädigungen oder Zerstörungen, die durch unvorher gesehene Bauunfälle verursacht werden und während der 3 und Versicherungsdauer eintreten (versicherte Geflzhren), (c) die nach den STA-Normen zulasten des Bauherrn, der Geologen, Architekten, Ingenieure und Bauleiter sowie aller am Bauwerk beteiligten Unternehmer und Subunternehmer gehen (versicherte Interessen) .‚ 2. Mit einem solch breiten Deckungsumfang ist die Bau wesenversicherung ein interessantes Versicherungsprodukt, zumal sie in einem Umfeld wirkt, das gekennzeichnet ist durch gewichtige praktische Schwierigkeiten und rechtlich komplizierte Abgrenzungs- und Koordinationsfragen. Wäh rend der Baurealisierungsphase arbeiten Planer, Unterneh mer, Lieferanten neben- tind nacheinander, üblicherweise unter Zeit-, Kosten- und Qualitätsdruck. Ein Schadenfall stört den Bauablauf, und dies ganz besonders dann, wenn unklar ist, wer die finanziellen Konsequenzen tragen muss. Auch fehlt es schlicht an Zeit und Energie. heikle (juristi sche) Abgrenzungsfragen zu klären, und solche Abgren zungsfragen stellen sich in verschiedener 1-linsicht. 3. Ein erster Fragenkomplex betriffi die Veigiitungsgejih;; d.h. das Risiko, (als Unternehmer) fiir die untergegangene Bauleistung keine Vergütung zu erhalten bzw. (als Besteller) die Bauleistung trotz Untergangs vergüten zu müssen. So ist es im Grundsatz zwar der Unternehmer, der bis zurAbnahrne des Werks die Vergütungsgefahr trägt (Art. 376 Abs. 1 OR; Art. 1 87 Abs. 2 SIA-Norm 118). Doch wird dieser Grund satz zugunsten des Unternehmers von diversen Ausnahmen durchbrochen, die grosses Diskussionspotenzial in sich ber 5 Und ohnehin liegt das wirtschaftliche Risiko in aller gen. Regel gerade umgekehrt zur juristischen Gefahrtragungsre gel, weil der Unternehmer üblicherweise nach Baufortschritt vergütet ist, sodass bei Untergang der Bauleistung faktisch vorab einmal der Besteller «für nichts bezahlt» und nicht der Unternehmer «umsonst gearbeitet» hat. 4. Ein zweiter Fragenkomplex beschlägt die Koordination und Verantwortlichkeitszuordnung, die im Baubereich, in dem viele Beteiligte zusammenwirken, generell viel Streitstoff liefern. Hinzu kommt Folgendes: a. Sachenrechtlich wird der Besteller aufgrund des Akzessi onsprinzips häufig bereits vor Abnahme Eigentümer der Werkleistung. Zerstört oder beschädigt ein Dritter die Werkleistung, so ist der Besteller zwar in seinem Eigentum ver letzt, aber nicht geschädigt, solange der Unternehmer die Vergütungsgefahr trägt. Der Unternehmer wiederum ist al lein in seinem Vermögen geschädigt, nicht aber in seinem Eigentum. Einen solchen reinen Vermögensschaden müsste der Unternehmer gegenüber einem Dritten, mit welchem er vertraglich nicht verbunden ist, gestützt auf eine ausserver tragliche Haftung (Art. 41 OR) geltend machen; das wird aufgrund der objektiven Widerrechtlichkeitstheorie aber in aller Regel daran scheitern, dass der ins Recht gefasste Drit te keine spezifische Schutznorm verletzt hat. Die Schnittstel le von Akzessionsprinzip und Vergütungsgefahr führt mithin dazu, dass der Dritte (insbesondere z.B. ein Nebenunterneh mer), auch wenn er unbestreitbar einen Fehler begangen hat, einer Ersatzpflicht entgeht. Diese Situation erscheint unbe friedigend, weshalb Konzepte auf Schadenersatzebene (wie die Drittschadensliquidation) entwickelt wurden und woraus sich auch die bereits angesprochene Tendenz erklärt, dem So behält der Unternehmer seinen Vergütungsanspruch z.B. datm wenn bzw. insofern er sein Werk abgeliefert hat, wobei auch eine Teilablie/ü ?tnig infrage kommt (vgl. PriF.l?. GAuCH. Der Werkvertrag, 5. Aufl., Zü rich 2011, Nr. 1186);— wenn der Besteller sich in Annahrneverzug befin det (Art, 365 Abs. 1 OR, Art. 187 Abs. 4 SIA-Nonn 118), wobei unter Annahmcverzug auch ein Verzug des Bestellers mit Afitivirkungshand ltmgeit fällt, die für die Herstellung des Werkes notsvendig sind (vgl. GAUCH, Nr. 1192); wenn das Werk infolge einer vom Besteller erteilten .‘lusfültrung.sanweistnt.g oder wegen des vorn Besteller gelieferten Baustoffs oder des angewiesenen Baug;undes untergeht und der Unterneh mer rechtzeitig auf die damit verbundenen Gefahren hingewiesen hat (Art. 365 Abs. 3 OR; Art. 188 Abs. 1/3 SIA-Norm 118), wobei auch die niangelhafte Vorarbeit eines Nebenuntertiehmers wie mangelhafter Baustoff oder Baugrund zu behandeln ist (vgl. GAudi. Nr. 1 199a); wenn das Werk durch einen Nebenunternelt;iter zerstört bzw. beschädigt wird, der auf Veranlassung des Bestellers das Werk des Unternehmers einem ((aussergewöhnlichen Risiko» aussetzt oder dieses im Einverständnis szum Weiterbau oder zu einem sonstigen Zweck gebraucht» (vgl. Gucrt. Nr. l199a). — 2 Die Bauwesenversicherung bildet ferner Ausgangspunkt für eine Fülle von Zusatz- und Ergänzungsversicherungen im Zusammenhang mit Bau vorhaben, die je nach Versicherungsgesellschaft inbegriffen sind oder besonders vereinbart werden müssen, so z.B. für die Versicherung von: Schadensuchkosten: Aufriiumungskosten; Kosten für den infolge des Schadenereignisses notwendigen AbbruchWiederaufbau nicht beschä digter Bauwerksteile; Feuer- und Elementarschäden in Ergänzung zur kantonalen oder privaten Feuerversicherung; Notdächern bestehenden Bauten: Fahrhabe; Baugeräte. Werkzeuge und Baumaschinen; Sachen an Kranen (Hakenversicherung): Expertenkosten; Unterbrechungsschäden; Mehrkosten infolge eines Schadenfalles wie z.B. Überzeitentschädigun gen. Nacht- und Feiertagszulagen uss Art. 1.1 der Allgemeinen Bedingungen