Mit Innovationen schnell an den Markt Interview Swisscom hat eine erfolgreiche Wachstumsgeschichte zu verzeichnen und ist exzellent im Markt positioniert. Das Selbstverständnis, bester Begleiter in der vernetzten Welt zu sein, beruht auf einem hervorragenden Mobilfunkund Festnetz. Softwarekompetenz, Ökosysteme und Partnerschaften sind darüber hinaus die Erfolgsfaktoren, mit denen Swisscom zu einer integrierten Technologieanbieterin avancieren und innovative Lösungen schnell an den Markt bringen will. Egon Steinkasserer, Head of Innovation bei Swisscom, gibt einen Einblick in das Vorhaben. 132 Detecon International GmbH Mit Innovationan schnell an den Markt Frage: 2015 schien ein erstes schwieriges Jahr für Swisscom gewesen zu sein, da das EBITDA um mehrere Prozent gesunken ist. Die Zeiten von Wachstum im Kerngeschäft scheinen vorüber zu sein, neues Wachstum ist nicht in Sicht. Wie sehen Sie die Zukunft von Swisscom? E. Steinkasserer: Swisscom ist für die Zukunft und die damit verbundenen Herausforderungen bestens gerüstet. Swisscom konnte auch in 2015 ihre erfolgreiche Marktposition behaupten: 59 Prozent Marktanteil Mobilfunk, 54 Prozent Marktanteil Breitband und 29 Prozent Marktanteil Digital TV. Die Kundenzahlen sowie den Umsatz, bereinigt nach Sondereffekten, konnten wir leicht steigern. Zukünftig wird das Wachstum vor allem in neuen digitalen Geschäftsfeldern entstehen. Swisscom ist in einigen Bereichen wie eHealth, Energy und Smart Home bereits erfolgreich vertreten. Basis dieser neuen Wachstumsfelder wird aber weiterhin das hervorragende Mobilfunk- und Festnetz der Swisscom sein, in welches wir auch weiterhin investieren werden. Frage: In einem zunehmend globalen Wettbewerb bieten OTTs wie Google bereits eigene Konnektivitätsprodukte wie GoogleFi an, Hersteller bringen Devices mit eSIMs auf den Markt – Microsoft Surface, Apple iPad –, die zunehmend die Position des Betreibers hinsichtlich der Endkundenbeziehung in Frage stellen. Wie reagiert Swisscom auf diese Herausforderungen? E. Steinkasserer: Als bester Begleiter in der vernetzten Welt steht Swisscom für Einfachheit. Wir sind für unsere Kunden ein vertrauenswürdiger, inspirierender Partner. So wird die weitere Vernetzung von Personen, Dingen und Daten uns in das Informationszeitalter führen, uns aber auch vor interessante Herausforderungen stellen. Denken Sie nur an Datensicherheit oder die Komplexität, die mit vielen Transformationen verbunden ist. Wir möchten sowohl unsere Kundinnen und Kunden wie auch unsere Partnerinnen und Partner auf diesem Weg begleiten. OTTs haben eine Wertschöpfung auf globaler Skala. Wir kennen unsere Kundinnen und Kunden besser, sind vor Ort und können dafür sorgen, dass ein digitalisierter Prozess schließlich auch umgesetzt werden kann. Nehmen Sie zum Beispiel unser elektronisches Patientendossier: Diese Informationen müssen absolut sicher und dennoch jederzeit für Ärzte, Spitäler und Patienten zugänglich sein. Unterschiedliche IT-Systeme müssen daran angeschlossen werden können. Swisscom wird sich daher zu einer integrierten Technologieanbieterin wandeln, die für ihre Kunden hochstehende Kommunikations- und IT-Lösungen entwickelt. Dazu haben wir in 2014 die Swisscom IT Services mit der Swisscom Detecon International GmbH 133 Interview (Schweiz) AG zusammengeführt, um diese komplexen Lösungen aus einer Hand entwickeln, vertreiben und betreiben zu können. Anfang des Jahres wurde zusätzlich dazu das Unit Digital Business gegründet, das seinen Fokus darauf legen wird. Frage: Bisher gibt es einige Beispiele, die zeigen, dass es für Betreiber nicht einfach ist, sich gegenüber OTTs in Zukunft auch mit Services zu behaupten. Warum waren diese Betreiber aus Ihrer Sicht nicht erfolgreich? E. Steinkasserer: Es gibt viele Herausforderungen, mit denen Telekommunika tionsbetreiber in der digitalen Welt kämpfen. OTTs verfügen über eine Softwarekompetenz, die in dieser Form bei Netzbetreibern nicht existiert. Würde ich als Software-Crack nicht lieber bei Google oder bei einem großen „Infrastruktur betreiber“ arbeiten? Die Antwort darauf ist klar. OTTs entwickeln ihre Services sehr agil und nehmen in Kauf, häufig zu s cheitern. Die Qualität ihrer Software ist nicht über alle Zweifel erhaben, dennoch haben sie kaum Angst vor Selbstkannibalisierung. Betreiber hingegen agieren oftmals wie eine Manufaktur