Oben – unten JENS BÜTTNER/DPA-BILDFUNK Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft. Wer mit dubiosen Finanzprodukten handelte, wurde reich und reicher. Notizen über Neoliberalismus, Sozialstaat und Armut. Von Christoph Butterwegge SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · DIENSTAG, 26. JULI 2016 · NR. 172 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Kriegsgebiet Großangriff Kriegshelfer Aufräumverweigerer 3 5 7 9 Das Freihandelsabkommen TISA enthält noch mehr sozialen Sprengstoff als TTIP und CETA Der Tod von drei Franzosen beweist die Hinterlassenschaft des Bergbaus: illegale Anwesenheit von NATOIn Australien machen sich Soldaten in Libyen Konzerne aus dem Staub Suizidanschlag in Ansbach »Im Namen Allahs«: Täter zündete Sprengsatz vor Konzertgelände – 15 Verletzte. CSU setzt nach dritter Bluttat in einer Woche weiter auf Law and order. Von Claudia Wangerin MICHAELA REHLE/REUTERS A usgerechnet in Bayern, dessen Staatsregierung auf Law and order setzt, hat zum dritten Mal innerhalb einer Woche ein junger Mann ein Blutbad angerichtet. Auf den Axtangriff in Würzburg und den Amoklauf in München folgte am Sonntag abend ein Bombenanschlag in Ansbach, bei dem der mutmaßliche Attentäter selbst ums Leben kam. Nach Polizeiangaben wurden dabei 15 Menschen verletzt – vier von ihnen schwer. Anders als in München hat sich hier der Verdacht auf ein islamistisches Motiv erhärtet. Nach Behördenangaben war es ein 27jähriger Flüchtling aus Syrien, der den Sprengsatz gegen 22 Uhr am Eingang zu einem Konzertgelände zündete. Der Mann sei öfter in psychiatrischer Behandlung gewesen, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Montag vor Journalisten in Ansbach. Der abgelehnte Asylbewerber habe die Bombe mit scharfkantigen Metallteilen in seinem Rucksack bei dem Musikfestival mit rund 2.500 Besuchern zünden wollen. Ihm wurde aber der Einlass verwehrt. »Wenn er mit dem Rucksack in die Veranstaltung gelangt wäre, hätte es bestimmt mehr Opfer gegeben«, sagte der Nürnberger Polizeivizepräsident Roman Fertinger. Über das Motiv war zunächst noch nichts bekannt, die Mobiltelefone des Toten wurden noch ausgewertet. Herrmann sagte am frühen Montag morgen, »dass ich es leider für sehr naheliegend halte, dass hier ein echter islamistischer Selbstmordanschlag stattgefunden hat«. Der Tagesspiegel sprach unter Berufung auf »Sicherheitskreise« allerdings auch von einer möglichen Fernzündung. Am Nachmittag erklärte Herrmann Polizeiliche Spezialkräfte zeigten nach der Explosion in Ansbach Präsenz auf einer weiteren Pressekonferenz in Nürnberg, die Ermittler hätten auf einem der ausgewerteten Handys ein Video gefunden, in dem der Täter einen Terroranschlag »im Namen Allahs« androhe. Außerdem habe er seine »Zugehörigkeit« zu Abu Bakr Al-Baghdadi, dem Anführer der Terrormiliz »Is- lamischer Staat« (IS), bezeugt. Nach Polizeiangaben hatte er eine Rolle von 50-Euro-Scheinen bei sich. Im Lauf des Tages war bekanntgeworden, dass der seit einem Jahr abgelehnte Asylbewerber in den »Drittstaat« Bulgarien abgeschoben werden sollte. Zuletzt habe Mohammed D. im Status der Duldung in einer Unterkunft in einem ehemaligen Hotel ins Ansbach gelebt. Er habe bereits zweimal versucht, sich selbst umzubringen. Unter anderem wegen eines Drogendelikts sei er polizeibekannt gewesen. »Wir müssen sehen, dass neben vielen Flüchtlingen mit schlimmen Schicksalen auch Leute in unser Land kommen oder gekommen sind, die eine echte Gefahr für die Sicherheit der Menschen in unserem Land darstellen«, so Innenminister Herrmann am Morgen. »Ich bin entsetzt, dass jemand die Möglichkeit, sich in unserem Land aufzuhalten, derartig missbraucht«, betonte er. Das müsse Konsequenzen haben. Gemeint sind Gesetzesverschärfungen auf Bundesebene, die auf eine Vermischung von Strafrecht und Asylverfahren hinauslaufen. Wenn jemand gegen die deutsche Rechtsordnung verstoße, so Herrmann, müsse schon auf niedrigerer Schwelle als bisher deutlich werden, dass er das Land wieder zu verlassen habe. Anders als Mohammed D. wurde der Amokläufer von München in der BRD geboren: David Ali S., der am Freitag in einem Einkaufszentrum neun Menschen und dann sich selbst erschoss, soll einen deutschen und einen iranischen Pass gehabt haben. Riaz A., der zuvor in Würzburg Zugreisende und eine Passantin mit einer Axt schwer verletzt hatte, war zwar Asylbewerber, aber strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) brachte angesichts der