für die Bauwesenversicherung, Ausgabe 2010 der unverbindlichen Musterbedingungen des SVV (nach folgend zitiert als «A‘vB-SVV»). Art. 2.1.1 AVB-SVV. Art. 3.1 AVB-SVV Abkürzungen: BR/DC 2016 S. 64 ff. Abräviations: BR/DC 2016 p. 64 ss — — 129 BR/DC 3/2016 Besteller auf Ebene Vergütungsgefahr nicht nur das Verhal ten seiner beauftragten Hilfspersonen (Planer, Bauleitung), sondern auch dasjenige von Nebenunternehmern zuzurech 6 nen. b. Je mehr konkurrierende Verantwortlichkeiten vorliegen, umso mehr Raum entsteht für graduell abgestufte bzw teil— zugeordnete Verantwortlichkeitsbereiche. Beruht der Unter gang des Werkes also z.B. sowohl auf‘ einem Mangel, für welchen der Besteller direkt oder aufgrund eines zugerech neten Bauleiterverhaltens einzustehen hat, als auch auf einer Verletzung der Sorgfaltspflicht des Unternehmers bei Aus führung des Werkes, so steht dem Unternehmer ein reduzier ter Vergütungsanspruch zu. 7 Daran anschliessend rrntss sich der Besteller mit seinem Bauleiter auseinandersetzen, inso fern das dem Besteller zugerechnete Fehlverhalten eine Ver tragshaftung des Bauleiters gegenüber dem Besteller be 8 gründet. c. Schliesslich finden sich Vertragsregeln wie Art. 31 SIA Norm 118, wonach bei nicht feststcllbarem Verursacher ei nes Bauschadens «die zur Zeit des Schadenereignisses am Bau tätigen Unternehmer den Schaden im Verhältnis der Rechnungsbeträge ihrer Arbeiten anteilmässig zu tragen» haben. Diese doch eher grobe Regel ist inhaltlich nicht ein fach zu vermitteln und bietet vielfiultigen Diskussionsstoff in der konkreten Anwendung, zumal die Umsetzung der Bauleitung obliegt, die unter Umständen selbst als potenziell Mitverantwortliche in Betracht fällt. 9 Aus grundsätzlicher Sicht stellt sich die Frage, ob die von Art. 31 SIA-Norm 118 statuierte «Sippenhaft für unbekannte Schädigungen»‘° eine 8 Vgl. Fn. 5 und zum Ganzen: GAUCII (Fn. 5), Nr. 1188.— In der Praxis ist ein Teil der I-laftpflichtversieherer in den genannten Fällen von Nebenun ternehmerschädigungen bereit, trotz an sich fehlender Haftung eine Ver sicherungsleistung in Betracht zu ziehen (selbst bei fehlender Deckung reiner Vermögcnsschäden). Dies gilt auch in der Auseinandersetzung mit einer bevorschussenden Bauwesenversicherung, bei der gemäss Empfeh lung der Schadenleiterkonferenz die Einrede fehlender Deckung und Haftung wegen reinen Verrnögensschäden nicht erhoben werden soll. Was Art. 188 Abs. 5 SIA-Norm 118 explizit vorsieht und sich allgemein über Beizug des analog angewendeten Art. 44 OR begründen lässt (vgl. GAUCH [Fn. 5], Nr. 1214). Beispiel: BGE 119 11127 lag der Sachverhalt zugrunde, dass bei Mon tage von Betonclementen das zu erstellende Zwischengeschoss ein stürzte, wofür sowohl der Unternehmer (mit einer «Quote» von 30%) als auch der von der von der Bauherrin beauftragte Ingenieur (mit einer «Quote» von 70%) verantwortlich erklärt wurden. Nach korrekter Ana lyse (und in Abweichung zum Bundesgericht und den Vorinstanzen; vgl. hierzu GAudi. Vom Untergang eines Werkes in: BRIDC 1994, 5. 42 ff.) ging es um den Vergütungsanspruch des Unternehmers gegen über der Bauherrin für das untergegangene Werk, welchen der Unterneh mer in Anwendung von Art. 188 Abs. 5 SIA-Norm 118 im Umfang von 30% aufgrund eigener Verantwortlichkeit verlor und im Umfange VOfl 70% behielt. Für diese 70%, welche die Bauherrin der Unternehmerin hätte zahlen müssen, wird der Ingenieur haftpflichtig. Des Weiteren stellt sieh z.B. die Frage, in welchem Verhältnis Art. 31 SIA-Norm zur oftmals anzutreffenden Vertragsklausel steht, wonach bei jedem Unternehmer pauschal ein prozentualer Werkpreisabzug (z.B. 0,5% der Bausumme) für «Schaden, dessen Verursacher nicht festgestellt werden kann« vorgenommen wird (vgl. ROLwD HÜP.1IMANN, Kommen tar zur SIA-Norm 118, Art. 1—37, Zürich 2009, N 12 zu Art. 31). Vgl. ROLSND l-lÜlsUMANN, Gemeinsame Schadenersatzpflicht von Unter nehmern bei unbekanntem Verursacher nach Art. 31 der S1A-Norm 118, in: Jusletter 13. Juni 2005, Rz. 20. Haftungsnorrn darstellt oder nicht eher eine reine Gefahrtra gungsregel über die Zuordnung von Schäden mit nicht fest stellbarern Verursacher; geht man von einer vertraglichen Risikozuordnung (und nicht einer Haftung) aus, so ist dem Unternehmer, der von der Bauleitttng zur Schadensübernah mc angehalten wird, die Möglichkeit genommen, von seiner Haftpflichtversicherung Deckung zu erhalten.‘‘ 5. Die angetönten Aspekte erklären den Versicherungsbe darf und die Bauwesenversicherung wird denn gerne auch als «Wohlflihiversicherung» für Bautätigkeiten vermarktet. Kommt es zu einem (finanziell bedeutenden) Schadenfall, zeigt sich aber nicht selten, dass die Erwartungen der invol vierten enttäuscht werden. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Bauwesenversicherung juristisch ein hy— brides und chamäleonartiges Konstrukt darstellt, das prak tisch relevante Qualifikationsfragen aufwirft und dessen Ko ordination mit anderen Ersatzsystemen heikel ist. Mit speziellem Fokus auf diese Aspekte werden im Folgenden einige Streiflichter auf die Bauwesenversicherung gewor 2 fen.‘ II. Streiflichter A Bauwesenversicherung als Sachversicherung? 1. Die Bauwesenversicherung wird mitunter als «Sachversi cherung des in Entstehung begriffenen Bauwerks»‘ 3 bezeich net und beworben mit Aussagen, wonach die Bauwesenversi cherung Deckung für die Sachschäden infolge von Battunfällen biete bzw. die Bezahlung von Sachschäden auf der Baustelle übernehme. Die Fokussierung auf die Sachver sicherung wird durch Ersatzregelungen unterstrichen, wo nach die Versicherungsleistung im Kernbereich der Bauwe senversicherung darin besteht, die Kosten für die Wiederherstellung der versicherten Bauleistungen in den Zustand unmittelbar vor dem Schadenereignis zu überneh 4 men.