und bringen erst dann etwas auf den Markt, wenn sie w irklich absolut sicher sind, dass alles funktioniert. Unsere Branche lebt k eine ausgeprägte Fehlerkultur. Kunden trennen sich nur ungern von gescheiterten oder schlicht veralteten Services. Auf keinen Fall wollen Betreiber ihr Kerngeschäft mit Daten und Sprache so gefährden. Dies sind Gründe, weshalb viele Betreiber im Wett bewerb mit OTTs keine stärkere Position einnehmen können. Frage: Welche Erfolgsfaktoren braucht Swisscom, um auf diese Herausforderungen reagieren zu können? E. Steinkasserer: Swisscom braucht mehr Softwarekompetenz sowie eine flexible, agile und schlanke Produktionsumgebung, mit deren Hilfe neue Services sehr einfach von jedermann erstellt werden können. Diese Services greifen mit Hilfe von APIs auf das Netz, die Cloud sowie weiterer Enabling Services wie Billing oder Data Analytics zu. Um agil zu sein, müssen diese Services ohne große Integration (fail early/fail cheap) in den Markt gebracht werden können. Erst später, bei Erfolg, werden diese dann schrittweise und schlussendlich vollumfänglich in das offizielle Produktportfolio integriert. Wir nutzen hierfür ein neues Label namens „nova“, um frühzeitig Kundenfeedback für innovative Produkte und Services zu erhalten. Darüber hinaus müssen alle Services zu einem attraktiven und einprägsamen Erlebnis zu führen – innerhalb des gesamten Ökosystems der Swisscom-Dienste. Diese Dienste müssen nicht notwendigerweise an unsere Konnektivität geknüpft 134 Detecon International GmbH Mit Innovationan schnell an den Markt sein. Kunden sollen zukünftig selbst ihr optimales Portfolio aus Diensten und Konnektivitäten zusammenstellen können. Ein weiterer Erfolgsfaktor sind Partnerschaften, da nicht alles selbst und schnell genug entwickelt werden kann. Eine entsprechende Strategie sowie das Management sind die Basis dafür. Frage: Und was macht Swisscom anders oder erfolgreicher als andere Betreiber? E. Steinkasserer: Wir haben eine hervorragende Marktposition im Privat- und Geschäftskundenbereich. Durch die Verknüpfung von IT und Telekommunikation können wir auch komplexe ICT-Produkte und -Lösungen entwickeln. Als Voraussetzung für die digitale Transformation verfügt Swisscom bereits über das erforderliche Breitbandnetz. Weitere Faktoren sind: Das Human Centered Design ist etabliert und konnte uns bereits mehrfach helfen, neue Produkte und Services, beispielsweise Swisscom TV 2.0, erfolgreich im Markt zu lancieren. Zudem haben wir unsere Softwarekompetenz kontinuierlich ausgebaut. in einigen Bereichen arbeiten wir agil. Darüber hinaus ist eine flexible cloud-basiserte Produktentwicklungsumgebung im Aufbau. Frage: Swisscom hat mit seinen NATEL infinity Abos (speed tiered tariffs ohne Volumenbegrenzung) Mobiltarife, die einer Bit Pipe entsprechen. Wie erfolgreich war die Einführung solcher Tarife? E. Steinkasserer: Die Idee war, dass Kunden sich frei in der digitalen Welt bewegen und sämtliche ihrer Angebote nutzen können. Natürlich hat dies zu einem starken Wachstum des Datenvolumens in unserem Netz geführt. Die Einführung dieser Tarife war aber insgesamt erfolgreich. Auch die jüngsten Erweiterungen auf NATEL infinity plus, welche Roamingkosten faktisch eliminieren, sind vom Markt sehr positiv angenommen worden. Frage: Wo sind hier die eigenen Dienste der Swisscom, die über eine Bit-PipePositionierung hinausgehen? E. Steinkasserer: Swissom bietet in ganz unterschiedlichen Bereichen diverse Services und Produkte an, die über eine Bit-Pipe-Positionierung hinausgehen. Mit iO bietet Swisscom einen integrierten Kommunikationsdienst, mit Vidia eine Videokonferenz-App, die nicht an unser Netz gebunden ist. Bei SmartLife bieten wir unseren Kunden ein neues flexibles Steuerungs- und Sicherheitssystem für Zuhause an und mit myCloud, dem Online-Speicher für Fotos, Videos und Detecon International GmbH 135 Interview andere Dateien, können Kunden ihre persönlichen Inhalte einfach ablegen und jederzeit von überall darauf zugreifen. Swisscom eHealth und the i-engineers gehen eine strategische Partnerschaft ein und bringen Patientendossier- und Vernetzungslösungen für Spitäler. Durch die Kooperation entstehen neue, cloudbasierte Lösungen für Spitäler, von denen auch Ärzte und Patienten profitieren. Mit Siroop lancieren Swisscom und Coop einen Onlinemarktplatz und bringen ihre