Pressemitteilung vom 19.07.2016

Medieninformation
Das Geheimnis des Augenblicks entschlüsselt
Team der TU Darmstadt zeigt, wie Augenbewegungen sich der Dynamik der Umwelt anpassen
Darmstadt, 19. Juli 2016. Um auch flüchtige Veränderungen in ihrer
Umwelt optimal erfassen zu können, passen Menschen das Timing ihrer
Augenbewegungen nach komplexen internen Berechnungen systematisch
an die zeitlichen Dynamiken um sich herum an. Das zeigte ein
Forscherteam am Cognitive Science Centre der TU Darmstadt in einem
Experiment, das jüngst im Journal „Proceedings of the National Academy
of Sciences“ veröffentlicht wurde. Damit präzisieren die Forscher ihre
mathematischen Modelle menschlicher Wahrnehmung.
Unser Überleben hängt in vielen Situationen davon ab, dass die richtige
Information zur richtigen Zeit verfügbar ist. Obwohl wir dieser Aussage intuitiv
zustimmen, spielt sie in unserem Alltag eine fundamentale Rolle: Wir können
nur in einem kleinen Bereich unseres Gesichtsfeldes scharf sehen, so dass wir
im Durchschnitt drei Mal pro Sekunde unsere Augen auf einen neuen,
informativen Bereich in unserer Umgebung richten. So muss es für unsere
Vorfahren in der Savanne überlebenswichtig gewesen sein, Raubtiere im hohen
Gras rechtzeitig zu erkennen. Nicht weniger wichtig ist es für den modernen
Stadtmenschen, im Straßenverkehr zur Rush-Hour zu überprüfen, wann und
wo Gefahr droht.
Kommunikation und Medien
Corporate Communications
Karolinenplatz 5
64289 Darmstadt
Ihre Ansprechpartnerin:
Silke Paradowski
Tel. 06151 16 - 20019
Fax 06151 16 - 23750
[email protected]
www.tu-darmstadt.de/presse
[email protected]
Frühere Studien haben gezeigt, dass wohin wir unseren Blick richten,
keineswegs zufällig ist. So landet unser erster Blick bei menschlichen
Gesichtern am oberen Ansatz der Nase, da von dort die meisten Informationen
über die aktuelle Gefühlslage unseres Gegenübers ausgelesen werden kann.
Bisher war jedoch unklar, wie Menschen mit zeitlichen Regelmäßigkeiten und
Veränderungen in ihrer Umgebung umgehen. Im Alltag sind visuelle
Informationen bereits nach kurzer Zeit veraltet – Fahrzeuge im Straßenverkehr
verändern ständig ihre Position – und die daraus entstandene Unsicherheit
muss durch gezieltes Fokussieren reduziert werden. Die zeitliche Koordination
von Augenbewegungen ist deshalb elementar bei der Lösung vieler alltäglicher
und komplexer Aufgaben.
Nun ist es einer Gruppe am neu gegründeten Cognitive Science Centre der TU
Darmstadt gelungen, in einem Experiment zu zeigen, dass auch das Timing der
Augenbewegungen hochgradig optimiert und ein Ergebnis komplexer interner
Berechnungen ist. In einem Laborexperiment, das im Journal „Proceedings of
the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurde, sollten
Versuchsteilnehmer Ereignisse an zwei Orten auf einem Bildschirm
detektieren. Ohne dass die Teilnehmer dies explizit wussten, variierte die
Seite: 1/2
Dauer der Ereignisse über die Versuchsdauer systematisch. Die gezielte
Messung der Augenbewegungen offenbarte einige bisher nicht beschriebene
Effekte. Die Autoren zeigen, dass Menschen das Timing von Augenbewegungen
systematisch an die zeitlichen Dynamiken der Umwelt anpassen. Wenn
Probanden auf kurze Ereignisse trafen, erhöhte sich die Frequenz mit der sie
die relevanten Positionen mit ihrem Blick überprüften.
Ein ganz wesentlicher Beitrag des Teams ist es, ein kognitives Modell für das
menschliche Verhalten zu liefern, eine mathematische Herleitung des
Blickverhaltens aus Prinzipien der Informationsverarbeitung. Unter anderem
konnte dadurch der Einfluss von motorischer Variabilität, Unsicherheit in der
Zeitwahrnehmung und intrinsischen Kosten von Augenbewegungen auf das
Blickverhalten nachgewiesen werden. So kann gezeigt werden, dass Menschen
die zeitlichen Regelmäßigkeiten erlernen und diese nutzen, um
Augenbewegungen bestmöglich zu koordinieren. Die Ergebnisse liefern
detaillierte Einblicke in die komplexen Entscheidungsprozesse, die Sequenzen
von Augenbewegungen zugrunde liegen.
Die Veröffentlichung
David Hoppe / Constantin A. Rothkopf: “Learning rational temporal eye movement
strategies”, PNAS 2016
doi:10.1073/pnas.1601305113
http://www.pnas.org/content/early/2016/06/30/1601305113.short
Internet:
http://www.cogsci.tu-darmstadt.de/
Kontakt:
Prof. Constantin A. Rothkopf
Institut für Psychologie
Arbeitsgruppe Psychologie der Informationsverarbeitung
Tel.: 06151/16-23367
E-Mail: [email protected]
MI-Nr. 53/2016, Rothkopf/sip
Seite: 2/2