‘ „ 2 ...‚ 130 Gleiches gilt für die Bauwesenversicherung, die eine bevorschusste Zah lung von der Haftpflichtversicherung der «sippenhaftpflichtigen» Unter nehmer zurückfordern will (vgl. hier2u II. C 2.). Grundsätzliehere Darstellungen zur Bauwesenversicherung finden sich z.B. bei STEI‘HAN FUHRER, Versicherung von Bauschäden System und Praxisfragen, in: Schweizerische Baurechtstagung 2005, S, 169 ff.; FELIX HUBER, Versicherungsfragen des Baus, in: Peter Münch/Peter Kar len/Thomas Geiser (Hrsg.), Beraten und Prozessieren in Bausachen, Ba sel/Genf/München 1998, 5. 747 ff., insb. 782 lT.; WEREER SC‘IIWANDLR. Versicherung des Bauherrn/Versicherung des Unternehmers, in: Bau rechtstagung Fribourg 1981; HIJEERT STÖCKLI, Versicherungen beim Bauen und was die AVB sagen, Schweizerische Baurechtstagung, Frei burg 2011,1ff. SCIIWANOER (Fix 12), 5. 19; ebenso: STEPhAN FUIIRFR, Zur Rechtsnatur von Vorschussleistungen in der Bauwesenversicherung, IIAVE 2014, 214 («Sie gehört zu den Saehversieherungen») oder HUBER (Fn. 12), ZiIT. 18.4 und 18.135. Art. 5.2.1 AVB-SVV Solche Ersatzregelungen sind typisch für Sach versicherungen (vgl. BSK VVG-BRUNNEIE, Art. 62, N II). -- — ‚ ‚ — SRIDC 3/20113 2. Ruft man sich dagegen die eingangs geschilderten Rah menbedingungen in Erinnerung, so ist die Bauwesenver sicherung weit entfernt von einer reinen Sachversicherung: a. Der Bauunfall, den die Bauwesenversicherung voraus setzt, verursacht zwar in aller Regel einen Sachschaden. Doch ist dieser «Sachschaden» vorerst untechnisch‘ 5 zu ver stehen (im Sinne einer «kaputten Sache»), bildet er doch mehrheitlich bloss den Ausgangspunkt für reine Vermögensbeeinträchtigungen (und insofern Vermögensversicherun gen). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es um den Verlust des Vergütungsanspruches für bereits erbrachte Bauleistungen geht. weil der betroffene Unternehmer die Vergütungsgefahr trägt (vgl. vorne 1. 3.). Ebenfalls geht es um eine Vermögensversicherung, wenn ein (unter der Bauwesenversicherung mitversicherter) Baubeteiligter haftbar wird. Eine Sachversi cherung liegt dann vor, wenn ein (ins Eigentum des Bestel lers übergegangener) Werkteil abgenommen ist und danach beschädigt wird‘ 6 oder wenn der Bauherr Baustoff lieferte und diesbezüglich von Anfang an die Gefahr trug.‘ 7 b. Geht es um die Vergütungsgefahr im Verhältnis zwischen Unternehmer und Besteller, so steht nach Werkvertragsrecht immer ein Vergütungsanspruch für die unteigegangene Bauleistung zur Diskussion.‘ 8 Die Bauwesenversicherung ersetzt demgegenüber «die Kosten für die Wiederherstellung der versicherten Bauleistungen in den Zustand unmittelbar vor dem Schadenereignis» (Art. 5.2.1 AVB-SVV). Die Wiederherstellungskosten stimmen zwar oftmals, aber nicht immer mit dem Vergütungsanspruch für die untergegangene Bauleistung überein. Unterschiede ergeben si eh beispielsweise bei schwankenden Rohstofljreisen, Währungsverlusten oder Wegfall des ursprünglichen Unternehmers.‘ 9 Ferner stellen sich die bei der Sachversicherung typischen Fragen, ob eine ‚> 4 ‚> >6 ‚ Zum Rechtsbegriff des Sachschadens vgl. WALTER FrLLNIANN, Substanz beeinträchtigungs- und Funktionsbeeinträchtigungstheorie beim Sach schaden — Fata Morganen am juristischen Horizont, in: Fuhrer/Chappuis (Hrsg.), Liber amicorum Roland Brehm, Bern 2012, S. 136 ff. Ein solcher Fall ist deshalb nicht so häufig, weil die Bauwesenversiche rung über eine beschränkte zeitliche Deckung verfügt. Sie endet in dem Zeitpunkt, (a) in dem sämtliche versicherten Bauleistungen abgenommen sind oder als abgenommen gelten bzw. (b) in dem einzelne Baukörper fertiggestellt oder bezogen sind (bei Gesamtüberbauungen oder bei gestaffelter Ingebrauchnahme einzelner Bauteile) vgl. Art. 10.1 AVB SVV Die Frage, ob ein Sach- oder (reiner) Vermögensschaden vorliegt, ist nicht bloss von akademischem Interesse, sondern aktualisiert sich in der Praxis z.B. dann, wenn die Koordination mit einer Berufs-/Betriebshaft pflichtversicherung ansteht, die standardmässig «Personen- und Sach schäden» deckt, nicht aber (reine) Vermögenssch,iden. Trägt der Unternehmer die Vergütungsgefahr. so erhält er für das bisher Geleistete keine Vergütung und bleibt im Normalfall. da er auch die Leistungsgefahr trägt. verpflichtet, zum seinerzeit vereinbarten Preis die weiterhin geschuldete Leistung zu erbringen (GAUCH [Fn. 5], Nr. 1204 f.). Trägt der Besteller die Vergütungsgefahr. so hat er den Unternehmer flur dessen bereits erbrachte Leistung zu vergüten (GAUCH [Fn. 5], Nr. 1204 f.). Der Untergang des Werkes wirft nicht nur die Frage nach den finanziellen Konsequenzen, sondern auch diejenige nach dem Vertragsschicksal auf und kann durchaus zu einer Vertragsauflösung führen (sei es wegen aus serordentlicher Umstände i.S.v. Art. 59, sei es nach Art. 187 Abs. 1 / Art. 188 Abs. 1 SIA-Norm 118). Wiederherstellungsobliegenheit besteht und was gilt, wenn eine Wiederherstellung gar nicht mehr möglich ist. ° 2 B Zu den «versicherten Interessen» 1. Durch die breite Umschreibung. wonach alle Schäden an Bauleistungen. «die nach den SIA-Normen zu Lasten des Bauherrn. der Geologen. Architekten. Ingenieure und Bauleiter sowie aller am Bauwerk beteiligten Unternehmer und Subunternehmer gehen», als «versicherte Interessen» gelten, wird sichergestellt, dass es für die Erbringung einer Ver sicherungsleistung nicht darauf ankommt, wer die Versiche rung abschliesst ‘ und ob die komplizierten Konstellationen 2 betreffend Gefahrtragung bis ins Detail geklärt sind. 22 2. Ergänzend ergeben sich zwei Bemerkungen: a. Der in den AVB vermerkte Verweis auf «versicherte In teressen» nimmt die Worte von Art. 48 VVG auf, wonach jedes wirtschaftliche Interesse am Ausbleiben eines beftirch teten Ereignisses Gegenstand der Schadensversicherung sein kann. Ob die Autoren der AVB damit aber gleichzeitig ein Votum im Theorienstreit um die Sinnhaftigkeit und Notwen digkeit der «lnteressenlehre» abgeben wollten, darf bezwei felt werden. 