Kompetenzen im Bereich Digitalisierung, eCommerce, Vermarktung und Handel in neuen Unternehmen ein. Und mit dem Zusammenschluss von local.ch und search.ch entstand eine umfassende schweizerische Verzeichnis- und Informationsplattform, die im Wettbewerb mit internationalen Anbietern steht und Möglichkeiten im Bereich Werbung bietet. Frage: Wie erfolgreich sind einige OTT-Services wie beispielsweise iO am Markt? E. Steinkasserer: Die Verbreitung und Nutzung von iO in der Schweiz und die damit verbundene digitale Identität nehmen stetig zu. Mit unseren neuen digitalen Business-Einheiten setzen wir ausserdem gezielt auf strategische Partnerschaften und Joint Ventures, um unsere Marktposition zu stärken. Frage: Welche Rolle spielt Konvergenz beziehungsweise ein integriertes Netz in Zukunft? E. Steinkasserer: Aus technischer Sicht ist Konvergenz ein Muss, auch insbesondere hinsichtlich der Zugangsthematik. Mit WiFi-Calling und DSL+LTEBonding bieten wir bereits erste konvergente Produkte für unsere Kunden. Aus Kundensicht sollte es künftig keine Rolle mehr spielen, welches Netz für welche Dienste genutzt wird. Auch sollten diese Dienste in Wechselwirkung zueinander sein und ein entsprechendes Ökosystem bilden. Frage: Momentan wird das Internet der Dinge sehr stark gehypt. Ist das IoT in Zukunft der Wachstumstreiber für Telekommunikationsanbieter? E. Steinkasserer: Ich denke, dies kann heute noch niemand abschätzen. Es besteht aktuell ein Hype, viele Firmen sind in diversen Bereichen aktiv und es gibt unterschiedliche Industrien, die durch diesen Hype erfasst wurden. Wichtig ist, dass eine Firma einen klaren strategischen Fokus festlegt, um seine Ressourcen auf potenzielle Wachstumsfelder konzentrieren zu können. Die große Herausfor- 136 Detecon International GmbH Mit Innovationan schnell an den Markt derung für einen Betreiber wird es sein, die notwendige Wertschöpfungstiefe zu erreichen, um ein profitables Geschäft realisieren zu können. Frage: Big Data ist bereits seit Jahre ein Hype. Wie weit ist Swisscom hier? Ist dies eine Swisscom Wachstumsstory? E. Steinkasserer: Wir haben einige Lösungen erfolgreich in den Markt eingeführt und weitere Ideen und Pläne im digitalen Umfeld. Allerdings müssen wir auch in einigen Bereich feststellen, dass unsere Erwartungen nicht vollumfänglich erfüllt wurden. Großes Potenzial sehen wir nach wie vor in internen Use Cases, beispielsweise in der Steigerung der eigenen Effizienz sowie der Verbesserung des Kundenerlebnisses. Frage: Das Kerngeschäft der OTTs ist immer noch Werbung. Dadurch können sie es sich leisten, andere Services und in Zukunft sogar Infrastruktur zu subventionieren. Kann ein Betreiber wie Swisscom allein aufgrund der Skaleneffekte der OTTs mithalten? E. Steinkasserer: Infrastruktur ist immer noch sehr ressourcenintensiv, lokal und komplex. Ich denke daher nicht, dass OTTs Interesse haben, eigenen Infrastrukturen in einem Breitbandmarkt wie der Schweiz aufzubauen und zu betreiben. Frage: Warum ist es eigentlich schlimm, in Zukunft „bit pipe“ zu sein? E. Steinkasserer: Das ist keineswegs schlimm, weil jeder Netzbetreiber bereits heute erst einmal bit pipe ist und auch in Zukunft sein muss. Dies ist die Grundlage für eine tiefere Wertschöpfung. Weiter haben die effizientesten Bit pipes als solches schon ein Wachstumspotenzial. Letztendlich steigt das Datenvolumen kontinuierlich an. Überlegungen wie beispielsweise Netzneutralität basieren auf der Hypothese einer vermeintlich „unendlichen“ Kapazität der Übertragungswege. Und da bis dato kein Ende des Wachstums des Datenvolumens abzusehen ist, werden wir auch weiterhin massiv in den Netzausbau investieren. Egon Steinkasserer ist seit Anfang 2014 Leiter Innovation bei Swisscom. Er stieß 2013 als Leiter Software Entwicklung zum Unternehmen. Zuvor war er 7 Jahre für Würth Phoenix tätig, der Software und Consulting Firma der Würth Gruppe, zuletzt in der Rolle des Chief Technology Officers (CTO). Er bringt profundes Know-how in der Entwicklung von ERP, CRM, Business Intelligence und System Management Lösungen mit. Nach seinem Studium der Computerwissenschaften an der Universität Saarland hat der 1972 in Italien geborene Egon Steinkasserer in leitenden Positionen Software entwickelt – unter anderem bei SAP. Detecon International GmbH 137
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