Dr. Mattias Wendel, Maîtr. en droit (Paris 1) Albert-Ludwigs-Universität Freiburg | Juristische Fakultät | Institut für Öffentliches Recht – Abteilung III | Mail: [email protected] Übung im Öffentlichen Recht für Vorgerückte WiSe 2016/17 Hausarbeit (Ausgabe: 25. Juli 2016) Sachverhalt Für den 3.10.2016 ist im baden-württembergischen Stadtkreis P eine Demonstration unter dem Motto „Tag der Deutschen – Deutschland muss UNSER Zuhause bleiben!“ angekündigt. Zum Auftakt der Veranstaltung wollen die Teilnehmenden den etwa eineinhalb Kilometer langen Fußweg von der örtlichen Flüchtlingsunterkunft bis zum Marktplatz gemeinsam zurücklegen, wo im Anschluss eine dreistündige Abschlusskundgebung stattfinden soll. Geplant sind verschiedene Vorträge auf einer eigens installierten Bühne. Veranstalterin ist der Kreisverband der bundesweit agierenden Partei „Alternativlos: Deutschland“ (AloD). Die AloD sieht im Multikulturalismus und dem Zuzug vieler muslimischer Flüchtlinge eine schleichende Unterwanderung der auf christlich-abendländischen Werten beruhenden deutschen Leitkultur. Sie tritt daher für Aufnahmestopps und Schließung der Bundesgrenzen ein. Laut Kundgebungsprogramm sind Reden zu folgenden Themen vorgesehen: „Asyl braucht Grenzen“ und „Islamisierung Deutschlands? Wehret den Anfängen!“. Die in P ansässige Initiative „BaWü ist Heimat für alle!“ hat für den gleichen Tag ebenfalls eine Veranstaltung angemeldet. Deren SympathisantInnen wollen sich auf einer Route an der Gegenveranstaltung vorbei zur Flüchtlingsunterkunft begeben, um ein Familienfest mit den dort wohnenden Flüchtlingen zu feiern. Die Oberbürgermeisterin von P (B) ist besorgt. So sehr sie die politische Ideologie der AloD ablehnt, so sehr meint sie doch, dass ihr „rechtlich“ die Hände gebunden seien – das war schon bei Überlegungen zu einem möglichen Verbot so, als die Ankündigung der Demonstration auf Ihrem Schreibtisch landete. Unversehens bringt sie ein gewiefter 1 Parteifreund auf eine Idee: Wenn B die AloD-Demo schon nicht verbieten könne, dann solle sie doch wenigstens dafür sorgen, dass niemand hingeht. Das leuchtet B ein. Sie veröffentlicht daher am 26.9.2016 auf dem Facebook-Profil „OB B“ unter der Überschrift „Farbe bekennen: P gegen Rechts!“ folgenden Post: „Liebe Mitbürgerinnen und -bürger! Unser schönes P ist ein weltoffenes und tolerantes Städtchen. Wir sind stolz, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass Menschen, die das Schlimmste erleben mussten und Ihre Heimat verloren haben, bei uns Frieden und hoffentlich eine neue Heimat finden können. Wir verurteilen daher jegliche verbalen und körperlichen Anfeindungen und Angriffe gegen Flüchtlinge. Fremden- und menschenfeindliche Zusammenrottungen unter dem Motto „Tag der Deutschen – Deutschland muss UNSER Zuhause bleiben!“ haben bei uns nichts zu suchen. Solches Gedankengut dürfen wir nie wieder zulassen! Lassen Sie uns gemeinsam friedlich ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Gewalt setzen! Zeigen Sie am Tag der Einheit, dass BaWü Heimat für alle ist und kommen Sie zum Familienfest, um gemeinsam Vielfalt und Toleranz zu feiern! Ihre OB B.“ Das Facebook-Profil enthält einige Bilder von B bei öffentlichen Auftritten, aber auch ein Bild mit ihrem Lebenspartner und dem gemeinsamen Hund im Garten. Unter der Rubrik „Kontaktinformationen“ sind die Emailadresse [email protected] und der Link zum Stadtportal (www.stadtp.de/OBB) hinterlegt. Als postalische Kontaktadresse ist „OB B, Rathausplatz 1, 79999 P“ angegeben. Manche Posts und Bildunterschriften sprechen von B in der dritten Person. Als die Veranstalter davon erfahren, sind sie empört. Der hetzerische Aufruf der B stelle die AloD in die nationalsozialistische Ecke und diskreditiere ihre Anhänger. Die AloD trete für den Schutz einheimischer Kultur und Identität ein, zu der der Islam und die Scharia in ihren Augen nun einmal nicht gehörten. Echte Flüchtlinge und integrationswillige Migranten heiße auch die AloD willkommen. Als staatlicher Stelle stünde es B keinesfalls zu, für eine der beiden Veranstaltungen Partei zu ergreifen und anzuordnen, der Kundgebung fernzubleiben. B habe sich neutral zu verhalten. Ihre Äußerungen verletzten die AloD in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie in ihrem verfassungsmäßigen Recht, als Partei gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen. An das daraus fließende staatliche Neutralitätsgebot sei auch die kommunale Ebene gebunden. Bei dem Boykottaufruf handle es sich um ein Versammlungsverbot durch die Hintertür aufgrund der von B missbilligten Meinungsinhalte. Dafür gebe es keine gesetzliche Grundlage. Die Veranstalter fordern die B vergebens auf, den Eintrag zu löschen. 