23 Praxisrelevant ist dagegen, dass alle genannten Baubeteiligten versichert sind und entsprechend auch An spruchsberechtigte werden können. 24 Dass ein Forderungs recht für Ersatzleistungen einzig dem Versicherungsnehmer 25 ist dagegen weder zwingend noch (soweit ersicht zusteht, lich) üblich und ergibt sich jedenfalls nicht aus der reinen Abwicklungsregel, wonach bei «Versicherung für fremde Rechnung der Schaden zwischen dem Versicherungsneh trier und der Gesellschaft ermittelt» wird (Art. 17.1 AVB 26 SVV). ... 20 2 Die Wiederherstellungsobliegenheit ist z.B. bei der (Feuer-)Versicherung von Gebäuden gesetzlich angesprochen (vgl. Art. 63 VVG). Der spezielle (auch historisch begründete) Normzweck lässt sich aber nicht auf die Bauwesenversicherung übertragen. In der Praxis ist das in aller Regel der Besteller oder ein Generalunterneh mer. Geht man die AVB-SVV durch, so kommt der Frage, wer als Ver sicherungsnehmer auftritt, noch Bedeutung zu im Zusammeishang mit der Prämienabrechnung (Art. 14, 15.2), bei Zustellungen (Art. 9.1). der Vertragsauflösung (Art. 11.1, 13.2( und der Schadenserisiitllung (Art. 17.1). Demgegenüber sind andere Bestimmungen sowohl an den Versicherungsnehmer als auch an den Anspruchsberechtigten adressiert (so z.B. die Obliegenheiten. Art. 12 und Art. 16, der Uberga,sg von Er satzansprüclsen, Art. 20.1. und der Gerichtsstand. Art. 23.11. Anders verhält es sich dagegen im Falle einer involvierten Haftung, vgl. hierzu 11. C. 2. Vgl. hierzu namentlich STEPHAN FUHRFR. Vom Gegenstand der Versiche —. 25 rung, in: Stephan Fuhrer [Hrsg]. Schweizerische Gesellschaft für Haft pflicht- und Versicherungsrecht Festschrift zum fünfzigjährigen Beste hen. Zürich 2010. 133 ff.. und die Entgegnungen in BSK VVG Nachf. Bd., Bou STADELMANN STÖCKLt. Art. 48. ad N 4. Vgl. die AVB-Hinweise in Fn. 21. Die AVB gewisser \‘ersicherer be zeichnen die Versicherten auch als «Nutzniesser». So offensichtlich eine anzutreffende AVB-Klausel. zitiert bei STÖCKJI (Fn. 12), S. 9. Vgl. Peter GAUdI, Kommentar zur SIA-Norm 118, Art. 157—190. Zürich 1991, Art. 189. N 4: ><... diese (nur schwer verständliche) Bestimmung — 24 23 26 131 8RIDC 3/2D6 b. Unklar bleibt die Zielrichtung der Formulierung «nach den Normen der SIA». wonach anscheinend auch dann die Vergütungslage nach den STA-N ormen massgeblich sein 27 Wenn aber soll, wenn diese gar nicht vereinbart wurden. über das «versi Umschreibung breiten mit einer möglichst cherte Interesse» die Diskussion um die Schadenszuordnung unter den Baubeteiligten gerade verhindert werden soll, kann es nicht darauf ankommen, ob diese interne Zuordnung nach SIA-Normen, nach einer anderen Vereinbarung oder nach 28 Gesetz erfolgt. C Bevorschussung von Haftpflichtfällen 1. Eines der wesentlichen Vermarktungsargumente der Bau— wesenversicherung geht dahin, dass sie entsprechend den Wünschen und Bedürfnissen der Bauwirtschaft einen naht losen Versicherungsschutz und insbesondere auch die schnelle und unkomplizierte Finanzierung der nach einem Schadenereignis anfallenden Wiederherstellungskosten ge währleisten soll. Steht bei einem Bauunfall infrage, ob ein Baubeteiligter daflir haftet (was fast immer der Fall sein dürfte), so lässt sich der Anspruch nach einer effizienten und kundenfreundlichen Schadenerledigung nicht erfiillen. wenn sich Bauwesen- und Haftpflichtversicherung in einem Schwarz-Peter-Spiel gegenseitig blockieren. Die Schaden leiterkommission des SVV erliess deshalb schon 1995 Empfehlungen, wonach der Bauwesenversicherer die Feder ifihrung bei der Schadenerledigung übernehmen und der l-Iaftpfl ichtversicherer konstruktiv dabei mitwirken soll. 2. Ergänzend zu diesen (wichtigen!) praktischen Aspekten verspricht die Bauwesenversicherung regelmässig eine «Be vorschussung». Dabei geht es um Folgendes: a. Unter der Bauwesenversicherung sind auch solche Bauunfälle versichert, die zulasten der Geologen. Architekten, Bauleiter und Ingenieure gehen (Art. 3.1 AVB-SVV). Da die genannten Planer in Bezug auf die Bauleistung eines Unter nehmers keine Gefahr tragen, kann ein Bauunfall nur dann zu ihren Lasten «gehen», wenn sie haftpflichtig werden; gleich verhält es sich, wenn ein Bauunfall zulasten eines Un ternehrners «geht», der die Bauleistung eines Nebenunter 29 In solchen Fällen ist die Bauwesenver nehmers beschädigt. sicherung nichts anderes als eine Versicherung der Haftpflicht der genannten Baubeteiligten im Sinne einer Versicherung für fremde Rechnung gemäss Art. 16 f. VVG. b. Da diese Baubeteiligten jedoch regelmässig selbst schon über eine Haftpflichtversicherung verfügen, koordiniert sich 27 28 > äussert sich einzig zur Ermittlung des Schadens, nicht aber zur Frage, wer anspruchsberechtigt ist.» Vgl. GAIJCH (Fn. 26), a.a.O. So auch STÖCKLI (Fn. 12), 5. II: ><Die endgültige Verteilung des Scha dens ist nichts, was die Bauwesenversicherung unter diesem Gesichts punkt zu kümmern hätte» Unter Vorbehalt der unter 1. 