Terrorangst am Montag gegenüber dem Bayerischen Rundfunk ein Rucksackverbot auf dem Oktoberfest ins Gespräch. Siehe Seiten 2, 4 und 8 Staatsterror nach Putschversuch Türkische Justiz jagt Journalisten. Bundesregierung will Foltervorwürfe untersuchen N ach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei sind Haftbefehle gegen 42 Journalisten erlassen worden. Laut der Nachrichtenagentur Dogan gab es bereits fünf Festnahmen. Was den Betroffenen genau vorgeworfen wird, wurde zunächst nicht bekannt. Laut Anadolu stehen die Haftbefehle jedoch in Zusammenhang mit dem Umsturzversuch vom 15. Juli, für den Präsident Recep Tayyip Erdogan den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Seit der Revolte eines Teils des Mili- tärs läuft in der Türkei eine Entlassungsund Verhaftungswelle. Nach Angaben von Ministerpräsident Binali Yildirim vom Wochenende wurden bereits mehr als 13.000 Menschen in Gewahrsam genommen, darunter 8.831 Armeeangehörige, 1.329 Polizisten und 2.100 Richter und Staatsanwälte. Am Montag wurden zudem rund 40 Angehörige der Militärakademie und 31 weitere Akademiker in Istanbul festgenommen. Die teilstaatliche Fluglinie Turkish Airlines entließ 211 Mitarbeiter. Am Montag traf Erdogan erstmals in seiner Amtszeit als Präsident mit dem Chef der größten Oppositionspartei, CHP, Kemal Kilicdaroglu, und mit Devlet Bahceli von der nationalistischen MHP zusammen. Der Vorsitzende der prokurdischen Linkspartei HDP, Selahattin Demirtas, war nicht eingeladen. Die CHP hatte am Sonntag abend gemeinsam mit Anhängern von Erdogans islamisch-konservativer AKP auf dem Istanbuler Taksim-Platz gegen den Putschversuch demonstriert. Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben Berichte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International über Folter in der Türkei »zur Kenntnis genommen«. Amnesty liegen nach eigenen Angaben »glaubhafte Beweise« für die Misshandlung von Gefangenen vor. Festgenommene würden von der Polizei in Ankara und Istanbul »in schmerzhaften Positionen über einen Zeitraum von bis zu 48 Stunden« festgehalten. Es gebe Fälle von Schlägen, Folter und Vergewaltigung. »Wir haben keine weiteren Erkenntnisse dazu,« sagte Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. Sie schlug den Einsatz von »unabhängigen Beobachtern« vor, um den Vorwürfen nachzugehen. (AFP/dpa/jW) Chefin der US-Demokraten tritt zurück AP PHOTO/MATT SLOCUM Südsudan ist reich an Öl. Das weckt nicht nur das Interesse des Westens. Ein Interview Philadelphia. Kurz vor dem Beginn des Parteitags der US-Demokraten hat deren Chefin Deborah Wasserman Schultz (Foto) ihren Rücktritt angekündigt. Sie zog damit die Konsequenzen aus dem Skandal um die Veröffentlichung interner E-Mails, die sie als voreingenommen gegenüber dem Präsidentschaftsbewerber Bernard Sanders erscheinen ließen. Für ihre Partei sei es »das beste«, wenn sie den Vorsitz nach dem Ende des Parteitags in Philadelphia niederlege, erklärte sie am Sonntag. Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte am Freitag mehr als 19.000 E-Mails publiziert, die Wasserman Schultz und weitere Mitglieder der Parteiführung belasten. So legen einige Mails nahe, dass die Parteiführung Sanders in schlechtem Licht erscheinen lassen wollte. Der viertägige Nominierungsparteitag der Demokraten begann am Montag in Philadelphia. (AFP/jW) NSU-Prozess: Noch 70 Verhandlungstage München. Im Strafprozess um die Morde der rechtsextremen NSUGruppe dürfte das Urteil frühestens im Spätsommer kommenden Jahres fallen. Das Oberlandesgericht München legte am Montag mehr als 70 weitere Verhandlungstage bis Anfang September 2017 fest. Der Prozess um die Ermordung von neun Männern griechischer und türkischer Abstammung und einer Polizistin sowie um Bombenanschläge und Raubüberfälle hatte im Mai 2013 begonnen. Bisher hatte der Staatsschutzsenat unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl Termine bis zum Beginn des Jahres 2017 anberaumt. Die beiden prominentesten Angeklagten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben haben sich teilweise zur Anklage geäußert und die Vorwürfe zurückgewiesen. In den mehr als 300 bisherigen Verhandlungstagen hat das Gericht bereits Berge von Dokumenten durchgearbeitet und Hunderte Zeugen und Dutzende Sachverständige befragt. (Reuters/jW) wird herausgegeben von 1.862 Genossinnen und Genossen (Stand 4.7.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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