2 Bereits kurze Zeit nach Veröffentlichung des Posts durch B gehen vermehrt Anfragen bei der AloD ein, die Auskunft darüber verlangen, ob die Veranstaltung überhaupt noch stattfinde. Viele der Anfragenden zeigen sich besorgt, durch ihre Teilnahme unzutreffend als „gewaltbereite Nazis“ abgestempelt zu werden. Die Veranstalter befürchten, der Aufruf könnte Wirkung zeigen. Da sie unbedingt an der Durchführung festhalten wollen, stellt der Kreisverband der AloD noch am 27.9.2016 beim zuständigen Verwaltungsgericht folgenden Antrag: „Es wird beantragt, die P einstweilen zu verpflichten, die Äußerungen unter dem Titel „Farbe bekennen: P gegen Rechts!“ auf dem Facebook-Profil „OB B“ vom 26.9.2016 zu widerrufen und von ähnlichen Äußerungen zulasten der AloD in Zukunft abzusehen.“ B ist der Auffassung, sie sei keineswegs zur Neutralität verpflichtet. Ihre Meinung frei zu äußern stünde Ihr genauso zu wie allen anderen, schließlich handle es sich um eine private und ohnehin einmalige Mitteilung. Die Amtsbezeichnung „OB“ dürfe sie auch außerhalb des Dienstes führen. Außerdem meint B, niemand könne sie zwingen, Meinungen und Werturteile zu widerrufen. „Höchstvorsorglich“ weise sie darauf hin, dass die Information der Bevölkerung über die verfassungsfeindliche Ideologie der AloD ihre Rechtspflicht darstelle. Der Facebook-Post übersteige keinesfalls Ihren rechtlichen Aufgabenkreis. Zu ihren Aufgaben gehöre es, das gemeinsame Wohl der BürgerInnen und den örtlichen Frieden innerhalb des Gemeindegebiets zu fördern. Dieser sei durch die geplante Demonstration erheblich beeinträchtigt. Der Aufruf zum Protest sei absolut geboten. Ein Grundrechtseingriff könne darin schon gar nicht gesehen werden. Wenn überhaupt, sei allein die Versammlungsfreiheit betroffen. Aber auf diese könne sich die AloD als Partei gar nicht berufen. Bearbeitervermerk: Beurteilen Sie in einem Rechtsgutachten die Erfolgsaussichten des Antrags und nehmen sie dabei zu allen aufgeworfenen Rechtsfragen Stellung. Abwandlung Nach reiflicher Überlegung erlässt die B eine Auflage, die der AloD untersagt, die für den 3.10.2016 geplante Veranstaltung vor der Flüchtlingsunterkunft in P beginnen zu lassen. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung von P besitzt entweder keine deutsche Staatsangehörigkeit oder hat Eltern und Großeltern, die aus anderen Ländern in die Bundesrepublik eingewandert sind. Alle leben seit Jahrzehnten friedlich miteinander in der 3 örtlichen Gemeinschaft. In P existieren seit jeher zahlreiche Kultur- und Nachbarschaftsvereine, die das Leben der EinwohnerInnen über nationale, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg bereichern. Die geplante Demonstration schüre laut B hingegen Hass und torpediere diese gelungene Integration. Die Flüchtlingsunterkunft in P beherbergt 400 Personen, davon viele Minderjährige und Kinder. Mehr als die Hälfte der Bewohner sind islamischen Glaubens. Viele BürgerInnen engagieren sich ehrenamtlich für die Integration der dort Lebenden, indem sie etwa Sprachkurse anbieten und Kulturveranstaltungen organisieren. Nach Auffassung der B stelle der Auftakt vor der Flüchtlingsunterbringung fraglos eine gezielte Provokation und Einschüchterung der dort lebenden Personen dar. Die Auflage sei daher erforderlich und angemessen und verletze die AloD nicht in ihrer Versammlungsfreiheit. Bearbeitervermerk: Erstellen Sie ein Rechtsgutachten zur Rechtmäßigkeit der Auflage und gehen Sie dabei auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen ein. Sie können voraussetzen, dass die Verfahrens- und Formvorschriften eingehalten wurden. Zu bearbeiten sind Ausgangsfall und Abwandlung. 