4. a. beschriebenen Komplikationen. 1.) 1 der Bauwesenversicherer, indem er über eine Subsidiärrege lung die im Grundsatz gewährte Haftpflichtdeckung wieder einschränkt. Danach sind nicht versichert: «Schäden. die durch den Haftpflichtversicherer eines an der Erstellung des Bauwerkes Beteiligten, dessen Interessen auch im Rahmen dieses Vertrages mitversichert sind, übernommen werden müssen» (Art. 4.1 .1 AVB-SVV). Die Bauwesenversicherung verschaffl insofern nur einen ergänzenden, auf die Bauzeit des zu erstellenden Bauwerkes terminierten Schutz vor Haft pflichtansprüchen. Die Ergänzung ist allerdings durchaus bedeutungsvoll: Erstens ist die Bauwesenversicherung regel mässig vorteilhafter bei den Selbstbehalten, bei den Limiten (z.B. betreffend Versicherung von Planerhaftung für Bautenschäden und -mängel) und im Deckungsbereich (z.B. De » sowie kein Ausschluss 7 ckung reiner Vermögensschäden von Obhuts— und Bearbeitungsschäden für Unternehmer). Zweitens greift die Bauwesenversicherung. wenn immer die konkrete Betriebs-! Berufshaftpflichtversicherung eines Pla ners oder Unternehmers durch andere Schadenfälle belastet ist oder wegen Präm ienzahlungsrückständen ruht. Und drit tens vermittelt die Bauwesenversicherung Haftpfl ichtschutz weitgehend ohne risikoentsprechende Vorkehren, also nicht nur ohne die bereits erwähnten Lirniten und Ausschlüsse, sondern auch ohne Prämienkalkulation entsprechend der spezifischen Unternehmer- bzw. Planertätigkeit. c. Die Subsidiarität der Haftpflichtversicherung unter der Bauwesenversicherung ist einleuchtend, funktioniert im zeit lichen Ablauf aber nicht. Denn aufgrtnid der Tatsache. dass bei Bauunfällen regelinässig viele Parteien involviert sind und diverse Ursachen mitwirken, lässt sich die Frage, ob überhaupt und inwieweit eine (oder mehrere) andere Haftpflichtversicherung(-en) Deckung gewährt bzw. gewäh ren, erst nach aufwendigen, zeitraubenden Sachverhalts abklärungen beantworten. Damit wird das Bedürfnis nicht befriedigt, bei einem Bauunfall unkompliziert und sofort die notwendigen Barmittel für die Fertigstellung bzw. den Wie deraufbau zu erhalten und das ohnehin schon zurückge worfene Bauprojekt unbekümmert von Versicherungs deckungsfragen rasch weiterzuverfolgen. Deshalb erbringt die Bauwesenversicherung selbst für den Fall, dass der Haftpflichtversicherer eines Baubeteiligten dereinst einmal einen Bauunfall «übernehmen muss», vorab Zahlungen. Nach Art. 4.1 .1 AVB-SVV bevorschusst die Bauwesenversi cherung «die vom Haftpflichtversicherer zu erbringende Leistung». Damit wird die Zeit überbrückt, bis alle Haf tungsfragen geklärt sind und zudem feststeht, inwieweit die Verantwortlichen über ihre individuellen Haftpflichtversi cherungsverträge Deckung geniessen. Erst dann lässt sich in der Folge juristisch qualifizieren. ob und in welchem Umfan ge die in jedem Fall zu leistende Zahlung der Bauwesenver sicherung erfolgte (a) als Sachversicherung für Sachschäden bzw. Vermögensversicherung für versicherte «Bauleistun gen» oder (b) als Haftpflichtversicherung eines Baubeteilig ten oder (c) als temporäre Leistung («Vorschuss») anstelle Vgl. aber Fn. 6. BR/DC 3/2016 der Deckungsleistung der Haftpflichtversicherung eines Baubeteiligten. d. Bevorschusst wird, wie soeben erwähnt, die «vorn Haft pflichtversicherer zu erbringende Leistung», mithin also die Deckungsleistung, womit der Haftpflichtversicherer seinen Haftpflichtversicherten von der Haftpflicht befreit. Die Bau wesenversicherung befriedigt somit den Deckungsanspruch des Haftpflichtversicherten und bevorschusst die Ersatzleis tungspflicht des Haftpflichtversicherers. Deshalb kann die Bauwesenversicherung vorn Baubeteiligten, der gegenüber seiner Berufs- bzw. Betriebshaftpflichtversicherung an spruchsberechtigt ist, verlangen, «sämtliche Ersatzansprü che bis zur Höhe des gewährten Vorschusses abzutreten» (Art. 4.1.1 AVB-SVV) ‘ Nach einer solchen Abtretung kann 3 die Bauwesenversicherung sich in der Folge direkt mit der Haftpflichtversicherung auseinandersetzen, ob und in wel chem Umfang ihr der «Vorschuss» unter dem konkret gelten den Haftpflichtversicherungsvertrag des Baubeteiligten die vorgeschossene Deckungsleistung zurückvergütet wird. 3. Was die Qualifikation der «Bevorschussung» anbelangt, so gibt es freilich Stimmen, die in Abweichung zu den vor stehenden Ausfiihrungen vertreten , der Vorschuss sei ein 32 Darlehen nach Art. 3 12 OR zwischen der Bauwesenversiche rung (als Darleiherin) und dem Bauherrn (als Borger); der Bauherr zahle sein Darlehen zurück, indem er an Zahlungs statt seine Schadenersatzforderung gegen den haftpflichtigen Baubeteiligten abtritt. Diese Qualifikation wirkt gekünstelt und überzeugt von der Sache her nicht: a. Erstens lässt sich die Darlehenskonstruktion schlecht mit dem Text vereinbaren, wonach die Bauwesenversicherung «die vom Haftpflichtversicherer zu erbringende Leistung» bevorschusst. Die Leistung des Haftpflichtversicherers be steht abgesehen von der Abwehr unbegründeter Ansprü che darin, seinen Versicherungsnehmer (also den haft pflichtigen Baubeteiligten) von den Folgen einer Haftpflicht zu befreien. Der Bauherr als Geschädigter hat demgegenüber keinen Anspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Baubeteiligten. — — b. Zweitens