Russischer Staat steuert angeblich Doping

Fata Morgana
STRINGER IRAQ/REUTERS
Der britische Fernsehjournalist Paul
Mason konstatiert in seinem Buch
»Postkapitalismus« nicht ohne
Begeisterung: Diese Wirtschafts­
ordnung steht kurz vor ihrem Ende.
Das darf bezweifelt werden.
Von Georg Fülberth
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Den Ausbau der Beziehungen zu Kirgi- Illegale Teilräumung der Rigaer Straße
stan verknüpft Berlin mit strateund weiteres: Berlins Innensenagischen Zielen. Von Jörg Kronauer
tor immer stärker unter Druck
Tausende Venezolaner wollten sich am Herrlich gestisch und plausibel: Bachs
Wochenende in Kolumbien verCembalokonzerte, interpretiert
sorgen. Von Modaira Rubio
von Andreas Staier
Erdogan rechnet ab
NATO-Manöver im
­Schwarzen Meer
Odessa/Moskau. Vor der Küste
der Ukraine hat am Montag im
Schwarzen Meer das von den USA
geführte Marinemanöver »Sea
Breeze« (Seebrise) begonnen. Bis
zum 30. Juli nehmen mehr als
4.000 Soldaten mit etwa 25 Schiffen aus der Ukraine sowie aus den
NATO-Staaten USA, Rumänien
und Türkei teil. Zum Einsatz kommen ebenfalls rund 20 Flugzeuge
und Hubschrauber sowie etwa
140 Fahrzeuge, darunter Panzer.
In den Regionen Odessa und
Mikolajiw werden 700 Marineinfanteristen Landungsoperationen
trainieren. »Solche Übungen destabilisieren die Lage«, sagte der
russische Parlamentarier Andrej
Krassow vom Verteidigungsausschuss in Moskau der Agentur
Interfax zufolge. Kritik kam auch
von Außenminister Sergej Lawrow.
(dpa/jW)
Nach dem Putschversuch säubert Ankara den Staatsapparat von Gegnern.
»Professionelles Miteinander« türkischer und deutscher Militärs in Incirlik. Von André Scheer
N
Erdogan-Anhänger fordern am Sonntag in Ankara den Tod des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen, der vom
Regime für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird
Berichte über Angriffe von ErdoganAnhängern auf die Büros von Oppositionsparteien gegeben.
Die europäischen »Partner« Ankaras
reagierten mit Worten. Das Vorgehen
der türkischen Regierung mache ihn
sehr besorgt, sagte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn am Montag
in Brüssel. Dass die Listen für Verhaftungen direkt nach dem Putsch verfügbar gewesen seien, »weist darauf hin,
dass es vorbereitet war und sie zu einem
bestimmten Zeitpunkt genutzt werden
sollten«. Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundsätze müssten eingehalten werden, forderte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. »Lassen
Sie mich sehr klar sein: Kein Land kann
ein EU-Staat werden, wenn es die Todesstrafe einführt.« Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault warnte
vor einer »autoritären Herrschaft«, sein
österreichischer Amtskollege Sebastian
Kurz vor einem »Freibrief für Willkür«.
Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD) forderte von Ankara, die »Verhältnismäßigkeit« zu beachten. Ernsthafte Konsequenzen will
man in Brüssel und Berlin jedoch nicht
ziehen. Die Türkei bleibe ein »wichtiger Partner« im Wirtschaftsbereich
und in der »Flüchtlingskrise«, erklärte der Vorsitzende der konservativen
EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU).
Die EU-Kommission hält auch am
Flüchtlingsabkommen mit der Türkei
fest. Man hoffe, dass die Regierung in
Ankara ihre Zusagen genauso wie die
EU weiter umsetze, hieß es in Brüssel.
Auch im Krieg lassen sich NATO und
EU nicht stören. Die Operationen der
»Tornados« der Bundeswehr vom Stützpunkt Incirlik gingen ungestört weiter,
sagte die Sprecherin des Einsatzführungskommandos, Christiane Perthel.
»Die Zusammenarbeit gestaltet sich
ganz professionell und problemlos. Die
deutsch-türkischen Militärbeziehungen
laufen weiter auf guter Basis. Das ist ein
hohes professionelles Miteinander.«
Siehe Seiten 7 und 8
Russischer Staat steuert angeblich Doping
Untersuchungsbericht in Toronto vorgelegt. Forderungen nach Ausschluss von Spielen in Rio
D
rei Wochen vor Beginn der
Olympischen Spiele von Rio
de Janeiro werfen Ermittler
der Weltantidopingagentur WADA
Russland staatlich gesteuertes Doping
vor. WADA-Chefermittler Richard
McLaren legte am Montag in Toronto
einen 97seitigen Untersuchungsbericht vor, in dem nach seinen Worten zahlreiche gravierende Belege für
die Verwicklung staatlicher Stellen
in Sportbetrug aufgeführt werden. So
sei etwa das russische Sportministerium involviert. Im Moskauer Antidopinglabor seien über Jahre hinweg po-
sitive Proben verschwunden, um gedopte russische Athleten zu schützen.
