Panorama vom 28.07.2016 Krebsmedikamente: AOK

Panorama vom 28.07.2016
Krebsmedikamente: AOK-Auftrag für vorbestrafte Großapotheker
Anmoderation
Anja Reschke
Die Medikamente gegen Krebs – etwa für Chemotherapien - sind teuer, sehr teuer. Nicht nur wegen der
hohen Preise der Hersteller, sondern auch, weil sie von Apothekern extra angemischt werden. Ein
lukratives Geschäft. Um die Kosten nun endlich in den Griff zu kriegen, gehen einige Kassen jetzt einen
neuen Weg. Sie wollen Ausschreibungen machen. Der Apotheker, der die Medikamente am günstigsten
herstellt, kriegt den Zuschlag und damit einen Exklusiv-Vertrag für seine Region. Das ist sowas wie ein
Jackpot für den Apotheker. Die AOK in Hamburg ist da Vorreiter und hat schon ausgeschrieben. Aber
das ist leider fürchterlich danebengegangen. Der Billigste ist nämlich beileibe nicht der Beste.
Hausbesuch bei der AOK. Es wird ein besonderes Interview werden für Vorstandsmitglied Matthias
Mohrmann. Es geht um teure Krebsmedikamente. Um den Versuch der Krankenkassen, viel Geld zu
sparen. Und das zweifelhafte Ergebnis im Fall Hamburg: ein millionenschwerer Auftrag der AOK an
einen dubiosen Großapotheker.
O-Ton
Panorama: „Wer hat im Bereich Hamburg Nord/Wandsbek den Zuschlag bekommen? Wissen Sie das?“
Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Kann ich Ihnen jetzt so spontan nicht sagen,
müssten wir eben auch nachgucken.“
Panorama: „Wir haben mal nachgeguckt, wen es da gibt. Der Apotheker hat den Zuschlag bekommen.“
Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Der Gier-Apotheker, steht da.“
Panorama: „Kennen Sie den?“
Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Den kenne ich nicht.“
Panorama: „Das ist Günter Zeifang. Der Chef der Elbapotheke, Besitzer der Elbapotheke. Der versorgt
ab 1. August hunderte Patienten der AOK mit Krebsmedikamenten.“
Günter Zeifang. Der Gier-Apotheker. Vorbestraft. Ein Mann, der wiederholt ins Visier von
Ermittlungsbehörden geraten ist.
Der Reihe nach: In der Krebsbranche geht es um Milliarden. Die lebensrettenden Chemotherapien sind
teuer. Die Besonderheit: Sie werden von speziellen Apothekern im Labor einzeln zubereitet.
Die AOK will die explodierenden Kosten dafür in den Griff bekommen. Als eine der ersten Kassen
startete sie eine Ausschreibung: der billigste Apotheker der Region sollte einen Exklusiv-Vertrag
bekommen. Und damit ein Monopol. Dabei geht es vor allem um eines:
O-Ton
Panorama: „Was ist in Ihren Augen das Hauptziel dieser Ausschreibung. Ist es wirklich die Ersparnis?“
Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Ja, das kann man so sagen, also wir haben
schon in der Vergangenheit, glaube ich, eine gute Qualität der Versorgung auch gehabt und die ist jetzt
eher besser als schlechter geworden, aber wir haben eben sehr hohe Preise auch bezahlt in der
Vergangenheit. Und nach der Ausschreibung zahlen wir etwa 30 Prozent weniger für die
entsprechenden Produkte und das ist für die Versichertengemeinschaft und für uns als Krankenkasse
natürlich auch wichtig.“
Billig und gut? Das ist bei den sogenannten Zytostatika nicht so einfach. Denn bei der Zubereitung der
Krebsmedikamente ist absolute Sorgfalt notwendig. Wir sind in Basel im Universitätsspital. Hier zeigt
man uns, unter welchen strengen Bedingungen Chemotherapien zubereitet werden. Durch mehrere
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Schleusen geht es ins Labor. Der Reinraum. Hochsicherheitsbereich. Spezialanzüge und absolute
Keimfreiheit. Temperaturen, Luftdruck, Keimwachstum – alles wird überwacht.
O-Ton
Dr. Uli Lösch,
Leiter Spitalpharmazie Basel:
„Besonders bei der Zytostatika-Therapie ist meistens das Immunsystem des Patienten runtergefahren.
Das heißt, er ist besonders anfällig für Infektionen und dabei ist es besonders wichtig, dass das
Arzneimittel keinerlei Kontamination aufweist. Das heißt, die Sicherheitsmaßnahmen sind auf alle Fälle
berechtigt.“
Die Sicherheitsmaßnahmen: lebenswichtig – sie gelten überall. Doch genau im Bereich Sorgfalt hat der
Apotheker Zeifang – nach Panorama-Recherchen – offenbar Defizite.
Es geht um Vorkommnisse im Sommer 2014. In seinem Hamburger Pharmalabor lässt er unter
anderem hochempfindliche Antikörper für die Krebstherapie produzieren. Die müssen nach 24
Stunden verabreicht werden. Doch das Medikament bleibt liegen - übers Wochenende. Wird erst drei
Tage später ausgeliefert und verabreicht. Nach 72 Stunden, statt der vom Hersteller vorgegebenen 24
Stunden. Es droht zu verkeimen.