ist die Darlehenskonstruktion nicht plausibel, weil es an den klassischen Elementen eines kaufmännischen Darlehens im Sinne von Art. 312 if. OR fehlt, wonach sich der Darleiher zur Übertragung einer Summe Geldes und der Borger zur Zahlung von Zinsen und zur Rückerstattung verpflichtet. Beim Vorschuss der Bauwesenversicherung be steht von Anfang an keine Pflicht zur Rückzahlung des «Dar lehens», insoweit die Zahlung aus den abgetretenen Ersatz ansprüchen geringer ausfällt als der Vorschuss . Nicht 33 vorgesehen ist auch eine Zinspflicht, obwohl diese im kauf männischen Verkehr ohne explizite Abrede gelten würde (Art. 3 13 Abs. 2 OR). Die Abtretung eines Anspruchs gegen einen «Vorschuss», der nicht zurückbezahlt und verzinst werden nmss, läuft im Ergebnis auf einen Forderungskauf durch die Bauwesenversicherung hinaus. Dass solche Forde rungskäufe das in AVB geregelte Standardkonzept der Bau wesenversicherung sein soll, überzeugt nicht. c. Völlig unbefriedigend ist schliesslich die Konsequenz der «Darlehenskonstruktion», dass der Bauwesenversicherer ge stützt auf die abgetretenen Haftpflichtansprüche gegen einen Baubeteiligten vorgehen soll, den er gerade selbst (wenn auch subsidiär) haftpflichtversichert. Dies gilt umso mehr, als der (potenziell) haftpflichtige Baubeteiligte unabhängig vom Bauherrn anspruchsberechtigt ist unter der Bauwesen versicherung und insofern einen eigenen Anspruch darauf hat, dass der Bauwesenversicherer die vom Haftpflichtversi cherer zu erbringende Leistung bevorschusst. d. Letztlich geht es um die Koordination von zwei Haft pflichtversicherungen, wovon eine subsidiär decken, aber zeitlich prioritär zahlen soll, die andere primär decken, aber zeitlich nachrangig zahlen soll. Dass zwei Haftpflichtversi cherer zusammentreffen, ist an sich nichts Ungewöhnliches im Versicherungsbereich und wird üblicherweise mit gesetz lichen Bestimmungen oder Vertragsregeln gelöst , ohne 34 dass mit Darlehen argumentiert werden muss. Solche Dar Iehenskonstruktionen bergen denn auch vielmehr die Gefahr, dass sie in der Praxis zu Irrungen und Wirrungen führen und den Hauptzweck der Bauwesenversicherung unterlaufen, relativ unkompliziert eine Geldzahlung zu erbringen und so den Bauablaufprozess zu fördern. Ferner werden die «Ver renkungen» als Indiz dafür gesehen, dass der Bauwesenver sicherer die Regressordnung von Art. 5 1 OR überspielen wolle, in welche er sonst fallen würde . Dies ist als Nächstes 35 anzusprechen. 13 31 32 Im Lichte der Empfehlung der Schadensleiterkonferenz des Schweizeri schen Versicherungsverbandes liesse sich wohl zwischen Versicherun gen, die Mitglied des SVV sind und sich an diese Empfehlung halten, durchaus argumentieren, dass es keiner separaten Abtretung mehr be dürfe, sondern eine Subrogation im Sinne von Art. 110 Ziff. 2 OR stattfinde. Jedenfalls ist es nicht statthaft (und wäre es unter der Empfehlung, konstruktiv und sachlich mitzuwirken, auch nie gewesen), dass ein Be rufs-/Betriebshaftpflichtversicherer sich auf die standardrnässig vorgese henen Zessionsverbote in den AVB zur Berufs-/Betriebshaftpflichtversi cherung beruft. FIJIIRER (Fu. 13), 5. 215; [DEM, (Fu. 12), 5. 179 f. Auch in der Praxis kommt es vor, dass der Bauwesenversicherer dem Besteller ein «Darle hen» gewährt, was jedoch im Bereich der Subsidiaritätsklausel unisötig, ausserhalb der Subsidiaritätsklausel unwirksam ist (vgl. Fn. 44). — <(Erreicht die Leistung des Haftpflichtversicherers den Vorschuss nicht, so hat der im Rahmen dieser Bedingungen Versicherte die Differenz zwi schen der Leistung des Haftpflichtversicherers und dem Vorschuss der Gesellschaft nicht zurückzuerstatten» (Art. 4.1.1 AVB-SVV). Nach der hier vertretenen Lesart bestätigt diese Klausel einzig die Subsidiarität der Haftpflichtdeckung innerhalb der Bauwesenversicherung. Wenn im Nachhinein einmal klar wird, welchen Teil die «ordentliche» Betriebs-! Berufshaftpflichtversicherung übernimmt und der Bauwesenversiche rung als Abtretungsgläubigerin zu vergüten hat, so wandelt sich der nicht gedeckte Vorschuss in eine Haftpflichtersatzleistung des Bauwesenversi cherers um. « So z.B. Art. 71 VVG zur Doppelversicherung und Komplementär- bzw. Subsidiärklauseln, die eine Doppelversicherung vermeiden wollen (vgl. BSK VVG-B0LL, Art. 53, N 26). STÖCKLI (Fn. 12), Fn. 33 mit Verweis auf STEPHAN WEaER, Koordination von Privatversicherungsleistungen, in: Anton K. Schnyder! Stephan We — 133 BR/DC 312016 LJ Regresssituation 1. In Regresssachen besteht seit nunmehr 60 Jahren die Rechtsprechung des Bundesgerichts, die unter dem Schlag wort «Gini / Durlemann-Praxis» > bekannt ist und welche die 3 Schadenserledigungspraxis belastet, wo immer eine Ver trags- oder Kausalhaftung zur Diskussion steht und ein Schadensversicherer mitinvolviert ist. Im Resultat stellt diese Praxis die (zwingende) Regel auf, dass der Schadensversicherer nach erfolgter Zahlung keinen Rückgriff nehmen kann (und im Gegenteil selbst einem Rückgriff ausgesetzt ) auf Haftpflichtige, die aufgrund einer kausalen Haftung 37 ist oder einer Vertragshaftung mit «leichtem» oder «mittlerem» Verschulden verantwortlich werden. 