4 Hinweise für die Bearbeitung Der Arbeit ist eine Gliederung und ein Literaturverzeichnis voranzustellen. Der Sachverhalt muss nicht in die Hausarbeit eingebunden werden. Die Arbeit ist zu unterschreiben und mit einer eigenhändig unterschriebenen Versicherung abzuschließen, dass die Hausarbeit selbstständig verfasst wurde, dass keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel und Quellen benutzt worden sind und dass die gedruckte Fassung und die beizufügende elektronische Datei identisch sind. In der Erklärung ist außerdem die Kenntnis darüber zu bestätigen, dass Verstöße gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis als Täuschungsversuch gewertet werden können. Der Umfang der Bearbeitung (exklusive Deckblatt, Sachverhalt, Inhalts- u. Literaturverzeichnis sowie unterschriebene Versicherung der selbstständigen Anfertigung) darf insgesamt 25 DIN A4Druckseiten nicht überschreiten. Die Überschreitung des vorgegebenen Umfangs (auch durch Abweichung von den Formatvorgaben) kann zu Punktabzug führen. Abkürzungen, die über die üblichen Abkürzungen hinausgehen (etwa im Stil des Palandt), sind unzulässig. Literaturnachweise in den Fußnoten enthalten mindestens die Angabe des Autors/der Autorin, eine sinntragende Abkürzung des Werksnamens und die Seitenzahl. Nachweise von Zeitschriftenbeiträgen enthalten mindestens den Namen des Autors/der Autorin sowie die Fundstelle des Beitrags. Die Seiten sind wie folgt zu formatieren: Rand links 2 cm, rechts 6 cm (Korrekturrand), Ränder oben und unten jeweils 2 cm; Haupttext: Schriftart Times New Roman, Schriftgröße 12 pt, Laufweite: normal, Zeilenabstand: 1,5 Zeilen; Fußnoten: Schriftart Times New Roman, Schriftgröße 10 pt, Laufweite: normal, Zeilenabstand: einzeilig. Formatierung Inhalts-, Literaturverzeichnis und Versicherung: Rand jeweils 2 cm. Schriftgröße 12 pt, Zeilenabstand: einzeilig. Die Bearbeitung ist am Dienstag, den 18. Oktober 2016, im Rahmen der Übung im Öffentlichen Recht für Vorgerückte (Dr. Mattias Wendel) zu Beginn der Übung (14 Uhr c.t.) abzugeben. Nach der Übungsstunde werden keine Hausarbeiten mehr entgegengenommen. Alternativ ist eine postalische Einreichung möglich. Bei postalischer Einreichung muss die Bearbeitung spätestens am 18. Oktober 2016 zur Post gegeben werden (Anschrift: Frau Susanne Nagel, Institut für Öffentliches Recht – Abteilung 3, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 79085 Freiburg i. Br.), wobei sicherzustellen ist, dass der Poststempel von diesem Tag deutlich erkennbar ist. Ein Freistempler darf nicht verwendet werden. Zusätzlich zur Abgabe Ihrer Arbeit in Schriftform melden Sie sich für die Übung im Öffentlichen Recht für Vorgerückte auf Ilias (E-Learning-Plattform der Universität Freiburg) an und laden dort bis Dienstag, den 18. Oktober 2016 eine elektronische Version Ihrer Arbeit hoch (eine Datei, docFormat oder vergleichbares, kein PDF). Beachten Sie: Das Hochladen Ihrer Arbeit auf Ilias ersetzt nicht die Abgabe Ihrer Arbeit in schriftlicher Form. Ausschließlich elektronisch eingereichte Arbeiten werden nicht korrigiert! Ein Anspruch auf Korrektur besteht nur für diejenigen, die sich bis zum 18. Oktober 2016 im Ilias angemeldet haben. Es wird eine Plagiatskontrolle durchgeführt; Hausarbeiten, die – wenn auch nur teilweise – aus Plagiaten bestehen, werden mit 0 Punkten bewertet. Ferner ist sowohl für die Hausarbeit als auch für die Klausuren jeweils eine elektronische Anmeldung über das Campus-Management (LSF) erforderlich. Da dieses jedoch zurzeit schrittweise auf HISinOne umgestellt wird, gilt Folgendes: Studierende des 5. Fachsemesters (oder geringer) müssen sich voraussichtlich schon über HISinOne anmelden; alle anderen hingegen weiterhin über das LSF. Näheres hierzu wird vom Prüfungsamt erst zu einem späteren Zeitpunkt (in der vorlesungsfreien Zeit) bekannt gegeben. Zu den Klausuren wird nur zugelassen, wer sich in den ersten drei Wochen der Vorlesungszeit für die erste Klausur angemeldet hat. Wer für diese angemeldet ist, gilt auch für die weiteren Klausuren als angemeldet. Studierende, die bereits im SoSe 2016 in der Übung für Fortgeschrittene im Öffentlichen Recht eine Klausur bestanden haben, vermerken bitte auf dem Deckblatt der Hausarbeit, wenn die Hausarbeit rückwirkend für das SoSe 2016 gewertet werden soll. 5
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