McLaren behauptete, das russische
Sportministerium habe die Manipulationen »geleitet, kontrolliert und
überwacht«. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB und das Trainingszentrum der russischen Athleten,
CSP, seien aktiv beteiligt gewesen.
Nun seien Tausende Daten und Dokumente ausgewertet und gelöschte Dateien wiederhergestellt worden. Eine
Empfehlung der WADA-Ermittler für
Sanktionen gab McLaren nicht.
Bereits vor der Veröffentlichung des
Berichts hatten die Antidopingagenturen der USA und Kanadas gefordert,
Russland von den Olympischen Spielen auszuschließen. Unterstützung
kam dafür auch von der deutschen
Agentur NADA. Deren Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann bekräftigte am Montag: »Die NADA fordert
das IOC auf, dafür zu sorgen, dass
russische Sportlerinnen und Sportler
nicht zu den Olympischen Spielen in
Rio de Janeiro zugelassen werden«.
Der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach,
hatte jedoch vorab erklärt: »Jeder, der
nicht involviert war, kann nicht für das
Fehlverhalten anderer bestraft werden.» Ähnlich hatte sich der Weltturnverband FIG geäußert.
Der russische Eiskunstlauf-Olympiasieger Jewgeni Pljuschtschenko
betonte am Montag gegenüber TASS,
die Vorwürfe zu staatlich gesteuertem
Doping bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi seien unwahr.
»Ich habe niemals etwa irgendwelche
Zweitlabors gesehen. Immer hat mich
eine weitere Person überwacht, wenn
ich Dopingproben abgegeben habe.«
(dpa/jW)
OLIVIER HOSLET/DPA-BILDFUNK
Linke klagt in Karlsruhe
gegen CETA
REUTERS/BAZ RATNER
ach dem Putschversuch vom
vergangenen Freitag nutzt die
türkische Regierung die Gunst
der Stunde, um endgültig den gesamten
Staatsapparat unter ihre Kontrolle zu
bringen. Wie Ministerpräsident Binali Yildirim am Montag im staatlichen
Fernsehen TRT sagte, wurden bislang
mehr als 7.500 Personen im Zusammenhang mit der Revolte inhaftiert.
Festgenommen wurden unter anderem
zwei Verfassungsrichter, sechs Richter des Kassationsgerichts und 18 des
Obersten Gerichtshofes. Die kurdische
Nachrichtenagentur ANF veröffentlichte eine Liste mit den Namen hochrangiger Militärs, die als Putschisten inhaftiert worden seien. Unter ihnen seien
mehrere Befehlshaber, die Operationen
der türkischen Streitkräfte in den kurdischen Gebieten geführt hätten. »Der
Zerfall des türkischen Staates schreitet
voran«, frohlockte die Agentur deshalb.
Mehr als 13.000 Staatsangestellte wurden ihrer Ämter enthoben, unter ihnen
30 Provinzgouverneure.
Führende Vertreter des Regimes propagieren eine Wiedereinführung der
Todesstrafe – weil dies von »der Bevölkerung« verlangt werde. Diese Forderung dürfe »nicht übersehen werden«,
erklärte Staatschef Recep Tayyip Erdogan in TRT. In Demokratien entscheide
das Volk. Am Montag berichtete der
Fernsehsender NTV, dass der Vizebürgermeister des Bezirks Sisli in Istanbul bei einem Attentat schwer verletzt
worden sei. Unbekannte seien in das
Büro von Cemil Candas, der Mitglied
der kemalistischen Oppositionspartei
CHP ist, eingedrungen und hätten ihm
in den Kopf geschossen. Am Nachmittag meldeten türkische Medien, Candas
sei seinen Verletzungen erlegen. Schon
am Wochenende hatte es zahlreiche
Berlin. Die Linke im Bundestag
hat vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage gegen
das EU-Handelsabkommen mit
Kanada (CETA) eingereicht. »Es
ist ein Armutszeugnis für die
jahrelangen Verhandlungen zum
CETA-Abkommen, dass das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig ist, weil es
Demokratie-, Rechtsstaats- und
Sozialstaatsprinzipien verletzt«,
sagte der stellvertretende Frak­
tionsvorsitzende Klaus Ernst am
Montag nach Angaben seiner
Partei.
CETA schränkt nach Ansicht
der Linkspartei nicht nur Menschenrechte ein, sondern auch die
Möglichkeiten des Umwelt- und
Klimaschutzes sowie die Rechte
der Verbraucher und lohnabhängig Beschäftigten. Das bereits
ausgehandelte, aber noch nicht
beschlossene Abkommen gilt als
Blaupause für das ebenfalls geplante »Freihandelsabkommen«
mit den USA (TTIP). (dpa/jW)
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