38 Nimmt man den be reits erwähnten Musterfall » als Ausgangspunkt, bei wel 3 chem ein Ingenieur durch Verletzung der Regeln der Baukunde (mit-)verantwortlich war für die Zerstörung einer in Ausführung stehenden Bauleistung eines Unternehmers, und denkt sich eine Bauwesenversicherung dazu, so kann die Gini / Durlemann-Praxis zum Beispiel wie folgt (vermeint lich) hineinspielen: a. Der Bauherr bleibt aufgrund der Gefahrtragungsregel von Art. 376 OR bzw. Art. 187 STA-Norm 118 dem Unter nehmer gegenüber zur Zahlung einer (Teil-)Vergütung für die untergegangene Bauleistung verpflichtet. Der Bauherr hält damit den Unternehmer schadlos und insofern ihm das schuldhafte Verhalten des lngenieurs zugerechnet wird, geht die Zerstörung der Bauleistung im Sinne der Bauwesenversi cherungsbedingungen vorerst einmal «zulasten des Bau herrn». Gleichzeitig begründet das Fehlverhalten des Inge nieurs eine vertragliche 1-laftung gegenüber dem Bauherrn für den Vermögensschaden, den dieser infolge einer Doppelzahlung für dieselbe Unternehmerleistung erleidet. b. Wenn die Bauwesenversicherung nun den Vermögens schaden des Bauherrn ausgleicht und in Umsetzung der hier abgelehnten «Darlehenskonstruktion» (d.h. Darlehen an den Bauherrn gegen Abtretung dessen Haftpflichtanspruchs; vgl II. C. 3.) gegen den Ingenieur den Haftpflichtanspruch des Bauherrn geltend macht, liegt ein Fall vor, in welchem —. man durchaus auf die Idee kommen könnte, die Gini/Durle mann-Praxis für anwendbar zu erachten und einen Rückgriff der Bauwesenversicherung auf den Ingenieur nur bei grobem Verschulden zu gewähren. ° In der Folge ist es nicht mehr 4 weit, den Umstand, dass die Bauwesenversicherung den Schaden nicht «deckt», sondern mit einem «Darlehen» ge gen Abtretung des Haftpflichtanspruchs bevorschusst, als Umgehung der zwingenden Regressregelung von Art. 5 1 OR zu qualifizieren. 2. Zur vorstehend beschriebenen Thematik sind verschie dene Bemerkungen anzubringen: a. Die Gini/Durlemann-Praxis ist im Grundsatz fragwürdig und es gibt keine einleuchtenden Gründe, dem Schadensver sicherer eine andere Funktion als diejenige der «Durch gangsstation» bei der Schadenersatzabwicklung zuzuschrei ben, wenn ein Haftpflichtiger für den Schaden einzustehen hat. Dass allein ein integrales Regressrecht des Schadensver sicherers Sinn macht (so wie es auch für den Sozialversiche rer seit Langem gilt), war auch im Gesetzgebungsprozess um die Revision des VVG unbestritten: «Es gibt keine Gründe, weshalb gewisse Haftungskategorien vom Regress [des pri vaten Schadensversicherers] ausgeschlossen werden sollten, vielmehr führt die Belastung der Risikogemeinschaft des Schadensverursachers auch zu einer sinnvollen Kostenver teilung. Zudem wird mit einer Ausweitung des Regressrechts die Regressabwicklung wesentlich vereinfacht.» ‘ 4 b. Dennoch hält das Bundesgericht weiterhin an dieser Pra xis fest, wenn auch mit wenig überzeugenden Argumenten . 42 Im vorliegenden Kontext ist aber allein die im Zusammen hang mit Rechtssicherheitsgründen aufgestellte Behauptung des Bundesgerichts aufzugreifen, es sei davon «auszugehen, dass sich die Versicherungspraxis auf die entsprechende Rechtslage eingestellt hat» (BGE 137 III 352, 360, E. 4.4). Bei dieser Aussage bleibt unklar, was mit «Einstellung der Versicherungspraxis» genau gemeint ist und worauf sich die Annahme des Bundesgerichts überhaupt stützt. Klar ist aber, dass die Gini/Durlemann-Praxis jedenfalls bei der Schaden- 40 ber (Hrsg.), Totalrevision VVG. Ein Wurf für die nächsten 100 Jahre?, Zürich 2006, S. 106. N BGE 80 II 247. 254 = Pra 1955, 64. n Sogenannter «Umgekehrter Gini/Durlemann», d.h., «le dotbiteur con tractuel qui a rdpar le priijudice, devrait bnficier d‘un recours con tre l‘assureur» (BGE 114 11345 E. 3 und relativierend hierzu ALEXANDER MÜLLER, Regress im Schadensausgleichsrecht unter besonderer Berück sichtigung des Privatvcrsicherers, Diss. St. Gallen 2006, 5. 110: ferner ALEXANDER MÜLLER, Besonderheiten beim Regress des Privatversiche rers, in: Personen-Schaden-Forum 2010,49 f.). Diese Rechtsprechung und die massive Kritik daran ifillen Bibliotheken. Anstelle vieler sei hier auf den jüngsten Entscheid BGE 137 111 352 = 4A576!20l0 verwiesen, worin das Bundesgericht unter Bezugnahme auf Lehre und Rechtsprechung eine Praxisänderung erwägt (letztlich aber ablehnt), die daran anschliessende Kritik von ALBORZ ToLou, Le recours interne dans la solidarit imparfaite, HAVE 2015, 130 ff. sowie die im Entscheid nicht angeflihrte Dissertation von GION CHRISTIAN CASANOvA, Ausgleichsanspruch und Ausgleichsordnung, Die Regressregelung von Art. 51 OR, Diss. Zürich 2010. Vgl. vorne Fn. 8. ... 134 So BSK VVG Nachf. Bd.— GRABER, Art. 72, ad 12; ferner GRABER/CASA NOVA, In Erwartung der Revision..., in: Fuhrer/Chappuis (Hrsg.), Liber amicorum Roland Brehm, Bern 2012, S. 162 ff. mit Darstellung, warum diese Idee falsch wäre. » Erläuternden Bericht der Expertenkommission Zum Vorentwurf vom 31. Juli 2006 (S. 60) und im Erläuternden Bericht des EFD vom 24. Februar 2009 zur Vernehmlassungsvorlage (5. 69 f.). 42 Das Bundesgericht schildert und anerkennt die massive Kritik in der Lehre (BGE 137 III 352, 355 ff., E. 4.2), die Umsetzung dieser Kritik in den jüngeren Gesetzgebungsarbeiten (BGE 137 III 357 352, if., E. 4.3) und die Anderung der Rechtsprechung im ähnlich gelagerten Falle des Rückgriffs durch den lohnfortzahlenden Arbeitgeber (BGE 137 III 352, 358 f., E. 4.4). Es verzichtet dann aber trotzdem auf eine Änderung der Rechtsprechung mit Berufung auf die Rechtssicherheit, auf die «wohl nach wie vor herrschende Lehre», den historischen Willen des Gesetzge bers sowie das Bestreben. der laufenden Gesetzesänderung nicht vorgrei fen zu wollen (BGE 137 DI 352, 360 II., E. 4.4). Dass das letzte Argu ment nicht mehr sticht, weil die Revision im Parlament gescheitert und auf absehbare Zeit nicht mit einer Revision zu rechnen ist, kann die Ge richte nicht zu einer Rechtsprechungsänderung bewegen (vgl. Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid vom 19. Mai 2015, BO.2014.9, E. 2b). — BR/DC 3/2016 abwicklung grosse Probleme bereitet. 43 Mehrparteienver hältnisse sind fär sich allein genommen schon schwierig zu erfassen und rechtlich zu analysieren. Je komplizierter die anzuwendenden Rechtsregeln sind, umso grösser die Fehleranfälligkeit. Auch wer aus der Vogelperspektive die Rechts lage überblickt und den Sachverhalt der Mehrparteienver hältnisse durchdrungen hat, wird im Rahmen der Subsurntion spätestens dann mit dem Daumen messen müssen, wenn es um die «Schwere» des Verschuldens geht. Die Gini/Durle mann-Praxis verursacht mithin Strudel und Wirbel, denen sich kaum ein Schadensinspektor entziehen kann. Selbst wenn das Schlagwort nicht früher oder später als Argument flur die Nichtanhandnahme der Fallerledigung oder die Nichtzahlung einer Versicherungsleistung auftaucht, wirkt bereits die Möglichkeit des Arguments paralysierend. Dar unter leidet nur zu einem geringen Grade die vorn Bundesge richt angesprochene «Versicherungspraxis», vielmehr triffi es notabene die Versicherten. c. Wie dargestellt ist die Bauwesenversicherung darauf aus gelegt, dass Regressdiskussionen unter den Baubeteiligten weitgehend vermieden werden. Zwischen den bauwesenver sicherten Baubeteiligten gibt es keinen Regress, weil alle «Interessen» versichert sind. Steht die Haftpflicht eines Baubeteiligten zur Diskussion, so greift die Subsidiaritätsregel mit der Folge, dass sich Bauwesen- und Haftpflichtversiche rung nachträglich direkt auseinandersetzen müssen. Was bleibt, ist der eher seltene Fall, dass ein Dritter (z.B. ein Grundeigentümer aus Nachbarrecht) haftet, der nicht in die Bauwesenversicherung einbezogen ist. Dann findet die Sub sidiärklausel keine Anwendung. weil die Bau.wesenversiche rung von Anfang an nicht als Haftpflichtversicherung auf tritt, sondern als Vermögens- bzw. Sachversicherung die Kosten ersetzt, welche für die Wiederherstellung der durch «Zufall» untergegangenen Bauleistung notwendig sind. Der Regress richtet sich in der Folge soweit man der noch gel tenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung folgt nach der beschriebenen Gini / Durlemann-Praxis. 44 — — III. Schlussbemerkungen 1. Die geworfenen Streiflichter sollten aufgezeigt haben, dass die Bauwesenversicherung in einem Umfeld wirkt, das sachverhaltsmässig und rechtlich komplex sein kann. Gerade deshalb besteht auch ein echtes Sicherheits- und Versiche rungsbedürfnis. Die bestehende Komplexität kann aber nicht als Hinderungsgrund gelten (sondern sollte vielmehr Anreiz sein), die Versicherungsbedingungen so klar wie möglich zu 45 Verbesse formulieren. DiesbezLtgl ich besteht weiterhin rungspotenzial, insbesondere auch bei der Subsidiärklausel, die zu praxisrelevanten Missverständnissen fähren kann. 2. Komplizierte Mehrparteienverhältnisse werden nicht ein facher und besser handhabbar. wenn sie über eine Bauwesen versicherung um noch mehr Beteiligte erweitert werden. Wenn die Bauwesenversicherung in diesem Sinne eine Ver besserung bringen und die Baubetei 1 igten entlasten soll, muss gleichzeitig andernorts eine Vereinfachung stattfinden. Die weite Umschreibung des versicherten Interesses und die Bevorschussungspflicht bewirken eine solche Vereinfachung auf vertragsrechtlicher Ebene, indem sie den Weg vorgeben, dass die Bauwesenversicherung nach approximativen De ckungsabklärungen rasch eine Zahlung erbringt und die rechtliche Auflösung, unter welchem Versicherungstitel die Leistung erfolgte, später vornimmt. Dieser Weg muss aber auch auf praktischer Ebene fortgesetzt werden (so z.B. ra sche Anhandnahrne des Schadenfalles und Übernahme der Federfiihrung in der Fallbehandlung). Niemandem nützt da gegen, wenn Bauwesen- und Haftpflichtversicherung einen negativen Kornpetenzkonfiikt ausfechten oder ihre Versi cherten einen Stellvertreterprozess führen lassen. Dass der SVV hierzu gewisse Spielregeln aufstellt, ist auch zugunsten der Versicherten zu begrüssen, und es ist zu hoffen, dass nicht nur diejenigen Versicherer sich an die Empfehlungen halten, die sowohl als Bauwesen- als auch als Haftpflichtver sicherer auf dem Markt aLiftreten. Parteiabsichten abstellt (Art. 18 OR), würde nach der bestehenden Recht sprechung höchstwahrscheinlich zum Schluss führen, dass es insbeson dere für die darleihende Bauwesenversicherung darum ging, die Re gressordnung von Art. 72 VVG bzw. Art. 51 OR zu umgehen (vgl. analog die Kritik an der Darlehenskonstruktion, 11. C. 3.). Die Feststellung von Peter GAUCH aus dem Jahr 1991 «Die einschlägi gen Versicherungsbedingungen sind in mancherlei Hinsicht unklar for muliert» (GAUCH. Kommentar STA-Norm 118, Art. 189. N 4)—ist noch nicht völlig überholt. — > So wurde namentlich auch bei den Arbeiten zur Totalrevision des VVG festgehalten, der integrale Regress des privaten Schadensversicherers übernehme den Grundgedanken von Art. 72 Abs. 1 VVG und fuhre die sen «den pivktischen Bedürfnissen entsprechend» weiter (vgl. Fn. 41). Daran ändert sich wohl nichts, wenn die Bauwesenversicherung ihre Leistung als «Vörscliuss» unter einem Darlehensvertrag mit dem Bestel 1er erbringt. Eine Beurteilung des «Darlehensvertrags», die auf die — > — 135
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