O-Ton
Dr. Uli Lösch, Leiter Spitalpharmazie Basel: „Es ist ein No-Go! Man darf im Prinzip dieses Produkt
danach nicht mehr, generell nicht verabreichen. Es ist ein Nicht-Dürfen.“
Panorama: „Was heißt das für einen Krebspatienten, der eh schon geschwächt sein kann?“
Dr. Uli Lösch, Leiter Spitalpharmazie Basel: „Da ist es eine sehr hohe Gefahr. Das kann im schlimmsten
Fall lebensbedrohlich sein.“
Zeifang versichert gegenüber Panorama, es sei „zu keiner Überschreitung der Verwendbarkeitsdaten“
gekommen. Doch das ist nicht alles: Nach Panorama-Recherchen soll in dieser heißen Juli-Woche die
Klimaanlage im Labor ausgefallen sein. Die Temperatur steigt über den zulässigen Grenzwert von 25
Grad. Die Produktion im Reinraum geht offenbar weiter. Dabei steht in den eigenen Labor-Richtlinien:
Der Herstellungsvorgang wird bis zur Klärung oder Normalisierung der Werte unterbrochen. Geschehen
ist dies offenbar nicht.
O-Ton
Dr. Uli Lösch,
Leiter Spitalpharmazie Basel:
„Wenn die Klimaanlage ausfällt, ist das praktisch ein sofortiger Stopp. Aus pharmazeutischer Sicht ist
es unzulässig. Man generiert kein Arzneimittel von entsprechender Qualität, was geeignet ist, an den
Patienten abzugeben. Das heißt, man hätte es korrekterweise vernichten müssen.“
Zeifang bestreitet, dass weiter produziert worden ist. Über die Vorwürfe gegen ihn berichten damals
mehrere Medien. Und: Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein, ermittelt gegen den Apotheker. Der
Vorwurf: Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Dazu kommt ein weiteres Verfahren: wegen Betrugs. All
das dürfte der AOK nicht entgangen sein.
O-Ton
Panorama: „Ist das jemand, mit dem Sie künftig hunderte Patienten, Versicherte mit
Krebsmedikamenten versorgen wollen?“
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Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Wir müssen auch da sagen: Die
Unschuldsvermutung gilt für jeden Menschen. Und wir können nicht als Krankenkasse jetzt sagen: weil
ein Ermittlungsverfahren gegen jemanden läuft, schließen wir den aus als Bieter in einem Verfahren.“
Wann ein Bieter ausgeschlossen wird, hat die AOK in der Ausschreibung eigentlich klar definiert. Jeder
Apotheker musste eine Eigenerklärung zur Zuverlässigkeit unterschreiben, in der es heißt: „Hiermit
erklären wir, dass wir nachweislich keine schwere Verfehlung begangen haben, die unsere
Zuverlässigkeit als Bieter in Frage stellt.“
Auch Günter Zeifang muss das unterschrieben haben. Überprüft hat das die AOK offenbar nicht.
O-Ton
Panorama: „Haben Sie bei der Staatsanwaltschaft mal nachgefragt?“
Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Wir wissen, dass er nicht verurteilt ist.“
Panorama: „Doch. Er ist rechtskräftig, Günter Zeifang ist rechtskräftig verurteilt. Zu einer
Bewährungsstrafe von sieben Monaten. Wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz.“
Panorama liegt der Strafbefehl gegen Zeifang vor. 2013 wurde er verurteilt. Gesamtfreiheitsstrafe:
sieben Monate auf Bewährung. Aus Ägypten hat er über einen Mittelsmann Krebsmedikamente
bezogen. Fertigarzneimittel ohne Zulassung für Deutschland.
Pikant: Indem Zeifang diese Billig-Arznei bei den Kassen teuer abgerechnet hat, hat er auch die AOK
betrogen.
O-Ton
Panorama: „Das heißt: Es spielt auch keine Rolle, dass er die AOK mal betrogen hat?“
Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Weil es in der Vergangenheit abgeschlossen
ist, spielt es heute keine Rolle mehr, weil wir können ihm nicht eine Straftat, die erledigt ist,
nachtragen in die Zukunft hinein.“
Panorama: „Ja gut, aber er ist ja rechtskräftig verurteilt! Vorbestraft. Und mit dem arbeiten Sie künftig
zusammen?“
Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg: „Er ist als Apotheker zugelassen. Keiner hat
ihm die Zulassung als Apotheker entzogen. Und das ist für uns ja das Kriterium.”
Zuverlässigkeit heißt also für die AOK: Zulassung reicht, Vorstrafen interessieren nicht.
Und so sind hunderte Krebskranke ab Montag nächster Woche dem vorbestraften „Apotheker Günter
Zeifang“ ausgeliefert, weil die AOK ihm einen Exklusivvertrag gegeben hat.
Autoren: Robert Bongen, Sabine Puls, Oliver Schröm, Kristopher Sell
Kamera: Ronald Schütze, Lennart Schweizer
Schnitt: Martin Langhof, Maike Ringel
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